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Artikel „Trotzendorf“ von Ferdinand Meister in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 38 (1894), S. 661–667, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Trotzendorf&oldid=- (Version vom 3. Dezember 2024, 14:48 Uhr UTC)
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Trotzendorf, eigentlich Valentin Friedland, berühmter Schulmann des 16. Jahrhunderts, ist geboren in Troitschendorf bei Görlitz am 14. Februar 1490. Aufgewachsen in einfachen ländlichen Verhältnissen, begleitete er öfters seinen Vater nach Görlitz in das Kloster der Franziskaner, welche an dem wißbegierigen Knaben ihre Freude hatten und die Eltern bewogen, ihn der dortigen Klosterschule, dem sogenannten Studium, zu übergeben 1506. Nachdem er daselbst nothdürftig lesen und schreiben gelernt hatte, nahm ihn der Vater, welcher ihn in der Wirthschaft nicht gern entbehren mochte, wieder zurück. Die Mutter, welche sehnlichst wünschte, daß er ein Geistlicher oder Mönch würde, sorgte dafür, daß er von dem Pastor und Küster des Ortes im Lesen und Schreiben weiter unterrichtet wurde – die Tinte bereitete er sich aus Kienruß, statt auf Papier schrieb er auf Birkenrinde – und setzte es durch, daß er in einem Alter von 18 Jahren in die Stadt zurückkehrte. Er besuchte nun die lateinische Stadtschule in Görlitz und machte gute Fortschritte. Im Jahre 1509 starb seine Mutter an der Pest, ihre Mahnung „ja bei der Schule zu bleiben“ hat der wackere Sohn treulich erfüllt; als vier Jahre später auch der Vater starb, lag ihm der Gedanke, in die alten Verhältnisse zurückzukehren, fern, er ordnete seine Erbschaftsangelegenheiten und begab sich 1514 nach Leipzig, um an der dortigen Universität seine Studien fortzusetzen. Großen Einfluß übten auf ihn zwei Männer, welche 1515 an die Universität berufen wurden, unter deren Leitung er, der bisher kaum mehr als das barbarische Mönchslatein kennen gelernt hatte, anfing die besten Schriftsteller zu lesen und nachzuahmen. Der eine war der zweiundzwanzigjährige Petrus Mosellanus (Peter Schade aus Pruttig an der Mosel), bei ihm hörte er u. a. Cicero de oratore und lernte ganze Abschnitte daraus auswendig. Der andere war Riccardus Crocus (Kroke) aus England, ein Schüler des Hieronymus Aleander aus Paris. Dieser, durch umfassende Kenntniß des Griechischen ausgezeichnet, Verfasser eines vielgebrauchten griechischen Elementarbuchs (Tabulae Graecas literas compendio discere cupientibus sane quam utiles Leipzig 1516) lehrte griechische Grammatik und Plutarch und verstand es in hohem Grade seine Zuhörer für den neuen Lehrgegenstand zu begeistern.

Schon im September 1515 erwarb sich Friedland die Würde eines Baccalaureus und wurde 1516 als Lehrer des Griechischen an dieselbe Schule berufen, welcher er kurz vorher als Schüler angehört hatte: mit den Lehrern liest er Cicero’s Pflichtenlehre und Plutarch’s Schriftchen über die Kindererziehung. An dieser Anstalt wirkte er 1516–1518: zum ehrenden Andenken wurde 1590 sein Bildniß mit entsprechender Widmung und der Inschrift Ne ventura tui post viveret immemor aetas Discipuli memores haec posuere tibi von dem damaligen Rector Laurentius Ludovicus in der Peterskirche aufgehängt. Das muthvolle Auftreten Luther’s veranlaßte ihn seine Lehrthätigkeit in Görlitz aufzugeben und zu seiner weiteren theologischen Ausbildung die Universität Wittenberg zu beziehen, wo er als Valentinus Trossendorff in das Album eingetragen wurde: fortan behielt er diesen Namen bei. Unter Luther’s und Melanchthon’s Leitung widmete er sich der Theologie, unter mannichfachen Entbehrungen lernte er bei Matthäus Hadrian, einem gebornen Spanier, hebräisch: auch gehörte er zu den Studenten, welche Luther zur Disputation mit Karlstadt im Juni 1519 nach Leipzig begleiteten. Sein Vorbild und Ideal war Melanchthon: seine Lehre prägte er sich wörtlich ein und hielt an ihr auch in denjenigen Punkten fest, welche derselbe später aufgegeben hatte. Seinen Lebensunterhalt verdiente er sich durch Privatunterricht, besonders im Lateinischen, wozu sich reichliche Gelegenheit darbot.

Im Jahre 1523 folgte er einer Aufforderung seines jüngeren Studienfreundes [662] Georg Helmrich, welchen Herzog Friedrich II. in Liegnitz zum Rector der Schule zu Goldberg in Schlesien ernannt hatte, gemeinsam mit ihm diese Schule zu übernehmen und wurde bald darauf, als jener das Amt aufgab, sein Nachfolger, ohne, da es an Schülern fehlte, eine seinen Wünschen und Erwartungen entsprechende Thätigkeit zu entfalten. Es wurde ihm jedoch durch den Rath von Breslau die Auszeichnung zu Theil, der öffentlichen Disputation des an die Magdalenenkirche berufenen Johannes Heß als Sachverständiger für das Hebräische im April 1524 beizuwohnen. Nicht lange darauf finden wir ihn unter den Lehrern der Akademie in Liegnitz, welche der Herzog vornehmlich zur Bekämpfung der Schwenkfeld’schen Irrlehren, freilich mit unzulänglichen Mitteln, ins Leben gerufen hatte. Als dieselbe nach kurzem Bestehen wieder eingegangen war, kehrte T. mit den letzten sechs Studenten in seine zweite Heimath, nach Wittenberg, zurück. Wieder verlebte er hier in seiner früheren Thätigkeit zwei Jahre; es war das die Zeit, in welcher die Augsburgische Confession von Melanchthon abgefaßt wurde, da erhielt er zum zweiten Male von seinem Freunde Helmrich, welcher Bürgermeister in Goldberg geworden war, die dringende Aufforderung die Leitung der dortigen Schule zu übernehmen: in richtiger Selbsterkenntniß und vorurtheilsfreier Würdigung seiner Lage gab er dem Wunsche des Freundes nach und kehrte nach dem stillen, von dem Geräusch der Welt wenig berührten Städtchen an der Katzbach zurück. Er stand im 41. Lebensjahre, geistig und körperlich gesund, einfach und anspruchslos, in sich fertig und abgeschlossen, hält er zähe, man könnte sagen starr an dem, was er für zweckmäßig erkannt hat, fest. Sehr ehrenvoll lautete Melanchthon’s Urtheil über ihn, welches Neander in dem griechischen Gedichte (de miseria, dignitate et gloria paedagogorum in seinem Opus aureum 1, 489 ohne Melanchthon’s Namen zu nennen, aufbewahrt hat, er sei zur Leitung einer Schule geboren, wie der ältere Scipio Africanus zum Feldherrn. Bisher hatte es ihm an Gelegenheit gefehlt, sein Talent in größerem Maßstabe zu zeigen, jetzt hatte er einen fruchtbaren Boden gefunden, auf dem er nicht nur sein Lehrgeschick, sondern auch sein bewundernswürdiges Organisationstalent entfalten konnte. Er führt nicht neue Wege, er erschließt nicht neue Bahnen, sondern bewegt sich innerhalb derselben Grenzen wie seine Zeitgenossen: seine Aufgabe fand er darin, die Schüler zu guten Bürgern des Staates, zu treuen Bürgern des Reiches Gottes zu erziehen: ihr widmete er seine ganze Kraft, in ihr fand er die vollste Befriedigung. Seine Thätigkeit fand zunächst in der Stadt und Umgegend, allmählich in immer weiteren Kreisen, Anerkennung. In kurzem mehrte sich die Arbeit, die fast auf ihm allein lastete, in ungeahnter Weise und als er 1535 nach Nürnberg an die Stelle des Joachim Camerarius, mit dem er zusammen in Wittenberg studirt hatte, berufen wurde, kostete es ihm große Ueberwindung die ehrenvolle Berufung abzulehnen und den Goldbergern große Mühe, ihn zu halten: nicht anders stand es bald darauf, als der Rath von Görlitz sich wiederholt bemühte, ihn für die dortige evangelische Schule zu gewinnen. Erst 1538 trat für ihn eine Erleichterung insofern ein, als ihm mehrere Gehilfen beigegeben wurden, deren Zahl sich allmählich vermehrte. Im Jahre 1540 überließ ihm der Herzog das Franziskanerkloster, ein weitläufiges Gebäude mit großen Sälen und Kreuzgängen, zu dem auch große Gärten gehörten: wiewohl diese Räume, da sie lange nicht benutzt waren, sich zum Theil in unwohnlichem Zustande befanden, so blieb doch unter dem Drange der Umstände nichts weiter übrig, als sich mit ihnen, so gut es eben gehen wollte, zu behelfen: verwöhnt und anspruchsvoll war man ja ohnehin nicht. Dort fand die Schule und ein großer Theil der Pensionäre Unterkommen, andere wohnten in der Stadt bei den Bürgern. Es ist schwer zu sagen, wie viel Schüler zu [663] gleicher Zeit dagewesen sind, schwerlich werden wir irren, wenn wir ihre Zahl auf einige hundert veranschlagen: vgl. H. Oesterley, Denkwürdigkeiten von Hans von Schweinichen Breslau 1878, 22. Nicht allein aus Schlesien, sondern auch aus Oesterreich, Mähren, Steiermark, Krain, aus Ungarn und Polen kamen sie, um auf der berühmten Schule einige Jahre zu studiren. So verschieden die Lebensverhältnisse derselben waren, so stellte doch Trotzendorf an Alle im allgemeinen dieselben Anforderungen, bei der Aufnahme verpflichtete er sie zu unweigerlichem Gehorsam gegen alle Lehrer der Anstalt, zu Fleiß, Frömmigkeit, Verträglichkeit und sittlichem Lebenswandel und bedrohte jede Uebertretung der Schul- und Hausordnung mit strenger Strafe, auch körperlicher Züchtigung, unter Umständen mit Verweisung. Seine im Jahre 1546 verfaßte, 1563 veröffentlichte Schulordnung enthält eine reiche Fülle vortrefflicher, aus der Praxis hervorgegangener, Winke und Mahnungen an die Schüler. Die Schule bereitet ihre Zöglinge zur Universität vor und befähigt sie vorzugsweise zum Studium der Theologie, aber auch zu dem der Medicin, Philosophie und Jurisprudenz: dieses Ziel suchte T. auf dem damals üblichen Wege zu erreichen: das Lateinische bildete die Grundlage und den Mittelpunkt des Unterrichts, möglichste Fertigkeit im mündlichen und schriftlichen Gebrauch wurde angestrebt: darum war es den Schülern verboten unter einander deutsch zu reden. Ein Auszug aus der lateinischen Grammatik Melanchthon’s, die wichtigsten Regeln in knappster Form, und durch passende Beispiele erläutert, lag dem Unterricht zu Grunde und wurde von Trotzendorf den Schülern stückweise dictirt. Erst nach seinem Tode 1566 wurde dieses „Compendium grammaticae latinae de praeceptis Philippi Melanchthonis excerptum in usum scholae Goldbergensis“ von den Collegen der Goldberger Schule gedruckt, und auch an anderen Schulen eingeführt. Gelesen wurden mit Vorliebe diejenigen Schriftsteller, von denen man sich die größte Förderung im lateinischen Ausdruck versprach, nämlich Plautus und Terenz, ferner Cicero’s Briefe und seine Pflichtenlehre, von den Dichtern Ovid und Virgil, die in jeder Woche zu liefernden schriftlichen Uebungen bestanden zum großen Theil im Uebersetzen (auch aus dem Lateinischen ins Griechische), der Stoff zu freien Ausarbeitungen wurde allen Unterrichtsgegenständen entnommen und gab den Schülern Gelegenheit ihren Fleiß und ihre Fortschritte zu zeigen: sie dienten ähnlich wie heut zu Tage der deutsche Aufsatz zur Beurtheilung des Schülers. Auch metrische Uebungen fanden regelmäßig in jeder Woche statt.

Im Griechischen stellte T. sehr viel geringere Ansprüche als im Lateinischen: bei dem Mangel an brauchbaren Hilfsmitteln machte das Erlernen dieser Sprache den Schülern noch größere Schwierigkeiten: gelesen wurden in den oberen Classen die Briefe des Paulus und Reden des Isokrates, nach andern auch Lykurg und Euripides, T. selbst las für sich in späteren Lebensjahren gern Plutarch’s Lebensbeschreibungen.

Außerdem wurden die Grundlagen der Philosophie, Dialektik und Rhetorik, sowie Astronomie, Rechnen und Musik getrieben, eine Zeit lang auch die Institutionen in den Bereich des Unterrichts gezogen: der wichtigste Unterrichtsgegenstand war die Religion, auf ihn legte T. den größten Werth. In der Unterstufe wurde Luther’s Katechismus gelernt, in den oberen Classen trat hierzu eine Unterweisung in der Kirchenlehre und den Hauptartikeln, die sogenannte Katechesis (welche darin bestand, daß der Lehrer Frage und Antwort gab und so lange wiederholte, bis es sicheres Eigenthum des Schülers geworden war). Die frei vorgetragene Unterweisung nahm mit der Zeit, da T. kein Wort änderte, eine feste Gestalt an, die nachgeschriebenen Hefte vererbten sich und wurden nach seinem Tode von dankbaren Schülern herausgegeben. [664] So erschienen sie unter dem Titel „Methodi doctrinae catecheticae, scholae Goldbergensi propositae a Valentino Trocedorfio“ wenige Jahre nach seinem Tode, von M. Laurentius Ludovicus in Görlitz und „Catechesis scholae Goldbergensis, scripta a Valentino Trocedorfio, cum praefatione Philip. Melanth.“ Vitebergae 1558 von Matthias Volland. Während die erste Schrift, kürzer, dürftiger, für die mittleren Classen bestimmt, werthvolle Beiträge für die Lebensgeschichte Trotzendorf’s enthält, eröffnet uns die zweite reich mit Bildern ausgestattet einen Einblick in die umfassende Gelehrsamkeit desselben, wie wir ihn sonst nirgend gewinnen.

Auch eine Sammlung von Schulgebeten des frommen Mannes ist unter dem Titel „Precationes reverendi viri Valentioni Trocedorfii, recitatae in schola Goldbergensi, anno proximo ante mortem ex eius ore exceptae et editae opera Laurentii Ludovici Leobergensis“ Wittenberg 1564 erschienen. Auf die Abfassung dieser Gebete, welche in den oberen Classen gehalten worden sind und sich durch Einfachheit auszeichnen, verwandte T. großen Fleiß, sie sind, als sie gedruckt worden waren, auch in weitere Kreise gedrungen und in wiederholten Auflagen erschienen.

Bei der Erklärung der Perikopen am Sonnabend, zur Vorbereitung für den öffentlichen Gottesdienst, nahm T. Gelegenheit den betreffenden Bibelspruch genau zu erklären und dem Gedächtniß der Schüler einzuprägen, so daß er infolge häufiger Wiederholung bleibendes Eigenthum derselben wurde. Dieses Spruchbuch „Rosarium scholae Trocedorfii, contextum ex rosis decerptis ex Paradiso Domini“ ist 1564 zum ersten Male von M. Laurentius Ludovicus herausgegeben.

T. brachte es dahin, daß sechs Classen eingerichtet und ebensoviele Lehrer angestellt wurden, welche auskömmlich gestellt waren und längere Zeit an der Anstalt wirkten: mehrere sind auch in weiteren Kreisen bekannt geworden. Indessen würden wir dem Manne schweres Unrecht thun, wenn wir ihn nur nach seiner Thätigkeit als Leiter der Goldberger Schule und als den ersten und bedeutendsten Lehrer an derselben beurtheilen wollten, ja wir würden kaum verstehen, wie er einen so bedeutenden Ruf erlangen konnte, daß es als ein ganz besonderer Vorzug galt, sein Schüler gewesen zu sein, daß man, unbekümmert um Chronologie, sogar Wallenstein zu seinem Schüler gemacht hat. Der Schwerpunkt seiner Thätigkeit liegt nicht allein in der Schule, sondern in der außerordentlich geschickten Einrichtung und Leitung seiner Erziehungsanstalt, welche mit der Schule so innig verwachsen war, daß das eine von dem andern nicht getrennt werden kann. Es fehlt uns jegliche Nachricht darüber, wie dieselbe begründet worden ist, mit welchen Mitteln sie ins Leben gerufen, wie sie allmählich erweitert und vergrößert worden, wer die wirthschaftliche Leitung unter sich gehabt hat, nur vermuthen können wir, daß T. die Oberaufsicht über die ganze Anstalt gehabt, das ganze Risiko und die ganze Verantwortung allein getragen hat: eine Vermuthung, welche durch einige wenige Nachrichten unterstützt wird. Es gehörte eine ungewöhnliche Begabung dazu, die richtigen Mittel und Wege einzuschlagen, um die angemeldeten Alumnen in der Anstalt passend unterzubringen, für ihre leibliche Verpflegung, namentlich auch in Krankheitsfällen, zu sorgen, die Correspondenz mit den Eltern zu führen u. a. T. hatte vor seiner Berufung nach Goldberg, soviel wir wissen, keinerlei Erfahrungen in solchen Dingen gemacht, er hatte überhaupt dem praktischen Leben fern gestanden: wie schwer mußte es für ihn sein, sich in dasselbe hinein zu finden! Erleichtert wurde die Schwierigkeit einigermaßen dadurch, daß die Anstalt nach und nach sich vergrößerte und zugleich mit dem Leiter emporwuchs. Aber immerhin waren die Anforderungen, welche naturgemäß an den Rector gestellt wurden, die denkbar [665] größten. T. war nicht verheirathet, die Sorge um eine Familie nahm ihn nicht in Anspruch. Geselligen Verkehr dürfte er wohl sehr wenig gepflegt haben: fünf Stunden Schlaf genügten ihm, seine ganze Zeit konnte er dem Amte widmen und hat sie ihm so gewidmet, daß er vollständig in demselben aufging. Es fiel ihm also in erster Reihe die Beaufsichtigung der Schüler außerhalb der Schulzeit zu, er ging mit ihnen regelmäßig spazieren und nahm an ihren harmlosen Spielen Theil; er sorgte für eine geregelte Hausordnung und ertheilte denjenigen, welche die Anstalt in der freien Zeit verlassen wollten, die Erlaubniß dazu. Bei der Durchführung der Hausordnung bediente er sich der Mitwirkung älterer Schüler und benutzte wahrscheinlich die Erfahrungen, welche andere geschlossene Anstalten in dieser Beziehung gemacht hatten. So groß sein persönlicher Einfluß war und so erfolgreich er dem Uebermuth und dem Leichtsinn der Jugend vorbeugte, so konnte er doch Ausschreitungen jeder Art nicht verhüten, um so weniger, als viele seiner Schüler, aus vornehmen Familien stammend, an Wohlleben und Ueppigkeit gewöhnt waren und die Mittel besaßen, sich manchen ihnen versagten Genuß zu verschaffen. Ebenso wenig stand es in seiner Macht zu verhindern, daß unter den Zöglingen ernstlichere Reibungen stattfanden und wiewohl er seinen obersten Grundsatz „Liebet Wahrheit und Frieden“ oft nachdrücklich wiederholte, so wurde doch dieser Frieden gar manchmal gestört und es bedurfte großer Klugheit, um Zucht und Ordnung aufrecht zu erhalten und nicht gleich zu dem äußersten Mittel, der Verweisung, schreiten zu müssen. Zu diesem Zwecke hatte T., ob nach einem fremden Vorbild, ist unbekannt, ein Schulgericht eingesetzt, in welchem der eines Vergehens gegen die Schulgesetze Angeklagte nach achttägiger Vorbereitung sich vor dem aus Schülern gebildeten Gerichtshofe zu verantworten hatte: zeigte er Reue und hielt er eine fleißig vorbereitete lateinische Rede, so durfte er auf eine milde Beurtheilung seiner Richter und auf Freisprechung rechnen, war dies aber nicht der Fall, so sprachen die Richter unnachsichtig ihr Schuldig aus und T., als dictator perpetuus verhängte die verdiente Strafe über ihn. Diese Einrichtung hatte insofern ihr Gutes, als die Mitschüler, welche in den meisten Fällen ein ganz richtiges Urtheil haben, durch ihre Abstimmung einen großen Theil der Verantwortlichkeit für eine verhängte Strafe übernahmen und der unter Umständen begreifliche Haß der Verurtheilten sich nicht gegen den Rector kehrte.

Eine andere Einrichtung, ein öffentlicher Actus, war dazu angethan, das Streben nach dem, was gut und edel ist, unter den Schülern wach zu erhalten: T. ordnete nämlich an, daß Schüler Mitschülern feierlichst in lateinischer Sprache Lobreden hielten, Panegyren nach dem Muster der griechischen Festspiele: ein Ehrenkranz belohnte denjenigen, welcher seine Aufgabe gut gelöst hatte.

Der Ruf seiner Gelehrsamkeit und Tüchtigkeit drang immer weiter und verschaffte ihm häufig Gelegenheit tüchtigen Schülern zu einem Schul- oder Kirchenamt zu verhelfen.

Durch rastlose Thätigkeit und Umsicht war es ihm gelungen, das Alumnat immer mehr zu vergrößern und sich dabei auch ein ganz anständiges Vermögen zu erwerben: es scheint aber, daß er allmählich die Zügel etwas locker ließ, daß er sich durch Rücksichten, die mit seinem sonstigen idealen Streben nicht in Einklang stehen, bestimmen ließ, nicht nur bei der Aufnahme neuer Schüler die gebotene Vorsicht aus dem Auge zu lassen, sondern ihnen auch größere Freiheit, als früher, zu gestatten. Wie wäre es sonst möglich gewesen, daß er so viele Krakauer Studenten, welche plötzlich, des geistlichen Zwanges müde, die Universität verlassen hatten 1549, in seine Anstalt aufnahm? Mußte die Freiheit, welche er ihnen wahrscheinlich gestattete, nicht im höchsten Grade nachtheilig auf die vorhandenen Schüler einwirken? Die bösen Folgen zeigten sich bald genug. [666] Die Schüler zechten bis tief in die Nacht hinein außerhalb der Anstalt: bei einer solchen Gelegenheit, gegen Weihnachten desselben Jahres bekamen einige von ihnen mit dem Nachtwächter Händel: die Sache hatte sehr ernste Folgen, der Herzog ließ zwei von ihnen wegen Gewaltthat und Widersetzlichkeit gegen die Amtsgewalt in Liegnitz enthaupten. Dies geschah im Anfang des Jahres 1550. Seit dieser Zeit ging es, allerdings nicht gerade durch Trotzendorf’s Schuld, mit Riesenschritten abwärts. Im Jahre 1552 herrschte in Goldberg große Theuerung und Hungersnoth: infolge dessen gingen viele Schüler der Anstalt ab, im nächsten Jahre folgte die Pest nach, welcher 2700 Einwohner zum Opfer fielen: als auch ein Schüler der Anstalt von ihr ergriffen wurde, war keine Möglichkeit mehr vorhanden, die Andern zu halten. Die Wenigen, welche zurückblieben, unterrichtete T. zuerst auf dem obersten Chore der Kirche, in der Meinung, daß dort die Luft reiner und besser sei, dann zog er mit ihnen nach Bunzlau. In dieser trüben Zeit suchte ihn Melanchthon zu trösten und lud ihn, wiewohl vergeblich, zu sich nach Wittenberg ein. Erst am Schluß des Jahres konnte T. die Schule in Goldberg wieder eröffnen, aber bald traf ihn ein noch härterer Schlag, ein furchtbarer Brand, welcher am 17. Juli 1554 den größten Theil der Stadt einäscherte, zerstörte auch seine Schule vollständig, sein Vermögen, seine Bibliothek, alles wurde ein Raub der Flammen.

Er siedelte mit seinen Schülern, deren Zahl sofort bedeutend abnahm, auf das Anerbieten des Herzogs nach Liegnitz über, wo seine Schule in einer Capelle der Johanniskirche Aufnahme fand. Das entsetzliche Unglück, welches über ihn gekommen war, vermochte nicht ihn niederzudrücken, mit unsäglicher Mühe brachte er die Mittel zum Wiederaufbau der Schule zusammen und wanderte oft den einige Meilen weiten Weg von Liegnitz nach Goldberg, um sich von dem Fortgang des Baues zu überzeugen, doch seine Kraft war gebrochen, am 20. April 1556 wurde er während des Unterrichts vom Schlage gerührt, wenige Tage darauf am 26. April verschied er. In der Stiftskirche St. Johannis fand er in einer Capelle, welche nach ihm benannt wurde, seine letzte Ruhestätte. Groß war die Trauer um den Entschlafenen. Dichter und Redner verherrlichten seinen Namen, Denkmäler wurden ihm an geweihter Stätte in Troitschendorf (1608), Görlitz (1590), Goldberg (1566), Liegnitz unmittelbar nach seinem Tode, in Troitschendorf noch jüngst (1890) an der Stelle, wo aller Wahrscheinlichkeit nach sein Geburtshaus gestanden hat, errichtet, das ehrendste Denkmal hat er sich in den Herzen seiner zahlreichen Schüler und Verehrer[WS 1] gesetzt.

Johannis Claii libellus de origine et consuetudine scholae Goldbergensis, Gorlicii 1563. – Oratio de Valentino Fridlando Trocedorfio, instauratore et Rectore scholae Goltbergensis, Recitata Vuitebergae a Decano Collegii Philosophici, Magistro Baldasaro Rhauo Naumburgensi Silesio, 18. Calend. Septemb. Anno 1564, (abgedruckt in dem Rosarium von 1565 und mit etwas anderem Titel in den Wittenberger Ausgaben der Reden Melanchthon’s von 1565, 1572 und 1590). Nach einer Bemerkung Georg Schmid’s in der weiter unten erwähnten Geschichte der Erziehung II, 2, 278 ist wahrscheinlich Melanchthon’s Schwiegersohn, Trotzendorf’s Schüler und Freund, Caspar Peucer, der Verfasser dieser Rede. – G. Pinzger, Val. Friedland Trotzendorf. Hirschberg 1825. – K. J. Löschke, Valentin Trotzendorf, nach seinem Leben und Wirken, Breslau 1856. – K. v. Raumer, Geschichte der Pädagogik I5, S. 213–224. – C. Hirzel in K. A. Schmid’s Encyklopädie des gesammten Erziehungs- und Unterrichtswesens IX2, S. 495–505. – F. Meister in den N. Jahrbb. für Philologie und Pädagogik 1880, II. Abtheilung (CXXII), S. 425–437, 473–487. – L. Sturm, Valentin Trotzendorf und die Lateinische [667] Schule zu Goldberg. Goldberg i. Schl. 1888. – Geschichte der Erziehung vom Anfang an bis auf unsere Zeit, bearbeitet von K. A. Schmid, fortgeführt von G. Schmid II, 2, S. 277–302.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Verehre