Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Schwenkfeld, Kaspar von“ von David Erdmann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 33 (1891), S. 403–412, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Schwenkfeld,_Kaspar_von&oldid=- (Version vom 7. Dezember 2024, 05:47 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Schwendimann, Joseph
Nächster>>>
Schwenter, Daniel
Band 33 (1891), S. 403–412 (Quelle).
Kaspar Schwenckfeld bei Wikisource
Kaspar Schwenckfeld in der Wikipedia
Kaspar Schwenckfeld in Wikidata
GND-Nummer 118612190
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|33|403|412|Schwenkfeld, Kaspar von|David Erdmann|ADB:Schwenkfeld, Kaspar von}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=118612190}}    

Schwenkfeld: Kaspar v. S., geboren 1489, gehörte einer schlesischen adligen Familie an, welche auf Ossig bei Lüben im Fürstenthum Liegnitz ansässig war. Von Wissensdrang getrieben, verzichtete er auf das väterliche Gut Ossig zu Gunsten seines jüngeren Bruders Johann und besuchte mehrere Universitäten, zunächst Köln, wo er sich 2 Jahre aufhielt, um sich eine höhere wissenschaftliche Bildung zu erwerben, als sie durchschnittlich dem damaligen Adelsstande eigen war. In die schlesische Heimath zurückgekehrt, widmete er sich dem höfischen Dienst und verlebte zunächst von 1509–16 sieben Jahre an den kleinen Fürstenhöfen zu Oels und Brieg. Seit 1516 befand er sich im Dienst des Herzogs Friedrich II. von Liegnitz, der ihm großes Vertrauen schenkte und ihn zu seinem Rath ernannte, auch mit einer Liegnitzer Pfründe bedachte. S. war eine geistig tiefer angelegte, sittlich ernstere Natur als die Leute in seiner Umgebung. Als er Luther’s erste reformatorische Schriften in die Hand bekam, machten dieselben einen so tiefen Eindruck auf ihn, daß er sich alsbald dem von Wittenberg her aufgehenden neuen Licht zuwandte. Vorbereitet aber war diese Wandlung in seinem inneren Leben durch die mächtige Einwirkung, die er für dasselbe vom Lesen der Schriften Tauler’s empfangen hatte. Seine Umwandlung zu einem entschiedenen Anhänger Luther’s und seiner Lehren vollendete sich durch den gewaltigen Eindruck, welchen Luther’s Auftreten und Wahrheitszeugniß auf dem Reichstage in Worms auf ihn machte. Im Licht der ihm neu aufgegangenen [404] evangelischen Wahrheit gerieth er bei ernster Selbstprüfung „in Schrecken über den Zustand seiner Seele und begann mit Furcht und Zittern an seiner Seelen Seligkeit zu denken“. Das fortgesetzte eifrige Lesen der Schriften Luther’s, welche ihm leicht zugänglich wurden, da sie schon seit 1516 in Breslau nachgedruckt und in Schlesien weit verbreitet wurden, führte ihn tiefer in die heilige Schrift hinein, die er „Tag und Nacht“ studirte.

Infolge dieser inneren Umwandlung verließ er seine äußere Lebensstellung und trat aus dem Dienst am herzoglichen Hofe in das Privatleben zurück, blieb aber trotzdem der vertraute Rathgeber des Herzogs in kirchlichen Angelegenheiten. Mitten im Winter, im December 1521, unternahm er, von Luther’s Wort und Werk unwiderstehlich angezogen, einen Ritt nach Wittenberg, um Luther persönlich kennen zu lernen. Er machte dort auch die Bekanntschaft Karlstadt’s, dessen stürmischer Eifer und schwärmerisches Vorgehen nicht ohne Eindruck auf ihn blieb, weil in seiner Seele ein damit homogener Zug, wenn ihm auch noch nicht bewußt, vorhanden war. Als begeisterter Anhänger und Vertreter der Sache Luther’s kehrte er nach Schlesien 1522 mit dem Vorsatz zurück, sich öffentlich als einen solchen zu erklären und der reformatorischen Bewegung, so viel an ihm lag, die Wege zu bahnen. Er that dies ohne Säumen, indem er im Kreise seiner Freunde freudigen Beifall fand. Er trat für Luther’s Sache als seine eigne mit begeistertem Wort vor aller Welt ein. Er hielt öffentliche Versammlungen und Privaterbauungsstunden, in denen er mit beredten Worten die neue Lehre vortrug und ihre Uebereinstimmung mit der heiligen Schrift nachwies. In den Herzog drang er mit eifriger Zusprache ein, in seinen Landen der Reformationsbewegung freien Lauf zu lassen.

Herzog Friedrich II., der nach dem Tode seines 1521 ohne Erben verstorbenen Bruders Georg’s I. von Brieg beide piastische Fürstenthümer unter seiner Herrschaft vereinigte, hatte bis dahin zwar schon durch den persönlichen Einfluß seines Schwagers, des Markgrafen Georg von Brandenburg, eine nähere Bekanntschaft mit der neuen Lehre gewonnen, aber bisher aus politischen Rücksichten doch noch eine sehr reservirte Haltung der Reformationsbewegung gegenüber eingenommen. Aber die begeisterten Zeugnisse Schwenkfeld’s von der durch Luther ans Licht gebrachten Wahrheit, die Innigkeit und Wärme, mit welcher seine Beredsamkeit dem Herzog ins Herz drang, sowie die Lauterkeit seiner Gesinnung und die jeden Verdacht des Eigennutzes ausschließende Unabhängigkeit, in der er sich seit dem Austritt aus dem Dienst am Hofe befand, brachten es zu Wege, daß der Herzog sich gleichfalls dem neuaufgegangenen Licht entschieden zuwandte, zumal als er sah, daß in Liegnitz der Kreis der Anhänger des Wittenberger Reformators durch den Einfluß Schwenkfeld’s und seiner dem Priesterstande angehörenden Freunde in schnellem Wachsen begriffen war. Unter diesen waren die hervorragendsten Andreas Arnold, der Pfarrer von Ossig, Ambrosius Kreising, Pfarrer in Wohlau, und Valentin Krautwald, Notar der bischöflichen Kanzlei und Kanonikus in Neisse, vom Herzog Friedrich als Lector an das Johannisstift nach Liegnitz berufen, nachdem er wegen seiner Hinneigung zu Luther's Lehren sein Kanonikat in Neisse verloren hatte. S. konnte seinem Freunde Johann Heß, dem Hofprediger des Herzogs Karl von Münsterberg-Oels, des Enkels von Georg Podiebrad, den Herzog Friedrich schon 1522 als nostrum patronum evangelicae doctrinae rühmen.

Mit Schwenkfeld’s begeistertem Eifer, der nach allen Seiten hin zu rückhaltlosem Bekenntniß und energischem Vorgehen in Sachen der Reformation anfeuerte, mochten aber doch sein Herzog und manche seiner Freunde nicht gleichen Schritt halten, weil sie mit Vorsicht und Ruhe weiter zu kommen und das Ziel sicherer zu erreichen hofften. Einer der hervorragendsten unter ihnen war Johann [405] Heß, auf den er in wiederholten Briefen mit feurigen Worten eindringt, seine zurückhaltende Stellung zum Evangelium aufzugeben, und ohne Menschenfurcht als Prediger des göttlichen Wortes öffentlich hervorzutreten, freudig bereit, alles für Luther und seine Sache zu wagen. Aber der bedächtige, vorsichtige Johann Heß, der kluge und besonnene Kaufmannssohn aus Nürnberg, konnte nicht gewillt sein, dem Rath seines heißspornigen Freundes zu folgen, indem er in Oels die Wahrheit des Evangeliums, ohne Rumor zu machen, positiv ohne leidenschaftliches Gebahren verkündigte, aber es doch auch so entschieden that, daß S. und seine Freunde ihre Blicke auf ihn richteten und dem Herzog seine Berufung als Prediger nach Liegnitz empfahlen. Diesem sagte die ruhige vorsichtige Haltung des Johann Heß sehr zu. Er ließ einen Ruf an ihn ergehen, erhielt aber, wohl infolge des Einflusses seines Vetters, des Herzogs Karl, eine ablehnende Antwort. Auf Heß’s Empfehlung wurde dann 1522 Fabian Eckel, angeblich aus Schwaben gebürtig, zum Prediger an der Nieder- oder Marienkirche berufen. Mit ihm begann die öffentliche amtliche Verkündigung der reinen Lehre. Ein Jahr darauf wurde Sebastian Schubart, ein ehemaliger Mönch aus Kulmbach in Franken, an der Johannis- oder Schloßkirche angestellt. Sein Nachfolger als Hofprediger wurde ein Jahr darauf ein Lehrer an der aufblühenden Schule Trotzendorf’s in Goldberg, Johann Sigismund Werner. Neben Eckel verkündigte schon seit 1522 der Prediger Hieronymus Wittich das reine Evangelium von der rechtfertigenden Gnade Gottes. In gleichem Sinn wirkten an der Ober- oder Petri-Paul-Kirche seit 1524 der Prediger Valerius Rosenhain und am Dom vor dem Thor zu Liegnitz der schon genannte Lector Valentin Krautwald. Diese alle ließ der Herzog als Prediger der neuen Lehre gewähren; sie werden hier mit Namen aufgeführt, weil sie den engeren Kreis von reformatorisch gesinnten Männern bildeten, mit welchen S. als Führer und Treiber in engster Verbindung stand. Er übte auf sie alle einen mächtigen Einfluß aus und schlug bald Wege ein, die ihn und sie alle von Luther’s reformatorischem Wirken weit abführten und in schwärmerische Sektirerei hinein gerathen ließen.

Zunächst noch mit Luther in Uebereinstimmung, ließ er es sich angelegen sein, den Herzog Friedrich, nachdem derselbe eine Zusammenkunft mit seinem Schwager, dem Markgraf Georg von Brandenburg, auf dem Gröditzberge gehabt hatte, durch warmen lebendigen Lehrvortrag immer tiefer in die Erkenntniß der evangelischen Wahrheit einzuführen und zur Förderung der reformatorischen Bewegung anzufeuern. Gleichzeitig bot er in der Zeit von 1522–24 vermöge seiner ausgebreiteten Bekanntschaft unter dem Adel und in der Bürgerschaft der Städte des Liegnitzer Fürstenthums seinen Einfluß auf Verbreitung der reformatorischen Lehren und Anstellung von Predigern auf. Er unternahm selbst zu diesem Zweck Reisen nach verschiedenen Orten, wo es galt, dem Widerwillen, der Trägheit oder kalten Zurückhaltung mit beredtem Wort und mit gewinnender Liebenswürdigkeit, welches ihm beides in seltenem Maaße zu Gebote stand, zu Leibe zu gehen. Es erhellt das z. B. aus einem seiner zahlreichen, im Dienst der Sache Luther’s geschriebenen Briefe vom Jahre 1523, welchen er an Nonnen des Klosters zu Naumburg am Queis richtet, und in welchem er seine Freude darüber ausspricht, daß „das göttliche Wort bei ihnen auch schon angefangen sei zu predigen, ja daß das Evangelium ihnen täglich verkündigt werde, während andere Klosterjungfrauen in Schlesien des lebendigen Wortes zum großen Schaden ihrer Seelen noch entbehren müßten“. Er bezeichnet ihre „fromme christliche Priorin als eine Liebhaberin des göttlichen Worts“. Er beruft sich auf seine jüngste Anwesenheit bei ihnen, bei der er zu ihnen über dieses alles geredet habe, und darauf, daß man ihn dort aufgefordert habe, bald wieder zu kommen.

[406] Sein Missionseifer für die Reformation bestimmte ihn gleichzeitig, an den Bischof von Breslau in Sachen des Evangeliums und der Reformation der Kirche sich zu wenden und dessen Geneigtheit für dieselbe in Anspruch zu nehmen. Er that das im Anfang des Jahres 1524 in Gemeinschaft mit dem ihm gleichgesinnten schlesischen Edelmann Magnus v. Langenwalde in einem Sendschreiben: „Offene christliche Ermahnung an den Bischof von Breslau“, worin er ihn auffordert, das Wort Gottes zu fördern und es lauter, ohne allen menschlichen Zusatz predigen zu lassen, wie es einem christlichen Bischof gezieme und Paulus seinen Titus und Timotheus dazu ermahne, dessen Episteln Seine Gnaden ja täglich in Händen habe.

Auf sein Drängen wurde in Liegnitz mit Genehmigung des Herzogs die förmliche Erneuerung des Kirchenwesens damit begonnen, daß Fabian Eckel am Osterfest 1524 das Abendmahl unter beider Gestalt austheilte. Aber wie viel fehlte noch an der öffentlichen völligen Durchführung der kirchlichen Reformation in der Stadt und im Fürstenthum, nachdem die schlesischen Stände bereits im April auf dem Landtage in Grottkau sich für dieselbe erklärt hatten, und gleichzeitig Breslau durch die siegreiche Disputation, welche der zum Pfarrer von Maria Magdalene berufene Johann Heß auf Veranstaltung des Rathes vom 20–23. April gehalten hatte, die Einführung der Reformation vollendet hatte. Im Blick auf diese Vorgänge konnte S. nicht unterlassen, den Herzog öffentlich durch eine Schrift zu muthigem und entschlossenem Vorgehen zur Erneuerung des kirchlichen Lebens aus dem Quell des Evangeliums zu drängen. Er gab im Juni 1524 eine Schrift heraus unter dem Titel: „Ermahnung des Mißbrauchs etlicher fürnehmster Artikel“. Er wendet sich hier an den Herzog mit der Aufforderung, die Sache der Reformation jetzt offen vor aller Welt in die Hand zu nehmen und kräftig zu fördern, da ja mit seiner Zustimmung das Evangelium in Schlesien schon kräftig aufgegangen und nicht mehr zu dämpfen sei. Das Kreuz könne allerdings nicht ausbleiben; aber ein gut Gewissen, auf Christus und Gottes Wort allein gegründet, sei mehr denn tausend Zeug. Freilich werde man ihn verleumden, daß er bei der kirchlichen Veränderung weniger die Ehre Gottes und die Seligkeit seiner Unterthanen, als seinen eigenen Nutzen (die Kirchengüter) im Auge habe; aber er sei der festen Ueberzeugung, das göttliche Wort werde ihn dermaßen erleuchten, daß er auch die aus gutem Grunde an ihn fallenden Güter aus christlicher Liebe mehr zur Unterstützung seiner armen Unterthanen benutzen, als zu Vermehrung seiner Renten verwerthen werde. Er brauche auch keine Unruhen und stürmischen Bewegungen im Volk zu befürchten, denn das gemeine Volk werde ja nicht mit Ungestümigkeit, mit Verletzung der Schwachen, ohne Aufruhr, ganz einfältiger Weise, alles nach der Liebe, mit Gottes Wort gelehrt. Wenn alle evangelischen Prediger und Pfarrer des Landes Schlesien sich vereinigten wider die, welche nach dem Geiz trachteten, ein ärgerliches Leben führten und nicht studiren wollten, – es sei unseres Parts oder Widerparts, – so werde Jedermann alsdann erkennen, was er, der Herzog, für ein Evangelium fördere und daß nichts weiteres zu befürchten sei. Er habe dieses Schreiben an ihn richten müssen gewissenshalber, da er ja nicht unter den Letzten genannt werde, welche die lutherische Sache, – wie es Etliche nannten, es sei aber das Evangelium – förderten. Es ist diesen Einwirkungen Schwenkfeld’s zuzuschreiben, daß der Herzog 1524 ein „öffentliches Mandat“ erließ, in welchem er allen Predigern in seinen Landen gebot, fortan das Wort Gottes auf Grund der heiligen Schrift und ohne allen menschlichen Zusatz zu predigen.

Bisher hatte S. als begeisterter Anhänger Luther’s das Reformationswerk im Fürstenthum Liegnitz im Einklang mit Luther’s Vorgehen kräftig gefördert. Allmählich aber trat bei ihm eine innere Differenz mit Luther’s Lehre zu Tage, [407] die auf principiellen Gegensätzen beruhte. Zunächst bezog sich diese Differenz auf die Lehre von der Rechtfertigung, vor deren Mißverstand und Mißbrauch er in der angeführten Schrift warnte, wie er dies schon in dem Titel derselben andeutete: „Ermahnung des Mißbrauchs etlicher fürnehmster Artikel, aus welcher Unverstand der gemeine Mann in fleischliche Freiheit und Irrung geführt wird“. In ungeduldigem Eifer forderte er die sichtbare Frucht eines neuen, in Gott geheiligten Lebens, die doch erst allmählich aus dem neu in den Acker des Volkslebens gestreuten Samen des Wortes von der alleinseligmachenden Gnade Gottes in Christo erwachsen konnte. Er hatte Recht mit seinem edlen Dringen auf Erneuerung des inneren Lebens der herrschenden Zucht- und Sittenlosigkeit gegenüber im Gegensatz gegen ein bloß äußerliches Bekenntniß. Aber mit dem Mißbrauch der Rechtfertigungslehre zu Gunsten eines ungeheiligten Lebens bekämpfte er die reformatorische schriftgemäße Fassung derselben, und setzte die Rechtfertigung in einen innerlichen Heiligungsproceß der Gesinnung, der erst die Folge der Erfahrung von der rechtfertigenden Gnade sein kann. Dazu kam ein anderer Gegensatz in Bezug auf die Auffassung der Gnadenmittel in Wort und Sacrament. In der berechtigten Bekämpfung des bloß auf den Buchstaben der heiligen Schrift pochenden todten Glaubens und in der schriftgemäßen Betonung des aus dem Wort zu schöpfenden Geistes und Lebens kam er allmählich nicht bloß zu einer Geringschätzung, sondern sogar zu einer Verwerfung der in dem Wort der Schrift angegebenen Form und Norm der evangelischen Wahrheit, und setzte dem Drängen Luther’s auf das in der heiligen Schrift gegebene Wort Gottes als Ausdruck der objectiven Offenbarungswahrheit die unmittelbare Erleuchtung durch den heiligen Geist, das innere Wort, entgegen. In einseitig mystischer und subjectivistischer Richtung läßt er die objective Realität der in dem Buchstaben verfaßten und dargebotenen Schriftwahrheit in einem subjectiven Erleuchtungsvorgang aufgehen. Die objective Allgemeinheit der Offenbarungswahrheit wird in einen atomistischen Individualismus aufgelöst; die große Wahrheit von der Einheit zwischen Wort und Geist, wie sie Luther bezeugte, wird durch die Losreißung des letzteren von jener und die Entgegensetzung des Geistes gegen das Wort aufgehoben. Es folgt daraus bei S. mit Nothwendigkeit die nach seiner Meinung auch äußerlich in der Kirche zu vollziehende Unterscheidung zwischen den von dem Geist wahrhaft Erleuchteten und Heiligen und dem fleischlich gerichteten großen Haufen. Im Gegensatz gegen die Wahrheit in den Gleichnissen vom Sauerteig, vom Unkraut unter dem Weizen und den guten und faulen Fischen fordert er mit schwärmerischem Drängen die Bildung einer von der Masse der Namenchristen und allem fleischlichen Christenthum abgesonderten Gemeinde der unter unmittelbarer Erleuchtung durch den Geist von Oben stehenden wahrhaft Heiligen. Von diesem Standpunkt der inneren, nicht durch das objective Mittel des geoffenbarten Wortes vermittelten Erleuchtung mußte er auch in der Sacramentslehre die objectiven Sacramentsgaben in ihrer Verbindung mit dem sichtbaren Zeichen derselben zu Momenten subjectiver Geisteswirkung herabsetzen und die von Christo selbst eingesetzte äußere Handlung nach ihrer objectiven Bedeutung als Mittel der Spendung realer Gnadengaben geringschätzen. So ließ er sich über die Kindertaufe dahin aus, daß diese nur ein äußerlicher Gebrauch sei, insofern den Kindern doch der lebendige Glaube naturgemäß fehle.

Sein Gegensatz zu Luther kam besonders auf dem Boden der Abendmahlslehre, nachdem der Abendmahlsstreit zwischen Luther und Zwingli ausgebrochen war, 1524 zu scharfem Ausdruck. Nach dem bisher Gesagten kann es nicht befremden, wenn er es einer besondern Eingebung des Geistes, einer „Heimsuchung von Oben“ zuschrieb, daß nach seiner Auffassung die Worte Christi: „Dies ist mein Leib“ so zu verstehen seien, daß „mein Leib“ Subject und „dies“ Prädicat [408] sei. Nach dieser umgekehrten und verkehrten Fassung der Einsetzungsworte des Abendmahls, mit welcher er zwischen der lutherischen und der bloß symbolischen Deutung Zwingli’s eine Mittelstellung einnehmen will, habe Christus sagen wollen: dieses, nämlich Brod und Wein, sei sein Leib; was für den Leib Brod und Wein als Nahrungsmittel sei, das sei er mit seinem Leibe, nämlich eine für die Seele zubereitete, sie nährende Speise. Er bezog sich dabei auf die Worte Jesu Joh. 6, die vom Abendmahl gar nicht handeln. Krautwald und Eckel stimmten ihm bei. Die lutherische Deutung der Einsetzungsworte von einem realen Genuß des Leibes und Blutes Christi erklärte er für Abgötterei, indem er nur ihre bildliche Bedeutung gelten ließ.

Er glaubte trotzdem, Luther’s Zustimmung zu seiner Auffassung zu gewinnen, weil er dieselbe als eine ihm gegebene Offenbarung ansah! Er begab sich nach Wittenberg und hatte am 1. December 1525 eine Unterredung mit Luther, deren Folge trotz später wiederholter Versuche einer Ausgleichung ein völliger Bruch Luther’s mit ihm war. Luther bezeichnete ihn „neben Karlstadt und Zwingli als den dritten Kopf der verderblichen sacramentirerischen Sekte“. Er hatte ihm bei jener Unterredung gesagt, daß er sich bei solcher Gesinnung lieber vom Abendmahl fern halten solle. S. that dies wirklich nach seiner Rückkehr und sein Beispiel und Einfluß bewirkte, daß die Geistlichen in Liegnitz 1526 einen sogenannten Stillstand eintreten ließen, nämlich die einstweilige Suspension der Verwaltung des Abendmahls für die Gemeinde. Der Herzog gab seine Einwilligung in der Meinung, daß es sich hier um Austragung einer bloß wissenschaftlichen Streitfrage handele. Johann Heß hatte Luther über alle diese Vorgänge Bericht erstattet und Luther antwortet ihm am 22. April[WS 1] 1526 mit Hinweisung auf den eigentlichen Streitpunkt. Bis jetzt habe man mit eitel faulen Teufeln zu kämpfen gehabt, jetzt handele es sich nicht mehr bloß um den Kampf über das was außerhalb der Schrift liege, sondern über das, was in ihr selbst stehe. Während Luther und Bugenhagen Schwenkfeld’s und Krautwald’s Vertheidigungsschriften, die jener beider Bekämpfung der Zwingli’schen Lehre auf sich bezogen hatten, bekämpften, erfolgte (1526) auch eine abweisende Erklärung der Breslauer Theologen, Johann Heß und Ambrosius Moibanus, in der die Schwenkfeld’sche Erklärung der Einsetzungsworte und die Ausdeutung der Worte Christi Joh. 6 vom Abendmahl abgewiesen wird und es dann heißt: „Es ist besser, wir haften an den einfachen Worten Christi als an eurer Auslegung, für die wir keinen anderen Grund sehen, als den oft gerühmten Geist“.

Inzwischen hatten von Westen her die Wiedertäufer in Schlesien auf verschiedenen Wegen Eingang und einzelne Flüchtlinge dieser Secte auch im Liegnitzer Lande auf Schwenkfeld’s Rath Zuflucht gefunden. Fabian Eckel neigte sich der in Liegnitz eindringenden wiedertäuferischen Bewegung zu. S. hatte schon bei jener Unterredung mit Luther die wiedertäuferische schwärmerische Idee von der Aufrichtung einer Gemeinde der von den falschen Christen durch strenge Kirchenzucht zu unterscheidenden wahren Christen und Heiligen eifrig vertreten. Seine geringschätzigen Aeußerungen über den Werth der Kindertaufe wurden mit den wiedertäuferischen Umtrieben in Verbindung gebracht, in deren Gefolge auch in Liegnitz sich eine sectirerisch-schwärmerische Bewegung gegenüber der kirchlichen Ordnung und Sacramentsverwaltung zu erheben drohte. S., der des Herzogs Gunst und Vertrauen noch immer genoß, sodaß dieser in den Augen des Königs Ferdinand als Beschützer des Schwenkfeld’schen Anhangs galt, konnte der wiedertäuferischen Bewegung, die übrigens nach den Vorgängen in deutschen Landen als eine auch gegen die staatlichen Ordnungen feindliche angesehen wurde, nicht Halt gebieten, da er ja selbst, obwohl er mit den Wiedertäufern nicht gemeinschaftliche Sache machen wollte, mit seinen wegwerfenden Aeußerungen über die [409] Nothwendigkeit äußerer gottesdienstlicher Formen und kirchlicher Uebungen, insbesondere des Worts- und Sacramentsdienstes, ihren Ansichten und Bestrebungen Vorschub leistete, sodaß sie mit ihm gemeinschaftliche Sache zu machen suchten. Er wurde immermehr als das gefährliche Haupt der sectirerischen und wiedertäuferischen Bewegung in Liegnitz und in den Liegnitzer Landen angesehen. Es half ebensowenig den von ihm abhängigen Geistlichen etwas zu ihrer Vertheidigung gegen den Vorwurf sectirerischer Schwärmerei, daß sie sich dem König Ferdinand gegenüber in einem eignen Bekenntniß zu rechtfertigen suchten, wie ihm selbst zur Widerlegung der gegen ihn erhobenen Vorwürfe und zur Wahrung seiner Sache, daß er eine Vertheidigungsschrift verfaßte, die er 1527 an den Bischof von Breslau richtete, und in der er Luther und den Papst als die beiden Widersacher der Wahrheit gegenüberstellte mit der Aufforderung an den Bischof, „das rechte Mittel zwischen Papst und Luther herbeizuführen“. Der Riß zwischen ihm und Johann Heß wurde unheilbar, als er diesem in der Schrift de cursu verbi, einem Sendschreiben an Cordatus in Straßburg, welches er aus dem Pfarrhaus zu Wohlau vom 4. März 1527 datirte, einen förmlichen Abschied gab. Mit der ganzen lutherischen Reformation war für immer jede Verbindung und Verständigung abgeschnitten, als seine ohne seinen Willen von Zwingli herausgegebene Schrift „Anweisung über das Abendmahl“ 1528 erschien, in welcher Luther’s Auffassung heftig angegriffen wurde. Es hatte dem Herzog Friedrich nur geschadet, daß er zu vermeintlicher Widerlegung der gegen ihn wegen Beschützung der sacramentirerischen Schwärmerei Schwenkfeld’s und seiner Genossen von Ferdinand und seinen Rathgebern erhobenen Vorwürfe in Verbindung mit den Liegnitzer Geistlichen am Martinitage 1527 eine Erklärung derselben über das Abendmahl veröffentlichte, in der geradezu ihre mit der schwenkfeldischen Lehre übereinstimmende Auffassung als die allein schriftgemäße vorgetragen wurde. Völlig arglos und in gutem Glauben hatte er gemeint sich gegen die Anklage sectirerischer Schwärmerei zu verwahren. Nun wurde er von lutherischer und von katholischer Seite her gedrängt, den gefährlichen Schwärmer aus Liegnitz zu entfernen. Der König Ferdinand erließ am 1. August 1528 ein scharfes Mandat gegen die evangelischen Lehren und die von der katholischen Kirchenlehre abweichenden Gebräuche, insbesondere gegen die Irrungen wegen des Abendmahls und gegen die Wiedertäuferei, indem die ganze reformatorische Bewegung mit diesen Auswüchsen spiritualistisch-mystischer Richtung zusammengeworfen wurde. Dem Herzog Friedrich half eine Remonstration dagegen nichts. Er sah sich von strengen Maßnahmen des Königs bedroht, wenn er S. nicht entfernte. Und so verließ dieser Liegnitz und Schlesien freiwillig 1529. Er wollte dadurch einerseits dem Herzog die schmerzliche Erfahrung jener Maßnahmen ersparen, andererseits aber auch für seine Person nicht de agnita Dei veritate cedere aut tantillum abnegare. Es war die höchste Zeit, daß Herzog Friedrich nach Schwenkfeld’s Weggang gegen die in der That in kirchlicher und bürgerlicher Hinsicht immer gefährlicher um sich greifende wiedertäuferische und schwärmerische Bewegung einschritt. Fehlte es doch nicht an schlimmen sectirerischen Bestrebungen, die sogar auf Abschaffung des geistlichen Amtes gerichtet waren. Eine ziemlich starke wiedertäuferische Partei in Schlesien wandte sich 1529 an die Fürsten und Stände, um ihre Lehre zu vertheidigen. Es wurden die entschiedensten Genossen Schwenkfeld’s, Rosenhain und Eckel, ausgewiesen. In der Grafschaft Glatz verbreiteten sie dann mit andern, die ihnen als Ausgewiesene nachfolgten, die Lehren Schwenkfeld’s. Dieser begab sich zunächst nach Straßburg, wo er zuerst fünf Jahre lang in freundlichem Verkehr mit den dortigen Predigern Capito, Bucer, Zell stand. Aber als auch dort das Sectenwesen immer mehr um sich griff, trat auf Bucer’s Veranlassung 1533 eine Synode der Straßburger Geistlichen zur Berathung über [410] Maßnahmen zur Aufrechthaltung der kirchlichen Ordnung zusammen. S. erschien auch auf derselben, um für Religionsfreiheit seine Stimme zu erheben und sich und seine Lehren gegen ungerechte Angriffe zu vertheidigen. Er sah sich, als infolge der Berathungen dieser Synode strengere Maßnahmen gegen die Sectirer, besonders gegen die Wiedertäufer ergriffen wurden, dadurch veranlaßt, Straßburg zu verlassen. Nach kürzeren Aufenthalten in Augsburg, Speyer und wiederum in Straßburg hielt er sich fünf Jahre in Ulm auf, von wo er mit unverminderter Rührigkeit seinen Einfluß bis in Württemberg hinein ausübte, sodaß die Stände dort sich genöthigt sahen, beim Herzog von Württemberg darüber Klage zu führen.

Zur Ausgleichung der zwischen ihm und den oberdeutschen Theologen bestehenden Gegensätze wurde auf seine Bitte in Tübingen 1535 ein theologisches Gespräch über die Predigt des Worts und die Verwaltung der Sacramente, sowie überhaupt über die kirchliche Ordnung und Uebung gehalten. Aber die hier getroffene Vereinbarung, nach welcher er die äußere Kirche nicht anzugreifen, und sie ihn nicht als Zerstörer der Kirche anzusehen, sondern in Frieden mit ihm zu leben versprochen, hielt nicht lange vor. Die inneren Gegensätze brachen wieder hervor, als S. bei weiterer Entwicklung seiner Abendmahlslehre unter Bekämpfung der Zwingli’schen Auffassung von der Person Christi in Bezug auf das Abendmahl in einer Schrift: „Summarium etlicher Argumente, daß Christus nach der Menschheit heut keine Creatur, sondern ganz unser Gott und Herr sei“, 1539, die Behauptung aufstellte, daß die Menschheit Christi keine Creatur zu nennen sei. Gegen diese Lehre von der „Vergottung des Fleisches Christi“, wie er sie nannte, trat der Ulmer Prediger Martin Frecht öffentlich auf und bewirkte beim Rath nach einer von demselben angestellten Untersuchung seiner Lehre seine Ausweisung aus Ulm. Er schrieb gegen die von den Schweizern, namentlich Joachim Vadian in St. Gallen, ausgesprochene Verurtheilung seiner Lehre als einer eutychianischen Ketzerei 1540 unter dem Titel: „Große Confession“ eine Vertheidigungsschrift zur Begründung seiner Lehre. Aber auf Betreiben Frecht’s wurde über ihn und seine Lehre 1540 auf einem Convent der Theologen in Schmalkalden ein Verwerfungsurtheil ausgesprochen, welches zur Folge hatte, daß er, stets von Verfolgung bedroht, nirgends eine bleibende Stätte fand, während er bei seinen zahlreichen Gönnern unter dem hohen und niederen Adel abwechselnd Zuflucht fand, und sein Name als der eines gefährlichen Schwärmers durch ganz Deutschland verrufen ward und seine Schriften verboten, hie und da auch vernichtet wurden. Es war vergebens, daß er in naiver Meinung von der Möglichkeit einer Ausgleichung der Gegensätze es immer wieder versuchte, mit Luther und den ihm gleichgesinnten Theologen sich zu verständigen. So übersandte er Luther 1543 einige gegen die Schweizer geschriebene Schriften mit hinzugefügten Abschnitten aus Luther’s Schriften, in denen er seine eigenen Gedanken wiederzufinden meinte. Luther gab sie dem Boten mit einer sehr scharfen Erwiderung zurück, indem er in dieser Sendung einen Versuch, ihn zum Abfall von der Wahrheit zu verleiten, erblickte. Ebenso wurde der Versuch einer Annäherung an Brenz von diesem abgewiesen. Es konnte nicht zur Ueberbrückung der Kluft zwischen ihm und den reformatorischen Theologen dienen, daß er von äußerer kirchlicher Ordnung eigentlich nur die Einrichtung einer Kirchenzucht und die Errichtung eines Kirchenbannes als Vermittlung eines wahren Gemeinschaftslebens in der Heiligung anerkennen wollte, womit er freilich in Widerspruch mit seiner Lehre trat, daß der wahre Glaube ohne Mittel dem Menschen durch den Geist gegeben werde. Der Gegensatz zwischen ihm und dem geordneten Amt und Kirchenthum mußte immer größer werden, je mehr er mit gesteigertem Eifer fortfuhr, Schriften erbaulichen, belehrenden und polemischen Inhalts abzufassen, und diese wie seine früheren [411] Schriften von Haus zu Haus, von Person zu Person, von Ort zu Ort zu verbreiten, je offenkundiger er mit seinen Anhängern sich von den kirchlichen Ordnungen und Gottesdiensten fern hielt, und je eifriger er seine Gesinnungsgenossen in Privatversammlungen um sich schaarte, um hier im Kreise „der Stillen im Lande“ seinem und ihrem Erbauungsbedürfniß zu genügen und die Schaar seiner Gesinnungsgenossen zu vermehren. In der Zeit von 1554–1558 wurden jährlich auf den Versammlungen protestantischer Stände immer neue Maßnahmen gegen ihn und seine Anhänger ergriffen. Besonders wurde in Württemberg auf Unterdrückung der Schwenkfeld’schen Sectirer Bedacht genommen. S. brachte trotzdem in diesem Lande die letzten Jahre seines Lebens zu, indem er ein unermüdlicher Missionar und Reiseprediger für seine Sache bis an seinen Tod blieb, der am 10. December 1561 in Ulm erfolgte.

Außer den zahlreichen Anhängern in Württemberg war in seinem Heimathlande Schlesien nach den Maßnahmen, die der Herzog Friedrich infolge wiederholter strenger Mandate des Königs Ferdinand gegen sie ergriffen hatte, die Schaar derselben immer noch groß genug, um eine eigene, ein stilles zurückgezogenes Leben führende Secte zu bilden, die sich von der öffentlichen Kirchengemeinschaft durch Enthaltung vom Gebrauch der Sacramente fern hielt und deren Glieder wegen ihres ernsten christlichen Wandels allgemein geachtet wurden. Sie hatten hauptsächlich ihre Wohnsitze in den Ortschaften zwischen Spitzberg von Probsthain und dem Gröditzberge bis nach Löwenberg hin. Ein Theil derselben schloß sich im 17. Jahrhundert den Anhängern von Jakob Böhme an, mit dessen Mystik die Schwenkfeld’sche Lehre einen tiefen Verwandtschaftszug hatte. Die Aufmerksamkeit der kaiserlichen Regierung, die entsprechend den im 16. Jahrhundert gegen die Wiedertäufer und Sectirer erlassenen scharfen Mandaten die völlige Ausrottung derselben neben den gegen die Bekenner der Augustana ergriffenen gewaltsamen Maßnahmen sich zum Ziel setzte, wurde durch das Auftreten eines Predigers Daniel Schneider in Goldberg gegen die Reste der Secte infolge der von ihnen an seinen Predigten geübten Kritik auf diese Stillen im Lande gelenkt. Es wurde 1719 in Harpersdorf eine Jesuitenmissionsstation zu ihrer Bekehrung errichtet. Die Verfolgungen und Bedrückungen, die sie von den Jesuiten zu erdulden hatten, und die Anfeindungen, die sie gleichzeitig von den lutherischen Pastoren erfuhren, nöthigten einen beträchtlichen Theil zur Auswanderung nach dem benachbarten Sachsen, von wo sie aber, da sie keine Erlaubniß zur Ansiedelung empfingen, nach Holland und England zogen. Ein Theil ging über das Meer und siedelte sich in Philadelphia an. Noch ist zu erwähnen, daß diese Gemeinschaft in Schlesien außer dem Anschluß einiger Mitglieder der Secte an die Jakob Böhmische Bewegung auch dadurch mehr und mehr eine Abbröckelung erfuhr, daß die von Halle aus im 18. Jahrhundert eindringende pietistische Bewegung mit ihrem Drängen auf innerliches Herzenschristenthum eine Anzahl der Schwenkfeldianer anzog. So wurden sie denn auch von den Verfolgungen mitbetroffen, welche die kaiserliche Regierung mit Hülfe der Jesuiten gegen die pietistischgesinnten Pastoren und deren Anhänger in Scene setzte, angeblich um das lutherische Bekenntniß in seinem Rechtsbestande gegen Schwärmerei und Ketzerei zu schützen!

Unter dem preußischen Scepter hörten diese Bedrückungen auf. Friedrich II. gestattete den noch in Schlesien in der angegebenen Gegend vorhandenen Schwenkfeldianern völlige Religionsfreiheit und Aufnahme in allen preußischen Landen mit unbeschränktem Handel und Wandel, und bahnte dadurch für sie die Wege, zur geordneten Kirche sich zurückzufinden, was in der That auch allmählich geschah. Es blieben nur verschwindend kleine Reste übrig, die in einem frommen gottseligen Stillleben nach pietistischer Art ihren Wandel führten und in kleinen [412] Conventikeln nebst den von der rationalistischen Predigt unbefriedigten kirchlichen Gemeindegliedern ihre geistliche Nahrung und Erbauung fanden. Zum Zeichen ihrer Dankbarkeit gegen König Friedrich II. widmeten und übersandten die Schwenkfeldianer in Philadelphia ihm eine Denkschrift unter dem Titel: „Die wesentliche Lehre des Herrn Caspar Schwenkfeld’s und seiner Glaubensgenossen, sowohl aus der Theologie als bewährten Documenten erläutert, nebst ihrer Geschichte bis 1740, ihrem Glaubensbekenntniß und Streitigkeiten“, Leipzig. Vgl. den Anhang zu dem 23. und 36. Band der allgemeinen deutschen Bibliothek, Berlin 1780, S. 109.

Abgesehen von der edlen lautern Gesinnung und dem hohen sittlichen Ernst, mit welchem S. mit vollem Recht wie Luther der Sittenlosigkeit und dem Mißbrauch der Lehre von der Rechtfertigung und christlichen Freiheit zu fleischlicher Zügellosigkeit entgegentrat, wurden doch die objectiven Grundlagen des evangelischen Glaubens in der durch die heil. Schrift beurkundeten Offenbarungswahrheit principiell in Frage gestellt durch seinen schwärmerischen Mysticismus in der Lehre von der innerlichen Erleuchtung und Heiligung durch den Geist von oben ohne das objective Mittel des Wortes und Sacramentes. Sein individualistischer Subjectivismus in der Auffassung des persönlichen Glaubenslebens trat in Gegensatz gegen die um den festen Mittelpunkt des Wortes und Sacramentes gebildete und innerhalb bestimmter Ordnungen sich auswirkende und in Erscheinung tretende kirchliche Gemeinschaft. Sein auf die Bildung einer Gemeinde von lauter Heiligen gerichteter Purismus stand in Widerspruch mit der biblischen Lehre von der Unmöglichkeit und Unzulässigkeit solcher Scheidung in dem irdisch-zeitlichen Entwicklungsgang der Kirche. Sehr treffend bemerkt daher Dr. Grünhagen, Geschichte Schlesiens, II, S. 49: Der Historiker mag zugeben, daß gar Manches in Schwenkfeld’s Lehren sehr wohl anmuthen konnte, und wird doch daran festhalten, daß für eine Zeit, wo eine neue Welt von Ideen gährend nach Gestaltung rang, und wo so viel darauf ankam, mächtigen Gegnern in geschlossener Phalanx und unter einem Banner geeinigt entgegenzutreten, Geister wie S., welcher vor allem wider „die Seelentyrannei ebensowohl im Papstthum wie im Lutherthum und im Zwinglithum, eiferte und die volle christliche Freiheit „nicht des Fleisches, sondern des Geistes und Gewissens“ in Anspruch nahm, mit den Consequenzen solcher Lehre leicht zersetzend und auflösend wirken konnte“.

Quellen u. Litteratur: Die Schriften Schwenkfeld’s in vier Folianten, erster Theil 1564, „die christlichen orthodoxischen Bücher“ enthaltend. Die drei folgenden Theile unter dem Namen: „Epistolar“ enthalten „Missions- oder Sendbriefe“, 1. die erbaulichen Schriften, 2. die Schriften gegen die Päpstischen und 3. die gegen die Lutherischen. – Eine große Zahl von ungedruckten Schwenkfeld’schen Briefen liegen auf der Wolfenbütteler Bibliothek. – Salig, Historie der Augsb. Confession III, 950 ff. – Arnold, Kirchen- und Ketzergeschichte I, 489 ff. – Thebesius, Liegnitzer Jahrbücher. Jauer 1733.– Wachler, Leben und Wirken Caspar Schwenkfeld’s während seines Aufenthalts in Schlesien 1490–1528. (Ein Beitrag zur schles. Kirchengeschichte in Streits schles. Provinzialblättern, fortgesetzt von Sohr, Jahrg. 1833, I, S. 119 ff.) – Hahn, Schwenkfeld’s sententia de Christi persona et opere, 1847. – Erbkam, Gesch. der prot. Secten, 1848. – Baur, theol. Jahrbb. 1848. S. 502. – Schneider, über den geschichtl. Verlauf der Reformation in Liegnitz und ihr späterer Kampf gegen die Jesuitenmission in Harpersdorf. Programm der königl. Realschule in Berlin 1860, 62. – Kadelbach, Gesch. Schwenkfeld’s und der Schwenkfeldianer, 1861. – Dr. Hampe, Biographie Schwenkfeld’s, Programm des Gymnasiums in Jauer 1882.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Apeil