ADB:Sand, Carl
Luden’s mit Kotzebue aufgeregt, der ihnen längst wegen seiner Aeußerungen über das Wartburgfest, über das studentische Treiben und wegen seiner ganzen Tendenz verhaßt war. Auch in Sand’s Aufzeichnungen lesen wir öfter [339] von Kotzebue. Am 5. Mai 1818 schreibt er, nachdem er in Christus Trost gesucht für die „wehmüthige Bangigkeit“, welche ihn oft beschleiche: „Wenn ich sinne, so denke ich oft, es sollte doch einer muthig über sich nehmen, dem Kotzebue, oder sonst einem solchen Landesverräther das Schwert ins Gekröse zu stoßen.“ Die höchst übertriebenen Anschuldigungen Luden’s, Kotzebue habe in seinem bekannten Bericht an Kaiser Alexander die ganze deutsche Litteratur, ja die Sache der ganzen Menschheit geschmäht, gewannen in Sand’s wirrem Kopfe die Steigerung, als sei in Kotzebue das Böse der ganzen Zeit verkörpert. Seine christlich-germanische Ueberschwänglichkeit erblickte allmählich in dem frivolen Spötter den gefährlichsten aller Menschen. Die absolute politische Unwissenheit und Urtheilslosigkeit Sand’s ließ in ihm die Meinung aufkommen, das Vaterland werde gerettet sein, wenn dieser Kotzebue beseitigt worden. Ein Brief an seine Mutter vom Ende November enthält bereits deutliche Hinweise auf den Entschluß, diese Rettung zu vollbringen, und am 31. December spricht er diesen Entschluß ganz unumwunden aus: „Soll die Sache der Menschheit aufkommen in unserem Vaterlande, soll in dieser wichtigen Zeit nicht Alles wieder vergessen werden und die Begeisterung wieder auflohen im Lande, so muß der Schlechte, der Verräther und Verführer der Jugend, A. v. Kotzebue nieder.“ Er werde keine Ruhe haben, bis er das ausgeführt, was ihm als zwingende Pflicht erscheint. Von jetzt an bereitet er sich auf sein Verbrechen mit einer ruhigen Planmäßigkeit, mit einer klaren Ueberlegung vor, als wäre er der kälteste Rechner. Er besucht die Anatomie, um sich genau über die Lage des Herzens zu unterrichten. Er macht Stoßübungen für seinen ganz speciellen Zweck. Im übrigen besucht er die Vorlesungen bis zum Schlusse des Semesters. Vor seiner Abreise von Jena kündigt er seinen Eltern in einem ausführlichen Abschiedsbriefe an, was er thun werde. „In Angst und bittern Thränen zum Höchsten gewandt“ warte er schon lange, ob ihm Niemand zuvor käme, ihn „nicht zum Morde geschaffenen“ von der schrecklichen Pflicht erlöse. Da aber sich Niemand gefunden, müsse er es thun, denn „wer soll uns von der Schande befreien, wenn Kotzebue ungestraft den deutschen Boden verlassen und in Rußland seine gewonnenen Schätze verzehren wird?“ In dieser fürchterlichen Verblendung verläßt er am 9. März 1819 Jena, trifft am 23. in Mannheim ein und vollbringt noch denselben Tag den Mord. Nachdem der Versuch sich selbst zu tödten, mißlungen, wurde er am 29. Mai hingerichtet.
Sand: Karl Ludwig S. wurde am 5. October 1795 in Wunsiedel geboren. Schon mit 14 Jahren war die patriotische Extase so stark in ihm entwickelt, daß, als Napoleon im J. 1809 Hof berührte, wo S. das Gymnasium besuchte, er den Ort verließ, weil es ihm unmöglich gewesen sein würde, mit Napoleon in derselben Stadt zu sein, ohne sein Leben an ihn zu wagen. Nachdem er 1814 seine theologischen Studien in Tübingen begonnen hatte, zog er im Frühling 1815 als Freiwilliger ins Feld; er beschwor seine Eltern, falls Napoleon siegen sollte, nicht in einem unterjochten Lande zu leben. Seine Studien in Erlangen fortsetzend, begrub er sich nunmehr in eine phantastisch düstere Lebensanschauung, welche nicht wenig dadurch vermehrt wurde, daß er seinen besten Freund vor seinen Augen ertrinken sah. Das Wartburgfest zog ihn nach Jena. Eine lange verworrene Denkschrift für das Fest beschäftigt sich mit den Aufgaben der deutschen Burschenschaft; sie wird ganz von dem unglücklichen Gedanken beherrscht, daß die Studenten das Heil Deutschlands zu wirken hätten. Das eigentlich politische Gebiet läßt er dabei ganz unberührt, bewegt sich immer in den vagsten Allgemeinheiten: alles unreine, unehrliche, schlechte soll aufs äußerste bekämpft werden. Diese Gedankenrichtung wird auch in Jena nicht wesentlich verändert. Den theologischen Studien liegt er zwar eifrig ob, sie wollen aber doch nicht recht gedeihen, weil er, wie er selbst schreibt, „eine schöne Zeit mit schlaffen Phantasien verschleudert“. Von der Tagespolitik ist auch jetzt noch weder in seinen Tagebüchern noch in seinen Briefen die Rede; die wirkliche Bewegung des öffentlichen Lebens bleibt ihm vollkommen fremd. Um so leichter kann sich seine patriotische Gluth an den geringsten Vorfällen erhitzen. Im Winter 1817 auf 1818 wird die Jenenser Burschenschaft sehr von dem bekannten Streit- C. L. Sand, dargestellt durch seine Tagebücher und Briefe, Altenburg 1821. – Noch 8 Beiträge zur Geschichte A. v. Kotzebue’s und K. L. Sand’s, Mühlhausen 1821.