ADB:Schlegel, August Wilhelm von

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Artikel „Schlegel, August Wilhelm“ von Franz Muncker in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 31 (1890), S. 354–368, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Schlegel,_August_Wilhelm_von&oldid=- (Version vom 2. November 2024, 14:20 Uhr UTC)
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Schlegel: August Wilhelm S. wurde am 8. September 1767 als vierter Sohn Johann Adolf Schlegel’s in Hannover geboren. Sein Talent für Sprache und Verskunst, vom Vater und Oheim (Johann Elias S.) ererbt, kündigte sich schon an, während er das Gymnasium seiner Vaterstadt besuchte. Er bekannte nachmals selbst, er sei ein leidenschaftlicher Versemacher von Kindesbeinen an gewesen. Unter anderm trug er 1785 bei einem Schulactus die Geschichte der deutschen Dichtung in Hexametern vor, seine Neigung zu Philologie und Litteraturgeschichte dadurch schon jetzt bekundend. 1786 bezog er die Universität Göttingen, wo er das Studium der Theologie sehr bald mit dem der Philologie vertauschte. Schon im Juni des nächsten Jahres verdiente er sich mit einer lateinischen Abhandlung über die Homerische Geographie (1788 gedruckt) einen akademischen Preis. Seine hauptsächlichen Lehrer waren Heyne und Bürger. Für den ersteren verfertigte er 1788 das Register zum vierten Bande seines „Virgils“; mit dem letzteren wetteiferte er bald in poetischen Versuchen. In dem von Bürger redigirten Göttinger Musenalmanach und in Bürger’s Zeitschrift „Akademie der schönen Redekünste“ erschienen Schlegel’s erste Gedichte gedruckt, in der Form ungemein glatt und gewandt; ihre äußere Technik war im allgemeinen die Bürger’s, der denn auch seinen „poetischen Sohn“ und „Lieblingsjünger“ in prophetischen Versen volltönend pries. Seit 1789 verfaßte S. mehrere Recensionen von Werken der neuesten schönen Litteratur für die Göttinger gelehrten Anzeigen; auch sie bekundeten meistens einen reinen künstlerischen Geschmack, einen achtungswerthen kritischen Verstand, besondere Strenge und Feinheit in allem, was die äußere Form betraf, aber weder geniale Kühnheit noch ungewöhnliche Tiefe und Größe der Auffassung: der junge Kritiker war vielfach noch von den älteren Theorien und Musterbüchern einer correcten Poesie abhängig. Bedeutender erwiesen sich gleich seine frühesten ästhetischen und litterargeschichtlichen Charakteristiken, so die kritisch-philologische Abhandlung über Schiller’s „Künstler“ von 1791 und namentlich der Aufsatz „Ueber des Dante Alighieri Göttliche Komödie“ (1791) mit einer vortrefflichen Schilderung des Menschen und Dichters Dante, die, überall Herder’schen Anregungen folgend, in das künstlerische Wesen des großen Italieners, in seine Zeit und Welt sich liebevoll versenkte, und mit einer möglichst getreuen Uebersetzung ausgewählter Abschnitte aus der „Divina Commedia“ im Versmaß des Originals, doch mit freier behandelten Reimen. In den folgenden Jahren setzte S. diese Uebertragungsversuche fleißig fort, und bis 1797 erschienen in mehreren Zeitschriften, besonders auch in Schiller’s „Horen“, zahlreiche Proben aus Dante’s „Hölle“, „Büßungswelt“ und „Himmelreich“ verdeutscht. Neben und schon vor Dante lockte namentlich Shakespeare den jungen Dichter zur Uebersetzung. Gemeinsam mit Bürger begann er 1789 den „Sommernachtstraum“ zu übertragen, ließ die Arbeit aber vorerst ungedruckt, obgleich sie die ähnlichen Versuche Wieland’s und Eschenburg’s schon jetzt mannigfach übertraf. Aber die Thätigkeit an Shakespeare’s Dramen begleitete ihn, als er 1791 nach abgeschlossenen Universitätsstudien, vermuthlich durch Eschenburg’s Vermittlung, eine sorgenfreie Hofmeisterstellung in dem reichen Muilman’schen Handelshause zu Amsterdam fand. Er wandte sich zur Uebersetzung „Romeo’s“ und „Hamlet’s“. Daneben dachte er an ein Trauerspiel „Ugolino“, ein Trauerspiel [355] „Kleopatra“, eine Geschichte der griechischen Dichtkunst und andere Pläne, die vorläufig noch keine feste Gestalt gewinnen konnten. Dabei wurde Bürger’s Einfluß immer mehr und mehr durch den Schiller’s und Goethe’s verdrängt, zumal seitdem S. 1794 als Mitarbeiter an den „Horen“ in brieflichen Verkehr mit Schiller gekommen war. Hatte er schon früher den Dichter der „Götter Griechenlands“ mehrfach im einzelnen nachgeahmt, so suchte er jetzt in Balladen und Romanzen, in episch-mythischen, allegorischen und sonstigen Gedichten Schiller’s Stil und Geist im ganzen sich anzueignen. In Schlegel’s hellenisirenden Gedichten konnte Schiller sich selbst, seine Gedanken und Gesinnungen, seine Sprache und seinen Ton wiederfinden; in der nach dem Spanischen frei bearbeiteten mohrischen Erzählung „Morayzela, Sultanin von Granada“ (1796 in G. W. Becker’s „Erholungen“ gedruckt) durfte er die Schreibart seiner historischen Prosaaufsätze sorgfältig nachgebildet sehen. Noch deutlicher ließ sich Schiller’s Einfluß in Schlegel’s ästhetisch-theoretischen Arbeiten wahrnehmen. Obwohl S. sich selbst weniger geschickt zur philosophischen Speculation als zur Beobachtung glaubte, strebte er doch, gleich Schiller, in den „Briefen über Poesie, Silbenmaß und Sprache“ (1795 und 1796 in den „Horen“ gedruckt) das Wesen des Rhythmischen philosophisch zu erklären, ohne aber über die Anfänge dieser Untersuchung, die Ableitung des Metrischen aus der Natur des Menschen überhaupt, hinauszukommen. Anspruchsloser und fruchtbarer an anregenden Winken waren die (damals nicht veröffentlichten) Betrachtungen über Metrik, welche S. kurz vor jenen „Briefen“ für seinen Bruder Friedrich niederschrieb, durchweg hier auf die eigene Erfahrung gestützt und besonnen gegen Klopstock’s metrische Schrullen polemisirend. Wie zu Schiller, so sah S. jetzt aber auch bewundernd zu Goethe auf; dessen jüngste Werke, die aus der Anschauung des griechischen Schönheitsideales geborenen Dichtungen und der Roman „Wilhelm Meisters Lehrjahre“, wurden ihm nunmehr Studium und Vorbild. Dadurch geläutert, nahm er 1795 die Uebersetzung Shakespeare’s auf’s neue vor und schmolz die früheren Versuche, die allzu sehr an Bürger’s Schule mahnten, vollständig um zu Schöpfungen, die, selbst Kunstwerke von reinster Formenschönheit, mit dem bedeutenden Inhalt auch die eigenthümliche künstlerische Form der englischen Originale getreu wiedergaben und überall den dichterischen Geist und das dichterische Wort Shakespeare’s erfolgreich wahrten. Der an Goethe’s Zergliederung des „Hamlet“ anknüpfende Aufsatz „Etwas über William Shakespeare bei Gelegenheit Wilhelm Meisters“ (in den „Horen“ 1796) kündigte die Grundsätze dieser neuen Uebersetzungskunst an, als deren erste Proben gleichzeitig im März 1796 Scenen aus dem zweiten Aufzuge des „Romeo“ in Schiller’s „Horen“ erschienen. Daran schloß sich im folgenden Jahrgang derselben Zeitschrift der Aufsatz über „Romeo und Julia“, die erste von unbedingter Bewunderung erfüllte Analyse eines Shakespeare’schen Stückes, die wirklich objectiv in den Geist und die ganze Schaffensart des fremden Künstlers eindrang. Zugleich legte S. nun aber auch den „Romeo“ vollständig verdeutscht vor und eröffnete mit ihm die Uebersetzung Shakespeare’scher Dramen, die 1797–1801 in 8 Bänden zu Berlin bei Joh. Friedr. Unger herauskam; 1810 folgte nach langjähriger Unterbrechung noch ein weiterer Halbband. Siebzehn Dramen Shakespeare’s hatte S. hier übertragen: „Romeo“, den „Sommernachtstraum“, „Julius Cäsar“, „Was ihr wollt“, den „Sturm“, „Hamlet“, den „Kaufmann von Venedig“, „Wie es euch gefällt“ und sämmtliche Königsdramen von „König Johann“ bis „Richard III.“

Als er 1795 mit neuem Eifer zu dieser Uebersetzung zurückkehrte, änderte sich auch in seinen äußern Lebensverhältnissen manches bedeutsam. Im Sommer 1795 gab er seine Amsterdamer Stellung auf und ging zunächst zu seiner Mutter nach Hannover, dann nach Braunschweig. Hier traf er wieder mit Caroline geb. [356] Michaelis, verwittweten Böhmer (1763–1809) zusammen, der er schon einst in Göttingen seine Huldigungen dargebracht und seitdem stets, auch in schweren Schicksalen und bedenklichen, nicht ganz unverschuldeten Lebenslagen, eine treue, opferwillige Freundschaft bewahrt hatte. Mit ihr verlobte er sich, sobald er die Einwände seiner Mutter und seiner Geschwister gegen eine solche Verbindung widerlegt hatte. Auf Schiller’s Einladung kam er im Mai 1796 über Dresden, wo er seine Schwester und seinen jüngsten Bruder besuchte, nach Jena, und als er hier die Verhältnisse für seine dauernde Niederlassung daselbst günstig fand, feierte er am 1. Juli 1796 seine Hochzeit mit Caroline und begründete mit ihr sein neues Heim in Jena. Von ihr wesentlich unterstützt, suchte er zumeist durch kritische Arbeiten sich sein Brod zu verdienen. Etwa dreihundert, mitunter höchst umfangreiche Recensionen schönwissenschaftlicher Schriften verfaßte er in den nächsten drei bis vier Jahren, großentheils für die Jenaer „Allgemeine Litteraturzeitung“, darunter namentlich die große, tief eindringende Besprechung des Vossischen Homer (1796), die der Schiller’schen „Horen“ (1796), der Werke von Chamfort (1796), der Vossischen Musenalmanache für 1796 und 1797 (1797), der Herder’schen „Terpsichore“ (1797), des Goethe’schen Gedichts „Hermann und Dorothea“ (1797), der Tieck’schen Uebersetzung des „Don Quixote“ (1799) u. a. Ausgezeichnet durch eine reiche Kenntniß der einheimischen und fremden Litteratur, durch sorgfältige Beobachtung und scharfes Urtheil im einzelnen, stets vortrefflich in der Form und im sprachlichen Ausdruck, suchte S. als Schüler sowohl Schiller’s als Herder’s in diesen Recensionen philosophische und historische Kritik zu vereinigen und lieber die ihm vorliegenden Werke verständnißvoll zu zergliedern als kunstrichterlich über sie abzusprechen; vom ästhetischen Standpunkte des classischen Idealismus aus, den Goethe und Schiller vertraten, verlangte er harmonische Durchbildung von Form und Inhalt und kämpfte gegen den Modegeschmack, der sich an Iffland, Kotzebue und Lafontaine, an Räuberromanen und Ritterstücken und dergl. ergötzte. Aus seiner eigenen künstlerischen Praxis schöpfte er die Regeln, die er für die Uebersetzung dichterischer Meisterwerke ins Deutsche aussprach, hierin in der That maßgebend für immer.

Während der ersten Zeit seines Aufenthaltes in Jena verschönte ihm Goethe’s und Schiller’s theilnahmsvolle Freundschaft manche Stunde; aber schon im Frühling 1797 wurde das letztere Verhältniß durch die kritische Frechheit Friedrich Schlegel’s empfindlich gelockert, während Goethe dem jüngeren Schriftsteller stets das alte Wohlwollen ungetrübt erhielt. 1798 wurde S. auf Grund seiner Uebersetzung Shakespeare’s zum außerordentlichen Professor in Jena ernannt; erstaunlich fleißig und vielseitig las er über Aesthetik, griechische, römische und deutsche Litteraturgeschichte, Methode des Alterthumsstudiums, hielt deutsche Stilübungen und interpretirte Horaz: alles jedoch ohne besonderen äußeren Erfolg. Im nämlichen Jahre 1798 lernte er während eines zweimonatlichen Aufenthaltes im Mai und Juni zu Berlin Ludwig Tieck persönlich kennen, und hier schlossen die beiden und Friedrich Schlegel den Freundschaftsbund, dem alsbald Schleiermacher, Bernhardi, Novalis und später Schelling und andere beitraten und der zur Gründung einer neuen litterarischen, der sogenannten älteren romantischen Schule führte. Das journalistische Organ derselben wurde zunächst das „Athenäum“, von August Wilhelm und Friedrich Schlegel gemeinsam herausgegeben, dessen erstes Stück bald nach Ostern 1798 in Berlin erschien (im ganzen 3 Bände zu je 2 Stücken, 1798–1800). Der ältere Bruder veröffentlichte hier 1798 sein „Gespräch über Klopstock’s grammatische Gespräche“, später „Der Wettstreit der Sprachen“ betitelt, in der Form eine harmlose Parodie jener Klopstock’schen „Gespräche“, gegen die S. den früher in den „Bemerkungen über Metrik“ begonnenen Kampf hier auf einer höheren Stufe fortsetzte, ferner Uebertragungen aus griechischen und lateinischen [357] Lyrikern, mehrere Kritiken über Zeitschriften, Moderomane, Tieck’s Volksmärchen, Uebersetzungen und anderes, eine Anzahl von „Fragmenten“ über Litteratur und Kunst, 1799 das in Gemeinschaft mit Caroline unter dem Eindruck der Wackenroder’schen „Herzensergießungen eines Klosterbruders“ verfaßte Gespräch „Die Gemälde“, das, von Bildern der Dresdener Gallerie ausgehend, die christliche Malerei in Prosa und in mehreren eingeschobenen Sonetten äußerlich verherrlichte, die wichtigste Frucht eines mehrwöchentlichen Aufenthaltes in Dresden im Sommer 1798, ferner den Aufsatz „Ueber Zeichnungen zu Gedichten und John Flaxman’s Umrisse“ und die bissigen Notizen des „Litterarischen Reichsanzeigers“, 1800 namentlich die boshaft verurtheilende Besprechung Matthisson’s, Vossens und F. W. A. Schmidt’s v. Werneuchen, die mit dem parodischen Wettgesang der drei verspotteten Poeten endigte.

Daneben war S. aber auch als Originaldichter fleißig thätig. Eine Sammlung seiner Gedichte erschien 1800 bei Cotta und bewies die höchste Gewandtheit und Correctheit des Verfassers in der Form: die schwierigsten Vers- und Reimkunststücke schienen ihm spielend zu gelingen, der mannigfachsten antiken und modernen Versformen zeigte er sich Herr, namentlich hatte er durch eine Reihe Beispiele, die von da an allen gleichzeitigen und folgenden Dichtern als Muster galten, das deutsche Sonett auf seine reinste Form zurückgeführt. Aber die Rücksicht auf die künstliche Form herrschte so vor, daß darunter die ohnedies nicht sehr große Wärme des Empfindens litt: selbst wo Schlegel’s Gefühl wirklich echt und tief war, so beim Tode seiner Stieftochter Auguste Böhmer (12. August 1800), vermochte er es poetisch nicht einfach und überzeugend wahr und warm auszusprechen. Weitaus die Mehrzahl seiner Gedichte sind kühl, glatt und marmorkalt, künstlich gemacht, durchaus ein Werk der Reflexion. Viel frischer und unmittelbarer erwies sich sein Talent in der Satire. Scharfsinnig und witzig, aber ohne persönlich verletzende Bitterkeit verspottete S. die nüchtern moralisirende, nur dem prosaischen Nützlichkeitsprincip huldigende Aufklärung in dem „schönen, kurzweiligen Fastnachtsspiel vom alten und neuen Jahrhundert, tragirt am ersten Januarii im Jahr 1801“, halb im Stil der Goethe’schen Fastnachtsspiele, halb in dem der Tieck’schen Märchenkomödien verfaßt, im Musenalmanach für 1802 gedruckt. Zur gleichen Zeit schrieb er aber (im Herbst 1800) die ausgesucht höhnische, vernichtend grobe Satire „Ehrenpforte und Triumphbogen für den Theaterpräsidenten v. Kotzebue bei seiner gehofften Rückkehr ins Vaterland; mit Musik; gedruckt zu Anfange des neuen Jahrhunderts“. Mit burlesker Virtuosität geißelte S. hier, indem er bald die ausgelassensten Derbheiten des Aristophanes, bald die phantastische Laune Tieck’s sich anzueignen suchte, Kotzebue, der soeben in seinem „Hyperboräischen Esel“ (1799) die Romantiker plump verspottet hatte. In stets neuen Weisen und überkünstlichen Formen sang er immer dasselbe, das ironische Lob Kotzebue’s und seiner Werke. Den Mittel- und Höhepunkt der Satire bildete das empfindsam-romantische Schauspiel in zwei Aufzügen „Kotzebue’s Rettung oder der tugendhafte Verbannte“, voll boshaft-witziger Anspielungen auf die meisten Werke des Angegriffenen und auf seine neuesten Schicksale in Rußland und Sibirien. Einen höheren Flug versuchte S. 1801 mit seinem Schauspiel „Jon“, das am 2. Januar 1802, von Goethe vortrefflich einstudirt, in Jena, einige Monate darauf auch in Berlin von Iffland und in Frankfurt a. M. gegeben wurde und 1803 zu Hamburg im Druck erschien. S. dachte hier die Euripideische Tragödie gleichen Namens in ähnlicher Weise modern neuzugestalten, wie Goethe dies in seiner „Iphigenie“ gethan hatte. Die Charaktere und die sittlichen Tendenzen des griechischen Dramas wurden veredelt, die Wahrheit ähnlich wie in der „Iphigenie“ als sittlich klärende und befreiende Macht verherrlicht, die Handlung des Stücks mehr in das Innere der Hauptpersonen [358] verlegt, im allgemeinen sorgfältiger motivirt und hie und da bühnenwirksamer umgebildet. Trotz der Vereinfachung der Personen, der Beseitigung des antiken Prologs und des Chores gelang das letztere jedoch nicht immer, und gerade die Abschnitte des Schauspiels, in denen S. sich am weitesten von seiner sonst bis ins Einzelne genau benutzten Vorlage entfernte, konnten dramatisch und dichterisch am wenigsten befriedigen. Sprachlich und metrisch, überhaupt formal war das ganze Werk wieder tadellos, an poetischer Schönheit überhaupt und besonders in der Rolle der Kreusa, der nunmehrigen Hauptrolle, reich; aber schon die Wahl des Stoffes, der durchaus das nationale, ja locale Interesse der athenischen Zuschauer und die griechisch-heidnische Götteranschauung voraussetzte, war verfehlt. Das Schauspiel erfuhr daher von Herder, Böttiger, Kotzebue, Merkel heftigen Widerspruch, in den vorsichtiger auch Wieland einstimmte; aber die Romantiker wetteiferten in der Anpreisung des neuen „Jon“, Goethe schlug den schlimmsten der drohenden Angriffe mit rascher Gewalt nieder und verfaßte zum Schutz des Schlegel’schen Werkes am 15. Februar 1802 den Aufsatz „Weimarisches Theater“, und selbst der strenge und für S. keineswegs voreingenommene Schiller urtheilte nicht ungünstig über das Schauspiel. Dem „Jon“ sollten nach der anfänglichen Absicht des Verfassers noch mehr ähnliche Dramen folgen, ein „Philoponos“, ein Stück „Die Amazonen“; aber S. ließ sich von diesem Gedanken leicht durch seinen Bruder abbringen. Er schrieb an einem Rittergedicht „Tristan“ in Stanzen nach Ariost’s Muster, indem er die mittelhochdeutschen Werke Gottfried’s von Straßburg und Heinrich’s von Freiberg zu Grunde legte, aber auch verschiedene Abenteuer der Lancelotsage in seine Bearbeitung des Tristanstoffes verwob. Doch gedieh der Versuch nicht über den ersten Gesang hinaus (1811 veröffentlicht). Mit Tieck zusammen gab er, doch so, daß ihm weitaus der größte Theil der Arbeit zufiel, einen „Musenalmanach für 1802“ heraus, der nach langen Mühen und Vorbereitungen endlich im November 1801 erschien, großentheils von S. und seinem Bruder verfaßt, inhaltlich wenig bedeutend. Aber wenigstens zeigte er litterarisch die verschiedenen Romantiker noch innig mit einander verbunden, während sich ihr menschlich-persönliches Verhältniß schon bedenklich zu lockern begann. S. selbst fühlte sich seiner Gattin Caroline immer fremder, während Schelling das Band innigster Freundschaft mit ihr fester und fester knüpfte. Im Frühling 1802 beschlossen die beiden Gatten, ihre Ehe zu lösen; doch erst, nachdem mehrfache äußere Hindernisse überwunden waren, wurden sie am 17. Mai 1803 gerichtlich geschieden.

Seit dem Sommer 1800 hatte S. seine Jenaer Vorlesungen aufgegeben. Den folgenden Winter hatte er in Braunschweig, vom Februar 1801 an in Berlin zugebracht. Nur noch einmal, im Herbst 1801, kam er von hier aus auf mehrere Wochen nach Jena, um für immer von dort Abschied zu nehmen. Von den Banden, die ihn früher an diesen Ort knüpften, waren die meisten gelöst. Auch seine Beziehungen zur Jenaer „Allgemeinen Litteraturzeitung“ hatte er schon im October 1799 auf die schroffste Weise abgebrochen und dadurch einen heftigen Kampf hervorgerufen, der bald in pöbelhafte persönliche Skandalsucht ausartete. Der Plan, durch die Begründung kritischer Jahrbücher sich an Stelle des eingehenden „Athenäum“ 1800 ein neues, großartig angelegtes Organ zu verschaffen, scheiterte noch im letzten Augenblicke, und S. mußte sich bequemen, einzelnes, was er für diese Zeitschrift bereits ausgearbeitet hatte, so einen Aufsatz über Bürger’s Werke, in der Sammlung älterer kritischer und litterargeschichtlicher Essays abdrucken zu lassen, die er 1801 mit seinem Bruder unter dem Titel „Charakteristiken und Kritiken“ in zwei Bänden veröffentlichte. Der Drang, unmittelbar durch seine Kritik auf die Zeitgenossen einzuwirken, ließ ihn aber damit sich nicht begnügen. So entschloß er sich zu regelmäßigen Vorlesungen [359] im Mittelpunkte der litterarischen Feinde, der Aufklärer, in Berlin. Vom December 1801 an veranstaltete er hier in drei Wintersemestern hintereinander öffentliche Vorlesungen, zuerst über die Kunstlehre, dann über die Geschichte der classischen und der romantischen Litteratur. Im Sommer 1803 hielt er ferner Privatvorlesungen über die Encyclopädie aller Wissenschaften. Von Anregungen ausgehend, die er zum großen Theile von seinem Bruder Friedrich und von Schelling empfangen hatte, versuchte S. in diesen vier Vorlesungscyklen zum ersten Male mit größtem formalen Geschick, einen systematischen Inbegriff aller romantischen Bestrebungen zu geben. Nur das religiös-mystische Element, das Schleiermacher in die litterarische Bewegung eingeführt hatte, kam dabei nicht zu seinem Rechte. Dagegen ließ S. der Polemik einen weiten Spielraum, und hier machte er sich am ersten noch mannigfacher kritischer Einseitigkeiten schuldig, wenn er Männer wie Aristoteles, Kant, Lessing, Wieland, Schiller, aber auch Luther’s Bibelübersetzung, das protestantische Kirchenlied, die Sinngedichte Logau’s u. a. lange nicht nach Gebühr schätzte oder gar unverdient befehdete. Aber reichlich wurden diese Irrthümer aufgewogen durch die zahlreichen positiven Vorzüge der Vorlesungen. Im Sinne Herder’s und Winckelmann’s forderte und versuchte S. hier eine Verbindung von philosophischer Theorie und von Geschichte der Kunst; das vermittelnde Bindeglied zwischen beidem sah er in der Kritik. In seiner Auffassung des Verhältnisses zwischen Natur und Kunst, in seiner Gliederung der einzelnen Künste, in seiner Erklärung der Sprache, der Mythologie, in seinen Bemerkungen über das Silbenmaß, in seinen Betrachtungen über den Geist der modernen Zeit und über die neueste Litteratur, über den prahlerischen Teutonismus und über die kosmopolitische Aufgabe der Deutschen und sonst allerorten gab er geistreiche und zum Theil weit hinaus wirkende Anregungen. Seine Aeußerungen über das Nibelungenlied, dessen Entstehung S. damals noch ganz so wie Friedr. Aug. Wolf die Entstehung der „Ilias“ erklärte, verfehlten nicht ihren Eindruck auf seinen Zuhörer Friedrich Heinrich von der Hagen. S. schon forderte eine Sammlung altdeutscher Volkslieder, wie sie nach Jahrzehnten uns Uhland lieferte. Seine Skizze der provençalischen und der älteren italienischen Poesie war auch, wo er verhältnißmäßig nur wenig Material zu Gebote hatte, vortrefflich; nicht minder sein Ueberblick über die deutsche Litteratur, die er schon in eine mönchische, ritterliche, bürgerliche und gelehrte Periode gliederte. Als den eigentlichen Gewinn der romantischen Schule bezeichnete er Philosophie und Geschichte; auf beide wollte er die künftige Poesie begründet und überhaupt durch die Wissenschaft und durch Aneignung der Schätze aller anderen, auch der morgenländischen Litteraturen bereichert und neu belebt wissen. Nur kleine Bruchstücke dieser Vorlesungen ließ S. zunächst drucken; die Vorträge über das antike Drama nahm er später (1808) mit einigen Veränderungen vollständig in seine Wiener Vorlesungen herüber.

Um seine Zuhörer mit den Litteraturwerken, über die er sprach, durch Proben aus denselben bekannter zu machen, verband S. mit seinen Vorlesungen eine ausgedehnte Uebersetzungsthätigkeit. Das dichterische Uebertragen, an das er jetzt die höchsten Ansprüche machte, wurde ihm mehr und mehr zur Leidenschaft. Er verdeutschte verschiedene Abschnitte aus den attischen Tragikern; auch plante er eine gesammte Uebersetzung derselben, führte seine Absicht aber nicht aus, da er hier der Strenge seiner Forderungen selbst nicht völlig genügen konnte. Dagegen veröffentlichte er 1804 „Blumensträuße italienischer, spanischer und portugiesischer Poesie“ mit mustergültigen Uebertragungen aus Dante, Petrarca, an dem er sich seit seinen Universitätsjahren wiederholt versucht hatte, Boccaccio, Tasso, Guarini, Montemayor, Cervantes und Camoens; auch Gries steuerte einiges, besonders aus Ariost, dazu bei. Durch Tieck, den er bei seiner Uebersetzung des „Don Quixote“ gelegentlich unterstützte, war S. auf Calderon hingeleitet worden. [360] Die beiden Freunde planten die gemeinsame Herausgabe eines „Spanischen Theaters“, für welches sie Dramen von Cervantes, Lope, Calderon, Moreto und anderen verdeutschen wollten. 1803 ließ S. einen ersten Band desselben erscheinen, dem erst 1809 ein zweiter folgte, beide von ihm allein ausgearbeitet. Den Inhalt bildeten fünf Stücke Calderon’s, die auf die gleichzeitige und folgende Generation in der deutschen Litteratur den bedeutsamsten Einfluß ausübten: „Schärpe und Blume“, „Die Andacht zum Kreuze“, „Ueber allen Zauber Liebe“, „Der standhafte Prinz“, „Die Brücke von Mantible“. Gleichzeitig veröffentlichte S. in der „Europa“ seines Bruders zur Ankündigung dieser Uebersetzung den Aufsatz „Ueber das spanische Theater“, eine überschwängliche Lobrede auf Calderon, aus dessen fruchtbarer Feder auch nicht eine verwahrloste Zeile geflossen sei und dessen Werke den reinsten und potenzirtesten Stil des Romantisch-Theatralischen aufwiesen. Sonst brachte die „Europa“ außer Gedichten und dichterischen Uebersetzungen von S. namentlich einzelne Ausschnitte aus seinen Berliner Vorlesungen.

Neben Fichte, dessen vernichtende Schrift gegen Nicolai er 1801 mit einer maliciösen Vorrede herausgegeben hatte, war S. bald der Mittelpunkt des geistigen Lebens in Berlin geworden, und doch zog es ihn seit Jahren schon fort von hier: sein Sehnen ging auf eine große Reise in’s Ausland, besonders nach Italien. Nun lernte er 1803 durch Goethe’s Vermittlung Frau v. Staël kennen, die, durch Napoleon’s Polizei aus Paris ausgewiesen, sich zunächst nach Deutschland begeben hatte. Sie warb ihn als Hauslehrer ihrer Kinder mit einem Jahresgehalte von 12 000 Francs an und verschaffte ihm so auf viele Jahre hinaus eine sorgenfreie, ja bei dem eigenthümlichen Charakter ihres gegenseitigen Verhältnisses glänzende Stellung. Als ihr Freund und Cavalier begleitete er seine „Protectrice“ zunächst im April 1804 auf ihr Schloß Coppet am Genfersee und von hier aus auf zahlreichen Reisen, die ihn mit den verschiedensten Ländern Europa’s und mit vielen politisch oder litterarisch bedeutenden Personen daselbst unmittelbar bekannt machten. So kam er gegen Ende des Jahres 1804 nach Italien. In Rom widmete er der Freundin, der „Mittheilerin großer Gedanken“, der er sich überhaupt von nun an auch als Schriftsteller gefällig erwies, die schöne, erst nach der Rückkehr aus Italien vollendete, dann aber sogleich einzeln zu Berlin 1805 gedruckte, später von Sainte-Beuve in’s Französische übersetzte Elegie „Rom“, eine wirklich poetische Darstellung der Hauptmomente der Geschichte und Culturgeschichte des alten Roms bis zu seinem Untergang durch die Germanen, mit vielen Anklängen an antik-römische Dichter. Von Rom aus sandte er ferner 1805 ein „Schreiben an Goethe über einige Arbeiten in Rom lebender Künstler“, das sogleich in der neuen Jenaer allgemeinen Litteraturzeitung abgedruckt wurde; dieser Aufsatz, der wieder von Schlegel’s feinem Geschmack und nicht geringen Kenntnissen in den bildenden Künsten zeugte, sollte als eine Art von Zusatz zu der Uebersicht über die Kunstgeschichte der letzten Epoche, die Goethe soeben den Briefen Winckelmann’s beigegeben hatte, über die Persönlichkeiten und Werke neuerer Bildhauer und Maler in Rom berichten und verweilte am ausführlichsten bei Canova, dann bei Thorwaldsen, Angelica Kaufmann, Schick, Reinhard, Koch und den anderen Künstlern, mit denen S. in Rom freundschaftlich verkehrte. Ende Juni 1805 war er mit Frau v. Staël wieder nach Coppet zurückgekehrt. Mit ihr verbrachte er den folgenden Winter großentheils in Genf und reiste im Frühling 1806 nach Frankreich, zuerst nach Auxerre, dann nach Rouen, 1807 nach Schloß Acosta in Auberge-en-ville (Seine-et-Oise), im Mai 1807 zurück nach Coppet. Der beständige Verkehr mit der geistreichen, im Mittelpunkt des französischen Geisteslebens stehenden Dame und vollends der Aufenthalt mit ihr in Frankreich weckten in S. die Begierde, selbst [361] als französischer Schriftsteller sich zu versuchen. So schrieb er 1805 die „Considérations sur la civilisation en général et sur l’origine et la décadence des réligions“, durchweg gegen die rationalistische und materialistische Philosophie ankämpfend, gelegentlich an Gedanken aus den Berliner Vorlesungen anknüpfend, aber nur die erste Hälfte des Themas einigermaßen erschöpfend, und ließ namentlich 1807 zu Paris die „Comparaison entre la Phèdre de Racine et celle d’Euripide“ erscheinen (von H. J. v. Collin in’s Deutsche übersetzt). Nachdem 1730 und 1776 schon der Jesuitenpater Brumoy und Batteux eine Vergleichung zwischen der „Phädra“ Racine’s und der des Euripides angestellt hatten, wiederholte S. diese Arbeit in einer weitaus gründlicheren und ausführlicheren Weise. Aber im schroffen Gegensatze zu der in Frankreich allgemein geläufigen Anschauung, wie sie besonders Laharpe ausgesprochen hatte, daß Racine die größten Fehler des Griechen durch die größten Schönheiten ersetzt habe, deckte S., der sich trotz seiner Meisterschaft im französischen Stil äußerst vorsichtig als Fremder mit augenscheinlichster Bescheidenheit seiner Aufgabe näherte, bald rücksichtslos und stellenweise selbst ungerecht gegen wahre Vorzüge Racine’s den gewaltigen Abstand auf zwischen dem antiken Tragiker, der überall einfach-groß sei, der wahren Natur stets folge, mit weiser Kunst auf überflüssige Zuthaten verzichte und so die höchste tragische Wirkung erziele, und zwischen Racine, dessen Muse S. übertreibend die Galanterie nannte, den er einer mehrfachen Entstellung der antiken Charaktere und einer das tragische Interesse abschwächenden Umbildung und Erweiterung der ursprünglichen Fabel beschuldigte. Aber auch hier blieb S. nicht bei der Betrachtung dieses einzelnen Stoffes stehen, sondern verallgemeinerte gelegentlich seine Untersuchung, indem er den Unterschied zwischen der antiken und modernen Auffassung der Liebe, zwischen der griechisch-heidnischen und der modern-christlichen Weltanschauung überhaupt, die in der Tragödie zum Ausdruck kommt, erörterte und lehrreiche Ausblicke in die gesammte antike und neufranzösische, aber auch in die englische, italienische und spanische Dramatik that. Die französische Kritik nahm sich des zu heftig angegriffenen Nationaldichters gegen S. alsbald in der leidenschaftlichsten Weise an.

In ähnlicher, oft einseitig übertreibender Weise kämpfte S. gegen den französischen Geist und französische Kunst in dem Werke der folgenden Jahre, das sein populärstes und einflußreichstes geworden ist. Im December 1807 hatte er als Begleiter der Frau v. Staël Coppet verlassen und über München, wo er Schelling und Caroline wiedersah, sich nach Wien begeben. Hier hielt er im Frühling 1808 vor einem stattlichen Kreise von Zuhörern, die meistens zur höchsten Adelsgesellschaft zählten, seine alsbald (zu Heidelberg 1809–1811, dann wieder 1817 in drei Theilen) gedruckten, rasch ins Französische, Holländische, Englische und Italienische übersetzten Vorlesungen über dramatische Kunst und Litteratur. Vielfach ging er dabei von denselben Grundsätzen wie bei seinen Berliner Vorlesungen aus und legte das Berliner Concept zu Grunde, ersetzte jedoch bei der genaueren, detaillirenden Ueberarbeitung desselben das frühere Streben nach strenger philosophischer Begründung durch eine entschiedene Rücksicht auf populäre Verständlichkeit. Ohne irgendwie eine bibliographisch oder antiquarisch erschöpfende Geschichte der dramatischen Litteratur geben zu wollen, begnügte er sich mit einem allgemeinen Ueberblick über das Drama der Griechen und Römer, der Italiener, Franzosen, Engländer, Spanier und Deutschen. Der Mangel an gleichmäßiger Einzelforschung in allen Theilen dieses immerhin sehr ausgedehnten Gebietes verschuldete überdies noch mannigfache Lücken; so wußte S. z. B. von den kirchlichen Anfängen des neueren Dramas im Mittelalter so viel wie nichts zu sagen. In der Absicht, Lessing’s Kampf gegen die Herrschaft des Franzosenthums im modernen Geistesleben fortzusetzen, schoß er öfters über [362] das Ziel hinaus: mit der französischen Tragödie verurtheilte er auch die meisten französischen Comödien, Molière’s Werke nicht ausgenommen; nur etwa Racine’s „Plaideurs“ und die Stücke Legrand’s ließ er gelten. Aber glänzend waren seine Untersuchungen über das Aeußere des antiken Theaters, seine geistvolle Erklärung des Chores im griechischen Drama, seine vergleichende Charakteristik der drei attischen Tragiker und die Gegenüberstellung ihrer drei Bearbeitungen der Elektrafabel, seine rechtfertigende Erörterung des Wesens der Aristophanischen Comödie, seine sorgfältige und begeisterte Darstellung Shakespeare’s und Calderon’s. Namentlich die Abschnitte über Shakespeare und die Geschichte des englischen Dramas arbeitete S. mit liebevollem Fleiße und niemals ermattendem Enthusiasmus für die gedruckte Ausgabe der Wiener Vorlesungen vollständig neu und umfänglicher aus. Wie er in diesen Vorlesungen die dramatischen Verirrungen einzelner Romantiker bedauerte, so sprach er sich jetzt auch in Recensionen und Privatbriefen gelegentlich gegen die eigensinnigen Spiele der Phantasie und gegen die gesuchte Künstlichkeit der Form bei den Romantikern aus und verlangte dafür (im Einklang mit seinem Bruder) nationalen Gehalt und Ernst in der Poesie.

Mit Frau v. Staël ging S. im Mai 1808 nach Dresden und Weimar, machte jedoch, während die Freundin hier fast drei Wochen verweilte, einen Abstecher nach Hannover, Göttingen und Cassel, um seine Verwandten, Lehrer und Freunde daselbst zu besuchen. Dann folgte er seiner Gönnerin wieder nach Coppet. Theils hier, theils in Genf verbrachte er die nächsten anderthalb Jahre, während allerlei Gäste, unter anderen Zacharias Werner und der Däne Oehlenschläger, bei Frau v. Staël einkehrten. Auch unternahm er einzelne Ausflüge in die Schweiz, die er hierauf nach Aufzeichnungen in seinem Tagebuch fragmentarisch darstellte. Goethe’s Natur- und Volksschilderungen schwebten ihm dabei als nachahmenswürdiges Muster vor. Mit besonderer Vorliebe beschäftigte er sich aber in diesen (seit 1808 in Zeitschriften und Almanachen herausgegebenen) Aufsätzen mit der Mundart und den alten, halb geschichtlichen, halb sagenhaften Ueberlieferungen des schweizer Volkes. Im März 1810 begleitete er Frau v. Staël, die wegen des Druckes ihres Buches über Deutschland mit einem Pariser Verleger zu verhandeln hatte, nach dem Schlosse Chaumont-sur-Loire bei Paris, von da nach dem nahen Schlosse Fossé. In ihrem Auftrage begab er sich, als ihr Ende September der Aufenthalt in Frankreich gänzlich verwehrt und ihr Buch polizeilich unterdrückt wurde, nach Paris, um für sie zu retten, was etwa noch zu retten war; dann folgte er ihr in die Verbannung nach Coppet. Hier verfaßte er für die „Heidelberger Jahrbücher“ eine umfangreiche Anzeige der von den Weimarer Kunstfreunden besorgten Ausgabe der Werke Winckelmann’s mit mannigfachen Angriffen auf Winckelmann’s ästhetische Anschauungen und Urtheile über neuere Kunst. Ferner gab er sich dem eifrigen Studium der altdeutschen Litteratur hin und verkündigte besonders die nationale Bedeutung des Nibelungenliedes aufs neue in einem für das „Deutsche Museum“ Friedrich Schlegel’s bestimmten Aufsatze. 1811 schloß er mit der zweibändigen Sammlung seiner „Poetischen Werke“ seine dichterische Thätigkeit im großen und ganzen ab.

Im Frühling 1811 wurde er auf eine Denunciation des Präfecten von Genf, Capelle, als Feind Napoleon’s, Frankreichs und der französischen Litteratur aus dem ganzen französischen Reiche, ja selbst aus Coppet ausgewiesen. Er zog sich zuerst nach Wien, dann nach der Schweiz zurück, schloß sich aber im Mai 1812 in der Nähe von Bern wieder an Frau v. Staël an, als diese sich der Machtbefugniß des Genfer Präfecten, der ihre Freiheit täglich mehr einschränkte, durch die Flucht entzog. Mit ihr entkam er über Wien, Kiew, Moskau und Petersburg nach Stockholm. Bernadotte, Kronprinz von Schweden, ernannte [363] ihn 1813 zum Regierungsrath und Secretär in seinem persönlichen Dienste. Im Februar 1813 veröffentlichte S. seine Schrift „Sur le système continental et sur ses rapports avec la Suède“, die sogleich in Deutschland und England wieder abgedruckt und viel gelesen wurde. In der Absicht, die öffentliche Meinung in Schweden, die bei den verhältnißmäßig glücklichen Zuständen dieses Landes vielfach Napoleon günstig war, gegen ihn umzustimmen, schilderte er, natürlich durchweg von seinem einseitigen Parteistandpunkte aus, die Geschichte der letzten Jahre, seitdem Napoleon seine Macht über Frankreich und bald über ganz Europa auszubreiten begann, die unersättliche Kriegslust des Corsen, die Unterdrückung und Verarmung, die Umkehr aller geordneten und durch Sitte und Alter geheiligten Verhältnisse, die Zerstörung alles nationalen Geistes in den Ländern, die sich dem fremden Despoten beugten. Das französische Kaiserreich betrachtete er als die permanent gewordene Revolution. Eine Anzahl ähnlicher politischer Schriften, Aufrufe, Berichte, die theils allgemein patriotischer Art waren und den Sturz der Napoleonischen Macht befördern sollten, theils dem besonderen Interesse Schwedens dienten, verfaßte S., nachdem er im Frühling 1813 Bernadotte ins Hauptquartier der Nordarmee nach Stralsund und von da durch ganz Norddeutschland gefolgt war. Darunter waren die für die Vereinigung Norwegens mit Schweden wirkenden „Betrachtungen über die Politik der dänischen Regierung“ (1813), darunter das Napoleon’s Despotismus, mißtrauisches Ueberwachungssystem und Polizeiregiment schroff skizzirende „Tableau de l’empire français en 1813“, als Einleitung zu verschiedenen von der Nordarmee aufgefangenen Napoleonischen Briefen und Depeschen im November 1813 zu Hannover und London gedruckt. S. hatte auch zu einer künftigen deutschen Verfassung allerlei Pläne entworfen, befand sich aber mit diesen Gedanken vielfach im Gegensatze zu dem Freiherrn v. Stein und zu Arndt; sein Ziel war ein deutscher Bundesstaat unter der Führung eines habsburgischen Kaisers. Seit dieser Zeit etwa nannte er sich v. Schlegel; er glaubte sich dazu berechtigt durch ein Diplom, durch welches Kaiser Ferdinand III. einst seinem Urältervater für sich und seine männliche Nachkommenschaft zugleich den Reichs- und ungarischen Adel verliehen hatte.

Nach der Absetzung Napoleon’s zu Fontainebleau (April 1814) begab sich S. durch die Niederlande nach England, um von hier aus Frau v. Staël über Dover und Calais nach Paris zurückzuführen. Bei ihr verbrachte er auch den folgenden Winter in Paris, bis sie Napoleon’s Rückkehr von Elba im März 1815 wieder nach Coppet zurücktrieb. Im October 1815 sah sie sich durch den Gesundheitszustand ihres zweiten Gemahls Jean de Rocca genöthigt, Italien aufzusuchen; S. begleitete sie. Durch Piemont und Toscana reisten sie nach Pisa, wo man bis zum Februar blieb; dann brachte man den Frühling bis Ende Mai in Florenz zu. Eine junge Wienerin, Nina, die spätere Gattin des Malers Overbeck, machte hier auf S. einen so tiefen Eindruck, daß er, um sie heirathen zu können, sich ernstlich nach einer von Frau v. Staël unabhängigen Stellung in Oesterreich umsah; aber seit seiner Rückkehr nach Coppet im Sommer 1816 erkaltete seine Liebe zu der Fernen rasch. In Florenz beschäftigten ihn namentlich etymologische, antiquarische und kunstgeschichtliche Studien. Von den letzteren zeugte eine 1816 in nur 100 Exemplaren französisch gedruckte „Lettre sur les chevaux de bronce de la basilique de St. Marc à Venise“, die bald von Acerbi ins Italienische übersetzt und so in der „Biblioteca Italiana“ zu Mailand veröffentlicht wurde. S. suchte darin die Behauptung des Grafen Cicognara, diese Broncepferde seien in Rom zur Zeit Nero’s ausgeführt worden, mit Gründen zu bekämpfen, die die neueste kunstgeschichtliche Forschung sich nicht angeeignet hat; ein wenige Wochen nach seiner Schrift gedruckter Brief eines [364] Griechen Andreas Mustoxidi über denselben Gegenstand veranlaßte ihn später, in einem Anhang seine Untersuchung durch manche Zusätze und Berichtigungen im einzelnen zu verbessern. Größeren Beifall, ja selbst Anerkennung bei Visconti und Quatremère de Quincy fand ein 1816 in der Genfer „Bibliothèque universelle“ abgedruckter Aufsatz Schlegel’s: Niobé et ses enfants; sur la composition originale de ces statues“, der die mit hohem Lobe ausgezeichnete Erklärung der berühmten Gruppe durch den englischen Architekten Cockerell ergänzen und berichtigen sollte. Die Ergebnisse seiner Studien über Etymologie und etruskische Alterthümer wollte S. in einem besonderen Werke veröffentlichen. Es blieb beim Wollen; nur einige dieser Arbeiten verwerthete er sogleich 1816 in den „Heidelberger Jahrbüchern“ für eine überaus ausführliche Recension von Niebuhr’s „Römischer Geschichte“. Bei aller Anerkennung dieses grundlegenden Werkes im ganzen bestritt S. doch viel einzelnes darin, namentlich Niebuhr’s Ausdehnung des Begriffs der Sage, in ähnlicher Weise wie ein Jahr vorher verwandte Ansichten und schriftstellerische Eigenthümlichkeiten in den von den Brüdern Grimm herausgegebenen „Altdeutschen Wäldern“.

Aber diese Studien traten in den Hintergrund, seitdem S. im Winter 1816/17 wieder in Paris sich unter Chézy’s Anleitung der schon früher von ihm gepflegten indischen Sprachkunde mit allem Eifer hingab. Nach wenigen Monaten fühlte er sich schon so weit vorgeschritten, daß er nunmehr der fremden Führung entrathen konnte. Doch räumte er zunächst, bevor er sich litterarisch auf dem neuen Gebiete versuchte, mit anderen, von früheren Zeiten her aufgehäuften Arbeitsmaterialien auf. Er hatte seit 1814 in Paris sich viel mit provençalischen Handschriften abgegeben und allerlei zu einem „Essai historique sur la formation de la langue française“ gesammelt. Nun erschien 1816 der erste Band von Raynouard’s „Choix des poésies originales des troubadours“. S. besprach ihn ausführlich 1818 in der selbständig veröffentlichten Schrift „Observations sur la langue et la littérature provençales“ und verwerthete dabei den für jenen „Essai“ bestimmten grammatischen, lexicalischen und litterargeschichtlichen Stoff, um die Arbeit seines romanistischen Rivalen mehrfach fortzusetzen, öfters auch mit all’ der Achtung und Rücksicht, die Raynouard’s unbestreitbar große Verdienste erheischten, wissenschaftlich zu bekämpfen. Ebenfalls zu Paris 1817 erschien zuerst deutsch, dann von ungeschickter Hand ins Französische übersetzt, Schlegel’s Aufsatz „Johann v. Fiesole; Nachricht von seinem Leben und Beschreibung seines Gemäldes Mariä Krönung und die Wunder des heiligen Dominicus“. Der kenntnißreiche Verfasser knüpfte hier wieder an jene religiöse Betrachtungsweise der bildenden Kunst an, wie sie Wackenroder dereinst gelehrt hatte, und suchte am Schluß seiner sorgfältigen Beschreibung des damals zu Paris befindlichen Gemäldes im Gegensatze zu Winckelmann den Grundunterschied der antiken Kunst und der neueren italienischen Malerei aus der entgegengesetzten Weltanschauung und Religion der Griechen und des in die Renaissance ausmündenden Mittelalters zu erklären.

Am 14. Juli 1817 starb Frau v. Staël in Paris. Mit Recht empfand S. ihren Tod als einen unersetzlichen Verlust. Er hatte sie 1816 noch durch eine kurze Biographie ihres Vaters Jakob Necker in den Brockhausischen „Zeitgenossen“ erfreut; jetzt gab er, ohne sich zu nennen, ihr letztes Werk, die „Betrachtungen über die französische Revolution“, heraus und plante eine ausführliche Biographie der geschiedenen Freundin. Statt dessen übersetzte er 1820 die Schrift der Frau Necker de Saussüre über den Charakter und die Werke der Frau v. Staël und fügte von seinem eigenen nur eine kurze Vorrede bei, in der er sich zwar nur einfacher und maßvoller Worte bediente, nichtsdestoweniger aber dem Charakter „dieser einzigen Frau“ volle Gerechtigkeit widerfahren ließ. [365] In Paris blieb er noch während des Winters 1817/18. Als er aber im Januar einen Ruf in preußische Dienste erhielt, eilte er bereitwillig ins Vaterland zurück, zuerst im Sommer 1818 nach Heidelberg. Hier verlobte er sich mit Sophie, der achtundzwanzigjährigen, klugen, vielfach gebildeten, aber auch coquetten Tochter des Professors Paulus; schon am 30. August fand die Hochzeit statt. Dann reiste er nach Frankfurt, Coblenz und Bonn, um seine Berufung an die neuerrichtete rheinische Universität statt nach Berlin zu erwirken. Nachdem er dies erlangt, holte er seine Frau, die inzwischen mit ihren Eltern nach Stuttgart gegangen war, von hier nach Heidelberg zurück. Aber schon jetzt stellten sich die unverträglichen Gegensätze in beiden Naturen so deutlich heraus, daß S., als er im November 1818 als Professor der Litteratur und Kunstgeschichte nach Bonn übersiedelte, Sophie nicht bewegen konnte, ihm dahin zu folgen.

In das Universitätswesen fand er sich anfangs schwer; den Erwartungen, die man in seine akademische Lehrthätigkeit gesetzt hatte, entsprach er nur zum Theil. So benutzten seine Collegen ihn besonders bei feierlichen Gelegenheiten als akademischen Festredner in deutscher oder lateinischer Sprache, hatten aber vor seiner wissenschaftlichen Thätigkeit wenig Achtung. 1825 wurde ihm das Rectorat der Hochschule übertragen; später aber forderte S. selbst durch bissige satirische Verse über seine Collegen und durch seine maßlose, geckenhafte Eitelkeit die Abneigung und den Spott seiner Mitbürger und der Universitätsangehörigen nur zu oft heraus. Verdiente Anerkennung ward ihm jetzt fast nur bei seinen indischen Studien im vollen Maße zu Teil; auch die preußische Regierung richtete sich bei ihren Bemühungen, diese Wissenschaft besonders zu fördern, ganz nach seinen Vorschlägen. Seine indischen Studien führten ihn 1820 noch einmal auf längere Zeit nach Paris, 1823 nach London. Um allgemeine Teilnahme der Gebildeten an ihnen zu erwecken, gab er, zuerst auch als alleiniger Verfasser, 1820–1830 die „Indische Bibliothek“ heraus (9 Stücke) mit theils fachmännisch gelehrten, theils populärwissenschaftlichen Darstellungen aus der indischen Mythologie und freien Nachbildung altindischer Gedichte, aber auch mit allgemeinen, der Sprachvergleichung dienenden Untersuchungen. Daran schlossen sich kritische Ausgaben des „Bhagavad-Gita“ (1823), des „Ramayana“ (1829) und des „Hitopadesa“ (1829) mit umfangreichen Vorreden, Anmerkungen und lateinischer Interpretation, die „Réflexions sur l’étude des langues asiatiques adressées à Sir James Mackintosh, suivies d’une lettre à M. Horace Hayman Wilson“ (1832) und mehrere in französischen Zeitschriften gedruckte Aufsätze über Indien, den Ursprung der Hindus, die Märchen von „Tausend und eine Nacht“, soweit sie indischen Ursprunges sind, die ägyptische Mythologie und ähnliches – alles überaus kenntnißreich und nach verschiedenen Seiten hin anregend und bei aller fachmännischen Gelehrsamkeit möglichst anmuthig und populär in der Darstellung. Neben dem Indischen beschäftigten S. am meisten die Alterthümer – er war auch Vorstand des Alterthumsmuseums zu Bonn – und die bildende Kunst. Hier ergänzte die Gemäldesammlung und das Kunsturtheil seines Freundes d’Alton, was er selbst auf Reisen und bei früheren Studien von Kunstwerken kennen gelernt und darüber gedacht hatte. So verwerthete er unter anderem das früher gesammelte Material über etruskische Alterthümer 1822 zu Vorlesungen an der Bonner Hochschule, die erst aus seinem Nachlasse bruchstückweise in lateinischer Sprache veröffentlicht wurden, und hielt im Sommer 1827 zu Berlin, aber ohne den früheren Erfolg, Vorlesungen über die Theorie und Geschichte der bildenden Künste, von denen das von Förster und Alexis herausgegebene „Berliner Conversationsblatt“ bald Auszüge brachte, die sogar ins Französische übersetzt wurden. Für die Erforschung der mittelalterlichen Litteratur [366] leistete er nichts bemerkenswerthes Neues mehr, wenn er auch Tieck’s Schwester Sophie Knorring 1822 eine Vorrede zu ihrer Umdichtung von „Flore und Blanscheflur“ schrieb und 1833 im „Journal des débats“ den umfang- und kenntnißreichen Aufsatz „De l’origine des romans de chevalerie“ als Anzeige von Fauriel’s „De l’origine de l’epopée chevaleresque du moyenâge“ (1832) veröffentlichte, worin er, zwar im einzelnen nicht frei von allen Mißgriffen, doch im ganzen richtig gegen Fauriel die Bedeutung des französischen Nordens für die Entstehung der ritterlichen Epen betonte. Auf ein Thema, das er vor mehreren Jahrzehnten glänzend beleuchtet hatte, griff er 1836 zurück in der von ihm selbst sehr hochgeschätzten, französisch geschriebenen Rechtfertigung Dante’s, Petrarca’s und Boccaccio’s gegen die Behauptung eines nach London vertriebenen Neapolitaners Rossetti (1832), diese drei Dichter seien Mitglieder eines geheimen Bundes zum Sturze des päpstlichen Stuhles gewesen.

Aber während er der geschichtlichen Wahrheit gemäß den Katholicismus der altitalienischen Dichter vertheidigte, hatte er längst sich selbst für seine Person von allen katholisirenden Neigungen entschieden befreit. Schon 1825 pries er in dem „Abriß von den europäischen Verhältnissen der deutschen Litteratur“ (als Vorrede zu J. H. Bohte’s „Handbibliothek der deutschen Litteratur“ gedruckt) das glückliche Verhältniß der Wissenschaft zu Staat und Kirche, die politische Gleichheit der verschiedenen Religionsparteien, die Toleranz und Denk- und Lehrfreiheit in Deutschland mit deutlichen Anspielungen auf die Gefährdung dieser Freiheit und Duldung durch die katholische Kirche in anderen Ländern. Als er nichts desto weniger in der Monatsschrift des zu Paris lebenden Wiener Barons Eckstein „Le Catholique“ im Juni 1827 „à moitié catholique“ genannt wurde, wehrte er sich gegen diese Verkennung seines religiösen Charakters mit einer stellenweise übertriebenen Energie in der „Berichtigung einiger Mißdeutungen“ (1828), indem er auf sein Protestantenthum, das er zwei Jahrzehnte zuvor doch nur Frau v. Staël zu Liebe nicht völlig verleugnet hatte, pathetisch pochte, aber seine einstige litterarische Verehrung katholischer Ceremonien und Legenden mit der Freiheit des Künstlers, das Schöne überall zu nehmen, überzeugend rechtfertigte. Er benutzte diese Gelegenheit, um zugleich die völlig ungegründeten Vorwürfe entschieden abzuweisen, durch die Johann Heinrich Voß 1824 im ersten Theile der „Antisymbolik“ seinen Protestantismus verdächtigt hatte. Schlegel’s schroffe Abwehr derselben war berechtigt; weniger war es die prunkvoll-eitle Art, mit der er sein politisch-nationales Wirken während der Freiheitskriege hervorhob und auch auf das vorausgehende Jahrzehnt seines Verkehrs mit Frau v. Staël auszudehnen versuchte. Hatte er schon in der „Berichtigung“ selbst gelegentlich (wenn auch nothgedrungen, wie er zu verstehen gab) wenig brüderlich auf den Religionswechsel Friedrich Schlegel’s angespielt, so that er dies noch viel bitterer in der Nachschrift zu der „Berichtigung“, während er in äußerlich würdiger Weise und scheinbar echt-protestantischem Sinne unbedingte Duldung des Religionswechsels, d. h. des Uebertritts zum Katholicismus forderte, aus welchen Gründen derselbe auch immer geschehe. Mehr aber als diese Veröffentlichung kränkten Friedrich die verschrobenen Briefe, in denen sein Bruder ihm den Krieg ankündigte. Auch in der Vorrede zu seinen „Kritischen Schriften“, die er gleichzeitig 1828 in zwei Bänden sammelte, unterschied sich S. wiederholt von den übrigen Romantikern, d. h. hauptsächlich wieder von Friedrich und wollte an dem Aergerniß, das einst die junge Schule erregt habe, durch seine kritischen Arbeiten keinen Antheil genommen haben. Er schloß eben auch die boshaftesten seiner früheren Aeußerungen von der neuen Sammlung aus, gab aber dafür einigen der darin aufgenommenen Kritiken Zusätze, die namentlich gegen Voß gerichtet waren. Schön zeichnete er in der Vorrede die Aufgabe der [367] philologisch-historischen Kunstkritik; die Geschichte der bildenden Künste, die er hier als einen lang schon gehegten Lieblingsplan nannte, schrieb er ebensowenig wie die ebenda versprochene Abhandlung über den deutschen Versbau und die Kunst der dichterischen Nachbildungen; die Andeutungen, welche er gelegentlich über seine metrischen Grundsätze gab, zeigten, wie er, hierin im vollen Einklang mit Friedrich August Wolf, Kannegießer und anderen, nunmehr die Versfüße, besonders im Hexameter, mit pedantischer Strenge abgemessen wissen wollte.

Dichterisch thätig war S. in dieser Zeit namentlich als Satiriker und Epigrammatist. Eine Anzahl bissiger Sinngedichte, reich an Namensspielen und Wortwitzen, an schlagender Kraft den ähnlichen Versuchen aus früheren Jahren nicht vergleichbar, aber noch immer treffend, wo es galt, einen litterarischen Gegner durch Parodie seiner Manier zu verspotten, brachte vornehmlich der Wendt’sche Musenalmanach auf 1832; andere Epigramme wurden in den Blättern für litterarische Unterhaltung 1830, im Berliner Musenalmanach auf 1830 und sonst mitgetheilt, die allerboshaftesten aber erst nach Schlegel’s Tod aus seinem Nachlasse bekannt. Heftig wurde in ihnen Schiller angegriffen, gegen den bei der Veröffentlichung seines Briefwechsels mit Goethe der alte Groll lebhaft aufflammte, nach ihm jetzt aber auch Goethe, von dessen nachgelassenen Schriften S. wenig wissen wollte, Zelter, Heinrich Meyer; Friedrich Schlegel, Fichte, Schleiermacher und die übrigen ehemaligen Genossen der romantischen Schule wurden nicht geschont; die neueren Dichter Uhland, Rückert, Arndt, Grillparzer, Raupach, Müllner und andere bis auf Freiligrath, die Gelehrten Bopp, Niebuhr und David Friedrich Strauß wurden neben Schlegel’s Bonner Collegen bisweilen sehr derb mitgenommen. Am besten verstand sich der spottlustige Autor noch mit seinem alten Freunde Tieck; doch vergab er es auch diesem nicht, daß er die Schlegel’sche Uebersetzung Shakespeare’scher Dramen mehrfach berichtigen zu können glaubte, ja seines besseren Verständnisses Shakespeare’s sich sogar in der Vorrede seiner Ausgabe (1825) laut rühmte. Als 1839 dieselbe in neuer Auflage erschien, verlangte S. offen und erfolgreich in einem Schreiben an den Verleger Reimer in Berlin, daß die von ihm übertragenen Stücke von allen fremden Correcturen und Anmerkungen gereinigt und die bedenkliche Vorrede beseitigt werde; an mehreren Proben wies er Irrthümer Tieck’s nach. Sein eigenes Verdienst um die Erkenntniß Shakespeare’s und seinen darauf gegründeten europäischen Ruhm hielt er mit berechtigtem Stolze aufrecht; auf die vielen Uebersetzer Shakespeare’s nach ihm sah er mit Verachtung herab.

Als Friedrich Wilhelm IV. den preußischen Thron bestieg, wurde neben Tieck und anderen auch S. 1841 nach Berlin berufen. Aber wegen verschiedener Mißhelligkeiten kehrte er schon im Herbst 1841 nach Bonn zurück. Namentlich war er auch durch ein Gutachten, das man von ihm über die Grundsätze für eine neue Ausgabe der Werke Friedrich’s des Großen gefordert hatte, in Conflict mit den Akademikern, die man mit dieser Arbeit betraut hatte, besonders mit Preuß, dem Biographen Friedrich’s, gekommen. Als diese seine Vorschläge gar nicht zu beachten schienen, verfaßte er 1844, wohl für das preußische Ministerium, einen „Vorläufigen Entwurf“ einer kritischen Ausgabe jener Werke; die Grundsätze, die er hier entwickelte, die Forderungen, die er an den kritischen Herausgeber stellte, sind in den meisten Fällen auch heute noch unbedingt zu billigen. Kurz vorher hatte S. 1842 seine wichtigeren französischen Schriften als „Essais littéraires et historiques“ mit einer größtentheils sachlichen, litterargeschichtlich berichtenden Vorrede herausgegeben. Es war die letzte größere Veröffentlichung, die er veranstaltete. Von dem jüngeren Geschlecht vielfach bespöttelt, noch öfter nur dem Namen nach gekannt, starb er zu Bonn am 12. Mai 1845.

[368] Seine sämmtlichen deutschen Werke gab, von ihm selbst noch mit dieser Aufgabe betraut, Eduard Böcking, in einer für jene Zeit mustergültigen Weise heraus (12 Bände, Leipzig 1846–47). Daran reihten sich, von demselben Gelehrten herausgegeben, drei Bände „Oeuvres écrites en français“ (Leipzig 1846) und ein Band „Opuscula Latina“ (Leipzig 1848). Ein Verzeichniß der von S. nachgelassenen Briefsammlung (mit einzelnen Proben daraus) lieferte Anton Klette (Bonn 1868). Aus Schlegel’s Nachlaß (jetzt in der königlichen Bibliothek zu Dresden befindlich) theilte Jacob Minor die Handschrift der Berliner „Vorlesungen über schöne Litteratur und Kunst“ mit lehrreichen Einleitungen mit (Bd. 17–19 von Bernhard Seuffert’s Deutschen Litteraturdenkmalen des 18. und 19. Jahrhunderts in Neudrucken, Heilbronn 1884). Die Briefe Schiller’s und Goethe’s an S. erschienen schon 1846 zu Leipzig; die Briefe Friedrich Schlegel’s an seinen Bruder mit einigen wenigen Antwortschreiben des letzteren gab Dr. Oscar F. Walzel (Berlin 1890) heraus.

Ueber S. vergl. die Skizze in den „Zeitgenossen“, Bd. 1, Abtheilung 4, S. 179–182, Leipzig und Altenburg 1816. – Ch. Galusky, Guillaume de Schlegel in der „Revue des deux mondes“ vom 1. Februar 1846, S. 159 bis 190. – J. W. Loebell, Fragmente zur Charakteristik Wilhelms v. Schlegel. 1846. – David Friedrich Strauß, A. W. Schlegel, in den „Kleinen Schriften“ 1862, S. 122 ff., wiederholt in den „Gesammelten Schriften“, Bonn 1876, Bd. 2, S. 119–158. – Parisot in der „Biographie universelle“, Bd. 38, S. 339–346, Paris und Leipzig 1863. – Golbéry in der Revue germanique. – Nouvelle biographie générale, Bd. 43, S. 532–539 von G. R., Paris 1864. – Rudolf Haym, Die romantische Schule, Berlin 1870. – Wilhelm Dilthey, Leben Schleiermachers, Bd. 1, Berlin 1870. – Michael Bernays, Zur Entstehungsgeschichte des Schlegel’schen Shakespeare, Leipzig 1872. – Rudolf Genée, Studien zu Schlegel’s Shakespeare-Uebersetzung, im Archiv für Litteraturgeschichte, Bd. 10, S. 236–262, Leipzig 1881. – Heinrich Welti, Geschichte des Sonettes in der deutschen Dichtung, Leipzig 1884, S. 160–175, 241–250. – Jacob Minor, Aug. Wilh. v. Schlegel in den Jahren 1805–1845, in der Zeitschrift für die österreichischen Gymnasien, Jahrgang 38 (Wien 1887), S. 590–613, 733–753. – Lady Blennerhassett, geb. Gräfin Leyden, Frau v. Staël, ihre Freunde und ihre Bedeutung in Politik und Litteratur, Bd. 3, Berlin 1889.