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Artikel „Stolberg, Ludwig, Graf zu“ von Eduard Jacobs in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 36 (1893), S. 339–345, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Stolberg,_Ludwig_Graf_zu&oldid=- (Version vom 22. November 2024, 16:39 Uhr UTC)
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Stolberg: Ludwig, Graf zu St., geboren am 12. Januar 1505 zu Stolberg, † am 1. September 1574 zu Wertheim. Als der dritte Sohn Graf Botho’s (s. o. S. 327) und der Anna, gebornen v. Königstein-Eppstein, verlebte er die ersten Kindheitsjahre zu Stolberg und wurde dann, wie die meisten seiner Geschwister, schon frühzeitig seinem Oheim, Grafen Eberhard zu Königstein am Taunus, zur Unterweisung und Erziehung unter einem besonderen Lehrer übergeben, und nach der Eltern Willen ernstlich zu den Studien angehalten. Ohne daß der Vater diesen Sohn endgültig für den geistlichen Stand bestimmt hätte, suchte er demselben schon als zartem Knaben und Jüngling mehrere geistliche Pfründen in Mainz und Köln zu sichern und erwirkte vom Papst dessen Dispensirung wegen des Alters zur Uebernahme verschiedener geistlicher Stellen. Von [340] dem evangelischen Prediger Dr. Tileman Plathner, dem eigentlichen Studienleiter der gräflichen Söhne begleitet, bezog L. mit seinem älteren Bruder Wolfgang im Sommer 1520 die Universität Wittenberg und war auch mit demselben auf dem Reichstage zu Worms. Noch ein paar Jahre lebte er nach seiner wissenschaftlichen Vorbildung in Mainz, dann trat er durch Vermittlung Graf Wilhelm’s v. Nassau-Dillenburg und Graf Eberhard’s v. Königstein, mit Walpurg, Tochter Graf Johann’s v. Wied, im J. 1528 in die Ehe. Von da an lebte er meist als Stütze seines alternden Oheims in Königstein. Derselbe setzte um die Zeit von Ludwig’s Verlobung ein Testament auf, in welchem er diesen an erster Stelle zum Erben der Grafschaft Königstein und seiner Antheile an Dietz, Münzenberg und Breuberg bestimmte. Als Graf Eberhard am 25. Mai 1535 das Zeitliche gesegnet hatte, trat L. das selbständige Regiment an, wurde aber in der ersten Zeit von Mainz, Hessen und Trier heftig angefochten. Nachdem es ihm gelungen war, sich hier zu behaupten, suchte er sich auch das in Aussicht stehende von der Mark-Rochefortische Erbe zu sichern, was auch, als der Erbfall 1544 eintrat, allerdings nicht ohne Opfer, gelang. Mehr als alles andere machten ihm die Verhältnisse der Stolbergischen Stammbesitzungen am Harz zu schaffen. Er war hier Mitregent, und seit dem Ableben seines Bruders Wolfgang im J. 1552 Hausältester. Bis zu seinem Todesfalle war hier ein geeigneter Verwalter und eine persönliche Einheit im Regiment vorhanden. Daß diese hinfort fehlte war um so schlimmer, als die Schulden des Hauses zu einer bedenklichen Höhe stiegen, seit 1546 auch der Bruder Heinrich, der bis dahin die Einkünfte geistlicher Prälaturen genossen hatte, zu versorgen war, und weil endlich die selbstischen Sonderbestrebungen des Bruders Albrecht Georg meist ein allgemeines Uebereinkommen vereitelten. So wurden ihm schließlich die erfolglosen Bemühungen in den eigentlichen Hausangelegenheiten sehr verleidet. Wie ernst er die Stolbergischen Hausinteressen zu wahren suchte, bewies er in der brüderlichen Erbeinigung vom 19. März 1548. Da es ihm an einem Sohne fehlte, und ein solcher um jene Zeit kaum noch erwartet wurde – ein im Mai 1543 ihm geschenkter verstarb bald wieder – so erschien die Bewahrung der zunächst von ihm ererbten Besitzungen beim Stamme Stolberg gefährdet. Daher wurde nun jene brüderliche Erbeinigung geschlossen, welche auf die gegenseitige Beerbung sämmtlicher Brüder und ihres Mannesstamms gerichtet war: alle Brüder sollen Titel, Namen, Schild und Wappen aller Graf- und Herrschaften führen und die entsprechenden Rechtsansprüche auf dieselben haben; alle Lehen und Anwartschaften sind gemeinsam. Der Kaiser kam diesem Bestreben durch einen am 17. Mai 1548 zu Augsburg ertheilten Wappenbrief zu Hülfe, worin das gemeinsame Wappen durch die neuesten Erwerbungen gemehrt und der Anspruch des gesammten Mannesstamms auf die Königsteinischen und Rochefortischen Lande anerkannt war. Während L., trotz wiederholter Reisen an den Harz, seine dortigen Interessen meist durch Stellvertreter versehen ließ, war seine Hauptthätigkeit als Landesherr meist auf das Königsteinische, seit 1544 auch auf Rochefort gerichtet. Die wichtigste Frage der Zeit war die kirchliche, die der Reformation. Ihr war L. von Jugend auf zugethan. Die Wittenberger Reformatoren standen ihm nahe, am meisten wohl Melanchthon, an den er sich im J. 1522 in der Frage wegen der Bilder in den Kirchen wandte. Aber Namens seines Freundes Philippus beantwortete Luther, der sich für den Grafen interessirte, diese Frage, und richtete am 25. April d. J. einen Brief an ihn, dessen Mittelpunkt das herrliche Wort ist: „Fürwahr, der rechte göttliche Dienst liegt inwendig im Vertrauen und Lieben.“ Im Königstein’schen führte er die Reformation mit Weisheit und Mäßigung ein. Ein Anfang war schon zur Zeit seines Oheims von Königstein-Eppstein gemacht, der zwar selbst bei der alten Kirche verblieb, aber den Geist nicht dämpfte und es nicht wehrte, daß seine [341] Neffen mit Bekennern der Reformation, wie den Reiffenstein, Micyll u. a. verkehrten. Größere Rücksicht hatte L. auf Kaiser Karl V. zu nehmen, und obwohl Männer wie Melanchthon, Jakob Sturm, Michael Meyenburg, seine Berather waren und namentlich der Rheinländer Joh. Meinerzhagen, dem er eine Zuflucht zu Königstein gewährt hatte, ihn aufs dringendste vor dem Interim warnte, und sein eigener Bruder Wolfgang, als eifriger Gegner des Augsburger „Rathschlags“ an ihn schrieb, mit der Seele sei nicht zu scherzen, weil der Teufel so scharfe Klauen habe und das Feuer so heiß (15. Oct. 1548), bei ihm sogar sehr verständlich anfragte: ob sie draußen Gott noch kennten oder nicht, da hier (am Harz) allerlei geredet werde (9. Jan. 1549) – trotz alledem gab L. nach. Nach langem Warten und Sträuben erklärte er in einem aus Rochefort am 8. März 1549 ausgegangenen Schreiben: „Da Gott den Kaiser als einzigen zeitlichen Herrn, dem er zu gehorsamen schuldig, bestellt habe, so füge er sich in den Rathschlag, den dieser als in Gottes Wort begründet ansehe.“ Das Interim wurde im Königstein’schen durchgeführt. Der Graf hatte aber, wie andere Stände in gleicher Lage, die leidige Erfahrung zu machen, daß trotz dieses Opfers die Königstein’schen Geistlichen bei der Mainzer Synode nicht anerkannt, sondern als Ketzer zurückgewiesen wurden. Jene Unterwürfigkeit gegen den Kaiser bedeutete aber keineswegs ein Aufgeben der Reformation, die vielmehr im Königstein’schen erhalten blieb. In den Erblanden des Kaisers freilich, im wallonischen Rochefort, blieb das Menschenalter, in welchem L. hier waltete, für die Reformation ganz erfolglos und noch zu Weihnachten 1573 mußte er sich, um mit den Seinigen sich am evangelischen Gottesdienst zu erbauen, einen Geistlichen aus Schleiden von seinem Schwiegersohn von Manderscheid erbitten. Eine merkwürdige Erscheinung war es, daß er, der bis in die ersten fünfziger Jahre seines Lebens ganz zu Melanchthon gestanden hatte, durch einen im J. 1557 zu Oberursel angestellten Geistlichen, Eberhard Haberkorn, ganz und gar für Melanchthon’s Gegner und für den Flacianismus gewonnen wurde. Diese Parteinahme war von nicht geringen Folgen, indem in des Grafen Lande und unter seinem Schutze zu Ursel eine ungemein fruchtbare Druckerei errichtet wurde, aus der neben andern Schriften besonders das litterarische Kampfrüstzeug des Flacianismus bis zu einer Zeit ausging und verbreitet wurde, als diese Richtung anderswo bereits überwunden war. L., aus dessen Lande 1557 auf der Flacianischen Zusammenkunft in Frankfurt zwei Superintendenten erschienen, gab seinem Lande auch eine eigene Kirchenordnung, wobei er die Pfalz-Zweibrückische zu Grunde legte, und sie mit einer Vorrede vom 1. Septbr. 1563 in Oberursel drucken ließ. Gegen Melanchthon’s Person hegte aber der Graf bis an dessen Ende die größte Verehrung. Mit den Interessen für die Kirche hingen bei L. die für Schule und Wissenschaft eng zusammen. Melanchthon, Michael Neander, Rhodeman und andere Zeitgenossen erkennen des Grafen Eifer für das Schulwesen an. Bei der Einrichtung der Klosterschulen zu Ilfeld, Walkenried und Ilsenburg war er betheiligt; bei der zu Hirzenhain im Königstein’schen war er der Urheber, wenn auch Ysenburg dabei betheiligt war. Sein litterarisches, allerdings zunächst auf das kirchlich-theologische gerichtetes Interesse bekundete er schon durch die Förderung der Druckerei zu Ursel. Er war aber auch der erste Graf zu Stolberg, von dem wir wissen, daß er Büchersammlungen zu Königstein und Wertheim anlegte. Der Stamm der letzteren geht allerdings auf seinen Schwiegersohn Grafen Michael v. Wertheim zurück.

Bei seiner Nachgiebigkeit dem Interim gegenüber wurde L. durch sein Verhältniß zu Kaiser Karl V. bestimmt, der diesen Vermittlungsversuch als sein eigenstes Werk betrachtete. Bei des Kaisers entschiedener Feindschaft gegen die Reformation war das Verhältniß des lutherischen Grafen zu ihm ein sehr schwieriges. Als er im J. 1544 im Begriff stand, sich zum Kaiser aufzumachen, [342] erklärte er seiner Gemahlin Walpurg, er werde berichtet, der Kaiser werde ihm eine wüste Lection des Glaubens halber lesen; Gott geb’ Beständigkeit, wie ich hoffe, setzt er hinzu. Da der Kaiser wohl wußte, daß das gesammte grüne Holz in Deutschland zur Reformation stand und er tüchtige Männer brauchte, so konnte er sich allerdings eine Persönlichkeit, wie die Graf Ludwig’s, wohl gefallen lassen, von dem sein jüngerer Bruder, Kaiser Ferdinand, als er ihn zu Passau am 5. August 1552 zum Mitglied des zu ernennenden Reichsraths empfahl, mit Recht sagen konnte, daß er ein sehr wohl berufener Graf und trotz seines Lutherthums durchaus nicht aufsässig sei. So bekannt war im Reich das Vertrauen, welches L. beim Kaiser genoß, daß verschiedene Reichsstände, die beim schmalkaldischen Bunde betheiligt gewesen waren, ihn um sein Fürwort bei demselben baten. Zur Zeit des markgräflichen Krieges widerstand er allen Versuchungen, sich an einem Bündniß, das wider den Kaiser gerichtet war, zu betheiligen. Wenn nun aber auch Karl V. ihn schätzte, so ist doch schon von den Zeitgenossen bemerkt, daß er seinem Bruder Ferdinand näher stand. Wir wissen von verschiedenen Aufträgen, die ihm dieser ertheilte, von gnädigen Zuschriften, die er an ihn richtete. Hervorzuheben ist eine Gesandtschaft, die er auf Grund eines vom Augsburger Reichstage gefaßten Beschlusses vom November 1559 bis in den Winter 1560 mit dem Cardinal Madruzzi, Bischof von Trient, an den Hof des Königs Franz I. von Frankreich wegen Herausgabe der dem Reiche entrissenen Bisthümer Metz, Toul und Verdun unternahm. Ein bestimmtes Ergebniß hatte allerdings dieses Unternehmen nicht; im Februar 1560 trat der Graf noch mit einer Frau v. St. Remy, gebornen von Savigny, zu Paris in Verbindung, welche ihm ihre Vermittlung bei einem Bündnisse des Kaisers mit dem König von Navarra, dem Herzog von Nevers und dem Prinzen von Condé zur Eroberung Frankreichs anbot. War das Verhältniß des Grafen zu Kaiser Ferdinand I. schon ein engeres, so wurde es vollends bei Maximilian II., der auch in der religiösen Frage sich nahe mit ihm berührte, ein geradezu freundschaftliches, wie das nicht nur aus sehr gnädigen amtlichen, sondern auch eigenhändigen Zuschriften des Kaisers unzweideutig hervorgeht. Für diesen geliebten Herrn war L. denn auch bis in seine letzten Lebenstage mit größter Hingebung thätig. Die größte Unternehmung, die er für ihn ausführte, war eine Gesandtschaft an die Königin Elisabeth von England, die etwas über ein Vierteljahr in Anspruch nahm, nämlich die Zeit vom 24. April bis Ende Juli 1567. Sein eigentliches Mandat führte er in einer längeren lateinischen Rede aus, die er vor der Königin hielt und welche diese zu großer Bewunderung hinriß. In dem schriftlichen Auftrage an ihn ist nur von einer in England gesuchten Türkenhülfe die Rede. In des Grafen Schreiben an den Reichshofrathspräsidenten gedenkt L. aber auch des Projects einer Heirath mit der jungfräulichen Königin. Kaum aus England zurückgekehrt, wurde er vom Kaiser durch ein aus dem ungarischen Feldlager zu St. Gangloff an ihn gerichtetes Schreiben zu einem Tage nach Erfurt entboten. Nur augenblickliche Krankheit hinderte den Grafen daran, „für seinen geliebten Herrn und Kaiser“ sofort wieder auszuziehen. Aber nicht lange durfte er rasten, denn am 28. November 1567 ertheilte ihm Kaiser Maximilian wieder den Auftrag, in seinem Namen den nach Fulda ausgeschriebenen Kurfürstentag zu besuchen, wo „unsere und des heiligen Reichs Teutscher Nation gemeine Ruhe und Wohlfahrt betreffende hochwichtige Sachen“ vorgelegt werden sollten. Es handelte sich vorzugsweise um die niederländischen Dinge, Egmond und Hoorn, und um eine Intervention bei König Philipp II. Als er bis Ende Januar 1568, wie der Kaiser erklärte, eben „das beste gethan hatte“, erhielt er von seinem Herrn im April wieder neue Arbeiten aufgelegt. Auf das besonders große Vertrauen, das er zu ihm habe, fordert der Kaiser ihn auf, sich sobald als möglich nach Trier zu begeben, um den Conflict zwischen der Stadt und [343] ihrem erzbischöflichen Oberherrn Jakob III. v. Elz beizulegen. Er sei seiner als eines „viel erfahrenen, ansehnlichen und verständigen Grafen des Reichs höchlich bedürftig“. Dem sehr gnädigen amtlichen Schreiben fügt der Kaiser noch eine eigenhändige angelegentliche Bitte hinzu. Natürlich ließ der alte Graf es nicht an sich fehlen, und bis zu Ende des Jahres 1573, also bis nahe an sein Ende, übernahm L. ähnliche kaiserliche Aufträge. Und in all diesen Geschäften für Kaiser und Reich lag des überaus thätigen Grafen öffentliche außerordentliche Thätigkeit keineswegs ganz beschlossen. Seine geschickte und nach Vermögen bereite Hülfe wurde von verschiedenen Ständen des Reichs, von Nassau-Dillenburg, Kurpfalz, Mainz, Fulda, seinen Vettern von Hohenlohe u. a. in Anspruch genommen. Dem von ihm innigst verehrten Erzbischof Hermann von Köln war er nicht nur bei seinem Reformationswerke, sondern auch nach seiner Absetzung bis an sein Ende zu Diensten. Besonders aber ist noch der Förderung zu gedenken, die er dem nahe verbundenen Hause Nassau-Dillenburg und Oranien nicht nur in einzelnen Dienstleistungen, sondern in seinem unbedingten Eintreten für den Prinzen Wilhelm, den Sohn seiner Schwester, bei Kaiser und Reich leistete. Als derselbe auf dem Frankfurter Deputationstage heftig angegriffen wurde, verließ er denselben, wandte sich in einer energischen Erklärung unmittelbar an den Kaiser und gewann diesen vollständig für den Prinzen. Mit allem Nachdruck wies L. auf die Interessen des Reichs in den Niederlanden hin, empfahl ein energisches thatkräftiges Einschreiten, und nicht an ihm hat es gelegen, wenn dies nicht geschah. Von Ludwig’s Staatsschriften sind nur einzelne von 1552 im Druck erschienen (Arnoldi, Denkwürdigkeiten 1817 S. 236 ff.).

So viel Arbeiten und Verpflichtungen auch schon auf ihm lasteten, so fiel dem Grafen doch durch ein unerwartetes Geschick in der Fülle seiner Jahre noch eine ansehnliche weitere Aufgabe zu. Durch den am 14. März 1556 erfolgten Tod seines in der Mitte der zwanziger Jahre stehenden Schwiegersohns Grafen Michael III. v. Wertheim fielen dessen Besitzungen zunächst an die Wittwe Katharina, die ihr Erbrecht zu Gunsten ihres Vaters resignirte. Dieser trat sein Regiment am 18. März 1557 an und wußte sich, von kaiserlicher Gunst gestützt, trotz aller Anfechtungen zu behaupten. I. war nun zu gleicher Zeit Senior des Hauses Stolberg, Herr der Königstein-Eppstein’schen, von der Mark-Rochefortischen Besitzungen und Regent der Grafschaft Wertheim, und nahm so eine Stellung ein, wie niemals ein Graf zu Stolberg vor und nach ihm. In Wertheim, wo er sich auch das Gedächtniß eines gerechten und friedsamen Herrn stiftete, war es, wo L. am Mittage des 1. September 1574 im siebzigsten Lebensjahre aus der Zeitlichkeit schied, und wo ihm seine Tochter Katharina und deren zweiter Gemahl, Graf Philipp von Eberstein, in der Stadtkirche ein von dem Bildhauer Hans Rodlein in Würzburg ausgeführtes Denkmal setzten, das prächtigste, welches das Grab eines Grafen zu Stolberg schmückt. Da auf diesem und in der Wertheim’schen Chronik, abweichend von den gleichzeitigen Correspondenzen, der 24. August als Sterbetag angegeben ist, so ist diese Angabe in die Ueberlieferung übergegangen. L. ist ohne Zweifel eine der denkwürdigsten Persönlichkeiten des Hauses Stolberg. Mit seinen unmittelbaren Besitzungen mitten „im Reich“ gesessen, hat ihrer keiner in solcher Weise sich den Angelegenheiten von Kaiser und Reich gewidmet, wie er. Seinen Brüdern erklärte er wol gelegentlich, wenn sie ernstlich an seine persönliche Betheiligung an den Hausangelegenheiten erinnerten, er müsse zunächst dem Könige, als seinem einigen Oberherrn, Gehorsam leisten (Wertheim, 13. Januar 1558). Auch sein Vater hatte dem Kaiser und den ersten Ständen im Reich erhebliche Dienste geleistet, er suchte diese Last aber thunlichst zu Gunsten seiner Hausangelegenheiten von sich abzuwälzen. Der Sohn dagegen widmete sich den Reichssachen als Stand und Rath von Kaiser und Reich aus Pflichtgefühl und innerem Triebe. Er war [344] von den politischen und Reichsangelegenheiten fortwährend so unterrichtet, daß der ihm befreundete bekannte Staatsmann Lazarus v. Schwendi gelegentlich erklärt, er könne ihm – vom Hofe in Brüssel aus – kaum etwas neues schreiben, da der Graf täglich von vielen Personen Kundschaft von dem, was sich zutrage, erhalte (27. December 1548). Ebenso wendet sich der Prinz von Oranien, wo er sich über die Stimmung bei Hofe und in den Niederlanden über sich und über die politische Lage der Dinge zuverlässige Auskunft verschaffen will, an seinen Oheim Ludwig in Königstein. Wir sehen wohl, wie der kaiserliche Kanzler Heß v. Lauffen ihm Bericht über die neuesten Ereignisse in Frankreich und die französischen Kriegspläne in Bezug auf Metz und Bar ertheilt (Zinstag n. Mart. 1546). Und da er das alte und das neue verband und mit anerkanntem Interesse für die vaterländische Geschichte in seinen Büchersammlungen alte Chroniken von Barbarossa, von Franck, Münster u. a., neben Schriften zum deutschen Schriftthum bewahrte, so war es gar anziehend für einen gebildeten Mann, mit dem geistvollen Grafen zu verkehren. Der eben erwähnte Lazarus v. Schwendi bezeugt es aus Erfahrung, er habe „aus seiner Kundschaft und Conversation so viel Frommen und Freud empfangen, daß er dieselbe billig noch ferner wünsche und begehre“ (27. December 1548).

Seine Rede war, wie auch die mancherlei Sprüchwörter und treffenden Bilder in den Briefen zeigen, mit Geist gewürzt, und aus letzteren weht uns oft eine wohlthuende Wärme entgegen, zumal im Verkehr mit den Geschwistern, eine Wärme, die in seinem innersten Wesen ihren Grund hatte. Dieses Wesen war maßvoll und friedsam: „Alles mit Maß“ (ne quid nimis), und seine Grabinschrift: „Recht, Fried hielt ich im Land“, ist bezeichnend für sein Thun und Lassen. Die aufrichtige Herzensgüte und Leutseligkeit, die Dr. Caesarius bereits an dem Jünglinge rühmt, gewann ihm viele Freunde. Sie erklärt auch die besondere Vorliebe der Königstein’schen Pflegeeltern zu ihm. Seinem jungen Schwiegersohn Graf Dietrich v. Manderscheid gibt er am 8. Nov. 1560 einen dreifachen Rath, erstlich, einen Gefangenen (Ludolf von Enschringen) loszugeben, mit seinen Brüdern und Geschwistern in brüderlichem Einvernehmen zu bleiben und von vornherein sorgfältig darauf zu achten, daß nichts dieses gute Verhältniß störe. „Ueber alles dieses,“ schließt er, „ist mein treuer Rath, E. Liebden wollen die alten Diener wohl in Ehren halten.“ Er möge ihnen sagen, wie er sein Vertrauen auf sie setze, ’und sie also mit Gemüth an sich ziehen’. Von der geschwisterlichen Liebe zu ihm ließen sich aus dem Briefwechsel viele und schöne Beispiele sammeln, besonders mit den Schwestern Anna und Juliana, die ihn gewöhnlich mit hergebrachtem Kosenamen nennen. Erstere erklärt ihm gelegentlich: obwohl sie eigentlich gar nichts besonderes zu bemerken oder ihm mitzutheilen habe, so könne sie nicht anders, als an „ihren herzlieben Lotzen“ schreiben, um ihm zu versichern, wie lieb sie ihn immer gehabt habe und noch habe, wenn er dies auch schon wisse (17. April 1567).

Seit seinen Lebzeiten haben das Haus Stolberg und dessen Freunde den Grafen Ludwig, den Rheinländer, „den Ruhm und die hohe Zier des Rheinlands“ wie M. Gothus ihn nennt, hochgehalten. Und wenn seine geschichtliche Stellung für die Wahrung und Befestigung des Hausbesitzes auch keineswegs den Erfolg gehabt hat, wie er ihn selbst längere Zeit hoffte und erstrebte, so war dies mehr in der außerordentlichen Lage der Dinge, als in seinem Wollen und Vermögen begründet.

Veröffentlichte Bildnisse des Grafen, der selbst ein lebhaftes Interesse an Porträts offenbarte, sind uns, von Münzen und der Darstellung auf seinem Grabdenkmal abgesehen, nicht bekannt geworden.

Eine gedruckte Gesammtbiographie fehlt noch. Mehreres dazu bietet Zeitfuchs, Stolberg. Chronik S. 59–66, über seine Reformationsbestrebungen [345] A. Nebe im Herborner Seminarprogramm von 1867, über seine litterar. Interessen meine Schrift: Die Büchersamml. Graf Ludwig’s, Werniger. 1867 u. Harzzeitschrift 6 (1873), S. 336 f., auch Jahrg. 12 (Gnadenpfennige). – K. Wibel, Stadtkirche zu Wertheim. 1888. – F. Wibel, Zur Kunstgeschichte der Grafschaft Wertheim u. a. Vorzugsweise gründet sich unsere Darstellung auf handschriftl. archivalische Quellen.