Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Schmalz, Theodor Anton Heinrich“ von Ernst Landsberg in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 31 (1890), S. 624–627, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Schmalz,_Theodor&oldid=- (Version vom 10. Oktober 2024, 02:06 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Schmalz, Friedrich
Band 31 (1890), S. 624–627 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Theodor Schmalz in der Wikipedia
Theodor Schmalz in Wikidata
GND-Nummer 104314206
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|31|624|627|Schmalz, Theodor Anton Heinrich|Ernst Landsberg|ADB:Schmalz, Theodor}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=104314206}}    

Schmalz: Theodor Anton Heinrich S., Jurist und Cameralist, ist geboren zu Hannover am 17. Februar 1760, besuchte daselbst und zu Stade das Gymnasium, lag von 1777 bis 1780 dem Studium der Theologie ob, ward Hofmeister eines adeligen Herrn und warf sich als solcher auf die Jurisprudenz, bei welcher er dann im wesentlichen verblieben ist. Er ward 1785 Privatdocent zu Göttingen, unterbrach seine akademische Laufbahn 1786 behufs weiterer Privatausbildung, während welcher er in Hannover lebte, erwarb darauf in Rinteln die juristische Doctorwürde und wurde dort 1787 außerordentlicher, sowie im folgenden Jahre ordentlicher Professor der Rechte. Ostern 1788 folgte er einem Rufe zu derselben Stellung nach Königsberg, wo er 1793 als Assessor bei der ostpreußischen Kriegs- und Domänenkammer, 1798 als Consistorialrath und 1801 als Kanzler und Director der Universität bestellt wurde. In gleicher Eigenschaft und unter Beilegung des Charakters eines Geheimen Justizraths 1803 nach Halle versetzt, legte er infolge der Einverleibung dieser Stadt und Universität in das Königreich Westfalen 1808 seine sämmtlichen Posten nieder, begab sich zu seinem Könige nach Memel, erhielt dort auch das Versprechen baldiger Anstellung, mußte aber einstweilen in Berlin privatisiren, bis 1809 ein Amt als Rath im Oberappellationssenate des Kammergerichts für ihn frei wurde; weiterhin bei Gründung der Universität Berlin zum Ordinarius der juristischen Facultät ernannt, sah er sich sofort durch Allerhöchstes Vertrauen zum ersten Rector der neuen Hochschule bezeichnet, und hat diese Würde bekleidet von Michaelis 1810 bis 1811, da Fichte als sein Nachfolger eintrat.

Bis dahin war S. im politischen Leben nicht in auffallender Weise hervorgetreten; wäre es dabei verblieben und hätte er sich damit begnügt, in seinen Büchern seine folgerichtigen und durchdacht gegliederten staatsrechtlichen Ideen darzustellen, den Absolutismus als die beste Verfassungsform zu preisen, jedes [625] Repräsentativsystem zu verwerfen, die Lehre von der Theilung der Gewalten in die legislative, richterliche und executive als verkehrt nachzuweisen u. s. f., so wäre seinem Namen wol die weite Verbreitung versagt, aber auch ein gewisser unangenehmer Klang erspart geblieben, welcher ihn seit 1815 begleitet. In diesem Jahre nämlich ließ er eine Flugschrift erscheinen, welche unter dem durchsichtigen Vorwande, eine ihn persönlich betreffende biographische Notiz in der Venturinischen Chronik auf das Jahr 1808 zu verbessern, auf eine ebenso lärmende wie bodenlose Denunciation der als in Deutschland noch fortbestehend geschilderten und revolutionärer Gesinnung sowie schändlicher moralischer Tendenzen angeklagten Geheimbünde, nach Art des Tugendbundes und ähnlicher, hinauslief, Verdächtigungen nach allen Seiten ausstreute und, zum Ueberflusse vom Verfasser direct an mehrere deutsche Regierungen versandt, den Stempel der Demagogenriecherei und des Wunsches, die eigene Loyalität herauszustreichen, deutlich an der Stirne trug. Doch noch war es in Deutschland und Preußen zu früh für ein derartiges Beginnen, wie S. alsbald erfahren sollte: von allen Seiten erfolgten laute, lebhafte, sachlich wie formal weit überlegene Antworten. Die Unterscheidung, welche die Schrift zwischen den Geheimbünden jetzt und vor der Vertreibung der Franzosen machte, indem für jene frühere Zeit als entschuldbar bezeichnet war, was seitdem Frevel sei, konnte, so correct sie juristisch und logisch sein mag, doch nicht verhindern, daß mit der augenblicklichen Gestalt auch das frühere Wesen beleidigt erschien; aber auch an directen Angriffen gegen den Geist der alten Bünde selbst als barbarisch wilden, zu rasenden Thaten des Hasses auffordernden fehlte es bei S. nicht; und namentlich erregte einen Entrüstungssturm die Behauptung, eben das sei an der Erhebung des preußischen Volkes zu preisen, daß sie nicht in ungezügelter Leidenschaft der Begeisterung, sondern in ernsthaftester, stiller Pflichterfüllung auf des Königs Gebot hin erfolgt sei. Gerade dies letztere scheint so schlimm nicht gemeint gewesen zu sein; der Gegensatz zwischen der Begeisterung, welche jäh aufflackernd dem momentanen Affect oder langsam anschwellend gesundem, nachhaltigem Pflicht- und Vaterlandsgefühl im Einklange mit der Ueberzeugung entspringt, läßt sich psychologisch wohl vertreten und in wissenschaftlich abwägender Darstellung mag die zweitgeartete das höhere Lob finden; aber so wie der Schmalz’sche Satz kurz dastand, erklang er wie eine Leugnung alles wahrhaft Großartigen in der unmittelbaren glorreichen Vergangenheit, unerträglich denjenigen, die selbst mitgeopfert, mitgekämpft und mitgerungen hatten. Nicht nur Koppe, Fr. Förster, Krug, Rühs, Ludw. Wieland u. a., sondern allen voran Niebuhr und Schleiermacher traten gegen S. auf, um ihn, ersterer mit der Wucht seiner sachlichen Ausführungen, letzterer mit dem Glanze und der Schärfe seiner Dialektik, zu zerschmettern. Entgegnungsversuche des allseitig Angegriffenen erschienen noch schwächer als seine erste Schrift und fanden noch unbedingtere Abfertigung; der Streit nahm solche Verhältnisse an, daß sein Ende gewaltsam durch eigene königl. Verordnung vom 6. Januar 1816 herbeigeführt werden mußte, welche die Polemik und überhaupt jede weitere Publication über die Geheimbünde verbot. S. ist zweifellos als Besiegter aus dem von ihm entzündeten Kampf hervorgegangen; wenn er bald darauf einen württembergischen und einen höheren preußischen Orden erhielt, so sollte ersterer ihn jedenfalls als Denuncianten belohnen, während er um Preußen sattsam anderweitige Verdienste hatte, um die Verleihung gerechtfertigt, nur den Augenblick als schlecht gewählt erscheinen zu lassen.

Fragt man sich, was den bis dahin nur vortheilhaft bekannten Mann, den Schwager Scharnhorst’s, zu einem solchen Schritte hatte veranlassen können, so ist keinenfalls an Mißachtung des in den Freiheitskriegen hervorgetretenen patriotischen [626] Gefühles zu denken: das beweist sein Verhalten in Halle, wie er denn noch zwei Male, je ein Mal in Hamburg und Berlin, von den Franzosen verhaftet und wegen des Verdachtes, mündlich oder durch Pamphlete gegen sie agitirt zu haben, arg bedroht worden war. Ebensowenig ist anzunehmen, daß S. hätte einzelne, persönliche oder politische, Gegner durch seine Schrift verderben oder verdächtigen wollen: dazu ist sie viel zu allgemein gehalten, bezieht sich auf Einzelpersönlichkeiten selbst nicht in versteckter Weise, wie denn auch die erbittertsten Gegenschriften keinen derartigen Vorwurf erheben. Daß er für sich keinen greifbaren Vortheil anstreben konnte, da seine Laufbahn in allen Beziehungen abgeschlossen und weitere Beförderung für ihn kaum denkbar war, hebt S. selbst bei seiner Vertheidigung unwidersprochen und wol mit Recht hervor. Vielmehr scheint das Motiv zu suchen in der leidigen Großmannssucht, in dem Wunsche, von sich reden zu machen, als weitblickender, feinfühlender, mannigfache Beziehungen und Kenntnisse mannigfach verwerthender Staats- und Hofmann hervorzutreten, vielleicht auch die persönlich gute Meinung beim Könige zu bestärken; auch mag S. überhaupt nicht voll gewußt haben, was er anrichtete, so daß er von der lebhaften und verächtlichen Anfeindung, die ihm widerfuhr, überrascht und erschüttert worden zu sein scheint. Ist nun freilich seine Flugschrift hiermit keineswegs gerechtfertigt, so mögen doch derartige Betrachtungen den Verfasser immerhin in ein milderes Licht stellen; er soll sich im Verlaufe seines weiteren Lebens namentlich durch gefällige Urbanität im Verkehr auch mit anders Gesinnten, feinen Witz und gute Umgangsformen, sowie durch Wohlthätigkeit ausgezeichnet und häufig geradezu das Bestreben an den Tag gelegt haben, sich Vergessenheit oder Vergebung jener traurigen Episode zu sichern. Seiner politischen Richtung blieb er jedoch stets treu und äußerte dieselbe noch in den späten zwanziger Jahren in äußerster Folgerichtigkeit zu Gunsten des Absolutismus in Portugal, wie er dort in der Person Dom Miguel’s seine traurigste Vertretung fand. Bei solcher Gesinnung lag es nahe, daß, als bei ihm am Abende des Lebens die ursprüngliche theologische Richtung wieder in den Vordergrund trat, er sich dem Pietismus näherte, von welchem er aber als ganz „voll“ nie angenommen worden sein soll; am 20. Mai 1831 ist er gestorben.

Seine schriftstellerische und Lehrthätigkeit war eine äußerst vielseitige; es ist wol von ihm gesagt worden, er verstehe alle Wissenschaften mit Ausnahme der Medicin; auch überrascht in seinen cameralistischen Werken die Fülle des technischen und wirthschaftlichen Details, wennschon er geschickt genug war, derartige Theile seiner Encyklopädie der Cameralwissenschaften durch Männer wie Thaer, Hartig, Hermbstädt überarbeiten zu lassen. Zahlreiche Lehr- und Handbücher des Römischen, des Natur-, des Kirchen-, des Deutschen Privat-, des Völker- und des Staatsrechts machen seine juristische Production aus; sie alle zeichnen sich durch gewandte Schreibart, Uebersichtlichkeit und Glätte der Darstellung, sowie durch Klarheit in der Durchführung der Grundideen aus. Daß dabei keine sonderliche Tiefe erreicht wird, ist bei derartiger Vielseitigkeit selbstverständlich. Dagegen besitzt S. eine große Kunst, sich getreu zu bleiben und doch mit fremden Ideen sich abzufinden. So schon im Leben; er hatte ursprünglich noch 1806 die Anschauung vertreten, es sei einfach die Universität Halle nach Berlin zu ziehen; als dann die Gründung der Universität Berlin in ganz anderer Weise und auf den Rath ganz anderer Männer erfolgte, wußte S. rasch über diese Gegensätze hinwegzusehen und nur das festzuhalten, daß er einer der Ersten gewesen, welche zu einer Universität Berlin gerathen hatten: eine Rolle, welche er um so leichter hatte sich zuzuschreiben, als er in ihr durch seine Ernennung zum ersten Rector eine gewisse Bestätigung erhielt. So auch in der Wissenschaft. Von Hause aus in der Nationalökonomie Physiokrat, in der Politik Absolutist, [627] in der Jurisprudenz Anhänger des Naturrechts, hat er diese seine Grundanschauungen stets beibehalten und sich doch dem wechselnden Zeitgeist anzuschmiegen, aus den Anregungen, welche den verschiedenen, von ihm getriebenen Wissenschaften eine neue Blüthezeit brachten, für sich Gewinn zu ziehen verstanden. So ist er der Kant’schen Philosophie vielfach und namentlich durch die Verwendung des Freiheitsbegriffes, so der historischen Schule v. Savigny’s durch Anerkennung der Bedeutung der Rechtsentwicklung nahegetreten: immer aber bloß in einer gewissen äußerlich vereinigenden, den Kern der Auffassung und Methodik unberührt lassenden Weise, welche ebensosehr ein hohes Talent rascher und glänzender Auffassung, wie die Neigung zu eilfertigem Abschlusse und selbstgefälliger Befriedigung an den Tag treten läßt. Zur zweiten Natur war ihm geworden die dem Naturrechte entstammende, diesem mit der schlimmsten mittelalterlichen Scholastik in Grund und Folge gemeinsame, bequeme Gewohnheit, von oben herab auf die Thatsachen zu schließen und aller Detailforschung zu entrathen, so daß z. B. noch in seinem Lehrbuch des Deutschen Staatsrechtes, Berlin 1825, die Darstellung des Territorialstaatsrechts ein farbloses Absud von allgemeinen Sätzen und eine allgemeine Schablone, ohne jede Berücksichtigung des Preußischen oder sonst irgend eines positiven Partikularstaatsrechtes, ist. Bei aller Flachheit aber besitzt er in hohem Maaße das, was man gesunden Menschenverstand nennt; schlagend sind seine Vergleiche zwischen dem Despotismus der römischen Kaiser und der französischen Revolutionäre; seine Ausführungen über die Bedeutungslosigkeit der Verfassungsform für die allgemeine Wohlfahrt, über die Verwerflichkeit dutzendweise producirter Papierconstitutionen, über die Berechtigung sowol der philosophischen wie der historischen Rechtsanschauung sind treffend; die Neigung zu geschichtlich fest erwachsener Staatsform hat ihn sogar dazu gebracht, ein eigenes Werk über englische Verfassung zu schreiben, welchem z. B. v. Mohl keineswegs alle Anerkennung versagt hat; seine Heranziehung der Kant’schen Philosophie ist eine geschickte und beweist, wennschon keine tiefe Verarbeitung, so doch eine Werthschätzung des Königsberger Philosophen, welche damals keinswegs noch so allgemein war und schon deshalb ihr Verdienst hat. Nimmt man hierzu die persönliche Eitelkeit, Gefälligkeit, Gewandtheit und Unbefangenheit des in allen Sätteln gerechten Mannes, seine Höfischkeit, seine Kunst, über Unannehmlichkeiten rasch hinwegzukommen, den geistreichen Ton seiner Schriften, den eleganten, wohlgepflegten Stil, durch welchen sich schon die ersten derselben in einer Zeit, zu welcher derartiges in Deutschland noch unerhört war, auszeichnen: so erhält man das Bild eines Mannes, welchem Bedeutung und Talent nicht abzusprechen sind, dessen Werke für ihre Zeit werthvolle Zusammenstellungen boten, dessen Geist vielseitig, dessen Blick scharf gewesen ist; und welcher doch die Wissenschaft nirgendwo eigentlich gefördert hat, dessen Bücher dennoch kein längeres Leben beanspruchen können; den Typus eines Gelehrten, welcher, bei uns selten, fast an französische Eigenart erinnert, wennschon S. selbst, welcher von Entrüstung gegen alles Welsche überfließt, mit diesem Vergleiche sich wenig zufrieden erklären würde.

Neuer Nekrolog der Deutschen IX (1831), S. 438. – Staatswörterbuch von Bluntschli und Brater IX, 347 (v. Kaltenborn). – v. Schulte, Geschichte der Quellen und Litteratur des kanonischen Rechts III b, 178. – Roscher, Geschichte der Nationalökonomie, S. 498. – v. Mohl, Geschichte und Litteratur der Staatswissenschaften II, 248. – v. Treitschke, Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert II, 115 f., III, 751 f.