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Artikel „Hugo, Gustav“ von Otto Mejer in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 13 (1881), S. 321–328, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Hugo,_Gustav&oldid=- (Version vom 21. November 2024, 15:22 Uhr UTC)
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Hugo: Gustav H., Geheimer Justizrath und Professor der Rechte zu Göttingen, berühmter Civilist und Stifter der sogenannten historischen Rechtsschule in Deutschland. Geboren am 23. November 1764 als Sohn eines höheren badischen Beamten zu Lörrach im Wiesenthale an der südwestlichsten Spitze des damaligen deutschen Reiches, verlebte er seine Jugend in der auf den siebenjährigen Krieg folgenden langdauernden Friedenszeit: als sie mit dem 1792er Feldzuge gegen Frankreich zu Ende ging, wurde er eben ordentlicher Professor. Indeß nahm er an dem poetisch-philosophischen Aufschwunge des deutschen Geistes, durch welchen diese Zeit bezeichnet ist, nur bedingt Theil. Denn aus einem Elternhause, das durch den Willen eines charaktervollen und durchaus tüchtigen, aber dem Neuen mit energischem Wollen abgewendeten Vaters beherrscht war – H. hat sein Bild in den Erinnerungen aus dem Leben eines praktischen Civilisten (Civilist. Magazin 4, 51 ff.) selbst gezeichnet –, kam er auf das Gymnasium nach Mömpelgart, brachte sein 14. und 15. Jahr dort in völlig französischer Umgebung zu, und lebte sich in dieser Zeit, wo der früh ausgezeichnete Schüler in die Lebensperiode der Leseleidenschaft trat, statt in die deutsche Sturm- und Dranglitteratur jener Jahre, vielmehr in die französische Litteratur ein. Das damals aufgenommene französische Element hat er niemals wieder verloren; und wenn er einmal sagt, daß mittels französischer Vorurtheile er gegen die deutschen geschützt gewesen sei, so spricht er damit selbst aus, wie er gegenüber dem geistigen Leben in Deutschland sich nachher in gewissem Sinne als Fremder fühlte. – Von Mömpelgart kam er, nach einem Zwischenaufenthalte in Lörrach, schon damals dem Rechtsstudium bestimmt, dem weit hinauf auch seine Vorfahren sich gewidmet hatten, auf das Gymnasium Illustre zu Carlsruhe, und besuchte nachher vom Herbste 1782 bis dahin 1785 die Göttinger Universität.

In der Einleitung seiner Beiträge zur civilistischen Bücherkenntniß (Berlin 1828) hat er den Zustand der damaligen deutschen civilistischen Rechtswissenschaft sowohl überhaupt, wie insonderheit zu Göttingen, dargestellt. Man hatte, sagt Savigny, die römischen, die canonistischen und die deutschen Elemente des geltenden Rechtes, „ohne kritische Prüfung und Sonderung zu einem nur scheinbaren Ganzen für praktische Zwecke verarbeitet. Indem so das Ungleichartige und Unvereinbare zusammengefügt wurde, war es schwer zu sagen, ob der historischen Wahrheit, oder den Zwecken des praktischen Lebens mehr Eintrag geschah. Dies Alles aber war nicht etwa hervorgegangen aus einer irrigen Meinung, daß es so richtig sei, sondern man hatte es aus Gedankenlosigkeit allmählich so werden lassen. Einer überlieferte dem Andern die todte Masse, in [322] jeder Hand wurden unvermerkt neue Irrthümer hinzugefügt, und selbst die Besseren vermochten nicht, sich dem traditionellen Ansehen der falschen Methode zu entziehen.“ – Es war natürlich, daß eine derartige Jurisprudenz H. wenig anzog: er lernte gewissenhaft was ihm gelehrt ward, aber Interesse für römisches Recht gewann er nicht. Unter den Göttinger Juristen hat nur Pütter auf ihn gewirkt, bei dem er Reichsgeschichte, Staatsrecht und die Practica hörte (Civilist. Magazin 5, 54 ff.), und der in der Wolfischen Schule gelernt hatte, das reiche von ihm beherrschte historische Material mit seinem philosophischen Geiste zu behandeln. Wie es Pütter dadurch überhaupt und besonders auf öffentlich rechtlichem Gebiete gelang, eine bedeutende Schule zu bilden, so waren seine zum Theil durch Montesquieu bestimmten juristischen Ideen auch für H. anregend, der Montesquieu ohnehin schon kannte und sich – französisch gerichtet wie er war – unter dem Einflusse dieser Gedanken befand. In Göttingen lernte er, wo ihre schwache Seite sei; weniger von Pütter, als von Demjenigen, den er in seinen biographischen Erinnerungen über ihn (Civilist. Magazin 3, 485 ff.) als den Lehrer bezeichnet, dem er unter allen am meisten schulde: Spittler. Er war ihm von Beginn seiner Studienzeit an nahe getreten, lernte theils in seinen Vorlesungen, theils und noch mehr in lebendigem persönlichen Verkehre von ihm die Arbeit des culturhistorischen Forschers, der gründlicher als der geistreiche Franzose verfahren müsse, und verließ Göttingen als ein der Leitung Spittlers noch für lange unbedingt vertrauender, seinem Hause für das Leben angehöriger Freund. – Der einzige Göttinger Professor, um welchem er außer ihm damals persönlich näher bekannt wurde, war der Philosoph Feder, bei dem er seine zu Karlsruhe begonnenen philosophischen Studien mit Eifer fortsetzte, unter dessen Leitung er eine Menge philosophischer Bücher (mehr als juristische) las, und durch den er auch zu einer selbständigen Untersuchung über die Affecte angeregt wurde, die aber nicht veröffentlicht ward. Heyne hörte er weder, noch lernte er ihn sonst kennen.

Als zu Ende seines zweiten Studienjahres zum ersten Male in Göttingen Preisaufgaben gestellt wurden, und die juristische – De fundamento successionis ab intestato ex jure Romano antiquo et novo – eine Frage betraf, die H. durch Montesquieu interessant geworden war, bearbeitete er sie, indem er Montesquieu’s Ansicht bekämpfte, und erhielt (4. Juni 1785) den Preis. Besonders Pütter und dem um jene Zeit neu in die Facultät eingetretenen Runde hatte ihre wie sie es nannten „germanistische“, d. i. historische Methode gefallen. Die gekrönte Arbeit ward gedruckt, und der nach damaliger Anschauung wichtige Erfolg brachte Spittler, Feder und Pütter auf den Gedanken, für den sie auch Heyne gewannen, daß H., nachdem er noch eine Bildungsreise gemacht haben würde, in Göttingen für römisches Recht festgehalten werden müsse. Die Sache wurde in Hannover eingeleitet, und als der Schützling jetzt (durch Feder) einen Ruf als juristischer Lehrer des Erbprinzen nach Dessau erhielt, dahin festgestellt, daß wenn er für eine Zeit lang diesem Rufe gefolgt sein werde, ihm eine Anstellung als außerordentlicher Professor zugesichert ward, er aber versprach, sie zu übernehmen. Er trat sie, obwol ihm in Dessau, wo er von bedeutenden Menschen ausgezeichnet worden war und in bedeutende Verhältnisse Einblick gewonnen hatte, lockende Anerbietungen gemacht wurden, um ihn zu halten, im Herbste 1788 an, nachdem er im vorhergehenden Frühling in Halle Doctor geworden war. Die Liebe zu Spittler war das zuletzt Entscheidende. Seine Hallische Dissertation, eine näher ausgeführte Vorarbeit zu seiner Preisschrift, handelt „De bonorum possessionibus“ und ist von bahnbrechender Bedeutung gewesen.

Seine Göttinger Lehrtätigkeit begann er mit einem Exegeticum über Ulpians zu dem Zwecke von ihm edirte (Göttingen 1788, 4. Ausgabe 1822) „Fragmente“, [323] der ersten über eine vorjustinianische Rechtsquelle dort gehaltenen Vorlesung, und gab im Anfange des folgenden Jahres eine deutsche Uebersetzung der „Uebersicht über Geschichte und Alterthümer des römischen Rechtes“ heraus (Göttingen 1789), welche Gibbon seiner damals noch nicht lange erschienenen Geschichte des sinkenden Römerreiches einverleibt hat. Hugo’s Vorrede dazu ist sein wissenschaftliches Programm. Indem sie von Gibbon weder zu wenig, noch, was nicht Viele thun würden, zu viel zu erwarten mahnt, fährt sie fort: „indeß es kann doch einige Juristen und Nichtjuristen“ (Spittler) „geben, denen es ahnt, denn hier muß man glauben und nicht schauen, wie herrlich und schön das römische Recht sich betreiben ließe, wenn man die Bahn, die Montesquieu eigentlich nur entdeckt hat, ginge, wenn man zunächst noch ohne alle Rücksicht auf das, was unsere Advocaten zu wissen brauchen, innige Kenntniß der übrigen römischen Litteratur und Geschichte auch auf den Theil derselben anwendete, der unmittelbar die Jurisprudenz betrifft, wenn man unsere heutigen Sitten, Verfassungen, Religionen ganz vergäße, und blos darauf ausginge, die Römer kennen zu lernen, nicht Antithesen und glänzende Einfälle vorzubringen“ (wie Montesquien offenbar), „sondern den schlichten natürlichen Gang, wie sich ihr Staats- und Privatrecht entwickelte, aufzusuchen; wenn man sich dann wieder an das erinnerte, was vor unsern Augen und von uns selbst geschieht, und nachdächte, woher es komme, daß Menschen, die doch im Grunde waren wie wir, in ihren Handlungen und Einrichtungen uns oft so unähnlich sind. Wer dies große Ideal von einem Werke über den Geist des römischen Rechts sich geschaffen hat, ein Ideal, dem es wol so nützlich und angenehm wäre sich zu nähern, als irgend einem anderen“, der allerdings werde es von Gibbon nicht erreicht finden.

Es ist charakteristisch, daß H., wenn auch nur auf einen Theil der Rechtswissenschaft angewendet, die leitenden Gedanken, denen er und seine Schule nachher gefolgt sind, schon in dem Augenblicke ausspricht, in dem er den juristischen Lehrstuhl, eben 24jährig, betrat. Er hatte sie, wie schon berührt ist, zunächst aus Spittler’s, Pütter’s, Montesquieu’s Anregungen gewonnen: selbst in der Fassung erinnern die hervorgehobenen Worte an Spittler. Aber sie haben auch noch tiefere und für die wissenschaftliche Stellung Hugo’s und der von ihm ausgehenden älteren historischen Rechtsschule noch bestimmender gewesene Zusammenhänge. Wenn H. weder an dem Sturm und Drange, noch an der Sentimentalität des deutschen poetischen Aufschwunges der siebenziger und achtziger Jahre Antheil zu nehmen gestimmt war, so nahm er dagegen auf das lebhafteste Thei1 an dem philosophischen damaligen Aufschwunge der Nation. Nicht lange vor seinem Abgange zur Universität war Kant’s Kritik der reinen Vernunft erschienen: alle Kant’schen Hauptwerke fallen in die Jahre von da an bis zu Hugo’s Antritt seiner außerordentlichen Professur: es war der Richtung des deutschen Geistes von damals und Hugo’s eigener Vorbereitung und Richtung selbstverständlich, daß er, wie sie erschienen, sie mit hingebendem Ernste studirte und sie sich vollkommen aneignete. So geschah ihm, was vielen seiner Altersgenossen widerfuhr, daß er die Ueberzeugung gewann, Kant’s philosophische Lehre enthalte, wenigstens in ihren Grundsätzen, ein für alle Mal die Wahrheit, und daß er in diesem Sinne sein Leben lang Kantianer geblieben ist. Aber indem er in der philosophischen Arbeit nichtsdestoweniger seine Selbständigkeit bewahrte, zog er für den Staats- und Rechtsbegriff aus den Kantischen Prinzipien andere Consequenzen als Kant, und zwar – wie z. B. Fries später, zu Hugo’s großer Freude anerkannt hat, – „consequenter Kantische als Kant selbst“. Dieser, indem er die Welt in Natur und Vernunft, die Vernunft in denkende und wollende zerlegt denkt, und für diesen „vernünftigen Willen“ sein [324] bekanntes Sittengesetz annimmt, folgert aus dem Satze, daß Jeder nach demselben (allgemeingültig) handeln, also auch so handeln können müsse, Jeder müsse demgemäß auch äußerlich frei sein, und für sein Handeln eine gesicherte Rechtssphäre besitzen; woraus er weiter die Vernunftnothwendigkeit der einzelnen Rechtsinstitute ableitet. Hugo hingegen weist Rechtsinstitut für Rechtsinstitut nach, daß man desselben, um nach dem Kantischen Sittengesetze handeln zu können, nicht bedürfe. Recht und Staat seien demnach, schließt er, nicht Dinge der Vernunft, sondern Dinge der Natur, daher, wie andere Naturproducte, Gegenstände nicht der Speculation, sondern der Beobachtung. Also sei die Aufgabe des Juristen, die entsprechenden Beobachtungen objectiv, unbefangen, genau zu machen, mit Treue zu sammeln und verständig zu vergleichen; alsdann werde eine Anzahl inductiver Schlüsse gleichfalls mit verhältnißmäßiger Sicherheit auf sie sich bauen lassen.

Auf solche Weise ergab sich Hugo’s rechtswissenschaftlicher Standpunkt und das in der Vorrede zu Gibbon von ihm formulirte Programm. Daß er im J. 1789 schon mit vollem Bewußtsein seiner Kantischen Zusammenhänge aufgetreten sei, läßt sich nicht beweisen, daß diese Zusammenhänge schon damals vorhanden waren, ist gewiß: H. hat seine Grundsätze nicht erst während seines Gelehrtenlebens allmählich erworben, sondern er brachte sie auf den akademischen Lehrstuhl mit, und befestigte sich dann blos noch in ihnen, indem er sie ausführte. Zunächst wiesen sie ihn an, die Erscheinungen des römischen Rechtslebens genauer, als bis dahin geschehen war, zu beobachten, und dies hat er ein langes Leben hindurch mit nie ermüdendem Eifer redlich gethan: voll heller Freude über jede neue Entdeckung, voll Aufmerksamkeit für die Entdeckungen Anderer, voll Bereitwilligkeit, dieselben anzuerkennen, wenn er sie begründet fand. Nicht minder wichtig mußte es ihm sein, unrichtige Annahmen, die er vorfand zu beseitigen, und dadurch der objectiven Forschung Raum zu schaffen: daher von Anfang an seine Richtung auf die litterarische Kritik und seine lebhaften Kämpfe mit Höpfner, Glück und Anderen. Er führte sie theils in den Göttinger gelehrten Anzeigen recensirend, theils in einer von ihm für seine Zwecke schon 1790 gegründeten Zeitschrift, die er in zwanglosen Heften bis 1837 fortsetzte: dem Civilistischen Magazin. Die ersten beiden von ihren sechs Bänden haben drei, der dritte Band hat zwei Auflagen erlebt. Sehr wesentlich kam es ihm darauf an, keine Beobachtung für sicherer zu nehmen, als sie war, daher sein häufiges „vielleicht“. Auch die Wichtigkeit, die er auf Kleinigkeiten legte, hing mit seinem wissenschaftlichen Principe zusammen: für den Naturbeobachter gibt es an dem Gegenstande seines Beobachtens keine Kleinigkeit, das Geringste kann ihm unter Umständen wichtig werden. Gewiß daß H. in höherem Alter in dieser Schätzung des Geringfügigen zu weit ging, aber der Grund dafür war seine Gewissenhaftigkeit im Forschen. Er würde ein richtigeres Maß darin gefunden haben, hätte er die andere Aufgabe, welche er sich gestellt erachtete, die der Inductionsschlüsse, mit gleichem Eifer, wie die des Material dazu sammelnden Beobachtens ergriffen. Aber wenn er solchen Schlüssen auch keineswegs auswich, so hielt er sie doch nicht blos für daß der Zeit nach Zweite, sondern war auch überzeugt, daß sie mit sehr großer Vorsicht zu behandeln seien: sie treten daher in seinen Schriften weniger in den Vordergrund.

Diese Schriften haben, abgesehen von einer Anzahl Gelegenheitsaufsätze, sämmtlich auf Hugo’s Vorlesungen Bezug. Pandecten nach der Legalordnung, wie sie vor ihm allgemeine Sitte waren, hat er niemals gelesen. Außer Encyklopädie und Naturrecht (Philosophie des positiven Rechtes), welche beide Vorlesungen er als Einleitungscollegien behandelte, las er Geschichte des römischen Rechtes, eine bald Institutionen bald Paudecten genannte ausführliche systematische [325] Institutionenvorlesung verbunden mit praktischen Uebungen, denselben, die dann von Anderen zu den heutigen selbständigen Pandectenpracticis fortgebildet worden sind, ferner civilistische Litterärgeschichte, die er zuerst im Jahre 1800 von der römischen Rechtsgeschichte abzweigte, und endlich Exegetica. Für letztere hatte er, nach einem älteren nicht geglückten Versuche, 1802 eine „Chrestomathie von Beweisstellen des heutigen römischen Rechtes“ (3. Ausgabe 1820) herausgegeben, hielt aber diese Vorlesungen gelegentlich auch über Ulpian’s Fragmente, über Paullus’ Receptae Sententiae und über verschiedene Theile des Corpus juris. Im J. 1798 fing er auch an, philosophische Encyklopädie (Logik, Physik einschließlich Psychologie, Ethik) für Juristen zu lesen und ein Lehrbuch darüber zu schreiben; allein es sind von demselben nur die Anfangsbogen gedruckt, und bald ließ er die Vorlesung gleichfalls wieder fallen. In den Jahren 1808 bis 1813 endlich, wo Göttingen zum Königreich Westfalen gehörte und der Code Napoléon dort als bürgerliches Gesetzbuch galt, las er auch einige Male über diesen, wobei er ihn selbst als Lehrbuch benutzte. – Nun war in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts Göttinger akademische Sitte, den Vorlesungen kurze grundrißartige „Lehrbücher“ zu Grunde zu legen, und dieser Sitte fügte sich H. von Anfang seiner Professorenthätigkeit an. So entstanden 1789 seine „Institutionen“ oder „Pandekten“ als „Lehrbuch des heutigen römischen Rechtes“ (7. Ausg. 1826), 1790 seine „Geschichte des römischen Rechtes“ (11. Ausg. 1832), die Anfangs „bis auf unsere Zeiten“ ging, bis 1812 eine besondere „Civilistische Litterärgeschichte“ (3. Ausg. 1830) davon abgezweigt wurde; 1792 seine „Juristische Encyklopädie“ (8. Ausg. 1835); 1798 sein „Naturrecht als Philosophie des positiven Rechtes“ (4. Ausg. 1819). Alle diese Compendien Hugo’s, die er schon frühe als Theile eines Ganzen –, „Civilistischer Cursus“ – behandelte, sind anfangs von sehr engem Umfange. Dann aber bestrebt er sich, bei jeder neuen Auflage die Resultate seiner fortgesetzten Beobachtung und die Andeutungen der Inductionsschlüsse, zu denen er gelangt war, ihnen einzufügen; wodurch sie in solchem Maße wachsen, daß z. B. die Rechtsgeschichte, welche im J. 1790 einschließlich der Litterärgeschichte nur 258 Seiten umfaßt, in den gleiches Format und den gleichen Druck beibehaltenden neuesten Ausgaben von 1832 und bezw. 1830 nicht weniger als 1898 Seiten stark ist. Ein genauer Nachweis aller verschiedenen Ausgaben, auch Uebersetzungen etc. seiner Bücher, sowie seiner Einzelaufsätze, findet sich in den Fortsetzungen der Pütter’schen akademischen Gelehrtengeschichte von Göttingen von Saalfeld (1820) S. 295 ff. und Oesterley (1838) S. 414 ff.

Hätte H. jene Ergebnisse mehr, als er gethan hat, monographisch ausgestaltet, so würde er sie wirksamer gemacht haben, als geschehen ist; indem er sie hingegen in möglichst kurzer Formulirung, häufig nur als Einschiebung in den Text der vorigen Ausgabe, lediglich registrirt, macht er nicht nur seine Bücher je länger desto mehr unlesbar, sondern oft auch seine Gedanken und Beobachtungen minder verständlich. Am wenigsten trifft dieser Tadel sein Lehrbuch des heutigen römischen Rechtes, das verhältnißmäßig gut geschrieben ist, und in seiner geistig freien Behandlung des Stoffes weitgreifend gewirkt hat. Es enthält bereits den Grundgedanken des Savigny’schen Systemes. Außer seinen persönlichen Schülern mußte H. überhaupt Solche am meisten anregen, die, wie eben Savigny, sich der gleichen wissenschaftlichen Forscherarbeit gewidmet hatten. Wie fruchtbar für sie die Tüchtigkeit seiner Methode und der Gedankenreichthum seiner Schriften gewesen ist, das haben dieser selbst und viele Andere bei Gelegenheit der Feier von Hugo’s goldenem Doctorjubiläum (10. Mai 1838) mit lebhaftem Danke öffentlich bezeugt. Auch die Praktiker unter seinen persönlichen Schülern rühmten die Brauchbarkeit seiner Anleitungen. Aber da er über [326] seinen einmal eingenommenen wissenschaftlichen Standpunkt nicht mehr hinausging, so blieb er hinter der Gesammtentwicklung der Jurisprudenz zurück, und die Folge davon machte sich seit dem Ende der zwanziger Jahre in Abnahme seiner akademischen Wirksamkeit geltend.

Es mag sein, daß er auch seiner Naturanlage nach das Bedürfniß des wissenschaftlichen Gestaltens weniger, als das des wissenschaftlichen Untersuchens empfunden hat: die Hauptursache für die Selbstbeschränkung seiner Arbeit war seine unerschütterliche Kantische Ueberzeugung. Wie er von seinem Vater erzählt, daß er als Jurist mit gewissenhafter Tüchtigkeit angewandt habe, was er in seiner Jugend gelernt, ohne sich je auf Neues einzulassen, so handhabte er philosophisch selbst die Grundsätze, welche er sich in seiner Jugend angeeignet hatte, nach wie vor, und ließ sich auf die Gedanken der Fichte, Schelling, Hegel niemals ein. Wenn insbesondere Schelling und die Romantiker, in seiner Art auch Hegel, den Kantischen Gegensatz von Natur und Vernunft nicht mehr gelten ließen, vielmehr davon ausgehend, in der Natur selbst sei Vernunft, sich die Aufgabe stellten, in den Naturerscheinungen auch des Rechtslebens diese Vernunft zu erkennen, den sei es bewußt, sei es unbewußt leitenden Gedanken in der Entwickelung jedes Rechtsinstitutes nachzuweisen, so nahm H. an dergleichen keinen Antheil. Er anerkannte keine constructiven Ideen in der Geschichte, sondern hielt den alten, die geschichtlichen Wandelungen lediglich auf menschliche Motive zurückführenden Pragmatismus fest. Sobald die historischen Wissenschaften durch die romantische Strömung beherrscht zu werden begannen, trat er daher mehr und mehr bei Seite und ließ die Führung der von ihm gestifteten Rechtsschule neidlos an Savigny übergehen, seinerseits bei seinem Untersuchen, Sammeln und Sondern des Einzelnen beharrend. Obwol er die civilistische Litteratur nach wie vor mit Aufmerksamkeit verfolgte, verstand er die von jener Strömung ergriffene Jugend nicht mehr, ihr aber erschien er je länger desto ausschließlicher als Vertreter einer vergangenen Zeit, auf deren Gesichtspunkte man sich nicht ferner einzulassen habe, und ward nicht selten für sonderbarer gehalten als er war. – So hat H. gelebt bis zu fast vollendetem 80. Jahre. Er starb zu Göttingen an einer sich schnell entwickelnden Krankheit, am 15. September 1844.

Er war daselbst zum ordentlichen Professor ernannt worden 29. Juni 1792, zum Hofrath 5. Juni 1802, zum Mitgliede der Honorenfacultät 9. März 1807, zum Geheimen Justizrathe 24. Aug. 1819. – Im Jahre 1788 nach Göttingen zurückgekehrt weniger aus Liebe für den Gelehrtenberuf, als um mit Spittler zusammenzuleben, hatte er, als dieser acht Jahre später die Universität verließ, jenen Beruf als den ihm gemäßesten für immer erkannt, und auch den Ort und die Georgia Augusta so lieb gewonnen, daß er in den Jahren 1803 und 1805 Berufungen nach Heidelberg und nach Halle ablehnte. An den Schicksalen der Universität nahm er auf das lebendigste Theil und zog sich noch in hohem Alter unbedenklich die Ungnade der hannoverschen Regierung zu, indem er die Aufhebung des Staatsgrundgesetzes und die Vertreibung der Sieben mit freimüthiger Deutlichkeit beim rechten Namen nannte, und, soweit es seinem loyalen und allem Popularitätshaschen abholden Sinne entsprach, offen auf Seite der Opposition trat. Mit ähnlich freiem und selbständigem Urtheil hatte er ehedem, wie sein Freund Spittler, auch der französischen Revolution gegenüber gestanden. Ein merkwürdiges Denkmal ist das von ihm herstammende, ohne seinen Namen zu Leipzig bei C. G. Hilscher erschienene „Zeitungshandbuch für die französischen Angelegenheiten. Erste Hälfte welche den Convent betrifft. Im April 1795“. Es ist eine Sammlung von biographischen und anderen Zeitungsnotizen, nach Hugo’s Weise zu möglichst genauer Feststellung der Thatsachen [327] bestimmt. In der Vorrede bezeichnet er die Revolution als eine große Naturerscheinung, über die man nicht voreilig zu urtheilen habe, sondern die man studiren müsse. Die ungenannte Dame, welcher das Buch dedicirt ist, war (nach einer Notiz von Benecke, die auch H. als Verfasser nennt, im Göttinger Bibliotheksexemplare) Spittler’s Frau. Die treueste Freundschaft für Beide hielt H. bis zu ihrem Tode und übertrug sie auf Kind und Kindeskind.

Wenn Hugo’s rechtswissenschaftliche Stellung eine ihrer Hauptwurzeln in seinem Kantianismus hat, so besteht sein Verdienst doch keineswegs blos darin, fremde Gedanken mit Geschick auf die Jurisprudenz angewandt zu haben. Er nimmt vielmehr an der in Kant gipfelnden philosophischen Erhebung der Nation durchaus selbständigen Antheil und arbeitet nicht unter, sondern neben Kant. In solcher selbständigen Arbeit ist es ihm gelungen, der juristisch-wissenschaftlichen Methode eine neue Richtung zu geben, die deren spätere weitere Fortschritte erst ermöglicht hat, und an deren Berechtigung, wenn sie heute auch nur noch eines der Elemente der rechtswissenschaftlichen Arbeit ausmacht, Niemand mehr zweifelt. Sein Name wird als der eines der bedeutendsten deutschen Juristen unvergessen bleiben. Wollte man versuchen, seine persönlich-wissenschaftliche Gesinnung mit Einem Worte zu bezeichnen, so müßte diese Charakteristik die der unbedingten Redlichkeit sein, des durch keinerlei Voraussetzung, Conjectur oder Combination beirrbaren Strebens, Nichts als die Wahrheit zu suchen und Nichts als die Wahrheit zu sagen.

Dieser Grundzug seines wissenschaftlichen Charakters war auch der seines menschlichen. H. war ein Mann von starken Empfindungen: Neigung und Abneigung wirkten in ihm mit großer Energie. Doch hatte er gelernt, sich in Zucht zu halten, und beherrschte z. B. ein überaus schmerzhaftes Hüftleiden, das ihn fast die ganze zweite Hälfte seines Lebens hindurch gequält hat, musterhaft. Warmes Familiengefühl, treueste Freundschaft, hülfreiche Wohlthätigkeit, lehrhaftes Wohlwollen, strengste Pflichttreue vereinigte er mit Lebensformen, in denen die französischen Einflüsse seiner Jugend wirksam blieben. Alles das aber wurde beherrscht durch die unbedingteste Verachtung alles Scheinwesens und durch eine demgemäße Offenheit im Ausdrucke nicht blos seiner Urtheile und Meinungen, sondern selbst seiner persönlichen Besonderheiten und allenfalls Schwächen. Es war diese volle Wahrhaftigkeit, welche seiner würdigen Erscheinung den edelsten Glanz verlieh.

Es sei gestattet, unsere biographische Erinnerung mit den Worten des zu Hugo’s Jubiläum ihm erneuten Doctordiplomes (10. Mai 1838) der philosophischen Facultät von Halle zu schließen, von denen er, indem er sie einem Gedenkblatt für Freunde einverleibte, hinzufügt: unter dem mancherlei ihm damals gewordenen Lobe wünsche er am meisten von diesem, „daß man es nicht gar zu übertrieben gütig finden möge“. Sie zeigen, welchem Ruhme er sein Leben lang am meisten nachgestrebt hat: Viro forti, strenuo, justo, propositi tenaci et Georgiae Augustae per totam vitam vindici gravissimo, quod tum philosophia juris ab inanibus commentis vindicata et ad veras communis humanitatis regulas revocata, tum juris romani, imprimis historiae juris romani via monstrata et libris editis et scholis habitis de philosophia non minus, quam de romanis literis praeclare meritus est.

Autobiographische Fragmente von H. finden sich an den im Obigen angeführten Stellen der Beiträge zur civilistischen Bücherkenntniß und des Civilistischen Magazins. Die gleichfalls angeführten Lebensnachrichten bei Saalfeld S. 295 ff. und bei Oesterley S. 414 ff. beruhen nicht minder auf eigenen Angaben. Unter den bei Gelegenheit von Hugo’s Doctorjubiläum erschienenen Schriften, von denen die beste Uebersicht von Richter, Krit. Jahrbb. [328] der deutschen Rechtswissenschaft, Jahrg. 2. S. 481 und 657 gegeben wird, ist die hervorragendste der im vorhergehenden benutzte Aufsatz von Savigny, „Der zehnte Mai“, Zeitschr. für histor. Rechtswissensch. Bd. 9. H. 2, auch in Separatabdruck erschienen. Nach Hugo’s Tode kam eine mehr wohlgemeinte als inhaltreiche kleine Denkschrift von Heinrich Eyssenhardt heraus: Zur Erinnerung an Gustav Hugo, Beitrag zur Geschichte der Rechtswissenschaft, Berlin 1845 (17 S. 8°.). Außerdem s. meinen Aufsatz über Hugo in den Preußischen Jahrbüchern, Jahrg. 1879. Band 2.