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Artikel „Gries, Johann Diederich“ von Friedrich Johannes Frommann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 9 (1879), S. 658–660, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Gries,_Diederich&oldid=- (Version vom 10. Oktober 2024, 05:00 Uhr UTC)
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Band 9 (1879), S. 658–660 (Quelle).
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Gries: Johann Diederich G., geb. am 7. Febr. 1775, war im Alter der mittelste von den sieben Söhnen eines Kaufmanns und Senators in Hamburg. Erst in seinem 18. Jahre, ausgerüstet mit einer geselligen Bildung und Kenntnissen, die über das Durchschnittsmaß hinausgingen, kam er als Lehrling in eine kaufmännische Großhandlung und verlebte drei traurige Jahre hinter dem Schreibpulte, bis ihm durch seinen älteren Bruder Ludwig vom Vater die Erlaubniß zum Studiren ausgewirkt wurde. Er wählte wie jener die Rechtswissenschaft und bezog im October 1795 die Universität Jena, wo ihm seine geselligen Talente, sein harmloser Witz und seine Fertigkeit auf dem Piano schnell den Eintritt in die Familienkreise der Professoren öffneten und mit anderen Studenten, besonders Norddeutschen, wie Rist, Herbart, August Herder, später mit Arnold Heise, Eschen, Hülsen, v. Berger, Baron Bielfeld, Lichtenstein, Kunhardt, v. Hardenberg (Novalis) Freundschaft fürs Leben geschlossen wurde. Im Hause des Anatomen Loder lernte er Goethe kennen, Schiller durch sein erstes größeres Gedicht Phaeton, das dieser in die Horen aufnahm, Wieland in Weimar. Daß er Fichte hörte und verehrte, versteht sich; doch konnte er dessen abstracter Strenge keinen rechten Geschmack abgewinnen, wie er auch in der Rechtsgelehrsamkeit nicht fleißig war. Die Luft, die in Jena und Weimar herrschte, war dem Brotstudium nicht günstig. Seine damaligen Empfindungen nach der Befreiung aus der Comtoirluft findet man wohl in seinem noch etwas steifen Gedichte „Der Wanderer“ ausgedrückt. Im Frühjahr 1797 machte er einen Besuch in Hamburg und lernte beim Dr. Reimarus F. H. Jacobi näher kennen. Im Sommer reiste er mit Caroline Schlegel und ihrer Tochter nach Dresden, wo sich Schlegel aufhielt, machte einen Abstecher nach Freiberg, wo ihn Charpentier und Werner freundlich aufnahmen. Bei Schlegels traf er später Schelling, der ihn völlig begeisterte. Hier begann er auch die Uebersetzung des Tasso. Der nächste Winter führte Steffens nach Jena, der sich dem oben genannten jüngeren Kreise an Griesens Theetisch anschloß. – Nun mußte er nach 8 Semestern seine juristischen Studien auf väterliche Mahnung mit Ernst angreifen und am 13. April 1799 mit schwerem Herzen Jena verlassen, hatte aber in Weimar noch das Glück, daß Schiller ihn das Manuscript seines in der Vorbereitung zur Aufführung befindlichen Wallenstein lesen ließ. In Göttingen schloß er sich besonders an Sartorius und Seidenstücker an, besuchte [659] fleißig die Collegia und vollendete daneben den ersten Theil des Tasso. Am 28. März 1800 nach Jena zurückgekehrt traf er im Schlegel-Schelling’schen Kreise L. Tieck, machte auch die Bekanntschaft von Savigny und ließ sich durch seinen Freund Hufeland, den Juristen, bestimmen, sofort ex tempore zu promoviren. Seine nachträglich geschriebene Dissertation trägt den Titel: „De litt. cambialium acceptione“, 1801. – Ehe er nach Göttingen zurückkehrte, stellte er sich als Dr. utriusque juris seinem Vater in Hamburg vor und wurde im Familienrathe beschlossen, da schon zwei seiner Brüder Hamburger Rechtsanwalte, der dritte Syndicus der Stadt war, daß er ferner genio indulgiren möge. Unterdessen ward der erste Theil seines Tasso in Jena (in 4°.) gedruckt und die Correctur von A. W. Schlegel gelesen. Am 22. Juli reiste er von Göttingen aus über Cassel, Marburg, Wetzlar an den Rhein, hielt sich rückwärts vier Wochen in Frankfurt auf, verkehrte besonders mit Savigny im Hause Brentano und auf jenes Gute Trages, ging über Würzburg nach Bamberg zu Schelling, wo er den Arzt Hufeland traf, auch Martius und Röschlaub sah. Von hier wollte er nach Wien Schelling mithaben, dieser aber kehrte nach Jena zurück und G. mit ihm. Der Theetisch in Griesen’s Stube war wieder der Sammelplatz und wurde da auch viel musicirt, der Eintritt des neuen Jahrhunderts im Frommann’schen Hause gefeiert mit Steffens, Fr. Schlegel, der Veit u. a., in Weimar die Haydn’sche Schöpfung gehört und mit Schelling, Schiller und Hufeland ein Maskenball besucht, fleißig am Tasso fort gearbeitet, so daß der 2. Thl. Michaelis 1801, der 3. Ostern, der 4. Michaelis 1802 erschienen. Sofort begann er die Uebersetzung des Ariost und die unverdrossene Beschäftigung mit dieser schweren Arbeit war ihm ein Trost beim Anfange seiner Schwerhörigkeit, dem Ausbruch der Fichte’schen Händel und Wegziehen vieler Freunde. Der 2. Theil erschien schon Michaelis 1804. Heidelberg war damals im Aufblühen, dort mehrere seiner Jenaischen Freunde, wie Thibaut, Ackermann, H. Voß und einige jüngere angestellt und so siedelte er im Sommer 1806 dahin über, mit welchen Hoffnungen sagt das Gedicht „Burschenleben“ (Thl. II. 25), aber schon im Herbste 1807 schreibt er voll Sehnsucht nach Jena an Berger und ein Jahr darauf war er wieder in dieser „Heimath seines Herzens“, wohin auch die Schwestern der Frau Frommann aus Lübeck gezogen waren, die sich ebenfalls des Landsmanns freundlich annahmen, weiter v. Knebel, Luden, Fahrenkrüger, Seidenstücker, Kieser, Oken. In Jena herrschte auch in der Zeit des schwersten Druckes der Franzosenzeit ächt deutsche Gesinnung und als endlich das Joch gebrochen war, entwickelte sich ein reges politisches und geselliges Leben, an dem G. den lebhaftesten Antheil nahm, wie auch an der Stiftung der Burschenschaft (12. Juni 1815), denn an dem Leben mit der Jugend hatte er stets seine Freude und stimmte ein in ihre frohen Gesänge. – Noch während der Franzosenzeit hatte er die Uebersetzung des Calderon angefangen und nach einem Aufenthalte in Hamburg und bei Berger’s in Kiel besuchte er im Sommer 1819 den Verleger der ersten Theile, Parthey, in Berlin, 1822 von Wiesbaden aus, wo er vergeblich Heilung seiner zunehmenden Taubheit gesucht, Stuttgart, befreundete sich mit G. Schwab, Uhland, Haug u. a. Als nun die beiden Schwestern der Frommann zu den Söhnen der älteren dahin übergesiedelt waren, folgte er ihnen, 1. August 1824, bearbeitete dort die zweite Auflage seines Ariost und machte durch Bohns die Bekanntschaft des Buchhändlers Löflund, der seine Gedichte und die Uebersetzungen von Fortiguerra’s Richardett und Bojardo’s verliebtem Roland verlegte. Trotz aller Freundschaft, die er hier genoß soweit seine Taubheit es erlaubte, zog es ihn doch nach Jena zurück, wo er 1827 wieder sein altes Quartier am Lobdenthor bezog. Im Herbste 1830 starb Frau Frommann, im Januar 1831 seine theure Schwester Stresow in Hamburg und [660] im April befiel ihn die in seiner Familie erbliche Gicht und lähmte seine Hände so, daß er seinen geliebten Flügel nicht mehr benutzen, nur mit Mühe noch schreiben und Karten spielen konnte. Sein ererbtes Vermögen hatte er wahrscheinlich schon früher verloren. Goethe’s Tod 1832 erschütterte ihn tief und im September 1837 starb auch sein ältester Jenaischer Freund, Frommann. Schon wiederholt hatten ihn seine Hamburger Verwandten vergeblich aufgefordert, dorthin zurückzukehren. Endlich machte sich sein jüngster Bruder Franz mit seiner thatkräftigen Frau auf und entführte ihn im Spätherbst 1837 mit sanfter Gewalt nach Hamburg, wo er im folgenden Jahre den verliebten Roland des Bojardo vollendete. Trotz der sorgsamsten Pflege der Seinigen und der vortrefflichen Elise Campe, die auch das 1855 bei Brockhaus als Manuscript erschienene Leben von G. herausgegeben hat, und trotz der in Jena schmerzlich vermißten guten Hamburger Kost konnte er sich doch dort nicht eingewöhnen. Zu seinen alten Uebeln trat 1841 noch die Mundfäule mit allen ihren Beschwerden. Unter diesen Umständen hatte er von dem ihm durch Friedrich Wilhelm IV. ausgesetzten Gnadengehalte (300 Thaler) nur die Freude, von diesem edlen Fürsten anerkannt zu sein, aber wenig Genuß, denn schon am 9. Febr. 1842, zwei Tage nach dem Antritte seines 67. Jahrs, endigten mit seinem Tode seine Leiden. Das ersparte ihm die Schrecken des furchtbaren Brandes seiner Vaterstadt zu erleben, der sich bis nahe an seine Wohnung erstreckte. G. war nicht verheirathet, hat auch wol nie heirathen wollen, obwol sein Herz nicht unempfänglich war, wovon seine Gedichte beredtes Zeugniß geben. Er besaß große Empfänglichkeit für alles Gute und Schöne, was ihm Natur, Kunst, Poesie, Musik, Umgang mit gebildeten Menschen, vor allem die Freundschaft boten, welcher er eine Art Cultus und die größte Treue widmete. Bei seiner nicht gerade schöpferischen Begabung traf er das Rechte, indem er das Uebersetzen zum Lebensberuf erwählte, aber auch unter seinen eigenen Gedichten, die leider zu wenig gekannt sind, fehlt es nicht an solchen von ächt dichterischem Schwunge, z. B. dem „An die Entfernten“ (Th. I. S. 157); in allen herrscht Vollendung der Form, ungezwungene Grazie, harmloser Humor. Seine Gelegenheitsgedichte (Th. II. S. 3–85) sind freilich ohne Kenntniß der Personen und Zustände nicht alle verständlich. Seinen Uebersetzungen widmete er in Absicht auf Treue, Rhythmus und Reim den eisernsten Fleiß. Sie sind der Beweis seiner seltenen Herrschaft über die deutsche Sprache. Das verlangte er aber auch anerkannt zu sehen und fühlte sich sehr verletzt, wenn er nicht genug gelobt oder gar getadelt wurde, wie er überhaupt sehr reizbar war. Doch verrauchte seine Hitze schnell und trennte ihn nie von seinen Freunden, nur Nachdruckern und „Nachübersetzern“ verzieh er nicht (II. 70, 78). Sein guter Humor verließ ihn selbst in den durch Alter, Krankheit und Vereinsamung verdüsterten Jahren nie ganz, sondern sprühte noch aus den bittersten Klagebriefen in einzelnen Funken hervor.

Nach E. Campe’s Leben von J. D. Gries, Leipzig, Brockhaus 1855 und eigenen Erinnerungen.