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Artikel „Ranke, Heinrich“ von Otto von Ranke in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 27 (1888), S. 233–240, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Ranke,_Heinrich&oldid=- (Version vom 16. Oktober 2024, 07:39 Uhr UTC)
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Ranke: Friedrich Heinrich R., Dr. theol. und phil., zuletzt Oberconsistorialrath in München, jüngerer Bruder von Leopold R., ist als das dritte von sieben Kindern dem Gerichtsdireckor Gottlieb Israel R. von seiner Ehefrau Friederike, geb. Lehmicke, in dem kleinen Landstädtchen Wiehe an der Unstrut am 30. November 1798 geboren. In seinen „Jugenderinnerungen mit Blicken auf das spätere Leben“ (Stuttgart 1877) schildert R., wie er unter der treuen Pflege sorgsamer Eltern, im Umgang liebenswürdiger Geschwister, unter welchen Leopold schon früh sich ganz besonders auszeichnete, eine glückselige Kindheit verlebte. Den ersten Unterricht erhielt er in der Stadtschule daselbst. Auch die Anfangsgründe des Lateinischen und Griechischen lehrte der Rector dieser Schule in Privatstunden. Im Februar 1811 folgte R. seinem Bruder Leopold auf die Landesschule Pforta. Professor Lange, Wick, John und Rector Ilgen hatten hier einen besonderen Einfluß auf ihn. Wie alle Brüder, so zeichnete auch er sich durch intensivsten Fleiß aus. Mit höchstem Entzücken las er die lateinischen und griechischen Classiker; an den griechischen Tragikern hatte er sein besonderes Wohlgefallen. Mit den trefflichsten philologischen Kenntnissen ausgestattet, bezog R. 1815 die Universität, um Theologie und Philologie zu studiren. In Jena hörte er mit Vorliebe Luden, den Historiker, und Gabler, den Theologen. Doch konnte er sich mit der Theologie, wie sie in Jena vorgetragen wurde, nicht befreunden. Der Glaube, in dem er aufgewachsen war, war aufs tiefste erschüttert. Es schien ihm unmöglich, daß er jemals Prediger werden könne. Auch an dem studentischen Leben betheiligte sich R. Daß nach der Niederwerfung Napoleon’s die alte Herrlichkeit des Deutschen Reiches erstehen müsse, daß die Einigung der vielen deutschen Stämme eine dringende Nothwendigkeit sei, hatte auch die Kreise der Universitäten mächtig ergriffen. An Stelle der bisherigen Landsmannschaften, welche ein trauriges Bild der Zerrissenheit des Vaterlandes zum Ausdruck gebracht hatten, sollte unter den Studirenden nur ein Bund bestehen, ein christlich-deutscher Bund, der alle umfaßte: die deutsche Burschenschaft. Auch R. trat dieser Verbindung, welche in Jena ihren Ausgangspunkt genommen, mit Begeisterung bei. Noch dem Greise hat später das Herz höher geschlagen, wenn er dieser Zeit jugendlicher Begeisterung für alles Hohe und Edle und Herrliche eingedenk war. Sittlich reine Jünglinge hatten sie sein wollen, welche alle ihre Kräfte dem neuerstandenen Vaterlande weihen wollten.

[234] Noch eine zweite Erinnerung ernstester Art knüpfte sich für R. an Jena. Beim Baden in der Saale gerieth R. in die allergrößeste Lebensgefahr. Schon hatte er sich für verloren gehalten, da ergriff ihn der kräftige Arm eines Commilitonen und rettete ihn. Angesichts des Todes hatte er allein der Eltern gedacht, welche er durch den Tod so sehr betrüben würde! Von weiterer Bedeutung für sein späteres Leben war es, als in Jena zwei Berliner Studenten eintrafen, welche auch die Jenenser für das Turnwesen gewinnen wollten. Es waren Dürre und Maßmann, beide Schüler von Jahn und Eiselen in Berlin. Dürre hatte sich in der trübsten Zeit in die Lützower Schaar aufnehmen lassen. Jahn’s merkwürdiges Buch „Vom deutschen Volksthum“, welches aus jener Zeit stammte, brachten sie mit. Aber auch des Letzteren „Deutsche Turnkunst“ machte auf R. und seine Freunde den größten Eindruck. Was Fichte in seinen Reden an die deutsche Nation als die einzige Aufgabe des damaligen Geschlechtes hingestellt hatte, ein besseres, tüchtigeres Geschlecht zu erziehen, das schien Jahn auf seine Weise zu verwirklichen. „Tugendsam und tüchtig, rein und ringfertig, keusch und kühn, wahrhaft und wehrhaft sei des Turners Wandel.“ R. verfehlte nicht, sich alsbald in körperlichen Uebungen mit seinen Freunden zu versuchen. Eine Fußwanderung führte denselben tief ins Frankenland hinein. 1817 siedelte R. nach Halle über, um in der Nähe seines Bruders Leopold, welcher in Leipzig mit Luther’s Werken beschäftigt war, weilen zu können. Der Theologie hatte er entsagt. Mit philosophischen Werken beschäftigte er sich. Vor allem begann er Kant’s „Kritik der reinen Vernunft“ zu studiren. Auch Fries: „Die neue Kritik der Vernunft“ las er eingehend. Aber nirgend fand R., was seiner Seele Befriedigung gewähren konnte. Da wurde er durch seinen Bruder Leopold auf Fichte: „Anweisung zum seligen Leben“ aufmerksam gemacht. Hatte Kant niederschlagend auf R. gewirkt, so wirkte Fichte erhebend und zu allem Guten ermuthigend.

Auch in Halle setzte er seine körperlichen Uebungen, Turnen, Schwimmen u. s. w. fort. Mit seinem Freunde Schwarzenberg unternahm R. eine längere Fußreise nach Dresden und Oesterreich. Einen tiefen Eindruck machte in dieser Zeit auf ihn Johannes Falk, Legationsrath in Weimar, dessen praktisches Christenthum ihm imponirte. Doch auch die Reformationsjubelfeier des Jahres 1817, welche R. in Halle erlebte, führte ihn nicht zur Theologie zurück. Vielmehr studirte er Thucydides, Sophokles und Euripides. Selbst an mathematischen Studien fand er seine Freude. Ein neues Leben trat dem 19jährigen im Hause des Professors Nasse entgegen, in welches R. in Vertretung eines Freundes als Hauslehrer eingetreten war. In dem Familienkreise dieses Hauses hatte der christliche Glaube Gestalt gewonnen. An Claus Harms’ Predigten erbaute sich Frau Nasse. Auch die Schriften G. H. Schubert’s „Altes und Neues“ und „Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft“ kamen R. hier zuerst zu Gesicht. Doch wiewohl das freundliche Familienleben des liebenswürdigen Nasse’schen Hauses ihn wohlthuend berührte, so meinte R. doch nur auf dem Wege ernsten, philosophischen Strebens, nicht auf dem Wege des Glaubens sich die Wahrheit erringen zu müssen.

Inzwischen war Leopold R. in Frankfurt a/O. als Oberlehrer des dortigen Gymnasiums angestellt worden. Dorthin folgte ihm R. Es gelang ihm, eine Anstellung an einer Privatanstalt zu erwirken, welcher die ersten Familien z. B. der Oberlandesgerichtspräsident Freiherr v. Manteuffel ihre Söhne anvertrauten. Mit wahrer Ehrfurcht machte er die persönliche Bekanntschaft des Turnvaters Jahn, welcher auf einer Reise Frankfurt berührte. R. entschloß sich schnell, denselben nach Berlin zu begleiten. Jahn selbst hatte an dem hochgewachsenen Jüngling mit den edlen Gesichtszügen ein besonderes Wohlgefallen. Die sittliche [235] Reinigung und leibliche Kräftigung der deutschen Jugend, der Jahn’s Lebensarbeit galt, schien in R. verkörpert. In Berlin besuchte R. nicht nur den Turnplatz in der Hasenheide, sondern auch die Fechtübungen unter Eiselen’s Leitung und die Schwimmschule des späteren Generals v. Pfuel. Nach seiner baldigen Rückkehr trieb R. seinen Bruder und dessen Freunde an, die Errichtung eines Turnplatzes in Frankfurt zu erwirken. Die Nachricht von der Ermordung Kotzebue’s setzte allen diesen Plänen ein plötzliches Ziel. Bange Ahnungen bewegten den Freundeskreis. Bald deuteten die Zeitungen an, in der deutschen Jugend bestehe eine Verschwörung, welche auf die allgemeine Umwälzung ausgehe. Die Burschenschaft und das Turnwesen wurden mit diesen unheilvollen Dingen in Verbindung gebracht. Von größerer Bedeutung für das spätere Leben Ranke’s war ein Besuch, den er von Karl v. Raumer, damals Professor der Naturwissenschaften in Breslau, erhielt. Noch eingreifender für das eigentliche Seelenleben Ranke’s sollte eine Reise wirken, welche derselbe während der Sommerferien nach Rügen unternahm. Hier lernte er den Nachfolger und Schwiegersohn des bekannten Kosegarten, Pastor Baier, in Altenkirchen kennen. Zu diesem trat er alsbald in das freundschaftlichste Verhältniß. R. offenbarte diesem den schmerzlichen Zustand seines zweifelnden Gemüths. Durch die Gespräche mit diesem väterlichen Freunde wurde in R. der Glaube an den ewig lebenden und ewig liebenden Gott wieder lebendig. Die Schilderungen, welche R. in den oben genannten Jugenderinnerungen von dieser Reise und seinen Seelenerfahrungen gibt, gehören zu dem Schönsten und Edelsten, was wir in der Litteratur in dieser Beziehung besitzen. Ueberaus anmuthend berührt vor allem die keusche und fast verschämte Art, in welcher R. von dem redet, was eine Menschenseele aufs tiefste ergreift. Gegenüber den Bekehrungsgeschichten namentlich englischer und amerikanischer Schriftsteller, welche überall in tendenziöser Weise aufbauschen, berührt diese echt deutsche Weise, in welcher er die eigene Erfahrung allein zu Worte kommen läßt, auf das wohlthuendste. Auf der Rückreise berührte R. Stralsund, Rostock, vor allem Berlin. Vom Postwagen eilte er alsbald in die Dreifaltigkeitskirche, um Schleiermacher predigen zu hören. Auch de Wette lernte er diesmal kennen. Tief erschütterte ihn die Kunde von Jahn’s gefänglicher Einziehung und Abführung nach Spandau. R. ließ es sich nicht nehmen, die Mutter und Gattin Jahn’s aufzusuchen. In Frankfurt setzte er dann seine Studien fort. Auf Baier’s Rath, mit dem er in einen sehr innigen Briefwechsel eintrat, beschäftigte er sich ganz besonders mit dem Evangelium Johannis. Gute Dienste leisteten ihm da die bezüglichen Stellen in Luther’s Werken. In der Schule durfte er zu seiner Freude den Religionsunterricht übernehmen. Wiewohl die Weihnachtsferien nur wenige Tage ausmachten, so eilte R., alle Hindernisse einer Winterreise überwindend, meist zu Fuß nach Rügen zu seinem väterlichen Freunde. Auf der Hin- und Herreise hatte er in Stettin in Ludwig Giesebrecht einen Genossen seiner Freude gefunden. Kaum war er in Frankfurt wieder in seiner gewohnten Thätigkeit wirksam, da wurden zu seinem nicht geringen Entsetzen seine Papiere durch Polizeibeamte in Beschlag genommen. Wiewol sich in denselben nichts fand, was irgend eine Anklage gegen ihn hätte begründen können – nur einige Ausdrücke, in denen er sich gegen die Aufhebung der Turnplätze und über die Gefangennahme Jahn’s und Ernst Moritz Arndt’s mit Schmerz geäußert hatte, galten für compromittirend, so wurden doch seine Papiere in Beschlag gelegt und dem Staatskanzler Fürsten v. Hardenberg zugesandt. In dieser ernsten Zeit, deren ganze Schwere R. weniger als seinen Freunden, besonders seinem Bruder Leopold zum Bewußtsein kam, trat die Aufforderung an denselben heran, in das Haus seines väterlichen Freundes Baier auf Rügen einzutreten, um theils den Unterricht der [236] Kinder zu übernehmen, theils dem kränkelnden Freunde in seinem Amt helfend zur Seite zu stehen. März 1820 siedelte R., nachdem er die Eltern zu ihrer silbernen Hochzeit in Wiehe aufgesucht hatte, nach Altenkirchen über. Hier in der schönen Natur, in dem trauten Umgang mit Baier, verlebte R. ein überaus glückliches Jahr. Auch der Darstellung dieses Aufenthaltes in Rügen in dem oben genannten Werk wird an Feinheit und Reinheit, an Kraft und Frische der Auffassung wie an Tiefe des Gemüthslebens wenig zur Seite gestellt werden können. Wahrhaft classisch ist z. B. die Schilderung jener Strandpredigten, welche Baier auf der Witte, auch hierin seinem Vorgänger Kosegarten folgend, gehalten hat. Doch die Eltern drängten den Sohn zur Heimkehr. Noch hatte derselbe seiner Militärdienstpflicht nicht genügt. Auch wünschten die Eltern den Sohn in einer geordneten Laufbahn zu wissen. So kehrte R. nach Frankfurt a./O. zurück. Eine Stelle an dem Gymnasium sei frei geworden; diese sei dem Bruder H. zugedacht, mit dieser freudigen Aussicht konnte Bruder Leopold den Zurückkehrenden begrüßen. Der Director des Gymnasiums, Poppo, suchte selbst beim Staatsministerium um Befreiung vom Militärdienst für R. nach. Die Antwort lautete befremdlich ablehnend: bei R. könne um so weniger an eine Befreiung vom Militärdienst gedacht werden, als er in die demagogischen Dinge verwickelt sei. Es blieb R. nichts andres übrig, als ohne Verzug in den militärischen Dienst einzutreten. Doch war dieser so leicht, daß er nicht nur acht Stunden am Gymnasium wöchentlich übernehmen, sondern außerdem sich durch Privatunterricht etwas verdienen konnte. Doch ehe er den Soldatenrock angezogen, hatte er noch Zeit gefunden, das philologische Staatsexamen in Berlin mit Auszeichnung zu bestehen. Der Director ließ die vacante Stelle am Gymnasium für R. offen und hatte die definitive Anstellung desselben nach Absolvirung seines Militärjahres beim Ministerium beantragt. Doch lautete der Bescheid des Ministeriums ablehnend: „Das königliche Ministerium der geistlichen Angelegenheiten hat die auf den Schulamtscandidaten Ranke in Frankfurt a/O. gefallene Wahl zum Lehrer am dortigen Gymnasium verworfen, weil er sich durch seine früheren Verbindungen verdächtig gemacht hat und weil seine Papiere von Staatspolizei wegen in Beschlag genommen worden sind.“

Auch die Bitte, welche R. aussprach, als Candidat in das Wittenberger Predigerseminar aufgenommen zu werden, welche anfänglich ihm bereits gewährt war, wurde abgeschlagen, weil keiner, der von dem Verdacht der Staatsregierung betroffen wäre, auf irgend eine Weise unterstützt werden sollte. Die Aufnahme in das Seminar gälte aber als Unterstützung. Auch hatten alle Bemühungen, welche R. theils durch Freunde, theils persönlich machte – er wagte es, selbst Johannes Schulze, den vielvermögenden Geheimrath, und sogar auf dessen Zureden den Cultusminister v. Altenstein aufzusuchen –, das gegen ihn lautende Urtheil umzustimmen, keinen Erfolg.

In dieser Zeit völliger Rathlosigkeit erhielt R. die Nachricht von der schweren Erkrankung seines geliebten Freundes Baier. Alsbald machte er sich wieder auf, um nach Rügen zu eilen. Doch fand er Baier schon in Greifswald, wo dieser in dem Hause seiner Schwiegermutter krank darniederlag. Mit rührender Treue theilte er seine Zeit in die Pflege des Kranken und in den Unterricht, welchen er dessen Sohne Allwill ertheilte (späterem Professor der Philosophie in Greifswald). Am 12. September 1822 verschied Baier in Ranke’s Armen. Der sterbende Freund hatte seine Kinder R. anvertraut. Nachdem R. in Magdeburg das erste theologische Examen bestanden, kehrte derselbe in das verwaiste Pfarrhaus nach Altenkirchen zurück, um dort der Erziehung der Baier’schen Kinder und den eigenen Studien zu leben.

Völlig unerwartet traf ihn hier ein Brief von Dr. Dittmar. Dieser forderte [237] ihn auf nach Nürnberg überzusiedeln, um an der von ihm geleiteten Erziehungsanstalt als Lehrer einzutreten. Professor Karl v. Raumer habe seine Professur in Halle, wohin er von Breslau aus versetzt war, niedergelegt, um an dieser Anstalt seinen pädagogischen Neigungen ganz zu leben. Dieser Aufforderung folgte R. um so bereitwilliger, als Frau Baier sich entschloß, ihren Allwill mitziehen zu lassen. Die Reise ging über Berlin. Hier war es R. vergönnt, Neander persönlich näher zu treten. Auch gelang es ihm, jene Briefschaften, welche ihm in Frankfurt abgenommen waren, wieder zurück zu erhalten. Schon in Erlangen traf er mit v. Raumer zusammen. Hier lernte er Gotthilf Heinrich Schubert persönlich kennen; auch mit Pfaff, dem Physiker, und Schelling, dem Philosophen, wurde R. näher bekannt. Am 6. April 1823 zog R. in die neue Lehranstalt in Nürnberg ein. Gewissermaßen als der Geistliche der Anstalt und außerdem als Lehrer der älteren Schüler in den beiden alten Sprachen und in der alten Geschichte übernahm R. hier eine Aufgabe, welche seinen Neigungen völlig entsprach. Die Anstalt selbst stand in voller Blüthe. Nicht wenige der angesehensten Familien vertrauten ihre Söhne derselben an. Außer Dittmar, einem ursprünglich Würzburger Juristen, hatte auch v. Raumer aus Begeisterung zur Pädagogik seinen bisherigen Beruf verlassen, um an dieser Anstalt zu wirken. Pestalozzi und seine Anstalten, welche er auf einer Schweizerreise kennen gelernt, hatten dazu den Impuls gegeben. Durch v. Raumer waren nicht nur Schubert, Schelling, Döderlein (die Erlanger Freunde), sondern auch Roth, der Director des Nürnberger Gymnasiums, und dessen Bruder Friedrich, der spätere Oberconsistorialpräsident, für das Gedeihen der Anstalt interessirt. Theils allein, theils mit einer größeren Schaar von Schülern unternahm auch hier R. weitere Reisen meist zu Fuß. Führte die eine nach Stuttgart, so die andere nach dem Rhein, eine dritte nach Basel und der Schweiz. Für R. war der Gewinn dieser Reisen ein doppelter. Nicht nur Deutschlands schönste Städte und Länder lernte er kennen, sondern er machte auch die Bekanntschaft vieler bedeutenden Männer, namentlich solcher, die mit ihm auf gleichem Glaubensstandpunkt stehend, in mannigfaltiger Weise dem Reiche Gottes dienten. So lernte er in Frankfurt a/M. den Senator Friedrich v. Meyer kennen, in Düsselthal den Grafen Recke-Volmerstein und Dr. v. Valenti, in Bonn, durch Professor Nasse, E. M. Arndt, in Basel Spittler, den Buchhändler, Blumhardt, damals Missionsinspector, Zeller, den Pädagogen, und Christ, den Rathsherrn. Ganz besondere Freude machte ihm der Besuch bei dem katholischen Pfarrer M. Boos, dessen Büchlein „Christus für uns und in uns“ R. wohlbekannt war. Die evangelische Gesinnung dieses Greises machte auf R. einen unauslöschlichen Eindruck. Auch in Nürnberg war R. mit all den Männern bekannt geworden, welche im Bekenntniß des evangelischen Glaubens ihre Freude und ihre Kraft suchten. Schubert hat diesen Stillen im Lande in so mancher kleinen Schrift ein Denkmal gesetzt. Mit Schubert selbst trat R. in die allernächsten Beziehungen dadurch, daß er sich die einzige Tochter desselben zur Gattin erwählte. In der Selbstbiographie G. H. v. Schubert’s: Der Erwerb aus einem vergangenen und die Erwartungen von einem zukünftigen Leben. Erlangen 1854/56, hat derselbe die Hochzeit Ranke’s mit Selma Schubert, welche in Bärenwalde, dem Heimathsdorfe Schubert’s, im sächsischen Erzgebirge, am 2. October 1825 stattgefunden hat, in anziehendster Weise geschildert. Nicht nur die Brüder Leopold und Ferdinand, welche Schubert aufs freundlichste charakterisirt, auch der Vater R. war aus dem nahen Thüringen herübergekommen, um dieser ersten Hochzeit eines seiner Söhne beizuwohnen. Den Schwiegersohn selbst, unsern R., schildert Schubert a. a. O. wie folgt: „Die jugendlich blühende Wohlgestalt des Jünglings war wohl eine [238] schöne ihm von Gott geschenkte Zierde, schöner aber noch stand ihm die Zierde der Demuth an. Wer in dieses Auge sah, dem kam daraus der Blick eines reinen guten Gewissens entgegen. Sein ganzes Wesen trug das Johanneische Gepräge.“ Mit seiner überaus jugendlichen Gattin kehrte R. nach Nürnberg zurück und arbeitete in dem ihm so lieben Wirkungskreis mit neuer Freudigkeit weiter. Auch seine Privatstudien setzte er mit Eifer fort, so beschäftigte er sich besonders mit Eusebius’ Kirchengeschichte, welche er in der Ausgabe von Valesius studirte.

Auch der verwahrlosten Kinder, welcher sich Johannes Falk in Weimar zuerst angenommen hatte, suchte R. in Gemeinschaft mit v. Raumer sich kräftigst anzunehmen. Wie in Erlangen durch Professor Krafft’s Bemühungen eine kleine Anstalt für verwahrloste Mädchen errichtet war, so konnte bereits am 24. April 1824 in Nürnberg eine ähnliche für Knaben eröffnet werden. Diese Anstalt hat sich segensreich entfaltet und besteht noch heute. Nachdem Dittmar das von ihm gegründete Institut bereits verlassen, um in der Rheinpfalz an einer öffentlichen Lehranstalt zu wirken, verlor dieselbe zu viel Schüler, um auf die Dauer sich halten zu können. R. sehnte sich auch in den eigentlichen Beruf seines Lebens, das Pfarramt, einzutreten. Auf Schubert’s Rath und Wunsch hatte er bereits 1824 die zweite theologische Prüfung in Ansbach mit Auszeichnung bestanden. Jetzt zögerte er nicht, die ihm angetragene Landpfarrstelle Rückersdorf, nicht allzuweit von Erlangen, 1826 zu übernehmen. Ein idyllisches Stillleben nennt R. selbst seinen Aufenthalt in Rückersdorf. Mit ganzem Eifer trat er hier in die pastorale Wirksamkeit ein. Auch die junge Pfarrfrau, welche die Frauen des Orts um sich sammelte, stand ihm helfend zur Seite. Bunyan’s „Reise in die himmlische Stadt“ übersetzte R. aus dem Englischen, las die einzelnen Abschnitte an den Abenden im Kreise Geweckter aus der Gemeinde vor und gab die Uebersetzung später herauss. Der Verkehr mit Erlangen blieb ein reger. Außer Schubert kam wol auch Professor Krafft nach Rückersdorf heraus. Nachdem Schubert und Schelling nach München übergesiedelt waren, kehrte R. mit seiner Selma im elterlichen Hause am Karlsthor in München alle Jahre einmal ein. Auf Veranlassung des Oberconsistoriums mußte er 1830 seinen Aufenthalt in München verlängern, um dort die damals vacante Pfarrstelle an der protestantischen Kirche mehrere Monate hindurch provisorisch zu verwalten. Nach Rückersdorf zurückgekehrt, lebte er neben seinen Pfarrgeschäften wissenschaftlichen Studien aller Art. Um in das Verständniß des alttestamentlichen Sprachidioms tiefer einzudringen, lernte er die arabische Sprache, in welcher er den Koran studirte. Aber erst sein Bruder Leopold, welcher ihn auf seiner Rückreise aus Italien 1831 besuchte, gab seinen Studien ein bestimmtes Ziel. Als nämlich R., auf die kritischen Werke de Wette’s hinweisend, dem Bruder zu erkennen gab: „Ich kann ihn widerlegen!“ antwortete Leopold kurz und entschieden: „So thue es!“ Außer de Wette suchte R. auch Vater, Commentar zum Pentateuch, zu widerlegen. So entstanden die „Untersuchungen über den Pentateuch“, deren erster Band bei Heyder in Erlangen 1833 erschienen ist. Die kirchliche Oberbehörde berief in diesem Jahre R. zum Examinator bei den theologischen Aufnahmeprüfungen, welche in Ansbach stattfanden.

Durch Buchhändler Heyder in Erlangen war Graf v. Giech in Thurnau auf R. aufmerksam gemacht worden. Dieser berief R. zum Decan und ersten Pfarrer nach Thurnau. Dorthin siedelte R. im Frühjahr 1834 über. Anfänglich fand er hier, wo der Rationalismus bisher ungestört geherrscht hatte, lebhaften Widerstand. Und doch wußte er denselben, ohne ein Titelchen seines Glaubensbekenntnisses aufzugeben, durch die Kraft seiner Persönlichkeit zu überwinden. In Thurnau gab er zuerst eine Sammlung seiner Predigten in drei [239] Theilen heraus, denen später Predigten über die Evangelien und die Episteln des Kirchenjahres gefolgt sind. Auch auf der Generalsynode 1836 bewährte sich R. als ein Vertheidiger des positiven Glaubens der Kirche gegenüber den Vertretern des Rationalismus. Nachdem sich eine Berufung nach Wittenberg an das dortige Predigerseminar zerschlagen und R. einen Ruf nach Schulpforta als geistlicher Inspector abgelehnt hatte, wurde er 1840 ohne eigenes Zuthun und ohne vorherige Anfrage zum Professor der Theologie nach Erlangen für das Fach alttestamentlicher Exegese berufen. Später erfuhr er, daß er von der Facultät nur in dritter Linie vorgeschlagen. Von König Ludwig I. wegen seiner Untersuchungen über den Pentateuch direct ernannt worden war. Wiewol diese Berufung den Wünschen Rankes vollauf entsprach, so wurde sie ihm durch die geringe Besoldung erschwert, welche eine größere Familie kaum erhalten konnte. Dennoch durfte dem ausdrücklichen Befehl des Königs nicht widersprochen werden. Von den Freunden, namentlich von dem v. Raumer’schen Hause wurde Professor R. aufs herzlichste in Erlangen willkommen geheißen. Dagegen zeigte sich die theologische Facultät über seine Berufung verstimmt. Außer den Vorlesungen über das alte Testament las R. Dogmatik, Dogmengeschichte, biblische Theologie, mit gutem Succeß. – Eine Reise, welche er mit seinem Bruder Ernst nach Tirol unternahm, erfrischte den Ueberarbeiteten. Auf der Rückreise in München suchte er vom Ministerium eine persönliche Zulage zu seinem Gehalt zu erwirken, da dasselbe sich für die Familie als völlig unzureichend herausgestellt hatte. Nach Erlangen zurückgekehrt, begann er sein viertes Semester mit Vorlesungen über die Psalmen, durch die eifrige Theilnahme eines größeren Zuhörerkreises in freudigste Stimmung versetzt.

Da erhielt er wieder gegen alles Erwarten im Novbr. 1842 seine Ernennung zum Consistorialrath in Bayreuth. War mit derselben auch die gewünschte Gehaltszulage verbunden, so empfand R. das Aufgeben der eben erst begonnenen akademischen Thätigkeit, die ihn beglückte, auf das schmerzlichste. In Bayreuth war mit der übertragenen Consistorialstelle ein Pfarramt nicht verbunden. Nur mit Mühe konnte derselbe es erreichen, daß er in Vertretung anderer öfter die Kanzel besteigen durfte. Die Geschäfte im Consistorium selbst, in welche R. sich mit gewohntem Fleiß einarbeitete, hatten für denselben keinen besonderen Reiz. Auch hier erwarb sich R. viele Freunde. Sein College Gabler übernahm während einer schweren Krankheit, welche R. an den Rand des Grabes brachte, dessen sämmtliche Amtsgeschäfte. Auch mancherlei Freunde suchten R. in Bayreuth auf. Am meisten war er erfreut durch den Besuch des großen Kirchenhistorikers August Neander aus Berlin. Im J. 1845 erfolgte die Versetzung Ranke’s als Consistorialrath und Hauptprediger nach Ansbach. In Bayreuth hatte er dem Professor Harleß Platz machen müssen, welcher sich durch seinen Protest gegen die Kniebeugungsordre dem Ministerium Abel mißliebig gemacht hatte. In Ansbach gewann R. seine frühere Freudigkeit im geistlichen Amt, welches er wieder verwalten durfte, voll und ganz wieder. Auch die Consistorialgeschäfte, mit denen die theologischen Prüfungen der Candidaten verbunden waren, entsprachen ganz seinen Wünschen. 21 Jahre hat R. diese Stellung inne gehabt; je älter, desto gesegneter in Haus und Amt. Eine große Familie von Kindern und Enkelkindern, welche sämmtlich Tüchtiges in der Welt leisteten, theils zu leisten versprachen, sahen in ihm ihr verehrtes und geliebtes Haupt. In der bairischen Landeskirche sah er je länger, je mehr treue und lebendige Zeugen erstehen, welche überall bemüht waren, christliches Leben zu wecken und zu stärken. Seiner irenischen Natur gelang es. Pfarrer Löhe in Neuendettelsau, welcher den Austritt aus der Landeskirche bereits beabsichtigt hatte, davon zurückzuhalten und so einer unheilvollen Separation vorzubeugen. 1866 wurde R. als Oberconsistorialrath [240] nach München berufen. Schon hatten seine Kräfte für das schwere Doppelamt in Ansbach nicht zuzureichen begonnen. Um so dankbarer folgte er in die bedeutend leichtere, wenn auch verantwortlichere Stelle nach München. Doch zunehmende körperliche Gebrechen nöthigten ihn schon 1871, auch diese Stelle aufzugeben. Nun lebte er ganz seiner Familie. Zu allen Zeiten hatte er mit besonderer Inbrunst seines evangelischen Priesteramtes als Hausvater in seinem Hause gewaltet. Eine Frucht dieser Hausgottesdienste war das bei Heyder & Zimmer in Frankfurt a/M. 1867 herausgekommene Büchlein: „Gebete über Worte der heiligen Schrift.“ Dasselbe ist seinen Kindern gewidmet. In der schlichtesten Sprache verkündet es die großen Geheimnisse unserer Religion. Am 2. October 1875 erlebte er noch die goldene Hochzeit. Am 2. September 1876 ist er dann sanft verschieden. Auch der alternde Greis trug ganz Johanneisches Gepräge. Fest gegründet in der erkannten Wahrheit war er zugleich mild und gütig, sanft und voll innigster Theilnahme für Jedermann. Ausgestattet mit den tüchtigsten theologischen und philologischen Kenntnissen wollte er nur seinem Herrn dienen, und dem die Herzen der Menschen gewinnen, für den sein Herz in seliger Liebe bis zum letzten Pulsschlag geschlagen hat.