ADB:Stein zum Altenstein, Karl Freiherr von

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Artikel „Stein zum Altenstein, Karl Freiherr von“ von Paul Goldschmidt (Historiker) in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 35 (1893), S. 645–660, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Stein_zum_Altenstein,_Karl_Freiherr_von&oldid=- (Version vom 15. Oktober 2024, 02:59 Uhr UTC)
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Stein, Karl
Band 35 (1893), S. 645–660 (Quelle).
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Stein: Karl Freiherr v. St. zum Altenstein, meist kurzweg Altenstein genannt, preußischer Staatsmann, geboren am 1. October 1770 zu Ansbach, † am 14. Mai 1840 in Berlin. Er entstammt einem alten, schon im 10. Jahrhundert erwähnten und 1695 in den Reichsfreiherrnstand erhobenen fränkischen Adelsgeschlecht, von dem ein bairischer und ein belgischer Zweig noch bestehen, während die Ansbacher Linie jetzt im Mannesstamme erloschen ist. Sein Vater war Officier, zuletzt Rittmeister im markgräflichen Dienst. Da derselbe bereits 1779 starb, übte die Mutter (aus dem Geschlecht v. Adelsheim) um so größeren Einfluß auf den heranwachsenden Knaben. Sie wird milde, geist- und gemüthvoll genannt, Eigenschaften, welche ebenso für den Sohn zutreffen. Dessen oft bethätigtes Wohlwollen, weitgehende Mildthätigkeit und feines Tactgefühl werden von den Zeitgenossen als Erbtheil der Mutter bezeichnet, man wird nicht fehlgehen, wenn man auch die Weichheit seines Gemüthes und die Unbestimmtheit des Wesens auf dieselbe Quelle zurückführt. Sein Tactgefühl auszubilden und sich in den Formen des höfischen Lebens zu üben, erhielt der Knabe früh Gelegenheit, da er schon während seiner Schulzeit in das fürstliche Pagencorps aufgenommen wurde. Er besuchte das Gymnasium in Ansbach, studirte dann in Erlangen und Göttingen die Rechte, daneben aus Liebhaberei Naturwissenschaft und Philosophie, namentlich Religionsphilosophie. 1793 trat er als Referendar bei der Kriegs- und Domänenkammer in Ansbach ein, kurz nachdem die beiden fränkischen Markgrafschaften an Preußen gekommen waren. Freiherr v. Hardenberg hatte den Auftrag erhalten, ihre Verhältnisse zu ordnen und den Uebergang in die preußische Verwaltung zu leiten. Es ist stets Hardenberg’s Art gewesen, die aufstrebenden jungen Talente heranzuziehen, hier hatte er dazu besondere Veranlassung, da er sich auf die älteren Beamten, die mit dem Markgrafen fortdauernd in Streit gewesen waren, nicht gut stützen konnte. Ganz besonders scheinen A., sein um zwei Jahre jüngerer Bruder Sigismund und ihr späterer Schwager Nagler seine Gunst und sein Vertrauen gewonnen zu haben, so daß sie rasch befördert und dann nach Berlin berufen wurden. Karl siedelte 1799 dahin über, gleichzeitig mit dem aus Jena vertriebenen Fichte, zu dem er bald in nahe Beziehungen trat. 1803 wurde er zum Geheimen Oberfinanzrath und zum Mitglied des Generaldirectoriums ernannt. 1806 folgte er dem Hofe nach Königsberg, im Juli 1807, bei Hardenberg’s Rücktritt, wurde er Mitglied der Immediatcommission, die einstweilen, d. h. bis zu Stein’s Wiedereintritt, die obere Leitung der inneren und der Finanzverwaltung führen sollte.

Im September dieses Jahres geht er nach Riga, wohin Hardenberg sich zurückgezogen hatte, und unterstützt diesen bei der Ausarbeitung des von dem Könige geforderten Planes für die Neuordnung des preußischen Staates. Eine zu diesem Zwecke verfaßte Denkschrift Altenstein’s wurde von Hardenberg als Grundlage seiner Ausführungen benutzt und mit denselben dem Könige übersandt. Für seine Vorschläge über die Umgestaltung der obersten Staatsbehörden hat A. die von Stein[WS 1] im April 1806 ausgearbeitete Denkschrift benutzt, dessen ausführlichere [646] Denkschrift über denselben Gegenstand vom Juni 1807 war ihm noch nicht bekannt. Andere Ideen verdankt er, wie er selbst mittheilt, den Gesprächen mit Hardenberg, der Anregung Schön’s und Niebuhr’s. An einigen Stellen ist der Einfluß von Fichte und von Adam Müller’s Vorlesungen über deutsche Wissenschaft und Litteratur zu erkennen, die eben damals durch ihre Begeisterung für das deutsche Geistesleben Aufmerksamkeit erregten. Wie viel demnach von den fruchtbaren Gedanken der Denkschrift ihm selbst zuzuschreiben ist, erscheint zweifelhaft, da A. sonst niemals mit selbständigen neuen Gedanken hervorgetreten, sondern immer mehr ein Anempfinder und Nachempfinder gewesen ist. Wohl aber gebührt ihm das Verdienst, daß er diese Gedanken zuerst im Zusammenhange erfaßt und an der entscheidenden Stelle, d. h. bei Hardenberg und durch diesen beim Könige zur Geltung gebracht hat.

Er begründet zunächst die Nothwendigkeit einer tiefgreifenden Umgestaltung und fordert die Abschaffung aller Vorrechte des Adels, der nur als eine Auszeichnung der Geburt bestehen bleiben soll. Die Erbunterthänigkeit bezeichnet er als einen Schandfleck des Staates und wundert sich, daß dieselbe so lange habe bestehen können. Inbetreff der Gewerbe verlangt er, daß jedem der möglichst freie Gebrauch seiner persönlichen Kräfte, seines Capitals, seiner Hände und seines Kopfes gestattet werde. Die Zünfte erscheinen ihm als schädliche Monopole, die den Fortschritt des Handwerks verhindern. Ebenso nachtheilig seien alle Pfründen, Stiftsstellen und ähnlichen „Polster der Faulheit“. Das Heer bedürfe einer völligen Umgestaltung. Die bisherigen Landstände seien zu beseitigen; statt ihrer müsse eine Repräsentation des Volkes gebildet werden, die, in passender Weise abgestuft, den Kreisvorstehern, den Verwaltungskammern und den Ministern bez. dem König mit berathender Stimme zur Seite stehen könne; die Verwaltung der Gemeinden müsse ausschließlich durch von den Einwohnern erwählte Beamte geführt werden.

Aus dem weiteren Inhalt der umfassenden Denkschrift sei noch hervorgehoben, wie große Bedeutung A. darauf legt, daß die geistige Kraft des Volkes gehoben werde. Gerade hierin erblickt er ein wesentliches Mittel, die Erhebung gegen Frankreich und den künftigen Sieg über dasselbe vorzubereiten. Er schreibt: „Es liegt in der als leitendes Princip angenommenen höchsten Idee des Staates, daß er den höchsten Werth auf echte Wissenschaft und schöne Kunst lege. Frankreich, bei einer untergeordneten, auf bloße Kraftäußerung gerichteten Tendenz, kann die Wissenschaft und Kunst nicht von diesem reinen Standpunkt betrachten … Die Wissenschaft und Kunst wird sich dereinst rächen, indem sie sich der höheren Tendenz anschließt und dieser den Sieg versichert. Preußen muß dieses benutzen.“ Allerdings erscheine es schwer, in einem Augenblicke, wo dem Staate alle Hülfsmittel genommen sind und er alle Kräfte zu seiner Erhaltung nöthig hat, noch solchen neuen Anforderungen zu genügen. „Allein insofern Wissenschaft und Kunst selber die Mittel zur Erhaltung erhöhen, dürfen sie nicht vernachlässigt werden.“ In diesem Sinne müßten namentlich die Universitäten umgestaltet werden. Besser als mehrere kleine sei eine in der Hauptstadt zu errichtende große Universität, auf die der Staat alle erforderlichen Mittel verwende.

Diese Denkschrift ist wol das bedeutendste Schriftstück, das aus Altenstein’s Feder geflossen ist, man wird sie auch als ein Programm dessen ansehen können, was er selbst auszuführen gewünscht hätte. Zunächst war er nur zur Mitarbeit berufen. Stein hatte die Leitung der Geschäfte übernommen und die Immediatcommission war ihm untergeordnet worden. Sie bestand indessen fort, fast alle wichtigeren Angelegenheiten wurden ihr vorgelegt. Als eine der schwierigsten erschien neben den Reformplänen die Frage der Kriegsentschädigung an Frankreich, deren Abtragung von vielen für unmöglich erachtet wurde. Im December [647] 1807 stellte Schön deshalb den Antrag, man solle versuchen, die Verminderung der Kriegscontribution auf die Hälfte durch Abtretung von Gebiet, namentlich einiger Theile Schlesiens, zu erlangen. A. aber trat mit großer Wärme dagegen auf und hob den nationalen Gesichtspunkt kräftig hervor. Es sei unvereinbar mit dem gerechten Sinn des Königs, einen Theil von Land und Leuten abzutreten, um seinen übrigen Unterthanen Erleichterung von den Auflagen des Krieges zu verschaffen. Außerdem verzichte man damit für immer auf die Zukunft Preußens: „Jede Länderabtretung in Deutschland erscheint um so bedenklicher, als der Staat nur in seinem Verhältniß zu Deutschland künftig Stellung und Wiederherstellung zu hoffen haben dürfte.“

Auf die Ausarbeitung der Reformgesetze hatte A. indessen weniger Einfluß, als ihm seiner Ansicht nach zukam, da Stein keine günstige Meinung von ihm hatte und anderen Räthen den Vorzug gab. A. fühlte sich dadurch verletzt und ließ sich im Herbst 1808 durch seinen Jugendgenossen und Schwager Nagler bestimmen, sich den Gegnern des Ministers anzuschließen und mit ihnen auf die Entfernung desselben hinzuwirken. Soweit wie die Anhänger des alten Systems ging A. freilich nicht. Auch er wollte den Minister stürzen, aber er dachte sein Nachfolger zu werden und die Reform fortzuführen. Um sein Ziel zu erreichen, wendet er sich an Hardenberg, mit dem er in steter Verbindung geblieben war, und veranlaßt bei Hardenberg’s Durchreise durch Königsberg am 10. November eine scheinbar zufällige Begegnung desselben mit dem König und der Königin. Wie er vorausgesehen hat, erregt dies Zusammentreffen den Wunsch des Königs nach einem eingehenderen Gedankenaustausch mit seinem früheren Berather. Nagler vermittelt eine zweite, geheime Besprechung, die am 11. im Dorfe Kalgen stattfindet, und Hardenberg wird vom König aufgefordert, seine Rathschläge schriftlich zu formuliren. Da er durch A. über alle Verhältnisse unterrichtet ist, namentlich vermittelst eines eingehenden Schreibens vom 10. Nov., kann er diesem Wunsche sofort nachkommen und übersendet bereits am 12. Nov. eine ausführliche Denkschrift über die Lage des preußischen Staates. Er schließt sich den Ausführungen Altenstein’s an, ebenso wie dieser bezeichnet er Stein’s völlige Entfernung als unbedingt nothwendig, räth aber die begonnene Reform weiterzuführen und A. die Leitung der Geschäfte zu übertragen. Stein wünschte, daß Schön sein Nachfolger würde, die Gegner der Reform bemühten sich, die Ernennung von Voß durchzusetzen. Da A. zwischen den beiden Parteien zu stehen und deshalb geeignet schien, einen vermittelnden Einfluß auszuüben, entschied sich der König nach Hardenberg’s Vorschlag, und ernannte am 24. November 1808 A. zum Finanzminister.

So sah sich dieser im Alter von 38 Jahren zu führender Stellung erhoben, an der Spitze des unter den obwaltenden Umständen wichtigsten Ministeriums. Freilich unter ganz besonders schwierigen Verhältnissen. Denn zu aller anderen Noth kam noch hinzu, daß durch den Sturz des Reformministers die Hoffnungen der gegnerischen Partei und ihr Einfluß am Hofe gewachsen waren. Die Durchführung der Reformen, die A. ein Jahr vorher in so schwungvoller Weise vorgeschlagen hatte, war dadurch sehr erschwert. Doch kann man wohl annehmen, daß er trotzdem an seinem Programm festhielt und den aufrichtigen Wunsch hatte, dasselbe auszuführen.

Auch der Zustand der Finanzen forderte dies. Denn soweit die Einnahmen des preußischen Staates auf Steuern beruhten – abgesehen also von der Einnahme aus Domänen, Forsten, Stempeln u. s. w. und abgesehen von den Zöllen, die mehr Schutz- als Finanzzölle waren und nicht viel einbrachten – war ihre Grundlage die Gliederung der Gesellschaft in die drei Stände des Adels, der Bauern und der städtischen Bevölkerung. Der erstere zahlte [648] meist nur die geringe Abgabe der Lehnspferdegelder, die übrige ländliche Bevölkerung war einer directen Steuer, der Contribution unterworfen, während in den Städten eine Consumtionssteuer, die Accise, erhoben wurde. Nachdem nun das Edict vom 9. October 1807 die rechtliche Geschlossenheit der Stände aufgehoben hatte, konnte auch das Steuersystem nicht aufrecht erhalten werden. Die Vermischung der Stände, der Uebergang von einer Berufsart zur andern, selbst der Wechsel des Wohnorte gefährdete die Einnahmen des Staates. Die unerläßliche Vermehrung derselben war vollends auf dem bisherigen Wege nicht zu erreichen, sondern nur durch eine umfassende Finanzreform, durch eine auf der Rechtsgleichheit beruhende und alle Classen der Bevölkerung gleichmäßig treffende Art der Besteuerung. Welcher Art hierüber die Gedanken Altenstein’s waren, ist nicht ganz klar, da ein allgemeiner Plan nicht ausgearbeitet worden ist. Doch sehen wir ihn nach verschiedenen Richtungen hin thätig. Eine Commission wurde eingesetzt, um über eine Veränderung der Accise und ihre Ausdehnung auf das platte Land zu berathen, mit den kurmärkischen Ständen wurde über die Einführung einer Einkommensteuer verhandelt, von den Regierungen wurden Berichte über die Umwandlung der Contribution eingefordert. In allen diesen Dingen ist er aber nicht über die Vorarbeiten hinausgekommen. Der berechtigte Wunsch, bei so tief eingreifenden Aenderungen mit möglichster Schonung vorzugehen, lähmte die Kraft des Ministers, während seine Gegner keineswegs so zartfühlend waren, vielmehr ihre bedrohten Vorrechte energisch vertheidigten. Für solchen Kampf war Altenstein’s milde, leidenschaftslose Natur nicht geschaffen, ihm fehlte die fest zugreifende Willenskraft, ohne die im Kampfe der Parteien nichts großes erreicht wird.

Da diese Verhandlungen über die Veränderung der Steuern nur langsam fortschritten und jedenfalls fürs erste keine Mehreinnahme erwarten ließen, bemühte sich A. durch allerlei außerordentliche Mittel die erforderlichen Summen zu beschaffen. Alsbald nach Uebernahme der Verwaltung, im December 1808, legte er eine Prämienanleihe auf. Dieselbe fand wenig Betheiligung und brachte nur 900 000 Thaler ein. Im Februar 1809 wurde verfügt, daß alle Einwohner des Staates ihr gesammtes Gold- und Silbergeräth dem Staate gegen sogenannte Münzscheine verkaufen oder den dritten Theil des Werthes als Steuer zahlen sollten, daß ferner von allen Juwelen und echten Perlen der sechste Theil des Werthes bezahlt werden solle. Auch diese harte, sehr ungleichmäßig wirkende Maßregel ergab viel weniger als man erwartet hatte. Ihr Ertrag wird auf 11/2 Million Thaler geschätzt. Am meisten hoffte der Minister von einer in Holland aufzunehmenden Anleihe, stieß aber dabei auf größere Schwierigkeiten, als er vorausgesetzt hatte. Kurz vor seinem Rücktritt, im Februar 1810, versuchte er es noch mit einer Anleihe im Inlande und brachte 1 400 000 Thaler zusammen, also nicht viel mehr als eine Monatsrate der an Frankreich zu zahlenden Summe.

Trotz solcher Mißerfolge hatte A. eine sehr hohe Meinung von seiner Thätigkeit und seiner Kraft. Es hätte nahe gelegen, wenn nicht Stein, so doch Hardenberg, den langjährigen Gönner und Freund, um Rath zu fragen und ihm seine Entwürfe mitzutheilen. Da dies nicht geschah, wendet sich Hardenberg im März 1809 mit einem längeren Schreiben an ihn. Er bedauert, die Pläne des Ministers nicht zu kennen und sei deshalb außer Stande, sie zu beurtheilen. Was ihm bisher davon bekannt geworden, scheine ihm nicht dem Zwecke zu entsprechen und namentlich nicht geeignet, das öffentliche Vertrauen zu heben. Vor allem sei es erforderlich, „soviel immer möglich, allgemeine große Maßregeln zu nehmen, wobei das Publicum das Ganze übersehen kann – die geben allein Vertrauen“. Er verweist dann auf den großen Werth der Domänen und der [649] geistlichen Güter. „Will man denn diese nicht benutzen? Ich habe sie noch nirgend in Anschlag bringen hören.“

An die Domänen hat A. allerdings gedacht, ist indessen auch hier nicht weiter gekommen, als daß er ihre Katastrirung und Abschätzung angeordnet hat. Für umfassende, allgemeine Maßregeln aber schien ihm jetzt, nachdem er die Schwierigkeit, solche durchzusetzen, erkannt hatte, die Zeit nicht geeignet zu sein. Im März 1810 erklärte er geradezu, daß die Unsicherheit der Existenz und die durch den Krieg herbeigeführte Erschöpfung der inneren Kräfte es unräthlich, ja unmöglich mache, große Aufopferungen für die Finanzen zu verlangen und bedeutende Reformen in der Organisation des Innern zu wagen. Auch eine öffentliche Darlegung der Verhältnisse hält er nicht für zweckmäßig, weil sie den Muth ganz niederschlagen und dem Ansehen der Regierung Nachtheil bringen werde. Er glaubt, nur ein Wechsel der Verhältnisse könne günstigere Zustände herbeiführen. Um aber von einem Augenblick zum andern zu kommen, seien einzelne kleine Hülfsmittel ausreichend, welche die Nation weniger drückten und zu deren Gelingen das Zutrauen noch ausreiche.

Leider reichten seine kleinen Hülfsmittel nicht hin, um die allmonatlich fälligen vier Millionen Francs der Kriegsentschädigung aufzubringen. Nur bis zum Frühjahr 1809 hat A. diese Zahlungen zu leisten vermocht. Seine Geldmittel waren nahezu erschöpft, als Oesterreichs Waffenerhebung die Gelegenheit bot, eine Wendung des Geschicks herbeizuführen. A. war ebenso wie seine Genossen im Ministerium, wie fast alle Generale und die ganze patriotische Partei der Ansicht, daß Preußen diese Gelegenheit benutzen, sich mit Oesterreich verbinden und eine allgemeine Erhebung gegen den Unterdrücker herbeiführen müsse. Er schlug deshalb dem Könige vor, den Rest des noch vorhandenen Geldes nicht dem Feinde zu zahlen, sondern zur Verstärkung der eigenen Rüstung zu verwenden, eine Maßregel, die wol von patriotischem Gefühl eingegeben, aber äußerst gefährlich war. Nur wenn der Entschluß zum Kriege bereits unabänderlich feststand, durfte dieser Schritt gewagt werden; daß man ihn vorzeitig that, brachte den preußischen Staat in eine sehr peinliche Lage und gab dem französischen Kaiser begründeten Vorwand zu neuer Bedrückung. So lange der Krieg mit Oesterreich dauerte, mußte Napoleon sich gefallen lassen, was in Preußen geschah, schon um den König nicht zu verletzen, der fast allein dem ungestümen Drängen der Kriegspartei gegenüberstand und dieselbe zurückhielt. Als er aber den Frieden geschlossen hatte und in Familienverbindung mit dem österreichischen Kaiser trat, war sein Verhältniß zu Preußen ein anderes geworden. Auch auf Rußland, an dem Preußen bis dahin einen Rückhalt gehabt hatte, brauchte er nicht mehr so viel Rücksicht zu nehmen wie bisher. Im Gegentheil faßte er bereits den künftigen Bruch mit diesem Staate ins Auge und wollte schon um deswillen Preußen in völlige Abhängigkeit bringen. Energisch forderte er die Zahlung der rückständigen Summen und der Zinsen dafür, ließ aber durchblicken, daß er eine Landentschädigung annehmen werde. Man konnte erkennen, daß es auf Schlesien abgesehen war, welches er mit dem Herzogthum Warschau vereinigen wollte, um dieses mit dem Königreiche Sachsen in unmittelbare Verbindung zu bringen. Preußen wäre dadurch auch von Oesterreich getrennt und fast auf allen Seiten durch von Frankreich abhängige Länder umschlossen worden. A. erklärte die Zahlung für unmöglich, auf seinen Bericht gestützt, schlug das Ministerium am 12. März 1810 dem Könige vor, über die Abtretung Schlesiens in Verhandlung zu treten. So schlimm aber stand es mit der Sache Preußens doch nicht. A. unterschätzte die Kraft des Staates und den Umfang der zur Verfügung stehenden Mittel. Noch waren die Domänen und die geistlichen Güter nicht ernsthaft herangezogen. Man hatte nicht einmal eine Uebersicht [650] ihres Werthes, der nach Hardenberg’s Schätzung allein für die in Schlesien gelegenen den rückständigen Betrag der Kriegsentschädigung überstieg. Hier mußte vor allem eingesetzt werden. Weitere Mittel waren von der Erstarkung des wirthschaftlichen Lebens und von der Hebung des inländischen Credites zu erhoffen. Es kam darauf an, ob dahin zielende Reformen durchgeführt werden konnten, was A. trotz aller Gelehrsamkeit und Gründlichkeit bisher nicht gelungen war.

Denn die von Stein so kraftvoll begonnene Reform war nicht nur inbetreff der Finanzen, sondern ebenso auf dem Gebiete der Volkswirthschaft, der Verwaltung und des Heeres ins Stocken gerathen. Der Gedanke, durch die Freiheit der Erwerbsthätigkeit die wirthschaftlichen Kräfte des Landes zu entfesseln, den A. in seinem Programm entwickelt hatte, war ein frommer Wunsch geblieben, nur mit Freigebung der Weberei und mit Aufhebung des Mühlsteinregals hatte man einen schwachen Anfang gemacht. Von der Bildung des Staatsraths und der Volksrepräsentation hatte man Abstand genommen, auch sonst die von Stein vorgeschlagene Einrichtung der Verwaltung nicht vollständig durchgeführt, obgleich der König dem nicht abgeneigt war. In einer Cabinetsordre vom 8. December 1808 erklärte er den Ministern, daß er in der neuen Organisation Lücken finde, weil sie nur theilweise ausgeführt worden sei, namentlich vermisse er die beabsichtigte Einheit der Verwaltung und die Theilnahme der Nation, soweit sie stattfinden könne. Hier hätten die Minister also wol auf die Unterstützung des Königs rechnen können, wenn sie einig gewesen und kräftig vorgegangen wären.

Mit der Heeresreform war man allerdings ein wenig weiter gekommen. Scharnhorst’s Festigkeit und Klarheit gelang es, allen Gegnern zum Trotz, wenigstens einige Verbesserungen durchzuführen. Viel konnte er freilich auch nicht mehr erreichen, seit ihm die Hülfe Stein’s fehlte. Vergebens bemühte er sich, den König für den Grundsatz der allgemeinen Wehrpflicht zu gewinnen. Er stieß hierbei nicht nur auf den leidenschaftlichen Widerstand des Adels, er fand auch unter den Ministern, die ihn sonst wol unterstützten, entschiedene grundsätzliche Gegner. A. fürchtete von der Conscription die schwerste Schädigung des Gewerbes und der Bildung, ja geradezu die Zerstörung aller Cultur. Er meinte überdies, daß auch für das Heer, außer zu den Officierstellen, die Heranziehung der Gebildeten nicht vortheilhaft sei. „Ich kann es nicht glauben“, heißt es in seinem Gutachten, „daß dem Militärwesen mit den höheren Ständen (insofern diese nicht körperlich und geistig zu dem Militärwesen Beruf fühlen, und Beruf hat nur die Künstleranlage, die sich ohnedies immer dem Berufe hingeben wird, eröffnet man ihr nur Gelegenheit) da, wo es körperliche Kraft gilt, gedient sei. Durch die Zulassung von Stellvertretern aus der unteren Classe oder aus der körperlich kräftigeren Classe (wenn das erstere anstößig klingt) wird für das Beste des Militärs gesorgt und der Druck einer allgemeinen Conscription gemildert.“

Wirklich fruchtbar ist die Amtsführung Altenstein’s nur für die Pflege der geistigen Interessen gewesen, die seinem Herzen am nächsten standen. Er förderte die Gründung der Universität Berlin und wußte trotz aller finanziellen Bedrängniß die erforderlichen Mittel flüssig zu machen, wenn auch nicht ganz in dem Maaße, wie Humboldt und seine Freunde sie forderten.

Unter diesen Umständen mußte der König daran denken, die Zügel der Regierung in festere Hände zu legen. Schon im August und im November 1809 berichtet der französische Gesandte in Berlin nach Paris, daß der König den Wunsch habe, Hardenberg zum Finanzminister zu ernennen. Im Februar 1810 schreibt er: der König habe ihn gebeten, darauf hinzuwirken, daß der Kaiser von seiner ungünstigen Meinung über Hardenberg zurückkomme, der ein Mann von Geist sei, den Credit beleben und die Angelegenheiten wieder in Stand setzen könne. [651] Festere Gestalt gewann dieser Wunsch, als die Minister jenen Vorschlag vom 12. März 1810 überreichten. Der König forderte Hardenberg zu einem Gutachten über die Lage des Staates auf und hatte dann während des April und Mai Besprechungen mit ihm, die man möglichst geheim zu halten suchte. A. betrachtete Hardenberg’s Auftreten als unberechtigte Einmischung und es kam zwischen den beiden früher befreundeten Männern zu einer scharfen Auseinandersetzung. Mißtrauisch geworden und in gereizter Stimmung vergaß sich der sonst so höfliche und formgewandte Minister selbst dem Könige gegenüber und ließ sich, wie Boyen als Augenzeuge erzählt, durch aufbrausende Heftigkeit „bis an die äußerste Grenze des Anstandes fortreißen“. Dennoch wünschte der König, ihn im Dienst zu behalten, da er ihn schätzte und der Ueberzeugung war, daß er unter der Oberleitung Hardenberg’s nützliche Dienste leisten werde. Hardenberg aber bestand trotz der Vermittlungsversuche Scharnhorst’s auf Altenstein’s Entlassung, er wollte selbst außer der obersten Leitung aller Geschäfte auch das Finanzministerium übernehmen und völlig freie Hand haben. Schließlich fügte sich der König und A. mußte zurücktreten. (4. Juni 1810.)

Anderthalb Jahre hatte er an der Spitze der Verwaltung gestanden, aber die Hoffnungen, mit denen er in diese Stellung eingetreten war, hatten sich nicht verwirklicht. Reiche Kenntnisse und große Arbeitskraft, freundliches Eingehen auf die Ansichten Anderer, sowie seine Befähigung, die Dinge nach allgemeinen Gesichtspunkten philosophisch zu erfassen, hatten ihm Ansehen verschafft und ihm vorher ermöglicht, unter ruhigeren Verhältnissen sich auszuzeichnen und an zweiter Stelle Tüchtiges zu leisten. Selbst die Richtung zu geben, in sturmbewegter Zeit das Steuer des Staates zu führen, wie er sich zugetraut hatte, war ihm nicht gelungen.

Die Zeit der Muße benutzte A. zu mannichfacher wissenschaftlicher Thätigkeit, er vertiefte sich in die Lehren Fichte’s und beschäftigte sich eingehend mit der Pflanzenwelt, ist indessen auch auf diesen Gebieten zu eigentlich productiver Thätigkeit nicht gekommen. In seinem Nachlaß fanden sich später zahlreiche Arbeiten über Botanik, von denen er, außer einem Artikel in Brand’s Jahrbüchern für die Apotheker, nichts veröffentlicht hat. Im März 1813 wurde er zum Civilgouverneur von Schlesien ernannt. Indessen gelang es ihm nicht, die Bildung der Landwehr so schnell zu betreiben, wie die Regierung forderte. Die Klagen vermehrten sich noch, als die Kriegsereignisse fast die gesammten Streitkräfte nach Schlesien führten und es nun galt, die Lebensmittel für diese Truppenmassen herbeizuschaffen. Durch die Anwesenheit der Heere waren die Verhältnisse schwieriger geworden als in den anderen Provinzen, nur ein Mann von ungewöhnlicher Thatkraft und Raschheit des Entschlusses war im Stande, sie zu beherrschen und den vielfachen Anforderungen genug zu thun. Um weitere Reibungen der Behörden zu vermeiden, wurde im Juni das Militär- und Civilgouvernement von Schlesien suspendirt, die Verwaltung der Provinz dem Generalquartiermeister Gneisenau, als Vertreter des Oberbefehlshabers der Armee, unterstellt und ihm zu diesem Zwecke der Regierungspräsident Merkel beigeordnet. A. wurde angewiesen, diesem seine „bisherigen Geschäfte nebst dem Dienstpersonal der letzteren“ zu übergeben. Im September wurde A. dazu ausersehen, Stein bei der Leitung des neu eingerichteten Verwaltungsrathes für die von Napoleon’s Herrschaft befreiten Länder zu unterstützen. „Sie sind“, schrieb ihm Hardenberg, „nach Art der Minister-Kollegen in Rußland zum Suppléant des Herrn vom Stein und zu seinem Mitarbeiter bestimmt.“ A. erklärte sich bereit, hat aber dennoch das neue Amt nicht angetreten. Wahrscheinlich hat Stein seine Mitarbeit nicht gewünscht, die bei der Verschiedenheit ihrer Naturen auch kaum zu ersprießlichen Resultaten geführt haben würde. Während des Feldzuges von 1814 scheint A. [652] vorübergehend im Hauptquartier gewesen zu sein; im Mai dieses Jahres erhielt er das eiserne Kreuz „wegen der für die Sache des Vaterlandes bethätigten treuen Gesinnungen“. Erst nach der Beendigung des Krieges fand sich für ihn eine Thätigkeit, die seiner Befähigung und seinen wissenschaftlichen Neigungen entsprach. Er wurde 1815 nach Paris berufen und an die Spitze des Ausschusses gestellt, der die geraubten Kunstschätze und Manuscripte zurückfordern sollte. Im J. 1817 bereiste er die neu für Preußen erworbenen rheinischen Gebiete, um die Verhältnisse und namentlich die ständischen Einrichtungen derselben kennen zu lernen und darüber an den König zu berichten.

Noch ehe er diese Reise beendet hatte, mußte er nach Berlin zurückkehren, um das neu gebildete Ministerium für Cultus, Unterricht und Medicinalwesen zu übernehmen (3. Novbr. 1817). Bisher hatten diese Zweige der Verwaltung zum Ministerium des Innern gehört und unter der Leitung des Herrn v. Schuckmann gestanden, eines sehr thätigen und energischen Geschäftsmannes, der die Verwaltung mit fester Hand, aber allzu bureaukratisch geführt hatte. Man glaubte, daß der vielseitige, feinsinnige A. besser im Stande sein werde, die verschiedenen Richtungen des sich kräftig entfaltenden geistigen Lebens zu würdigen und ihnen gerecht zu werden. Vornehmlich in religiöser Beziehung hatte die tiefgehende, alle Schichten der Bevölkerung ergreifende Erregung des Befreiungskrieges nachhaltige Wirkung ausgeübt. Sowol in der evangelischen wie in der römisch-katholischen Kirche zeigte sich ein erhöhtes religiöses Leben, traten aber auch die Gegensätze stärker hervor.

In der evangelischen Kirche war diese Bewegung durch Schleiermacher’s mächtige Persönlichkeit vorbereitet worden. Seine von philosophischen Gedanken durchdrungene, tief innerliche Auffassung und sein kraftvolles Wort hatten die Schlaffen aufgerüttelt und am meisten dazu beigetragen, die Herrschaft der rationalistischen Schule zu brechen. Daneben machten Orthodoxe und Pietisten sich geltend. Die kirchlichen Behörden waren meist noch mit Männern der alten Schule besetzt und wenig geneigt, das neu erwachte kirchliche Leben zu fördern. A. suchte über diesen sich bekämpfenden Parteien zu stehen, er betrachtete die kirchlichen Zwistigkeiten mehr vom philosophischen und politischen Standpunkte aus als vom religiösen und war so allerdings vor der Gefahr einseitiger Parteinahme bewahrt. Andererseits aber war ihm dadurch auch ein tieferes Erfassen der religiösen Fragen erschwert, das nur dann stattzufinden pflegt, wenn eigene Ueberzeugung ihrem Verständniß entgegenkommt. Dies scheint bei A. nicht der Fall gewesen zu sein. Gerade in religiöser Beziehung kann er bisweilen, trotz seines Zartgefühls und seines reichen Gemüthslebens, nicht recht begreifen, was anderen das Herz bewegt oder das Gewissen bedrückt. Seine Thätigkeit war vornehmlich auf die Erhaltung des Friedens gerichtet, er suchte zu vermitteln und durch vorsichtiges Laviren heftige Ausbrüche zu verhindern. Dabei mußte er freilich auf die besondere kirchliche Politik des Königs und auf die orthodoxen Neigungen des Kronprinzen Rücksicht nehmen.

Den heftigsten Ansturm gegen die rationalistische Schule wehrte er noch gerade ab, indem es ihm gelang, Gesenius und Wegscheider, die Häupter dieser Partei in Halle, zu schützen, gegen die in den Jahren 1827 und 1830 ein erbitterter Kampf geführt wurde. Die Gegner bemühten sich unmittelbar auf den König einzuwirken. Namentlich die in Hengstenberg’s Kirchenzeitung veröffentlichten Betrachtungen des Präsidenten von Gerlach über die Vorlesungen der beiden Professoren waren darauf berechnet und erreichten ihren Zweck. In einer zornigen Cabinetsordre befiehlt der König „daß die empörenden Thatsachen sofort aufs strengste untersucht werden“ und fragt „ob denn für Theologen gar keine Grenzen ihrer Lehrfreiheit“ beständen. Dem gegenüber vertheidigte A. in vorsichtiger [653] und doch würdiger Art die Lehrfreiheit der Hochschulen. Der Zweck des Studiums auf der Universität, führte er in seinem Bericht an den König aus, sei nicht, daß dort erst den Studirenden der christliche Glaube beigebracht werde; es komme vielmehr darauf an, „daß sie dort eine wissenschaftliche theologische Bildung, wie solche der Dienst der Kirche erheischt, erhalten. Der evangelische Glaube kann dadurch bei ihnen, ist er rechter Art, nicht leiden, da er auch gegen die Zweifel vorhalten muß, welche sich ihnen bei wissenschaftlichen Erörterungen aufdringen. Sie lernen solche abzuweisen, wenn sie sich ihrer Ausbildung nach allen Richtungen mit Ernst hingeben und ihr kirchliches Verhältniß festhalten.“ Der König erklärte sich im ganzen damit einverstanden, sprach aber doch den bestimmten Wunsch aus, daß in Zukunft bei der Neuanstellung von Professoren der Theologie „die Anhänglichkeit an den Lehrbegriff der evangelischen Kirche“ mit „ernstlichster Sorge“ berücksichtigt werde.

Infolgedessen wurden seitdem die erledigten theologischen Professuren und die wichtigeren Aemter des Kirchenregiments überwiegend mit Orthodoxen besetzt, zum Theil auf Betreiben des Kronprinzen, der unter der Hand einen stetig wachsenden Einfluß in diesen Fragen gewann. Offene Einmischung desselben duldete der König in den kirchlichen Fragen ebensowenig wie in den politischen. Aber seine Schützlinge und Freunde in hohen und niederen Aemtern waren gern bereit, auf seine Wünsche Rücksicht zu nehmen. Auch der nachgiebige A. stand oft unter dem Banne des geistvollen und regsamen Prinzen, der in den liebenswürdigsten Formen, mit feiner Schmeichelei um seine Gunst und Unterstützung warb.

Des Königs Bestreben war vornehmlich auf die weitere Durchführung der Union gerichtet. Er wünschte eine möglichst vollständige Vereinigung der Confessionen herbeizuführen und dieselbe auch in den äußeren Formen zum Ausdruck zu bringen. Nachdem er durchgesetzt hatte, daß bei allen evangelischen Kirchen ein Talar eingeführt wurde ähnlich dem, wie ihn Luther und Melanchthon getragen hatten, war er auf eine übereinstimmende Liturgie bedacht. Auch hierbei ging er in eifrigen, vieljährigen Studien hauptsächlich auf Luther zurück. Die von ihm ausgearbeitete Agende wurde 1816 zunächst in der Potsdamer Hof- und Garnisonkirche eingeführt. Da sie große Aufregung hervorrief, wurde sie erneuter, eingehender Erwägung unterworfen und dementsprechend verändert, dann aber wurde 1830 ihre Einführung in allen evangelischen Kirchen befohlen. An den vorbereitenden Maßregeln hat der Minister keinen Antheil gehabt, die ihm aufgetragene Durchführung hat er aber mit großem Eifer betrieben und ist dabei gegen die widerstrebenden Gemeinden mit einer sonst bei ihm ganz ungewöhnlichen Strenge vorgegangen. Selbst vor den härtesten polizeilichen Maßregeln schreckte er nicht zurück, obwol der König selbst zur Milde neigte und lieber durch Ueberzeugung und Ueberredung, durch Freundlichkeit und durch Belohnungen für die Nachgiebigen sein Ziel erreichen wollte als durch Bestrafungen. In einem Bericht vom 2. November 1833 führt A. aus, daß der König kraft des ihm zustehenden jus liturgicum allen lutherischen und reformirten Gemeinden die Agende vorschreiben könne, daß die Klagen über Gewissenszwang völlig unbegründet seien und deshalb Alle, die der Agende wegen aus der Landeskirche ausscheiden wollten, als gefährliche Sectirer behandelt und bestraft werden müßten. Der Justizminister v. Mühler erklärte freilich diese Ansicht für irrig und von den Gerichten wurden die Angeklagten meist freigesprochen. Die angedrohten Maßregeln konnten also nicht in vollem Umfange durchgeführt werden, man war außer Stande, die Separation und die Auswanderung zu verhindern, so daß nichts übrig blieb als nach und nach einige Zugeständnisse zu machen. Die Verhandlungen über dieselben zogen sich so in die Länge, daß sie beim Tode des Ministers und des [654] Königs noch nicht abgeschlossen waren und es ihren Nachfolgern überlassen blieb, diese Verhältnisse zu regeln. In dem ersten Bericht, den Minister v. Rochow darüber dem neuen Könige erstattete, heißt es, daß die bisherigen Maßregeln bedingt gewesen seien „durch des hochseligen Königs eigenthümliche Ansicht“ und durch „die Ueberzeugung des verstorbenen Ministers“.

Noch heftiger waren die Zwistigkeiten, in welche die Regierung mit den Eiferern der römisch-katholischen Kirche gerieth, namentlich inbetreff der Hermesianer und der gemischten Ehen. Hermes’ Lehre und Schriften hatten in der Zeit des religiösen Friedens die weiteste Verbreitung und die größte Anerkennung gefunden, ein sehr großer Theil der Professoren an den katholischen Facultäten und an den Seminaren, Tausende von Geistlichen in den preußischen Provinzen gehörten zu ihren Anhängern. Als Hermes 1820 von Münster, wo er bereits mit dem Generalvicar Clemens August v. Droste-Vischering in Streit gerathen war, nach der neuen Universität Bonn übersiedelte, verbot der Generalvicar allen jungen Theologen seines Bisthums den Besuch dieser Universität und verlangte, daß sie nur an der Akademie in Münster studiren sollten. Der Oberpräsident v. Vincke erklärte diese Verfügung für nichtig und fand dabei von Seiten des Ministers kräftige Unterstützung. Da der Generalvicar sich bei den weiteren Verhandlungen ganz unzugänglich zeigte und jedes Entgegenkommen ablehnte, wurde die theologische Facultät in Münster suspendirt und die Wiederaufnahme ihrer Thätigkeit erst gestattet, nachdem Droste sein Amt als Generalvicar niedergelegt hatte. Später aber, als 1835 der Papst Hermes’ Lehre verurtheilt hatte, fügte sich der Minister. Alle Anhänger der als ketzerisch erklärten Ansichten mußten sich unterwerfen, wer sich dessen weigerte, wurde seines Lehramtes enthoben.

Auch hinsichtlich der gemischten Ehen hatte bis zu jener Zeit ein friedliches Verhältniß bestanden. Die in den alten Provinzen früher geltende landrechtliche Bestimmung, nach welcher die Söhne in der Religion des Vaters, die Töchter in der Religion der Mutter erzogen wurden, war 1803 dahin abgeändert worden, daß alle Kinder in der Religion des Vaters unterrichtet werden sollten, daß die Ehegatten zwar berechtigt seien, hiervon abzuweichen, aber kein Theil den andern durch Vertrag dazu verpflichten dürfe. Die Ausführung dieses Gesetzes fand keinen Widerstand, nur in Münster, das 1815 wieder mit dem preußischen Staate vereinigt wurde, machte der vorher genannte Generalvicar Droste Schwierigkeiten und lehnte sogar jede Verhandlung ab, da er in kirchlichen Dingen nur dem Papste, aber nicht der weltlichen Obrigkeit Rede zu stehen verpflichtet sei. Durch seinen Rücktritt schienen auch hier die Hindernisse beseitigt zu sein, und die preußische Regierung beschloß 1825, die Declaration von 1803 auf die 1815 neu erworbenen Provinzen auszudehnen. Die rheinischen Bischöfe wandten sich hierauf unter Vermittlung der preußischen Regierung an den Papst, der indessen den Anspruch auf die katholische Erziehung aller Kinder nicht aufgeben wollte. Nach längerer Verhandlung wurde in dem Breve von 1830, unter weitschweifigen Erörterungen über die Nachtheile der gemischten Ehen und über des Papstes Bereitwilligkeit auf die Wünsche des Königs Rücksicht zu nehmen, zwar die Anerkennung der ohne Mitwirkung des katholischen Geistlichen geschlossenen Ehen zugestanden, dem katholischen Geistlichen aber höchstens die passive Assistenz gestattet und jede kirchliche Feierlichkeit verboten. Die Regierung war hiermit nicht zufrieden und suchte weitere Zugeständnisse zu erlangen. Da ihr dies nicht gelang, entschloß sie sich 1834, das Breve den Bischöfen amtlich mitzutheilen, aber erst, nachdem dieselben, unter der Führung des versöhnlichen Erzbischofs Spiegel von Köln, sich mit ihr über die Art der Ausführung geeinigt hatten. Nach dieser Vereinbarung sollen die Geistlichen in der Regel die kirchliche Einsegnung gewähren und dabei dem guten Willen des katholischen Theils und der Kraft ihrer [655] väterlichen Ermahnung vertrauen, von dem förmlichen Versprechen über die Erziehung der Kinder aber Abstand nehmen. Allzu geschickt war das Verhalten der Regierung in dieser Angelegenheit nicht gewesen, immerhin war ein Auskunftsmittel gefunden, das so lange ausreichen konnte, als versöhnliche Männer an der Spitze der Diöcesen standen und trotz der rührigen ultramontanen Agitation ihr Versprechen erfüllten.

Erzbischof Spiegel starb bereits 1835. Die Erhaltung des kirchlichen Friedens schien davon abzuhängen, daß auch sein Nachfolger bereit war, denselben zu fördern. Bei der Stimmung des Domcapitels konnte die Wahl eines solchen Prälaten ohne Mühe erreicht werden. Die preußische Regierung ließ sich aber durch den Kronprinzen und einflußreiche Gesinnungsgenossen desselben bewegen, dem Domcapitel die Wahl eben jenes Clemens August v. Droste-Vischering vorzuschlagen, der früher in Münster wiederholt seine hierarchische Gesinnung bekundet und den Gesetzen des Staates Trotz geboten hatte. Die Regierung selbst hat die Wahl dieses fanatischen Mannes durchgesetzt und damit der ultramontanen Partei in Preußen ihren Führer gegeben. Allerdings hatte Droste ausdrücklich versichert, daß er jene Vereinbarung nicht angreifen, sondern nach dem Geiste der Liebe und der Friedfertigkeit anwenden werde. Später erklärte er, an diese Versicherung nicht gebunden zu sein, da er sie in der irrthümlichen Voraussetzung abgegeben habe, daß die Vereinbarung der Bischöfe mit dem Breve des Papstes übereinstimme. In allen Punkten, wo dies nicht der Fall sei, wollte er nur das letztere gelten lassen. Auch in anderen Fragen trat er ebenso schroff auf. Die Regierung kam deshalb schließlich zu der Ueberzeugung, daß seine Entfernung vom Amte nothwendig sei. A. schrieb ihm, um ihn zu freiwilliger Niederlegung desselben zu bestimmen. Als der Erzbischof dies unbedingt ablehnte, wurde er verhaftet und nach Minden geführt. Bei diesem Vorgehen gegen die Person des Erzbischofs fand A. auch die Unterstützung des Kronprinzen, der über das trotzige Verhalten Droste’s erzürnt war. In der Sache aber rieth der Prinz zur Nachgiebigkeit und suchte in diesem Sinne sowol auf den König wie auf den Minister zu wirken. Man folgte seinem Rathe. Die Cabinetsordre vom 28. Januar 1838 überwies die Entscheidung in allen zweifelhaften Fällen den Bischöfen.

Inzwischen hatte sich der Papst mit leidenschaftlichen Worten der Sache des verhafteten Erzbischofs angenommen. Dies veranlaßte den Erzbischof Dunin von Posen, der bisher in seiner Diöcese die Beobachtung der staatlichen Gesetze zugelassen hatte, jetzt gegen dieselben aufzutreten. Auch das freundliche Entgegenkommen der Regierung und ein von dem König persönlich unternommener Versuch, einen Ausgleich herbeizuführen, konnten ihn nicht zur Nachgiebigkeit bewegen. So blieb zuletzt nichts übrig als ihn gleichfalls zu verhaften. Erst nach dem Tode des Königs gab er versöhnliche Erklärungen und erhielt darauf die Erlaubniß, in seine Diöcese zurückzukehren. Dem Erzbischof von Köln wurde dies auch von Friedrich Wilhelm IV. nicht gestattet, er mußte in die Bestellung eines Coadjutors willigen und diesem die Führung der Geschäfte übertragen.

In den kirchlichen Angelegenheiten ist Altenstein’s Verwaltung offenbar nicht glücklich gewesen. Bei den Evangelischen wie bei den Katholiken war der Frieden gestört worden, die Regierung hatte die strengsten Maßregeln angewendet und trotzdem ihren Willen nicht durchsetzen können. Der Aufschwung des kirchlichen Lebens war vornehmlich der orthodoxen und ultramontanen Partei nützlich geworden, die allerdings an dem Thronfolger einen einflußreichen Freund und starken Beschützer hatte.

Die Unterrichtsverwaltung hat größere Erfolge zu verzeichnen: die Gründung der Universität Bonn, des Berliner Museums, der Thierarzneischule, der [656] Gärtnerlehranstalt, die Wiederherstellung der Malerakademie in Düsseldorf, die Erweiterung der Universität Halle, das Aufblühen der neuen Hochschulen in Berlin und Breslau, die Umgestaltung des botanischen Gartens und der Charité, die Neugründung oder Ausgestaltung anderer wissenschaftlicher Institute und künstlerischer Unternehmungen, die Errichtung zahlreicher neuer Gymnasien und Schullehrerseminare, sowie die vollständige Durchführung der allgemeinen Schulpflicht, Leistungen, die um so mehr anzuerkennen sind, als sie in einem sparsamen und nicht reichen Staate mit verhältnißmäßig geringen Geldmitteln durchgeführt werden mußten. Diese Unternehmungen wurden zwar hinsichtlich der Kunst durch die warme Theilnahme des Hofes, namentlich des Kronprinzen, unterstützt, andererseits aber durch die bald nach dem Befreiungskrieg hereinbrechende Reaction ganz außerordentlich erschwert.

Die burschenschaftliche Bewegung, das Wartburgfest, die blutige That Sand’s haben diese Reaction gefördert und in den maßgebenden Kreisen eine den Universitäten abgeneigte Stimmung hervorgerufen. Altenstein’s Gegner am Hofe glaubten, daß er den Ausschreitungen nicht energisch genug entgegentrete, daß er die Studirenden und ihre Lehrer nicht genügend im Zaume halte. Sie hätten ihn gern aus seinem Amte entfernt, und da sich dies bei der freundlichen Gesinnung des ihm persönlich wohlwollenden Königs nicht ohne weiteres durchsetzen ließ, so suchten sie ihm sein Amt zu erschweren und ihn zum freiwilligen Rücktritt zu drängen. Diesen Gefallen that A. seinen Gegnern nicht. Es würde noch schlimmer werden, wenn er ginge, sagte er zu seinen Vertrauten. Deshalb duckte er sich lieber, um das Unwetter vorübergehen zu lassen. Er ließ es sich gefallen, daß Geheimrath Kamptz, einer der rührigsten unter den Förderern der Reaction, als Director der Unterrichtsabtheilung in das Cultusministetium eintrat, daß diejenigen Räthe, denen er am meisten vertraute, in ihrer Wirksamkeit beschränkt und andere Mitarbeiter, mit denen er nicht übereinstimmte, ihm aufgezwungen wurden. Männlich und stolz war sein Verhalten nicht, aber man wird wol zugeben müssen, daß er – wie Bischof Eylert meint – durch sein Temporisiren, Häsitiren, Laviren, Cunctiren und ad interim-Verfügen manches Böse abgewendet und manche verwickelte, vielfach angefeindete Sache erhalten und gefördert, auch manchen tüchtigen Mann und verdienten Gelehrten geschützt hat, den sonst die Leidenschaft der Gegner aus dem Amte verdrängt haben würde.

Gern hätte er auch das Turnen erhalten und dasselbe, um es von allen Auswüchsen und Uebertreibungen zu befreien, dem öffentlichen Unterricht eingefügt und untergeordnet. Er konnte aber nicht verhindern, daß 1820 auf Befehl des Königs die Turnplätze geschlossen und das Turnen in der bisher üblichen Weise verboten wurde. Seine Vorschläge für eine anderweitige Regelung des Turnwesens erhielten nicht die Billigung des Königs, eine allgemeine Ordnung mußte deshalb unterbleiben. Soweit aber einzelne Gymnasien und Erziehungsanstalten körperliche Uebungen ihrer Schüler wünschten, wurden sie von dem Minister nicht daran gehindert. In einem Erlasse an die Oberpräsidenten erklärte er es für unbedenklich, dieselben zu gestatten, nur nicht in dem Geiste und in der Form der untersagten Turnübungen. Erst 1837 konnte das Turnen wieder in weiterem Umfange erlaubt und den Gymnasien empfohlen werden.

Durch die Reaction ist auch der Plan eines allgemeinen Schulgesetzes gescheitert, für dessen Förderung A. bemüht gewesen ist, wenn er auch seltsamer Weise keinen unmittelbaren Antheil an der Ausarbeitung gehabt hat. Die Stimmung der Zeit war nicht darnach angethan, das kirchliche Aufsichtsrecht abzugrenzen und die Schulunterhaltungspflicht gleichmäßig zu ordnen. Das letztere war überhaupt nicht gut möglich, ehe nicht die Verwaltung und die rechtliche Stellung der Landgemeinden geregelt waren. Dies zu thun, hatte [657] man 1807 in Aussicht genommen, doch sind noch Jahrzehnte bis zur Ausführung vergangen. Damals haben außerdem noch andere Umstände mitgewirkt, so die Verschiedenheit der Ansichten über die Einrichtung der höheren Schulen. 1819 war der Entwurf fertig gestellt und wurde den Provinzialbehörden sowie den Bischöfen zu gutachtlicher Aeußerung übersendet. Er fand vielfachen Widerspruch, über den eine Einigung nicht erzielt werden konnte. Am 12. Februar 1823 meldet A. dies dem Könige, aber, schreibt er: „die Einrichtung und Verbesserung des Schulwesens steht inzwischen nicht still, vielmehr lasse ich es mir angelegen sein, dieselbe … im Fortschreiten zu erhalten … so daß die Schulordnung gewissermaßen vorbereitend ins Leben gesetzt wird.“ Nach diesem Plane hat der Minister in der That gehandelt. Ein allgemeines Gesetz war nicht zu erlangen, auf dem Wege der Verordnung aber ist Vieles und Bedeutsames erreicht worden.

Im einzelnen darzulegen, wie A. bemüht war, Wissenschaft und Kunst zu pflegen, die hervorragenden Männer durchzugehen, die von ihm unterstützt, gefördert, an die Universitäten und Akademien berufen wurden, kann nicht der Zweck dieser Skizze sein. Dafür ist die Zahl der berühmten Namen zu groß, obschon nicht in allen Fällen die Wahl auf den rechten Mann gefallen ist. Auch an argen Mißgriffen hat es nicht gefehlt, und manche ausgezeichnete Kraft ist dem preußischen Staate verloren gegangen, weil man ihre Bedeutung nicht erkannte und sich nicht die Mühe gab, sie zu gewinnen oder festzuhalten. In der Regel wird A. vorgeworfen, daß er einseitig Hegel und seine Schule begünstigt habe. Dies ist indessen nicht eigentlich von ihm selbst ausgegangen, der zwar in manchen Punkten mit dem gefeierten Philosophen übereinstimmte und von der Allgewalt des Staates eine nahezu ebenso hohe Meinung hatte wie dieser, sich aber seiner Lehre keineswegs völlig hingab. Im ganzen hielt er mehr zu Fichte und äußerte wiederholt, daß er in seinen eigenen Studien nicht über diesen hinaus gekommen sei. Er machte nicht den Anspruch, die Zeitströmung zu leiten, sondern folgte ihr, um so leichter, als dieselbe in seinem Vertrauten, Johannes Schulze, dem begeisterten Freunde und Schüler Hegel’s, einen sehr beredten Vertreter hatte. A. war nicht immer mit Schulze’s Vorschlägen einverstanden und hat auch wol hier und da an seiner abweichenden Meinung festgehalten. Da Schulze aber dem Minister an Klarheit des Urtheils wie des Willens überlegen war, so hat er sich, wie er selbst erzählt, „fast ohne Ausnahme seiner endlichen Zustimmung“ erfreuen können.

Noch größeren Einfluß übte Schulze in der Leitung des höheren Schulwesens. A. folgte hier fast überall dem Rathe des sachkundigen Mannes, so daß sowol der Ruhm als auch die Verantwortung für die bedeutenden Veränderungen, die unter dem Ministerium A. auf diesem Gebiete stattfanden, mehr dem Berather als dem Minister zusteht. Als die wichtigsten dieser Veränderungen erscheinen: 1825 die Einrichtung der Provinzial-Schulcollegien für das höhere Schulwesen, das bisher unter den Consistorien gestanden hatte und nunmehr größere Gewähr fachmännischer Leitung und Beaufsichtigung erhielt; die neue Ordnung für die Prüfung der Lehrer an den höheren Schulen von 1831, die Ordnung für die Abgangsprüfung der höheren Bürger- und Realschulen von 1832, die Umänderung der Abiturientenprüfung an den Gymnasien von 1834, der Normallehrplan von 1837. Das hierbei für die Gymnasien erstrebte Ziel ging darauf hinaus, eine allseitige harmonische Ausbildung der Schüler zu erreichen. Zu diesem Zwecke sollte der Mathematik, der Naturwissenschaft und der Geschichte eine erhöhte Thätigkeit zugewendet werden, trotzdem aber sollten die alten Sprachen nach wie vor im Mittelpunkte des Unterrichts stehen. Lateinisch [658] wurde zwar etwas beschränkt, Griechisch aber stärker als bisher betont und für alle Schüler der Gymnasien obligatorisch gemacht. Zeit und Kraft für solche Arbeit sollte durch größere Concentration des Unterrichts, durch Ausstattung der Schulen mit den besten Unterrichtsmitteln, durch bessere Vorbildung der Lehrer und durch strengere Auswahl bei der Anstellung derselben gewonnen werden. Dies durchzuführen erforderte bedeutende Geldmittel, um die äußere Lage der Lehrer einigermaßen befriedigend zu gestalten und die nöthigen Lehrmittel zu beschaffen. In dieser Beziehung ist A. eifrig bemüht gewesen, wenn auch nur mit theilweisem Erfolge.

Die erhöhten Anforderungen an die Arbeitskraft der Gymnasiasten riefen großen Widerspruch und scharfen Angriff hervor. Zunächst von seiten derer, die den Unterricht in den alten Sprachen beschränken wollten. Sie fanden für diese Forderung in den höchsten Kreisen Unterstützung; auch der König hat sich wiederholt in diesem Sinne ausgesprochen, ließ sich indessen beschwichtigen. Am gefährlichsten von ihnen war Kamptz, der acht Jahre lang (1824–1832) an der Spitze der Unterrichtsabtheilung stand und auch später als Justizminister großen Einfluß ausübte. In seinem Kampfe gegen die deutschen Ideologen hätte er das Studium des Griechischen am liebsten ganz beseitigt. Ueberdies war er der Meinung, daß es weniger auf das Maaß des Wissens ankomme, als auf die in den Schülern zu erweckende religiöse und politische Gesinnung. A. und Schulze ließen sich aber von ihrem Ziele nicht abwenden. Nur kamen sie dem Verlangen nach stärkerer Betreibung der realen Wissenschaften so weit entgegen, daß den Städten erlaubt wurde, auf ihre Kosten höhere Bürger- und Realschulen einzurichten, und diese nicht ganz so streng wie die Gymnasien in das bureaukratische Joch gleichmäßiger Anforderungen eingespannt wurden. Die Humanisten andererseits waren unwillig, daß die Alleinherrschaft der lateinischen Sprache eingeschränkt wurde. Sie schalten auf „die neue Lehrweisheit in Preußen“, die zu vielerlei lehre, „durch Ueberladung, Ueberspannung und Ueberbietung die Blüthe der Regsamkeit in der Jugend zerdrücke und die Sammlung des Geistes störe.“ Doch mußte selbst Thiersch, der bedeutendste und zugleich der heftigste unter den Wortführern dieser Richtung, „die Energie des Bestrebens, die Wissenschaftlichkeit und die Bildung des Lehrstandes, die Unterstützung der Behörden“ anerkennen und er erklärte: „die preußischen gelehrten Schulen sind zwar nicht, was sie sein könnten, wol aber die besten unter allen, deren Europa sich jetzo rühmen kann.“ Aehnliche, zum Theil uneingeschränkte Anerkennung fand das höhere Schulwesen in Preußen auch durch andere auswärtige Gelehrte und Schulmänner. Im Inlande aber wollten die Klagen nicht verstummen. Am meisten Aufsehen erregten 1836 die Ausführungen des Medicinalrathes Lorinser, daß die Ueberbürdung der Schüler ihre körperliche Entwicklung verhindere. Die zum Beweise dessen vorgebrachten angeblichen Thatsachen erwiesen sich freilich bei eingehender Prüfung großentheils als unrichtig. Das Ministerium konnte also die Uebertreibungen abweisen und die Anklage auf ein bescheidenes Maaß zurückführen. Die Ermittlungen der Ersatzbehörden zeigten sogar, daß aus den Gymnasien mehr gesunde und brauchbare Soldaten hervorgingen als aus den Gleichaltrigen anderer Kreise.

Auf das Volksschulwesen konnte Johannes Schulze nicht so großen Einfluß ausüben, da 1820 hierfür ein besonderes Decernat eingerichtet wurde, das A., der Reaction nachgebend, dem Geheimrath Beckedorf (1820–1827) übertragen mußte. Dieser begünstigte ausschließlich die positiv-gläubige Richtung, die sich damals innerhalb der Pestalozzi’schen Schule entwickelte. A. sorgte dafür, daß auch die freiere Richtung, als deren Führer Adolf Diesterweg gilt, sich weiter entwickeln konnte. Selbst den letzten Rest der aus dem alten Philanthropin [659] stammenden Richtung der sogenannten Nützlichkeitsschule ließ er gewähren, wo dieselbe von erfahrenen Beamten, wie etwa Zerrenner in Magdeburg, vertreten wurde. Er hatte kein eigenes System, aber er bemühte sich, tüchtige Männer auszuwählen und diesen, soweit als möglich, die Bahn frei zu machen. Vor allem sorgte er für die Bildung der Volksschullehrer durch Errichtung neuer Seminare und durch die Verbesserung der bestehenden, ferner für Gründung und Ausstattung von Volksschulen. Bei seinem Tode war die in den älteren Landestheilen gesetzlich schon lange bestehende allgemeine Schulpflicht in dem ganzen Umfange des preußischen Staates thatsächlich durchgeführt, in einem so hohen Grade, wie er wol niemals vorher in einem großen Staate erreicht worden ist, die Zahl der Schüler und Schülerinnen betrug den sechsten Theil der gesammten Bevölkerung.

Schon diese kurze Uebersicht über die Thätigkeit der Unterrichtsverwaltung, über die Streitfragen, zu denen sie Veranlassung gab, und über die Schwierigkeiten, mit denen sie zu kämpfen hatte, zeigt, daß in den 23 Jahren des Ministeriums A. Bedeutendes geleistet worden ist, trotz der ungünstigen Verhältnisse, die einer vollen Entfaltung des geistigen Lebens entgegenstanden. Diese Verhältnisse zu bemeistern, war Altenstein’s Persönlichkeit allerdings nicht geeignet. Was unter ihm für Unterricht, Kunst und Wissenschaft geschehen ist, hat er nicht durch kühnes Vorgehen nach festem Plane erreicht, sondern indem er mit Zähigkeit an seinen Zielen festhielt, wenn er auch im einzelnen Falle dem auf ihn ausgeübten Drucke nachgab und von kräftigeren Naturen leicht bestimmt und beeinflußt wurde. Nur durch seine Nachgiebigkeit und Vorsicht ist es ihm gelungen, sich bis zum Tode in der Gunst des Königs und im Amte zu erhalten.

An diesem Amte hing er mit ganzer Seele. Er hatte ein starkes Gefühl seiner Würde und Bedeutung, er war zugleich stolz auf das Gute, das er wirken und fördern konnte. Mit großer Sorgfalt hielt er darauf, daß die zahlreichen Bittschriften eingehend untersucht und beantwortet wurden. Ganz besondere Freude gewährte es ihm, junge Talente zu unterstützen, oft hat er, wenn die Mittel nicht ausreichten, von dem Eigenen dazu gegeben. Wie die Freude am Wohlthun ist die Liebe zur Pflanzenwelt ihm bis ins Alter geblieben. Sich ihr zu widmen gaben der Sommersitz, den er in Schöneberg erworben hatte, und ein Weinberg bei Werder reiche Gelegenheit. Auch die weiten Räume seiner Amtswohnung waren fast wie ein Garten eingerichtet und oft von berauschendem Blumenduft erfüllt. Inmitten seltener Pflanzen und erlesener Kunstwerke lebte er den Geschäften, den Studien und seinen Liebhabereien.

In seinem Familienleben ist A. nicht glücklich gewesen. Seine Gattin starb 1805 nach kurzer Ehe an der Schwindsucht. Derselben Krankheit erlag 1829 der einzige Sohn, während er als Referendar bei der Regierung in Merseburg arbeitete. Mit seinen in Berlin lebenden Verwandten stand der Minister in innigem Verkehr. Eine unverheirathete Schwester führte sein Hauswesen, seitdem er die Frau verloren hatte, eine andere, jung verstorbene, war die Gattin Nagler’s gewesen. Dieser energische, rührige Mann hat, wie die Zeitgenossen übereinstimmend berichten, großen Einfluß auf A. ausgeübt, obgleich ihre politischen Ansichten ebenso verschieden waren, wie ihre Naturen. Wie Nagler einst zu den heftigsten Gegnern der Reform gehört hatte, so diente er nachher mit leidenschaftlichem Eifer der Reaction, die seinem Schwager das Leben so sehr erschwerte. Neben Nagler wird als dem Minister am nächsten stehend ein jüngerer Rath seines Ministeriums, Freiherr v. Stein zu Kochberg. Sohn[1] der Charlotte v. St. (s. o. S. 602), genannt, der mit seiner Nichte, der einzigen Tochter des früher erwähnten Bruders Sigismund, verheirathet war. Dieser Letztere war Rath im Justizministerium und starb 1835.

[660] Vgl. außer den allgemeinen Werken zur politischen und kirchlichen Geschichte Deutschlands bezw. Preußens in diesem Zeitraum, den Biographien und den Memoiren, Erinnerungen, Denkwürdigkeiten, Mittheilungen der Zeitgenossen: Germann, Altenstein, Fichte und die Universität Erlangen. – Mamroth, Geschichte der preußischen Staatsbesteuerung I. – Bornhak, Die preuß. Finanzreform von 1810 (Forsch. z. brand. Gesch. III). – Histor. Zeitschr. 26 und 65 (Arbeiten von Nasse und Varrentrapp). – Döllinger, Ueber gemischte Ehen. – Bunsen, Darlegung des Verfahrens gegen den Erzbischof von Köln. – Die Gesetzgebung auf dem Gebiete des Unterrichtswesens, Berlin 1869. – Paulsen, Gesch. des gelehrten Unterrichts. – Harnisch, Der jetzige Zustand des preuß. Volksschulwesens, Leipzig 1841. – Diesterweg, Pädagogisches Jahrbuch 1851. – Deutsche Revue VII. (Aus Altenstein’s Cultusministerium und Ein preuß. Staatsmann von Frhr. v. Stein zu Kochberg.)

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. S. 659. Z. 3 v. u. l.: Enkel (statt Sohn) der Charlotte. [Bd. 36, S. 792]

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Heinrich Friedrich Karl Reichsfreiherr vom und zum Stein (1757–1831); preußischer Beamter, Staatsmann und Reformer