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Artikel „Savigny, Friedrich Karl von“ von Ernst Landsberg in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 30 (1890), S. 425–452, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Savigny,_Carl_von&oldid=- (Version vom 19. März 2024, 04:35 Uhr UTC)
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Savigny: Friedrich Karl v. S., Rechtsgelehrter, wurde geboren zu Frankfurt a. M. am 21. Februar 1779. Seine Familie gehört der von Alters erbgesessenen reichsadligen Ritterschaft des Herzogthums Oberlothringen an. Das feste Schloß und die Herrschaft S. liegen dort im Amte Charmes, am linken Ufer des der Mosel zuströmenden Madon, unfern der Mündung seines Nebenflusses Colon. Eine Grabinschrift in der benachbarten Cistercienserabteikirche Beaupré an der Meurthe macht es zweifelhaft, ob directe Blutverwandtschaft bis zu den beiden ältesten bekannten Rittern des Namens reicht: einem Andreas v. S., welcher 1191 und 1192 als Kreuzfahrer an der Seite Richard’s von England kämpfend u. a. Darum eroberte, und einem Johann v. S. aus Burgund, welcher den Kaiser Heinrich VII. auf seinem Römerzuge begleitete, von demselben 1312 zum Capitan von Rom ernannt wurde und sich auf dem Rückzuge durch entschlossene Tapferkeit auszeichnete. Dagegen dürfte die regelmäßige Geschlechtsfolge feststehen seit Barry de Parroye, Sire de Savigny und Sprößling der Grafen von Metz, Lunéville und Dachsburg, gestorben 1353, dessen Nachkommen vielfach in Lothringen als reich begütert, mit den höchsten Staats- und Kirchenämtern des Herzogthums betraut und im Besitze ältester Schöffenstühle erscheinen. Im J. 1630 stand das Haus, so scheint es, auf den zwei Augen Paul’s, achtjährigen verwaisten Sohnes Peters v. S. und Susanna’s von Berçon; den Knaben führte damals Graf Philipp von Leiningen-Westerburg, wohl kraft älterer verwandtschaftlicher Beziehungen, aus seiner Vaterstadt Metz der protestantischen Religion wegen mit nach Deutschland. Dort hat von da ab die Familie neue Wurzeln geschlagen, losgelöst von den bisher getheilten Schicksalen des Stammlandes, welches, wenn schon ursprünglich deutsch-burgundisch, doch unzweifelhaft seit Jahrhunderten romanischem Culturgebiet angehörte; in Frankreich gilt sie als erloschen und sind ihre Besitzungen an die Bassompierres und Choiseuls übergegangen. – Paul v. S. wurde mit dem Sohne jenes Grafen v. Leiningen, Ludwig Eberhard, erzogen, diente zunächst in französischen, sodann im schwedischen Heere unter Wrangel, ward später Befehlshaber einer kleinen deutschen Grenzfestung, des sogenannten Residenzhauses Alt-Leiningen, erwarb Grundbesitz in dem Leiningen’schen Lehen Calestadt und ist dort 1685 gestorben. Sein Sohn Ludwig Johann v. S., fürstlich-nassauischer Geheimer Rath und Präsident zu Weilburg, unseres S. Urgroßvater, hat sich durch ein 1692 kühn und großartig unter dem Titel „Dissolution de la réunion“ geschriebenes Buch und den in demselben erhobenen scharfen Protest gegen die Réunionskammern ein Denkmal gesetzt, kraft dessen er in einer deutschen Biographie Erwähnung auch um seiner selbst willen verdient. Sein Sohn Ludwig war Freiwilliger unter dem kaiserlichen General Rehbinder bei der Entsetzung von Turin, ward gräflich nassau-saarbrücken’scher Rath, trat in pfalz-zweibrückische Dienste über und gelangte in diesen bis zu der Stellung eines Cabinetsministers; er hat den bedeutenden Familienwohlstand befestigt durch Verheirathung mit einer Tochter des hessen-hanauischen Kanzlers und Geheimen Raths v. Crantz, von welcher namentlich das von dem Enkel oft und gern bewohnte Gut Trages bei Gelnhausen herrührt. Aus dieser [426] Ehe wurde Savigny’s Vater, Christian Karl Ludwig, zu Traben an der Mosel den 17. August 1726 geboren; derselbe war 1752 Regierungsrath in pfalz-zweibrückischen, 1759 Director und Geheimer Regierungsrath in fürstlich isenburg-birsteinischen Diensten, ein Mann von hoher persönlicher Würde, welchen die deutsche Reichsritterschaft in ihren Verband aufnahm und mehrere Fürsten als ihren Kreisgesandten zu den oberrheinischen Kreistagen nach Frankfurt entsandten. Er verehelichte sich mit Henriette Philippine, zu Zweibrücken am 16. August 1743 geborener Tochter des pfalz-zweibrückischen Geheimenrathes Groos, welche uns als geistig hochbegabt und ihrem reformirten Glaubensbekenntniß mit frommem Ernst anhänglich geschildert wird. Eine reich blühende Familie schien sich um das Paar versammeln zu wollen; aber von dreizehn Kindern sanken noch vor den Eltern zwölf ins Grab, ihnen folgte 1791 der Vater, 1792 die Mutter; mit Glücksgütern zwar reichlich ausgestattet, aber völlig verwaist blieb einzig übrig ein 13jähriger Knabe, der zum Heile der Rechtswissenschaft vom Tode verschonte Friedrich Karl v. Savigny.

Die Vormundschaft über ihn nahm ein naher Freund des Vaters auf sich, der Assesor am Reichskammergericht zu Wetzlar v. Neurath, ein bewährter und beliebter Praktiker, welcher sein Mündel bis zum 16. Jahre bei sich zu Hause behielt und ihm selbst den ersten encyklopädischen Rechtsunterricht ertheilte, in der damals üblichen starren Form schablonenhaft auswendig zu lernender Fragen und Antworten. Neben den nächstliegenden schweren Mängeln dürfte diese berüchtigte Methode, wenn sie in so jugendlichem Alter bloß zur Vorbereitung, ohne abzuschrecken noch abzustumpfen, angewandt wird, den Vortheil einer überaus sicheren Grundlegung bieten. Ostern 1795 bezog dann S. die Hochschule Marburg; bereits genügend „institutus“ hörte er zweimal Pandekten, bei Erxleben und bei Philipp Friedrich Weis, deutsches Privatrecht bei Bauer, gemeinen Civilprozeß zwei Male bei Erxleben und Robert, dessen Praktikum er auch besuchte. Von allen diesen Professoren vermochte jedoch nur Weis dem aufstrebenden Geiste und wissenschaftlichen Verlangen Savigny’s in höherem Sinne entgegenzukommen; er ist ihm thatsächlich entgegengekommen mit gleich rühmlich rascher wie freudiger Erkenntniß des Glücksfalles, welcher ihm den Meister-Schüler zuführte. In den humanistischen Ueberlieferungen der eleganten holländischen Juristenschule ausgebildet, besaß Weis ausgedehnte gelehrte, auch philologische Kenntnisse, lebhafte wissenschaftliche, namentlich litterarhistorische Interessen und die Gabe der Mittheilung an die Zuhörer; durch seine Strebungen und in seiner Bibliothek trat S. vorzüglich mit den Heroen der mittelalterlichen Jurisprudenz in nahe Berührung; dabei erhielt auch die Neigung, alte Drucke und Handschriften zu sammeln, Pflege und Nahrung. So ist ein dauernder enger Anschluß an den Lehrer zu Stande gekommen, dessen S. bis an des eigenen Lebens Ende mit weitgehender Pietät und Dankbarkeit zu gedenken liebte; gleichfalls in nahe Beziehungen trat er zu dem als Philologen geschätzten Pfarrer Bang der Ortschaft Goßfelden b. Marburg. Göttingen, wo das Wintersemester 1796 verbracht wurde, bot weniger fachwissenschaftliche Befriedigung, allerdings wohl nur deshalb, weil keine nähere Berührung mit Hugo stattfand; dagegen fesselten die für damalige Kathederverhältnisse unerhört glänzenden historischen Vorträge Spittler’s. Inzwischen hatten die angestrengten Studien zu bedrohlicher Gesundheitszerrüttung geführt, welche sich in einem Blutsturze äußerte; behufs Ausheilung mußte während des Sommers 1797 ruhig auf dem Landgute Trages ausgeharrt werden; dann konnten freilich wieder einige Semester rüstiger Arbeit in Marburg unter den Freunden v. Motz, Pourtales, Becker folgen, aber schon 1799 machte sich abermals das Bedürfniß der Erholung geltend und bewog zu einer Reise nach Sachsen und Böhmen, an welche sich nach wiederhergestelltem Wohlbefinden [427] ein dem Privatstudium gewidmeter, je mehrmonatlicher Aufenthalt in Leipzig, Halle und Jena anschloß. An letzterem Ort traf S. den alten Frankfurter Freund Clemens Brentano und lernte Männer wie v. Oberg, Arnold Heise, H. Lichtenstein, Klingemann und Johann Dietrich Gries kennen; dagegen findet sich kein Anhaltspunkt dafür, daß er bei unseren Classikern persönlich eingeführt gewesen wäre, so naheliegend auch wohl der Zutritt, zu seinem großen Landsmanne namentlich, uns erscheint. Der allgemeine litterarischer Einfluß Goethe’s dürfte darum nicht weniger mächtig gewesen sein; nur freilich die Combination, daß die im Sommer 1800 vorgenommene Lectüre des „Wilhelm Meister“ S. bewogen habe, sich zu geregelter Arbeit zurückzuwenden, spricht bei der ganz selbstgegebenen Stetigkeit und Sicherheit in der Lebensführung des Mannes weniger an. Vielmehr scheint der Entschluß, sich dem akademischen Rechtsunterricht zu widmen, längst festgestanden und auch während dieser „Lehrjahre“ folgerichtig sich erhalten zu haben; am 31. October 1800 erwarb S. von der juristischen Facultät der Universität Marburg die Doctorwürde, auf seine Dissertation „de concursu delictorum formali“ hin, und im Wintersemester desselben Jahres eröffnete er dort seine Lehrthätigkeit. Zuerst las er, dem Stoffe der Doctorschrift entsprechend, über Strafrecht; jedoch schon im nächsten Halbjahre ging er zum Civilrecht über, welchem Fache sein Leben wesentlich gewidmet bleiben sollte. „Er behandelte es nach Hugo’s Vorgang und Methode historisch, exegetisch und systematisch in einem Cyklus von Vorlesungen über Methodologie, Rechtsgeschichte, die er namentlich nach Hugo lehrte, Ulpian, die zehn letzten Bücher der Pandekten, Obligationenrecht und Erbrecht“ (Rudorff, a. a. O., S. 17). Damals haben die beiden Brüder Grimm als seine Schüler von ihm lebhafteste wissenschaftliche Anregung empfangen, während Clemens Brentano freundschaftlich bei ihm weilte und die Beziehungen zu Weis andauerten; am 13. März 1803 ward er, auf eigenen Antrag, zum außerordentlichen Professor ernannt, kurze Zeit darauf erschien: „Das Recht des Besitzes, eine civilistische Abhandlung von Friedrich Karl v. Savigny“, und in eben diesem Jahre schloß der Verfasser, auf dem Trages, die Ehe mit Kunigunde Brentano, einer Tochter des kurtrierischen Geheimenraths Brentano zu Frankfurt, der Schwester „Gundel“ von Clemens und Bettina Brentano. Seinem unruhigen Schwager hatte er längst nahe gestanden und auf dessen unruhig flatternde Phantasienatur heilsamst eingewirkt; seiner Schwägerin Bettina, welche mehrfach bei dem jungen Paar weilte, verdanken wir manche Skizzen, welche uns den S. dieser Epoche persönlich näher bringen, und namentlich eine Schilderung seines Marburger Wohnortes, des „Forsthofes“, welche an poesievoller Anschaulichkeit den regelmäßig angeführten Bericht Jakob Grimm’s ebenso übertrifft, wie an Genauigkeit unerreicht läßt.

Nicht lange mehr sollte jedoch dieses romantische Heim bestehen; zwei Berufungen freilich lehnte S. ab, die eine nach Heidelberg, wohin er dann die Juristen Heise und Thibaut sowie den Philosophen Jacob Friedrich Fries empfahl, die andere nach Greifswald; aber nur, um desto freier, wie es die glückliche Vermögenslage gestattete, in Begleitung immer der Gemahlin und bisweilen auch einer Schwägerin, die langgeplante mehrjährige Studienreise durch Bibliotheken und Archive antreten zu können, welche bezweckte, Materialien aufzusuchen und anzuhäufen zu der großen auf Weis’ Anregung zurückgehenden Unternehmung einer mittelalterlichen Rechtsgeschichte. Zuerst ging die Expedition nach dem Westen, über Heidelberg, Stuttgart, Tübingen, Straßburg zu längerem Aufenthalte nach Paris, woselbst man am 2. December 1804 anlangte, ein Datum, welches eine gewisse Berühmtheit erlangt hat durch den bei der Einfahrt erlittenen Verlust eines hinten vom Wagen abgeschnittenen Koffers; es war gerade derjenige, welcher, wennschon nicht, wie vielfach ungenau angegeben wird, die [428] Notizen über die bisherigen Reisefrüchte, so doch die unentbehrlichen Vorarbeiten zu den beabsichtigten Studien, Manuscriptindices u. dgl., enthielt. Indessen wurde das Verlorene Dank eigenen sicheren Gedächtnisses und treuer Hülfe des herbeigerufenen Jacob Grimm möglichst rasch und vollständig wiederhergestellt, so daß die Forschungen nicht aufgehalten wurden; die Ausbeute war so ergiebig, daß selbst die begleitenden Damen, so wird uns erzählt, an der Bergung derselben theilnahmen, obgleich S. in Paris 1805 die einzige Tochter – mehrere Söhne folgten in spätern Jahren – geboren ward. Die Rückreise (Ende 1805) führte über Metz und Coblenz; in Marburg wurde kaum eine Pause gemacht, dann nach dem Osten aufgebrochen, wo man Nürnberg, Altdorf, Erlangen, München und Wien besuchte, von dort aus endlich wurden die Schritte heimwärts gelenkt über Weimar und Cassel nach Frankfurt. Während dieser „Wanderjahre“ erschien 1806 die zweite Auflage des Besitzrechts. Zur Wiederaufnahme der Marburger Lehrthätigkeit ist es nicht mehr gekommen; Verhandlungen schwebten mit Jena und, zum zweiten Male, mit Heidelberg, ohne zu einem Erfolge zu führen; 1808 nahm S. den Ruf an die von Ingolstadt soeben dorthin verlegte Universität Landshut an mit dem Titel eines Hofrathes, einem Gehalte von 3000 fl., Umzugsgeldern von 1500 fl. und unter der Bedingung, wenn es ihm dorten nicht gefalle, sich nach zwei Jahren eine andere bairische Akademie aussuchen zu dürfen. Eine Verwerthung fand diese letzte eigenthümliche Clausel indessen nicht, und zwar nicht bloß deshalb, weil binnen der Frist von zwei Jahren ganz andere Verhältnisse eintraten; vielmehr gestaltete sich das Leben in Landshut für S. offenbar recht angenehm. Waren auch die Fachcollegen nicht so, wie er sie sich wünschen mochte, so gab doch reichen Ersatz der Verkehr mit dem Professor, späteren katholischen Bischof Johann Michael Sailer, dessen gemüthvolle Religiösität ihn tief beeinflußte, wie er denn überhaupt dort zu dem Anerkenntniß kam, daß „das Beste, ja das einzig Gute, was von Anstalt und Einrichtung hier ist, in den Resten der alten geistlichen Verfassung liegt“ (Enneccerus, Anhang, S. an Bang, S. 60). Sodann umgab ihn ein weiter Kreis anhänglichster und begeisterter, wie ein engerer Kreis bedeutender und geistesverwandter Schüler und Freunde; von dem Treiben jener und der Persönlichkeit dieser: – Nepomuck Ringseis, v. Schenk, Freiherr v. Salvotti (späterer österreichischer Reichsrath), Freiherr v. Gumpenberg, Freiberg, Ludwig Grimm (der Maler) – giebt uns wiederum Bettina eine „deutliche“ Beschreibung, und zwar bei Gelegenheit des Aufbruches von Landshut, welcher 1810 erfolgte.

Bisher hatte S., in seiner den politischen Tagesläufen abgekehrten Wissenschaft aufgehend, abgeschlossen von den Napoleonischen Wirren gelebt; nunmehr erging an ihn der Ruf, das römische Recht an der neu begründeten Universität Berlin zu vertreten, mitzuwirken in dem geistigen Ringen, in welchem der preußische Staat sich auf die Abschüttelung des fremden Joches vorbereitete, überzusiedeln aus dem heimischen Süden in den fremden Norden, aus der Ruhe der Provinzialstadt in die geistigen wie politischen Lebens volle Residenz – und er zögerte keinen Augenblick, diesem Rufe Folge zu leisten. Seitdem zeichnet sich sein Lebenslauf nicht mehr ab in Bettina’s losen Blättern, sondern in den Annalen preußischer Geschichte. Wilhelm v. Humboldt hatte unsern S. dem Könige Friedrich Wilhelm III. als denjenigen empfohlen, „von welchem der König die Vertiefung des Rechtsbewußtseins, die richtige Behandlung und Leitung des ganzen Studiums der Jurisprudenz erwarten dürfe“; „Sie müssen noch eher da sein, als die Universität“, hatte Humboldt dann dem Berufenen geschrieben. So löste dieser unmittelbar seine Landshuter Verpflichtungen, um über Salzburg, Wien und Böhmen – in Bukowan, Kreis Prag, waren Geschwister seiner Frau angesessen – nach Berlin zu reisen, wo er sofort in die Commission zur Einrichtung der [429] Universität berufen wurde. In dieser setzte er durch, daß als Grundlage des Rechtsstudiums das gemeine, nicht das preußische Recht gewählt und deshalb neben ihn noch ein Romanist berufen wurde, sowie daß, ursprünglicher Absicht entgegen, behufs Sicherung einer gewissen Verbindung zwischen Theorie und Praxis, die juristische Facultät ihr Spruchcollegium erhielt, für welches S. bis zu seinem Austritte im J. 1826 allein 138 Relationen ausgearbeitet hat. Am 10. October 1810 begann er seine Vorlesungen vor 46 Zuhörern, unter welchen sich Göschen, Dirksen, v. Rönne, v. Gerlach befanden; am 29. April 1811 trat er als ordentliches Mitglied in die historisch-philosophische Classe der Akademie der Wissenschaften ein; Niebuhr’s Vorlesungen über römische Geschichte wohnte er, ein eifriger Zuhörer, bei und schloß mit Niebuhr selbst sowie mit dem 1811 nach Berlin gewonnenen Eichhorn ein auf gegenseitige höchste Anerkennung gegründetes Freundschaftsverhältniß. Bei der ersten Rectorwahl fielen auf ihn 10, auf Fichte 11 von 21 abgegebenen Stimmen; da aber Fichte auf die Fortführung der Geschäfte verzichtete, so wurde S. durch besonderes, unmittelbares königliches Vertrauen am 16. April 1812 zum Rectorate berufen, welches er bis zu dem Tage der Leipziger Schlacht am 18. October 1813 – später aber, behufs Erhaltung schönsten Gedächtnisses, nie wieder geführt hat. In diese Jahre fällt die gewaltige Anspannung aller preußischen Kräfte, welche schließlich jeden dem bürgerlichen Berufsleben entzog, die Hörsäle der zu den Waffen strömenden Jugend beraubte, S. als Mitglied des Ausschusses zur Errichtung von Landwehr und Landsturm beschäftigte; als dauerndes Erinnerungszeichen ward ihm damals das eiserne Kreuz am weißen Bande verliehen.

Auf solche Stürme folgt bis 1842 eine lange Periode ruhiger Thätigkeit in den alten Geleisen. Er kehrte in dieselben zurück 1814, litterarisch mit der Schrift „Vom Berufe unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft“, akademisch mit der auf Wunsch des Königs ihm anvertrauten Einführung des Kronprinzen in die Rechtswissenschaft; „außerdem hat S. nur noch einmal, im J. 1830 und 1831, dem damaligen Kronprinzen von Baiern einen ähnlichen juristischen Privatvortrag gehalten“ (Rudorff a. a. O. S. 29). Nach diesen erlauchten Schülern nun weiter hier alle diejenigen aufzuzählen, welche zu Savigny’s Füßen bei seinen zahlreichen, auch über preußisches Landrecht sich erstreckenden Vorlesungen gesessen und später sich einen Namen in Wissenschaft oder Leben gemacht haben, wird von jetzt ab unmöglich; ebenso den wechselnden Beziehungen großstädtischen Lebens gegenüber die Aussonderung eines knappen Kreises von Bekannten. So nahe wie die älteren Freunde dürfte übrigens dem jetzt völlig in sich abgeschlossenen S. kaum mehr der eine oder andere getreten sein; außer einzelnen Lieblingsschülern, Puchta, Rudorff, v. Bethmann-Hollweg käme vielleicht nur noch Bunsen in Betracht. Bestimmter sind die äußeren Daten. Im J. 1815 wurde die Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft zusammen mit Eichhorn und Goeschen gegründet; fast gleichzeitig erschien nicht nur die Recension gegen N. Th. v. Gönner, „Ueber Gesetzgebung und Rechtswissenschaft in unserer Zeit“, sondern auch der erste Band der Geschichte des römischen Rechts im Mittelalter, welchem 1816 der zweite sich anreihte. 1817 erfolgte die Ernennung als Mitglied der Justizabtheilung des neu geschaffenen preußischen Staatsraths; 1818 verließ die dritte Auflage des Rechtes des Besitzes die Presse; 1819 wurde S. als Geheimer Oberrevisionsrath Mitglied des für die Gebiete des rheinischen und gemeinen Rechts errichteten Revisions- und Cassationshofes; 1822 erschien der dritte Band der Geschichte des römischen Rechts und die vierte Auflage des Besitzrechtes; 1826 kam es zur fünften Auflage dieses Werkes, zu dem vierten Bande der Geschichte des römischen Rechts und zum Eintritte in die Gesetzrevisionscommission; außerdem fallen noch in [430] diese Zeit eine große Anzahl einzelner Untersuchungen zur Geschichte des römischen Rechts vor Justinian, welche theils als Aufsätze in der Zeitschrift, theils als Vorträge in der Akademie veröffentlicht wurden. Unter dem Drucke solcher Arbeit aber stellte sich ein Nervenleiden ein, welches anfangs recht bedrohlich auftrat, glücklicherweise jedoch dem erprobten Mittel einer längeren Erholungsreise nicht widerstand, so daß S. von Italien, wohin er schon im Herbste 1825 sich auf kurze Zeit, dann aber 1826/27 auf ungefähr ein Jahr begeben hatte, frischgestärkt zurückkam; während seines Aufenthaltes dorten entstanden die Aufsätze: „Ueber Wesen und Werth der deutschen Universitäten“ und „Ueber den Rechtsunterricht in Italien“. Im J. 1828 erschien die zweite Auflage des „Berufes“; 1829 konnte der fünfte, 1831 der sechste und in dieser ersten Auflage letzte Band der Geschichte des römischen Rechts im Mittelalter abgeschlossen werden; 1832 brachte (in der Historisch-politischen Zeitschrift von L. Ranke) eine Abhandlung über die preußische Städteordnung; um 1833 nahm S. als Mitglied der Staatsrathscommission Theil an der Nachprüfung des Entwurfes zu der am 1. Juni 1833 erlassenen Verordnung über den Mandats-, summarischen und Bagatellproceß; 1834 erschienen die drei ersten Bände der Rechtsgeschichte in zweiter Auflage, während das „Recht des Besitzes“ 1836 die sechste erlebte; ebenfalls 1836 verlas S. in der Akademie der Wissenschaft seinen einzigen directen, aber eindringenden Beitrag zur Geschichte des deutschen Rechts, die „Rechtsgeschichte des Adels“; aus den Jahren 1833, 1836, 1838 und 1839 stammen ferner noch eine Reihe von Studien zu der Rechtsgeschichte Roms, der juristischen Quellenkunde und der Gelehrtengeschichte, welche mit dem Lobe Hugo’s („Der 10. Mai 1788“) und Niebuhr’s („Erinnerungen an Niebuhr’s Wesen und Wirken“) abschließen. Während aller dieser reichen Production hatte sich aber in der Stille eine großartigste Schöpfung vorbereitet, zu deren Ausarbeitung S. sich endgültig entschloß nach dem harten Schlage, welcher ihn 1835 durch den Tod seiner geliebten Tochter traf. In Paris geboren, war dieselbe nach Athen an Constantin Schiras verheirathet, blieb aber fortwährend im regsten geistigen Zusammenhang mit dem Vater, dessen hin und wieder geäußerten Plan zu einem breit angelegten dogmatischen Werke sie mit Enthusiasmus begrüßte. So ergriff nun der Schmerzgebeugte diese Arbeit als eine Art Erinnerung und Trost; schon in den Jahren 1840 – damals kam es auch zur dritten Auflage des „Berufes“ – und 1841 konnte er rasch hintereinander die fünf ersten Bände des „Systems des heutigen römischen Rechts“ der staunenden Welt übergeben. Die gleichmäßige Fortsetzung desselben sollte jedoch unterbrochen werden. Hatten S. vielfache Aemter und Aufträge von Beginn an in Berlin, wo er ganz heimisch und echter Preuße auch in persönlicher Liebe zu seinem Könige geworden war, mit den Aufgaben des praktischen Staatsmannes befaßt, so handelte es sich bisher doch stets nur um Nebenbeschäftigungen, welche ihn mit dem Leben seiner Zeit in Verbindung hielten, ohne ihn in der gelehrten Thätigkeit zu hemmen; jetzt wurde für ihn durch die allgemeine Cabinetsordre vom 28. Februar 1842 ein besonderes, von demjenigen der Justizverwaltung abgetrenntes Ministerium für Gesetzgebung gebildet und er an die Spitze desselben durch das Vertrauen seines früheren Schülers Friedrich Wilhelm IV. berufen. Schon v. Stein hatte auf ihn als künftigen Großkanzler des preußischen Staates hingewiesen; dann war beim Könige alsobald nach seiner Thronbesteigung der Gedanke aufgestiegen, in S. den geeigneten Vorsitzenden einer Commission zur Umformung des landrechtlichen Ehescheidungsrechtes, dessen würdiger Gestaltung beiden am Herzen lag, zu finden; dieser Gedanke hatte sich dahin entwickelt, ihm die Revision der gesammten Gesetzgebung anzuvertrauen. Auf allerhöchsten Wunsch hatte demgemäß S. eine Denkschrift verfaßt, enthaltend „Vorschläge zu einer zweckmäßigen Einrichtung [431] der Gesetzesrevision“ (zum ersten Male gedruckt als Anlage zu Stölzel, a. a. O., S. 733–750); dieselbe war vom Könige, welcher die entwickelten Ansichten als „im wesentlichen die seinigen“ erkannte, mit besonderem Wohlgefallen gelesen worden; und so war denn an S. die Aufforderung zur Uebernahme dieses eigens für ihn geschaffenen Postens ergangen, welcher nachzukommen er trotz schwerer Bedenken und des Abrathens eines Freundes wie Jacob Grimm sich entschloß. Er hielt zu Ende des Wintersemesters 1841/42 seine letzte Vorlesung, welcher Jakob Grimm und Rudorff beiwohnten; und verabschiedete sich schließlich von seinen Zuhörern durch ein Druckblatt vom 5. März 1842.

Der neue Minister hatte vor allem sein neues Departement zu organisieren; zunächst standen ihm behufs Bewältigung der Arbeiten seine Räthe E. L. v. Gerlach, Voswinkel und Zettwach zur Seite; sodann ließ er sich eine collegiale Behörde, die sogenannte Gesetzescommission, behufs Durchberathung der Entwürfe zuordnen, in welche mehrere höchste Justizbeamte, Sethe, v. Grolmann, v. Dresberg, Ruppenthal, Bötticher und später Bornemann – ferner ein Director vom Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten, v. Eichmann, und von Theoretikern Eichhorn, Puchta sowie vorübergehend v. Bethmann-Hollweg eintraten; als Hülfsarbeiter wurden schließlich vielfach herangezogen der Landgerichtsrath Bischoff, der Kammergerichtsrath v. Alvensleben und der Professor Heydemann. So ausgerüstet, konnte S. an seine eigentliche Aufgabe herantreten. Dieselbe war, wesentlich nach dem von ihm selbst in den „Vorschlägen“ entworfenen Plane, diejenige nicht sowohl einer bisher in Preußen angestrebten revidirenden Neucodification, als vielmehr einer allseitigen Novellen-Gesetzgebung. Die Novellen sollten sich beziehen vor allem auf das materielle wie formelle Ehescheidungsrecht, sodann auf den Civil- und Criminalproceß einschließlich der Frage ihrer principiellen Grundlegung; erst in letzter Reihe auf das materielle Civilrecht des Preußischen Landrechts und der Provinzialrechte; neben diesen neuen Vorwürfen stand der Abschluß der bereits sehr weit geförderten Entwürfe zum Wechselrecht und zum Strafrecht bevor; ferner befand sich schon längere Zeit im Flusse die gesetzgeberische Entscheidung der Competenzconflicte zwischen Gerichten und Verwaltungsbehörden; hinzukamen im Lauf der Jahre und der politischen Ereignisse auf königliches Verlangen die Materien der Censur und Preßgesetzgebung, sowie der Bildung von Corporationen der Justizcommissarien als Ehrenräthen. Die Geschichte der mühevollen Anstrengungen, welche auf diese Stoffe, meist vergeblich, aufgewendet wurden, wird damit zu der Geschichte Savigny’s in den Jahren 1842–1848. Zuvörderst ließ er durch Gerlach einen, vom 29. April 1842 datirten, vorläufigen Plan für die Berathung der Eherechtsreform aufstellen, welcher sich bis Anfang Juli zu dem Entwurf einer „Verordnung über Ehescheidung“ ausbildete und so Anfang September in der Gesetzescommission durchberathen und mehrfach emendirt wurde; die hierdurch nöthig gewordene Ueberarbeitung nahm Gerlach vor, während Savigny nach Halle ging, um unter der Leitung des dortigen Stadtgerichtsdirectors Wentzel das Proceßverfahren aus eigener Anschauung kennen zu lernen. Nach seiner Rückkehr fertigte er mit Gerlach zusammen einen Bericht an den König an, mit welchem diesem der revidirte Eherechtsentwurf vorgelegt war; dann kam derselbe im Gesammtministerium zur Berathung, welches Ende November bis Mitte December darüber saß und wesentliche Umbildugnen verlangte, namentlich um dem Verdachte reactionärer Tendenz, welchen das Publicum aus der Minderung und Erschwerung der Ehescheidungsgründe schöpfte, die Spitze abzubrechen. Die Gesetzescommission verfehlte nicht, demgemäß den Entwurf umzuformen, sodaß er nunmehr die Billigung sowohl des Ministeriums wie des Staatsrathes fand, wennschon ein volles Jahr über die Erledigung dieser Instanzen hinging. Ende März 1844 [432] war von der Gesetzescommission die letzte Feile angelegt, – da erging unterm 11. Mai der allerhöchste Befehl, daß aus dem bisherigen Entwurf die Bestimmungen über das Verfahren zur Veröffentlichung als Gesetz auszuscheiden, über die materielle Abänderung der Ehescheidungsgründe aber noch die Stände zu vernehmen seien. Die endlich am 28. Juni 1844 erschienene Verordnung betrifft demnach nur den Eheproceß; dieselbe ist bis zu der Gesetzgebung des neuen Deutschen Reiches über diese Materie in Preußen in Kraft geblieben; die Erhebung der wesentlicheren civilrechtlichen Theile des Entwurfes zum Gesetze aber war damit ad calendas graecas vertagt; als Privatarbeit bekannt gemacht hat sie Savigny selbst in einer „Darstellung der in den Preußischen Gesetzen über die Ehescheidung unternommenen Reform“ Juli 1844; ihre greifbare Wirkung ist eine verschwindend geringe geblieben, kaum daß die Motive zum Entwurfe eines deutschen Bürgerlichen Gesetzbuches (1888) ihrer eben erwähnen. – Hatte auf diesem Gebiet S. die Initiative an Gerlach abgegeben, so verfuhr er ganz anders bei dem ihn wesentlich näher interessirenden Civilprocesse. Hier begann er damit, die leitenden Grundsätze der Reform aufzusetzen (September 1842), erst dann ging die Sache an die Räthe und in fortwährender mündlicher Besprechung aller Einzelheiten mit dem Minister stellte Voswinkel einen ersten Entwurf in 282 Paragraphen auf. Ueber diesen fanden vom 9. Jan. 1843 ab eindringendste Berathungen im Schoße des Ministeriums, sodann bis in den Februar 1844 hinein in der Gesetzescommission statt unter lebhaftester Theilnahme und ausgeprägtester Leitung Savigny’s, welcher selbst die Correctur der Manuscripte besorgte und den „revidirten Entwurf“ mit einer Denkschrift vom 25. Februar 1844 an das Staatsministerium abgab. In diesem Stadium aber wurden seitens des Justizverwaltungsministers Mühler die schwersten Bedenken erhoben; dieser und seine Räthe gingen geradezu soweit, die ganze Vorlage zu verwerfen und statt ihrer eine vollständig neue, oder, wenn solche zu lange Zeit in Anspruch nähme, eine kurze Novelle zur Befriedigung des nächsten Bedürfnisses zu verlangen; ebenso abfällige Urtheile liefen von den Gerichten ein, welche zur Meinungsäußerung aufgefordert waren. Trotzdem ließ S. seinen Plan nicht fallen, sondern suchte ihn durch Umarbeitung zu retten; am 25. Januar 1845 gelangte sein zweiter Entwurf, welcher so auf 404 Paragraphen angeschwollen war, abermals an das Justizverwaltungsministerium, welches inzwischen Uhden an Stelle Mühler’s übernommen hatte. Dieser Wechsel war jedoch S. keineswegs förderlich, denn unter Uhden fiel ein Haupttheil der eigentlichen Geschäftsleitung an Bornemann, Savigny’s heftigsten und entschiedensten, wohl auch persönlichen Gegner, welcher sich nicht damit begnügte, den ihm vorgelegten Entwurf zu verurtheilen, sondern demselben einen eigenen weit kürzeren entgegensetzte, der, als „transitorische Verordnung“ abgefaßt, zugleich die von S. in einen weiteren Zusammenhang verwiesene, vom Könige aber dringend gewünschte Reform des Processes beim Obertribunal enthielt. Dieser Gegenentwurf fand allgemeine Zustimmung und ist es, welcher der Verordnung vom 21. Juli 1846 „Ueber das Verfahren in Civilprocessen“ zu Grunde liegt. An derselben ist demgemäß S. in keinerlei Weise betheiligt; hier, wie in den weiter zu besprechenden Fällen allen hat S. übrigens selbst das unterlassen, was er noch in der Eheangelegenheit gethan hatte, seine legislativ gescheiterten Werke litterarisch zu verwerthen. – Für den Strafproceß stellte er zunächst „Vorfragen“ auf (April 1843), ließ durch Heffter einige Grundzüge ausarbeiten und suchte sich auch hier praktisch durch Besuch des Berliner Criminalgerichts zu instruiren; im Anschlusse an Heffter entwarf dann Bischoff eine Reihe von „Präjudicialfragen“, welche Ende 1845 Uhden behufs Einleitung commissarischer Verhandlungen vorgelegt wurden. Während man demnach hier noch 1845 bei den einleitenden [433] Vorbereitungen stand, drang der König schon 1843 auf Einführung von Staatsanwaltschaft und Anklageverfahren, sodaß S. gegen seine Ueberzeugung, daß diese Einzelpunkte sich nur im Rahmen der größeren Reform würden gedeihlich behandeln lassen, zur Anfertigung des Entwurfes einer besonderen interimistischen Verordnung genöthigt ward, dessen Grundzüge März 1844 fertiggestellt waren. Einer weiteren Ausführung fand er sich jedoch enthoben; das Justizverwaltungsministerium hatte gleichzeitig in Friedberg den Mann zu finden gewußt, welcher alle Eigenschaften zur Befriedigung der Wünsche des Königs in Bezug auf schleunige Erledigung einer ganzen Reihe von tief eingreifenden Reformgesetzen in hervorragendstem Maße besaß und nun zur Bethätigung derselben in Concurrenz mit S. auf allen Gebieten aufgefordert wurde. Unter seiner Hand entstanden rasch hintereinander die Gesetzesentwürfe über die Staatsanwaltschaft und über Einführung eines Zuchtpolizeigerichts in Berlin, welche sich zu den „Grundzügen einer Verordnung über das in Berlin einzuführende Strafverfahren“ erweiterten, in dieser Gestalt April 1846 heimlich durchberathen und festgestellt wurden und zur Kenntniß Savigny’s erst kamen, als sie an Staatsrath und Staatsministerium gediehen. Diese letztere Körperschaft trat sofort in die Berathung ein, ohne auch nur so kurze Stunden zu verziehen, als nöthig gewesen wären zur Kenntnißnahme einer ihr unmittelbar vorher zugegangenen von S. und Bischoff behufs Vertheidigung ihrer Vorbereitungen binnen wenigen Tagen seit jenem Ueberfall hergestellten Druckschrift von 28 Bogen. An dem schließlichen Ergebnisse, dem Gesetze vom 17. Juli 1846, ist demnach wieder S. ganz unbetheiligt. – Zu dem Versuche einer Revision des Preußischen Civilrechts und der Provinzialrechte konnte es unter solchen Verhältnissen um so weniger kommen, als diese Angelegenheit plangemäß erst nach allen übrigen vorgenommen werden sollte. – Besser, wenigstens verhältnißmäßig, verliefen die Dinge auf dem Gebiete der Wechselgesetzgebung. Kam auch die Wechselordnung, welche später von allen Deutschen Staaten adoptirt zum thatsächlich gemeinen Recht Deutschlands wurde, zu Stande erst am 24. November 1848, also nach der Beendigung des Ministeriums S., welches den jenem Gesetze zu Grunde liegenden Entwurf schon vorfand: so hat doch S. bei den letzten Berathungen über denselben förderlich eingegriffen und ihn seiner Vollendung wesentlich entgegengeführt. – Aehnlich steht es um das Strafrecht. Den alten, schon vielfach, auch unter Mitwirkung von S. selbst als Mitglied früherer Commissionen, umgearbeiteten Entwurf übernahm er in dem Stadium der Berathung durch den Staatsrath, welche 1843 zu Ende kam; derselbe ging dann an die Proviziallandtage, für deren Berathungen der Minister 64 Fragen besonders hervorgehoben hatte; die daraufhin einlaufenden Materialien führten zu einer weiteren Umformung, welche S. durch Bischoff vornehmen ließ; er selbst aber betheiligte sich endlich in hervorragender Weise, mit einer diejenigen, welche ihn für einen bloßen Civilisten hielten, überraschenden tiefen Sachkenntniß, an den abschließenden Berathungen der Staatsrathscommmission und des vereinigten ständischen Ausschusses, welche bis zum 6. März 1848 währten. Nun kamen zwar die revolutionären Ereignisse dazwischen; da es denn aber doch schließlich jener Entwurf ist, welcher, wennschon in nicht unwesentlich geänderter Gestalt, am 14. April 1851 als Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten publicirt wurde, so kam mit demselben immerhin Eine Frucht von Savigny’s Thätigkeit zur Reife. – Hiermit sind die kurzen Lichtblicke dieser Zeit zu Ende. In der Frage des Competenzconflictes gelangte der Gesetzgebungsminister gar nicht zu activem Vorgehen; vielmehr wurde eine der seinigen geradezu entgegengesetzte Ansicht auf Uhden’s Anregung von Bornemann zunächst November 1844 in Form eines Votums entwickelt, welches den verschiedenen [434] Staatsministern Ende Februar 1845 zuging und trotz Savigny’s Widerspruch die Billigung des Gesammtministeriums fand; der auf Grundlage desselben ausgearbeitete Friedberg’sche Entwurf war October 1845 vollendet und hat zu dem Gesetze vom 8. April 1847 geführt. – Noch bedauerlicher für S. verlief der Gang der Preßgesetzgebung. Einmal ward er genöthigt, auf ihm ganz fernliegende Einzelheiten des Censurwesens einzugehen; sodann wurde er hier nicht bloß wie bei dem Competenzconflict zur Seite gedrückt, sondern es widerfuhr auch dem von ihm entworfenen Plane eines Preßgesetzes seitens Uhden’s und Bornemann’s eine Kritik, welche an Schonungslosigkeit des Inhalts wie der Form ihres Gleichen sucht. Der Entwurf Savigny’s, sowie ein gleichfalls von ihm eingereichter Nebenentwurf v. Bethmann-Hollweg’s verfielen den Archiven und Friedberg arbeitete denjenigen Plan aus, welcher der Weiterentwicklung dieser gesetzgeberischen Aufgabe zu Grunde gelegt wurde. – Die Ehrenräthe der Justizcommissarien endlich anlangend hatte S. sich geweigert, selbständig vor der Erledigung der präjudiciellen Reform des Civilprocesses vorzugehen. Bornemann dagegen wußte Uhden davon zu überzeugen, daß hier ein der liberalen Strömung entgegenkommendes Sondergesetz dringlich sei, Friedberg arbeitete den Entwurf aus, welcher am 2. Juli 1845 auch S. mitgetheilt wurde, von dieser Seite ohne jede Gegenäußerung hingenommen worden zu sein scheint und am 30. April 1847 zum Gesetze erhoben worden ist. – Zieht man die Summe, so ergibt sich, daß das Gesetzgebungsministerium Savigny Verbesserungen in der Straf- und Wechselgesetzgebung sowie die Verordnung über den Eheproceß zu Stande gebracht hat. Trotz mühseliger hingebender Arbeit, trotz weitgehenden persönlichen Entgegenkommens, trotz der Bereitwilligkeit, an Stelle der selbstgewählten Behandlungsweise, nach welcher die Entwürfe zuerst an die Gesetzcommission gingen, im J. 1845 eine andere eintreten zu lassen, nach welcher vorher das Justizverwaltungsministerium gehört werden sollte: ist das Ergebniß dieser Mißerfolg. Außerhalb seiner eigentlichen Sphäre hat dagegen das Ministerium Savigny sich das bedeutende Verdienst erworben, durch ein Schreiben vom 26. Januar 1846 bei der königlichen Akademie der Wissenschaften das Unternehmen des Corpus inscriptionum Latinarum angeregt zu haben. Auch blieb Savigny’s Gesammtstellung trotz aller jener Vorgänge ganz unerschüttert und scheint er keineswegs von Verzweiflung erfaßt worden zu sein; denn wennschon er sich 1846 einmal die nöthige Muße zu verschaffen wußte, um sich ihm mehr zusagender Arbeit zu erfreuen und den 6. Band des „Systems“ (erschienen 1847) zu schreiben, so haben ihn doch sich zurückzuziehen die geschilderten Unannehmlichkeiten nicht bewogen; erst den Stürmen des Jahres 48 mußte er, der als ein Mann von starr conservativer Gesinnung galt und noch vor kurzem in dem vereinigten Landtag die Verpflichtung der Regierung, künftighin die Volksvertretung jährlich zu berufen, mit juristischen Argumenten bestritten hatte, weichen. Noch sollte es ihm nicht erspart werden, am 17. März 1848 die Contrasignatur des auf dem Friedberg’schen Entwurfe beruhenden, zur Beschwichtigung des erregten Volkes zu dienen bestimmten und möglichst rasch durch die letzten Instanzen beförderten Preßgesetzes zu vollziehen; dann erhielt er am 18. März 1848 zusammen mit den andern Ministern die erbetene Entlassung. Bornemann wurde sein und Uhden’s Nachfolger in dem wieder vereinigten Justizministerium. -

Damit war S. der gelehrten Muße wiedergegeben und in der Lage, noch 1848 den 7., 1849 den 8. Band seines Systems des heutigen Römischen Rechts erscheinen zu lassen, somit wenigstens den allgemeinen Theil dieses Systems als ein fertiges Ganzes herzustellen. Inzwischen aber war er in ein Lebensalter getreten, welches die Hoffnung auf Vollendung der besonderen Theile des Systems nicht mehr gestattete; im J. 1850 feierte er, unter Glückwünschen [435] der Hochschulen und Akademien, der höchsten Justiz- und Verwaltungsbehörden sowie der Gelehrten aller Länder das Fest der fünfzigjährigen Doctorwürde und sammelte bei dieser Gelegenheit seine „Vermischten Schriften“ in 5 Bänden; 1850, 1851 schloß er die seit 1834 stockende zweite Ausgabe der Geschichte des Römischen Rechtes im Mittelalter mit dem 4. bis 6. und einem, wesentlich durch Merkel’s Beiträge neu hinzugekommenen, 7. Band ab. Weiter ließ er sich gegen seinen Vorsatz durch die Bitten des alten Landshuter Schülers und Freundes Salvotti noch bewegen, sich der Ausarbeitung des allgemeinen Obligationenrechts als Fortsetzung des „Systems“ zuzuwenden, sodaß 1851 der 1., 1853 der 2. Band erschien; dann aber fühlte er bei der Arbeit eine Müdigkeit, welche er anfangs als nur vorübergehende betrachten wollte, bald aber als eine solche erkennen mußte, welche sich bei jedem Schaffensversuche unabwendbar einstellte. So beschloß er, gerade 60 Jahre nach dem „Recht des Besitzes“, in strenger Selbstkritik und hoher Weisheit seine litterarische Thätigkeit, wie er die akademische schon seit 1842, die politische seit 1848 endgültig eingestellt hatte, obgleich ihm von der ihn stets begleitenden Huld seines Königs noch 1856 ein Sitz im Herrenhause und das Kronsyndicat zusammen mit dem hohen Orden vom schwarzen Adler verliehen worden sind; er ist weder je im Herrenhause erschienen, noch als Kronsyndicus thätig geworden. Dagegen war ihm noch vergönnt, eine längere Spanne Zeit ruhig im Genusse voller körperlicher Rüstigkeit wie geistiger Aufnahmefähigkeit zu verbringen; nach dem Tode Alexander’s v. Humboldt das Kanzleramt der Friedensclasse des Ordens pour le mérite von dem Prinzregenten Wilhelm entgegenzunehmen; und am 3. October 1860 zu Dresden im Hause seines Sohnes, des königlich preußischen Gesandten Karl Friedrich v. S., inmitten der Huldigungen der ganzen gelehrten Welt sein sechzigjähriges Doctorjubiläum zu feiern. Am 25. October 1861 ist F. K. v. S. zu Berlin im 83. Lebensjahr verschieden, neben sich die treue Ehegenossin, um sich eine blühende Nachkommenschaft, in Anwesenheit der zwei alten Schüler und Freunde, Jacob Grimm’s und Rudorff’s. Diesem letzteren hat er durch Testament die Pflege seines litterarischen Nachlasses, der königlichen Bibliothek zu Berlin durch Codicill vom 26. Mai 1852 seinen Vorrath an Handschriften und seltenen Ausgaben hinterlassen; zu Folge jener Anordnung hat 1865 Rudorff die 7. Auflage des Rechtes des Besitzes unter Benutzung der hierzu von dem Verfasser schon vorbereiteten Notizen und mit zahlreichen Anmerkungen des Herausgebers besorgt. Die sämmtlichen, wenigstens deutschen Ausgaben der Savigny’schen Werke dürften hiermit im Laufe dieser Darstellung aufgezählt sein; außerdem sind sie in wohl fast alle Cultursprachen, namentlich ins Französische, Englische und Italienische übersetzt worden.

Augenfällig charakteristisch für S. ist die Gleichmäßigkeit der Vollendung, welche allen seinen Schriften eignet. Dieselbe zeigt sich schon in der Stoffbegrenzung und der Anordnung der Doctordissertation; sie ist vollkommen ausgeprägt in Gestalt und Inhalt der Monographie über das Recht des Besitzes, welche uns die behandelte Lehre als ein classisches Gebilde von harmonischen Proportionen, einfachen Formen und sinnreicher Construction vor Augen führt. Das Entscheidende, die That in diesem zu ganz unerhörter Berühmtheit und Verbreitung gelangten Werke liegt darin, daß sich in ihm unter strengem Anschlusse an die einzelnen genau untersuchten und nach dem Alter ihrer ursprünglichen Verfasser gewürdigten Quellenstellen eine Lehre systematisch geschlossen, gleichsam aus sich selbst hervor entwickelt. Jede romanistische Monographie hat ihren Weg zu suchen zwischen den Extremen aprioristischer Construction und bloßer Quelleninterpretation; die richtige Mitte zu finden war kaum je vollständig gelungen. Besonders die Dissertationen des 17. und 18. Jahrhunderts sind entweder [436] Sammlungen dürrer dogmatischer Sätze mit bloß angeführten, ohne Kritik gehäuften, nicht näher ins Auge gefaßten Belegstellen; oder sie charakterisiren sich durchweg schon im Titel lediglich als Interpretation einer oder mehrerer Stellen des Corpus juris, ohne weitere Rücksicht auf die Gesammtlehre. In diese Zustände hinein tritt der „Besitz“. In demselben wird nicht die richtige Methode civilistischer Monographien erörtert; die Vorrede bereitet uns nicht auf Neues vor; sondern wir finden ohne weiteres thatsächlich das geleistet, was aller Folge als mustergültiges Beispiel zu dienen berufen ist. Aus einer zu Vorlesungszwecken vorgenommenen Durcharbeitung der zehn letzten Bücher der Pandekten hervorgegangen, ist Savigny’s Besitzlehre überall durchsetzt und durchtränkt von der aufrichtigsten und reifsten Quelleninterpretation; die Ergebnisse derselben mit souveräner Freiheit beherrschend hat er aus ihnen die Consequenzen gezogen und sie in systematischen Zusammenhang gebracht; in dem Buche aber hat er es verstanden, indem er diese Consequenzen in diesem System entwickelte, zugleich fortlaufend den Beweis der Richtigkeit durch eingehende Erörterung jener Quellen zu führen. So erscheint uns sowohl das Ganze wie jede Einzelheit voll Sicherheit und Klarheit, als bliebe gar kein Dunkel mehr übrig, alles erklärt sich, schließt sich, rundet sich in sich selbst; jede Folgerung ist mit dem selbständig bewiesenen Princip von selbst gegeben, jede Folgerung wird aber auch selbständig als positiv richtig dargethan und dient so abermals zur Bestärkung des Principes. Und diese Betrachtung gibt uns zugleich das Geheimniß von Savigny’s einzig dastehendem meisterhaften Stil. Weil wir fertige Resultate im durchgeistigten Zusammenhange vorgeführt erhalten, kann auch der Stil klar, glatt und bestimmt daherlaufen; aber weil wir diese Ergebnisse nicht losgelöst von ihren Grundlagen, sondern in innigster Verbindung mit denselben kennen lernen, wird der Stil nicht farblos, abgeblaßt, abstract, sondern von ausgeprägter concreter Bildung. Auf alledem vereinigt beruht es aber schließlich, wenn uns die Schrift, wie jedes höchste Erzeugniß menschlicher Mühe und Arbeit, den Eindruck eines ohne Schweiß, wie spielend in ursprünglicher Vollendung fertig entstandenen Kunstwerkes macht. – Neben dieser ihrer allgemeinen Bedeutung tritt die besondere civilistische Leistung zurück, so hervorragend dieselbe auch ist; zu einem Abschlusse hat hier Savigny’s Lehre keineswegs geführt, im Gegentheil den Anstoß gegeben zu der Entstehung einer breiten Besitzlitteratur, welche wohl keinen Gedanken oder Satz des Meisters unangefochten oder unerschüttert gelassen hat, aber stets von ihm ausgeht, ihn angreift, modificirt oder vertheidigt. Die Angriffe sind dabei, je nach der Zeit, aus welcher sie herrühren und der in derselben herrschenden Strömung, hauptsächlich von zwei Gesichtspunkten aus erfolgt: die älteren möchten die allgemein-philosophische Grundlage, die neueren die praktische Lebenszweckmäßigkeit mehr betont wissen. Aus diesen Gegensätzen ergibt sich sofort, in wie geringem Maße die wohl für S. in Bezug auf gerade diese seine Schrift versuchte Charakterisirung als Empiriker zutreffend ist. Unzutreffend ist sie, soweit es ihm nicht einfällt, für ein positiv quellengemäß gegebenes Rechtsinstitut die Normen aus der Beobachtung des täglichen Lebens finden zu wollen, so daß sogar der jüngste gegen ihn erhobene Vorwurf, er vernachlässige die Fragen der Beweismöglichkeit und der praktischen Lebensfunction, einer gewissen Berechtigung keineswegs entbehrt. Richtig ist daher seine Bezeichnung als Empiriker nur insoweit, wie er als Civilist das Rechtsinstitut als ein gegebenes hinnimmt, und es liegt da, wo er die rechtsphilosophische Rechtfertigung versucht, entschieden seine Stärke. Damit bezeichnet sich sein Genie als dasjenige der Durchdringung und Beherrschung des eigentlichen bürgerlichen Rechtes, auf welches er sich durchweg als das ihm adäquate Gebiet beschränkt hat, um eben hier das Höchste [437] zu erreichen. Was man seine Empirie genannt hat, ist demnach, besser und unzweideutiger gesagt, Rückkehr zu den Quellen, dieses Schlagwort aber wieder ist ein zu allgemeines, auf eine Reihe großer Juristen aller Zeiten passendes; nicht daß, sondern wie es zu den Quellen zurückkehrt, wie es sie auffaßt und beherrscht, macht die Eigenthümlichkeit von Savigny’s „Recht des Besitzes“ aus.

War hier in der Anwendung gezeigt, wie eine Untersuchung des geltenden Rechts zu führen ist, so ist der „Beruf unserer Zeit“ eine doctrinäre Abhandlung über die Mittel und Ziele der Gesetzgebung, entstanden bei Veranlassung eines einzelnen Falles. Die nationale Begeisterung der Befreiungskriege hatte in dem geistreichen und weitblickenden Heidelberger Civilisten Thibaut die Idee hervorgerufen, daß es an der Zeit sei, Deutschland von der Menge verschiedener, großentheils auch fremdländischer Rechte zu befreien durch ein gemeinsames deutsches bürgerliches Gesetzbuch; er richtete in diesem Sinne einen warmen Aufruf an Regierungen und Volk, welcher in weiten Kreisen Wiederhall fand. Der Plan mochte, wenn wir ihn auch heute im Rückblicke auf die politische Constellation als todtgeboren sofort erkennen, in jenen ersten Momenten praktisch durchführbar erscheinen; gegen ihn nun wendete sich S., unter bewußtem Verzicht auf Popularität, mit aller Anerkennung der vortrefflichen Gesinnung Thibaut’s, aber mit höchstem wissenschaftlichen Ernst und einer Sicherheit der Ueberzeugung, wie sie bei der Beantwortung einer solchen praktischen Frage nur demjenigen zu eignen pflegt, welcher von den Tiefen der Theorie ausgeht. Den Beruf zur Gesetzgebung spricht er seiner Zeit ab. Diese Wendung ist sofort jedoch so einzuschränken, daß hier „Gesetzgebung“ an Stelle desjenigen steht, was wir mit schärfer ausgebildetem Sprachgebrauche als „Codificiation“ anzusprechen pflegen, das ist „Aufzeichnung des gesammten bestehenden Rechtes …, mit ausschließender Gültigkeit vom Staate selbst versehen“. Von dem Beruf allein zu einer solchen handelt S.; gesetzliche Feststellung des Gewohnheitsrechts für einzelne Materien, politisch veranlaßte Einzelgesetze und Novellen betrachtet er damit so wenig als ausgeschlossen, daß er in dem Buche selbst einer Reform des Civilprocesses das Wort redet (S. 130 u. a. a. O). Demgemäß besteht, wie fortwährender Verkennung gegenüber bestimmt hervorgehoben werden muß, keinerlei Gegensatz zwischen dem Gesetzgebungsminister S. und dem Verfasser des „Berufes“, im Gegentheil, es reicht die Uebereinstimmung zwischen ihnen bis in die concreten Gesetzentwürfe; diejenigen für den Proceß suchen geradezu ein früher geäußertes Verlangen zu befriedigen; und auf die Tendenz, dem stärkeren religiösen Leben der Zeit durch Einengung der Ehescheidung Rechnung zu tragen, paßt wörtlich die Aeußerung, Beruf S. 47: „Ist einmal in der allgemeinen Ansicht eine bestimmte und löbliche Richtung sichtbar, so kann diese durch Gesetzgebung kräftig unterstützt werden.“ Nicht dem Eingriffe neuer Gesetze also tritt der „Beruf“ entgegen, sondern nur der Codification; und zwar dieser mit Gründen, welche theils seine Zeit besonders betreffen, theils auf die Frage des absoluten Werthes eingehen. Erstere, seine Zeit, anlangend, so ist sie nach S. das geltende Recht in Form eines allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches aufzuzeichnen einfach deshalb nicht in der Lage, weil sie das aufzuzeichnende noch nicht vollständig kennt und beherrscht; daran tragen weniger gerade die jetzt lebenden Juristen die Schuld, welche eifrig bemüht sind, das Ihrige zu leisten; als vielmehr diejenigen der unmittelbar vorangegangenen Geschlechter, welche so viel versäumt haben, daß den Neueren Alles nachzuholen bleibt. Das Naturrecht mit Einem Worte ist es, dessen „vielfältig flaches Bestreben in der Philosophie“ und dessen „bodenloser Hochmuth“ gerichtet werden, dessen Vorsatz, Gesetzbücher herzustellen, welche „in reiner Abstraction für alle Völker und alle Zeiten gleiche Brauchbarkeit haben“ sollten, in seiner ganzen Verkehrtheit nachgewiesen wird, kurz welches, [438] nachdem es schon seit einiger Zeit nicht mehr den „herrschenden Geist“ bildete, hier den Todesstoß erhält. In diesem Umstande liegt das erste große Verdienst der Schrift Savigny’s über den Gesetzgebungsberuf; er hat die Rechtswissenschaft durch dieselbe ein für alle Male vor Wolff’schen „Institutiones iuris Naturae et Gentium“, vor hohlen Abstractionen und vernunftrechtlichen Träumereien gerettet und der geretteten den Weg gewiesen, zur Erkenntniß des Rechts die positiv vorhandenen Rechte in ihren historischen Verhältnissen zu studiren. Daß es dabei leicht zu einer Unterschätzung der systematischen Verdienste der naturrechtlichen Schule und überhaupt der Rechtsphilosophie kommt, ist, wie bei jeder Reactionsbewegung die Uebertreibung nach der entgegengesetzten Seite, selbstverständlich; geht doch S. so weit, den Juristen des 18. Jahrhunderts jeden systematischen Sinn abzusprechen, indem er in einer für seine ganze Denkrichtung bezeichnenden Weise unter „System“ bloß die Einordnung des einzelnen Rechtsbegriffes und Rechtssatzes in das Ganze des Rechts, nicht auch die Einordnung des Rechtsganzen in einen höheren Zusammenhang versteht. So ist es denn nicht verwunderlich, wenn man in solchen Punkten von S. abzuweichen neuerdings wieder begonnen, sich der Schätzung und Behandlung rechtsphilosophischer Fragen zugekehrt und dabei wohl auch, vielleicht noch zu wenig, Anschluß an das Naturrecht genommen hat; wesentlich ist aber, daß man dabei fortwährend steht unter der heilsamen, durch Savigny’s Einfluß tief eingeprägten Scheu des Versinkens in leere Begriffsspielereien und auf der Grundlage des inzwischen durch Savigny’s Arbeit, Anregung und Methode errungenen positiven Wissens. Indem er die schon 1814 zum Sammeln eines solchen Wissens vorhandene Neigung anerkannte und nur rüstige Verfolgung dieses Weges verlangte, gab S. selbst zu, daß der von ihm gegen eine allgemeine deutsche Gesetzgebung erhobene Einwand mangelnder Vorkenntnisse in absehbarer Zeit – nicht etwa erst „in tausend Jahren“ (S. 122) – hinfällig werden müsse; soweit ist es also wohlberechtigt, wenn man bei Erörterung der Frage, wie Savigny’s Autorität sich mit unseren Strebungen nach einem Deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch vereinbaren lasse, auf den seither erzielten bedeutenden Fortschritt in der Beherrschung sowohl des Römischen wie des Germanischen Rechts als entscheidende Antwort hingewiesen hat. Aber der „Beruf“ wendet sich nicht bloß gegen die Wahl seines Zeitpunktes für eine Codification; sondern er greift eben noch viel weiter und setzt damit diejenigen, welche S. und die neue Gesetzgebung des deutschen Reiches vereinigen möchten, in eine viel schwierigere Lage: er spricht sich eigentlich gegen eine jegliche Codification aus, und zwar im Anschlusse an die ganze, hier zum ersten Male verwerthete geschichtliche Lehre vom Ursprung des Rechts. Diese Lehre, welche dann das Labarum, das Symbol der Savigny’schen historischen Schule geworden ist, bei dieser Gelegenheit zum ersten Male in schwungvoller Sprache, vollendeter Durchführung und in strengem Anschlusse an das überzeugende Beispiel der römischen Rechtsgeschichte entwickelt zu haben, ist das zweite große Verdienst der Schrift vom Berufe. Das Rechtsleben, so sah S. ein, ist ein Theil des gesammten Volkslebens; jenes offenbart demgemäß wie dieses durch seinen nothwendigen geschichtlichen Verlauf den allgemeinen Menschengeist in den individuellen einzelnen Volksgeistern. Wie die Sprache eines Volkes (sie war den Scholastikern ebenso Erfindung der Grammatiker, wie den Juristen vor S. die Rechtsmasse Erfindung der Legislatoren gewesen), namentlich in den Urzeiten, aus innerem Drange sich hervorbildet, so wächst auch das Recht, besonders der ältesten Perioden, aus den Volksanschauungen unmittelbar heraus, den Bedürfnissen des täglichen Lebens und der allgemeinen Rechtsüberzeugung entsprechend; und wie dann später die Sprache in die Zucht der Grammatiker genommen wird, von diesen aber nur im Einklange mit Naturanlage und Volksgebrauch fortgebildet, auf anderweitige [439] Wege nicht genöthigt werden kann: so kommt bei fortgeschrittenen Zuständen das Recht in die Hand der Juristen und Gesetzgeber, welche aber auch nur, gewissermaßen als sachverständiger Ausschuß, die volksmäßig-nationalen Anschauungen weiterentwickeln, die vorhandenen Keime zur Reife bringen, nicht beliebig neuen Rechtsinhalt setzen können. Nicht bewußte Thätigkeit der Einzelnen, sondern die unbewußt weiterstrebende Rechtsströmung entscheidet, sei es, daß dieselbe unmittelbar zu Gewohnheitsrecht führt, sei es, daß sie sich in der Thätigkeit der Berufsjuristen als Praxis oder Gesetz ausprägt; stets aber ist so die Gegenwart bedingt von der Vergangenheit, aus welcher sich das Recht im organischen Zusammenhange der Entwicklung ergeben hat. Damit ist der Popanz des „weisen Gesetzgebers“, welcher ein ideales Recht ohne Unsicherheiten und Controversen originär erschafft, beseitigt; neben dem Gesetze der Gewohnheit, welche bis dahin kaum eine geduldete Existenz führte, eine gleich- wenn nicht höherberechtigte Stellung als primären, selbstberechtigten Rechtsquelle erobert; das Recht als Theil des großen Wirthschafts- und Culturlebens einer jeden Nation hingestellt, die Rechtsgeschichte als mehr denn bloße elegante Zuthat zur Rechtsgelehrsamkeit, als wesentliches Hülfsmittel zur Erkenntniß des geltenden Rechtes nachgewiesen; die Rechtswissenschaft von dem Vorwurfe der Beschränktheit auf trockene Dogmatik und Casuistik befreit; dem Juristen die Möglichkeit gegeben, sein Fach nicht mehr bloß als die Kunst scharfsinniger Auslegung der nach dem Belieben des jedesmaligen Gesetzgebers wechselnden Normen mit höchstens ernster Pflichttreue zu bebauen, sondern als eine Wissenschaft der tiefsten Entwicklungskämpfe des menschlichen Geistes mit wahrer Liebe zu hegen und zu pflegen. Dies ist die neue Doctrin, welche S. in seinem Entwurfe vorträgt und welche sofort eine fast allseitige freudige Annahme fand. Eine neue muß sie heißen, obgleich es ihr weder an entfernten noch näheren Vorstufen fehlt. So ist zunächst gewiß einzuräumen die Beziehung auf Montesquieu und seinen Esprit des lois, welcher bereits den encyklopädistischen Anschauungen von dem für „den Menschen“ besten Gesetzen entgegentritt und erwägt, welches das beste Recht sei je nach Staatsverfassung, Klima, Sitten, Handel und sonstigen Eigenthümlichkeiten; aber hier herrscht noch überall die Auffassung, als sei es Sache allein des Gesetzgebers, eben unter Berücksichtigung jener Eigenthümlichkeiten das jedesmal beste Recht zu suchen, um es sodann gesetzlich einzuführen; ganz abgesehen davon, daß der Sinn für das streng bürgerliche Recht dem Lebemanne und Schriftsteller Montesquieu, wennschon er nebenbei Gerichtspräsident war, vollständig abgeht. Savigny’s unmittelbare Vorgänger, welche er selbst als solche mit höchstem Lobe nennt, sind dagegen J. Möser (vgl. A. D. B. XXII, 385–390) und Hugo, welcher letztere über Pütter und Spittler an Montesquieu anschließt; aber Möser hat sich litterarisch mit dem Civilrecht wohl am wenigsten befaßt, Hugo sich absichtlich des Ziehens der letzten Schlüsse, welche auf seinem Wege lagen, enthalten; beiden fehlt daher die letzte Methodisirung und die Formulirung allgemeiner positiver Resultate. Noch weniger wird man schließlich deshalb S. die Originalität streitig machen wollen, weil er mit seiner Lehre sich innerhalb der allgemeinen Strömung in Wissenschaft, Politik und Leben bewegt. Die Geschichtskunde fand damals ihre Erneuerung durch Niebuhr, die Philologie war vorangegangen mit Friedr. Aug. Wolf; die Nationalitäten erhoben sich in Reaction gegen das Napoleonische Weltreich, die historischen Traditionen des Staatsrechts in Reaction gegen die französische Revolution; dabei hatten aber doch die freiheitlicheren Anschauungen des Rechtsstaates einen endgültigen Sieg errungen über die willkürlicher Gesetzgebung geneigte Volksbeglückung des Polizeistaates; die Philosophie vor allen Dingen bot einerseits als schon gefestigten Besitz jene Kritik der Vernunft, welche die Unmöglichkeit des Ausschlusses subjectiver Elemente bei Beobachtung oder Untersuchung [440] für alle Zweige der Natur- und Geisteswissenschaften erwies, andererseits als jüngste Anpflanzung die bedenklichere, romantisch schillernde Lehre von der Volksseele. Zweifellos haben alle diese Umstände die Aufstellung von Savigny’s Theorie vorbereitet oder begleitet oder abgeschlossen; er aber hat den historischen Zeitgeist historisch für seine Wissenschaft verwerthet, ihm den dieser angepaßten und förderlichsten Ausdruck gegeben und doch dabei die Gefahr der ihm durch den Zeitgeist nahe gelegten aprioristischen Geschichtsconstruction glücklich vermieden.

Gerade weil diese seine That ein neues Gebiet für die Zeitrichtung eroberte, hat sie Anerkennung auch über die Grenzen der Fachwissenschaft hinaus gefunden, Rückwirkungen der tiefgreifendsten Art auf die Schwesterwissenschaften geäußert, die ganze Auffassung der gebildeten Welt von Staat und Geschichte, Cultur und Recht gehoben und so S. dasjenige verschafft, was für jeden Denker das höchste Ziel seines Strebens, den Rechtsgelehrten und unter diesen wieder dem reinen Civilisten am seltensten persönlich zu Theil wird, nicht bloß Berühmtheit, sondern thatsächlich greifbaren Einfluß auf die ganze geistige Vorwärtsbewegung der Menschheit. Uns Juristen aber ist die Savigny’sche Rechtsentstehungslehre in Fleisch und Blut übergegangen; irgendwelche Erschütterung hat sie nur in unwesentlichen Nebenpunkten erfahren können, Nebenpunkte, wie etwa die, ob, älteste Zeit anlangend, das Gewohnheitsrecht sich still-friedlich in der Volksstimmung, oder nicht vielmehr im wilden Interessenkampfe durchsetzt; und ob, spätere Zeiten betreffend, die Rechtsbildung noch wesentlich spontan oder nicht vielmehr durch menschliche Zwecksatzung sich vollzieht; daß zu allen Zeiten die Rechtsproduction nur unter äußeren die Producenten beherrschenden Bedingungen zu Stande kommt und nur dann etwas taugt, wenn die Resultate den Anforderungen des Volksbewußtseins im Großen und Ganzen entsprechen, das ist das Wesentliche und darf als feststehend gelten. – Wichtigere Bedenken erheben sich jedoch, sobald wir uns nun der Folgerung zukehren, durch welche S. im „Beruf“ von diesen deshalb dort entwickelten Gedanken aus zu seinem praktischen Ergebnisse gelangt. Freilich, wenn man diese Folgerung vielfach dahin summieren zu dürfen meint, daß in ihr der Determinismus, wie er die Grundlage von Savigny’s geschichtlicher Anschauung bilde, zum Quietismus führe, so vergißt man wieder einmal, daß es sich immer im Beruf nur um Verwerthung der Codification handelt, während Einzelgesetze aus politischen Motiven – und zu diesen werden gerechnet auch wirthschaftliche, sociale und ähnliche Bedürfnisse – keineswegs abgewiesen sind; von wahrem Quietismus kann also nicht die Rede sein, vom Determinismus höchstens insofern, als dieses Werk, welches geradezu revolutionär auf die Rechtswissenschaft einwirkte, die Möglichkeit derartigen Eingreifens der Persönlichkeit in den Gang der Ereignisse auffallend zurücksetzt. Man wird sich vielmehr genauer an Savigny’s Argumentation halten müssen; dieselbe stellt folgende Alternative: entweder die Codification leistet nicht dasjenige, was der geschichtlichen Lehre von der Entstehung des Rechts zufolge als ihre höchste Aufgabe anerkannt werden muß, sie nimmt nicht die ganze bisherige Tradition in sich auf, dann wird thatsächlich neben ihr noch ein Aelteres, eben die bisherige Tradition, in Geltung bleiben, obgleich ihm solche officiell abgesprochen ist, der neuen Rechtsquelle wird eigene Lebensfähigkeit, der früheren äußere Anerkennung mangeln, die Rechtssicherheit wird durch Gegenströmungen erschüttert, die organische Rechtsfortbildung abgeschnitten, die Rechtswissenschaft erstickt werden. Oder die Codification vermeidet diese Nachtheile, erfüllt wirklich den Anspruch, die ganze bisherige Tradition in sich aufzunehmen: dann bedarf die Zeit, welche eine solche Gesetzgebung schaffen konnte, ihrer nicht. Sie ist entweder schädlich oder überflüssig. Warum über diesen letzten Schluß Savigny’s sich die Staatsmänner Deutschlands im Einklange mit der Mehrzahl seiner Juristen und [441] der Gesammtbevölkerung haben wegsetzen dürfen, tritt nunmehr wol schärfer hervor: nicht weil man die Gefahren des Gesetzbuches, Casuistik, Buchstabeninterpretation, Erstarrung der Wissenschaft, nach Savigny’s beredtem Hinweise noch hätte verkennen können; dieselben sind vielmehr recht scharf ins Auge zu fassen und doch für den Anfang kaum ganz zu überwinden; sondern weil man, weit entfernt die beste für überflüssig zu halten, den Gewinn einer nur irgendwie guten Codification mit Recht hoch genug schätzt, um alle jene Gefahren dagegen gerne in den Kauf zu nehmen. Ein wie gewaltiger dieser Gewinn ist vom nationalen und wirthschaftlichen Standpunkt aus braucht heute und vermag hier nicht einmal mehr angedeutet zu werden; auch alle die verschiedenen Gesichtspunkte, von welchen aus Recht und Rechtsanwendung ihren Gewinn in der Codification finden, lassen sich hier nicht aufzählen; wenigstens aber muß Einiges von dem angeführt werden, was in unmittelbarem Zusammenhange mit Savigny’s Rechtsanschauung und Rechtsentstehungslehre selbst steht. So liegt ein Nutzen schon darin, daß die Herrschaft über die Tradition, welche die Verfasser des Gesetzbuches sich mühsam errungen haben, dazu benutzt wird, ein Werk zu schaffen, aus welchem Jeder mit geringerer Anstrengung und größerer Wahrscheinlichkeit des Erfolges das geltende Recht zu studiren in der Lage ist; es handelt sich um eine ökonomische Ersparniß, darum, das Resultat der Arbeit Einiger Allen dauernd dienstbar zu machen und so die disponiblen Arbeitskräfte besser auszunutzen. Ein Nutzen ergibt sich ferner etwa daraus, daß sich bei Gelegenheit der Codification bewußt geplante Neuerungen doch gar viel vortheilhafter einführen lassen, als durch noch so sorgfältig gearbeitete Sondergesetze, deren Bestimmungen hier und da in das Rechtsganze einzuordnen dem Einzelnen überlassen bleibt. An der zu hohen Schwierigkeit dieser Zumuthung und dem Anstoß, welchen die Praxis an ihr nimmt, vermag bei der von S. befürworteten Beschränkung der Gesetzgebung auf Novellen die nützlichste Reform sogar gänzlich zu scheitern, wie er dies selbst als Minister hat erleben müssen; ging doch der Haupteinwand, welchem sein Entwurf zur Verbesserung des Civilprocesses unterlag, dahin, derselbe greife zu vielfach an zu verschiedenen Punkten ein, werde er zum Gesetze erhoben, so werde allgemeine Verwirrung entstehen, Niemand mehr wissen, was von dem älteren Recht noch gültig, was aufgehoben sei; wolle man so viele Neuerungen, so bedürfe es einer wirklichen Neuordnung; oder man müsse sich mit weniger Detail und einer knappen Verordnung begnügen. Besteht aber gar einmal eine solche Verwirrung, wie sie hier erst gefürchtet wurde, in einem Lande, – und unleugbar ist dies für das Gebiet des gemeinen Rechts in Deutschland vielfach der Fall – , dann wird die Codification vom höchsten Nutzen; dann bedarf ihrer nicht etwa der Laie, welchem wol auch sie heut zu Tage ein Buch mit sieben Siegeln bleiben wird, sondern vor allem die große Menge der Juristen selbst, welcher ein übersichtliches, ein für alle Male bestimmtes Recht zur Grundlage ihrer Studien, Parteiberathungen, Anträge, Urtheile geradezu nothwendig ist; in der Hand dieser großen Menge der Juristen aber liegt die Rechtspflege und ihre Sicherheit. Wenn S. dem gegenüber denselben Nutzen dadurch erreichen wollte, daß man statt auf die Rechtsquellen auf die Personen wirken, diese letzteren durch Ausbildung der historischen Methode und Schulung im Geiste der classischen Römer zu Herren des gemeinen Rechtsstoffes machen und so allerdings ein Besseres statt der Codification erzielen solle, so ließ er sich von einer chimärischen Hoffnung leiten, sprach von „der Zeit“ und von „uns“, unterschied dabei aber nicht genügend die wenigen Gelehrten seines Schlages und die große Anzahl der wackeren, gewissenhaften, mitten im Leben stehenden, zu fortwährenden geschichtlichen Studien nicht berufenen Männer der Praxis. Unsere sämmtlichen Juristen können eine gelehrte Vorbildung erhalten, [442] die Wissenschaft kann ihnen ein reiches Material zur Verfügung stellen, sie können auch zur Benutzung dieses Materials Fähigkeit, Neigung und selbst – das seltenste – Muße haben; der ideale Zustand, in welchem ein gutes Gesetzbuch im Kopf eines jeden derselben frei lebte und daher in Buchstaben festgelegt besten Falles überflüssig wäre, wird darum doch bei unseren Verhältnissen nie eintreten; und deshalb greifen wir zu der Codification.

Im Gegensatz zu den Ergebnissen, zu welchen S. für die Methode der Gesetzgebung gelangt, zeichnet sich durch ihre großartige Fruchtbarkeit aus die Anwendung, welche er von seiner Rechtsentstehungslehre auf die Methode der Rechtswissenschaft gemacht hat. Er hat diese Folgerungen bereits in der Schrift über den Beruf deutlich und vollständig gezogen, dann aber nochmals, schulmäßiger und als Arbeitsprogramm formulirt, dem ersten Bande der „Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft“ vorangeschickt. Mit diesem Manifest trat S. an die Spitze der geschichtlichen Bewegung, welche damals durch die ganze Jurisprudenz ging; nicht erst angeregt hat er sie, wie er selbst oft genug unter Lobpreisungen Hugo’s betont, aber ihr die ganze Lebenskraft seines Genius verliehen; er ist, wie kurz und richtig meist gesagt wird, zwar nicht der Stifter, aber das Haupt der „historischen Schule“. Allgemeinstes Princip derselben ist, daß es „kein vollkommenes einzelnes und abgesondertes menschliches Dasein gibt, vielmehr jedes Ding zugleich als ein Glied eines höheren Ganzen angesehen werden muß, aus welchem hervor es sich entwickelt und dessen Verständniß zum Verständniß der Einzelheit wesentlich ist“. Dieser Satz auf das Fach bezogen führt zu der Erkenntniß, „der Stoff des Rechtes sei durch die gesammte Vergangenheit der Nation gegeben, doch nicht durch Willkür, so daß es zufällig dieser oder ein anderer sein könnte, sondern aus dem innersten Wesen der Nation selbst und ihrer Geschichte hervorgegangen“. Aufgabe der Rechtswissenschaft ist es demgemäß, die Geschichte der bei uns geltenden Rechte bis zu ihrem Ursprung zurückzuverfolgen, um unseren Rechtszustand, wie nur auf diese Weise möglich, innerlich begreifen zu lernen. Diese Aufgabe zerfällt, nach dem Gange unserer deutschen Rechtsgeschichte, in drei Provinzen; erstens ist das römische Recht als Wurzel unseres gemeinen Rechts in seiner Reinheit zu studiren, von den ältesten Zeiten bis auf Justinian zu verfolgen; zweitens ist der ungetrübt nationalen Entwicklung des deutschen Rechts, von den ersten Anfängen bis zu der Reception der fremden Rechte, eine entsprechende Sorgfalt zu widmen; drittens aber sind endlich auch nicht zu vernachlässigen die Modificationen, welche jene beiden Rechtsmassen seither auf dem langen Wege bis zu uns erlitten haben, theils nach wirklich volksmäßigem Bedürfnisse, theils unter den Händen der Juristen. Alle diejenigen, welche sich der Lösung dieser Aufgabe mit bewußt geschichtlicher Methode widmen, sei es durch Erforschung neuer Quellen, sei es durch bessere Ausnutzung der bekannten, faßt S. als Mitglieder der „historischen Schule“ zusammen; ihnen stellt er die Anhänger jeder anderen Rechtsbehandlung als „unhistorische Schule“ scharf sondernd gegenüber. Daß diese scharfe Sonderung, wenn sie als dauerndes Princip hätte aufgestellt werden sollen, ein Fehlgriff und es namentlich unhaltbar gewesen wäre, der mehr philosophischen Rechtsbetrachtung alle Berechtigung abzusprechen, muß unbedingt zugegeben werden, wie denn wahrlich dieselbe Periode es an einer philosophirenden Jurisprudenz unter Hegel’s Einfluß nicht hat fehlen lassen, unbeschadet der Herrschaft, welche die Savigny’schen Ideen weit und breit gewonnen hatten. So engherzig waren diese aber auch nie gemeint. Das naheliegende Mißverständniß, als verwerfe er völlig jede nicht ganz in den Rahmen der historischen Schule passende Richtung, hat S. selbst mit gewohnter Sicherheit aufgeklärt in der Vorrede zu seinem Systeme des heutigen Römischen Rechts (S. XIII), indem er betonte, es sei „damals“ die historische [443] Seite der Wissenschaft besonders hervorgehoben worden, „nicht um den Werth anderer Thätigkeiten und Richtungen zu verneinen, oder auch nur zu vermindern, sondern weil jene Thätigkeit lange Zeit hindurch vor anderen versäumt worden war, also vorübergehend mehr als andere einer eifrigen Vertretung bedurfte“. Damit fällt der schwerste Vorwurf, welcher gegen die historische Schule gerichtet werden konnte, ohne weiteres hinweg; berechtigter ist ein anderer, häufig vorgebrachter, daß das Schulwesen zu persönlichen Härten, vornehmer Geringschätzung solcher Gelehrten geführt habe, welche einmal als nicht zugehörig galten, selbst wenn sie sachlich gar nicht so ferne standen; über derartige Mißhandlung zu klagen haben dürften namentlich Thibaut und Gans, um so mehr, als sie ihrerseits S. stets mit wahrer, in unserer Zeit wilder publicistischer Kampfgewohnheiten fast rührend wirkender Ehrfurcht begegnen; immerhin handelt es sich hier um bloß vorübergehende Dinge und trifft wol auch auf der historischen Seite der Tadel weniger den Meister als übereifrige Jünger. Jedenfalls ist das Gegengewicht der Leistungen ein überwältigendes. Für die Provinz der römischen Rechtsgeschichte geht die gesammte Durcharbeitung, wie sie der romanistischen Litteratur unseres Jahrhunderts die entscheidenden Grundzüge der Wissenschaftlichkeit aufgeprägt hat, von der historischen Schule aus: namentlich die Anschauung, welche noch immer um so weiteres Gebiet gewinnt, je allgemeiner das Corpus iuris civilis an formaler Gültigkeit verliert, die Anschauung, daß es weniger auf das Justinianische Recht ankommt als auf das innere Verständniß der Methode der classischen Juristen und ihrer Kunst, in jedem Grundsatze zugleich einen Fall der Anwendung, in jedem Rechtsfall zugleich die Regel zu sehen, mit Leichtigkeit vom Besonderen zum Allgemeinen und vom Allgemeinen zum Besonderen überzugehen, verdanken wir der Lehre Savigny’s, dessen eigene Meisterschaft eben auf der vollständigen Aneignung dieser Kunst und Methode beruht, wie sie schon im „Besitze“ hervortritt. Eine Reihe wichtigster Einzeluntersuchungen aus seiner Feder wies hier zahlreichen Forschern den Weg; zu Hülfe kam der Fund neuer Quellen, vor allem der Institutionen des Gaius, welcher, so viel man auch dem Zufalle zuschreiben muß, doch keineswegs außer Zusammenhang mit der von S. allgemein angeregten Aufmerksamkeit auf derartige Eventualitäten und der historischen Richtung überhaupt steht; mit frischem Fleiß, liebevoller Versenkung in die Einzelheiten, des Vorwurfes der Micrologie mit Recht spottend, warf man sich auf die Durchführung der neuen Methode; und so ist ein gewaltiger Aufschwung die Folge gewesen. – Daneben wirkte Eichhorn an der Spitze der Germanisten für eine eben so gedeihliche Förderung des Deutschen Rechts, dessen stoffliche Gleichberechtigung S. stets anerkannt hat, wenn er ihm schon die erzieherische absprach und persönlich kälter gegenüberstand; erst durch den Impuls, welchen die germanistischen Studien damals erhielten, sind die Erzeugnisse einheimischer Rechtsbildung klargestellt und in eine Gestalt gebracht worden, in welcher sie Einfluß auf Rechtsleben und Gesetzgebung in dem ihnen gebührenden Maße zurückzugewinnen vermochten. – Es erübrigt die dritte Provinz. Hier fällt S. weniger als sonst wol das Verdienst der Anregung Anderer, jedoch in noch höherem Maße als sonst dasjenige der eigenen, grundlegenden und umfassenden Arbeitsleistung zu: durch seine Geschichte des römischen Rechts im (abendländischen) Mittelalter.

Die zwei ersten Bände dieses Werkes behandeln wirklich, dem Titel entsprechend, die Geschichte des Römischen Rechts von der Zeit seines nationalen Unterganges ab, und zwar bis an die Schwelle des 12. Jahrhunderts. In dieser durch Gelehrsamkeit und Scharfsinn gleich ausgezeichneten großen Untersuchung gelingt es S., das über jener Periode lagernde Dunkel zu lichten und zu zeigen, wie das römische Recht auch in jener Zeit, für welche man es bis [444] dahin als ganz niedergedrückt sich vorstellte, in Städten, Ortsgebräuchen, kirchlicher Lehre, schulmäßiger Darstellung ein, wenn auch vielfach recht schwaches Leben und mit demselben die Fähigkeit bewahrt hat, durch Bologna und die italienischen Stadtuniversitäten zu neuem Glanze wiedererhoben zu werden. Die Durchführung dieser leitenden Idee, welche an Stelle der Wiedergeburt aus dem Nichts die historische Continuität setzt, ist das Wesentliche; neuere Forschungen haben theils andere, theils viel weiter gehende Einzelergebnisse geliefert, den Grundgedanken stets bloß bestätigt. – Mit einer beschränkteren Aufgabe haben die folgenden Bände sich begnügen müssen; der erste derselben (der ganzen Reihe dritter) beschäftigt sich eingehend mit der Entstehung und den Einrichtungen der ältesten Universitäten, eine Darstellung, welche diesen Gegenstand zum ersten Male umfaßt hat und so für die Geschichte aller dort vertretenen Wissenschaften maßgebend geworden ist; im übrigen geben diese vier Bände uns eine Litterärgeschichte der Romanisten von der Gründung Bologna’s bis zu Ende des Mittelalters und des 15. Jahrhunderts. Von weitertragenden herrschenden Gesichtspunkten ist hier wenig, und je weiter der Autor vorrückt desto weniger die Rede; die eigentliche Geschichte des Rechts verschwindet fast ganz gegenüber derjenigen der einzelnen Juristen, deren Namen, Daten, Werke u. s. f. festgestellt und gesichtet werden; gewiß kann man demnach mit Recht bemerken, der Titel des ganzen Buches treffe nicht mehr zu; aber eine schwere Ungerechtigkeit wäre es, wollte man über dem Mangel das Gebotene geringschätzen. Die einfache Erklärung ist vielmehr die, daß das römische Recht in seiner innerlichen Entwicklung durch das Mittelalter hindurch zu schildern, ohne diese Vorarbeiten, welche S. sich erst schuf, von dem Augenblick ab völlig unmöglich wird, in welchem eine wirkliche romanistische Wissenschaft entstand, wie Jeder bestätigen wird, welcher sich jemals ernsthaft mit der älteren Dogmengeschichte beschäftigt und dabei die Unentbehrlichkeit der Savigny’schen Chronik empfunden hat. Unter diesen Umständen war S. geradezu dazu gezwungen, es bei der ersten Stufe einer äußeren Gelehrtengeschichte bewenden zu lassen, für welche er ein umfangreiches Material gesammelt und mit ebenso großer Uebersichtlichkeit wie Akribie verwerthet hat. Bei demselben hat jedes weitere Streben seither einsetzen müssen und einen zuverlässigen Ausgangspunkt dem Wuste mittelalterlicher Ueberlieferung gegenüber gefunden; Legenden und Märlein sind abgethan, Bezeichnungen und Verhältnisse aufgedeckt, die Quellen zur weiteren Benutzung klargelegt; etwas mehr Leben der Darstellung, etwas mehr Charakteristik der Juristen oder auch ihrer Hauptwerke möchte man wünschen; doch bleibt immer zu bedenken, daß, sobald man anfängt zu schildern und zu individualisiren, man alsbald in den Kern der Dogmengeschichte hineingeräth, deren Studium eben erst durch Savigny’s Arbeit ermöglicht worden ist. Nicht also S. dem Schriftsteller gereicht es zum Vorwurfe, daß er lediglich eine Grundlage geworfen hat; eher dagegen dem Schulhaupte, daß es auf jener Grundlage nur ganz einseitig und unvollkommen hat weiter bauen lassen. Dieses hatte, schon als es ursprünglich die Aufgaben seiner historischen Schule absteckte, die Bearbeiter des dritten Feldes weit mehr als auf Gewinnung positiver Früchte darauf hingewiesen, daß es sich darum handele, Unkraut zu jäten, „den gegenwärtigen Zustand des Rechts allmählich von demjenigen zu reinigen, was durch bloße Unkunde und Dumpfheit litterarisch schlechter Zeiten ohne alles wahrhaft praktische Bedürfniß hervorgebracht worden ist“; und bei dieser destructiven Richtung ist man geblieben. Derselben entsprach es demgemäß durchaus, wenn man stets bereit gewesen ist, Institute des römischen Rechts, von welchen sich ergab, daß sie im echten römischen Sinne in Deutschland nicht anwendbar oder außer Gebrauch gekommen, als „in der Wurzel abgestorben“ preiszugeben; aber vernachlässigt hat man, diejenigen Modificationen [445] zu pflegen, welche, durch die Entwicklung der Reception bedingt, eine organische Durchdringung römischer und deutscher Rechtselemente, eine wahre Fortbildung und Anpassung des römischen Rechts, gewiß also die Befriedigung „eines volksmäßigen Bedürfnisses“ bedeuteten, wennschon sie sich vielfach unter dem Mantel von Mißverständnissen des reinen römischen Rechts versteckten. Für diese Erzeugnisse unbewußt unmittelbarer Rechtsgestaltung geht höchst auffallender Weise S. und seiner Schule aller Sinn ab; und so hat ihre Thätigkeit den merkwürdigen Erfolg erzielt, einen römischen Rigorismus und Purismus in der Auffassung des gemeinen Rechts hervorzurufen, wie er bisher in Deutschland noch nicht dagewesen war; auf diese Weise den Strom der Ueberlieferung, wie er in dem sogenannten usus modernus iuris Romani breit daherfloß, viel entschiedener abzuschneiden, als irgend ein Gesetzbuch dies zu bewirken vermocht haben würde; die Praxis ganz aus ihrem altgewohnten Gleise zu heben und geradezu an Stelle der bisher recipirten modernen Verarbeitung des römischen Rechts das reine römische, ein wissenschaftlich unendlich viel höher, praktisch unseren Verhältnissen unendlich viel fremder und spröder gegenüber stehendes Recht zur Neureception zu bringen. Man mag dies nun als Fortschritt der Erkenntniß erfreulich finden oder als Nachtheil für die Rechtsanwendung beklagen: jedenfalls ist damit die bis dahin herrschende schöne Naivität, die erste Vorbedingung, damit eine in Savigny’s Sinne rechtsfortbildende Thätigkeit des Volkes oder des Juristenstandes stattfinde, ein für alle Male in Deutschland zerstört; von einer derartigen Fortbildung kann sonach nicht mehr die Rede sein; so daß schließlich die Einseitigkeit der Richtung der historischen Schule auf diesem Gebiete das Codificationsbedürfniß des deutschen Volkes, welches sie leugnete, nur erhöht hat, während wir allerdings gleichzeitig durch ihre Arbeiten mit ausgedehnten Vorkenntnissen zu dieser Codification ausgerüstet worden sind.

Der tiefe Spalt, welcher seither zwischen Praxis und Theorie entstanden und als Zeichen unbefriedigender Rechtszustände bis heute offen geblieben ist, machte sich noch zu Savigny’s Lebzeiten ihm selbst fühlbar. Aus der Absicht Abhülfe zu schaffen, entsprang sein letztes großes Meisterwerk, „Das System des heutigen Römischen Rechts“. Indem er mit demselben hervortrat, bot sich ihm die Gelegenheit, deutlich an den Tag zu legen, daß er von jeher mehr als bloßes Parteihaupt, ein wahrer Fürst der Wissenschaft gewesen war, welcher die Eine Partei mit Vorbedacht nur so lange hatte herrschen und walten lassen, als er dies zum Wohl des Ganzen für ersprießlich erachtete, nunmehr aber das Gleichgewicht der Parteien wieder herzustellen für an der Zeit hielt. Die Vorrede zum System gibt das Losungswort der „historischen Schule“ auf und verlangt freieste Bewegung der Geister nach allen Richtungen. Allgemein wird uns berichtet, daß die Welt überrascht und überwältigt dastand, als sie so den Historiker mit einem systematischen Aufbau ersten Ranges in den Wettbewerb mit Doneau[WS 1] treten sah; das Staunen war erklärlich, jedoch eigentlich nicht berechtigt. Ein solches Werk als Abschluß der geschichtlichen Untersuchungen auszuführen, hatte von jeher im Sinne Savigny’s gelegen, welcher schon in seinem „Berufe“ als Merkmal der noch nicht erreichten Höhe festgestellt hatte, es sei „unter der nicht geringen Zahl von Systemen des Römisch-Deutschen Rechts“ keines, „welches nicht etwa bloß zu diesem oder jenem besonderen Zweck nützlich dienen könne, denn deren haben wir viele, sondern welches als Buch vortrefflich sei; dieses Lob aber wird nur dann gelten können, wenn die Darstellung eine eigene selbständige Form hat und zugleich den Stoff zu lebendiger Anschauung bringt“. Eben dieses Lob ist es aber, welches dem leider nur Torso gebliebenen System Savigny’s zweifellos gebührt, durch eben diese Eigenschaften zeichnet sich dasselbe im höchsten Maße aus, während es in Bezug auf Förderung der systematischen [446] Fragen den Vergleich mit Doneau’s Hauptwerk weniger aushält. Die systematische Durchdenkung und Anordnung des Rechtsganzen, welche zugleich wieder bis in die geringsten Einzelheiten jeder Lehre hinabreichend jedem Satz seinen festen Platz anweist, ist Savigny’s Sache nicht; diese reine Systematik ist ihm schließlich nicht nur willkürlich, sondern auch nebensächlich; er findet seine Befriedigung in der in sich übersichtlicheren künstlerischen Abrundung und Ausgestaltung einer jeden Lehre für sich, in der allseitigen Anwendung derjenigen, den römischen Classikern abgelauschten Methode, als deren Meister er schon bei der Behandlung der Besitzlehre aufgetreten war. In solcher Durchbildung trägt er als „heutiges“ römisches vor das reine Justinianische Recht, soweit es noch in Deutschland gilt; die abgestorbenen Bestandtheile werden energisch aufgesucht und ausgemerzt; die dritte Möglichkeit der Existenz modificirter romano-germanistischer Normen findet keine oder verschwindend geringe Beachtung: was in Bezug auf Würdigung dieser versäumt worden war, ließ sich nicht mehr nachholen. Am wenigsten blieb in die Schachte mittelalterlicher Folianten hinabzusteigen S. persönlich noch die Zeit; freuen wir uns, daß er, obschon nicht ohne jede Empfindung dieser Lücke, sich entschloß, die Arbeit so und soweit fertig zu stellen, als das Ziel der Jahre es ihm gestattete. Denn wenn sie auch ihren ersten Zweck, der Praxis die Theorie näherzurücken und beide im Geiste der großen Römer zu verschmelzen, nicht erreichen konnte und offenkundig nicht erreicht hat, so liegt eben für uns ihr Werth in einem Andern, darin, daß wir in ihr eine Gabe genießen, welche der deutschen Jurisprudenz zuzuwenden alle herrlichen Eigenschaften Savigny’s noch einmal zusammengewirkt haben. Die reiche Gelehrsamkeit und ihre Ueberwindung; die Klarheit der Anlage und die Durchsichtigkeit der Ausführung; die Kunst der sicheren Unterscheidung und der allseitigen Verbindung; und nicht zum mindesten der feste und abgeklärte, immer gleich wohlthuende Stil, unseren Classikern nachgebildet und ihrer würdig.

Dieselbe Meisterschaft der Form, eine ruhige und edel durchgebildete Beredsamkeit, wird Savigny’s Lehrvorträgen allseitig nachgerühmt; sie ist offenbar bei diesen wie bei seinen Werken von Anfang bis zu Ende gleichmäßig hervorgetreten. Uebrigens scheint in der Art und Weise seiner akademischen Thätigkeit, nach den verschiedenen uns über dieselbe erstatteten Berichten zu schließen, mit den Jahren eine gewisse Aenderung eingetreten zu sein. Zu den Marburger und Landshuter, wohl auch in den ersten Berliner Zeiten ein Lehrer voll seltenen Feuers der Begeisterung, welcher dieses seinen Schülern und Freunden mitzutheilen wußte, indem er sie den ganzen Forschungsproceß, welcher ihn zu seinen Ansichten geführt hatte, mit durchmachen ließ und sie so zugleich in seine Methode einweihte: tritt er in der Epoche höheren Alters als vornehm-gemessene Persönlichkeit den Zuhörern unvermittelt gegenüber; die Rede fließt stets gleich objectiv dahin, die Ansichten werden als feststehende mitgetheilt, entgegenstehende Meinungen kühl beseitigt. Wenigstens durch die Collegiensäle, in welchen sich die Studirenden der ganzen gebildeten Welt drängten, wäre nach einigen Angaben zuletzt ein Zug marmorner Kälte, der marmornen Schönheit beigemischt, gegangen; diejenigen, welchen Savigny’s näherer Umgang und Unterricht gegönnt wurde, wissen über derartiges zu keiner Zeit zu klagen; hier muß stets die Macht des Genies, verbunden mit der hoheitsvollen Anmuth des Menschen, einen einzig bestrickenden Zauber geübt haben. Er hat von den beiden Grimm bis auf Arndts eine außergewöhnliche Anzahl bedeutender Schüler, welche ihm dauernd treueste Anhänglichkeit bewahrt haben, gebildet und ist theils unmittelbar theils mittelbar durch dieselben hindurch Lehrmeister Europa’s gewesen.

Verglichen mit den großartigen Erfolgen Savigny’s als Lehrers und Schriftstellers sind diejenigen verschwindend, welche er als Gesetzgeber errungen [447] hat. Ueber die Ursachen dieses leidigen Ergebnisses, infolge dessen „sechs kostbare Jahre eines kräftigen Greisenalters der Wissenschaft geraubt“ (Stintzing a. a. O.) wurden, vermag man sich ein Urtheil zu bilden erst seitdem Adolf Stölzel in seinem umfassenden Werke über brandenburg-preußische Rechtsverwaltung und Rechtsverfassung (1888) die actenmäßige Geschichte jener Jahre geschrieben hat; auch die oben bei der Schilderung von Savigny’s Leben 1842–1848 gegebenen Einzelheiten sind durchweg Stölzel entnommen; alle älteren Darstellungen werden damit hinfällig. So viel geht nun jedenfalls aus dem, was wir neu erfahren, so objectiv Stölzel auch berichtet, hervor, daß ein erster und wesentlicher Grund des Mißerfolges die zahllosen Reibungen und peinlichen Aeußerungen des büreaukratischen Kastengeistes, der „Dienstpragmatik“, gewesen sind, welche ihre Veranlassung in der unglücklichen Theilung zwischen Justizverwaltung und Gesetzgebung, Nahrung aber auch in persönlicher Gehässigkeit fanden und bisweilen geradezu sich bis zu Intriguen gegen S. gesteigert haben. Allerdings ist es seinen Widersachern nie gelungen, ihn im Vertrauen seines Königs zu erschüttern, aber gegen ihre sonstigen kleinen Machenschaften, Behelligungen mit Fragen untergeordneten Ranges, Entziehung der Arbeitskräfte, Heimlichkeit der Vorbereitung von Gegenentwürfen u. s. f. steht S., welchen man so gerne als „gewandten Diplomaten“ verschrieen hat, in wahrhaft rührender Unbefangenheit hülflos da; sein Vertrauen darauf, daß es sich um rein fachliche Gegensätze handele, welche durch freundschaftlich-persönlichen Gedankenaustausch gehoben werden könnten, bleibt selbst dann noch unerschüttert, als die Gegnerschaft eines Bornemann unverhüllt hervortritt; und nachdem dieser und Uhden in amtlichen Schriftstücken die von dem anerkannten Beherrscher der Jurisprudenz herrührenden Entwürfe in wahrhaft unerhörter Weise geschmäht haben, zeichnet er einträchtig mit ihnen Immediatberichte und -Vorschläge. Zu diesem mehr äußerlichen gesellt sich dann als zweiter und entscheidender Grund die Ungunst der Zeitverhältnisse. Wenn je Jahre ein ruhiges, die bürgerlichen Rechtsfragen zu tendenzfreien Lösung bringendes gesetzgeberisches Schaffen durch die Erfordernisse der inneren Politik unmöglich machten, so gilt dies von denjenigen, welche der 48er Krisis vorangingen, Jahre, während welcher der König bemüht war, durch vorsichtige Einräumung vereinzelter freiheitlicher Institutionen unter Wahrung der alten Staatsform dem heranbrausenden Sturm zuvorzukommen, während der neue Geist selbst schon durch Beamte und Richter hindurchgeht. Gerade das Entgegengesetzte von dem, was S. zu leisten berufen war, forderte eine solche Zeit von ihrem Gesetzgebungsminister. Verordnungen mit liberalem Anstrich sollten die loyalen und religiösen conservativen Gesinnungen befördern, ohne reactionär zu erscheinen; vor allem aber sollte die Gesetzgebungsmaschine rasch und ruckweise arbeiten, je nach dem augenblicklich gerade lebhaft empfundenen Bedürfniß oder auch nach der augenblicklich gerade herrschenden Strömung; nicht auf geistreiche Auffindung und sorgfältige Durcharbeitung privatrechtlicher Principien, sondern auf politische oder administrative Reformgesetze kam es an; nicht Jahre stiller Ueberlegung, Wochen, höchstens Monate rüstiger Arbeit durfte die Vorbereitung währen; nicht in ihrem systematischen Zusammenhange, zuerst principielle Grundfragen, sodann der Reihe nach die Folgerungen, sollten abgeschlossene Gebiete erledigt werden, sondern einzelne Punkte so, wie sie gerade auftauchten im Anschlusse an concrete Vorgänge des Staatslebens oder der Volksstimmung und Presse. Seltene und hervorragende Eigenschaften mußte der Mann besitzen, welcher solche Aufgaben lösen sollte: gewaltige Arbeitskraft und politisch-legislatives Feingefühl; Geschäftserfahrung und Ueberblick über das geltende Recht in Einzelheiten und Gesammtheit; Raschheit des schmiegsamen Gedankens und Gewandtheit [448] der scharfen Form: aber gerade diese Verbindung von Vorzügen konnte man bei S. nicht erwarten. Wenn man diesen Mann an diese Stelle berief, so mußte man vorher wissen, was das hieß; man mußte wissen, daß er, ein Fabius Cunctator[WS 2] der Gesetzgebung, wie ihn Stölzel nicht ohne tadelnden Beigeschmack nennt, während wir ihn lobend so bezeichnen möchten, sich das Ziel stecken würde, lange gehegte Principien in wissenschaftlich-sorgfältiger langwieriger Gestaltung zu weitausholenden Vorschlägen mehr ausreifen zu lassen als auszubilden, politische Augenblickserwägungen dagegen möglichst auszuschließen. Daß man ihn eine Thätigkeit in diesem Sinne nicht entfalten ließ noch – damals – entfalten lassen konnte, ist für das Schicksal seines Ministeriums entscheidend gewesen. – Freilich, wenn wir Bornemann glauben, so wären all’ diese Umstände nur nebensächliche, die Hauptursache läge in Savigny’s Unfähigkeit zur gesetzgeberischen Production, seinem Mangel an Thatkraft und Uebersicht. Diese Anschuldigung gegen solchen Mann klingt so unglaubhaft, daß es lediglich Mangels Kenntniß der sich aus Stölzel erst ergebenden anderweitigen Erklärungsgründe des Mißerfolgs verständlich wird, wieso auch in weiteren juristischen Kreisen ein ähnliches Urtheil sich vielfach bis heute hat erhalten können. Fragt man nach seiner inneren Berechtigung, so kann nur die Betrachtung der einzelnen Savigny’schen Gesetzentwürfe für nicht-politische Gebiete entscheiden; als solche kommen dann einzig diejenigen für Eherecht und für Civilproceß in Betracht. Der Ehescheidungsentwurf ist veröffentlicht und bildet zweifellos eine vortreffliche Arbeit, welche den höchsten Ansprüchen genügen dürfte und nur wegen politischer Bedenken nicht zum Gesetze erhoben worden ist; der Civilproceßentwurf ist nicht veröffentlicht, hier sind wir auf einzelne Mittheilungen und das Urtheil solcher, welche ihn in den Acten gesehen haben, angewiesen. Nach diesen Quellen scheinen denn wirklich die Einwände der Gegner zuzutreffen in Bezug auf die Form, welche, wie schon oben gelegentlich bemerkt wurde, zwischen Novelle und vollständiger Neuordnung ungeschickt in der Mitte stände; was wir über den Inhalt erfahren, klingt aber um so erfreulicher. Wir hören, daß S. das gefundene Princip von 1833, mündliche Verhandlung, zum Grundsatz für alle Processe genommen hatte; daß er die freie richterliche Beweiswürdigung durchzusetzen gedachte; und daß er einen Anwaltszwang einzuführen vorhatte. Namentlich an diesem letzten Punkt scheinen die Gerichte Anstoß genommen zu haben; mag sein, daß, wie sie geltend machten, man damals noch nicht genügend ausgerüstet war, um einer solchen Vorschrift nachzukommen; aber daß mit allen diesen aufgeführten Entscheidungen grundlegenden Fragen der für die Zukunft richtige Weg gewiesen war, ist augenscheinlich. Nimmt man hinzu, daß Stölzel nicht umhin kann, seinen recht kühlen Ausführungen aus seiner umfassenden Actenkenntniß und seinem lebhaften Gerechtigkeitsgefühl hervor die Erklärung beizufügen, Savigny’s vorbereitende Arbeiten seien „Musterleistungen an Gründlichkeit, Ideenreichthum und echt wissenschaftlichem Geist“, so gelangen wir gewiß zu einem wesentlich günstigen Gesammtabschluß. Ist doch auch nur unter der Annahme, daß S. in sich die Kraft fühlte, das Justizwesen weiter denn mancher andere zu fördern, erklärlich, wie ein Mann gleich ihm trotz aller Kränkungen und Belästigungen bis zum letzten getreu auf so undankbarem Posten ausgeharrt hat.

Mitgewirkt hat dabei freilich außerdem sicherlich, daß seine ausgeprägte altpreußische Königstreue ihm nicht gestattete, während sich gerade von allen Seiten die Revolutionswolken zusammenballten, den Kampfplatz neben seinem Herrn freiwillig zu verlassen. Abgesehen von diesem mehr persönlichen Zuge strengster Loyalität ist S. eigentlicher Staatsmann und Politiker nicht gewesen; er hat keiner Partei angehört. Infolge seiner monarchischen Gesinnung und [449] juristischen Vorliebe für altüberlieferte und festgeordnete Zustände mochte er liberalen Stürmern als Reactionär erscheinen; dagegen haben andere Stimmen seine Anschauungen über Rechtsbildung als revolutionär verdächtigt. Beides mit Unrecht: seine Antwort auf die Denuciation Gönner’s stellt seine Ideen gegen solche Verdrehungen sicher, wirft eine Reihe anderer oberflächlicher Einreden nieder und bringt in gewaltiger Sprache, mit Wendungen schärfster Ironie gegen alle Sonderbündelei, seinen wahrhaft allgemein deutschen Patriotismus zum Ausdruck; seine innerlich, wennschon durchaus nicht im Parteisinn, liberale Gesinnung aber hat er deutlich an den Tag gelegt, als er den die Freiheiten der Universitäten voll würdigenden und vertheidigenden Artikel „Ueber Wesen und Werth der deutschen Universitäten“, welcher 1832 zuerst erschienen war, 1850 in seinen gesammelten kleinen Schriften abdrucken ließ mit der Bemerkung, irgend eine in demselben ausgesprochene Ansicht zu ändern oder zurückzunehmen sei ihm unmöglich. Man weiß, was das damals heißen wollte; und daß allerdings auch Savigny’s Grundlehre von der Rechtsentstehung aus der Tiefe der Volksüberzeugung autokratischen Anschauungen mindestens nicht schmeichelte, wird ebenfalls zugegeben werden müssen. Während diese Lehre als im besten Geiste liberal erscheint, ist sie zugleich, indem sie die Liebe zur Vergangenheit pflegt, im besten Geiste conservativ; ihre Uebertreibung nach der reactionären Seite hin, wie sie von einigen Schülern wohl versucht wurde, hat S. stets weit von sich gewiesen, daß sie „die Gegenwart, ihre Selbständigkeit verkennend, unter die Herrschaft der Vergangenheit beugen“ wolle, ausdrücklich geleugnet.

Weit ausgeprägter als das politische war in S. das religiöse Leben; aber auch dieses nicht im Sinne irgend einer confessionellen Partei, am wenigsten in demjenigen moderner Orthodoxie. Von seiner Mutter in erster Kindheit streng im reformirten Bekenntnisse erzogen, welches er für sich das ganze Leben hindurch beibehielt, hat er eine fromme Katholikin geheirathet und die Kinder aus dieser Ehe nicht nur der Mutter folgen lassen, sondern auch der starken Betonung ihrer Confession nie irgend welche Schwierigkeiten bereitet. Er selbst hat Befriedigung seines religiösen Bedürfnisses in dem persönlichen Umgange mit dem schon genannten katholischen Priester Sailer, in der Lectüre von dessen Schriften und von Thomas a Kempis Imitatio Christi gefunden. Bei alledem aber würden diejenigen ihn gänzlich verkennen, welche ihn jener romanistischen Schwärmerei für den Katholicismus und innerlichen Hinneigung zu demselben zeihen wollten, wie sie damals ja freilich so vielfach Modesache war. Gegen solche Auffassung schützt ihn das feierliche Glaubensbekenntniß, welches er im J. 1840 dem alten Marburger Freunde Pfarrer Bang gegenüber in einem Briefe ablegt, dessen Veröffentlichung wir Ennecerus (a. a. O. Anhang S. 69) verdanken. Wer dieses wahre Evangelium schönster Toleranz, aus gläubigem Gemüthe hervorgegangen, ganz in sich aufzunehmen verlangt, wird es an Ort und Stelle nachschlagen; der Schluß wenigstens muß auch hier zum Abdruck gebracht werden. „Wenn ein Mensch“, so heißt es da, „nach allen Mühen, Schmerzen und Freuden eines thätigen Lebens immer stiller und friedlicher wird in seiner Seele, immer gesammelter zum verborgenen Umgang mit Gott, wenn er immer weniger aus sich selbst macht, sowohl aus der Befriedigung seiner Neigungen als aus seinem Verdienst und der Anerkennung die ihm widerfährt oder versagt wird, wenn er Andere liebt gleich sich selbst, nicht bloß, indem er ihnen hilft, wo sie seiner bedürfen (welches ja schon seinem Selbstgefühl schmeicheln kann); sondern indem er in ihnen auch die von den seinigen verschiedenen Richtungen ehrt, indem er freudig das Gute in denen erkennt, die anderer Partei und Gesinnung sind als [450] er, wenn er sich nicht zu hoch hält für das scheinbar Geringe, das sich ihm auf seinem Lebensweg als Aufgabe darbietet, sondern den edlen Kern in diesem Geringen herauszufinden weiß – wenn diese Zeichen sichtbar werden (wie die ausschlagenden Blätter des Feigenbaumes), dann sollt Ihr denken, daß dieser Schüler die Lehre des Meisters wohl begriffen hat, mag er nun Protestant sein oder Katholik, Rationalist oder Supranaturalist, mag er die Classiker oder die Erbsünde zu seinem besondern Mittel der Erbauung gebrauchen, ja selbst dann, wenn er auf diese besondere Gestalt, worin sich ihm die Lehre des Meisters befruchtend erwiesen hat, mehr Werth legen sollte, als Recht und für die echte Duldsamkeit wünschenswerth ist.“

Der dies schrieb, war kein katholisirender Romantiker. Ueberhaupt aber ist wohl keine Charakteristik allseitig verkehrter, als diejenige, welche man von S. wohl durch die Zuordnung zu den Romantikern zu geben versucht hat. Eine derartige Platzanweisung hat zunächst schon die geschichtliche Wahrscheinlichkeit gegen sich, denn regelmäßig ist der Gang der litterarischen Zeitströmungen der, daß sie sich zuerst in Philosophie und schöner Litteratur, erst längere Zeit darauf in den Sonderwissenschaften durchsetzen. Sodann und vor allem ist es die schwerste Unbill, welche man Savigny’s Rechtsursprungslehre anthun kann, wenn man sie mit den unklaren mittelalterlichen Sympathieen der Romantik verbindet. Nicht dunkle Empfindungen, Spiel der Phantasie, mittelalterlicher Spuk haben bei der Erzeugung jener Lehre mitgewirkt, sondern im Gegentheil klarer historischer Blick für Vergangenheit und Gegenwart, bewußt wissenschaftliche Kritik und Heuristik, Erkenntniß des Werthes classischer Litteratur und Bildung. Und genau so steht es in allen sonstigen Beziehungen. Savigny’s Persönlichkeit ist wie seine Lebensführung ernst, gemessen von Anfang an, bewußt vornehm und würdevoll mit mildernder Anmuth; nicht haben wir eine hin- und herschwankende, erst spät zur Einsicht gelangende, die Gegensätze suchende und humoristisch überspringende Romantikernatur vor uns. Savigny’s in unserer juristischen Litteratur unerreichter Stil ist nicht romantisch schillernd, von Vergleich zu Vergleich, von Bild zu Bild eilend, ein den Leser umtobender, betäubender und mitreißender Wildbach; sondern ein ruhig und majestätisch dahinfließender Strom, wirksam durch Klarheit, Sicherheit und Stätigkeit des Verlaufes, streng schlicht und sachlich. Savigny’s Darstellung ringt nicht romantisch mit dem Gedanken, indem sie uns den Autor bei dem Studium begleiten, mit ihm durch Ranken und Gestrüpp uns durcharbeiten hieße; sondern sie führt uns den Gegenstand geschlossen und fertig, wie der Autor zu seiner völligen Beherrschung gelangt ist, in scharfen und unwandelbaren Strichen vor, so daß wir den Eindruck gewinnen, als wäre hier das letzte Wort gesprochen, als könnte es gar nicht anders sein. Nicht Romantiker, sondern Classiker ist S., nach Bildung, Gesinnung, Empfindung, Schreibart und Denkart. So sehr Classiker, daß man kaum seiner gedenken kann, ohne ihn, wie vielfach geschehen, mit Goethe zu vergleichen. Eine Reihe äußerer Umstände haben den Vergleich nahegelegt; beide Männer sind in Frankfurt a. M. geboren, aus bester Familie abstammend; beide sind während ihres ganzen Lebens, durch reiche Glücksgüter vor allen Sorgen der materiellen Existenz geschützt, in der Lage gewesen, sich frei, wie der Geist sie trieb, bewegen zu können, auch haben sie beide hohe Staatsämter eingenommen und diesem Umstande in ihrer ganzen Haltung bemerkbar Rechnung getragen; zuletzt haben beide ihr Leben bis zum höchsten Greisenalter fortführen, so ihre Geistesgaben allseitig voll entwickeln und der Welt ein abgeschlossenes Bild organischen Blühens und Verblühens hinterlassen können. Unterstützt wird die Aehnlichkeit durch manche kleine Charakterzüge; wie Goethe so hat S. Beruhigung allen Leidens, welches ihm das Leben brachte, in productiver Thätigkeit gefunden; [451] wie Goethe so ist es S. widerfahren, trotz reinster Anschauungen wegen seiner Lebensweisheit für einen Fürstendiener gehalten zu werden; wie Goethe war S. innerlich Alles eher, denn Tagespolitiker, so daß seine Aeußerung über die Muße, deren er sich gerade in politisch erregtester Zeit zu litterarischen Arbeiten erfreute, mit ähnlichen Worten Goethe’s fast zusammenfällt. Die Verwandtschaft der beiden Männer reicht aber noch tiefer, bis in die Elemente der Charaktere; die Betonung und Vollendung der Form; die „olympische“ Klarheit und Sicherheit der Anschauungen; die Verachtung alles Kleinlichen und Banausischen; der feste Entschluß, in jedem Ding die höchsten und idealsten Gesichtspunkte aufzusuchen, getragen von der Einsicht, auf diese Weise auch praktisch am besten zu wirken; für das spätere Lebensalter eine gewisse Krystallisation der Ansichten unter bisweilen etwas spröder Zurückweisung jüngerer Strömungen; daneben aber doch und vor allem die innerlich stets genährte, nicht im Flammenspiel aufflackernde, sondern starke und warme und gleichmäßig brennende Liebe für den Gegenstand: alle diese Wesensbestimmungen Goethe’s kehren bei S. wieder. – Und so sind wir denn wohl berechtigt, obschon wir die bedeutsamen, weit über das etwa bloß durch die Verschiedenheit des Gebietes der Geistesbethätigung Bedingte hinausreichenden Unterschiede keineswegs verkennen dürfen, für die abschließende Würdigung der allgemeinen Bedeutung Savigny’s von Goethe auszugehen. Was uns dieser in Poesie und Litteratur, das ist jener auf dem bescheideneren Gebiete der Rechtswissenschaft gewesen; wie alle Völker der gebildeten Welt Goethe verehren, so hat überallhin – Goethe selbst bezeugt es in einem bekannten Wort – den Ruf deutscher Rechtsgelehrsamkeit S. getragen; wie Goethe hinausragt über Nation und Zeit und, ein Gut der ganzen Menschheit, sich den alten Classikern anreiht: so ist S. eine Zierde nicht bloß der deutschen, sondern aller Jurisprudenz, der Classiker unserer bürgerlichen Rechtsgelehrsamkeit in unmittelbarem Anschlusse an die Classiker der römischen Civilistik.

Rudorff, Friedrich Karl v. Savigny, Erinnerung an sein Wesen und Wirken, in der Zeitschrift für Rechtsgeschichte II (1863), 1–68. – Enneccerus, F. K. v. Savigny und die Richtung der neueren Rechtswissenschaft, nebst einer Auswahl ungedruckter Briefe, Marburg 1879. – v. Bethmann-Hollweg, Savigny als Rechtsgelehrter, Staatsmann und Christ, in der Zeitschrift für Rechtsgeschichte VI, 42–81. – Arndts, Gedächtnißrede zum Andenken an Fr. K. v. Savigny, in der Kritischen Vierteljahrsschrift IV, 1–16. – Stintzing. Friedr. K. v. Savigny, ein Beitrag zu seiner Würdigung, Sonderabdruck aus dem 9. Bande der Preußischen Jahrbücher. – Pernice, Savigny, Stahl (Berlin 1862). – R. Ihering in seinen und Gerber’s dogmatischen Jahrbüchern V, 354–377. Sohm in Grünhuts Zeitschrift für das Privat- und öffentliche Recht der Gegenwart I, 258, 274. – Bruns, Zur Erinnerung an Fr. K. v. Savigny, Vortrag gehalten in der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin am 21. Februar 1879. – Brinz, in der Kritischen Vierteljahrsschrift XXI, 473–490 und XXII, 161–180 (zusammenstellender und vertiefender Bericht über die zur Feier von Savigny’s hundertjährigem Geburtstag 1879 an fast allen deutschen Universitäten und Akademien gehaltenen Reden und erschienenen Arbeiten, von welchen einzelne, soweit sie besondere Benutzung hier gefunden haben, vorstehend genannt sind, während für die übrigen auf Brinz verwiesen sein mag). – I. v. Döllinger, Akademische Vorträge II, 94 ff. (Gedenkworte). – Bettina v. Arnim, Goethe’s Briefwechsel mit einem Kinde, 3. Auflage, Berlin 1849, namentlich S. 105, 172, 181. – Diel u. Kreiten, Clemens Brentano (ein vollständiges Register am Ende des zweiten Bandes gibt unter Stichwort Savigny die Nummern der Seiten, auf welchen seiner erwähnt wird). – Jacob Grimm, Vermischte [452] Schriften I, 115 ff. – Goethe, Werke, Ausg. letzter Hand, XLIX, 135. – Haelschner, Geschichte des Brandenburgisch-Preußischen Strafrechts (des Preußischen Strafrechts erster Theil) 269–283. – A. Stölzel, Brandenburg-Preußens Rechtsverwaltung und Rechtsverfassung II, a. v. O., namentlich 527–628. – E. Schwartz, Die Geschichte der privat-rechtlichen Codificationsbestrebungen in Deutschland, in dem Archive für bürgerliches Recht mit Einschluß des Handelsrechts, herausgegeben von Kohler und Ring, I, 58–83.[1]

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. S. 452. Z. 7 v. o. hinzuzufügen: Ranke, Sämmtl. Werke LI/LII, 496 ff. [Bd. 33, S. 799]


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Hugues Doneau, französischer Rechtsgelehrter des 16. Jahrhunderts.
  2. Fabius, General der römischen Republik mit dem Beinamen Cunctator (der Zauderer), der Hannibal durch zögernde Taktik und kleine Gefechte zu schwächen suchte.