ADB:York von Wartenburg, Hans David Ludwig Graf

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Artikel „York von Wartenburg, Hans David Ludwig Graf“ von Otto Nasemann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 44 (1898), S. 594–606, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:York_von_Wartenburg,_Hans_David_Ludwig_Graf&oldid=- (Version vom 19. März 2024, 11:21 Uhr UTC)
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York: Hans David Ludwig, Graf Y. von Wartenburg (auch die Schreibung v. Yorck kommt vor, doch nicht mehr in der spätern Zeit des Lebens) wurde in Potsdam am 26. September 1759 geboren. Seine Familie leitete ihre Herkunft wol von einem vornehmen englischen Hause ab, gehörte indessen dem kleinen kassubischen Adel des Kreises Bütow an, in welchem sie auch auf einem wenig werthvollen Gute (Gustkow) angesessen war. Der Großvater, welcher sich Jarcken schrieb, war Prediger in der Nähe von Stolp gewesen, der Vater, David Jonathan von Jork, brachte es in dem Heere Friedrich’s des Großen bis zum Hauptmann, die Mutter stammte aus Potsdam und war die Tochter eines Handwerkers. In Königsberg und Braunsberg, zwischen welchen beiden Städten der Aufenthalt des Vaters wechselte, verlebte der Knabe in einfachen Verhältnissen und in harter Zucht seine Kinderjahre, bis er 1772 dem Regiment v. Borcke als Junker zugeführt wurde und 1773 in das neugebildete [595] Füsilier-Regiment v. Luck[WS 1], das in Braunsberg garnisonirte, überging. Der wissenschaftliche Unterricht des Feldpredigers mag nicht weit gereicht haben; desto mehr Eifer widmete der Junker allen körperlichen Uebungen, in denen er es bald zu ausgezeichneter Sicherheit und großer Eleganz brachte. Nachdem er unter dem 4. März 1775 zum Fähnrich ernannt war, folgte am 11. Juni desselben Jahres das Patent als Lieutenant. Als solcher zog er 1778 in den bairischen Erbfolgekrieg, aus welchem er, da es an Gelegenheit zu größeren Thaten fehlte, wenigstens das Ansehn eines brauchbaren Officiers und selbständigen Menschen heimbrachte. Von dieser Selbständigkeit des Urtheils wie des Willens gab sehr bald ein Vorfall Zeugniß, bei dem ihn sein leidenschaftliches Ehrgefühl zu einer Unvorsichtigkeit führte, die den Verlust seiner Stellung zur Folge hatte. Er gab seiner Verachtung gegen einen Vorgesetzten, dem ein unehrenhaftes Verhalten im Kriege nachgesagt wurde, in so unverhohlener, doch auch so subordinationswidriger Form auf der Wachparade Ausdruck, daß er zu einjähriger Festungsstrafe und Cassation vom Kriegsgerichte verurtheilt wurde. Der König bestätigte das Urtheil, ließ sich auch durch Gnadengesuche zu einer Milderung der Strafe nicht bewegen.

Was sollte der mittellose junge Mann beginnen? Er verstand nichts als das Soldatenhandwerk, er mußte versuchen mit dem Degen durch die Welt zu kommen. Es glückte ihm, von dem Prinzen von Preußen Empfehlungen an dessen Schwester, die Erbprinzessin von Oranien, zu erlangen, er setzte es nach monatelangem Harren in Amsterdam auch durch, eine Anstellung zuerst in der Garde, sodann als Capitain in einer Truppe zu erhalten, die nach dem Cap der guten Hoffnung und den übrigen Colonien von der ostindischen Gesellschaft geschickt wurde. Ueber Paris, wo er einige Zeit verweilen mußte, ging er nach La Rochelle und schiffte sich im Juli 1782 ein, zuerst nach der Capstadt, dann nach Trinconomale, wo er in gefährlichen Gefechten gegen die Engländer unter dem berühmten Suffren[WS 2] den kleinen Krieg lernte. Ein fernerer Gewinn war es, daß er hier von der Nothwendigkeit der Handhabung strenger Zucht überzeugt ward, die nirgends unerläßlicher war als in seiner aus den verschiedensten Elementen zusammengesetzten Truppe. Die Jahre 1781–85 haben ihn, der, fern von allen Heimathsbeziehungen, nur auf die eigene Kraft gestellt war und für manche Regungen des Herzens Verzicht leisten mußte, zu dem Manne geschmiedet, der sich fähig erwies, in einem großen Wendepunkte das Werkzeug der Vorsehung zu werden. – Als er in den ersten Monaten 1786, nachdem er den holländischen Dienst aufgegeben hatte, in die Heimat zurückkehrte, lebte der große König noch, der Rücktritt in das preußische Heer blieb ihm verschlossen; nach dem Tode Friedrich’s II. erst, im Jahre 1786, ward er auf Empfehlung des Marschalls Möllendorff als Capitain in dem Füsilierbataillon v. Plüskow, das seinen Standort in dem schlesischen Städtchen Namslau hatte, angestellt. Wenn er von hier aus in Beziehungen zu dem Fürsten Hohenlohe trat, so war er doch vornehmlich aufmerksam auf die Pflichten seines Dienstes. In Namslau verheirathete er sich auch mit Johanna Seidel[WS 3], der Tochter eines Kaufmannes, 1792. In demselben Jahre erfolgte seine Ernennung zum Major. Bei dem Ausbruche des polnischen Krieges ward sein Bataillon mobil gemacht. Bei Sczekoczyn war er es, der durch einen glänzenden Angriff am 6. Juni die Ehre des Tages rettete und die Einnahme von Krakau ermöglichte; in der nächsten Zeit trat er unter den Oberbefehl des ausgezeichneten Generals Günther, dessen Vorbild ihn aufs neue auf die Schulung der Leute für das zerstreute Gefecht hinwies. Zwei weitere Jahre brachte er noch in einem kleinen polnischen Orte zu; erst am 12. September 1797 gelangte er zur Stellung eines selbständigen Befehlshabers, indem er zum Commandeur eines neu errichteten Füsilierbataillons [596] in Johannisburg bestellt ward. Hier war seine Hauptsorge die Ausbildung der Leute, die Herstellung eines tüchtigen, in sich zusammenhängenden Officiercorps und eines angemessenen Verhältnisses beider zu der Einwohnerschaft. Wie wenig er darauf rechnete, abberufen zu werden, beweist der Entschluß sich ein eigenes Haus zu bauen, das er im Herbste 1798 bezog; er fühlte sich in der abgelegenen masurischen Garnison wohl, wie er denn hier auch seine zwar strenge, doch von dem herkömmlichen Gamaschendienste weit abweichende Erziehungsmethode ohne Störung von außen weiter führen konnte. So war es keineswegs seinen Wünschen entsprechend, als ihm eine vom 6. November 1799 datirte Cabinetsordre die Ernennung zum Commandeur des in Mittenwalde stehenden Jägerregimentes brachte. Er verkaufte sein Grundstück mit Garten für 1600 Thlr. und reiste zunächst allein an den neuen Bestimmungsort, wo schwerere Aufgaben seiner warteten als in Johannisburg. Droysen (das Leben des Grafen York) gibt eine anziehende, durchaus zutreffende Zeichnung von den Eigenthümlichkeiten dieses in der Armee einzig dastehenden Jägerregimentes. Im Gegensatz zu der Kleinigkeitskrämerei, die bei den übrigen Regimentern gepflegt, ja übertrieben ward, jener Gleichmacherei, die sich nicht nur auf Anzug und Schritt, sondern auf alles bezog, war es seit dem großen Könige Herkommen des Jägerregimentes, jegliche Ordnung abzuweisen; Raufereien der Officiere, Wilddiebereien der Leute kamen häufig vor. Y. war der richtige Mann dem Unwesen zu steuern. Weit entfernt, das Bewußtsein einer besonderen Stellung zu untergraben, gab er ihm eine ideale Richtung, übte auch hier vornehmlich das zerstreute Gefecht und erwarb sich namentlich bei einem Manöver durch die geschickte Führung seiner Abtheilung so sehr die Zufriedenheit des Königs, daß er nicht nur 1800 zum Oberstlieutenant befördert, sondern auch zur Mitwirkung in der Gewehr- und Schießcommission berufen wurde. Ueberhaupt ward sein Name bekannt, man fing an ihn zu denen zu zählen, auf welche bei einem Kriege gerechnet werden dürfe. 1803 wurde er zum Obersten ernannt. – Freilich, die Politik des Jahres 1805 schien einen solchen Zeitpunkt weit hinauszuschieben, höchstens, daß das Jägerregiment an der verfehlten Demonstration gegen Frankreich im Herbste theilnahm. Es gelangte bis Meiningen und kehrte im Anfang 1806 in die Garnison zurück.

Dagegen wurde der unglückliche Krieg von 1806 entscheidend für das fernere Aufsteigen und die Bedeutsamkeit des immerhin noch jungen Obersten. Nachdem das Regiment am 31. August Mittenwalde verlassen und sich mit der großen Armee an der Saale vereinigt hatte, wurde der Herzog von Weimar angewiesen, an der Spitze von 12,000 Mann, deren Vorhut Y. befehligte, einen Vorstoß gegen die große Mainstraße und die Festung Königshofen zu unternehmen. Man nahm die letztere, wandte sich gegen Meiningen, bog ab nach Hildburghausen und eilte zur Hauptarmee zurück. Auf dem Wege von Ilmenau nach Erfurt ward die ungeheure Niederlage vom 14. October gemeldet. Jetzt wurde der Weg nach Langensalza eingeschlagen, über das Eichsfeld, dann durch den Harz in das Braunschweigische gezogen, wo sich ergab, daß die Straße nach Magdeburg nicht mehr offen sei; inzwischen hatte sich Blücher mit den Resten seines Heertheils an den des Herzogs angeschlossen. Galt es nunmehr, die Elbe zu überschreiten, so war Eile nöthig, um den Uebergangspunkt, der abwärts bei Sandau gesucht werden mußte, zu erreichen. Y. erhielt den Auftrag, den Abmarsch nach Norden zu decken. Mit 6 Jägercompagnieen, 2 Füsilierbataillonen und 2 Geschützen nahm er am 26. October eine trefflich gewählte Aufstellung bei dem Dorfe Altenzaun, in welcher er einen hitzigen Andrang des Gegners nicht allein zurückschlug, sondern seinerseits mit einem Angriff erwiderte und es ermöglichte, daß das Hauptheer ungefährdet den Uebergang über die Elbe bewerkstelligte. [597] Es war seit dem Tage von Jena das erste erheblichere Gefecht, in welchem die Preußen nicht unterlagen, ein Gefecht, auf das Y. auch später noch Werth legte und das seinen Ruf als Taktiker sicher stellte. Das Hauptheer, das nach dem Abgange des Herzogs unter den Befehl Blücher’s trat, versuchte zunächst sich mit Hohenlohe zu vereinigen, mußte sich aber in das Mecklenburgische wenden, als dieser bei Prenzlau capitulirt hatte. Auch auf diesem Zuge, der vielleicht zu den verfehltesten Operationen Blücher’s und Scharnhorst’s gehört und nicht nur von Y. getadelt ist, bewährte sich dieser mit seinen Jägern; hier lernte er auch Katzler kennen, der in der Folge sein zuverlässigster Avantgardenführer wurde. Den Abschluß brachte die Capitulation von Radkau, zu welcher das kopflose Verfahren des Herzogs von Braunschweig-Oels nöthigte. Y. war schon vorher nach einem verzweifelten Kampfe seiner Leute schwer verwundet worden, 6. November. Als er geheilt war, wurde er im Januar 1807 aus der Gefangenschaft entlassen und kehrte nach Mittenwalde zurück.

Zählte Y. zu den Wenigen, die in dem Unglückskriege ihre Ehre rein gehalten, ja einen hervorragenden Namen erworben hatten (es ist nicht recht verständlich, was M. Lehmann[WS 4], Scharnhorst II, 197 sagt, daß ihm Scharnhorst seinen guten Ruf habe stiften helfen), so stand er doch zum zweiten Male vor einer dunkeln Zukunft. Zugleich litt er unter den Nachwehen seiner Verwundung. Es ist begreiflich, daß bei dem Gefühl der eigenen Tüchtigkeit und unter dem Eindruck der Unfähigkeit so vieler Anderen die scharfen Züge, welche in seinem Wesen lagen, das Uebergewicht gewannen. Er ward noch verschlossener, abweisender, das Feuer des ehrgeizigen Temperamentes verschleierte er hinter einer kalten Außenseite; selten, daß er Gleichstehende oder Uebergeordnete anders als mit Bitterkeit beurtheilte und denen, die unter ihm standen, etwas anderes zeigte als die Forderung von Zucht und Gehorsam; er war beides, ein äußerst strenger Vorgesetzter und ein unfügsamer, widerwilliger Untergebener. Als seine Auswechselung angeordnet war, eilte er nach Ostpreußen. Hier konnte er anders auftreten als die Mehrzahl seiner Kameraden, konnte auch von seiner Mitarbeit an der Erhebung des Staates etwas hoffen. Allein wenngleich seine Ernennung zum Generalmajor am 18. Juni 1807 erfolgte, so besserte sich seine schwarzseherische Stimmung doch nicht, auch nicht, als er erfuhr, daß die königliche Familie vorübergehend an ihn als den Gouverneur des Kronprinzen dachte, und noch weniger, wenn er in erfolglosen Verhandlungen mit dem Marschall Soult[WS 5] als preußischer Commissar schwere Demüthigungen ertragen lernen mußte. In das Jahr 1808, während durch Scharnhorst, Gneisenau, Boyen die Umformung des Heeres eingeleitet wurde, fallen auch die Stein’schen Reformen, die den Gesammtorganismus des verkürzten, unter unerschwinglichen Auflagen erliegenden Staates verjüngen sollten. Sie fanden in Y. einen ausgesprochenen Gegner. Auch mit der Armeereorganisation war er zunächst nicht einverstanden und fügte sich erst 1810 (Lehmann a. a. O. 332). Droysen, der die Belege für diese Parteistellung gibt, hätte zu ihrer Erklärung hinzufügen können, daß der General von vornherein wenig idealistischen Schwung besaß, daß seine Auffassung der Dinge weit mehr durch die Regungen von Pflicht und Ehre bestimmt wurde, daß er überdem durch die im Auslande gesammelten Erfahrungen weniger zu dem Glauben an die besseren Seiten der Menschennatur als zum Zweifel geleitet worden war. Hatte er unter dem fridericianischen Absolutismus bitter gelitten und sich durcharbeiten müssen, weshalb dem Individualismus der Massen, die weniger werth waren als er, größere Freiheit gewähren? Es war ein starker selbstischer Zug in ihm; in einem Briefe an den General v. Köckeritz (Droysen I, 230) spricht er es selbst aus, daß in seinem Charakter ein auf die Erfahrung gegründetes Mißtrauen gegen die Menschheit überhaupt liege. Indessen waren [598] diese Stimmungen weit entfernt, ihn von der pflichtmäßigen Bethätigung seines Patriotismus abzuhalten. Er hatte von den sechs Brigaden, in welche das Contingent von 42,000 getheilt war, das Preußen aufbringen durfte, die westpreußische erhalten, zugleich war er zum Inspecteur der leichten Truppen ernannt. Für die methodische Erziehung dieser sind seine Instructionen und Manöver maßgebend geworden; wie Scharnhorst der weitblickende Organisator des Heeres ward, das die Freiheitskriege durchkämpfte, so ist Y. als der taktische Lehrer anzusehen. Und dabei mußte ihm sein Standquartier Marienwerder, das zwischen dem polnischen Gebiete und Danzig lag, wo Rapp[WS 6] Gouverneur war, eine Menge Berührungen mit der Politik bringen, von der er übrigens fern zu bleiben bestrebt war, so daß nicht nur sein Blick erweitert, sondern auch sein Urtheil billiger wurde, wie denn seine innere Stellung zu Scharnhorst jetzt sich zu einer freundlicheren umwandelte.

Es darf hier nicht eingegangen werden auf die Schwankungen der preußischen Politik, die nach Stein’s Abgang unter den Ministerien Dohna-Altenstein und Hardenberg eintraten, auch nicht darauf, wie Friedrich Wilhelm III. seiner Herzensneigung nach mit Rußland zu gehen wünschte und doch bei dem Mißtrauen gegen sich selbst wie gegen sein Volk den Bruch mit Napoleon zu vermeiden suchte. Die Spannung erreichte den höchsten Grad, als Oesterreich 1809 den Krieg vorbereitete. Von den Anstrengungen, welche Scharnhorst und Gneisenau machten, eine Betheiligung an diesem Kriege herbeizuführen, auch von der leidenschaftlichen Aufregung anderer hoher Officiere wie Blücher ließ er sich nicht beirren, dennoch konnte er sich der Mitwirkung an den Maßregeln nicht entziehen, die in den folgenden Jahren in der Stille getroffen wurden, um dem Vaterlande seine Selbständigkeit zu erhalten, als sich der Zusammenhang zwischen Alexander[WS 7] und Napoleon[WS 8] lockerte, ja mit dem Rücktritt Rußlands von dem Continentalsystem (31. December 1810) in das Gegentheil umschlug. Bei einem Kriege zwischen den beiden Großstaaten würde keine Provinz mehr zu leiden gehabt haben als das Land jenseits der Weichsel, gleichviel auf welche Seite sich Preußen stellte. Und Hardenberg’s Art war es nicht, den Provinzialbehörden bestimmte Weisungen oder auch nur leitende Gesichtspunkte zu geben, während die Ansprüche der Franzosen sich steigerten und die kleinen Conflicte sich mehrten. Wol aber erhielt er schon als Befehlshaber der westpreußischen Brigade im Mai 1811 eine Vollmacht, die ihm, ähnlich wie dem Grafen Götzen in Schlesien, für außerordentliche Fälle einzelne Befugnisse königlicher Gewalt übertrug – der Text derselben ist noch nicht aufgefunden –, außerdem ward er im November an Stutterheim’s Stelle zum Generalgouverneur von Ostpreußen ernannt. Freilich war er nicht danach angethan, sich durch diesen Beweis des Vertrauens heben zu lassen, vielmehr bedrückte ihn die Unsicherheit der hochverantwortlichen Stellung, er hat wiederholt daran gedacht sie aufzugeben, wenigstens um präcise Vorschriften gebeten. Nur einigermaßen gefügiger, zugänglicher ward er bei der Vielseitigkeit der Ansprüche, die an ihn herantraten; wußte er sich doch sogar mit Schön, der so ganz anders angelegt war, zu verständigen.

Als am 17. März 1812 die Nachricht von der mit Frankreich gegen Rußland geschlossenen Allianz eintraf, blieb er fern von dem Gedanken, wie Scharnhorst, Gneisenau, Boyen, zurückzutreten oder gar wie andere Officiere in russische Dienste zu gehen, ja er fügte sich, wenn auch nicht leichten Herzens dem auf Scharnhorst’s Vorschlag erlassenen Befehle, unter dem alten General Grawert als zweiter Befehlshaber das preußische Contingent von ungefähr 20,000 M., das sich dem Heertheile des Marschalls Macdonald[WS 9] anschließen sollte, nach Rußland zu führen. War Grawert einem aufrichtigen Zusammengehen mit Frankreich [599] geneigt (Nippold[WS 10], Boyen, II, 498, wo die Denkschrift an den König abgedruckt ist), so war Y., der inzwischen zum Generallieutenant aufgerückt war, seinerseits entschlossen, die Selbständigkeit des preußischen Corpsführers zu wahren und mit den Truppen, die nun Gelegenheit fanden den Krieg zu lernen, Ehre einzulegen. – Am 28. Juni überschritt das 10. Corps, die Division Grandjean[WS 11] und die Preußen, die Grenze; am 13. August trat bereits der Fall ein, daß Grawert wegen Krankheit sein Amt niederlegen mußte. Während die Division Grandjean auf dem rechten Flügel an der mittleren Düna stand, war Y. angewiesen, weiter westwärts gegen Riga vorzugehen und die Aa bei Mitau zu überschreiten. Unter ihm befehligten Kleist die Infanterie, Massenbach die Reiterei, außerdem standen an der Spitze der einzelnen Truppenkörper Officiere wie Hünerbein, Steinmetz und vor allen anderen der tapfere Horn, der bis zum Friedensschlusse 1814 sein zuverlässiger Gefährte geblieben ist. Schon das erste Gefecht bei Eckau hatte Macdonald gezeigt, daß die jetzigen Preußen andere waren als die von 1806; noch deutlicher ward der Beweis geführt, als die Russen am 21. August die weit gedehnte Stellung zu durchbrechen suchten. Ein drittes Gefecht, in welchem es die durch finnische Regimenter verstärkten Russen auf den Artilleriepark bei Ruhenthal abgesehen hatten, die Schlacht bei Bauske, endete sogar mit einer verlustreichen Niederlage dieser. War so der Feldzug kein leichter, so wurde die Lage des Führers noch mehr erschwert durch die Stellung zum Oberfeldherrn, dem Y. überall die Besonderheit des preußischen Heertheils bemerklich zu machen, beflissen war; der General v. Holleben erzählt, daß er Thränen vergossen habe, als bei dem Hoch, das er am 15. August auf Napoleon auszubringen hatte, niemand einstimmte. Die Stellung ward noch peinlicher dadurch, daß die Russen von Riga aus, zuerst der General Essen[WS 12], dann der Marquis Paulucci[WS 13], mit Y. Unterhandlungen anzuknüpfen versuchten, die den Abfall der Preußen von der französischen Sache zum Ziele hatten. Mit Macdonald kam es schließlich zu einem Briefwechsel, der seitens des Marschalls beleidigend wurde.

Unterdessen hatte sich die Auflösung des großen französischen Heeres auf dem Rückzuge von Moskau vollzogen, die bereits von Paulucci mitgetheilten Nachrichten darüber wurden durch einen Officier, der aus Wilna am 8. December im York’schen Hauptquartier eintraf, bestätigt. Am 18. December erhielt Macdonald die Weisung Berthier’s[WS 14], die ihm den Rückmarsch des 10. Corps hinter den Niemen vorschrieb, gleichzeitig kam die Kunde von dem Vordrängen der Russen auf Tilsit. Die französische Armee war vernichtet, die russische erschöpft, es war die Frage, wie sich das preußische Hülfscorps, das sich im besten Stande befand, verhalten würde; dies war nach der Vereinigung mit den französischen Ueberbleibseln stark genug, den Vormarsch der Russen zu hindern und es den Franzosen zu ermöglichen, wenigstens die Weichsellinie zu halten, und konnte umgekehrt, wofern es sich mit den Russen vereinigte, dahin wirken, daß nur geringe Reste jener sich aus der allgemeinen Auflösung retteten. Welcher preußische Patriot hätte nicht einen Bruch mit dem Erbfeinde sehnlich gewünscht? Die Bedeutsamkeit der Lage York’s fällt in die Augen, und er selbst war sich der Größe des Momentes vollauf bewußt. Allein sein König in Potsdam war in der Hand der Franzosen, er wußte, daß diesem selbständige Entschlüsse eines Untergebenen, auch wenn sie seinen innersten Neigungen entsprachen, widerwärtig waren. Wer bürgte ihm ferner für Hardenberg, der sich zur Zeit den Anschein gab, als kenne er nichts Höheres wie das Einvernehmen mit Frankreich zu pflegen? Und er war nichts als Soldat, den der Allianzvertrag unter die Befehle Macdonald’s gestellt hatte, ja persönlich war er dem Ueberschreiten der Grenzen seines Bereiches abgeneigt, wenn er sich auch innerhalb desselben seine [600] Selbständigkeit nicht verkümmern ließ. Andererseits hob nicht die Einzigartigkeit der Verhältnisse über jedes Bedenken hinweg? Ueberdem war die Vollmacht des Jahres 1811 nicht zurückgenommen, ja es befand sich in seinen Händen eine vom Kaiser Alexander schon vor dem Kriege ausgestellte Auctorisation „zum Herbeirufen des Generals Wittgenstein“ (Nippold a. a. O. 164, 472). Endlich hatte ihm Paulucci einen Brief desselben Kaisers mitgetheilt vom 6. December 1812, daß er im Falle eines Bündnisses mit Preußen die Waffen nicht niederlegen werde, ehe nicht Friedrich Wilhelm die Machtstellung und Gebietsausdehnung von 1805 zurückerlangt haben würde. Wahrlich, ein Augenblick so verantwortungsvoll und zugleich so weittragend für die gesammte Weltlage, wie er kaum je von einem untergeordneten General einen Entschluß gefordert hat.

Das Verfahren, welches Y. einschlug, kennzeichnet die peinigende Unsicherheit und Zweiseitigkeit der Situation, es stellt außerdem den Zug seines Wesens in das Licht, den er im Gefecht meisterhaft zur Anwendung brachte, das Hinhalten, die Ausdauer; anscheinend geduldig, wenngleich innerlich von Unruhe verzehrt, wartete er den günstigen Moment ab, um mit einem Schlage eine völlige Veränderung herbeizuführen. Zugleich giebt sein Verhalten ein schönes Beispiel von der Strenge der Zucht und Subordination, die der große König mit seinem Vater im preußischen Heere zur Geltung gebracht hatte; wenige Feldherrn anderer Nationen möchten so lange gezögert haben wie Y. Die Anerbietungen des ehrgeizigen Paulucci, der übrigens nicht bloß der gewöhnliche Ränkeschmied war, sondern mit Garlieb Merkel höhere Ziele verfolgte, wies er ab. Als dann jedoch auch von dem Wittgenstein’schen Heertheile die gleichen Aufforderungen zu einem Bündniß mit den Russen, und zwar durch ehemalige preußische Officiere (Diebitsch[WS 15], Clausewitz, Friedrich Dohna) an ihn gelangten, entschloß er sich nach mehrtägigem Schwanken zu der Convention in der Poscheruner Mühle bei Tauroggen, 29. und 30. December 1812. Macdonald selbst hatte ihm das Mittel an die Hand gegeben, den Abschluß als einen nothwendigen darzustellen, er war mit der Division Grandjean, getrennt von den Preußen, vorangezogen, so daß diese von den Russen umstellt zu sein schienen. Ein Bündniß mit ihnen ward nicht geschlossen, vielmehr enthielt die Convention die Bestimmungen, daß das preußische Corps den Landstrich um Tilsit, als einen neutralen, besetze, daß es, wenn der König die Rückkehr zum französischen Heere befehle, sich verpflichte nicht gegen Rußland zu dienen, daß es, wenn die Abmachung nicht gebilligt würde, an den von dem Könige angewiesenen Ort ziehen dürfe. Bedenklich aber waren die Worte, deren sich Y. in dem Briefe an Macdonald, worin er diesem seinen Entschluß mittheilte, bediente: „Die künftigen Begebenheiten, Folge der Verhandlungen, welche zwischen den kriegführenden Mächten stattfinden müssen, werden über das Schicksal der Truppen entscheiden“.

In Berlin waren die leitenden Kreise bei weitem nicht so unvorbereitet, als es scheinen mochte. Nach Eingang der Nachricht, daß Moskau verlassen sei, hatte sich Hardenberg sofort an Metternich gewandt, freilich ohne Erfolg. Als darauf die Abreise Napoleon’s von der Armee bekannt wurde, als am 15. December York’s Adjutant Seydlitz die Anerbietungen Paulucci’s brachte und Napoleon eine Erhöhung des preußischen Contingents verlangte, trat auch der König dem Gedanken nahe, die Gelegenheit zu benutzen; Y. ließ er sagen, er müsse nach den Umständen handeln, nur daran hielt er fest, daß ein Vorgehen ohne Oesterreich unmöglich sei. Hardenberg eröffnete dem französischen Gesandten St. Marsan[WS 16], daß er für Y. und seine Truppen fürchte, daß dieser vielleicht zu außerordentlichen Maßregeln gedrängt werden könne; Knesebeck ward nach Wien geschickt, in Paris mußte Krusemark die Bezahlung des preußischen Vorschusses für die Verpflegung der französischen Truppen fordern; kurz, man [601] wollte unter dem Scheine der Aufrechterhaltung des Bündnisses sich die formelle Berechtigung verschaffen, es zu brechen. Nun traf die Nachricht von dem Abschlusse der Convention ein, zuerst bei St. Marsan, dann beim Könige. Sie mußte zunächst gemißbilligt werden, sowol der königlichen Familie halber als deswegen, weil Y. dabei nicht als Militär, sondern als Politiker aufgetreten war. Der Gewandtheit Hardenberg’s gelang es, den französischen Gesandten zu täuschen, ihn zu überzeugen, daß man am Allianzvertrage festhalte. Napoleon zeigte sich nicht überrascht, durchschaute auch wol die Maske, welche man preußischerseits vorschob; Macdonald ist in seinen Lebenserinnerungen nur bemüht, seine Handlungsweise in ein möglichst günstiges Licht zu stellen, und bemerkt über den Schritt York’s nichts weiter als: Ce général préparait une trahison qui n’a aucun exemple dans l’histoire.

Man kann nicht zweifeln, daß es patriotische Motive waren, die bei den Ueberlegungen York’s den Ausschlag gaben, mochte sein Verhältniß zu dem französischen Marschall auch kein gutes sein, und mochten auch die Russen ihm glaublich zu machen suchen, daß seine Lage gefährdet sei. Er hat es selbst wiederholt ausgesprochen, daß es ihn keine große Mühe gekostet haben würde, sich mit dem Marschall zu vereinigen, den Ring zu durchbrechen, den die Russen um ihn gezogen hatten; daß diese in bedenklicher Verfassung seien, entging ihm nicht. Aber er bedurfte eines Vorwandes, der ihn vor seinem Kriegsherrn wenn nicht rechtfertigte, doch entschuldigte, der diesem auch freie Hand ließ, die endgültige Entscheidung zu treffen, höchstens vielleicht den Feldherrn zu opfern. Deshalb war ihm die dürftige Einschließung durch die Russen willkommen, deshalb zögerte er, solange es anging. Die Nachwelt hat York’s That als die einzig mögliche Auskunft angesehen, ja es ist ihm der Vorwurf gemacht, daß er nicht weit genug, nicht bis zu einem offenen Bündniß mit den Russen gegangen sei; alsdann würde der Krieg des Jahres 1813 weniger Schwankungen ausgesetzt gewesen sein. Mit Unrecht. Es war viel und war genug für den Officier und den Mann, daß er sich der formalen Bedenken des Dienstes entschlug, daß er der folgenden glänzenden Erhebung Preußens den Weg öffnete, sich selbst preisgab und das Weitere der Vorsehung anheimstellte. – Der Wortlaut der Convention ward mit einem Berichte nach Berlin abgeschickt, dem nach dem Einmarsche in Tilsit ein zweiter folgte, in welchem das schöne Wort steht, daß der General, wenn er gefehlt habe, auf dem Sandhaufen ebenso ruhig wie auf dem Schlachtfelde die Kugel erwarten werde.

Der Abschluß der Convention würde die überraschendsten Wirkungen gehabt haben, wenn der König frei und nicht genöthigt gewesen wäre, seinen General vor der Hand fallen zu lassen, wenn die Russen die französischen Trümmer mit Nachdruck hätten verfolgen können, und wenn sich nicht in ihren Kreisen die Neigung gezeigt hätte, die Provinz bis an die Weichsel in bleibenden Besitz zu nehmen. Es ist hier nicht der Ort, die einzelnen Seiten der verwickelten Verhältnisse, die sich nun ergaben und die weit mehr politischer Natur als militärischer waren, auseinanderzusetzen; genug, daß Y. schwer darunter litt, doch der Sache, der er diente, nichts vergab, sich vielmehr auch jetzt seiner Aufgabe gewachsen erwies. Er ließ zunächst seinen Heertheil nach Königsberg vorrücken, womit er die Linien, welche er sich selber in der Convention gezogen hatte, unfraglich überschritt und zu verstehen gab, wie er sie auffaßte. Den Einwohnern der Provinz gab er damit die Richtung auf das Ziel, das er im Auge gehabt hatte und das erreicht werden mußte, wenn der Abschluß nicht ein Fehler, ja ein Vergehen werden sollte. Auch gewann im Lande mehr und mehr ein fieberhafter Drang die Oberhand, für die Befreiung des Gesammtvaterlandes alles einzusetzen. Aber freilich die Civilbehörden blieben unthätig und mußten es sein, [602] da man in Berlin in unverantwortlicher Weise versäumte ihnen auch nur Fingerzeige zu geben. Man war bei der halben Gefangenschaft des Königs gezwungen, das Verfahren des Feldherrn zu mißbilligen und schickte den Major Natzmer ab, der anscheinend die Convention rückgängig machen und Y. mit Massenbach verhaften, den Oberbefehl an Kleist übertragen sollte. Glücklicherweise ließen die Russen, wie man es gewollt hatte, Natzmer nicht zu Y. gelangen, so daß dieser einen officiellen Befehl nicht erhielt und die Berliner Beschlüsse, welche schon am 10. Januar in Königsberg bekannt wurden, unberücksichtigt lassen konnte; ohnehin weigerte sich Kleist, den Oberbefehl zu übernehmen. Um die Opferbereitschaft der Bevölkerung richtig zu einer allgemeinen Bewaffnung zu leiten, trat eine Anzahl ständischer Deputirten zusammen, die am 11. Januar eine Eingabe in diesem Sinne an den König richtete. Sie blieb vorläufig ohne Antwort. Da war es Stein, der am 22. Januar in Königsberg eintraf und, ausgerüstet mit einer Vollmacht Alexander’s, diese Angelegenheit zu fördern unternahm. War es nach der einen Seite dem Zwecke am meisten entsprechend, wenn die Provinz als eine von den Russen besetzte betrachtet wurde, so daß auf Anordnung des Eroberers alle die Maßregeln getroffen werden konnten, welche zur Vervollständigung des Heeres gewünscht wurden, ohne daß die Genehmigung von Berlin eingeholt ward, so verletzten andererseits verschiedene Bestimmungen des Schriftstückes das preußische Bewußtsein, um so mehr da sie mit den erwähnten Vergrößerungsplänen der Russen in Zusammenhang gebracht wurden; namentlich Schön warnte vor einer Veröffentlichung der Vollmacht. Als Stein sodann ein Zusammentreten der Provinzialstände behufs der Nationalbewaffnung forderte, auch direct in die Verwaltung eingriff, allerdings nur, um diese Frage rasch zu erledigen, fand er vielfach Widerstand, bei dem Oberpräsidenten v. Auerswald, bei den Ständen, nicht minder bei Y.; man wollte den gesetzlichen Weg so wenig als möglich verlassen, obwol man von der Regierung verlassen war. Und eben in diesen Momenten des Stockens, der Unsicherheit, am 24. Januar, brachten die Berliner Zeitungen die Berliner Absage. Wenn nun auch Y. am 27. durch öffentliche Bekanntmachung erklärte, daß ihm eine königliche Cabinetsordre über die Abgabe des Oberbefehls nicht zugegangen sei, daß er diesen weiter führen werde; wenn zugleich die Abreise des Königs nach Breslau bekannt wurde, so dauerte es doch noch lange Tage, bis ein Ausgleich zwischen dem Drängen Stein’s und dem gesetzmäßigen Sinne der Provinz gefunden ward, deren ständische Vertreter es ablehnten, ohne Berufung des Königs zu einem Landtage zusammenzutreten; nur eine Versammlung der Vertrauensmänner der Kreise und Städte fand statt. Auerswald übertrug den Vorsitz an den Leiter des ständischen Ausschusses, Schön bewog Stein, sich zurückzuhalten, Y. als den noch fungirenden Generalgouverneur mit den Anforderungen für die Landesbewaffnung eintreten zu lassen und selbst abzureisen. Dies geschah am 7. Februar. Gleichviel nun, ob auch von Breslau aus noch keine Zurücknahme der Natzmerschen Botschaft eintraf, das York’sche Corps machte sich auf den Weg nach Westen, die ständischen Vertrauensmänner aber beschlossen eine Verordnung über Landwehr und Landsturm, die zwar auf den von Scharnhorst gezeichneten Grundlagen beruhte, deren erste Fassung auch wol von seinem Schüler Clausewitz herrührte, die jedoch in ihren Einzelbestimmungen in Berathungen mit Y. festgestellt worden war. Diese Verordnung, über welche in denselben Tagen verhandelt ward, in denen in Breslau das Landesgesetz über die Landwehr zur Vollziehung berathen wurde, ging allein aus dem freien Willen der Provinz hervor, sie legte ihr die schwersten Opfer auf, schwerere als den übrigen, sie beruhte auch in ihren Grundgedanken weit mehr auf der Vorstellung von einer Gesammterhebung des ganzen Volks. In Breslau hat sie keine Billigung gefunden. [603] Desto mehr Anerkennung verdient die Gesinnung, aus der sie geboren ward, wie denn überhaupt der Januar und Februar 1813 eine solche Einmüthigkeit der Bevölkerung Altpreußens in der Uebernahme der größten Lasten, eine so patriotische Behutsamkeit der Behörden gegenüber den Russen, soviel Selbstverleugnung Stein’s und soviel Geduld und Umsicht York’s zeigen, daß die Vereinigung dieser Tugenden gerechten Anspruch auf die Bewunderung der Nachwelt hat.

Erst im März erhielt Y. die königliche Entscheidung über sein Verfahren in Poscherun. Er hatte, um der Form zu genügen, eine Rechtfertigungsschrift aufsetzen müssen, welche einer Commission von drei höheren Officieren übergeben worden war. Da diese ihn für vorwurfsfrei erklärte, so wurde ein Parolebefehl erlassen, durch welchen er in seiner Befehlführung bestätigt ward. Inzwischen war der Vertrag mit Rußland in Kalisch und Breslau abgeschlossen, es verstand sich nunmehr diese schließliche Beurtheilung seines Schrittes von selbst; trotzdem verdient hervorgehoben zu werden, daß sich Kaiser Alexander lebhaft für ihn verwandt hatte. Am 17. März zog er mit seinem Heere unter dem Jubel der Bevölkerung in Berlin ein.

Die Organisation der russischen und preußischen Armee trug noch den Stempel der Unfertigkeit, und Wittgenstein, dem nach dem Tode Kutusoff’s[WS 17] der Gesammtoberbefehl übertragen ward, zeigte sich dieser Aufgabe nur zum Theil gewachsen. Zwar das erste Gefecht, das unter seiner Führung am 6. April gegen den aus Magdeburg vorbrechenden Vicekönig von Italien geliefert ward, verlief glücklich; York’sche Truppen entschieden es. Allein der entscheidende Schlag, der bei Groß-Görschen am 2. Mai gethan werden sollte, mißglückte; auch hier bewährten sich die in Curland erprobten Leute. Noch mehr war dies der Fall bei dem verlustvollen Nachtgefecht bei Königswartha am 18. Mai, das gegen die feindliche Uebermacht nicht gewonnen werden konnte, in welchem jedoch die Zuverlässigkeit der Mannschaften und die umsichtige Besonnenheit York’s eine volle Niederlage, die auch das russische Corps Barclay’s vernichtet haben würde, verhütete, – einem Gefechte, das in seiner Besonderheit und verhältnißmäßig glücklichen Leitung einen Vergleich mit einem anderen kaum zuläßt. In der Bautzener Schlacht am 20. Mai war der Antheil York’s von keiner Bedeutung, nur die Deckung des Rückzuges fiel seinem Corps zu.

Mit dem Rückzuge in die Nähe des schlesischen Gebirges, dem Waffenstillstande, dem Zurücktreten Wittgenstein’s vom Oberbefehl schließt der erste Theil des Feldzuges von 1813. Y. war in die zweite Linie zurückgeschoben, nachdem er in Curland und Königsberg im Vordergrunde gestanden hatte. Es ist nicht anders zu denken, als daß er diese Verdunklung seiner Stellung, seines Ansehens schwer empfunden hat; er wird ein selbständiges Commando erwartet haben, wie denn in der That bei der Besetzung der ersten Stelle im schlesischen Heere zwischen ihm und Blücher eine Zeit lang geschwankt sein mag. Aus diesem Gefühle des gekränkten Ehrgeizes mag seine Opposition gegen Gneisenau, die schon jetzt hervortrat und sich immer mehr steigerte, zum großen Theil hervorgegangen sein. Es hatte überall an Ordnung und zielgemäßer Sammlung der Volkskräfte gefehlt, er hatte bewiesen, daß er dies verstehe; er kam ferner aus einem ehrenvollen Feldzuge zurück; er endlich hatte das Zeichen zu der ganzen Volkserhebung gegeben. Wie sehr ist es begreiflich, daß der Groll über die Zurücksetzung wie die Kritik über die schwungvolle, doch nicht überall tadellose Führung des folgenden Krieges sich oftmals bei dem Manne von düsterer, auf sich selbst gekehrter Lebensauffassung äußerte. In der Erfüllung seiner Pflichten ist er kein anderer geworden, und noch weniger hat seine Unerbittlichkeit und Straffheit, die den geraden Gegensatz zu der gemüthvollen Volksthümlichkeit [604] Blücher’s wie zu dem enthusiastischen Idealismus Gneisenau’s bildete, das Vertrauen der Truppen verringert, die vielmehr in ihm die sicherste Stütze und den zuverlässigsten Bürgen für einen glücklichen Ausgang sahen.

Die neue Heereseintheilung wies Kleist zur böhmischen, Bülow zur Nordarmee, Y. bildete mit den Russen unter Langeron[WS 18] und Sacken[WS 19] die schlesische. War es für das Obercommando (Blücher und Gneisenau) eine schwere Aufgabe, die Ansprüche der letzteren zu befriedigen oder niederzuhalten und gleichwol den Trachenberger Abmachungen zu genügen, die eine stets nahe Berührung mit dem Feinde, sei es angreifend oder zurückweichend vorschrieben, so erleichterte ihnen das Verhalten des heimathlichen Generals ihre Aufgabe nicht. Ihm kam es darauf an, für seine Leute auch in materieller Beziehung, für ihre Verpflegung, ihre Kleidung zu sorgen; er mißbilligte das Verfahren, dem Feinde stets mit dem gesammten Heere auf dem Fuße zu folgen und dann wieder mit der ganzen Masse auszuweichen, glaubte vielmehr, daß ein hinreichend starker Vortrab, der sich nahe am Feinde hielte, dem Heere eilige und unnütze Märsche ersparen würde. In der That waren nicht alle Maßregeln der oberen Leitung vorwurfsfrei, wie die Tage bei Löwenberg, Goldberg und Tillendorf beweisen. Es kam zu einer heftigen Scene zwischen Blücher und Y. in Jauer, und das Verhältniß ward ein so gespanntes, daß nicht einmal der Sieg an der Katzbach, der hauptsächlich den York’schen Truppen verdankt ward, einen Ausgleich brachte. Erst während des Vorrückens durch die Lausitz schien das Hauptquartier von seinem bisherigen System abzulassen, indem es eine starke Avantgarde bildete. Ein Glück, daß die Hingebung der Führer zweiten Grades, der Steinmetz, Hiller, Horn, Prinz von Mecklenburg, Katzler, Sohr, das gut machte, was von der Heeresleitung entweder versehen oder von Y. nicht erkannt wurde. Er bot sogar seinen Abschied an, ließ sich jedoch vom Könige, der ihm den Schwarzen Adlerorden verlieh, beschwichtigen. – Seine eminente taktische Begabung und die Fähigkeit, sich in unbekanntem Terrain zurechtzufinden, bewies er dann wieder am 3. October bei Wartenburg, von welchem Gefechte er später den ehrenden Beinamen erhielt, die Kunst, die Kräfte zu sparen und den Moment zu erkennen, in welchem Alles einzusetzen ist, bewährte er am 16. bei Möckern, wo er zuerst den Gegner bis unter die Mauern von Leipzig zurückdrängte. Weniger günstig wird das Gefecht bei Freyburg, das der Verfolgung Napoleon’s nach der Völkerschlacht galt, beurtheilt.

Der Feldzug des Jahres 1814 zeigt ungefähr dasselbe Bild. Wo er selbständig zu verfahren hat, schreitet er zwar sicher und kräftig, doch nicht so schnell vorwärts, wie es Blücher und Gneisenau wünschten, wo es auf die Vertheidigung ankommt, steigert sich seine Spannkraft. Eine Ausnahme macht das Gefecht von La Chaussée am 3. Februar, in welchem seine Reiterei in unaufhaltsamer Angriffsfröhlichkeit die doppelt starken Massen Macdonald’s warf und den Weg nach Chalons frei machte. Dagegen fällt es seiner eigensüchtigen Unbeugsamkeit, der es zuweilen recht war, unvorsichtige Anordnungen sich vollziehen zu lassen statt sie mit eigenen Mitteln umzugestalten und zu bessern, zur Last, daß Sacken bei Montmirail am 11. Februar unter schweren Verlusten geschlagen ward, wenngleich er ihn schließlich vor völliger Vernichtung rettete und mit den zähen Ostpreußen, dem Leibregiment und den brandenburgischen Husaren unter Horn und Sohr den Rückzug nach Château-Thierry zu Stande brachte. Es mag zuviel gesagt sein (Bernhardi, Toll[WS 20], IV, 1, 389), daß er sich durch eine rechtzeitige Unterstützung des gedrängten Kameraden in die erste Reihe der Heerführer hätte stellen können; andererseits war es eine seltsame Verkehrung der bisherigen Ordnung der Dinge, daß ihm infolge einer noch unaufgeklärten Aengstlichkeit bei Athies am 10. März die Hälfte eines glänzenden Sieges geraubt, die vollständige [605] Ausbeutung des nächtlichen Ueberfalls von Gneisenau untersagt ward, von demjenigen, der ihn sonst wol wegen mangelnden Nachdrucks öfter getadelt hatte. Er war darüber so erbittert, daß er von dem Entschlusse, sein Corps zu verlassen, nur mit Mühe zurückgebracht werden konnte.

Nach dem Einzuge in Paris ging er auf Einladung des Königs mit diesem nach England. Bei der nun nothwendigen Umformung der Armee ward ihm das schlesische Armeecorps, für den Feldzug von 1815 aber der Oberbefehl über die Truppen zwischen Rhein und Elbe überwiesen, so daß er an den Ereignissen in Belgien nicht theilnahm. Dafür hatte er den Schmerz, daß sein älterer Sohn, der freiwillig bei den Husaren Sohr’s eingetreten war, in den ersten Tagen des Juli 1815 gelegentlich des Ueberfalls von Versailles tödtlich verwundet wurde. Er nahm nun den Abschied, zog sich nach Klein-Oels zurück, verlor dann auch die einzige, an den Grafen Hoverden verheirathete Tochter[WS 21] und lebte einsam auf dem ihm als Dotation zugefallenen Gute. Sein Interesse an den öffentlichen Angelegenheiten minderte sich jedoch nicht. Als 1817 eine von Hardenberg berufene Commission die Notabeln der Provinzen aufsuchte und Klewitz auch Y. um seine Ansicht über die Errichtung von Landständen befragte, äußerte er sich dahin, daß ihm zwar die Verfassung, wie sie unter Friedrich II. bestanden, die liebste sei, daß jedoch, nachdem dem Lande einmal eine Repräsentation versprochen worden, das Wort gelöst werden müsse, und zwar so bald als möglich; auch müsse die Vertretung allgemein sein für alle Stände (v. Treitschke, Deutsche Gesch. II, 287, A. Stern[WS 22] in Quidde[WS 23], Zeitschr. f. Geschichtswissensch. IX, 1, 81). Solche Theilnahme rühmt ihm auch der Bildhauer Rauch nach, der ihn 1818 aufsuchte behufs Herstellung seines Standbildes und der in Ergänzung dessen, was Droysen II, 244 berichtet, hervorhebt, mit wie reichen Talenten er ausgestattet gewesen sei, wie er es namentlich verstanden habe, die komischen Seiten der Menschen und Dinge zu sehen und darzustellen (Eggers, Leben Rauchs I, 244). Mit Kleist zusammen ward er 1821 zum Feldmarschall ernannt, welche Würde nach dem Tode Blücher’s keiner mehr verdiente als er, die er jedoch in den Vorjahren abgelehnt hatte. Dann verlor er auch die Gattin, so daß ihm nur noch für einen Sohn und den Tochtersohn zu sorgen blieb. Erst am 4. October 1830 starb er selbst. Sein Standbild in Berlin ward 1873 aufgestellt.

Nach den Tagen von Montmirail, als er meinte die schlesische Armee zersprengt zu haben, schrieb Napoleon an seinen Bruder Joseph[WS 24], daß diese die beste der Verbündeten gewesen sei, eine Anerkennung, die zur einen Hälfte Blücher und Gneisenau, zur anderen Y. trifft. Diesem freilich ist es nicht beschieden gewesen, in dem großen Kriege, zu dem er die Losung gegeben hatte, eine der ersten Stellen einzunehmen. Wie bitter ihn das auch stimmte und wie viele seltene Eigenschaften ihn dazu zu berufen schienen: es war doch richtig, daß Blücher an die Spitze des schlesischen Heeres gestellt wurde. Y., dem es ja nicht an tieferen Herzensregungen fehlte, war nicht einfach und harmlos genug, um der volksthümliche Held der Volkserhebung zu sein. Einer der verdienstvollsten Führer, derjenige, welcher die eigentliche Stütze und Kraft des Heeres bildete, ist er gleichwol gewesen.

Droysen, Das Leben d. Feldmarsch., Grafen Y. v. W. (ein Lebensbild, dem der vorstehende Abriß fast alles verdankt, und das neben der Gründlichkeit der Forschung und der Frische der Darstellung das große Verdienst hat, daß es in einer Zeit trüber Niedergeschlagenheit den altpreußischen Patriotismus wieder erweckte). – Pertz. – Delbrück[WS 25], Gneisenau. – Lehmann[WS 26], Scharnhorst. – Beitzke, Gesch. d. Freiheitskriege. – Horn, Gesch. d. Leibregiments. – Bock v. Wülfingen, Gen. v. Katzler. – Seydlitz, Tagebuch d. [606] York’schen Armeecorps. – Beitzke, Aus d. Leben d. Gen. v. Sohr. – Wellmann[WS 27], Das Leben d. Gen. v. Horn. – v. Holleben[WS 28], Aus d. hinterl. Papieren d. Gen. v. Holleben. – Mirus[WS 29], Das Gefecht bei Wartenburg. – Duncker, Aus der Zeit Friedrich’s d. Gr. u. Friedr. Wilhelm’s III. – Rousset[WS 30], Souvenirs du Maréchal Macdonald. – Oncken[WS 31], Das Zeitalter d. Befreiungskriege. – A. Stern, Abhandlungen u. Actenstücke z. Gesch. d. preuß. Reformzeit. Außerdem die im Text angegebenen Schriften.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Luck, Caspar Fabian Gottlieb (1723–1797), preußischer Generalmajor
  2. Pierre André de Suffren (1729–1788), französischer Admiral
  3. Johanna Henriette Seidel († 1825)
  4. Lehmann, Max (1845–1929), deutscher Historiker
  5. Marschall und Kriegsminister von Frankreich; Siehe Wikipedia: Soult, Nic. Jean de Dieu (1769–1851)
  6. Französischer Generalleutnant; Siehe Wikipedia: Rapp, Jean (1771–1821)
  7. Russischer Zar; Siehe Wikipedia: Alexander I. (1777–1825)
  8. Französischer Kaiser; Siehe Wikipedia: Napoleon, Bonaparte (1769–1821)
  9. Herzog von Tarent, schottischer Marschall unter Napoleon; Siehe Wikipedia: MacDonald, Jacques (1765–1840)
  10. Protestantischer Theologe; Siehe Wikipedia: Nippold, Friedrich (1838–1918)
  11. Französischer General; Siehe franz. Wikipedia: Grandjean, Charles Louis Dieudonné (1768–1828)
  12. Schwedischer General; Siehe Wikipedia: Hans Henrik v. Essen (1755–1824)
  13. Marquis Paulucci, Philipp (1779–1849), russischer General italienischer Abstammung
  14. Französischer General, Kriegsminister und Marschall; Siehe Wikipedia: Berthier, Alexander (1753–1815)
  15. Russischer Generalfeldmarschall deutscher Abstammung; Siehe Wikipedia: Diebitsch, Hans Karl Friedrich Anton v. (1785–1831)
  16. Antoine Marie Philippe Asinari von Saint-Marsan (1767–1828)
  17. Russischer General; Siehe Wikipedia: Kutusow, Michail Larionowitsch Golenitschew (1745–1813)
  18. Russischer General französischer Abstammung; Siehe Wikipedia: Langeron, Graf v. (1763–1831)
  19. Russischer Feldmarschall; Siehe Wikipedia: Osten-Sacken, Fabian Gottlieb (1752–1837)
  20. Russischer General der Infanterie; Siehe Wikipedia: Toll, Carl Wilhelm Graf von (1777–1842)
  21. Berta (1801–1819)
  22. Alfred Stern (1846–1936), deutscher Historiker
  23. Deutscher Historiker und Politiker; Siehe Wikipedia: Quidde, Ludwig (1858–1941)
  24. König von Neapel, Spanien; Siehe Wikipedia: Bonaparte, Joseph (1768–1844)
  25. Deutscher Historiker, Politiker; Siehe Wikipedia: Delbrück, Hans Gottlieb Leopold (1848–1929)
  26. Lehmann, Max (1845–1929), deutscher Historiker
  27. Wellmann, Richard
  28. Preußischer General und Militärschriftsteller; Siehe Wikipedia: Albert von Holleben (1835–1906)
  29. Mirus, Richard von (1812–1880), preußischer Oberleutnant und Kommandeur der roten Husaren
  30. Französischer Geschichtsschreiber; Siehe Wikipedia: Rousset, Camille (1821–1892)
  31. Deutscher Geschichtsforscher; Siehe Wikipedia: Oncken, Wilhelm (1838–1905)