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Artikel „Sidonius, Bischof von Merseburg“ von Paul Tschackert in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 34 (1892), S. 164–166, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Helding,_Michael&oldid=- (Version vom 21. November 2024, 22:18 Uhr UTC)
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Sidonius, katholischer Bischof von Merseburg, † 1561. S. hieß eigentlich Michael Helding und führte seinen Namen Sidonius erst, nachdem er zum Bischof von Sidon in partibus infidelium ernannt worden war. Er wurde als eines Müllers Sohn im Jahre 1506 zu Langenenslingen unweit Riedlingen in Schwaben geboren. 1525 begann er Universitätsstudien in Tübingen, wo er in der Matrikel Riedlingensis genannt ist. Nachdem er auf der heimischen Hochschule Weihnachten 1528 zum Magister promovirt war, setzte er seine Studien in Mainz fort. 1531 begegnet er uns hier bereits als Rector der Domschule, und 1533 als Domprediger; es ist wahrscheinlich, daß er ebenfalls in Mainz vorher die Priesterweihe empfangen hat. Da er sich als Kanzelredner bald auszeichnete und bei dem Mainzer Erzbischofe, dem als Gegner Luther’s bekannten Cardinal Albrecht von Brandenburg, in hohe Gunst kam, so machte ihn dieser zu seinem Weihbischofe, wobei ihm der Papst Paul III. den Titel eines Bischofs von Sidon i. p. i. verlieh. Als Pfründen erhielt er gleichzeitig in Mainz zwei Kanonikate, und im J. 1543 promovirten ihn die dortigen Theologen zum Doctor der Theologie. So lange Albrecht lebte, genoß er dessen Vertrauen, wie ihn dieser z. B. im J. 1545 als seinen Gesandten auf das Concil nach Trient schickte. Von Albrecht’s Nachfolger zurückgerufen, war er doch seit dieser seiner Mission in den Gesichtskreis des Kaisers Karl V. gerückt, welcher ihn von da an für seine eigene Kirchenpolitik zu gebrauchen suchte. Günstige Gelegenheit, sich Helding’s geistlich-politischer Virtuosität zu bedienen, bot sich dem Kaiser nach der Niederwerfung des Schmalkaldischen Bundes, als er dem Protestantismus einen von ihm selbst zurechtgemachten Staatskatholicismus aufzulegen sich anschickte. Er berief H., nachdem derselbe bereits zum kaiserlichen Rath ernannt war, auf den Reichstag nach Augsburg, ließ ihn als Reichstagsprediger gegen den Protestantismus Predigten halten und beauftragte ihn, in Gemeinschaft mit dem Bischofe Julius v. Pflug und dem brandenburgischen Hofprediger Johann Agricola eine einstweilige Kirchenordnung, das „Interim“, zu entwerfen, das am 15. Mai 1548 Gesetzeskraft erhielt. Aus der Reformationsgeschichte ist bekannt, wieviel Unheil dieses „Interim Augustanum“ über die deutschen evangelischen Prediger brachte. Denn da durch dasselbe der Protestantismus [165] in der Verfassung wiederum dem Papste und den Bischöfen unterworfen und im Dogma wie im Cultus wieder der römischen Kirche angenähert werden sollte, während man den protestantischen Predigern nur die Ehe, und den protestantischen Gemeinden nur die Feier des Abendmahls unter beiderlei Gestalt einstweilig beließ: so sahen sich Hunderte von Geistlichen, die sich nicht fügten, alsbald gezwungen, Amt und Brot aufzugeben und mit Weib und Kind in die Verbannung zu ziehen. Helding aber wurde zum Lohn für die bei Aufrichtung des Interims geleisteten Dienste vom Kaiser dem Merseburger Domcapitel unter dem 4. November 1548 als Candidat für den damals daselbst erledigten Bischofsstuhl empfohlen. Die Domherren wagten sich dem kaiserlichen Drucke nicht zu entziehen und postulirten den Vorgeschlagenen am 28. Mai 1549. Da sich indeß die päpstliche Bestätigung der Wahl einige Zeit hinzog, konnte H. erst gegen Ende des folgenden Jahres, den 2. December 1550, in sein Bisthum einziehen. Fürst Georg von Anhalt, welcher als ältestes Mitglied des Domcapitels bis dahin die Verwaltung des Bisthums geführt hatte, verpflichtete den neuen Bischof bei dieser Gelegenheit eidlich, daß er „in Religionssachen keine Veränderungen vornehmen und namentlich die verheiratheten Geistlichen in ihren Aemtern belassen sollte“. Bei dem Ueberwiegen der Evangelischen innerhalb seines Bisthums sah sich denn H. am Anfang seiner Amtsführung zu „gelindem“ Betragen genöthigt; je länger je mehr aber wandte er seinen Einfluß zur Wiederherstellung des römischen Kirchenwesens an – ein Unternehmen, welches freilich durch den Widerstand vieler evangelisch gesinnten Geistlichen und Gemeinden so erheblich gehemmt wurde, daß Helding’s ganze bischöfliche Thätigkeit keine rechten Erfolge aufzuweisen hat. Der Schwerpunkt seiner Thätigkeit scheint überhaupt nicht in Merseburg gelegen zu haben; vielmehr war er häufig mit kaiserlichen Aufträgen bei kirchlich-politischen Verhandlungen betraut und infolge davon oft von seiner bischöflichen Residenz abwesend; so begegnet er uns 1555 in Augsburg und 1556 in Regensburg auf den Reichstagen und 1557 auf dem Religionsgespräch zu Worms; einer aufrichtig friedfertigen Vermittlung hat er sich dabei allerdings nicht befleißigt. Immerhin muß er sich in diesen Verhandlungen so geschickt bewiesen haben, daß der Kaiser Ferdinand ihn 1558 zum Mitgliede des Reichskammergerichts in Speyer und 1561 zum Mitgliede und sodann zum Vorsitzenden des Reichshofrathes ernannte. Durch die mit diesen Aemtern verbundenen Obliegenheiten war H. veranlaßt, seinen Wohnsitz bald in Speyer, bald in Wien aufzuschlagen, während die Angelegenheiten des Bisthums Merseburg von einem 1558 dort eingesetzten Verwaltungsrathe geleitet wurden. Sein letztes Amt hat H. indeß nur kurze Zeit inne gehabt, denn noch in demselben Jahre, in welchem er es erhielt (1561), starb er am 30. September und wurde im St. Stephansdom zu Wien beigesetzt; das Bisthum Merseburg aber fiel durch eine „perpetuirliche Capitulation“ an das Kurfürstenthum Sachsen.

Den Lebenswandel Helding’s haben katholische Schriftsteller als sittenstreng gelobt, während sein litterarischer Gegner Flacius (bei Kawerau s. u.) nicht unterlassen hat, ihn grober fleischlicher Vergehen zu beschuldigen.

In der theologischen Litteratur verdient Helding’s Name aus zwei Gründen Beachtung. Einerseits hat er selbst praktisch-theologische Schriften verfaßt; so eine „Brevis institutio ad christianam pietatem secundum doctrinam catholicam“ Moguntiae 1549, lateinisch und deutsch, seitdem oft gedruckt, z. B. lateinisch Antw. 1554; Deutscher Katechismus (Maintz 1557), neuerdings bei Mousang, Katholische Katechismen des 16. Jahrh. (Mainz 1881), S. 365–414; sodann zahlreiche Predigten in mehreren Sammlungen, z. B. die auf dem Reichstage zu Augsburg 1548 gehaltenen „Fünfzehn Predigten, Von der heiligsten Messe“ (Ingolstadt 1548, Neudruck 1563), Predigten über den Propheten Jonas (Mainz [166] 1558), „Postille“ (Mainz 1565). Nach Kawerau’s Urtheil darf H. daraufhin unter den katholischen Predigern des sechzehnten Jahrhunderts eine hervorragende Stellung beanspruchen. Anderseits hat dieser Prediger durch seine gerade in Augsburg vor Kaiser und Reich zuversichtlich vorgetragenen und oft wiederholten Behauptungen von dem apostolischen Ursprunge der römischen Cultushandlungen, die Protestanten zu geschichtlichen Studien über die kirchliche Liturgie veranlaßt, als deren reifste Frucht die Schrift des Matthias Flacius „Missa latina quae olim ante Romanam … in usu fuerit“ im J. 1557 erschien.

Vgl. über Helding den Artikel von Haas in Wetzer’s und Welte’s Kirchen-Lexikon X, 121 f. (1853) und den von Kawerau in Herzog’s Real-Encyklopädie, 2. Aufl. XIV, 213–217 (1884), wo auch die übrige, auf H. bezügliche Litteratur verzeichnet ist.