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Artikel „Flacius Illyricus, Matthias“ von Wilhelm Preger in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 7 (1878), S. 88–101, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Flacius,_Matthias&oldid=- (Version vom 23. Dezember 2024, 14:49 Uhr UTC)
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Flacius Illyricus: Matthias F., nach Luthers Tode das Haupt und der streitbare Vertreter der strengeren kirchlichen Richtung, einer der bedeutendsten Theologen der evangelischen Kirche. Er ist zwar slavischen Ursprungs, aber sein Leben gehört der deutschen Kirche an. Am 3. März 1520 zu Albona in Istrien geboren, empfing F. den ersten Unterricht von seinem Vater und dem Mailänder Ascerius; dann studirte er in Venedig die humanistischen Wissenschaften. Er gedachte ein Mönch zu werden, um dereinst als Prediger wirken zu können. Durch seinen Verwandten, den Minoritenprovinzial Baldus Lupetinus, hoffte er die Aufnahme in eines der berühmten Minoritenklöster zu Padua oder Bologna zu erlangen; die Hälfte seines Vermögens bot er dafür hin. Aber Lupetinus, ein geheimer Anhänger Luthers – er ist später um seines Glaubens willen in den Kerker geworfen und nach zwanzigjähriger Gefangenschaft im Meere ertränkt worden – rieth ihm nach Deutschland zu gehen, wo die rechte Lehre des Evangeliums durch Luther wiederum an’s Licht gebracht worden sei. Rasch entschlossen folgte F. diesem für sein Leben entscheidenden Rathe. Er wendete sich zuerst nach Basel, wo er im Hause des Philologen und Theologen Simon Grynäus, des Mitverfassers der ersten helvetischen Confession, Aufnahme und freundliche Berathung fand. Nachdem er hier ein Jahr lang vornehmlich hebräische und griechische Studien getrieben, ging er zur Fortsetzung derselben im Jahre 1540 nach Tübingen und von da mit Empfehlungen des Joachim Camerarius an Melanchthon im Jahre 1541 nach Wittenberg. Schon in Basel hatte er sich ganz den Einflüssen der reformatorischen Bewegung hingegeben und in Tübingen war er durch die Freundschaft, deren ihn der berühmte Mediciner Leonhard Fuchs würdigte, in dieser Richtung bestärkt worden; aber die Zeit des Uebergangs von dem ererbten Glauben zu der neuen evangelischen Ueberzeugung war bei ihm von erschütternden Seelenkämpfen erfüllt, unter welchen seine Gesundheit dahinschwand und er dem Tode nahe kam. Nach dreijährigem Ringen endlich gewann seine Seele in der Rechtfertigungslehre, wie sie Luther auf Grund der Schrift verkündete und dann selbst auch dem bei ihm Trost Suchenden vorhielt, den lang entbehrten Frieden wieder, und von nun an gehörte, was er an Gaben und Kräften besaß, dem Dienste der Kirche, welche jene Lehre als das Evangelium Christi auf ihre Fahne geschrieben hatte. F. trat bald zu den beiden Reformatoren in sehr nahe Beziehung. Das Verhältniß zu Melanchthon, der an ihm besonders sein Sprachentalent und sein reiches Wissen schätzte, wurde das eines Freundes; aber die mehr eklektische Theologie des großen Lehrers zog ihn weniger an als die entschiedenere Richtung Luthers, die seiner eigenen Natur entsprach. Luther hinwieder schenkte ihm großes Vertrauen und erwartete Bedeutendes von ihm. Dieser werde es sein, so soll er einst geäußert haben, auf welchen nach seinem Tode die gebeugte Hoffnung sich stützen werde. Nachdem F. 1543 Magister geworden, erhielt er 1544 die Professur der hebräischen Sprache an der Universität; im darauffolgenden Jahre trat er in die Ehe. So hatte er in Deutschland eine neue Heimath gefunden. Doch nur kurze Zeit sollte er sich des äußeren Glücks erfreuen: die schweren Heimsuchungen, welche nach Luthers Tode die deutsche Kirche trafen, erschütterten in ihren Folgen auch seine Stellung [89] in Wittenberg. Zunächst hatte die unglückliche Schlacht bei Mühlberg die Auflösung der Schule zur Folge; F. ertheilte während dieser Zeit Unterricht in Braunschweig. Als sich noch im Herbste 1547 Lehrer und Schüler wieder gesammelt hatten, wurden Alle durch die Sorge um des Kurfürsten Moritz Verhalten und um die zu erwartenden Maßnahmen des Kaisers in Aufregung gehalten. Die Unruhe wuchs, als 1548 für die Protestanten das Augsburger Interim veröffentlicht wurde, dessen Lehre und kirchliche Ordnungen die nur etwas gemilderte römische Weise an sich trugen und die evangelische Kirche um ihr eigenthümliches Leben zu bringen drohten. Unberührt von der Zeitbewegung erscheint noch des Flacius’ erste größere Schrift, die seinen Namen trägt: „De voce et re fidei“, ein Zeugniß seiner reichen Begabung für scharfsinnige Erforschung des Schriftsinnes. Das ihr vorgesetzte empfehlende Vorwort Melanchthon’s vom 1. März 1549 läßt nicht ahnen, daß um diese Zeit die Harmonie unter den Wittenberger Lehrern bereits zerrissen ist.

Moritz von Sachsen verdankte die Kurwürde, deren der unglückliche Johann Friedrich beraubt worden war, seinem Bunde mit dem Kaiser: dies machte es ihm jetzt schwer das kaiserliche Buch zurückzuweisen; durch ein abgeschwächtes, der eigenen Kirche mehr Rechnung tragendes Interim hoffte er dem Kaiser genug thun zu können und zugleich sein evangelisches Volk nicht zu sehr zu verletzen. Melanchthon und seine Collegen, eingeschüchtert von den Räthen des Kurfürsten durch die Vorstellung der Gefahr, welche eine völlige Abweisung des Kaisers bringen müsse, wurden vermocht, zur Herstellung einer solchen Lehr- und Kirchenordnung die Hand zu bieten. Mit Unwillen, aber in ihrer Schwäche immer wieder nachgebend, halfen sie das sogenannte Leipziger Interim zu Stande bringen, in welchem die zwei verschiedenen Rechtfertigungslehren durcheinander gemengt, Papst und Bischöfen die Jurisdiction wiedergegeben, die bischöfliche Firmung, die Oelung, die römischen Meßceremonien, das Frohnleichnamsfest und das Fasten als polizeiliches Gebot zugestanden waren. Dem Mißbrauch und der Deutung im römischen Sinne sollten die beigesetzten Erklärungen wehren. F. hatte bereits gegen das Augsburger Interim drei pseudonyme Schriften erscheinen lassen, auch die abweisenden Gutachten Melanchthon’s ohne Vorwissen und zum großen Mißbehagen desselben veröffentlicht; jetzt ließ er den Kampf gegen jenes fallen, als er die nähere Gefahr, welche durch das kurfürstliche Interim drohte, wahrnahm. Er bot alles auf, das Unheil abzuwenden. Er schrieb an Melanchthon; er gab Gg. Major seine Schrift „Daß man nichts verändern soll“ zu den Berathungen nach Celle mit; er machte persönlich die dringendsten Vorstellungen.

„Wie Petrus“, so schreibt er in der letzterwähnten Schrift, „allein auf Christi Wort die Seele gerichtet, aus dem Schiff in’s ungestüme Meer sprang, so hat sich Luther mit glaubensfestem Herzen und freudiger Stirne aus sicherem Schiffe in die ihn umdräuenden Gefahren gestürzt, und weil er allein auf Christi Wort geschaut, so ist er sicher über das ungestüme Meer hinweg zu Christus gelangt; jetzt aber schaut man ängstlich wie der nicht ausharrende Petrus auf Meer, Wind und Wellen und mißtrauet Christo: dafür ist man nun auch, wie er, bis an den Hals in die Wogen gesunken.“ Als das Leipziger Interim zu Stande gekommen war (Mai 1549), suchte er mit rastlosem Bemühen den Widerstand bei Geistlichen und Gemeinden wachzurufen. Er hatte seine Vorlesungen an Aurifaber übertragen und war, weil er die bevorstehenden Neuerungen nicht mit ansehen wollte, um die Osterzeit 1549 von Wittenberg, wo er sein der Entbindung nahes Weib zurückließ, weggezogen. Er suchte zuerst in Niedersachsen die Theologen für den Kampf zu gewinnen; dann ließ er sich in dem geächteten Magdeburg nieder, wo allein die Druckereien noch frei waren, und wo er Amsdorf [90] und Gallus als Bundesgenossen fand. Sein Brot erwarb er sich als Aufseher der Druckereigeschäfte. Ein öffentlicher Brief forderte Melanchthon zur Verantwortung heraus; in einer Apologie an die Wittenberger Schule rechtfertigte er sein bisheriges Verhalten. „Es ist“, so sagt er in seiner Antwort auf Melanchthon’s Erwiderung, „wie ein Schwert in meinen Gebeinen, daß ich sehen muß, wie diese Gottessache, die den Weltkreis besiegt hat, wie Jesu Christi Evangelium, das so klar und hell der in Finsterniß und Todesschatten sitzenden Welt offenbart worden ist, nun auf so schmähliche Weise von den Einen verlassen, von den Anderen verrathen, von Anderen auf andere Weise bekämpft und ausgetilgt wird.“ Die Wittenberger hatten die Dinge, zu welchen man sich im Leipziger Interim verstanden hatte, als Adiaphora oder Mitteldinge bezeichnet, die man um des Friedens willen ohne Sünde annehmen könne. In seiner bedeutenden Schrift „Von den wahren und falschen Mitteldingen“ (Dec. 1549) erörtert F. das Wesen der Mitteldinge, prüft die Zugeständnisse, welche die Wittenberger gemacht, und erweist den Satz, daß kirchliche Anordnungen aufhören Mitteldinge zu sein, wenn Aergerniß daraus folgt oder das Bekenntniß der Kirche darauf steht. In anderen Schriften ermahnt er mit ergreifender Beredtsamkeit die Gemeinden zur Standhaftigkeit. Und Flacius’ Schriften hatten einen großen Erfolg: sie riefen nicht blos andere Stimmen wach, sondern sie machten auch den Widerstand des Volkes allenthalben so entschlossen, daß Moritz es für rathsam hielt, von seinem Vorhaben abzustehen und seine Politik zu ändern. Von dem geächteten Magdeburg aus, das er im kaiserlichen Auftrag belagerte, kehrte er unerwartet seine Waffen gegen den Kaiser. Der Passauer Vertrag und der nachfolgende Religionsfriede zu Augsburg machten der Gefahr, welche der evangelischen Kirche durch die beiden Interim gedroht hatte, ein Ende. F. hat auch das Zeugniß seiner Gegner für sich, wenn er später, gegen leidenschaftliche Angriffe sich vertheidigend, das Wort sich erlaubt: Mit meinem Schreiben ist dem Interim durch Gottes Gnade gewehrt.

Melanchthon hatte schon bei Luthers Leben durch den Satz, daß gute Werke zur Seligkeit nöthig seien, und durch seine Lehre von einer Mitwirkung des freien Willens bei der Bekehrung Anstoß erregt, weil er sich hierdurch der römischen Anschauung zu sehr zu nähern schien. Den ersten dieser Sätze hatte Melanchthon wieder zurückgenommen, ihm aber dann, wie dem zweiten, in dem Leipziger Interim von neuem eine Stätte gegeben. Nun aber mußten die Zugeständnisse, welche man durch das genannte Buch dem feindlichen System unleugbar gemacht hatte, auch auf jene Sätze ein um so ungünstigeres Licht werfen. Als daher Gg. Major, öffentlich wegen seines Verhaltens bei dem Leipziger Interim sich entschuldigend, den ersteren Satz wider jedermann vertheidigen zu wollen erklärte, so erhob sich im J. 1552 ein besonderer Kampf über diese Lehre, welchen die Erinnerung an das Leipziger Interim, dann aber auch die Heftigkeit des Menius, welcher an Majors Seite trat, bitterer machten, als er sonst wohl geworden wäre. Unter den Gegnern beider Männer steht F. wieder in vorderster Reihe; er hebt insbesondere hervor, daß die Mehrdeutigkeit jenes Satzes; nothwendig Viele zu dem Mißverständnisse führen müsse, als ob gute Werke, oder, wie Menius sagte, der neue Gehorsam die Seligkeit mit verdienten – Sätze aber, welche stets eines Anhangs von Erklärungen bedürften, um nicht gefährlich zu werden, seien ebendeshalb für den Lehrgebrauch in der Kirche völlig ungeeignet. Weit aufregender und zerrüttender sollte indes der Streit über den zweiten Satz werden, welcher die Lehre von dem freien Willen betraf. Er entstand, als Pfeffinger in Leipzig die Lehre Melanchthon’s über diesen Punkt im J. 1555 von neuem vortrug, und er gewann weiter reichende Bedeutung, als der begabtere Strigel in Jena für dieselbe auf den Kampfplatz trat. Der von Strigel vertheidigten Lehre zufolge [91] besitzt der Mensch nach dem Falle noch einen Rest sittlich guter Kräfte, so daß er bei der Bekehrung mitwirken kann, während nach F., welcher als der bedeutendste Gegner Strigel gegenübertritt, der natürliche Mensch der Fähigkeit hierzu nicht nur entbehrt, sondern überhaupt der Gnade nur widerstreben kann. Im J. 1560 vertheidigten auf dem Schlosse zu Weimar vor dem Herzog Johann Friedrich dem Mittleren und einem großen Auditorium die beiden kampfgeübten Gegner in einer berühmt gewordenen Disputation ihre Sätze. Die bisher genannten Streitigkeiten würden indes doch die evangelische Kirche nicht in so hohem Grade erschüttert haben, als es geschehen ist, wenn nicht noch ein weiteres Moment, das die Beruhigung der Gemüther erschwerte, hinzugekommen wäre. F. und seine Anhänger forderten nämlich eine kirchliche Entscheidung über die streitigen Lehren und verlangten dabei eine ausdrückliche Bezeichnung und Verwerfung der gegnerischen Sätze. Das Bedürfniß einer solchen Entscheidung schien vorzuliegen. Der mit Leidenschaft geführte Kampf zerrüttete die Kirche, und der Vorwurf, daß man von der Augsburger Confession abgewichen sei, bot zugleich den Gegnern der evangelischen Kirche eine Handhabe, ihr den an die Confession geknüpften Religionsfrieden wieder zu entreißen. Freunde, welche beiden Parteien nahe standen, mahnten zum Frieden. F. säumte nicht, die Bedingungen, unter denen er dazu bereit sei, in Wittenberg kund zu geben; auch erbot er sich einer persönlichen Unterredung mit Melanchthon; aber dieser lehnte die Forderungen des F. als zu weitgehend ab. Nun veranlaßte F. vier niedersächsische Städte, ihre Theologen, unter denen Mörlin und Chemnitz waren, als Vermittler nach Wittenberg abzuordnen 1557. Er selbst kam mit seinen Magdeburger Gefährten in das nahe bei Wittenberg gelegene Coßwig. Melanchthon gestand nun zwar den Vermittlern seine Schwäche in der Zeit des Interims zu, war auch bereit, in der Sache sich übereinstimmend mit den Gegnern zu erklären, aber das Verlangen, in der gemeinsam zu unterschreibenden Erklärung das Leipziger Interim zu nennen und den Ausdruck „falsche Adiaphora“ zu gebrauchen, wies er zurück. So scheiterte der Versuch zur Einigung; die Erbitterung der Wittenberger aber war nun noch größer als vorher. Die jüngeren Freunde Melanchthon’s glaubten jetzt ihren Meister damit rächen zu sollen, daß sie eine Reihe leidenschaftlicher Angriffe gegen F. eröffneten, in welchen sie ihm die unlautersten Absichten, die schlechtesten Handlungen zumaßen. In dem von dem Wittenberger Poeten J. Major verfaßten Gedichte „Synodus avium“ kleidete sich der Haß zugleich in den bittersten Hohn.

Die Folgen des traurigen Zwiespalts traten noch im J. 1557 in Worms zu Tage, wo auf Anordnung der Stände ein Religionsgespräch mit den Katholiken gehalten werden sollte. Denn als hier Melanchthon dem Bischof Michael Helding gegenüber erklärte, daß die Protestanten in der Augsburger Confession einig seien, erhoben die Abgeordneten des Herzogs von Weimar Protest, und dies gab dann den Katholiken Anlaß, das Gespräch abzubrechen. Nachdem so der Zwiespalt unter den Evangelischen auch vor der höchsten Reichsgewalt zu Tage getreten war, schien es Beruf der evangelischen Stände zu sein, die Gefahr für den Religionsfrieden durch Herstellung der Einheit zu beseitigen. Diesen Zweck hatte es, als im J. 1558 die mächtigsten evangelischen Fürsten in dem sogen. Frankfurter Receß oder Abschied vermittelnde Sätze über die streitigen Lehren aufstellten und weitere Befehdung untersagten. Der Receß fand nicht überall günstige Aufnahme; er wurde namentlich von Johann Friedrich von Weimar bekämpft, bei welchem inzwischen F. die entscheidende Stimme in den kirchlichen Angelegenheiten erhalten hatte. F. war 1557 von Magdeburg als Professor der Theologie an die Schule zu Jena berufen und zugleich mit der Gewalt eines Obersuperintendenten für die Kirche in Thüringen betraut worden. [92] Durch ihn wurde alsbald die eben mit den Rechten einer Universität ausgestattete Schule zum Herde des strengen Lutherthums, denn F. bewirkte, daß auch Musäus, Wigand und Judex an die theologische Facultät berufen wurden. Nur Strigel, der bisherige angesehene Vertreter der Theologie an der Universität, nahm eine zuerst mehr zurückhaltende, dann feindliche Haltung gegen F. an. F. hatte den Herzog bestimmt, gleichsam als Antwort auf den Frankfurter Receß für Thüringen eine Confutationsschrift verfassen zu lassen, in welcher die Streitfragen mit bestimmter Bezeichnung der Gegenlehre in streng lutherischem Sinne entschieden wären. Als nun eine Synode zu Weimar den Entwurf dieses Buches, bei welchem Strigel betheiligt gewesen war, nach den Vorschlägen des F. umänderte und verschärfte 1558, so verweigerten Strigel und seine Freunde dem Buche die Anerkennung. Da ließ der Herzog Strigel verhaften und gab ihn erst wieder frei, als er den Unwillen wahrnahm, den sein Verfahren allenthalben erregt hatte. F. und seine Collegen hatten keinen Theil an der Gewaltthat des Herzogs gegen Strigel gehabt: ohne ihr Vorwissen war sie geschehen und mit Mißbilligung beurtheilten sie dieselbe; gleichwol stieg seit diesem Ereigniß der Haß Strigel’s und seiner Anhänger gegen die Confutationsschrift und ihre Urheber. Die Demonstrationen der Feinde des Buches steigerten hinwieder den Eifer der Freunde desselben. Der Pfarrer von Jena ging so weit, bei zwei Professoren der Rechte die Betheiligung am Sacramente von der Zustimmung zum Confutationsbuch abhängig zu machen. Darüber gerieth ganz Jena in Aufruhr. Der Herzog, welcher in der Lehre zwar zustimmte, aber seit der Disputation zu Weimar Strigel’s Auffassung in einem milderen Lichte ansah, begann jetzt mißtrauisch gegen die Theologen zu werden. Dies benützte der jüngere Brück, des Herzogs Kanzler, den Fürsten zur Einschränkung des theologischen Einflusses und der kirchlichen Gewalt, welche die Geistlichen übten, zu bestimmen. Eine Reihe kränkender Zurücksetzungen sollte den Theologen in Jena ihre Stellen verleiden; dann übertrug eine Verordnung vom J. 1561 das Wesentliche der Kirchengewalt einem neuzubildenden, vom Herzoge abhängigen Consistorium, welches fortan über die Lehre, die Ausübung des Bannes und die Veröffentlichung theologischer Schriften entscheiden sollte. Mit großem Freimuth bekämpfte F. diesen Versuch einer Ausdehnung der landesherrlichen Kirchengewalt; er machte dem Herzog gegenüber geltend, daß die Verordnung einseitig erlassen sei, daß sie die Synoden beseitige, daß sie der Kirche jede Selbständigkeit und Freiheit nehme, indem sie dem Fürsten thatsächlich die unumschränkte Gewalt über die Kirche verleihe. Dieser aber habe für sich kein Recht, kirchliche Anordnungen zu treffen, er sei nur ein Glied der Kirche, wie Andere. Die Geistlichkeit Thüringens folgte in der Mehrzahl der Ansicht des F.; die Verordnung konnte nicht durchgeführt werden; aber sie kostete F. und Wigand – Musäus und Judex hatten, der eine freiwillig, der andere gezwungen, Jena bereits verlassen – ihre Stelle. Beide hatten in einem Briefe dem Superintendenten Hügel Vorwürfe gemacht, weil er die Consistorialordnung publicirt hatte, und dieser Brief, sowie eine Klageschrift des akademischen Senats über das belästigende Verhalten der beiden Collegen gaben dem Kanzler Anlaß, sich der verhaßten Gegner zu entledigen. Am 25. Nov. 1561 wurden sie abgesetzt.

Auch im übrigen Deutschland scheiterten die Versuche des F., die Entscheidung des Lehrstreites in seinem Sinne durchzusetzen. Er hatte mit 50 Geistlichen hiefür eine Synode gefordert, welche auch von Dänemark, Schweden und Preußen zu beschicken wäre, also eine Vertretung der gesammten lutherischen Kirche. Mit dieser Forderung wollte er die Bemühungen durchkreuzen, durch welche nach des pfälzischen Kurfürsten Ottheinrich Tode Christoph von Würtemberg eine Einigung der protestantischen Stände im Sinne des Frankfurter Recesses [93] erstrebte. Aber der Fürstentag zu Naumburg, welchen Christoph zu Stande brachte, wies die von F. gemachten Vorschläge ab, und es gelang hier den unionistisch gesinnten Fürsten, die meisten Anwesenden zur Unterschrift der Augsburger Confession mit einer Vorrede zu derselben zu vermögen, in welcher man über den Lehrstreit mit dem Satze hinwegging, daß bisher keine Corruptelen unter den Ständen A. C. zugelassen worden seien, und in der man zugleich den in der Ausgabe der Confession von 1540 geänderten Artikel vom heiligen Abendmahl als die rechtmäßige Interpretation des ursprünglichen Textes bezeichnete. Man wollte durch letzteren Satz die Einheit mit dem Kurfürsten Friedrich von der Pfalz bewahren, welcher sich dem reformirten Bekenntniß vom Abendmahl zugewendet hatte. So schienen im Jahre nach Melanchthon’s Tode dessen Auffassungen bei den Ständen den Sieg gewonnen zu haben. Aber so viel hatten die bisherigen Anstrengungen des F. und seiner Partei doch bewirkt, daß Johann Friedrich der Mittlere und bald nachher ein nicht unbeträchtlicher Theil der evangelischen Stände die Unterschrift zu jener Naumburger Erklärung verweigerten, und dies führte dann unerwartet auch die unionistischen Fürsten auf andere Wege. Denn als dieselben aus dem Widerstande die Unmöglichkeit erkannten, nach der Weise des Frankfurter Recesses und der Naumburger Erklärung die Kirche zu beruhigen, erklärte sich einer nach dem andern zu schärferer Feststellung und Abgrenzung der Lehre bereit. Doch wie der Herzog von Weimar, so blieben auch sie bei der Forderung, die gegenseitige Befehdung einzustellen und sie erließen Verordnungen, welche dem Kampfe der Theologen Schranken setzen sollten.

F. hatte sich in seinen Kämpfen gegen die Wittenberger Richtung weder durch Ehrgeiz, noch durch andere unlautere Antriebe bestimmen lassen. Es war die Reinheit der evangelischen Lehre, die klare Durchführung des reformatorischen Prinzips von der Rechtfertigung, die er gesichert wissen wollte. Um künftiger Gefahren willen, äußerte er, sei es nöthig, daß die Kirche seiner Zeit ein unverdecktes Urtheil über die Streitfragen, welche sie bewegten, der Nachwelt hinterlasse. Wie ferne er war, sein öffentliches Auftreten durch den eigenen Vortheil oder das Parteiinteresse bestimmen zu lassen, das zeigt sein Verhalten in dem Streite mit Osiander, welcher um eben jene Zeit, da F. mit den Wittenbergern im heftigsten Kriege lag, Versuche machte, ihn als Streitgenossen für seine Rechtfertigungslehre zu gewinnen. Es war umsonst, daß Osiander’s mächtiger Beschützer, Albrecht von Preußen, dem in Magdeburg mit der Noth kämpfenden F. ein beträchtliches Geschenk und eine ehrenvolle Stelle anbieten ließ; dieser zögerte keinen Augenblick, seine Waffen mit denen der von Osiander leidenschaftlich angegriffenen Wittenberger zu verbinden. Nicht minder zeigt sein Auftreten gegen Amsdorf und Otto von Nordhausen, als diese sich im Majoristischen Streite zu extremen Sätzen hinreißen ließen, daß ihm die Wahrheit höher als das Parteiinteresse stehe. So werden wir also Flacius’ Kämpfe auf seine Ueberzeugung von der Nothwendigkeit derselben zurückführen dürfen; aber das wird nicht zu leugnen sein, daß es ein folgenschwerer Irrthum war, wenn er meinte, in einer Zeit, da die Wogen des Streites noch hoch gingen, das Urtheil der Kirche erzwingen und dieses dann den Gegnern aufnöthigen zu sollen. Denn es handelte sich bei diesen Streitigkeiten um Gegner, welche auf dem Grunde des kirchlichen Glaubens standen und denen die Kirche selbst Vieles und Großes zu danken hatte. Die evangelische Kirche aber fordert beides, „Strenge in der Formulirung der Lehre, aber milde evangelische Handhabung der Lehrzucht; Festhalten an den Grundsätzen, aber Nachsicht gegen Abweichungen im Einzelen“.

Mit den erwähnten Kämpfen ist indes nur ein Theil der großen Thätigkeit des Flacius während seines Aufenthaltes in Magdeburg und Jena umschrieben. [94] Wie gegen die Wittenberger, so hat er auch nach anderen Seiten hin das Schwert seines Geistes gewendet, die Grundlagen der evangelischen Lehre zu vertheidigen. Des Osiandrischen Streites ist bereits kurz gedacht worden. Von Herzog Albrecht als Professor nach Königsberg in Preußen gerufen, hatte Osiander seine ihm eigene Rechtfertigungslehre unter heftigen Angriffen auf die Lehre Luther’s erneuert und damit die größte Aufregung in jenem Lande hervorgerufen. Viele deutsche Ministerien und einzelne Theologen wurden von Albrecht aufgefordert, ihre Gutachten über Osiander’s Lehre abzugeben. F. ließ 1552 seine „Darlegung des Bekenntniß Osiandri“ erscheinen, und dieser Schrift noch eine Reihe anderer folgen, durch welche er in überaus klarer und überzeugender Weise darzuthun bemüht war, daß Christus der Menschen Heil und Friede nur werden konnte durch das, was er in seiner Erniedrigung für uns leistete, nicht durch das, was er von Ewigkeit her war; daß die Gerechtigkeit, die unsere Annahme bei Gott begründet, in der Zurechnung jener Leistung Christi und nicht, wie Osiander lehrte, in der Einwohnung der ewigen und wesentlichen Gerechtigkeit des Sohnes Gottes bestehe. Wie Osiander die lutherische Rechtfertigungslehre zwar nicht leugnete, aber doch aus ihrer centralen Stellung verdrängte, so gefährdete die Lehre des schlesischen Edelmanns Caspar v. Schwenckfeld den anderen Pfeiler evangelischen Glaubens, das Schriftwort und seine Bedeutung. Schwenckfeld hatte mit seiner Lehre von der Vergottung des Fleisches Christi schon zu Luther’s Zeit den Kampf von lutherischen, reformirten und römischen Theologen gegen sich wach gerufen; im J. 1553 griff ihn F. in seiner Schrift „Von der hl. Schrift und ihrer Wirkung“ und dann in einer Anzahl weiterer Schriften, die bis zum J. 1559 erschienen, wegen seiner Lehre vom Worte Gottes an. An die Mystik sich anschließend, legte Schwenckfeld alles Gewicht auf das innerliche, von dem mündlich verkündeten oder geschriebenen ganz unabhängige Wort, welches der Sohn Gottes selbst sei, und führte alle Gnadenerweisungen auf die unmittelbare Wirkung dieses innerlichen Wortes zurück, wogegen F. nachwies, daß der hl. Geist das menschliche Wort, so wie es von den Propheten und Aposteln verkündet wurde, zum Organ seiner Gnadenwirkungen erhoben habe.

Neben den Gegnern im Innern ist es die Feindin von außen, welche die Thätigkeit des F. in hervorragender Weise in Anspruch nimmt. Noch immer rang in manchen Gegenden Deutschlands der Protestantismus mit der alten Kirche um den Sieg oder kämpfte in anderen um den bereits erworbenen Besitz. Für diese Kämpfe Waffen zu liefern, ist F. unablässig bemüht. Er läßt neben der Schrift vornehmlich die Geschichte wider die römische Kirche zeugen. Unter seinen zahlreichen Schriften dieser Art treten zwei größere Werke, der „Catalogus testium veritatis“ und die „Magdeburger Centurien“ bedeutend hervor. Durch das letztere Werk ist F. der Vater der protestantischen Kirchengeschichte geworden. „Ich gehe“, so schreibt er im J. 1553 an seinen Freund Beyer in Frankfurt, „mit einem großen Plane um, der freilich weit über meine Kräfte reicht, der aber, wenn er ausgeführt würde, der Kirche außerordentlichen Nutzen bringen könnte. Zuerst wünschte ich einen Catalogus aller der Männer zu schreiben, welche vor Martin Luther gottseligen Angedenkens mit Wort und Schrift wider den Papst und seine Irrthümer gekämpft haben. Dann wünschte ich, daß eine Kirchengeschichte geschrieben würde, in welcher in gewisser Ordnung und nach der Zeitfolge dargelegt würde, wie die wahre Kirche und ihre Religion von der ursprünglichen Reinheit und Einfalt in der Apostelzeit allmählich auf schlimme Abwege gerieth, und dies zum Theil aus Nachlässigkeit und Unwissenheit der Lehrer, zum Theil auch durch die Bosheit der Gottlosen; sodann müßte aber auch dargelegt werden, wie die Kirche zuweilen durch einige wahrhaft [95] fromme Männer wieder hergestellt worden ist, und wie so das Licht der Wahrheit bald heller strahlte, bald unter der wachsenden Finsterniß gottlosen Wesens mehr oder weniger wieder verdunkelt wurde, bis endlich zu diesen unseren Zeiten, da die Wahrheit so völlig vernichtet schien, durch Gottes unermeßliche Wohlthat die wahre Religion in ihrer Reinheit wieder hergestellt worden ist“. Es sind gegen 400 Zeugen aus allen Jahrhunderten, welche F. in seinem „Catalogus“ wider die römische Kirche ins Feld führt; sie sollen, wie das Motto des Buches andeutet, den Beweis bringen, „daß der Herr sich allzeit seine 7000 behalten habe, welche ihre Knie nicht gebeugt haben vor dem Baal“; sie sollen aber auch darthun, daß die evangelische Lehre nicht eine neue sei, wie die Gegner ihr vorwarfen, sondern daß sie allezeit, sei es in dem einen oder in dem anderen Stücke, ihre Zeugen in den edelsten Geistern gehabt habe. Viele dieser Zeugnisse waren der Zeit vergessen und fremd; aus dem Schutt der vergangenen Jahrhunderte hat sie F. wieder ans Licht gezogen. Als dieses Werk im J. 1556 erschien, war auch der Verein für Herstellung einer Kirchengeschichte von ihm bereits gegründet. „In den ältesten Schriftdenkmalen solle den Spuren der Kirchengeschichte nachgegangen, aus der untersten Tiefe der Brunnen die wahre Geschichte ans Licht gezogen werden“, so wollte es F. Fürsten, wie Ottheinrich, oder vornehme Freunde der Wissenschaft, wie die Fugger und Nidbruck, öffneten ihre eigenen an Handschriften reichen Bibliotheken oder erschlossen die Anderer durch ihre Empfehlungen. Marcus Wagner, einer der glücklichsten unter den ausgeschickten Gehilfen, dehnte seine Forschungsreisen bis nach Schottland aus. F. selbst konnte ein reiches von ihm gesammeltes Quellenmaterial zur Verfügung stellen. Die für die Arbeit nöthigen großen Geldopfer wurden zum geringeren Theile von Fürsten und Städten, zum größeren von Privatpersonen, auch von F. selbst gebracht. An Verläumdungen fehlte es dem Unternehmen nicht. F. habe, so hieß es, Gelder unterschlagen, den Bibliotheken werthvolle Handschriften entwendet oder Stücke aus diesen herausgeschnitten. Der Culter Flacianus ist sprichwörtlich geworden. Es sind, wie ich nachgewiesen habe, Verläumdungen, welche aus den feindlichen Wittenberger Kreisen herrühren und jeder thatsächlichen Begründung entbehren. Für die Vertheilung und Bearbeitung des reichen Materials, welches in Magdeburg zusammenfloß, hatte F. einen bis ins einzelne gehenden, mit großer Umsicht entworfenen Plan aufgestellt. An der Spitze des Unternehmens steht natürlich er selbst. Mit ihm theilen und leiten vier andere, unter denen Wigand und insbesondere der dem Werke zu früh entrissene Judex hervorzuheben sind, als „Inspectoren“ die Arbeit. Sie lassen aus den von ihnen bezeichneten Schriften durch sieben Studiosi Auszüge herstellen, welche dann zwei „Architekti“ zu prüfen und zu ordnen haben. Nach gemeinsamer Berathung wird dann die Bearbeitung des Stoffes vertheilt. Von Jahrhundert zu Jahrhundert schreiten sie vor. Im J. 1557 waren die drei ersten Centurien vollendet; von 1559–74 sind bei Oporinus in Basel 13 Centurien erschienen, an deren letzter indes F., um seiner Lehre von der Erbsünde willen von Wigand wie von den meisten seiner bisherigen Freunde angefeindet, nicht mehr mitgearbeitet hat. Die Magdeburger Centurien unterscheiden sich schon durch die große Fülle des Materials und durch die Uebersichtlichkeit und Klarheit, mit der es geordnet ist, von allen früheren Werken kirchengeschichtlichen Inhalts. Nach dem Maße der Erkenntniß, welche das Reformationszeitalter gebracht hat, wird der Gang der Geschichte auf den Fortschritt oder Rückschritt hin geprüft und dabei in glücklicher Weise der Schein zerstört, welchen spätere Bemühungen über die Kirche der älteren Zeiten verbreitet hatten. Für immer bedeutend sind insbesondere die kritischen Untersuchungen, durch welche die Nichtigkeit der Beweise dargelegt wird, welche das Papstthum den älteren Zeiten zu entnehmen suchte, um [96] seine Ansprüche zu stützen. So haben die Centuriatoren die Unechtheit der sogen. isidorischen Decretalen aus den vier ersten Jahrhunderten und die Unechtheit einer Anzahl späterer mit überzeugender Klarheit nachgewiesen. Die Aufgabe der Reformationszeit gibt auch nach anderen Seiten hin dem Werke sein unterscheidendes Gepräge. Ueberall ist insbesondere der Darstellung der Lehre die größte Sorgfalt gewidmet, und auch in der Wahl und Behandlung des übrigen Stoffes tritt das Bestreben hervor, der Zeit Waffen für ihre Kämpfe, Material für den Aufbau des kirchlichen Lebens zu liefern. Die Zeit des Kampfes und Aufbaues, unter der das Werk entstanden, sowie der Umstand, daß es die Arbeit Mehrerer ist, erklären und entschuldigen zugleich auch seine Mängel. Manches an sich bedeutende bleibt unbeachtet, das Urtheil über hervorragende Vertreter des Papstthums, in welchem die Verfasser den Antichrist wirksam sehen, ist oft ungerecht, indem den Einzelnen als persönliche Schuld zugemessen wird, was auf Rechnung des Einflusses der Zeit zu setzen ist. Auch ist die Eintheilung des Werkes in Centurien eine zu äußerliche und diese, in 16 Rubriken zertheilt, tragen an sich selbst wieder zu sehr den Charakter äußerlicher, stückartiger Zusammensetzung. Nichts desto weniger sind die Centurien ein bewundernswerthes Denkmal des erwachten geschichtlichen Sinnes, ein Werk, in welchem Urtheilskraft, Scharfsinn und Fleiß Großes geleistet haben, um der Zeit das Bild vergangener Jahrhunderte im Zusammenhang und der Hauptsache nach in wahrer Gestalt vor Augen zu führen. Auf römischer Seite wurde denn auch bald empfunden, welcher Dienst der Kirche der Reformation mit diesem Werke geleistet worden sei. „Unter allen Schriften der Häretiker“, sagt Brunus, der zuerst gegen die Centurien schrieb, „ist keine ans Licht getreten, welche an Verderblichkeit mit dieser einen Kirchengeschichte zu vergleichen wäre“.

Als F., zuletzt noch mit Verhaftung bedroht, aus Thüringen wich, hatte er sich bereits Regensburg zum Aufenthalt ersehen, wo sein Freund Gallus in hohem Ansehen stand und wo denn auch der Rath ihm und seiner zahlreichen Familie, trotz der Gegenbemühungen mächtiger Feinde, Aufnahme gewährte. Eine Zeit schwerer Noth war für ihn gekommen. In Jena stand sein Haus noch unverkauft, und das gleiche war mit seinem Antheil am Vatergut in der Heimath der Fall. Krankheiten und Tod suchten seine Familie heim; seine eigene Gesundheit war durch die Aufregungen der letzten Zeit schwer erschüttert. Im J. 1564 wurde ihm seine Frau bei der Geburt des 12. Kindes durch den Tod entrissen. Mit Gallus sich berathend, schritt er zu einer zweiten Ehe, um vor allem seinen Kindern wieder eine Mutter zu geben. Aber trotz seiner Leiden ist F. unermüdlich thätig und mit großen Plänen beschäftigt. Der Gedanke, eine Akademie in Regensburg zu gründen, hatte ihn vornehmlich diese Stadt zum Aufenthalte wählen lassen. Er wollte damit der jesuitischen Universität in Ingolstadt eine evangelische an die Seite stellen, welcher, wie er hoffte, ein weites Feld der Wirksamkeit offen stehen werde, da die Länder bis Wien und nach Italien hin der Reformation den Zugang zum Theil bereits geöffnet hatten, zum Theil ihr zu erschließen bereit waren. Die Lehrkräfte für eine solche Schule dachte er unter seinen Freunden zu gewinnen. Doch die Furcht des Rathes machte die Ausführung dieses Planes unmöglich. Mit um so größerem Eifer wendete F. sich nun der litterarischen Thätigkeit zu. Neben seinen Arbeiten für die Kirchengeschichte ist er jetzt bemüht, Gesetze für die Auslegung der hl. Schriften zusammenzustellen. Das Resultat dieser Bemühungen liegt in der „Clavis scripturae“ vor, welche im J. 1567 erschien, ein Werk, durch welches er für die Schriftauslegung eine ähnliche Bedeutung gewonnen hat, wie für die Kirchengeschichte durch seine Centurien. In den älteren Zeiten der Kirche war die grammatisch-historische Auslegung von der Willkür allegorischer [97] Deutung überwuchert und die Schrift mehr wie eine zusammenhangslose Spruchsammlung behandelt worden; in der scholastischen Zeit war man mit Begriffen, die der aristotelischen Philosophie entnommen waren, an die Auslegung gegangen; seit der Reformation hatte man mit der Erkenntniß des Unterschieds von Gesetz und Evangelium ein fruchtbares Prinzip zwar gewonnen, aber die Schrift doch vorherrschend dogmatisch ausgelegt. Jetzt stelle die Zeit, meint F., andere Forderungen: Commentare seien nöthig, welche den Schrifttext nach seinem Zusammenhang und nächstem Wortverstand erläutern; hiefür aber müsse man größeren Fleiß auf die grammatische Erklärung des Textes verwenden und vor allem die Gesetze der Natur der Schriftsprache kennen lernen. Nur so könne man den römischen Einwurf, die Schrift sei dunkel und mehr ein Zankapfel, als eine Richterin des Streites, siegreich aus dem Felde schlagen. F. bekennt, daß er niemand gehabt, der ihm bei der Untersuchung der Eigenthümlichkeiten des alt- und neutestamentlichen Sprachgebrauchs und bei der Aufstellung der Gesetze desselben ein Führer hätte sein können. Eine Reihe treffender Bemerkungen, z. B. über den Stil biblischer Schriftsteller, und manche fruchtbare Grundsätze, wie unter anderen der Satz, daß die Geschichte die Grundlage für die Lehre sei, werden aufgestellt. Wenn nun auch nicht zu leugnen ist, daß er selbst diesen Grundsätzen nicht überall die nöthige Folge gibt und daß viele seiner Regeln nur eine Anweisung sind, die Schrift auf scholastische Weise zu examiniren, so war doch mit dem Werke der Clavis ein sehr bedeutender Schritt vorwärts gethan. F. hat dann auch selbst noch begonnen, die Schrift nach den von ihm aufgestellten Gesetzen auszulegen; es ist aber nur seine Glosse zum neuen Testament erschienen; die zum alten Testamente war der Vollendung nahe, als er starb.

Neben den vorherrschend wissenschaftlichen Arbeiten setzt F. auch die polemische Thätigkeit unermüdet fort. In Thüringen hatte der Herzog Strigel zu einer Erklärung veranlaßt, welche alles, wodurch derselbe bisher Anstoß erregt hatte, zu beseitigen schien. Aber die meisten Geistlichen verlangten eine entschiednere Erklärung, wenn sie von der Bekämpfung Strigel’s abstehen sollten. Darüber verloren gegen 40 flacianisch gesinnte Geistliche ihre Stellen. Wie in Thüringen, so war in Niederdeutschland durch das Lüneburger Mandat im J. 1561 eine Vorcensur für die theologischen Schriften angeordnet und fernere gegenseitige Befehdung verboten worden. Auch dort kam es darüber zu harten Kämpfen und zur Ausweisung Widerstrebender. F. hat sich in zahlreichen Briefen und Gutachten an diesen Bewegungen betheiligt, überall Partei für die bisherigen Freunde nehmend, wenn er auch einzelne Ausschreitungen derselben nicht billigte. Mißbrauchte Freiheit, meinte er, solle man strafen, aber nicht den Mißbrauch durch die Knechtung Aller verhüten wollen. Auch in den Streit um die Abendmahlslehre, der seit 1552 von neuem entbrannt war und durch den Uebertritt Friedrichs III. von der Pfalz zum reformirten Bekenntniß weitere Nahrung erhielt, tritt F. zur Zeit seines Regensburger Aufenthaltes ein. In seinen Demonstrationen vom J. 1565, welche er dann in einer Apologie gegen Beza’s Angriffe vertheidigte, sowie in anderen Schriften zeigt er sich als einen der scharfsinnigsten und glücklichsten Vertheidiger der lutherischen Abendmahlslehre. Dazu kommt dann auch die immer wieder aufgenommene Polemik gegen die römische Kirche. Als auf dem Naumburger Fürstentage Gesandte des Kaisers und Papstes zur Beschickung des von neuem nach Trient berufenen Concils aufgefordert hatten und die Werbungen bei den verschiedenen Fürsten längere Zeit fortdauerten, erfolgte ein zugleich von 34 Geistlichen unterschriebener Protest des F. gegen die Beschickung, in welchem das Bild eines wahren Concils der Versammlung [98] zu Trient gegenüber gehalten wird. Die Uneinigkeit innerhalb der römischen Kirche geschichtlich nachzuweisen, um die Berufung der Gegner auf ihre Einheit zu entkräften, ist der Zweck einer im J. 1565 erschienenen Schrift. Im darauffolgenden Jahre überreichte er zu Augsburg dem Kaiser persönlich seine Schrift „De translatione Imperii Romani ad Germanos“, in welcher er, an die Bekämpfer des Papstthums unter Ludwig dem Baier anknüpfend, nachweist, daß die Kaiserwürde auf ganz anderem Wege, als dem päpstlicher Uebertragung an die Deutschen gekommen sei.

Flacius’ Aufenthalt in Regensburg war bisher durch das Andringen seiner Feinde ein sehr unsicherer gewesen. Der Haß des Kurfürsten August von Sachsen suchte sogar am kaiserlichen Hofe gegen ihn zu wirken. Nur mit genauer Noth war F. zu Augsburg der Verhaftung entgangen. Bald nachher erschreckten die Drohungen eines kaiserlichen Officiers, der mit seinen Leuten durch Regensburg zog, den Magistrat der Art, daß dieser ihn aufforderte, die Stadt zu räumen. „Heute hat man“, so schreibt er an Gallus, „abermals mit mir um den Abzug gehandelt. So bleibt mir am Ende nichts übrig, als dieses Leben zu verlassen, wenn auf Erden kein Raum mehr für mich sein wird“. Doch eben jetzt erhielt er von der lutherischen Gemeinde in Antwerpen die Einladung, im Verein mit einigen anderen deutschen Theologen ihre Angelegenheiten ordnen zu helfen. Die Lage dieser Gemeinde war eine sehr schwierige. Die etwa 30000 Protestanten in der Stadt waren, wie die übrige Bevölkerung, durch die Maßnahmen der Regierung in die größte Aufregung versetzt worden. Als F. im October 1566 dort eintraf, fand er viele in der Gemeinde geneigt, mit den Reformirten gemeinsam die Waffen zu ergreifen. Nicht ohne Erfolg bot er seine Kräfte auf, die Unzufriedenen dem Schriftwort gemäß zur Ruhe und zum Dulden zu vermögen. Dann verfaßte er der Gemeinde zur Regelung der Lehre eine Confession und im Verein mit den übrigen Berufenen zur Ordnung des Gottesdienstes eine Agende. Da die zunehmende Aufregung ein längeres Verweilen fruchtlos gemacht haben würde, so verließ F. nach dreimonatlichem Aufenthalte die Stadt, um in Frankfurt ein Unterkommen zu suchen, wo seine Familie des strengen Winters wegen zurückgeblieben war. Aber nur wenige Monate durfte er hier verweilen: schon im Herbste zeigte ihm der Rath an, daß er ihn nicht länger vor seinen Feinden schützen könne. Mit Mühe erwirkten ihm einflußreiche Freunde eine Zuflucht in Straßburg. „Da bin ich nun“, so schreibt er im November 1567 an Gallus, „mit meiner vom Elend verfolgten Schaar. Ob ich werde den Winter über hier zubringen dürfen, weiß Gott“. Die Arbeit der nächsten Jahre galt hier vor allem seiner Glosse zum neuen Testamente. Er vollendete sie im J. 1570 und widmete sie dem Rathe der Stadt, weil derselbe „ihm nun die dritthalb Jahre nach Christenweise so gütige Gastfreundschaft gewährt, wie er das, getrieben von Menschlichkeit und im Bewußtsein der uralten Freiheit dieser Stadt, immer gehalten, allem ungerechten Hasse der Mächtigen gegen Arme und Bedrängte zum Trotze“. Denn auch bis hieher erstreckten sich die Verfolgungen seines ungroßmüthigen Feindes, August von Sachsen. Als ein Religionsgespräch, das zwischen den Theologen des Kurfürsten und denen des Herzogs von Weimar 1568–69 zu Altenburg stattfand, von den ersteren mit bitterem Unmuthe abgebrochen war, bezeichnete ihr „Endlicher Bericht“ über dieses Gespräch F. als die Quelle aller Zerrüttung der evangelischen Kirche in Deutschland, und überall, wohin der Kurfürst diesen Bericht seiner Theologen sandte, forderte er zugleich auf, „diesem fremden unbekannten Landläufer, der nun 20 Jahre her all das unchristliche und ärgerliche Gezänke in Deutschland unter den Ständen A. C. erregt habe“, den Aufenthalt zu versagen. Um eben jene Zeit, da F. dem Rathe seine Glosse widmete, hatte August seinen Rath [99] Berlepsch auch nach Straßburg geschickt, den Rath zur Austreibung des F. zu veranlassen. F. eilte nach Basel, ein neues Asyl zu suchen; aber Augusts Haß hatte ihm hier schon vorgearbeitet; er wurde abgewiesen. Da siegte nun doch in Straßburg das Mitleid mit F. über die Furcht vor dem Kurfürsten. Man gestattete dem mit Gefangenschaft und Tod Bedrohten das fernere Verbleiben. Dafür erhob sich eben ein neuer Sturm, unter welchem seine Kräfte endlich zusammenbrechen sollten.

F. war bei der Disputation zu Weimar im J. 1560 durch die Behauptung Strigel’s, daß die Erbsünde der Natur des Menschen nur als etwas Accidentelles anhafte, und durch die bedenkliche Folgerung, welche sich aus dieser Annahme zu ergeben schien, zu dem Satze geführt worden, daß die Erbsünde die Substanz des Menschen selbst sei. Den Befürchtungen seiner Freunde gegenüber, welche in dieser Aufstellung die alte manichäische Irrlehre zu erkennen glaubten, der zu Folge das sittlich Böse eine eigene Substanzialität besitzt, war F. bemüht, die Bedeutung seines Satzes darzulegen und den Gebrauch desselben zu rechtfertigen. Er that dies namentlich in einem Tractate „De peccati originalis et veteris Adami appellationibus et essentia“, in welchem er seine Redeweise näher dahin bestimmte, daß die Erbsünde die substanzielle Form des Menschen nach deren höchster Stufe, d. i. in sittlicher Hinsicht sei. Vor dem Falle sei diese höchste substanzielle Form das gewesen, was man den sittlich guten freien Willen nenne und was in der Schrift das Bild Gottes genannt werde. Durch den Fall aber sei diese Form zerstört und das Verhältniß der Kräfte zu einander ein anderes geworden, worüber diese selbst entartet seien. Dieses so geänderte Verhältniß der Kräfte zu einander, welches der Substanz der Seele ihre jetzige Form oder Gestalt gebe, sei die Erbsünde. Musäus und Heshusius, welchen F. unter anderen diesen Tractat vor dem Drucke zusandte, zeigten sich, als F. ihnen zu Liebe einiges im Ausdruck änderte, mit seiner Erklärung zufrieden. Dennoch entbrannte der Streit, als der genannte Tractat 1567 in der Clavis erschien. Er wurde mit unglaublicher Heftigkeit geführt, wiewol für niemand, der sehen wollte, ein Zweifel sein konnte, daß Flacius’ Lehre mit dem manichäischen Irrthum nichts gemein habe, und wiewol selbst Gegner, wie Andreä, anerkannten, daß F. sachlich nichts anderes, als die lutherische Lehre vertreten wolle. Es sind nicht etwa die mangelhaften philosophischen Begriffe, mit welchen beide Theile gegen einander kämpften, und welche von Mißverständnissen zur Verwirrung und von dieser zum Ausbruch der Leidenschaften geführt hätten, sondern es sind vornehmlich die persönlichen Verhältnisse, welche die Heftigkeit dieses Streites erklären. Es wirft schon ein Licht auf diesen Kampf, wenn Mörlin, der mit einer Erklärung vor dem Ministerium in Braunschweig das Zeichen zum Angriff gab, als einen Grund, warum er sich von F. lossage, den nannte, daß F. in allen Dingen seine absonderliche theologische Ausdrucksweise haben wolle. F. überragte durch Begabung und selbständiges Denken alle seine bisherigen Parteigenossen. Die Führerschaft in den bisherigen Streitigkeiten war ihm damit von selbst zugefallen. Der Haß, den die Wittenberger und dann mächtige und einflußreiche Fürsten, wie August, auf ihn warfen, mußte sich natürlicher Weise auch auf die erstrecken, welche seiner Führung folgten. Als Flacianer, als flacianische Rotte sahen sich dieselben von ihren Feinden bezeichnet: ihre Fürsten und Obrigkeiten standen um seinetwillen auch ihnen mit Mißtrauen gegenüber. Nun hatte F. bei seiner scharfen und durchgreifenden Natur nichts, was die geistige Dictatur, welche er übte, weniger empfindlich, und den Haß und die Gefährdung, welche sie den Parteigenossen brachte, leichter erträglich hätte machen können. Es war ihnen unter diesen Umständen zu viel, daß sie nun auch noch die Verantwortlichkeit für eine Ausdrucksweise auf sich nehmen [100] sollten, die voraussichtlich von den bisherigen Gegnern als Manichäismus gebrandmarkt werden würde. Als daher F. seinen Ausdruck nicht ohne Bedingung zurücknehmen wollte, begannen sie den Kampf, den namentlich Heshusius und Wigand in empörender Weise führten. Denn sie entstellten dabei die Sätze des F. auf eine Art, daß man ihnen geradezu Mangel an Gewissenhaftigkeit vorwerfen muß. Das Vorgehen des Heshusius und Wigand führte den größeren Theil der Parteigenossen aus dem Lager des bisherigen Freundes. An vielen Orten kam es zu den ärgsten Zerrüttungen. In einzelnen Gemeinden, wie beispielsweise in der Grafschaft Mansfeld, bildeten sich Parteien der „Substantianer“ und „Accidentier“, die sich mit Leidenschaft befehdeten, und dabei, wie es ehedem in den nestorianischen und monophysitischen Streitigkeiten geschehen, wol auch die Fäuste statt der Gründe zu hilfe nahmen. J. Fr. Cölestinus, Irenäus und eine Anzahl von Predigern in der Grafschaft Mansfeld, in Thüringen, in Lindau, in Regensburg mußten, weil sie für F. Partei nahmen, von ihren Stellen weichen. Nicht wenige derselben haben in Oesterreich Anstellung gefunden, wo es an Pfarrern fehlte; aber der Unverstand, mit welchem hier ein Theil derselben den angegriffenen Meister vertheidigte, entfremdete ihnen bald die, welche ihnen Schutz und Anstellung gewährt hatten.

F., welcher wol wußte, welch’ ein Feuer Heshusius zu entzünden im Stande war, und voraussah, welchen Nachdruck der Abfall der bisherigen Freunde der Verfolgung durch seine alten Feinde geben würde, ließ es sich von Anfang an die größten Anstrengungen kosten, den Sturm zu beschwören. In zahlreichen Schriften, aus denen wir die „Demonstrationes evidentissimae doctrinae de essentia imaginis dei et diaboli“ vom J. 1570 und die „Orthodoxa confessio“ vom J. 1571 hervorheben, suchte er die ungerechten Vorwürfe seiner Gegner zu widerlegen, und insbesondere die Grundlosigkeit des Vorwurfs manichäischer Ketzerei darzuthun. Er unternahm eine Reise bis in die Nähe von Jena, um Heshusius und Wigand um eine Unterredung zu ersuchen. Mit Härte, ja mit Hohn von ihnen abgewiesen, warb er unter den zu Speier versammelten Fürsten für eine Synode in seiner Sache, und in zahlreichen Briefen ging er andere Fürsten und Städte mit der gleichen Bitte an. Aber die Feinde, statt sich zu mindern, mehrten sich. Auch die Straßburger Geistlichen verklagten ihn seiner Lehre wegen jetzt bei dem Rathe. Im Juni 1573 mußte der kränkliche Mann mit seinem Weib und acht Kindern sein Straßburger Asyl verlassen. Im Kloster zu den weißen Frauen in Frankfurt a/M., das seit der Reformation in ein Waisenhaus umgewandelt worden war, fanden die Bedrängten bei der Vorsteherin der Anstalt, Katharina v. Meerfeld, mütterlichen Schutz. Ohne Vorwissen des Raths nahm sie F. mit seiner Familie auf, und mit demselben Freimuth, welchen diese beherzte und umsichtige Frau bisher den Eingriffen des Raths in die Verwaltung der Klostereinkünfte entgegengesetzt hatte, vertheidigte sie jetzt ihre Schützlinge, als der eingeschüchterte Rath auf neue Drohungen Augusts von Sachsen hin deren sofortige Ausweisung verlangte. Ihrem entschlossenen Widerstande hatte es F. zu danken, daß ihm die Frist des Auszugs immer wieder verlängert wurde. Einmal schien es, als ob Ereignisse in den Ländern, wo seine Feinde Einfluß hatten, für ihn selbst günstigere Zeiten herbeiführen könnten. In Thüringen hatte 1573 Kurfürst August die vormundschaftliche Regierung übernommen und schon in der nächsten Zeit waren Heshusius und Wigand und über 100 Geistliche der strengeren Richtung vertrieben. Die beiden Hauptgegner des F. zogen nach dem fernen Preußen. Sodann führte das J. 1574 über die melanchthonische Schule in Kursachsen die bekannte Katastrophe herbei, durch welche die Theologen in Wittenberg und Leipzig es büßen mußten, daß sie seit Jahren den Calvinismus in Kursachsen zu pflanzen gesucht [101] und August getäuscht hatten. F. setzte in dieser Zeit seine Bemühungen um eine Synode fort. Im Frühjahr 1574 reiste er, von einem seiner Söhne begleitet, über Mansfeld nach Berlin, und fand hier bei dem Kurfürsten Johann Georg eine wohlwollende Aufnahme für seine Bitte. Von da ging er nach Schlesien zu seinem thätigen Freunde, dem Herrn v. Zedlitz, um diesen und den Markgrafen Georg Friedrich von Ansbach, welchen er in jenem Lande vermuthete, um ihre Verwendung bei dem Kaiser zu ersuchen. In einem Colloquium zu Langenau, welches Zedlitz für ihn veranstaltete, fand er Gelegenheit, unter den Geistlichen jener Gegend Vorurtheile gegen seine Lehre mit Glück zu zerstreuen. Doch mit diesen flüchtigen Lichtstrahlen war die Nacht des Unglückes nicht für ihn vertrieben. Als er nach Frankfurt zurückkam, fand er einen seiner Söhne in Wahnsinn gefallen. Ihn selbst ergriff gegen Ende des Jahres eine Krankheit, bei welcher Blutverlust und heftige Schmerzen des Unterleibs die Kräfte rasch verzehrten. Unter dem Schmerz, welchen Andreä’s Angriffe auf seine Lehre wegen des verletzenden Hohnes, von dem sie begleitet waren, ihm bereitet hatten, unter der Sorge, mit der ein neuer Befehl des Rathes, die Stadt zu verlassen, seine Seele beschwerte, doch dabei in seinem Glauben getrosten und festen Sinnes, starb er am 11. März 1575 – ein Mann von entschlossenem Muthe und unbesiegbarer Willensstärke, von reichem Wissen und seltenem Scharfsinn, von umfassendem Blick und unternehmendem Geiste. So sehr die lutherische Kirche auch durch ihn aufgeregt wurde; ihre scharf ausgeprägte Lehrgestalt hat sie vornehmlich ihm mit zu danken. Liebe zu der Kirche der Reformation, nicht Ehrgeiz, gab ihm das Schwert in die Hand oder beseelte seine reichen Kräfte zu großer fruchtbringender Arbeit auf dem Felde der Wissenschaft. Ueber seinem Grabe könnten die Worte des Psalmisten stehen: Der Eifer um Dein Haus hat mich verzehrt.

Ritter, M. Matthiae Flacii Illyrici Leben und Tod, 2. Aufl. 1725. Twesten, Matth. Fl. Ill., eine Vorlesung, 1844. Preger, Matth. Fl. Ill. und seine Zeit, 2 Bde. 1859–61.