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Artikel „Böcking, Eduard“ von Roderich von Stintzing in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 2 (1875), S. 785–787, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:B%C3%B6cking,_Eduard&oldid=- (Version vom 14. Dezember 2024, 22:58 Uhr UTC)
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Böcking: Eduard B., geb. am 20. Mai 1802 zu Trarbach a. d. Mosel, † am 3. Mai 1870 in Bonn, entstammt einer im 16. Jahrhundert aus der Grafschaft Kent in die Niederlande und Rheinlande eingewanderten protestantischen Familie. Im Hause seines Vaters, Louis B., eines wohlhabenden und angesehenen Kaufmanns in Trarbach, fand Goethe auf dem Rückzuge aus der Champagne (October 1792) gastliche Aufnahme. Als Knabe begegnete B. im Hause seins Oheims in Kaiserslautern Napoleon I., der Gefallen an ihm fand und meinte: „il deviendra mon brave officier“. Später (1816–18) besuchte B. in der genannten Stadt das Gymnasium, studirte zuerst in Heidelberg und Bonn, dann in Berlin, wo er Savigny, Schleiermacher und Hegel hörte, ging 1822 nach Göttingen um sich mit Hugo’s Methode vertraut zu machen und promovirte hier zum Dr. jur. am 28. December 1822. Einen mehrjährigen Aufenthalt im elterlichen Hause verwendete er zu philosophischen, rechtsgeschichtlichen und litterarischen Studien und habilitirte sich 1826 als juristischer Privatdocent in Berlin. Im Frühjahr 1829 zum außerordentlichen Professor ernannt, ward er im Herbst desselben Jahres auf seinen Wunsch nach Bonn versetzt, wo er 1835 zu der ordentlichen Professur in der juristischen Facultät gelangte, welche er bis zu seinem Tode bekleidet hat. Seine Vorlesungen umfaßten Strafrecht, Civilprozeß, Institutionen, Pandekten und Exegese der Römischen Rechtsquellen, anfänglich auch Kirchenrecht. Die Tiefe und der Umfang seines Wissens, welches sich weit über die verschiedenen Zweige der Jurisprudenz hinaus auf andere Gebiete (namentlich der Philologie) erstreckte; die Schärfe und Energie seines Geistes, eine eiserne, unermüdliche Arbeitslust und Arbeitskraft, stellen B. unter den Vertretern der durch Hugo und Savigny neu erweckten „historischen Rechtswissenschaft“ in die vorderste Reihe, und erheben ihn unter die bedeutendsten Gelehrten seiner Zeit. Seine Wirksamkeit ist eine mehr kritische und analysirende, als constructiv-gestaltende gewesen; seine wissenschaftliche Thätigkeit hatte eine überwiegend dialektische und philologische Färbung und Richtung. Hervortretend erscheint überall eine mit Vorliebe betonte Akribie in Feststellung des Thatsächlichen und der begrifflichen Distinctionen, die, wenn sie auch bisweilen an Mikrologie zu grenzen scheint, doch allen seinen Werken den hohen Werth der Schärfe und Bestimmtheit, und die Würde gründlichster und gewissenhafter Forschung verleiht. In seinen dogmatischen Schriften, die ihn als einen in ernster philosophischer Schule herangereiften Dialektiker zeigen, leidet die Darstellung unter dem Ringen mit Subtilitäten und einer Ueberfülle stofflicher Einzelheiten; es fehlt die Neigung oder das Vermögen zu abschließender und anschaulicher Gestaltung der Resultate. Aus diesem Grunde hat er in der juristische Dogmatik als Schriftsteller und Lehrer nicht so umfänglich und nachhaltig gewirkt, wie es sonst bei dem Reichthum seines Geistes und seiner Kenntnisse zu erwarten gewesen wäre. Die Empfindung von dem [786] auf diesem Gebiete fehlenden Gleichmaße zwischen Arbeit und Erfolg ist wol der Grund dafür gewesen, daß er auf die Fortsetzung seines dogmatischen Hauptwerkes „Pandekten des Römischen Privatrechts“ verzichtet hat und nicht zu bewegen war die Arbeit wieder aufzunehmen. Aber auch in seiner unvollendeten Gestalt wird dieses Buch als Fundgrube reichen Wissens und feiner Gedanken lange Zeit seinen Platz behaupten. – Nachhaltiger und eingreifender hat B. durch solche Arbeiten gewirkt, bei denen seine philologische Richtung zur vollen Geltung gelangen konnte. Bleibend sind seine Verdienste um den „Brachylogus“, den er mit erschöpfendem litterargeschichtlichen und kritisch-exegetischen Apparate 1829 edirte: um die „Notitia dignitatum“, welche er als Frucht 25jähriger Studien in drei Bänden mit Commentar (1839–1853) herausgab – ein Werk staunenswerther Gelehrsamkeit, welches erst jetzt es dem Juristen, Geographen und Historiker möglich machte, diese Quelle ihrem ganzen Inhalt nach zu würdigen und zu benutzen; um Gaius und Ulpian, die erst durch seine Ausgaben zu einem allgemein zugänglichen und verbreiteten Hülfsmittel des akademischen Studiums geworden sind. Ueber den Gewinn, welchen die Wissenschaft aus den Nachbildungen der Handschriften des Ulpian (1855) und des Gaius (1866) zu ziehen vermag, sind die Ansichten zwar getheilt. Doch ist das merkwürdige, von ihm selbst auf Stein gezeichnete vollständige Facsimile des Veroneser Codex ein Zeugniß nicht nur seines eisernen Gelehrtenfleißes, der sich selber nie zu genügen glaubte; sondern auch der ihm eigenen manuellen Geschicklichkeit, seiner kalligraphischen Kunst, die er neben der Buchbinderei und der Drechslerkunst mit Liebhaberei pflegte. Erwähnen wir noch seine Betheiligung an der Herausgabe des Rheinischen Museums für Jurisprudenz (1833–1834) und seine Mitwirkung am sogenannten Bonner Corpus juris antejustinianei (1831–1842), seine mehr oder minder ausführlichen und mit reichem Material ausgestatteten nur zum Theil im Buchhandel erschienenen Grundrisse zu seinen juristischen Vorlesungen, so ist damit zwar das große, von ihm angebaute Feld auf dem Gebiete der Rechtswissenschaft in flüchtigen Umrissen angegeben; allein der Reichthum seiner wissenschaftlichen Thätigkeit, die er neben seinem anstrengenden akademischen Amte stetig verfolgte, bei weitem nicht erschöpfend gezeichnet. – In eigenthümlicher Weise mischte sich in dieser reizbaren und aufrichtigen Natur eine gewisse Schroffheit und Herbigkeit des Charakters mit einer fast kindlichen Weicheit des Gemüths und warmer Anhänglichkeit an Alles, was seinem Herzen lieb geworden war. Mit kindlicher Pietät pflegte er das Andenken seiner Eltern bis ins Alter; seine Freunde aus alter und neuer Zeit kannten und empfanden das treue Herz selbst unter der bisweilen rauhen Form der Begegnung; und dieses warme Gemüthsleben hat auch seinen Studien mehrfach die Richtung gegeben und ihn Gebieten zugeführt, auf denen ihm bedeutende Früchte gereift sind. Seiner Liebe zum heimathlichen Mosellande verdanken wir die Ausgabe und Uebersetzung der Moselgedichte des Ausonius und Venantius Fortunatus. Seiner Freundschaft mit A. W. Schlegel stiftete er ein Denkmal in der auf Wunsch des Verstorbenen unternommenen Ausgabe seiner Schriften. Pietät gegen die ihm in langem Umgange vertraut und lieb gewordenen Meister Ulpian und Gaius trieb ihn zur künstlichen Nachbildung der einzigen uns erhaltenen Handschriften. Und als in späteren Jahren die Gestalt des ritterlichen Humanisten U. v. Hutten ihm Herz und Sinn sympathisch fesselte, da ruhte er nicht bis er mit eisernem Fleiße und leidenschaftlichem Eifer durchforscht und zusammengetragen hatte, was sich auf Hutten’s Wirken bezog. Aus diesem liebevollen Mühen und Arbeiten ist die große Ausgabe der Hutten’schen Werke mit ihren reichen Zuthaten, eine wahre Rüstkammer für die Litterärgeschichte, hervorgegangen, und noch in den letzten Tagen seines Lebens sahen wir ihn mit der Correctur der letzten Bogen beschäftigt.

[787] Des Lebens Lust und Leid hat B. in reichem Maße erfahren. Von der Natur mit einem elastischen Körper und stattlicher Erscheinung beschenkt, jung und glücklich verheirathet, mit Kindern gesegnet, bedeutenden Männern nah und fern in Freundschaft verbunden, mit Glücksgütern ausgestattet, die er in seiner sinnigen Weise vornehmlich zum Bau seines villenartigen Hauses am Rhein und zur Anlage und steten Mehrung seiner berühmten Bibliothek verwendete, hoch angesehen als Schriftsteller und Lehrer – so stand er am Schlusse seines vierten Decenniums da, als ein reich gesegneter und beneidenswerther Mann. Allein schon wenige Jahre später ist es ihm beschieden „das lange Leiden und den freudigen Tod derjenigen, die ihm die liebste war auf Erden, das Hinscheiden anderer ihm theurer Menschen“ zu betrauern; wir hören ihn klagen über „das seit Jahren immer schärfer sich regende Gefühl eigner Krankhaftigkeit“ und über „andere Widerwärtigkeiten, die seinen Muth zu schwächen nur allzusehr geeignet scheinen“. Nicht aber minderte sich mit der schwindenen Lebensfreudigkeit die Lust und Kraft zur Arbeit, zur treuen Erfüllung seines Berufs. Der alte eiserne Fleiß und die volle Geistesfrische sind ihm bewahrt geblieben bis an sein Lebensende, das er nahe wußte, als er im März 1870 sein letztes akademisches Semester schloß. – Seine Bibliothek ist größtentheils zerstreut. Doch ist seine „Hutten-Bibliothek“ und seine Sammlung zur „Notitia dignitatum“ ungetrennt in den Besitz der neuen Straßburger Universitätsbibliothek übergegangen. Es erschien von ihm: 1822. „Theses quas – pro summis in utroque jure honoribus rite obtinendis die XXVIII m. Decbr. a. 1822 – publ. defendet Ed. Böcking Trarbacensis“, Göttingen (Dissertat. nicht gedruckt. – 1826. „De mancipii causis.“ Habilit. Schrift. – 1828. Ausonius. 1842 mit Venantius in d. Jahrb. des Vereins v. Alterthumsfreunden der Rheinlande 1845. – 1829. „Corpus legum s. Brachylogus j. civ.“ – 1829. „Gaii et Justin. Instit.“ ed. Klenze et Böcking 4° – 1831–1841: im C. jur. antejustinianeum Ulpian, Maecian, Dositheus, „Caji institut. libri duo ex. l. Rom. Visigoth.“ und kleinere Fragmente. Die verheißene Vorrede ist nicht erschienen. – 1831. „Ulpiani fragmenta.“ 4. Aufl. 1855. – 1834. „Ueber die Notitia dignitatum.“ – 1837. „Gai Institut. comm. quattuor.“ 5. Aufl. 1866. – 1839–1850. „Notitia dignitatum.“ 3 Voll. – 1843. „Pandekten des Röm. Privatrechts.“ Bd. 1. 2. Aufl. 1852. – 1846. „Phil. Invernizi de publicis et criminalibus judiciis Romanorum libri tres. Repeti atque emendari curaverunt redemptores Weidmanni. Lipsiae.“ Böcking’s Name auch im Vorwort nicht genannt. – 1847. „Bonner Briefe über den Entwurf des Strafgesetzbuchs f. d. preußischen Staaten.“ – 1845–1848. „Schlegel’s sämmtliche Schriften.“ Bd. 1–12. „Spanisches Theater.“ 2 Bde. „Französische Schriften.“ 3 Bde. Opuscula. – 1852. „Grundriß zu Vorlesungen über den gem. D. Civilproceß.“ – 1855. „Pandekten des Röm. Privatrechts.“ 2. Band. 1. Heft. – 1855. „Ulpiani lib. singul. regul. Cod. Vaticani exemplum.“ – 1858. „Index bibliographicus Huttenianus.“ – 1859–1862. „Hutteni opera quae reperiri potuerunt omnia.“ Vol. 1–5. – 1861. „Pandekten. Grundriß eines Lehrbuchs.“ 5. Aufl. – 1862. „Römisches Privatrecht. Institutionen des Röm. Rechts.“ (2. Aufl., die erste nicht im Buchhandel.) – 1866. „Gai Institut. Apographum Cod. Veronens.“ – 1864. 1869. 1870. „Hutteni operum Supplementum.“