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Artikel „Sethe, Christoph“ von Hermann Hüffer in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 34 (1892), S. 45–48, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Sethe,_Christoph&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 13:52 Uhr UTC)
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Sethe: Christoph Wilhelm Heinrich S., Wirklicher Geheimrath und Chefpräsident des rheinischen Revisionshofes zu Berlin, geboren am 25. April 1767 zu Cleve, † am 30. April 1855 zu Berlin. – Der Name S. gehört einer rheinisch-preußischen, in vielen Generationen rühmlich bewährten [46] Beamtenfamilie. Christoph’s Vater war Hofrath und Advocat bei dem Landes-Justizcollegium, oder wie man damals sagte, bei der Regierung in Cleve, seine Mutter die Tochter des dortigen Regierungsdirectors, Geheimen Raths Grolman. Er besuchte das Gymnasium zu Cleve und bezog schon im Alter von 16 Jahren die Universität, zunächst Duisburg, dann Halle und Göttingen. Im J. 1787 wurde er in Cleve als Auscultator angestellt, hielt sich aber, nachdem er die zur Vorbildung als Justizbeamter erforderlichen Prüfungen bestanden hatte, längere Zeit in Berlin bei seinem Onkel, dem nachmaligen Obertribunalspräsidenten v. Grolman, auf und arbeitete zugleich beim Kammergericht. Im J. 1791 trat er als Assessor bei der Regierung in Cleve ein und erhielt 1794 den Rang eines Geheimen Raths, unmittelbar bevor das Land in die Gewalt der einrückenden französischen Heere fiel. Ohne Unterlaß dauerten nun, auch nach dem Baseler Frieden, die Streitigkeiten zwischen den preußischen Behörden und den französischen Generalen und Commissarien, bis infolge des Lüneviller Friedens das linksrheinische Cleve endgültig an Frankreich abgetreten, und die preußische Verwaltung 1802 aufgelöst wurde. S. wurde 1803 an die Regierung des neuerworbenen Bisthums Münster versetzt. Ueber seine dortigen Lebensjahre hat er eingehende Aufzeichnungen hinterlassen, ein schönes Zeugniß, wie man bei aller Strenge der amtlichen Obliegenheiten für die Anschauungen und Wünsche der Landeseinwohner sich ein offenes, gerechtes Auge bewahren konnte. Im J. 1808, als das Fürstenthum Münster und die Grafschaft Mark mit dem Großherzogthum Berg vereinigt waren, wurde S. als Mitarbeiter an der Justizorganisation des neuen Staates nach Düsseldorf berufen und im J. 1811 zum Generalprocurator bei dem Appellhofe ernannt. Auch unter der Fremdherrschaft bewahrte er ein deutsches Herz. Im J. 1812 brach unter den Fabrikarbeitern im Bergischen bei der Aushebung zum Militär ein Aufstand aus, und da S. sich als Generalprocurator bei Untersuchung desselben dem willkürlichen Verfahren der Verwaltungs- und Militärbehörden widersetzte, wurde er im April 1813 nach Paris berufen, um sich zu verantworten. Hier sollte er Napoleon vorgestellt werden, aber der Kaiser lehnte es ab mit den Worten: „Je ne veux pas voir l’avocat du Rhin“. Der Minister Röderer eröffnete ihm, er sei Napoleon als der gefährlichste Mann im Großherzogthum Berg geschildert worden, und machte ihm über sein Verfahren als Generalprocurator heftige Vorwürfe mit dem Bemerken, der Kaiser könne ihn erschießen lassen. Aber S., auf das Gesetzbuch Napoleon’s hinzeigend, entgegnete: „Alors il faut auparavant fusiller la loi“. Später ergab es sich, daß es Napoleon, der in Deutschland Aufstände fürchtete, hauptsächlich darum zu thun gewesen war, die bedeutendsten deutsch- und preußischgesinnten Männer auf einige Zeit vom Rhein und aus Westfalen zu entfernen. Im Sommer 1818 kehrte S. nach Düsseldorf zurück, wurde schon im folgenden Frühling bei dem von den verbündeten Mächten niedergesetzten Generalgouvernement für das Großherzogthum Berg Director des Gouvernementsraths und noch in demselben Jahre Chefpräsident des Oberlandesgerichts in Münster. Im J. 1815 erhielt er den Auftrag zur Organisation der Justiz in den preußisch gewordenen Rheinprovinzen, und im J. 1816 das Präsidium der in Köln niedergesetzten Immediat-Justizcommission zur Revision der in den Rheinprovinzen bestehenden Gesetzgebung. In dieser Stellung blieb er bis 1819, wo er als Chefpräsident des rheinischen Revisions- und Cassationshofes nach Berlin berufen wurde; 1820 wurde er Mitglied des Staatsraths. Gerade zu jener Zeit waren die Vorzüge und Mängel der rheinischen Justizeinrichtungen gegenüber den altpreußischen Gegenstand lebhafter Verhandlungen. S. hatte als Justizbeamter in Düsseldorf Gelegenheit gehabt, die Eigenthümlichkeit des einen wie des anderen Verfahrens in Vergleich zu bringen, und konnte nicht umhin, [47] sich in manchen Punkten zu Gunsten des französischen zu entscheiden. In den Berichten der vorher erwähnten Immediat-Justizcommission hatte er diesen Standpunkt zur Geltung gebracht; auch später, als es sich um die Errichtung der Provinziallandtage handelte, gab er mit unerschrockenem Freimuth den Zuständen der rheinisch-westfälischen Provinzen und den freisinnigen Grundsätzen, die dort sich herausgebildet hatten, vor denen der östlichen Landestheile den Vorzug. Es geschah aber mit so viel Besonnenheit, Mäßigung und Pflichttreue, daß ihm die Gunst Friedrich Wilhelm’s III. und dessen Nachfolgers drei Jahrzehnte hindurch ungeschmälert erhalten blieb. – Einem Manne von solchem Charakter waren, wie kaum gesagt zu werden braucht, die Ausschreitungen der Revolution des Jahres 1848 ein Gräuel. Er hielt den Versuch, die deutschen Fürsten zu beseitigen, für eine Thorheit, wünschte einen Bundesstaat mit Preußen an der Spitze, und in den entscheidenden Tagen im November 1848, als die Berliner Nationalversammlung das Recht des Königs, die Versammlung nach Brandenburg zu verlegen, bestritt, trat er in einer öffentlichen Erklärung in den Berliner Zeitungen für die Krone ein. Mit Freuden begrüßte er dagegen den Erlaß der Verfassungsurkunde von 1850, blieb auch in allen Strömungen der Zeit den Grundsätzen treu, die er in seinen Mannesjahren verfochten hatte.

S. hatte sich am 17. Juli 1796 verheirathet mit Philippine Sack, geboren am 1. Januar 1772, der Schwester des bekannten Oberpräsidenten von Brandenburg. Er verlor sie am 11. November 1830, aber das innige Verhältniß zu seinen Kindern machte sein häusliches Leben auch in späterer Zeit zu einem äußerst glücklichen. Seine kräftige Gesundheit litt erst im J. 1854 durch wiederholte Schlaganfälle, welche eine Seite seines Körpers lähmten, ohne jedoch seinen Geist zu schwächen. Unter Ermahnungen und Trostesworten an seine zahlreich versammelten Nachkommen, in dem festen Vertrauen auf ein jenseitiges, besseres Dasein, schied er, 88 Jahre alt, aus diesem Leben.

Unter seinen Kindern war ihm am ähnlichsten Christian Karl Theodor Ludwig S., geboren am 19. Juli 1798 in Cleve, am 25. März 1825 Regierungsassessor in Coblenz, 29. Juni 1826 Regierungsrath in Münster, dann in Köln und wieder in Münster – 15. November 1845 Oberregierungsrath in Frankfurt a. d. O., 1. September 1850 Geheimer Finanzrath und Provinzialsteuerdirector in Stettin, gestorben als solcher am 31. März 1857 – verheirathet am 13. August 1825 mit Wilhelmine Bölling, Tochter des Landrichters Moritz Bölling aus Bochum und seiner Ehefrau geb. Grolman, geboren am 13. August 1800 in Bochum, † am 22. Juni 1875 auf einer Besitzung in Heringsdorf. – Auch Christian S. war ein ausgezeichneter Beamter, ein musterhafter Gatte und Vater, von einfach anspruchslosem Wesen. Wie sein Vater wies er die ihm angebotene Erhebung in den Adelstand zurück. Für die allgemeine Deutsche Biographie und die Litteraturgeschichte ist er insbesondere wegen seiner Beziehungen zu Heinrich Heine beachtungswerth. Noch sehr jung saßen die Knaben auf den Bänken des Düsseldorfer Lyceums neben einander. S., von ruhigem gesetzten Wesen – man nannte ihn später den „Staatsrath“ –, wurde für den etwas jüngeren Genossen eine Art Beschützer; er wurde auch der Vertraute seiner Jugendneigungen, und als Heine 1816 in Hamburg den verunglückten Versuch im Kaufmannsstande machte, richtete er von daher an S. die merkwürdigen Briefe, welche über sein Verhältniß zu Amalie Heine (Molly) den sichersten Aufschluß geben. Im J. 1819 trafen die Freunde auf der Bonner Universität wieder zusammen. Hier entstanden jene „Fresco-Sonette“, in denen S. als Leuchthurm im Sturme, und sein Herz als ein sicherer Hafen bezeichnet wird. In Berlin öffnete dann in den 20er Jahren das Sethe’sche Haus dem Dichter seine gastlichen Räume, und zahlreiche Briefe bezeugen, wie großen Werth [48] er auf das Verhältniß zu S. legte. Selbst die ganz verschiedene politische Richtung konnte die Freundschaft zwischen dem preußischen Beamten und dem Wortführer des jungen Deutschlands nicht zerstören; 1843, als Heine nach zwölfjähriger Abwesenheit wieder nach Deutschland kam, suchte er S. in Münster auf. Im folgenden Jahre schickte er noch die Frucht dieser Reise: das Wintermärchen, und die Freundschaft hat fortbestanden, wenn sie auch durch äußere Zeichen, so viel mir bekannt, nicht ferner bethätigt wurde.

Aufzeichnungen Christoph Sethe’s, mitgetheilt in G. Freytag’s Bildern aus der deutschen Vergangenheit (Ges. W. XXI, 376. Leipzig 1888). – Chr. Sethe’s Nekrolog, verfaßt von seinem Schwiegersohne, dem Oberregierungsrath Haeckel. Berlin 1855. – Aus Christian Sethe’s Nachlaß die auf Heine bezüglichen Papiere, schon benutzt in meiner Schrift: Aus H. Heine’s Leben. Berlin 1878. – Mittheilungen des Stadtrichters Herrn Heinrich S. in Berlin.