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Artikel „Schön, Heinrich Theodor von“ von Wilhelm Maurenbrecher in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 32 (1891), S. 781–792, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Sch%C3%B6n,_Theodor_von&oldid=- (Version vom 12. Dezember 2024, 11:17 Uhr UTC)
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Schön *): Heinrich Theodor v. S., Sohn des Amtsrathes und Domänenpächters Johann Theodor v. S. zu Schreitlaucken in Litthauen, geboren am 20. Januar 1773; zuerst im elterlichen Hause durch einen Hauslehrer unterrichtet, besuchte er Herbst 1788 noch nicht 16 Jahre alt die Universität in Königsberg, hörte dort juristische und staatswissenschaftliche Vorlesungen durch fast 3½ Jahre hindurch, und fand sich besonders von Schmalz und Kraus und Kant angeregt. Februar 1792 meldete er sich zur Prüfung als Referendarius bei der Kriegs- und Domänenkammer zu Königsberg. Es wurde ihm aufgegeben, ehe er in die Landesverwaltung eintreten könnte, erst praktische Erfahrungen und Kenntnisse über Landwirthschaft sich zu erwerben. S. weilte darauf neun Monate bei dem Amtsrath Petersen in Tapiau. Darauf wurde er dann auch zur Staatsprüfung zugelassen und nach glücklich bestandener Prüfung (27. April 1793) zum Referendarius ernannt. Nach mehreren Jahren amtlicher Beschäftigung bestand er das große Examen in Berlin (5. März 1796) und hatte nun die Anwartschaft auf Anstellung im Verwaltungsdienste des Staates erlangt. Aber den jungen Mann, in dessen Geist die neuen Staatslehren und staatswissenschaftlichen Theorien, wie sie nach dem Vorgange von Adam Smith sein Lehrer Kraus für Deutschland zusammengefaßt und entwickelt hatte, schon reichlich Wurzel geschlagen, lockte damals noch die Vorstellung, daß er erst in der großen Welt seinen Geist bilden und durch vergleichende Betrachtung und Studium außerpreußischer Zustände den Horizont seines eigenen Denkens erweitern sollte, ehe er in der Staatspraxis seines engeren Vaterlandes sich festbannen ließe. Mit Zustimmung seiner vorgesetzten Behörden unternahm S. von Berlin aus staatswirthschaftliche Studienreisen, welche ihn in die Fürstenthümer Magdeburg und Halberstadt, nach Dessau, Halle, Leipzig, Dresden, durch die kursächsischen Lande nach Thüringen und dann nach Schlesien führten; überall beobachtete er mit offenem Blick und scharfem Verstande (wie seine Tagebücher es darthun) die Einrichtungen und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens; von den Ursachen und Motiven des ganzen Zustandes gab er sich Rechenschaft und wog in seinem prüfenden Sinne Zweckmäßigkeit und Folgen der Regierungsthätigkeit ab. Während dieser Reise schien es ihm erwünscht auch England kennen zu lernen, das Mutterland der liberalen politischen und wirthschaftlichen Theorie, die er sich zu eigen gemacht hatte; er schloß seinem Freunde Weiß sich an; beide zogen über Göttingen und Hamburg nach England, im Frühling 1798. Der fast einjährige englische Aufenthalt erfüllte ihn mit begeisterter Bewunderung vor dem Charakter des englischen Staates und Volkes: „Durch England wurde ich erst ein Staatsmann“, in diesem Satz faßte er später selbst die Frucht seiner Reise zusammen. Schon während seiner Reisen war ihm (August 1797) die Ernennung zum Kriegs- und Domänenrath in Bialystock zu theil geworden; ihm kam es wie eine Verbannung vor, aber nicht länger als ein Jahr wurde er gezwungen dort auszuhalten; dann nachdem er erst noch einige Monate in Marienwerder gearbeitet, wo er seine erste Frau Lydia v. Auerswald kennen lernte (die Heirath fand am 3. Mai 1802 statt), kam er nach Berlin als Rath in das Generaldirectorium. Der Siebenundzwanzigjährige fand jetzt die erhoffte Gelegenheit sein Können zu zeigen und von seinen staatswissenschaftlichen Ideen im Mittelpunkt der preußischen Staatsverwaltung Gebrauch zu machen.

In dem Minister von Struensee und später in Struensee’s Nachfolger, dem Freiherrn vom Stein fand S. diejenigen Persönlichkeiten, an deren politische Richtung seine eigene politische und staatswirthschaftliche Ueberzeugung ihm vollen und herzlichen Anschluß nahelegte; in ihnen verehrte er seine politischen Führer und Meister. Ihm schien die Freimachung des Volkes von allen seine Bewegung [782] hemmenden Schranken und Fesseln eine aus dem englischen Staatsleben hergeleitete Lehre, welche auch auf deutschem Boden verwirklicht werden müßte; die Uebertragung und Anwendung der Adam Smith’schen Ideen bildete für ihn den Inhalt und die Aufgabe seines politischen Handelns. So lange S. in Berlin amtirte, hatte sich ihm noch nicht Gelegenheit zu eingreifenden Maßregeln geboten. Aber nach der Katastrophe des preußischen Staates im Herbst 1806, als König und Hof in den Osten des Staates fliehen mußten, kam auch S. mit den anderen Räthen nach Königsberg; er blieb in dieser Umgebung, selbst nachdem Stein aus dem Amt in offenem Zerwürfniß mit dem Könige geschieden; er gesellte sich in Bartenstein zu dem Kreise der Beamten, welche Hardenberg umgaben, wie Klewitz, Stägemann, Niebuhr, Altenstein; und als nach dem Tilsiter Frieden auch Hardenberg aus dem preußischen Staatsdienst auszutreten gezwungen war, wurde S. Mitglied der Immediatcommission, welche bis zur Ankunft Stein’s an die Spitze aller Staatsgeschäfte gestellt worden. Hier nahm S. mit größter Energie an den Maßregeln theil, durch welche dem gefallenen Staate eine Wiederaufrichtung und neues Leben verschafft werden sollte. Es steht fest, daß S. sehr entschieden mitgewirkt hat bei dem Gesetz des 9. October 1807, durch welches die Erbunterthätigkeit der Bauern aufgehoben und der Besitz und Erwerb von Grundeigenthum jedem freigegeben wurde. Wenn die historische Kritik allerdings das ausschließliche oder hervorragende Verdienst, das S. sich später selbst zugelegt hat, ihm nicht zugestehen kann und die gegen Stein’s Andenken von S. bei diesem Anlaß gerichteten gehässigen Bemerkungen nachdrücklich abweisen muß, so kann doch daran kein Zweifel walten, daß S. bei den Vorarbeiten dieser Gesetzgebung in erheblicher Weise thätig gewesen: er hat das vorbereitende Gutachten der Immediatcommission vom 12. August 1807 verfaßt, welches die actenmäßige Grundlage der weiteren Berathungen und Erörterungen abgab; er hatte an den Erwägungen über alle Einzelbestimmungen selbständigen Antheil; er vertrat dabei auch in Einzelfragen Grundsätze, die nicht in das Gesetz übergegangen; – ihm lag an der Sicherstellung eines leistungsfähigen ländlichen Arbeiterstandes viel weniger als an der vollständigen schrankenlosen Einräumung der Freiheit des Handelns auch zu Gunsten der Gutsbesitzer, ohne Schutzmaßregeln für die bisher abhängigen Bauern; – während dieser Arbeiten lag seine Frau im Sterben; nichtsdestoweniger schrieb er heroischen Muthes seine Arbeit fertig und eilte dann ans Sterbebett der Gemahlin, die er aber nicht mehr im Leben antraf († 16. August 1807 in Königsberg). Das Gesetz, dessen Grundsätze mit den bekannten Gedanken Stein’s durchaus übereinstimmten, wurde weiterhin durch S. und seine Genossen seinem Abschlusse nahegeführt, so daß nach Stein’s Uebernahme der Staatsleitung sofort die letzte Hand angelegt werden und die Vollziehung und Veröffentlichung des fertigen Erlasses eintreten konnte; Stein hatte im letzten Augenblick noch demselben die allgemeine Geltung für alle preußischen Provinzen gesichert: es bedeutete den ersten festen und entschiedenen Schritt auf der Bahn einer gründlichen Reform des gesammten Staatswesens in Preußen. Bei den einzelnen Maßregeln, durch welche die Ausführung des Gesetzes gesichert, wie überhaupt bei der Vorbereitung der weiteren von Stein in Angriff genommenen Reformgesetzgebung (z. B. auch der Städteordnung) war S. 1807 und 1808 in erster Linie beschäftigt; als den vornehmlichsten Gehülfen Stein’s muß man ihn betrachten. Es lag daher sehr nahe, daß grade S. in dem Augenblick, als Stein zum Leidwesen der Patrioten und gegen seinen eigenen Wunsch von der Leitung Preußens zurückzutreten gezwungen wurde, die Aufgabe übernahm, für alle Zeit und zunächst für Stein’s Nachfolger die wichtigsten Gedanken und Principien der preußischen Reform in einem Rundschreiben zusammenfassend zum Ausdruck zu bringen. Aus seiner Feder stammte der Entwurf des sog. „politischen Testamentes Stein’s“, welches als vollgültigen Inbegriff seines [783] politischen Denkens Stein anerkannte und bei seiner Abreise am 5. December 1808 als Rundschreiben an die obersten Behörden ausgehen ließ. S. gehörte damals zu den entschiedensten und treuesten Anhängern und Gesinnungsgenossen des abgetretenen Ministers; ihn hatte daher Stein selbst als Finanzminister in das jetzt neu zu bildende Ministerium aufzunehmen empfohlen. Aber bei dem Könige überwog der Rath, welchen Hardenberg im November ertheilt hatte: Finanzminister wurde Altenstein, S. wurde Geheimer Staatsrath und im Ministerium des Innern (unter Graf Alexander Dohna) an die Spitze des Departements für Handel und Gewerbe gestellt. Nicht allzulange hielt er es in dieser Stellung aus; bald klagte er über allmäliges Abweichen der neuen Staatslenker aus Stein’s Bahnen; gegen die ihm durch die Geschäftsorganisation zugewiesene Stellung erhob er Einwendungen: so erbat er sich schon im April 1809 seine Versetzung nach Gumbinnen als Präsident der für Lithauen neu bestellten Regierungsbehörde. Dort blieb er gleichsam auf Vorposten in der in nächster Zeit anbrechenden schweren Krisis seines Vaterlandes. Er hatte am 11. Juli 1808 einen neuen Ehebund mit Amalie v. Langenau geschlossen, der Stief- und Pflegetochter des Feldmarschalls v. Brünneck und fand in häuslichem Kreise sein Leben hochbeglückt. Im Sommer 1810 tauchte zum zweiten Male die Aussicht seiner Berufung in die oberste Leitung der Staatsgeschäfte ihm auf. Als Hardenberg anfangs Juni 1810 an die Spitze der Staatsregierung trat, um aus sehr gefährdeter Lage einen Ausweg zu suchen, schien ihm S. ein sehr geeigneter Ministergehilfe, etwa für das Fach der Finanzen. So berief er am 8. Juni S. zu sich zu eingehender Besprechung. S. war darauf im Juni, Juli und August in Berlin; er begutachtete den Finanzplan des Staatskanzlers, dessen Grundzüge der König schon genehmigt; derselbe hatte aber nicht seinen Beifall. Ein von ihm ausgearbeiteter anderweitiger Plan mißfiel Hardenberg. Zu dieser sachlichen Differenz gesellten sich Verstimmungen auf beiden Seiten: S. konnte sich nicht verhehlen, daß der König ihm nicht volles Vertrauen schenkte, andererseits war der König in der That von den Charaktereigenschaften Schön’s nicht sehr erbaut oder befriedigt; er hielt S. „für einen treuen gebildeten Staatsdiener, zugleich auch für einen excentrischen Kopf, der als Minister obenan stehen, befehlen aber nicht gehorchen, seine Meinungen ausführen aber keine anderen annehmen wollte“. Doch scheinen ebensowohl Stein als Hardenberg damals seinen Eintritt ins Ministerium aufrichtig gewünscht zu haben. Aber an jenen Hindernissen scheiterte die Absicht; und S. kehrte Ende August 1810 auf seinen Gumbinner Posten zurück. Das Fehlschlagen seiner hochgehenden Erwartungen, – es konnte als eine Wiederholung der schon im November 1808 erlebten Enttäuschung aussehen – hinterließ in Schön’s ehrgeizigem Sinne eine Wunde, welche niemals wieder völlig vernarbte; es entstand in ihm ein Verdacht gegen die großen Staatsmänner Preußens; immer tiefer bohrte sich derselbe in sein Denken hinein und es dauerte nicht lange, bis den Gehülfen Stein’s und Hardenberg’s eine heftige und festwachsende Verachtung im innersten seines Herzens beseelte wider diejenigen Staatsmänner und Führer des Volkes, welche er öffentlich noch fortfuhr zu ehren und zu preisen. In den Tagebüchern, welche S. in jenen Jahren zeitweise geführt, und von denen Bruchstücke auf uns gekommen und veröffentlicht sind, lagerte er in aller Stille eine Masse von Gift und Galle und Bosheiten ab, durch die er sich wenigstens vor sich selbst für die ihm widerfahrene Enttäuschung und Zurücksetzung rächte – so waren ihm z. B. Stein und Hardenberg, denen er gleichzeitig seine Verehrung und Zuneigung bezeugte, „die beiden Satansklauen deren sich unser Herrgott bedient“; die niedrigsten und eigennützigsten Motive glaubte er für ihr öffentliches Auftreten annehmen zu müssen. Alle die glänzenden Gaben seines Geistes und seines Verstandes erhielten seit jener Zeit mehr [784] und mehr unerfreuliche und erschreckende Beimischungen von persönlicher Eitelkeit, die sich unbefriedigt und verletzt fühlte, und von bitterer Schmähsucht, welche hinter dem Rücken der betheiligten Mitarbeiter sich eine Art von Genugthuung verschaffte.

Schön’s Haltung und Thätigkeit beim Ausbruche des Freiheitskrieges von 1813 gehört zu den dunkelsten und bestrittensten Abschnitten seines Lebens. Die Erzählungen, die er in späteren Jahren selbst darüber in Umlauf gesetzt hat, erregen die größten und begründetsten Bedenken; es bleibt der historischen Kritik schließlich nichts übrig als ganz entschieden von allen späteren Darstellungen abzusehen, dem späteren Erzähler rundweg allen Glauben zu verweigern und ausschließlich an die gleichzeitigen Zeugnisse sich zu halten. Dadurch schwindet allerdings der Ruhmeskranz, den S. sich gerade wegen seines damaligen Verhaltens durch seine Erzählungen gesichert zu haben wünschte, auf eine sehr untergeordnete Bedeutung zusammen. Die aus Rußland anfangs 1813 zurückfluthende Kriegswoge traf ihn auf seinem Gumbinner Posten; ebenso dem siegreich vormarschirenden russischen Heere als dem preußischen Corps, das 1812 unter York an französischer Seite gefochten und neuerdings durch die Convention von Tauroggen einstweilen die Neutralität ergriffen, kam die Stimmung des ostpreußischen Landes freudig entgegen; und von der allgemeinen patriotischen Erregung jener Tage schloß sich der Gumbinner Präsident keineswegs aus. Wie er 1811 eventuell dazu ausersehen gewesen als Civilgouverneur dem General York bei einer allgemeinen Volkserhebung zur Seite zu stehen, so bot er, so weit es irgend möglich, auch anfangs 1813 die helfende Hand allem und jedem, was der großen Sache der Befreiung des Vaterlandes dienen konnte. Stein betrat Preußens Boden damals als Generalbevollmächtigter Rußlands, um Preußens Kräfte und Mittel für den Krieg gegen Napoleon aufzubieten; er schenkte dem früheren Genossen von 1808 unbedingtes Vertrauen; er wünschte ihn als Minister in die oberste Leitung und in die unmittelbare Umgebung des Königs erhoben zu sehen; er zählte wie auf etwas Selbstverständliches auf Mitwirkung und thatsächliche Hülfe seines alten Freundes. Mit rücksichtslosestem Feuereifer stürmte Stein damals vorwärts. Den preußischen Beamten, – Auerswald, S. und noch manchem anderen – erregte mancher einzelne Schritt Bedenken und mußte Bedenken erregen; sie wollten die Autorität ihres Königs nicht außer Acht lassen; sie wollten nicht ohne Befehl oder wenigstens nicht ohne Zustimmung ihres Königs den Anschluß an Rußland vollziehen und Stein’s Forderungen sich fügen. S. hatte mit Stein am 21. Januar eine persönliche Besprechung in Gumbinnen; nach den ihm hier gewordenen Aufklärungen ließ er Stein gewähren und fügte sich ohne weitere Schwierigkeiten in Stein’s Anordnungen. Der unliebsame Zwischenfall in Memel, wo es einmal so aussah, als ob der russische General als Eroberer auftreten wollte, wurde bald geschlichtet und ausgeglichen. Im Lande wallte immer ungestümer der Eifer der Patrioten auf; es galt denselben zu zügeln und in Ordnung zu halten. Stein’s Gedanke für den Fortgang des Unternehmens war, die Stände Ostpreußens zusammentreten zu lassen. Wol erhoben die Regierungen von Königsberg, von Marienwerder, auch von Gumbinnen Einwendungen gegen die Zulässigkeit des Verfahrens, S. erschien deshalb sogar selbst am 24. Januar in Königsberg und statt eines Landtages wurde nur eine freie Versammlung der Deputirten beliebt. Damit war S. befriedigt. Aber Auerswald, der Landhofmeister, weigerte sich den Vorsitz zu übernehmen, und substituirte sich den Herrn v. Brandt. Stein verlangte, daß S. eintreten sollte. Deshalb kam S. anfangs Februar nochmals nach Königsberg, aber auch er weigerte sich, außerhalb des Rahmens seiner amtlichen Befugnisse zu handeln. Man stand hart an allseitigem Conflicte, da [785] auch York auf Stein’s Verlangen nicht sofort sich zur Uebernahme des Vorsitzes in der Versammlung bereit fand. Aber zuletzt verfiel man auf einen Ausgleich, der das Wesentliche der Sache sicherte; die Annahme scheint immer noch eine sehr wahrscheinliche, daß gerade S. für diesen Ausgleich gewirkt: jener Brandt eröffnete am 5. Februar die Sitzung der Deputirten auf Grund des von Stein angemeldeten Verlangens; und dann baten die Deputirten York um Uebernahme der Leitung; ihnen willfahrte der General als der höchste Befehlshaber im Lande an Stelle seines Königs. In wenigen Tagen wurde die Errichtung der Landwehr beschlossen und alles in das beste Geleise geleitet. Ohne jeden Schein einer Auflehnung gegen den Willen des Königs hatten die Söhne Ostpreußens die allgemeine Kriegserhebung gegen den Franzosenkaiser aus eigenem Entschluß begonnen und damit dem übrigen Preußen und Deutschland ein leuchtendes Beispiel ihrer besonnenen und echten Vaterlandsliebe vorgezeichnet.

Beim Ausbruch des Krieges wurde S. zuerst (Patent vom 15. März 1813) zum Civilgouverneur der Länder von der russischen Grenze bis zur Weichsel bestimmt; schon nach wenigen Tagen wurde er zum Mitglied des für die von den alliirten Heeren zu besetzenden deutschen Länder bestellten Verwaltungsrathes ernannt (20. März); er begab sich ohne Zeitverlust nach Breslau, wo damals der Mittelpunkt des preußischen Staatslebens war. Er folgte den Bewegungen des königlichen Hoflagers, kam auch nach Dresden und von dort wieder nach Schlesien und Böhmen. Mehrmals schien ihm wiederum das Finanzministerium sich eröffnen zu sollen. Andererseits glaubte er auch feindseliger Abneigung und neidischer Mißgunst der leitenden Personen, ja persönlichem Mißtrauen des Königs zu begegnen. So begleitete er den Gang der Ereignisse im Sommer 1813 in einer nichts weniger als gehobenen Stimmung; im Herbst hoffte er als Gouverneur des in Besitz genommenen Sachsen der deutschen Sache nützlich werden zu können; auch hierin widerfuhr ihm die Enttäuschung, daß ihm ein Anderer, nach seiner Ansicht minderwerthiger vorgezogen wurde. Ohne während des Sommers 1813 die Gelegenheit zu eingreifender Thätigkeit gefunden zu haben, kehrte er nach Gumbinnen zurück (September 1813). Von dort wurde er 1816 als Oberpräsident der damals neugebildeten Provinz Westpreußen nach Danzig versetzt, während Auerswald die ostpreußische Verwaltung in Königsberg leitete. Bald fühlte S. sich in Danzig beengt, er strebte nach Ausdehnung seines Bezirkes; und als daher auf sein Betreiben die beiden Preußen zu der einen Provinz Preußen vereinigt wurden, erhielt S. als der erste dies neue Amt; er verlegte seinen Wohnsitz 1824 nach Königsberg.

Schön’s historische Bedeutung beruht vornehmlich auf seiner Thätigkeit als Oberpräsident, 1816–1842; hier konnte die ganze Eigenart seines Charakters sich zeigen; hier erwarb er sich um die Entwicklung der ihm anvertrauten Heimathsprovinz bleibende und rühmliche Verdienste. Er war ziemlich selbständig und unabhängig von den Berliner Ministern; als unumschränkter Herrscher schaltete er in seiner Provinz, ohne sich viel von seinen Vorgesetzten hereinreden zu lassen. Als „aufgeklärter Despotismus“, der die Menschen zu ihrem eigenen Besten, wenn sie es nicht einsehen, zwingt und anhält, läßt sich seine Provinzialregierung am sachgemäßesten charakterisiren. Mit großem Eifer ging S. daran, Wege und Chausseen zu bauen; unermüdlich hielt er sein Auge darauf gerichtet, daß das Schulwesen verbessert, ausgedehnt und verbreitet wurde; manchen Gutsbesitzer zwang er Schulen zu errichten und zu unterhalten. Sein Verdienst war es, daß die Herstellung der arg verfallenen und zerstörten Marienburg in Angriff genommen wurde; allgemeineres Interesse wußte er für diese Ueberreste altpreußischer Herrlichkeit zu erwecken. Frei Hand hatte man ihm [786] gewährt, nach seinem Ermessen die Staatshülfe für Wiederaufrichtung der Landwirthschaft zu leisten. Eine verhältnißmäßig große Summe (3 Millionen Thaler) war ihm zur Vertheilung an die geschädigten Gutsbesitzer und Landwirthe Ostpreußens anvertraut; und wenn auch von manchen Leuten über seine Vertheilungen geklagt wurde, so behauptete S. dennoch siegreich, das sachgemäße, gerechte und zweckmäßige Verfahren befolgt zu haben; er kannte in der That die Personen sowol als auch die sachlichen Bedürfnisse in Preußen; man muß zugeben, er traf in den meisten Fällen das Richtige. Daß dadurch aber sein Ansehen und seine Macht in der Provinz gewaltig wachsen mußten, lag auf der Hand. Auch für allerlei technische Verbesserungen in der Landwirthschaft bemühte er sich mit reichem Erfolge; insbesondere wurde die Einführung und Zucht des spanischen Schafes in Preußen seiner thätig eingreifenden Fürsorge verdankt. Wol war das Selbstbewußtsein, mit dem S. dieser Thaten sich freute, nicht ohne Berechtigung; eine große Schar ergebener Anhänger und Bewunderer erging sich in lärmendem Lobe. Andererseits fehlte es auch nicht an Gegnern und Hassern. Die scharfe persönliche Tonart, mit der S. seine geistige Ueberlegenheit oft geltend machte, trug dazu bei, die Gegensätze zu verschärfen. Daß er in religiösen und kirchlichen Fragen einer aufgeklärten Denkungsart huldigte, – im Rationalismus des vorigen Jahrhunderts war er ja groß geworden – zeigte sich nach verschiedenen Seiten hin. Der katholischen Geistlichkeit gegenüber war er der Vertreter der preußischen Staatsidee, der die katholische Kirche sich anzubequemen hatte; er verstand dafür zu sorgen, daß ernste Conflicte in diesen Landestheilen sich nicht erhoben oder nicht groß wurden; mit diesem Oberpräsidenten banden die Bischöfe sicher nicht an. Für die positive Kirchlichkeit auf evangelischer Seite hatte er allerdings nur wenig empfänglichen Sinn. Und mit einer specifisch pietistischen Gesellschaft, mit den Anhängern Ebel’s, mit der Sippe der „Mucker“ und „Seelenbräute“ stieß er heftig zusammen. Gerade daß gesellschaftlich und verwandtschaftlich ihm nahestehende Personen an diesen Dingen betheiligt waren, gerade diese Thatsache entflammte seinen besonderen Zorn. Und wenn schließlich die amtliche Verfolgung jener Secte wenig Erhebliches zu Tage förderte, so dienten die Vorgänge immer dazu, die Königsberger und ostpreußische gute Gesellschaft zu spalten und unter einander zu verfeinden. S. verfocht in diesen Händeln die Sache des gesunden Menschenverstandes wider pietistische Ausartungen; aber seine persönliche Einmischung trieb Gegensätze und Conflicte in vielleicht unnöthiger Verschärfung auf die Spitze. Seine Spottreden kränkten und erbitterten manche Gemüther. In überlegener Selbstherrlichkeit führte er sein Regiment, ohne Rücksicht auf Stimmungen und Gefühle anderer Personen. Mit den höheren Officieren gab es manche Reibung, da der Oberpräsident nicht gewillt war, dem Militär irgend welchen Vorrang oder Vortritt einzuräumen; gelegentlich verstand er dem herkömmlichen militärischen Ehrgefühl gegenüber das Selbstgefühl des Beamten scharf und schneidend zu betonen. Als 1831 aus Berlin Sperrmaßregeln gegen die Cholera angeordnet wurden, wagte er es offen die Berliner Weisungen bei Seite zu werfen; er setzte persönlich der Gefahr der Ansteckung sich aus, um zu zeigen, daß man an dieselbe nicht glauben dürfe; unerschüttert beharrte er auf seinem eigenen Vorhaben und Entschlusse. Auf die Stimmung und Gesinnung der Provinzialen bemächtigte sich S. allmählich eines maßgebenden Einflusses; ostpreußischem Wesen war seine Natur so verwandt, daß bereitwilligst die weitesten Schichten, bis auf einige wenige engere Kreise conservativen Adels und orthodoxer Kirchlichkeit, in dem Oberpräsidenten ihren Führer, ihr Vorbild und ihren Meister anerkannten und jubelnd verehrten. Mit den wissenschaftlichen Größen der Königsberger Hochschule verkehrte er auf vertrautestem Fuße; zu seinen Freunden zählten [787] Jakobi und Bessel und Bär und Burdach und Lobeck und Herbart und Rosenkranz: in ihrer Mitte erging er sich in ungehemmter und schonungsloser Rede über die Fragen der Zeit, über die Ereignisse in Staat und Kirche, in Wissenschaft und Handel. Seine natürliche Anlage neigte dahin, überall die Schatten zu sehen und zu fühlen, die Schwächen und Gebrechen der Mitmenschen zu beachten; Spott und Ironie, Tadel und Scheltrede waren ihm geläufig. So muß die objective Erwägung des Historikers die oppositionelle Strömung, das Nörgeln und Kritteln an allen staatlichen Dingen, – jene eigenthümlichen Züge, welche das ostpreußische Leben und Wirken im vierten und fünften Jahrzehnt unseres Jahrhunderts auszeichnen – zum größten Theil als das Echo der Reden und Gespräche des hochverehrten Oberpräsidenten, als die Frucht seiner amtlichen Wirksamkeit betrachten.

Wiederholt bot sich auch S. Gelegenheit in den Angelegenheiten des Gesammtstaates seine Auffassung geltend zu machen, – so 1817 in der wichtigen Frage der allgemeinen Verwaltungsorganisation insbesondere über die Stellung der Oberpräsidenten, welche S. sehr unabhängig zu machen, als die eigentlichen Häupter der Verwaltung hinzustellen wünschte. Er redete dem provinzialen Particularismus das Wort, der ihm selbst eine Art von Vicekönigthum in Preußen gesichert hätte. Und mit ungezügelter und höchst auffälliger Schärfe übte er bei diesem Anlaß beißende Kritik an den Ministern, welche der König an die Spitze gestellt; er bestand darauf, daß der König selbst alle die Bosheiten, mit denen der Kritiker seine Denkschrift ausgefüllt, wirklich vorgelegt erhielt. Mit offenherzigstem Freimuth gab er auf Befragen damals sein Gutachten ab, welches den König vor dem Vorhaben, einen neuen Ehebund zu schließen, eindringlich warnte. Auch an den Erörterungen und Berathungen über die verheißene reichsständische Vertretung hatte S. Antheil; nicht an ihm lag es, wenn alle Anläufe zu keinem Ergebniß hinführten. 1824 erneuerte S. den Versuch, die Oberpräsidenten zu eigentlich maßgebenden Provinzialministern zu machen; wie 1817, so gelang es auch 1824, die Staatseinheit gegen solche Gelüste zu schützen. Auffallen mag dem später lebenden deutschen Historiker die principiell ablehnende Haltung, welche S. gegen die Bemühungen um einen deutschen „Zollverein“ eingenommen hat; dieser Freihändler blieb ganz ausschließlich in den engen Grenzen der Smith’schen Ideen und Lehren. In den Verhandlungen der obersten Staatsbehörde über das gegen den Kölner Erzbischof Droste einzuschlagende Verfahren vertrat S. 1838 unentwegt und fest die Fridericianischen Grundsätze über die Behandlung der katholischen Kirche; das unsichere Schwanken der Regierung regte seinen ganzen Groll auf. Schon 1816 hatten sich für S. durch Vermittlung seines Freundes Niebuhr persönliche Beziehungen zum Kronprinzen angeknüpft; die Beiden traten in Briefwechsel. S. verstand es, auf den geistreichen Fürstensohn Eindruck zu machen; zäh hielt er an der Hoffnung fest, durch des Kronprinzen Einfluß doch noch in die leitende Ministerstellung berufen zu werden. Als immer wieder nichts daraus wurde, da spannte S. seine Erwartung auf die Tage, in denen der von ihm bewunderte und hochgehaltene Kronprinz selbst König geworden sein würde. Auch dieses letzte Hoffen aber sollte mit bitterster Enttäuschung enden.

Nach dem Thronwechsel von 1840 galt S. allerdings in weiten Kreisen als der Staatsmann der Zukunft; man bildete sich ein, er würde Staatskanzler werden und die liberale Periode preußischer Staatsentwicklung durch Begründung eines preußischen Reichstages einleiten. Groß waren ja überhaupt die Erwartungen, mit denen das preußische Volk den neuen König empfing. Als die Erfüllung aller der schönen Hoffnungen sich eine Weile hinzog, meinte man, den neuen König etwas antreiben und spornen zu sollen. So stellte im Königsberger ostpreußischen [788] Huldigungslandtage ein ziemlich unbekannter und namenloser Abgeordneter, der Kaufmann Heinrich, den Antrag (6. September 1840), der preußische Provinziallandtag möchte unter Berufung auf die Verheißungen Friedrich Wilhelm’s III. den König bitten, eine allgemeine Volksrepräsentation zu geben und dadurch dem Werke des Vaters den eigentlichen Schlußstein erst einzusetzen. Der Landtag nahm mit Begeisterung den Antrag an und überreichte dem König am 7. September eine in diesem Sinne gehaltene Adresse. Friedrich Wilhelm IV. antwortete dilatorisch, halb zustimmend, halb versagend: indem er von „weiterer Entwicklung“ der ständischen Gesetzgebung redete, lehnte er doch die Volksvertretung ab. Es war für Niemanden ein Geheimniß, daß hinter dem Vorgehen des harmlosen Königsberger Kaufmannes kein Anderer als S. stand; er hatte den Gedanken eingegeben und auch seine Ausführung überwacht. In privaten Gesprächen suchte er auf den königlichen Freund zu Gunsten des Vorschlages einzuwirken: Friedrich Wilhelm äußerte sich schwankend, erhob Bedenken gegen Einzelnes, ließ sie auch wieder fallen: oft sprach er sich sehr liberal aus, sodaß S. einmal nach einer Audienz sagen konnte, „der König ist viel liberaler als ich“. Andererseits arbeiteten in derselben Zeit mächtige Einflüsse anderer Art auf seinen Sinn. Am 10. September verlieh er S. den Charakter eines „Staatsministers“ und zugleich den schwarzen Adlerorden; aber an der Spitze der Provinz Preußen hatte S. zu verbleiben; und immer deutlicher machte es Friedrich Wilhelm IV. in nächster Zeit allen, die sehen und hören wollten, daß seine Wege von denen des preußischen Oberpräsidenten weit ablagen und sich immer weiter entfernten. Die anfänglich erregten Sehnsuchts- und Hoffnungsgefühle mußten sich zusehends in trübe Verstimmung und mißmuthigen Groll verwandeln. Nicht sofort erhielt die gespannte Lage die endgültige Klärung; fast zwei Jahre gingen in dem Wogen und Ringen der politischen Gegensätze dahin, ehe die Entscheidung zu Schön’s Ungunsten fiel. Den politischen Gegnern nicht zu dienen, stand für S. allerdings fest: entweder sollte der König ihm freie Hand lassen und seine politischen Grundsätze gutheißen, oder S. wollte ins Privatleben zurücktreten. Er selbst arbeitete 1840 (im October) eine Denkschrift aus „Woher und Wohin?“, welche er dann auch drucken und an maßgebender Stelle vorlegen ließ. In großen Zügen entwarf er ein Bild der preußischen Staatsentwicklung, um die Nothwendigkeit der Einführung von Nationalständen als dringende Forderung der damaligen Zeit zu erweisen. Es war ein beredtes gutgedachtes und gutgeschriebenes Werk, das durchaus an die Stein’schen Reformen anknüpfte und dem staatlichen Liberalismus seines Autors Ehre macht; nur durfte man die Aufdeckung der Mängel und Schäden der damaligen Lage nicht so unbedingt gutheißen; denn dann war die Feder in Galle getaucht, die schlimmen Dinge waren übertrieben und karikirt; manche Bemerkung des Tadels klang seltsam im Munde eines der höchsten Beamten des Staates. Zu gleicher Zeit veranstaltete S., daß sein Concept des sogenannten „Testamentes Stein’s“ von 1808 facsimilirt dem Könige übermittelt wurde, um auf diese Weise die Behauptung zu erweisen, daß nicht Stein, sondern S. der wahre Vater der preußischen Reformpolitik von 1808 gewesen. Beide Schritte dienten dem doppelten Zweck: ebensowohl den König in die Bahn der Reformen zu drängen, ihn zur Begründung eines Reichstages zu bewegen, als auch für diese Aufgabe S. als den zur Leitung der Reform berufenen Staatsmann zu empfehlen. Die erste Wirkung seines Vorgehens war ein Zusammenstoß mit dem Minister v. Rochow. S. antwortete mit dem Anerbieten seines Amtsaustrittes. Friedrich Wilhelm IV. hielt die Sache noch längere Zeit in der Schwebe; S. mußte anfangs 1841 noch als königlicher Landtagscommissarius in Danzig bei den preußischen Provinzialständen auftreten, während ihm selbst schon politische Mahnungen und [789] Rügen ertheilt waren, die ab und zu durch eine freundliche Redensart des Königs versüßt wurden. Gereizter und schwüler wurde während des Jahres 1841 auf beiden Seiten die Stimmung. S. klammerte sich an die Vorstellung an, daß der König ihm persönlich wohlgeneigt geblieben, und daß nur die Verdächtigungen seiner Gegner eine vorübergehende Wirkung[1] des königlichen Vertrauens erzeugt, welche er durch Vorstellungen und Versicherungen selbst zu überwinden hoffte. Aber mehr und mehr eroberte jene S. feindliche Richtung sich Boden beim Könige. Es kam das Erscheinen der „Vier Fragen“ von Dr. Johann Jakoby hinzu; in Berlin wollte man S. für dasselbe verantwortlich halten. S. bestritt zwar jedes persönliche Verhältniß zu Jakoby, – sicher mit gutem Grunde; dem Radicalismus, der aus den „Vier Fragen“ hervorleuchtete, war und blieb S. fremd; und dennoch ist es nicht möglich, zu übersehen oder zu bestreiten, daß Jakoby’s Pamphlet eine der Früchte war, welche aus der von S. systematisch betriebenen Verbreitung oppositioneller Neigungen und Tendenzen, insbesondere aus seinen unermüdlichen Tadelsreden hervorgehen mußten. Somit durfte man sehr wohl S. eine Verantwortlichkeit für die in Jakoby’s Schrift ausgesprochenen Gesinnungen beilegen, wenn auch jede directe Beeinflussung des jüdischen Arztes oder jeder persönliche Zusammenhang zwischen Beiden bestritten werden muß. Im October 1841 war S. in Berlin zur Erledigung amtlicher Geschäfte, aber auch um noch einmal Vorstellungen auf den Sinn des Königs zu versuchen. Ihm wurde klar, daß seine Stellung nicht länger haltbar. Friedrich Wilhelm klagte nach Schön’s Abreise zu seinen Vertrauten über die „Unwahrhaftigkeit“ des Oberpräsidenten, dessen Wirken er sehr üble Folgen für den Geist der Provinz beilegte. In Berlin flüsterte man sich zu, S. würde seinen Abschied erhalten, auch wenn er ihn nicht nachsuche. Aber der Entschluß zum Rücktritt war doch für S. schon seit dem November 1840 eine ausgemachte Sache – wenn nicht noch zu guter Letzt eine seiner politischen Richtung günstige Wendung einträte. So bald es klar geworden, daß darauf nicht mehr zu rechnen, wiederholte S. sein Abschiedsgesuch; am 31. März 1842 erklärte der König sich damit einverstanden, und am 3. Juni erfolgte endlich die amtliche Entlastung[2] für den 69jährigen Mann nach einer Dienstzeit von 49 Jahren.

Noch vierzehn Jahre privaten Lebens waren dem alten Herrn nach seiner Entlassung beschieden. Der König hatte ihn zuletzt durch die Ernennung zum „Burggrafen von Marienburg“ geehrt, indem er alles auf die Herstellung des Baues Bezügliche in seinen Händen beließ. In der Provinz blieb sein Ansehen ungemindert. 1844 schuf er den ostpreußischen landwirthschaftlichen Centralverein, und trat als erster Director selbst noch an seine Spitze. 1842 war er zum ritterschaftlichen Deputirten für die Provinzialstände gewählt. Sein König redete ihm zu, diese Wahl anzunehmen, damit er dort Gelegenheit fände, über die ihm wohl bekannten Ansichten des Königs gegen die in der Provinz verbreiteten lügenhaften Entstellungen Zeugniß abzulegen: in so seltsame Redewendungen hüllte der König die für S. bitter empfindlichen Zurechtweisungen damals ein, indem er zwischen sich und dem entlassenen Oberpräsidenten eine Art von Uebereinstimmung, zwischen der öffentlichen Meinung in der Provinz und den Reden desselben Oberpräsidenten, welche jene doch zum größten Theile hervorgerufen hatten, einen Gegensatz aufstellte! S. hütete sich dies Schreiben des Königs, wie ihm nahegelegt war, seinen Freunden zu zeigen; bekannt wurde es nichtsdestoweniger, da noch anderen Personen von seinem Inhalte Mittheilung gemacht war. Schön lebte meistens nahe bei Königsberg auf seinem Gute Arnau, das er früher angekauft. Seine begeisterten Verehrer veranstalteten eine Sammlung, um ihm ein Ehrengeschenk zu überreichen; man machte ihm Arnau schuldenfrei und verwendete den Ueberschuß aus der Sammlung zur Errichtung [790] eines Denkmals, welches noch bei seinen Lebzeiten vor dem Ständehause in Königsberg ihm gesetzt wurde. Auch in Schriften, in Broschüren und Zeitungsartikeln wurde der Tribut der Verehrung und des Dankes dem großen Staatsmann dargebracht. Es wurde zu einem festen Artikel in dem Glaubensbekenntniß der Liberalen in Ostpreußen, daß S. Musterbild und Musterheld, Anführer und Bahnbrecher, geistiges Haupt und Abgott des Liberalismus für den preußischen Staat gewesen und bleiben müsse. Seine eigenen Gespräche und Reden hatten ihn in diesem Lichte seinen Freunden gezeigt; seine mündlichen Mittheilungen über die große Zeit der Freiheitskriege, welche er handelnd miterlebt hatte, malten ein Bild der Vorgänge, das in erster Linie zur eigenen Verherrlichung Schön’s zu dienen bestimmt war. Mit fast rührender Naivetät lehnte er alles Lob von sich ab, indem er für seine persönlichen Leistungen sich den Wahlspruch erkoren zu haben behauptete: „Thue das Gute und wirf es ins Meer; – sieht es der Fisch nicht, sieht es der Herr“. In unglaublicher Selbsttäuschung und unbegreiflicher Selbstverspottung trug er selbst solche zurückhaltende Bescheidenheit zur Schau, während er gleichzeitig in maßlosester Selbstüberhebung und eitlem Selbstlob kaum noch eine Schranke achtete. Mit hinreißender Lebendigkeit pflegte er seinen Vertrauten von den früheren Zeiten zu erzählen; aus einzelnen Thatsachen, die in seinem Kopfe sich festgesetzt, bildete seine schöpferische Phantasie bald eine zusammenhängende Ansicht der Vergangenheit aus; mit unnachgiebiger Bestimmtheit stellte er seine Behauptungen auf, mit zweifelsfreier Unfehlbarkeit verfocht er seine Sätze. Auch zur Feder griff er selbst, seine Erinnerungen in die Litteratur zu bringen: es galt, als den Schöpfer der Reform S. auszugeben, für welche Stein nur die Firma abgegeben und den Ruhm sich angeeignet hätte; es galt, S. als den Vertheidiger preußischer Selbständigkeit gegen die von Stein unbedachtsam unterstützten Annexionsgelüste der Russen hochzuhalten; es galt, S. und seinen ostpreußischen Freunden die Schöpfung der Landwehr zuzuweisen, gegen welche Scharnhorst „der Liniensoldat“ nur Abneigung empfunden und dergleichen mehr. Sein Ansehen war in solchem Grade maßgebend, daß er verschiedene historische Darstellungen beeinflußte, so 1832 Joh. Voigt, 1838 Friccius. Dann schrieb er selbst 1838 sein Lebensbild nieder, – eine vollständige, eingehende Zusammenfassung seiner mündlichen Erzählungen. Als 1842 sein „Woher und Wohin“ – offenbar ohne seine Veranlassung in den Buchhandel kam, wurde die Schrift durch Zusätze geschmückt, welche aus der mündlich verbreiteten Verherrlichung Schön’s geschöpft waren. Nach seinem Abschied tauchten gleichzeitig an verschiedenen Stellen Lobgesänge auf; unter „Preußens Staatsmännern“ wurde ihm die erste Stelle zuerkannt, mit Redewendungen, welche die Kenntniß der Selbstbiographie bei dem Autor verrathen. In der Muße des Privatlebens machte S. sich 1844 an eine neue Bearbeitung seiner Lebensgeschichte, die er während der nächsten Jahre fortsetzte. Den Historikern, deren Beschäftigung mit der Periode der Freiheitskriege ihm bekannt geworden, schickte er Darlegungen zu, welche seine Auffassung jenen Schriftstellern beibringen sollten; so an Pertz, an Förster, an Droysen, auch an Schlosser; das an Schlosser 1849 gerichtete Sendschreiben über die preußischen Vorgänge vom Januar und Februar 1813 hat ganz besonders irreleitend die historische Forschung beeinflußt, da bis in die jüngste Zeit man stets Bedenken empfand, dem handelnden Zeitgenossen grobe Unwahrheiten Schuld zu geben. Auch kurze Charakterbilder einzelner Männer entwarf S., von Stein, von Scharnhorst u. s. w. Nicht ohne Wirkung blieben Schön’s Reden auf das Buch Droysen’s über York; nahezu vollständig nahm Witt in die Darstellung des Landtages von 1813 seine Mittheilungen auf. Sehr lebhaft war in ihm das Verlangen, einen erprobten, allgemein geachteten Historiker für ein Buch zu werben, das auf Grund seiner [791] eigenen Erinnerungen und der von ihm gesammelten Papiere seine Biographie feststellen sollte, sowie S. selbst sie für alle Zeit festgestellt zu sehen wünschte; an Droysen, an Varnhagen hatte er sich gewendet: unerfüllt blieb dieser Herzenswunsch des alten Herrn. – In die weitere Oeffentlichkeit trat S. noch einmal nach der Revolution von 1848; er war in die Berliner Nationalversammlung gewählt worden, und führte in jener Versammlung als Alterspräsident in den ersten Versammlungen den Vorsitz; der Greis wurde des dortigen Chaos nicht Herr; er selbst nahm nur unbehagliche Empfindungen aus Berlin mit. Eine kleine Broschüre „Staat oder Nationalität?“ (Berlin 1849) zeigte ihn als Widersacher der nationalen auf ganz Deutschland gerichteten Tendenzen; fast vollständig wirkungslos fiel sie ins Wasser. Die Jahre der preußischen Reaction, die er noch erlebte, gefielen selbstverständlich ihm nicht. Der orientalische Krieg ließ zuletzt noch einmal den alten Haß gegen Rußland in ihm aufleben. Allmählich nur schwanden seine Kräfte dahin; nicht eine eigentliche Krankheit befiel ihn, langsam erlosch sein Leben. 1851 hatte er die (zweite) Gemahlin verloren; auch eine ihm sehr nahestehende geliebte Tochter ging noch vor ihm heim; in den Nachmittagsstunden des 23. Juli 1856 erreichte er das Ziel seiner Tage, nachdem er 83 Jahre schon überschritten, geistig bis zuletzt noch frisch und lebendig. Fast zwanzig Jahre waren nach seinem Tode verstrichen, ehe der litterarische Nachlaß veröffentlicht wurde; mit einer Ungeschicklichkeit und Unbehülflichkeit ist dies geschehen, die kaum ihres Gleichen heutzutage findet. Nicht schlimmer konnte die historische Gerechtigkeit den Mann strafen, der Zeit seines Lebens um seinen Nachruhm in so hohem Grade besorgt gewesen ist, als indem sie die Sorge um sein Andenken in solche Hände gelegt hat.

Preußens Staatsmänner. III. Schön. 1842. – Die Jubelfeier des Ministers von Schön. 1843. – Ein Blick auf die einstige Stellung der Oberpräsidenten Auerswald und Schön in Königsberg, mit Rücksicht auf einige dahin bezügliche Schriften, von Eveline von Bardeleben, geb. von Auerswald. 1844 – (polemisch gegen Schön; diese kleine Schrift ist sehr selten geworden, da die Anhänger Schön’s einen Vernichtungskrieg systematisch gegen sie geführt). – Nasemann, Biographie in Preuß. Jahrbüchern V (1860). – Mejer in Pr. Jahrb. XXXI (1873). – Das Material zur Lebensgeschichte findet sich sonst in den Werken von Pertz über Stein (II u. III), von Droysen über York, von Ranke über Hardenberg, in den Mittheilungen aus dem Leben des Grafen Friedrich Dohna (1872), in den Lebenserinnerungen Niebuhr’s und Raumer’s und Boyen’s, des General von Natzmer u. s. w. – Die autobiographischen Aufzeichnungen, aus denen insbesondere Nasemann geschöpft hatte, und die Briefe und Actenstücke, welche S. gesammelt, sind zuletzt von der Familie veröffentlicht unter dem Titel: „Aus den Papieren des Ministers Theodor von Schön“; Bd. I–IV, 1875 bis 1876. Ergänzungen dazu bilden: 1) Studienreisen eines jungen Staatswirthes in Deutschland. Beiträge und Nachträge zu den Papieren u. s. w. 1879 – 2) Weitere Beiträge und Nachträge zu den Papieren des Ministers von Schön. 1881. – Zur Kritik der Schön’schen Papiere vgl. Maurenbrecher in Grenzboten 1875. II S. 161–168 (Abdruck eines am 15. April 1875 unmittelbar nach dem Erscheinen des 1. Bandes der Papiere in dem Preuß. Geschichtsverein gehaltenen Vortrages); ähnlich K. Reichard Im neuen Reich (7. Mai 1875; I 731–744). Als Vertheidiger der Schön’schen Tradition trat Nasemann auf, Grenzboten 1875, II 481–484; gegen ihn Maurenbrecher ebd. 484–498. – Im December 1875 folgte M. Lehmann, Knesebeck und Schön. Beiträge zur Gesch. d. Freiheitskriege 1875. – Die Vertheidigung der Glaubwürdigkeit übernahm darauf ein ostpreußischer Anonymus [792] in einer durchweg mißlungenen Arbeit: „Zu Schutz und Trutz am Grabe Schön’s. Bilder aus der Zeit der Schmach und der Erhebung Preußens.“ 1876 (4 Hefte). – Dagegen antwortete Lehmann: Stein, Scharnhorst und Schön. Eine Schutzschrift. 1877. – Vgl. Maurenbrecher in Grenzboten 1876, II 241–248, 368–377. 1878, I 14–25. Die kritische Controverse dürfte mit diesen Arbeiten wohl zu einem Abschluß gelangt sein. Die beiden Dissertationen wenigstens, – 1) Wohlauer: Stein und Schön zu Anfang 1813 (Breslau 1882) und 2) Ganz: Stein, Schön und die Entstehung des Edicts v. 9. Oct. 1807 (Gießen 1885) – haben keine Förderung hinzugebracht. – Ueber die im Leben Schön’s berührten historischen Verhältnisse enthalten die neueren Werke von Dieterici, Zur Geschichte der Steuerreform in Preußen von 1810–1820 (1875), von E. Meier, Reform der Verwaltungsorganisation unter Stein u. Hardenberg (1881), von Knapp, Die Bauern-Befreiung (2 Bde. 1887), von Hüffer, Die Cabinetsregierung in Preußen (1891), sowie auch Treitschke’s Deutsche Geschichte, I–IV (1879 bis 1889) sehr willkommene Aufschlüsse.

[781] *) Zu S. 247.

WS: Die Seiten 793 bis 796 enthalten ein „Verzeichniß der im 32. Bande der Allgem. Deutschen Biographie enthaltenen Artikel“, das hier jedoch nicht transkribiert wird.

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. S. 789. Z. 5 v. o. l.: Trübung (st. Wirkung). [Bd. 33, S. 800]
  2. S. 789. Z. 22 v. u. l.: Entlassung (st. Entlastung). [Bd. 33, S. 800]