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Artikel „Raumer, Karl von“ von Wilhelm von Gümbel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 27 (1888), S. 420–423, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Raumer,_Karl_von&oldid=- (Version vom 21. November 2024, 18:05 Uhr UTC)
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Raumer: Karl v. R., zuletzt Professor der Naturgeschichte und Mineralogie an der Universität Erlangen, verband mit einem reichen umfassenden Wissen tief religiöse Ueberzeugungstreue und die edelste reinste Gesinnung, für welche er oft rücksichtslos, selbst gegen sein eigenes Interesse eintrat. Geboren am 9. April 1783 zu Wörlitz als Sohn eines Verwalters großer Landwirthschaftsgüter erhielt R. den ersten Unterricht in dem christlich-frommen Elternhause und besuchte später mit seinem Bruder Friedrich, dem berühmt gewordenen großen Historiker, das Joachims-Gymnasium in Berlin, wo er in dem Hause seines Onkels, des Präsidenten v. Gerlach, wohnte. Zu Ostern 1801 bezog v. R. dann die Universität Göttingen, um sich juristischen und cameralistischen Studien zuzuwenden. Es ist bemerkenswerth, daß die Vorlesungen des berühmten Naturforschers Blumenbach, die er hier hörte, keinen Eindruck auf ihn machten, wie er denn damals überhaupt mehr Neigung zur Philosophie und zu den schönen Künsten als zur Naturwissenschaft zeigte. Erst in Halle, das er 1803 besuchte, lenkten ihn des Naturphilosophen Steffens Vorlesungen über die innere Naturgeschichte der Erde auf neue Bahnen. R., begeistert von diesen Ideen, faßte den Entschluß, den Lehrer von Steffens, den berühmten Geognosten Werner in Freiberg selbst aufzusuchen, um aus dessen Vorlesungen über Geognosie neue Nahrung für große und umfassende philosophische Probleme, mit denen er sich befaßte, zu schöpfen. Für die eigentliche mineralogische Wissenschaft hatte er auch jetzt noch weder [421] Sinn noch Neigung und gleichsam nur Werner zu Liebe, dem er sich aufs innigste anschloß, befreundete er sich nach und nach auch mit den mineralogischen Studien, wobei er von seinem Freunde Engelhardt, mit welchem er auch zahlreiche geognostische Ausflüge in das Erzgebirge unternahm, nachhaltig unterstützt wurde. Die Untersuchung des mächtigen Zugs von Syenit bei Dohna bis gegen Meißen hin führte ihn hierbei zu Ergebnissen, welche mit der Lehre Werner’s von der Uranfänglichkeit der Granitbildung in Widerspruch standen. Denn es fand sich hier der Syenit nicht unter, sondern über dem Grauwackengebirge gelagert. Es entstand dadurch ein gewisses gespanntes Verhältniß zu Werner, mit dem er sich erst später wieder aussöhnte. Unter diesen Umständen entschloß sich R. mit seinem Freunde Engelhardt zu einer Studienreise nach Paris (1808–1809). Die Erfahrungen, welche R. hier in den großartigen Sammlungen und in den Gebirgsverhältnissen der Umgegend von Paris gewann, führten ihn immermehr zu der Ueberzeugung der Unhaltbarkeit der Werner’schen Lehre und daß man, wie er sich ausdrückt, „aus dem Glauben zum Schauen der Gebirgsgesetze durchdringen“ müsse. Zugleich erfaßte ihn, angeregt durch Pestalozzi’s Schriften über Erziehung und durch Fichte’s Reden ermuntert, bei der damals trostlosen Lage Deutschlands der große Gedanke, daß ein neues besseres Deutschland nur durch eine Jugendbildung nach der Methode von Pestalozzi herangezogen und nur auf diesem Wege das Vaterland gerettet werden könne. Hierzu sein Möglichstes beizutragen, sei jedes Patrioten Pflicht. Sofort faßte er den Entschluß, sich selbst dieser hohen Aufgabe der Jugenderziehung zu widmen. Diesem Gedanken folgte die That auf dem Fuße. R. verließ Paris, um Pestalozzi in Iferten selbst aufzusuchen, und sich dort auf das genaueste von dessen Lehreinrichtung Kenntniß zu verschaffen. Aber in seinen Erwartungen in Bezug auf diese Erziehungsmethode entsetzlich getäuscht verließ v. R. 1810, fast aller Mittel entblößt, die Anstalt wieder und gelangte mit knapper Noth nach Nürnberg, wo ihn zunächst ein alter Freund aus der Freiberger Studienzeit, Schubert, der später berühmte Naturforscher, aufnahm. Auf dessen Andringen entschloß sich nun v. R. zur Ausarbeitung seiner ersten Publication „Geognostische Fragmente“ 1811, in welchen er hauptsächlich die bei den Erzgebirgsuntersuchungen gesammelten Erfahrungen niederlegte und die Ansicht zu begründen suchte, daß, da der Syenit über dem Uebergangsschiefer gelagert sei, derselbe, entgegen der Werner’schen Lehre, nothwendig eine jüngere Bildung sein müsse. Das gleiche Verhältniß suchte er auch für den Granit des Brocken wahrscheinlich zu machen. Diese Entdeckung gleichsam vor den Thoren Freibergs, wo Werner eine dieser Behauptung entgegengesetzte Ansicht lehrte, erregte großes Aufsehen und lenkte die Aufmerksamkeit auf R. Bald gelang es ihm auch, durch die Vermittelung seines Bruders Friedrich in Berlin, die Stelle eines geheimen expedirenden Secretärs bei dem Oberberghauptmann Gerhard, der ihn von Freiberg her kannte, sich zu verschaffen. R. erhielt in dieser Stellung zunächst den Auftrag, das Riesengebirge geognostisch zu durchforschen und wurde schon nach kurzer Zeit bereits 1811 als Bergrath bei dem Oberbergamte und Professor der Mineralogie an der neuerrichteten Universität Breslau angestellt. Hier begann nun R. sich seiner Lehrthätigkeit mit allem Eifer zu widmen und setzte zuleich seine geognostischen Forschungen in den schlesischen Gebirgen fort. Das Ergebniß dieser Untersuchung faßte er in der Schrift „Der Granit des Riesengebirgs“ 1813 zusammen, auch hier das jüngere Alter dieses Werner’schen Urgebirges nachweisend. Indeß war der Aufruf des Königs von Preußen zur Bildung der Landwehr 1813, um gegen die Eindringlinge zu kämpfen, ergangen, und R. folgte mit Begeisterung dem königlichen Ruf. Dem Hauptquartier zugetheilt, zog R. nach der Schlacht von Leipzig, in der er mitgekämpft [422] hatte, mit den Alliirten 1814 in Paris ein und benützte sowol auf seinem Zuge durch Frankreich, wie auch während seines Aufenthaltes in Paris die Gelegenheit zu umfassenden geognostischen Studien. Endlich nach Breslau zurückgekehrt, setzte R. seine Lehrthätigkeit und seine Gebirgsforschungen in Schlesien unermüdlich fort. Zunächst gelangten einige, mit seinem Freunde v. Engelhardt gemeinschaftlich verfaßte Abhandlungen: „Geognostische Versuche“ 1815 und „Geognostische Umrisse von Frankreich, Großbritannien, einem Theile Deutschlands und Italiens“ 1816 als Frucht ihrer vielen gemeinsamen Reisen zur Veröffentlichung. In diesem letzteren Werke wurde zum ersten Male von deutscher Seite der Versuch gemacht, die Beziehungen der in England und Frankreich aufgestellten Gebirgsformationen zu denen in Deutschland in eine richtige Parallele zu bringen. Die Verfasser unterscheiden in dieser wichtigen Zusammenstellung folgende Abtheilungen: 1) das Ur- und Uebergangsgebilde, nur einer Bildungszeit entsprechend, 2) das rothe Sandsteingebilde mit dem Todtliegenden oder bunten Sandstein in Deutschland, entsprechend dem Oldred und Redmare in England neben mehr untergeordneten Gesteinen wie Porphyr, Kupferschiefer, Zechstein, Mountaine lime, Steinkohle und Gyps, 3) das Muschelkalkgebilde mit dem Muschelkalk in Deutschland, dem Lias in England, dann dem Jurakalk in Deutschland und dem Oolite in England, ferner das Kreide- und Sandsteingebilde mit Kreide, Quadersandstein und allen tertiären Schichten, endlich 4) Werner’s Flötztrappgebirgsarten, Basalt, Wacke u. dgl. Ausführliche Verzeichnisse von Vorkommnissen aus verschiedenen Gegenden Frankreichs und Englands vervollständigen diese Aufstellung der Gebirgsformationen Europa’s. In ähnlichem Sinn ist auch die zuerst genannte Abhandlung geschrieben. Eine Abtheilung derselben ist von ganz besonderer Wichtigkeit, weil hier zuerst darauf hingewiesen wird, daß das weit ausgedehnte Schiefergebirge am Rhein bis zur Schelde hin als eine zusammengehörige Formation aufzufassen sei. Ein zweiter Theil derselben befaßt sich hauptsächlich mit den geognostischen Verhältnissen des Pariser Beckens, wobei die Verwendung von Versteinerungen zur Unterscheidung verschiedener Formationen, wie sie von Brongniart und Cuvier damals angestrebt wurde, scharf verurtheilt wird. Indessen war Raumer’s dienstliche Stellung in Breslau wankend geworden, weil er die damals durch Jahn ins Leben gerufene Turnerei begünstigte und auch für die im Anfang reinen, patriotischen Bestrebungen der Burschenschaft warmes Interesse zeigte. Er wurde dadurch der Regierung verdächtig und gleichsam zur Strafe an das Oberbergamt und an die Universität Halle 1819 versetzt. Hier mit Mißtrauen empfangen, hatte R. in seiner neuen Stellung fortwährend mit Mißgunst und Anfeindung in einer Weise zu kämpfen, daß er voll Ueberdruß sich 1823 ohne Rücksicht auf die pecuniären Nachtheile, die ihn trafen, entschloß, den preußischen Staatsdienst zu verlassen und in Nürnberg eine private Lehrerstelle an dem Dittmar’schen Erziehungsinstitut anzunehmen. In die dieser Uebersiedelung vorausgegangene Periode fällt die Herausgabe der letzten unter den wichtigeren geognostischen Arbeiten Raumer’s: „Das Gebirge von Niederschlesien, der Grafschaft Glatz und eines Theils von Böhmen und der Ober-Lausitz“ 1819 mit einer schätzbaren geognostischen Karte. In dieser Publication sind die Ergebnisse der vielfachen geognostischen Untersuchungen in mehr fragmentarischer als zusammenfassender Form niedergelegt. Bemerkenswerth ist, daß R. auch hier sich gegen die Verwendbarkeit der paläontologischen Erfunde zum Erkennen der Gesetze im Gebirgsbaue erklärt und sich sogar zu dem mystisch-phantastischen Ausspruch verleiten läßt, daß die Versteinungen der Kohle als „eine Entwickelungsfolge nie geborener Pflanzenembryonen im Erdenschooße“ anzusehen seien. In Nürnberg gewann R. in dieser Erziehungsanstalt nach und nach unter großen Kämpfen vorherrschenden [423] Einfluß; er drang, unterstützt von den neben ihm wirkenden Lehrern Ranke und Wackernagel, auf eine streng religiöse Richtung der Erziehung. Dadurch kam die Anstalt bald in den Ruf, pietistische Ziele zu verfolgen; sie verlor nach und nach ihre Schüler und mußte endlich 1826 aufgelöst werden. Dadurch gerieth R. mit seiner Familie in die mißlichsten Verhältnisse. Da eröffnete sich plötzlich durch die Verlegung der Universität von Landshut nach München und die Berufung Schubert’s von Erlangen nach München eine neue Lebensaussicht. Auf Schubert’s Empfehlung hin, welche durch Ringseis, Helffrich und Cornelius warm unterstützt wurde, erhielt R. einen Ruf nach Erlangen an die Stelle Schubert’s als Professor für Naturgeschichte und Mineralogie im Mai 1827. Von dieser Zeit an lebte und wirkte R. ununterbrochen bis zu seinem Lebensende, unbekümmert um die vielfachen Angriffe, welchen er auch hier wegen seiner ausgeprägt kirchlichen Richtung namentlich im Anfange seiner Lehrthätigkeit ausgesetzt war. Vor allem strebte er, das, was er zu lehren hatte, vorerst selbst auf das gründlichste zu lernen und den besten Weg der Lehrmethode ausfindig zu machen. In diesem Sinne faßte R. mehrere seiner späteren Schriften ab. Aus der früheren Zeit sind noch die Publicationen: „Vermischte Schriften“ in 2 Bänden 1819 und 1822 und „Versuch eines ABC-Buchs der Krystallkunde“ 1820 nebst Nachtrag zu erwähnen. In Erlangen arbeitete er ein sehr geschätztes Lehrbuch der allgemeinen Geographie und eine Geschichte der Pädagogik aus, gab die Augustini Confessiones und eine Sammlung geistlicher Lieder heraus; auch betheiligte er sich an der Herausgabe von Hengstenberg’s evangelischer Kirchenzeitung und an der Erlanger Zeitschrift für Protestantismus und Kirche. Im Jahre 1861 feierte R. hochbetagt in voller geistiger Frische und körperlicher Rüstigkeit seine goldene Hochzeit. Er setzte auch im hohen Alter seine Lieblingsvorlesungen über Pädagogik, über Geographie von Palästina und über Augustin’s Confessionen, nachdem er jene über Mineralogie an F. Pfaff abgegeben hatte, bis zu seinem Lebensende ununterbrochen fort. Am 2. Juni 1865 beschloß er sein Leben, voll von Kampf, aber nicht ohne durch den Adel seiner Gesinnung und die Reinheit seines Lebens die höchste allgemeine Achtung sich erobert zu haben.

K. v. Raumer’s Leben von ihm selbst erzählt, 1866.