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Artikel „Roth, Karl Ludwig“ von Max Planck (Pädagoge) in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 29 (1889), S. 333–338, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Roth,_Karl_von&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 11:24 Uhr UTC)
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Roth: Karl Ludwig R., ausgezeichneter Schulmann und Pädagog, geboren in Stuttgart am 7. Mai 1790, † auf seinem Landsitz in Untertürkheim bei Stuttgart am 6. Juli 1868, war der Sohn eines wegen seiner Pflichttreue und gründlichen Kenntniß der lateinischen Sprache hoch geschätzten Gymnasiallehrers[WS 1] in seiner Vaterstadt. Ihm und zwei anderen Lehrern, durch deren Unterricht er sich besonders gefördert fühlte, Werner[WS 2] und Drück, hat er in der „Erinnerung an drei verdiente Lehrer des Stuttgarter Gymnasiums“ (Kleine Schriften Bd. II, S. 329 ff.) ein schönes Denkmal gesetzt. Sein Vater hatte ihn zum Theologen bestimmt, und so trat er, als er im Herbst 1807 die Universität Tübingen bezog. in das theologische Stift ein, dessen 5jährigen Cursus er durchmachte. Aus den allgemein bildenden, besonders den philosophischen Studien der zwei ersten Jahre scheint er keine tiefere Anregung empfangen zu haben; nur mit Kant beschäftigte er sich eingehender. Mehr Befriedigung gewährten ihm die theologischen Wissenschaften, insbesondere die Vorlesungen der beiden Brüder Flatt. Die philologischen Privatstudien setzte er während seiner ganzen Universitätszeit fort; den Tacitus, der schon damals sein Lieblingsschriftsteller war, hat er als Student fünfmal durchgearbeitet. Das Abgangszeugniß bezeichnete ihn als in philologia egregie versatus. Als R. im J. 1812 die Universität verließ, führten häusliche Verhältnisse eine Aenderung seines Berufs herbei. Er wurde zunächst der Gehülfe seines von vierzigjähriger Schularbeit erschöpften Vaters, und nach dessen bald darauf erfolgtem Tod wurde ihm eine Lehrstelle an einer Mittelclasse übertragen. Trotz seiner Vorliebe für die Philologie ergriff er den neuen Beruf nur mit Widerstreben, aber derselbe wurde für ihn eine Quelle der wichtigsten Selbsterkenntniß. Obgleich ihm darin bald viel gelang, [334] so erkannte er doch, daß er, um die Schüler zu bessern, selbst anders werden, daß er seine ganze Lebensweise, sein ganzes Denken dem Beruf unterordnen müsse. Eine Frucht der durch solche Kämpfe errungenen Wahrheit war seine erste im J. 1818 erschienene kleine Schrift „Ueber Zweck und Werth des Lateinlernens u. s. w.“, in der die Gedanken, welche er später in zahlreichen Schriften verfochten und ins Leben einzuführen gesucht hat, bereits im Keime enthalten sind. So hatte er sich von innen heraus für seinen Beruf tüchtig gemacht, als unerwartet eine große Aufgabe an ihn herantrat. Der baierische Oberschulrath Niethammer erkannte in ihm den rechten Mann, um eine gründliche Reform des in argen Verfall gerathenen Nürnberger Gymnasiums ins Werk zu setzen und R. folgte dem Ruf. Am 7. October 1821, dem Tage seiner Vermählung mit der Tochter eines angesehenen Nürnberger Hauses, wurde er zum Gymnasialrector und Professor daselbst ernannt. Und hier begann er nun, im Kampf mit Anfeindungen und Schwierigkeiten aller Art sich jene rücksichtslose Energie in Verfolgung dessen, was er für recht erkannt hatte, anzueignen, welche ihn durch sein ganzes Leben begleitete; hier, wo nach allen Seiten hin zu bessern und ein ganz neuer Boden zu legen war, entwickelte sich aber auch jene Aufmerksamkeit auf das Kleinste wie auf das Größte im Leben der Schule, jenes Eingehen auf alle Eigenthümlichkeiten der ihm anvertrauten Jugend, das ihn zum vollendeten Erzieher machte. R. trat gleich in seiner Antrittsrede, am 5. Januar 1822, mit den Grundsätzen, die seine Wirksamkeit bestimmen sollten, offen hervor. Sie handelte „von der Erziehung im Unterricht“. Ein innerer, nothwendiger Zusammenhang, sagt er, gebietet uns Erziehung und Unterricht nie trennen zu wollen. Denn die wechselseitige Einwirkung des Willens und des Verstandes ist viel größer, als sie auf den ersten Blick zu sein scheint. Der Unterricht muß vor allem den Willen anregen und stärken; dieser, nicht die geistigen Kräfte, ist überall die Quelle der reinsten und wichtigsten Erkenntniß. In einer Reihe von Reden und Abhandlungen, die in den zwei Bänden seiner „Kleinen Schriften“ vereinigt sind, entwickelte R. von nun an vor der Welt seine Grundsätze und die daraus für den Unterricht zu ziehenden Folgerungen im einzelnen. Die erste Hälfte seines Nürnberger Aufenthalts war für ihn eine Zeit des Kampfs, wo er trotz allem Muth und unerschütterlichem Wollen doch manchmal zweifelte, ob es ihm gelingen werde, seine Aufgabe durchzuführen, die zweite war, nachdem sein Werk in der Hauptsache gesichert war, eine Zeit beruhigterer Wirksamkeit. Er hatte jetzt das Vertrauen der Eltern und städtischen Behörden gewonnen, die Anstalt war von schlechten Elementen gereinigt und von solchen in Folge der verbreiteten Meinung über die dort herrschende drakonische Strenge gemieden, und der Unterricht wurde von neuen, tüchtigen Lehrern nach einem einheitlichen Plane ertheilt. An Nägelsbach (s. A. D. B. XXIII, 224) vor allem gewann R. einen treuen Mitarbeiter und Freund. Nun traten aber andere Anfechtungen ein. Seit dem Jahre 1833 kamen von oben her Verordnungen, die der Gymnasialbildung mit vollständiger Verflüchtigung drohten, und vom Jahre 1840 an, wo unter dem Abel’schen Regiment Vorschriften über Religiosität und Religionsunterricht erschienen, nach welchen kein Schüler in eine höhere Classe vorrücken sollte, der nicht in Religionskenntnissen und Frömmigkeit ein vorzügliches Zeugniß hätte, wurde es ihm immer schwerer, die von oben kommenden Weisungen zu befolgen. Später, im J. 1845, hat er in der Schrift „Das Gymnasialwesen in Baiern zwischen den Jahren 1824 und 1843“ die ganze baierische Schulordnung und die bei derselben gemachten Erfahrungen mit rückhaltsloser Offenheit besprochen. Der Befürchtung, daß er auch wieder die Abnahme des Nürnberger Gymnasiums zu erleben bestimmt sein könnte, wie er dessen Blüthe gesehen, wurde er enthoben durch die Zurückberufung nach seiner [335] Heimath. Die Stadt Nürnberg ehrte ihn beim Scheiden im August 1843 durch Ertheilung des Ehrenbürgerrechts, die theologische Facultät in Erlangen durch Verleihung der theologischen Doctorwürde. Die letztere Ehre freute ihn ganz besonders, weil er sich wohl bewußt war, daß an dem, was er als „Schulmann“, wie er sich am liebsten bezeichnete, gewirkt hatte, auch dem Theologen in ihm ein wesentlicher Antheil zukomme. Das Amt, zu dem er berufen wurde, legte gerade die Bildung und Erziehung junger Theologen in seine Hand: er wurde Ephorus des niederen theologischen Seminars in Schönthal. Der Unterricht in dieser Anstalt war ganz der der humanistischen Gymnasien, aber die Ueberwachung und Erziehung der Zöglinge konnte bei dem Zusammenleben unter klösterlicher Zucht eine viel eingehendere sein, und R. war nur bemüht, die Schranken dieser Zucht im Interesse des körperlichen Wohlbefindens der Zöglinge zu erweitern und die Disciplin der sittlichen Führung unterzuordnen. Diese war denn auch eine vorzügliche. Alle Schüler fühlten sich unter der Gewalt seines Geistes und seines sittlichen Willens. Er gab sein Bestes hin und verlangte dafür auch von ihnen die höchste geistige Anspannung. Mit einer bloß halben Wahrheit dessen, was sie sprachen, war er nicht zufrieden und sollten sie selbst nicht zufrieden sein. Auch das Kleine, Unbedeutende, das im Verhalten und Auftreten des Schülers, in seiner Redeweise, selbst in seiner Handschrift nicht richtig erschien, wurde bemerkt und nicht selten mit vernichtender Ironie – eine furchtbare Waffe in seiner Hand, aber gemildert durch den unverkennbaren Zweck der Besserung – gerügt. Der Eindruck, den die Schüler von seiner Persönlichkeit, von seinen Grundsätzen, seiner Lebensführung erhielten, war ein unvergänglicher. Indes entsprach diese auf eine mäßige Anzahl von Zöglingen beschränkte Thätigkeit doch nicht dem Maaß seiner Kraft. Er mußte für den letzten Act seines Lebens eine umfassendere Wirksamkeit wünschen, und so folgte er der Aufforderung seines Freundes Gustav Schwab, sich um das Rectorat des Gymnasiums in Stuttgart zu bewerben, knüpfte aber diese Bewerbung an die Bedingung, Mitglied der Oberstudienbehörde zu werden. Seine Forderung wurde genehmigt, und am 23. Mai 1850 trat er sein Amt an. Die Anstalt, deren Leitung er jetzt übernahm, befand sich in einem geordneten, blühenden Zustande, R. hatte also keine Neugründung vorzunehmen, wie in Nürnberg; was er sich zum Ziel setzte, war nur eine stärkere Belebung der Lehr- und Lernthätigkeit durch alle Classen, damit im ganzen und einzelnen intensiv mehr geleistet würde. In seiner Antrittsrede (Kl. Schr. Bd. II, S. 3) bezeichnet er als das Erste, worauf in unseren Tagen die Schule ihr Augenmerk zu richten habe, das, daß der Wahrheitssinn der Jugend erweckt und gestärkt, daß dieselbe zu der großen und schweren Kunst angeleitet werde, selbständig d. h. nach klar erkannten Gründen zu urtheilen. Vor allem müsse der Sinn für religiöse Wahrheit geweckt werden. Im einzelnen hat er dann seine Ansichten wie die gemachten Erfahrungen und Beobachtungen dargelegt in den in den Jahren 1855–57 in dem Correspondenzblatt für die Gelehrten- und Realschulen Württembergs erschienenen „Zehn Briefen des älteren an den jüngeren Schulmann“ (Kl. Schr. Bd. II, S. 49 ff.). Diese Briefe, in welchen er theils wichtige allgemeine und principielle Fragen der gelehrten Schule, theils specifisch württembergische Schuleinrichtungen behandelt, waren für das ganze Land von tief eingreifender Wirkung und wurden für viele jüngere Lehrer eine Anleitung zum Befolgen einer richtigeren Methode. R. verfährt darin mit weiser Schonung gegen die Besonderheiten des vaterländischen Schulwesens; nur wo unter der hergebrachten Methode der wahre Zweck des Unterrichts zu leiden scheint, verlangt er eine Aenderung. Um so entschiedener tritt er gegen die Verirrungen des Zeitgeists auf, dem er keinerlei Einräumungen zu machen geneigt ist. Die größte Schuld an den Schäden [336] unserer Gymnasien trägt die Zersplitterung des Unterrichts in eine Vielheit gleichwerthiger Lehrfächer, und es gibt deshalb nur ein Mittel der Abhülfe, durch Verstärkung des sprachlichen Elementes, der classischen Studien, der Schule wieder einen festen Mittelpunkt zu geben. Von demselben Gesichtspunkt, der möglichsten Concentration des Unterrichts, aus führte er das System der Classenlehrer ein und ordnete an, daß in den oberen Classen immer nur ein Lateiner und ein Grieche gleichzeitig behandelt werden solle, ein Grundsatz, der seitdem der allgemeine geworden ist. Auch bei der Feststellung einer neuen Prüfungsordnung für die Candidaten des philologischen Lehramts hat er wesentlich mitgewirkt. R. fand bei seinem vorgesteckten Ziel, überall dem Unterricht die vollkommene, auf sittliche Erziehung und geistige Erweckung gerichtete Form zu geben, auch am Stuttgarter Gymnasium ein weites Arbeitsfeld, er hat aber auch bei nur achtjähriger Wirksamkeit an demselben großes geleistet und hat namentlich auch durch die Art, wie er hier thätig war und vielen angehenden Lehrern Berather und Führer wurde, im weitesten Umfang gewirkt. Daß diese fruchtbare Thätigkeit vor der Zeit ein Ende fand, das hatte seinen Grund in Conflicten nach oben. R. war ganz der Mann, um einer Anstalt den Stempel seines Geistes aufzudrücken und sie dadurch zu hoher Blüthe zu führen, aber dazu mußte er bei seinem scharf ausgeprägten Wesen freie Hand haben. Auch war er nicht geneigt, sich den Entscheidungen eines Collegiums ohne weiteres unterzuordnen. Die feste Ueberzeugung, daß das, was er vertrete, das Wahre und Richtige sei, weil es aus der gründlichsten Kenntniß der Sache und dem reinsten Willen hervorgegangen sei, machte ihn wenig gefügig gegen die Ansichten anderer. Dazu kam, daß der dem Unterrichtswesen innerlich fernstehende Vorstand des Studienraths in einer Weise in die Schulverhältnisse eingriff, welche R. als unerträglich erscheinen mußte. Im Juli 1856 wurde R. seiner Functionen als Mitglied des Studienraths entbunden. Infolge davon ergriff ihn ein tiefer Unmuth, der ihm Amt und Leben verbitterte, und so reifte in ihm der Entschluß, auch um Enthebung von dem Rectorat zu bitten. Am 28. September 1858 wurde er unter Verleihung des Titels und Rangs eines Prälaten in den Ruhestand versetzt. So schwer er es jedoch empfand, seine Wirksamkeit in der Mitte abgebrochen zu sehen, so fand er doch sogleich das rechte Mittel, sich über die Ungunst der Verhältnisse zu erheben, indem er mit einem kräftigen Entschluß sich eine neue Form der Thätigkeit schuf, die akademische. Im Frühjahr 1859 zog er nach Tübingen und habilitirte sich dort als 69jähriger Privatdocent. Er las über die römischen Satiriker, über Tacitus und Quintilian, über griechisch-römische Rhetorik, über Cicero’s Partitiones oratoriae und über die Rhetorik des Aristoteles, lauter Schriftsteller, denen von früh an seine Studien zugewandt gewesen waren. Den Hauptnachdruck aber legte er auf seine Vorlesungen über Gymnasialpädagogik. In diesen Vorlesungen, die er während seiner akademischen Lehrthätigkeit fünfmal hielt, und deren Hauptinhalt in seinem 1865 erschienenen Werke über diesen Gegenstand niedergelegt ist, hat er seine reifsten Gedanken über Schule und Unterricht entwickelt, indem er den Stoff vorzugsweise aus dem Selbsterlebten schöpfte. Die akademische Thätigkeit indeß, so ernst er es mit ihr nahm, und so viele Freude sie ihm machte, gewährte ihm doch keinen vollen Ersatz für das Verlorene, die Sorge um die Schule beschäftigte ihn noch immer vorwiegend. Dazu kamen durch das Alter hervorgerufene körperliche Beschwerden. Im November des Jahres 1867 mußte er die bereits begonnene Vorlesung abbrechen. Im folgenden Jahre zog er sich auf seinen Landsitz in Untertürkheim zurück und starb dort im Juli 1868. R. hatte auf der Universität eine philosophisch-theologische Bildung genossen, keine philologische, indeß zeigen seine Schriften, wie tief er in die Classiker eingedrungen ist. Es fehlte ihm weder [337] an Sprachgefühl, noch an Schärfe der Kritik, noch an allgemeinen Gesichtspunkten, und er handhabte die lateinische Sprache mit der gleichen Meisterschaft wie die deutsche. Seine ganze Anlage aber wies ihn vorzugsweise darauf hin, auf dem Gebiete der Erziehung und des Unterrichts seine Kraft zu entfalten. Hier wirkte er vor allem durch den Eindruck seiner Persönlichkeit: er war die Verkörpetung des sittlichen Princips. Den Willen zu bilden, betrachtete er als die Hauptaufgabe des erziehenden Unterrichts. Und dazu arbeitete er unablässig an seiner eigenen sittlichen Vervollkommnung. Der gereinigte Wille des Lehrers soll reinigend und stärkend auf die Schüler einwirken. So prüfte er alle seine Handlungen und Gedanken aufs strengste an dem Prüfstein des Gewissens. Wo er aber das Bewußtsein hatte, das Rechte erkannt zu haben und zu wollen, da kämpfte er mit unermüdlicher Ausdauer und eisernem Willen für die Durchführung seiner Ansicht. Denn er wußte sich bei seiner Berufsthätigkeit als im Dienste eines Höheren stehend: weder für die Schule wird gelernt, noch für das Leben, sondern für die Ewigkeit. Es ist der Gedanke der christlichen Erziehung, in dem alles gipfelt. Gelehrt soll werden, was in jedem Alter das Denken am meisten erweckt (das Wissen folgt von selbst), was den Willen fester, die Einbildungskraft edler und reiner macht. Die Strenge, mit der er das Regiment in der Schule führte, ging nicht auf Unterdrückung der Geister, sondern auf sittliche Kräftigung durch Gewöhnung an einen freien, vernünftigen Gehorsam. Der Hauptmangel unseres Gymnasiums ist: es erzieht nicht mehr d. h. die Schüler werden nicht so erzogen, daß die natürliche Trägheit durch Unterricht, Uebung und vernünftige Zucht überwunden, die Vernunft entwickelt und gestärkt und das Verlangen nach Wahrheit und die Lust zum wissenschaftlichen Erkennen in ihnen erweckt wird. Der Grund aber, warum die jetzige Schule nicht mehr erziehen kann, ist das Phantom einer in derselben zu erreichenden allgemeinen Bildung, die daraus hervorgehende Vielheit der Lehrfächer und der alle freie Wahl der Arbeit ausschließende Zwang. Aus diesem Verfall kann die Schule nur gerettet werden durch die Wiederherstellung der früheren Concentration auf das sprachliche Element, vor allem auf das Latein. Denn es gibt für den Schüler außer dem religiösen nur noch ein Wissen, in dem er selbst die Wahrheit aufsuchen und die hinter den Erscheinungen liegenden Gesetze erfassen kann, das ist das sprachliche Wissen. Indem er durch fortgesetzte Vergleichung der fremden Sprache mit seiner Muttersprache diese Gesetze selbst erkennt, wird er unvermerkt zur richtigen wissenschaftlichen Methode hingeleitet, und dadurch öffnen sich ihm die Pforten aller Wissenschaften. Die Vermittlung aber zwischen dem Autor und dem Schüler bildet der Lehrer, und zwar besteht das wahre Lehren nicht im Mittheilen der Unterrichtsstoffe, selbst nicht im Ueben der Urtheilskraft des Schülers an diesen Stoffen, sondern in dem Vermögen und Willen des Lehrers, durch seinen Geist auf den Geist des Schülers so einzuwirken, daß dieser das Verlangen empfindet, die Wahrheiten, die den Gehalt des Wissens ausmachen, selbst zu erkennen. Nur durch Erweckung dieses Verlangens kann der Unterricht wirklich erzieherisch wirken. – R. war ein Mann aus einem Gusse, ein antiker Charakter, unbeugsam, selbst schroff in der Durchführung seiner Grundsätze, aber eben so streng gegen sich wie gegen andere, im Inneren voll wahrer Menschenliebe und von selbstlosester Hingebung an seinen Beruf. Unter den Schriften Roth’s stehen in erster Linie seine „Gymnasialpädagogik.“ 1865. 2. Aufl. 1874, und die „Kleinen Schriften pädagogischen und biographischen Inhalts.“ 2 Bde. 1857. Seine gelehrten Werke beschäftigen sich hauptsächlich mit Tacitus und den römischen Satirikern. Es erschienen von ihm: „C. Corneli Taciti Synonyma et per figuram Hendiadyoin dicta“ 1826; [338] „Taciti de vita et moribus Cn. Juli Agricolae libellus“ mit Erläuterungen und Excursen. 1833. Uebersetzung der Werke des Tacitus. 1854. 2. Aufl. 1861–68; „Decimi Juni Aquinatis satirae tres.“ 1841; „De satirae natura.“ 1843; „De satirae Romanae indole eiusdemque de ortu et occasu.“ 1844. Beide letztere Schriften sind abgedruckt in den Kl. Schr. Bd. 2, Anhang. Uebersetzung der Rhetorik des Aristoteles. 1833. Eine vorzügliche Jugendlectüre lieferte er in den zwei Schriften: „Lesebuch zur Einleitung in die Geschichte, nach den Quellen bearbeitet.“ 1839. 3. Aufl., neu bearb. von A. Westermayer 1882 unter dem Titel Griechische Geschichte; und „Römische Geschichte in ausführlicher Erzählung.“ 4 Bde. 1844–47. 2. Aufl., neu bearb. von A. Westermayer. 2 Bde. 1884.

Ueber das Leben Roth’s haben wir seine Selbstbiographie im Anhang der Gymnasialpädagogik 2. Aufl. S. 365 ff. und einen Lebensabriß von dem Tübinger Universitätsprofessor Dr. theol. Oehler in der evang. Kirchenzeitung 1869. Nr. 19, 21, ebenfalls abgedruckt im Anhang der Gymnasialpädagogik S. 440 ff., sowie einen kürzeren Abriß von A. Planck[WS 3] im Schwäbischen Merkur vom 2. Aug. 1868.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Christoph Friedrich Roth (1751–1830), GND, Professor am Gymnasium in Stuttgart (Landesbibliographie Baden-Württemberg). Zur Familie Roth (und Merkel) sowie deren Stammbaum siehe: Rebekka Habermas: Frauen und Männer des Bürgertums. Eine Familiengeschichte (1750–1850). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2002 (Bürgertum ; Bd. 14), ISBN 3-5253-5679-X.
  2. Johann Andreas Werner († 1824), Professor am Gymnasium in Stuttgart.
  3. Dr. phil. Adolf Planck (Adolph P.), * 28. Dezember 1820 in Heilbronn, † 14. Dezember 1879 ebenda), Professor am Gymnasium in Heilbronn. Siehe Schwäbischer Merkur 1879, S. 2353; Grabrede von Dekan Lechler. Schell, Heilbronn 1880. Bruder des Pädagogen Max Planck (1822–1900).