ADB:Schlegel, Friedrich von
August Wilhelm studirte. Dieser ward von nun an sein treuester Freund und für geraume Zeit sein innigster Geistesgefährte. Mit ihm versenkte er sich schon jetzt auch in künstlerische und philosophische Studien; er las Winckelmann, Platon, Hemsterhuis; Heyne wurde auch sein Lehrer. Ostern 1791 bezog er, kurz bevor sein Bruder nach Amsterdam übersiedelte, die Universität Leipzig. Wieder stand zunächst noch die Jurisprudenz im Vordergrund seiner Studien; Kunstgeschichte, Philosophie, Litteratur schloß sich daran; aber auch in das luxuriöse und sittenlose Treiben der durch Eleganz und Frivolität damals ausgezeichneten Stadt tauchte S. tief unter. Aufregungen und Verstimmungen, materielle Opfer und seelische Leiden waren die Folge dieses Lebens; indem S. rücksichtslos überall seine Selbstsucht stillte, gelangte er doch nicht aus dem Schwanken zwischen überstiegenem Selbstgefühl und schwermüthiger Unruhe zu voller Befriedigung des Geistes und Herzens. Aus den pecuniären Verlegenheiten rettete ihn die Unterstützung August Wilhelm’s; dem inneren Schwanken machte er im Frühling 1793 theilweise selbst ein Ende durch den nachträglich von den Eltern gebilligten Entschluß, die Jurisprudenz und damit die Aussicht auf eine sichere bürgerliche Versorgung endgültig aufzugeben und frei der Wissenschaft und Kunst zu leben. Noch mehr aber heilte ihn von seiner Weltverachtung, seinem Lebensüberdruß, seinen sittlichen und geistigen Ausschweifungen der Umgang mit der Freundin seines Bruders Caroline Böhmer, die sich, seiner Fürsorge anvertraut, vom Sommer 1793 bis zum Februar 1794 in Lucka bei Leipzig in strenger Zurückgezogenheit aufhielt (vgl. den Artikel Caroline Schelling). Sie gab ihm nach seinem eigenen Geständniß erst die Fähigkeit wieder, das zu werden, was er dann wurde. Auch in seinem Studium raffte er sich jetzt ernster zusammen. Hatte er in den letzten Jahren wahllos Massen von Schriften aus allen Gebieten der Wissenschaft, der älteren und neueren Litteratur gelesen, so wandte sich jetzt sein Interesse vomehmlich der Kunst und dem Alterthum zu: neben den Schätzen der bildenden Kunst, die er gelegentlich bei Ferienbesuchen in Dresden kennen lernte, zogen ihn vor allem die griechischen Dichter an. Schon träumte er von einer Geschichte der griechischen Poesie, in der er namentlich den Geist der Griechen, die Geschichte des sittlichen Menschen bei ihnen zu erforschen gedachte. Geschichte und Staatswissenschaft wurden ihm schon in dieser frühesten Periode seines Lebens Lieblingsbezirke der Wissenschaft. Eine umfassende Geschichte des griechischen Alterthums plante er denn auch zunächst, als er im Januar 1794 zu seiner Schwester Charlotte Ernst nach Dresden übersiedelte; aber auch der Gedanke an eine Kritik seines Zeitalters und Theorie der Bildung, an eine Ergänzung oder Berichtigung der Kantischen Philosophie, an eine Aesthetik und [738] Poetik schwebte ihm vor. Angeregt durch Herder’s Schriften, wollte er für die griechische Litteratur das leisten, was Winckelmann für die griechische Kunst geleistet hatte. Aber ihm fehlte die wissenschaftliche Muße, um in systematischer Ordnung solche weitausschauende Werke auszuführen. Seine bedrängte äußere Lage nöthigte ihn, um sich schneller seinen Unterhalt zu verdienen, für Zeitschriften zu arbeiten. So zersplitterten die großen Pläne zu einer Anzahl von kleineren Aufsätzen und Fragmenten, die S. selbst nur als Skizzen oder gar als „Skizze der Hälfte der Vorrede des ganzen Werkes“ bezeichnete und dereinst als vermischte Schriften oder Beiträge zur Kenntniß der Griechen zu sammeln gedachte.
Schlegel: Karl Wilhelm Friedrich S. wurde am 10. März 1772 zu Hannover als jüngster Sohn Johann Adolf Schlegel’s geboren und theilweise auf dem Lande bei seinem Oheim und seinem ältesten Bruder Moritz erzogen. Anfangs zum Kaufmann bestimmt, begann er seine Lehrzeit bei Banquier Schlemm in Leipzig, fühlte sich aber von diesem Beruf so wenig befriedigt, daß er bald mit dem unklaren Drang nach einem andern nach Hannover zurückkehrte. Auf den Rath der Eltern widmete er sich zuerst der Rechtswissenschaft in Göttingen, wo sein BruderDas Programm dessen, was er für die antike Litteratur im ganzen leisten wollte, enthielt sogleich sein erster, 1794 in Biester’s „Berlinischer Monatsschrift“ gedruckter Essay „Von den Schulen der griechischen Poesie“, ausgezeichnet durch den klaren Ueberblick über die gesammte Entwicklung der althellenischen Dichtkunst, durch scharfe Charakteristik und keck hingeworfene, gedankenreiche und glücklich formulirte Apperçüs. Der hier schon vielfach bemerkbare Einfluß philosophischer Schriftsteller, besonders Schiller’s und Wilhelm v. Humboldt’s, trat noch stärker in den unmittelbar folgenden Aufsätzen Schlegel’s hervor, welche von der Komödie des Aristophanes, der Tragödie des Sophokles, der Diotima in Platon’s „Symposion“ ausgingen und auf die Betrachtung griechischer Kunst und Sitte hinüberleiteten. Parteiisch voreingenommen für das griechische Ideal, das er auch in der Gegenwart wieder aufzurichten strebte, pries S. alles, was ihm ästhetischen Werth zu haben schien, auch als ethisch berechtigt; Kunst und Leben fiel für ihn stets in eines zusammen. Klar und geistreich urtheilte er, wo er einen concreten Stoff in’s Auge faßte; gerne aber schweifte er von einem solchen ins Unendliche ab und scheute sich bei diesen halbphilosophischen Schwärmereien weder vor verworrenen Aeußerungen noch vor überkühnen Behauptungen. Diese Eigenschaften besaß auch sein bedeutendster Essay aus dieser Periode „Ueber das Studium der griechischen Poesie“, 1795 geschrieben, 1797 mit einigen früheren Aufsätzen zu einem ersten (und einzigen) Bande historischer und kritischer Versuche über das classische Alterthum unter dem Titel „Die Griechen und Römer“ vereinigt. S. wollte damit einen Beitrag zur Philosophie der Geschichte, eine Art von Philosophie der ästhetischen Bildungsgeschichte der Menschheit liefern. Der modernen Poesie, deren Charakter das Streben nach dem Interessanten, dem Neuen, dem Individuellen, deren Ursprung künstlich, deren Gipfel die Tragödie Shakespeare’s, besonders „Hamlet“, und deren Endergebniß die höchste Dissonanz, ein „Maximum der Verzweiflung“ sei, stellte er die antike Dichtung gegenüber, die, natürlichen Ursprungs, nach dem Schönen, Allgemeingültigen, Objectiven strebe und in der Sophokleischen Tragödie gipfele. Zu der absoluten Schönheit, die sie von Natur besaß, solle die moderne Poesie durch Reflexion gelangen. Die Möglichkeit, dieses Ziel der Sehnsucht zu erreichen, zeige Goethe, dessen Dichtung als Morgenröthe echter Kunst und reiner Schönheit schon in der Mitte zwischen dem Interessanten und dem Schönen stehe. Neben ihr erkannte S. unter anderm die Philosophie Kant’s und Fichte’s, das Eindringen Herder’s in den griechischen Geist, die Entwicklung unserer Poesie durch Klopstock, Wieland, Lessing, Bürger und zumeist durch Schiller als Vorzeichen einer neuen, besseren Periode der modernen Dichtung.
Dem Jahr 1795 gehörten zwei Schriften an, denen S. eine bedeutende Vertiefung seiner ästhetisch-historischen Anschauungen verdankte, Schiller’s Abhandlung über naive und sentimentalische Dichtung und Friedrich August Wolf’s „Prolegomena ad Homerum“. Pries er die erstere Schrift namentlich in der Vorrede seiner „Griechen und Römer“, so entlockte ihm die letztere nicht nur [739] 1796 einen besonderen Aufsatz über die Homerische Poesie, sondern trieb ihn auch, endlich mit der Ausarbeitung seiner „Geschichte der Poesie der Griechen und Römer“ Ernst zu machen. 1798 erschien davon des „ersten Bandes erste Abtheilung“, wieder nur ein Fragment, vorwiegend eine Abhandlung über die griechische Epik, dazu bestimmt, die philologisch-historische Kritik Wolf’s durch eine ästhetisch-historische zu ergänzen. Indem S. die Kunsturtheile der antiken Schriftsteller über Homer und die alten Epiker der Reihe nach betrachtete und wiederholt besonders gegen Aristoteles ankämpfte, der keinen Sinn für die ältesten Naturgesänge gehabt und die Homerische Dichtung zu sehr unter Gesichtspunkten betrachtet habe, die einzig für die Tragödie gelten können, entwickelte er vortrefflich den Charakter des Homerischen Epos und seinen Gegensatz zur tragischen Dichtung. Wie für ihn stellenweise Wolf’s „Prolegomena“ geradezu „Text und Quelle“ waren, so ist seine feinsinnige, geist- und kenntnißreiche Charakteristik trotz einiger Uebertreibungen im einzelnen grundlegend für jede spätere ästhetische Würdigung der Homerischen Gesänge geworden. Nur ganz skizzenhaft behandelte S. das griechische Epos nach Homer und den ionischen Stil der antiken Lyrik, brach aber gleich, nachdem er sich zur letzteren gewandt hatte, seine Darstellung plötzlich ab und ließ sich auch durch die günstige Aufnahme, die sein Buch in gelehrten Kreisen fand, nicht zu ernster Wiederaufnahme der Arbeit vermögen. Viel dürftiger als diese mannigfachen Fragmente aus der griechischen Litteraturgeschichte fiel Schlegel’s schriftstellerische Production auf dem Gebiete der antiken politischen Geschichte aus. Sie beschränkte sich so ziemlich auf die „welthistorische“ Vergleichung „Cäsar und Alexander“ (1796), die richtiger als eine im ganzen vortreffliche Charakteristik Cäsar’s mit gelegentlichen Seitenblicken auf Alexander bezeichnet werden könnte. Da Schiller diesen für die „Horen“ ihm angebotenen Aufsatz nicht zum Druck annahm, ließ S. eine weiterhin geplante biographische Arbeit über Tiberius Gracchus ungeschrieben.
Er lenkte sein Augenmerk lieber auf die neueste deutsche Litteratur, für die ja auch sein Bruder in hervorragender Weise kritisch thätig war. Ihm, der sich soeben mit Caroline ein neues Heim in Jena begründet hatte, folgte Friedrich ebendahin schon im August 1796. Lange konnte hier nicht seines Bleibens sein. Mit dem bedeutendsten der in Jena lebenden Autoren, mit Schiller, von dessen ästhetischer Fortbildung Kant’s doch S. selbst mit am meisten angeregt worden war, verfeindete er sich im Laufe eines Jahres durch Recensionen seiner „Horen“ und „Musenalmanache“, die er in immer naseweiserem und gröberem Tone für Reichardt’s Journal „Deutschland“ verfaßte, so gründlich, daß Schiller im Frühling 1797 nicht nur endgültig mit ihm brach, sondern auch sein bisher warmes Verhältniß zu August Wilhelm erkalten ließ. Desto inniger schloß sich S. in Jena an Fichte an. Seine Philosophie als consequenteste Fortbildung der Kantischen hatte ihm schon für einige noch in Dresden geschriebene Aufsätze, besonders für den (durch Kant’s Schrift zum ewigen Frieden veranlaßten) „Versuch über den Begriff des Republicanismus“, inhaltlich und formal manches geliefert; sie machte er jetzt recht eigentlich zur Grundlage und Norm aller seiner Ideen. Gerade das Radicale und Revolutionäre, ja das Paradoxe in Fichte’s „Wissenschaftslehre“ zog ihn an. Auf durchaus Fichte’schem Standpunkt zeigte ihn die umfangreiche, durch Schärfe der Charaktertstik vor allem ausgezeichnete Recension der vier ersten Bände von Niethammer’s „Philosophischem Journal“ in der Jenaischen „Allgemeinen Litteraturzeitung“ von 1797. Aber schon die um wenige Monate frühere polemische Beurtheilung des „Woldemar“ von Friedrich Heinrich Jacobi, das Meisterstück einer geistreichen, in das Wesen des kritisirten Schriftstellers und seines Werkes tief eindringenden Charakteristik, hatte die unbedingte Zustimmung Schlegel’s zu Kant’s und Fichte’s System gleichsam [740] zur Folie. Als positives Gegenstück zu diesem Aufsatze entstand 1797 die Charakteristik Georg Forster’s, eine Art von Rettung des oft geschmähten Mannes, den S. als classischen Prosaiker, beseelt vom Geiste freier Fortschreitung, als Künstler von echt sittlicher Bildung und als gesellschaftlichen Schriftsteller warm pries.
Bald nach der Vollendung dieser Schrift, die wenigstens indirect gegen die Anschauungen Schiller’s und Goethe’s gerichtet war, siedelte S. (im Juli 1797) nach Berlin über, in die unmittelbare Nähe Reichardt’s, in dessen Zeitschriften bisher seine revolutionären Aufsätze bereitwillig Aufnahme gefunden hatten. Im vollen Gegensatze zu den platten Aufklärern, die ihr in Berlin noch am wenigsten erschüttertes Ansehen gern auf die Autorität Lessing’s stützten, verfaßte S. alsbald nach seiner Ankunft in der preußischen Hauptstadt den großen Aufsatz „Ueber Lessing“, eine in vielen Beziehungen noch jetzt grundlegende Charakteristik des Lessingischen Wesens und Geistes aus seinen Schriften und Briefen, reich an Witz, Geist, Satire, an glücklichen Apperçüs und prägnanten Schlagwörtern, scharf und vielfach treffend, und doch durchweg einseitig und tendenziös, da S. gerade das immer betonte, was Lessing’s Wesen seinem eigenen verwandt erscheinen ließ, die Mischung von Litteratur, Polemik, Witz und Philosophie, den „höheren Cynismus“, das Incorrecte, Paradoxe und Revolutionäre, und namentlich das Fragmentarische, das Fehlen jeglichen Systems. Im allgemeinen auf dieselbe Anschauung gründete S. noch 1804 die dreibändige, Fichte gewidmete Sammlung von Fragmenten aus Lessing’s Briefen und Werken unter dem Titel „Lessings Geist aus seinen Schriften, oder dessen Gedanken und Meinungen zusammengestellt und erläutert“. Den Mangel seiner eignen Natur, die ihn kein größer angelegtes Werk rein abschließen ließ, machte S. jetzt zu einer Tugend: in Fragmenten erkannte er „die eigentliche Form der Universalphilosophie“; in Fragmenten wollte er daher seine neuen Offenbarungen über Litteratur, Kunst und Leben aussprechen. Selbst der innige Verkehr mit dem streng systematisch, geordnet und fleißig arbeitenden Schleiermacher, den er sich in Berlin zum bewundernden Freunde gewann, vermochte ihn nicht von diesem Irrthum zu heilen; vielmehr bestärkte ihn darin die Bekanntschaft mit den Aphorismen eines von August Wilhelm recensirten geistvollen und satirisch-witzigen Franzosen, des jüngst (1794) verstorbenen Dichters Chamford. Ihnen ähnlich bildete er „Kritische Fragmente“, die er 1797 in Reichardt’s „Lyceum der schönen Künste“ veröffentlichte; Fragmente gleicher Art folgten 1798 und 1800 in der Zeitschrift „Athenäum“, die er als Organ der neuen Schule mit seinem Bruder in Berlin begründete (3 Bände, 1798–1800). Diese Schule, bald die romantische genannt, bildete sich zu Anfang des Jahres 1798 durch die persönliche und litterarische Vereinigung der beiden Schlegel mit Tieck, Bernhardi, Schleiermacher; bald trat auch Novalis zu ihnen. Ihre ästhetische Doctrin bestimmten vor allem Friedrich Schlegel’s „Fragmente“. S. schwankte begeistert zwischen Fichte und Goethe, der nunmehr nebst dem jetzt genauer erkannten Shakespeare und Dante die vorher einseitig verehrten antiken Dichter aus seiner Seele zu verdrängen begann. Er wollte Poesie und Philosophie verbinden und die „absolute Identität des Antiken und Modernen“ erkannt wissen; von der „Kunstlehre der Poesie“, die überall vom Geist der classischen Poesie zeugen müsse, unterschied er die „Philosophie der Poesie“, welche auch das eigenthümlich Moderne umfasse. Als Höhepunkt der Dichtung aber galt ihm jetzt nicht mehr die Tragödie, sondern der Roman, speciell Goethe’s „Wilhelm Meister“, den er bewundernd im „Athenäum“ besprach, neben der französischen Revolution und Fichte’s „Wissenschaftslehre“ eine der „drei größten Tendenzen des Jahrhunderts“. Die echte Romandichtung (oder romantische Dichtung) erschien ihm demgemäß als absolute, ideale Gattung der Poesie, als eine Art von [741] „progressiver Universalpoesie“. Zur Erreichung dieses Ideals forderte S. unter Fichte’s Einfluß namentlich Ironie: die Willkür des Dichters soll kein Gesetz über sich leiden, der Künstler auf sein Meisterwerk selbst von der Höhe seines Geistes herabzulächeln scheinen, die Dichtung die freie, unendliche Subjectivität zum vollendenden Hintergrund haben. Gegen die nüchternen Liebhaber des gesunden Menschenverstandes, besonders gegen die „harmonisch platten“ Aufklärer, sollte diese Ironie und die von ihr untrennbare witzige Paradoxie sich zunächst verwirrend kehren.
Friedrich S. gab den Ton in diesen „Fragmenten“ an, sein Geist durchwehte die ganze Reihe dieser Aphorismen; vielfach wurden dieselben aber auch von den übrigen Genossen des neuen litterarischen Bundes beigesteuert. Allmählich aber änderte sich das; Schleiermacher’s „Reden über die Religion“, zu denen S. Anfangs kein rechtes positives Verhältniß hatte, obwohl er sie schon um ihrer stilistischen Form willen laut pries, gewannen, wie auf alle Romantiker, so auch auf ihn mehr und mehr Einfluß, und mit ihnen die Dichtungen des ihm schon von der Universitätszeit her befreundeten Novalis. Unter solchen Einwirkungen schrieb er die dritte Reihe von Fragmenten unter dem Titel „Ideen“ (1800). Mystisch, unfertig und ungeordnet, sollten dieselben zwischen Schleiermacher und Fichte gewissermaßen vermitteln, die „Reden über die Religion“ berichtigen und überbieten und Schlegel’s unklare Ansicht verkündigen, daß Religion die „allbelebende Weltseele der Bildung“, die „centripetale und centrifugale Kraft im menschlichen Geiste“, das „vierte unsichtbare Element zur Philosophie, Moral und Poesie“ sei.
Dieselbe Verworrenheit übertrug S. in dem zu Anfang 1799 geschriebenen ersten Theil des Romans „Lucinde“ vom religiösen auf das künstlerische und sittliche Gebiet. Er lieferte damit ein ästhetisches Unding, das in möglichstem Durcheinander verschiedene Formen der prosaischen und dichterischen Darstellung mischte, bald Erzählung, bald Charakteristik, bald Empfindungserguß und Reflexion war, weder eine halbwegs einheitliche Handlung enthielt, noch sinnliche Anschaulichkeit der Schilderung bekundete, bald schwülstig-rhetorisch, bald epigrammatisch-spitz, oft aber unklar geschrieben war und den Leser mitunter viele Seiten lang in Zweifel ließ, ob von einem erdichteten Romanhelden oder von Friedrich S. und seinen Meinungen die Rede sei. Zugleich verstieß das Werk rücksichtslos frech gegen alle Sittlichkeit, indem es einer vielleicht oft bloß äußerlichen Sitte gegenüber Natur und Gesundheit als das einzig Ehrwürdige und Liebenswerthe verkündigte und die ironische Willkür nebst dem Witz und der Phantasie nun auch zum höchsten Princip der Ethik machte, daher eine genußreiche Lebenskunst und als Mittel dazu gesetzlose Leidenschaftlichkeit und raffinirte Sinnlichkeit predigte. Bald cynisch-roh, bald lüstern malte S. Situationen aus, die keine unmittelbare Darstellung vertragen, und philosophirte phantastisch darüber. Schamlos nackt und nüchtern ohne jede künstlerische Veredlung stellte er sein persönliches Verhältniß zu der Freundin, die er in Berlin für’s Leben gewonnen hatte, vor aller Welt aus, sein Verhältniß zu Dorothea, der Tochter Moses Mendelssohn’s, die 1798 ihre Ehe mit dem Banquier Veit gelöst hatte, um ganz Friedrich S. angehören zu können (vgl. den Artikel Dorothea Schlegel). Aber auch seine eignen früheren Lebenserfahrungen in Leipzig, seine Beziehungen zu Caroline, Schleiermacher und anderen Freunden, zeichnete S. ziemlich unverhüllt in der „Lucinde“ wieder ab. Nahezu einstimmig sprachen sich die Führer unserer Litteratur, auch die hervorragenderen Romantiker, gegen den Roman aus, um dessen Fortsetzung S. sich in den folgenden Jahren vergebens bemühte; nur Schleiermacher erklärte sich in seinen „Vertrauten Briefen über die Lucinde“ (1800) unbedingt für das Werk, das er aber mit idealisirenden Augen ansah.
[742] Im Herbst 1799 siedelte S. mit Dorothea wieder nach Jena über; sie fanden zunächst im Hause August Wilhelm’s Aufnahme. Hier entstand namentlich als Frucht manchfacher Vorarbeiten über Shakespeare, Cervantes, Boccaccio und andere Dichter das im „Athenäum“ 1800 gedruckte „Gespräch über die Poesie“, das Klarste und Beste, was S. bis dahin überhaupt geschrieben hatte, in seiner Form ein idealisirtes Abbild des geselligen Verkehrs unter den Romantikern zu Jena. Den Kern des „Gesprächs“ bildeten vier Vorträge, ein Aufsatz über die Epochen der Dichtkunst von Homer bis auf die neuesten Erscheinungen in der deutschen Litteratur und, gewissermaßen zu dessen Ergänzung, ein Versuch über den verschiedenen Stil in Goethe’s früheren und späteren Werken, beides litterargeschichtliche Essays, im Geiste Winckelmann’s und Herder’s entworfen, die stellenweise zwar eine umfangreichere Kenntniß (z. B. der spanischen und englischen Litteratur) wünschenswerth machen konnten, überall aber, auch wo sie an Schlegel’s erste Arbeiten anknüpften, ein bedeutendes Reifen seiner Ansichten offenbarten; ferner ein Brief über den Roman, der mit der Vertheidigung des Phantastisch-Witzigen und des Sentimentalen in Jean Paul’s Werken begann, sich entschieden gegen die englischen Familienromane, dagegen für die Italiener, Spanier, für Shakespeare, Sterne, Swift erklärte und in der Theorie des Romans die Verwandtschaft mit der „Lucinde“ nicht verleugnete, und endlich eine neben Fichte besonderes auch auf Spinoza, Jacob Böhme, Schelling und den Orient, zumal die Inder hindeutende Rede über die Mythologie, den „hieroglyphischen Ausdruck der umgebenden Natur in der Verklärung von Phantasie und Liebe“, deren Schöpfung das künstlichste aller Kunstwerke sein, alle andern umfassen und selbst das unendliche Gedicht sein solle, welches die Keime aller andern Gedichte verhülle.
Zur gleichen Zeit gingen philosophische Pläne verschiedenster Art, Gedanken an ein strenges System der Logik, an eine philosophische Zeitschrift, die er mit Schleiermacher herausgeben wollte, an ein eignes, Fichte und Schelling übertrumpfendes metaphysisches System, dem jungen Fragmentisten durch den Kopf. Als aus all dem nichts wurde, versuchte er es im Wintersemester 1800/1801 mit philosophischen Vorlesungen an der Universität Jena, wo er mit Umgehung des Examen rigorosum im August 1800 promovirt und zur Lehrthätigkeit zugelassen worden war. Aber seine paradoxen, jeder streng wissenschaftlichen Ausbildung ermangelnden Einfälle ließen auch dieses Experiment vollständig scheitern; im Sommer 1801 es noch einmal zu wiederholen, konnte er unmöglich wagen. Neben seinen Vorlesungen besorgte S. namentlich die Herausgabe einer Sammlung vermischter Aufsätze aus seiner eignen und seines Bruders Feder, die zu Ostern 1801 unter dem Titel „Charakteristiken und Kritiken“ in zwei Bänden erschien und von neuen Arbeiten Friedrichs besonders einen Aufsatz über die poetischen Werke Boccaccio’s in ruhig-anschaulicher Darstellung fast ohne polemische Ausfälle enthielt.
Daneben beschäftigten allerlei poetische Absichten Schlegel’s Phantasie. Die metrische Fertigkeit seines Bruders hatte ihn angesteckt; als Schüler desselben leimte er mehrere Gedichte zusammen, die hernach im „Athenäum“ und in dem von August Wilhelm und Tieck herausgegebenen Musenalmanach veröffentlicht wurden. Es waren lauter äußerliche Kunststücke der Willkür, rhetorisch gespreizt, meistens in gesucht-künstlichen, spanischen oder italienischen Versformen abgefaßt, dichterisch durchaus von fremden Mustern abhängig, inhaltlich eine neue Wiederholung der von S. schon so oft in Prosa verkündigten Doctrinen und Tendenzen der Romantik. Neben diesen kürzeren Versuchen entstand 1801 das zweiactige Trauerspiel „Alarcos“, im folgenden Jahre gedruckt und durch Goethe’s Gunst einige Male in Weimar und Lauchstädt zur Aufführung [743] (ohne jeden wirklichen Erfolg) gebracht. Aus dem jüngst erschienenen zweiten Band der „Schauspiele“ von Friedrich Rambach hatte S. eine spanische Ballade vom Grafen Alarcos und der Infantin Solisa sowie den Plan eines Dramas von Lope de Vega und ein Stück des deutschen Verfassers, welche beide den gleichen Stoff behandelten, kennen gelernt. Daraus wollte er eine „Tragödie im antiken Sinne des Worts, vorzüglich nach dem Ideale des „Aeschylus“, aber, dem Stoff entsprechend, im romantischen Costüm, machen, eine Mischung des Antiken und des Allermodernsten, äußerlich in den aufs bunteste wechselnden gereimten und reimlosen Versformen aller Art wie innerlich in den dramatischen Motiven, in den Empfindungen, Reden und Handlungen der auftretenden Personen. Bei dem Mangel jeglicher dichterischen Begabung, aller echten Phantasie und alles wahren Gefühls, ebenso wie einer wirklich künstlerischen Behandlung der Sprache wußte S. nicht einmal die für die einzelnen Situationen erforderliche Stimmung zu erzielen; an eine psychologische Motivirung und einen planvollen Aufbau seines Werkes dachte er nicht im entferntesten. Dieser plumpen Fehler seines Trauerspiels und damit der unheilbaren Schwächen in seiner poetischen Anlage überhaupt wurde sich S. auch bei den verunglückten Aufführungen des „Alarcos“ nicht bewußt, sondern trug sich noch Jahre lang mit mancherlei Plänen von Lust- und Trauerspielen, die zum Glücke sämmtlich im Entwurf stecken blieben.
Wie der Jenaer Aufenthalt dem Schriftsteller S. wenig Heil brachte, so auch dem Menschen. Mit Caroline, deren Annäherung an Schelling er mit Argwohn und Groll beobachtete, vertrug er sich von Monat zu Monat schlechter; demzufolge lockerte sich auch sein Verhältniß zu August Wilhelm, der, dieses Mal weniger streng als sein Bruder, die Partei seiner Gattin ergriff. Endlich zog Friedrich, mit den meisten Jenensern zerfallen, doch dem Bruder nach, der sich seiner Vorlesungen wegen nach Berlin begeben hatte. Nach anderthalb Monaten aber vertauschte er (im Januar 1802) die preußische Hauptstadt mit der sächsischen; hier, bei seiner Schwester Charlotte, traf auch Dorothea wieder mit ihm zusammen. Gleichwohl fühlte er sich nach der Auflösung des Jenaer Kreises völlig vereinsamt und durch die Nichterfüllung zahlreicher litterarischer Versprechungen, durch die Nichtausführung vieler Pläne und Bruchstücke seinen Verlegern, Freunden und Lehrern gegenüber in peinlichster Verlegenheit. Dem allen hoffte er zu entfliehen, indem er im Frühling 1802 mit Dorothea nach Paris übersiedelte. Dahin lockten ihn unter anderm die hier aus ganz Europa angesammelten wissenschaftlichen und künstlerischen Schätze, die auch ruhigere Geister wie Wilhelm v. Humboldt und später Uhland anzogen.
In Paris näherte S. sich dem Altfranzösischen, überhaupt dem Studium der romanischen Sprachen, dann dem der französischen Geschichte. Die nächsten Früchte dieser Arbeit waren eine Geschichte der Jungfrau von Orleans (1802), theils aus altfranzösischen, jüngst von Averdy gesammelten und herausgegebenen Memoiren, theils aus Hume’s Geschichte von England übersetzt, und eine Geschichte der Margarethe von Valois (1803), ebenfalls aus gleichzeitigen historischen Quellen geschöpft. Bald aber fesselte ihn mehr als dies alles das Persische und das Indische. Und noch während er sich selbst diese morgenländischen Sprachen so weit vorerst aneignete, daß er die wichtigsten Dichtungen der älteren persischen und indischen Litteratur nothdürftig im Original lesen konnte, plante er sogleich eine persische Grammatik, welche Sprachlehre und Wörterbuch zugleich sein und auch über das Sanskrit mehr Auskunft geben sollte als jedes bisher gedruckte Buch. In der orientalischen Litteratur ging für S. eine völlig neue Welt, namentlich aber eine für seine weitere Geistesentwicklung sehr bedeutsame neue [744] Mystik auf. In der wissenschaftlichen Erkenntniß der morgenländischen Sprachen und Litteraturen ließ er sich freilich bald von seinem Bruder überflügeln. Als wichtigste litterarische Frucht dieser Studien erschien (erst 1808) Friedrich’s Buch „Ueber die Sprache und Weisheit der Inder“, das alles, was man bisher in Deutschland aus zerstreuten Quellen einzeln hatte schöpfen müssen, geistvoll zusammenfaßte und dadurch der deutschen Wissenschaft eine reiche und bedeutsame Anregung gab. Schon sprach S. hier die Ahnung aus, daß Indien die Wiege aller occidentalen Völkerbildung sei, ein für die weitere Entwicklung der Sprachwissenschaft, der vergleichenden Litteratur- und Völkergeschichte überaus fruchtbares Wort. Er selbst wies, Wahrheit und Irrthum mischend, auf die Verwandtschaft der indischen Sprache mit andern morgen- und abendländischen Sprachen in ihrem Wortschatz, ihrer Grammatik und ihrem gesammten inneren Bau, sowie auf das Verhältniß der indischen Religion, Philosophie, Poesie und Cultur zu dem Glauben, Wissen, Dichten und Leben der späteren Völker hin. Indem er sich mitunter in trübe Mystik verlor, hoffte er durch die ganz neue Anschauung des orientalischen Alterthums gegenüber der „zu einseitigen und bloß spielenden Beschäftigung mit den Griechen“ wieder zu der Erkenntniß des Göttlichen und zu jener Kraft der Gesinnung zurückzuführen, die aller Kunst und allem Wissen erst Licht und Leben gebe. Metrische Uebersetzungen aus dem Ramayana, dem Mahabharata, dem Bhagavatgita und andern Dichtungen machten die deutschen Leser zum ersten Mal mit größeren Bruchstücken altindischer Epik bekannt.
Auf weitere Kreise suchte S. durch die Zeitschrift „Europa“ zu wirken, die als eine Art von Fortsetzung des „Athenäum“, nur populärer, weniger gewählt und weniger parteiisch, praktischer und vielseitiger im Inhalt, in zwei Bänden zu je zwei Heften 1803–5 erschien. Sie sollte die Kraft der Poesie, das Licht der Schönheit und Wahrheit so weit als möglich verbreiten und in bunter Mannigfaltigkeit der Gegenstände alles berühren, was die Ausbildung des menschlichen Geistes angehe. Aber dazu reichten seine Kräfte, fast nur durch die seines Bruders und Dorotheens unterstützt, nicht aus. Die übrigen Freunde jedoch, wie Fichte, Schleiermacher, Tieck, konnte er nicht zur Mitarbeit bewegen. Hernach traten dafür jüngere Genossen, unter ihnen die spätere Helmina v. Chézy, Fouqué und Arnim, ein. S. selbst eröffnete die Zeitschrift mit Erinnerungen an seine Reise nach Frankreich und mit geschichtsphilosophischen Phantasien, in denen er Gedanken von Novalis weiterzubilden meinte und darum von der verhängnißvollen Trennung aller Kräfte und Geistesrichtungen im modernen Europa und dem dadurch bedingten Untergang jeder höheren Lebenskraft daselbst, der „gänzlichen Unfähigkeit zur Religion“ und der „absoluten Erstorbenheit der höheren Organe“ in unserm Zeitalter fabelte; wahre Rettung erwartete er nur von Asien, wo noch „alles in Einem mit ungetheilter Kraft aus der Quelle springe“. Dann folgten Aufsätze über die neueste deutsche Litteratur und Philosophie, die sich von den früheren Arbeiten gleicher Art besonders durch das Erlöschen des kritisch-polemischen Eifers unterschieden, Nachrichten vom Pariser Theater, von den hier aufgeführten Stücken und von den daselbst wirkenden Schauspielern, Bemerkungen über seltene Werke der italienischen und spanischen Dichtung, über provenzalische Handschriften, eine trotz mancher Uebertreibungen vortreffliche Charakteristik des Camoens, doppelt achtungswerth, da dem Verfasser das nöthige geschichtliche Material nicht stets in genügender Fülle zu Gebote stand, ferner lyrische Gedichte, besonders Sonette, aber auch Stanzen und Glossen, ein Stück von Racine’s „Bajazet“, mit allerlei metrischen Spielereien übersetzt, endlich Berichte über die in Paris angesammelten Gemälde, darunter etwas ausführlichere [745] Betrachtungen über Correggio, Lionardo, Raffael, Andrea del Sarto, die altdeutschen Meister. Noch unter dem Einflusse Wackenroder’s und Tieck’s, stets im Gegensatze zu der Kunstrichtung der „Propyläen“, erkannte S. nur den altchristlichen Stil und nur die historische oder symbolische Gattung in der Malerei an, sah in Tizian, Giulio Romano, Correggio, Andrea del Sarto die letzten wahren Maler, verwarf mit den späteren Italienern auch die Holländer, die Franzosen und die modernen Schulen überhaupt und trat auch den allergrößten Meistern der italienischen Kunst, einem Raffael oder Michel Angelo, mit nüchterner Kritik nur zu oft tadelnd entgegen. Ueberall ging er von mehr poetischen als malerischen Voraussetzungen aus; überall suchte er auch durch Ausblicke vom Einzelnen auf die Entwicklung der Kunst im allgemeinen anregend zu wirken.
Seinen Unterhalt in Paris gewann sich S. vornehmlich durch Vorlesungen über deutsche Litteratur und über Philosophie; ein glänzender Erfolg war ihm freilich auch diesmal nicht beschieden. Besser wurde seine pecuniäre Lage seit dem Herbst 1803, als sich einige junge Kölner, unter ihnen die beiden Brüder Boisserée, nebst noch ein paar Freunden bei ihm und Dorothea auf Kost und Logis einmietheten. Der Einladung der Brüder Boisserée folgte er dann auch im Spätfrühling 1804 mit Dorothea, die kurz zuvor, am 6. April, getauft und ihm nun auch kirchlich angetraut worden war, nach Köln, wo er vor einem allmählich sich vergrößernden Zuhörerkreis seine philosophischen Vorlesungen fortsetzte (mit tendenziösen Bemerkungen aus seinem Nachlaß von C. J. H. Windischmann in zwei Bänden 1836–37 herausgegeben). Indem S. dabei seine früheren philosophischen Einfälle und Constructionen großentheils aufs neue verwerthete, und in einem confusen Eclecticismus aus Fichte, Schelling, Jakob Böhme und anderen Denkern oder auch speculativen Dichtern schöpfte, baute er sich eine Art von System eines „Idealismus der unbedingten Ichheit“ auf, der alles, auch die Materie, aus einem Geist herleitete, einem göttlichen „Ur-Ich“, einer „unendlichen Ichheit und Einheit“. Für seine äußerlich sich der herkömmlichen Schulterminologie bedienende Schwärmerei war die „höchste Fähigkeit der abgeleiteten Ichheit“ nicht die Vernunft, sondern die Liebe. Von Capitel zu Capitel mischte er zahlreichere mystische und schließlich rein katholisch-kirchliche Elemente in diese Pseudophilosophie ein. Dabei vergaß er niemals die gelegentliche Polemik gegen die „sehr irrigen“ Lehren anderer Denker, von denen er theilweise früher selbst ausgegangen war. Vielleicht das Beste und Klarste in diesen Vorlesungen war der Ueberblick über die Geschichte der Philosophie mit seinen trefflichen (dazu an Paradoxen nicht allzu reichen) Charakteristiken hervorragender antiker und moderner Denker. Nebenher gab S. Bearbeitungen mittelalterlicher Sagen und Rittergeschichten, an denen sich Dorothea und Helmina v. Chézy versuchten, sowie Dorotheens Uebersetzung der „Corinna“ von Frau v. Staël heraus. Er selbst war dichterisch namentlich für das „Poetische Taschenbuch“ thätig, das er in zwei Jahrgängen 1805 und 1806 veröffentlichte. Es enthielt neben Reisebriefen (besonders über die Rheingegenden), eignen und fremden lyrischen Gedichten (unter letzteren mehrere hie und da leicht modernisirte Lieder aus der „Trutznachtigall“ Friedrich v. Spee’s) namentlich das Heldengedicht „Roland“ (1806), in fünfzehn, bisweilen etwas äußerlich zusammenhängenden Romanzen nach dem formalen Vorbild des Herder’schen „Cid“, doch mit Beibehaltung der Assonanzen verfaßt. Den Stoff bot zumeist Pseudoturpin, daneben benutzte S. wohl aber noch andere altfranzösische Quellen sowie das altdeutsche, in Herder’s „Volksliedern“ erneuerte „Ludwigslied“. Der Held seines Gedichts war mehr Kaiser Karl als Roland; die christlich-lehrhaften und legendenartigen [746] Züge der mittelalterlichen Ueberlieferung verstärkte S. hin und wieder noch. So wurde neben seinen Vorlesungen auch diese Dichtung ein Zeugniß seiner von Jahr zu Jahr entschiedener werdenden Hinneigung zum Katholicismus. Unaufhaltsam näherte sich S. dem Uebertritt zur alten Kirche. Auch die öftere innige Berührung mit Personen, die ihm hierin aufs äußerste widerstrebten, so mit seinem Bruder August Wilhelm und dessen Gönnerin, der streng calvinischen Frau v. Staël, zu deren Besuch (ebenso wie zu Ausflügen nach Paris) er mehrmals Köln auf Monate verließ, vermochte ihn von jenem Schritte nicht mehr zurückzuhalten. Am 16. April 1808 legte er mit Dorothea zu Köln das katholische Glaubensbekenntniß ab.
Bald darauf reiste er über Dresden nach Wien, wo er eine Staatsanstellung zu finden und nach dem Beispiel seines Bruders durch öffentliche Vorlesungen erfolgreich zu wirken hoffte. Im März 1809 wurde er hier zum Secretär bei der kaiserlichen Hof- und Staatskanzlei ernannt und machte als solcher den Feldzug dieses Jahres im Hauptguartier des Erzherzogs Karl mit. In schwungvollen Proclamationen forderte er zum Kampf gegen den Despoten Europas auf; im gleichen Geiste redigirte er die österreichische Armeezeitung. Schon in Recensionen für die „Heidelberger Jahrbücher“ aus dem Jahre 1808 hatte er gegenüber der „ästhetischen Träumerei“ und dem leeren Formenspiel vor allem deutschen Sinn von den Männern unserer Litteratur verlangt. Den vaterländischen Ton schlugen nun auch die besten seiner 1809 zuerst gesammelten Gedichte an. Zwar nahm die national deutsche Begeisterung des nunmehr in österreichischen Diensten arbeitenden Dichters oft einen specifisch habsburgischen Charakter an; das Heil Deutschlands erhoffte S. doch nur von dem festen Anschluß aller Stämme an die katholische Kaisermacht. Doch gehörten seine patriotischen Gesänge zu den frühesten und entschiedensten Vorboten der Lyrik der Befreiungskriege, und zugleich waren sie so ziemlich die einzigen poetischen Versuche Schlegel’s, in denen es ihm wenigstens hie und da gelang, einen volksthümlich frischen und echten Ton zu treffen. Von seinen übrigen Gedichten verriethen höchstens einige Romanzen, dann und wann ein symbolisch-parabolischer Versuch und einige seiner spätesten, einer streng kirchlich-mystischen, ja asketischen Tendenz huldigenden Dichtungen (wie das „Klagelied der Mutter Gottes“, „Noah’s Morgenopfer“) wirkliches poetisches Talent. Die meisten bekundeten nur vielseitige künstlerische und litterarische Bildung, eine ungemeine Gewandtheit in der äußerlichen Handhabung der künstlichen (besonders romanischen) Versformen und ein gewisses Geschick, Sinnliches anschaulich zu schildern und Gedankliches durch Bilder anzudeuten. Sehr oft lief Schlegel’s ganze Poesie auf eine unklare Mischung von phantasievoller (oder auch phantastisch wirrer) Beschreibung und sentenziösen Einfällen hinaus. Volles, warmes Empfinden fehlte eben so sehr wie reine Schönheit des sprachlichen Ausdrucks.
Vom Februar bis zum Mai 1810 hielt S. vor zahlreichen, zum Theil fürstlichen Zuhörern und Zuhörerinnen Vorlesungen über die neuere Geschichte (1811 gedruckt). Was er bot, waren mehr allgemeine, philosophische Betrachtungen über die Geschichte des Mittelalters und der folgenden Jahrhunderte; die Kenntniß der äußeren historischen Vorgänge setzte er voraus. Nur die Geschichte Deutschlands und speciell Oesterreichs kam für ihn in Betracht. Von der Entwicklung der übrigen Völker führte er fast nur so viel an, als mit der deutschen oder habsburgischen Geschichte in unmittelbarem Zusammenhange stand. Seine Darstellung wurde so, noch mehr aber durch seine verschönernde Beleuchtung der meisten früheren Habsburger und ihrer Bestrebungen, sowie durch seine innerste Abneigung gegen alles Französische, oft einseitig. In der mittelalterlichen Kaisermacht [747] sah er die Gipfel deutscher Größe; in diesem Sinne conservativ und illiberal, ohne tieferes Verständniß für die Ideen der neuern Zeit, stellte er dieselbe dar, ohne sich jedoch etwa durch seinen Katholicismus zu einer im Wesen ungerechten Schilderung der Reformation oder gar zu persönlichen Angriffen auf die Reformatoren, auf Gustav Adolf und andere Protestanten verleiten zu lassen. Durchaus geistreich, anziehend und anregend, berührte er neben der äußeren politischen Geschichte namentlich auch die innere sociale und nationale, überhaupt die gesammte culturelle Entwicklung Deutschlands in den verschiedenen Zeitaltern. Besonders stark hob er die geschichtliche Bedeutung des Cheruskerfürsten Hermann, Karl’s des Großen, Maximilian’s I., Karl’s V. auch Philipp’s II. und Kaiser Ferdinand’s II. hervor. Gelegentlich warf er auch ein kritisches Wort über die poetische Darstellung welthistorischer Persönlichkeiten, z. B. über Klopstock’s Hermannsdramen, über Schiller’s „Jungfrau von Orleans, dazwischen.
Vor einem nicht minder ansehnlichen Publicum hielt S. im Frühling 1812 zu Wien „Vorlesungen über die Geschichte der alten und neuen Litteratur“, welche 1815 in zwei Bänden im Druck erschienen und bald in mehrere fremde Sprachen übersetzt wurden. In der Gesammtausgabe seiner Werke stellte er diese Vorlesungen an die Spitze, weil sie die Ergebnisse seiner früheren kritischen Arbeiten am vollständigsten enthielten und in allgemein verständlicher Klarheit vortrügen. Sachlich beruhte denn auch seine Darstellung großentheils auf jenen litterargeschichtlichen Studien aus jüngeren Jahren, neben denen er freilich auch, und zwar ohne genauere eigene Prüfung, Hypothesen und Forschungsresultate anderer Gelehrten benützte. Selten aber betrachtete er die einzelnen Perioden der Litteratur noch in demselben Lichte, wie früher. So verwarf er die früher hochgepriesene griechische Religion jetzt völlig und vernahm aus dem Innersten aller griechischen Dichtung den Schmerz über den Verlust einer bessern Menschheit und einer bessern Götterwelt. So blickte er jetzt mit einer gewissen Skepsis auf die neueren romanischen Litteraturen, tadelte selbst an Dante den ghibellinischen Trotz und an den italienischen Dichtern überhaupt die Frivolität und pries fast nur Camoens und Calderon, sonst von neueren Autoren noch Shakespeare, unbedingt. Ueberall suchte er möglichst kühl und besonnen zwischen Vorzügen und Nachtheilen abzuwägen; er vergaß nicht, auf die Schattenseiten der großen Entdeckungen und Erfindungen im fünfzehnten Jahrhundert hinzuweisen, und gab – doch wieder ohne fanatische Uebertreibung – allen erdenklichen Zweifeln über die Bedeutung und den geschichtlichen Gewinn der Reformation Ausdruck. Am meisten wurde durch die kirchlichen Vorurtheile des Verfassers seine Darstellung der Philosophie getrübt, und gerade ihr hatte er einen ziemlich breiten Raum zugemessen, weil er unter Litteratur den „Inbegriff des intellectuellen Lebens einer Nation“ verstand. Je weiter die Betrachtung zu der neusten deutschen Litteratur vorrückte, desto genauer ging S. auch auf einiges Nebensächliche ein und desto kritischer wurde er gegen die allgemein anerkannten Meister unserer Poesie. Entschieden eiferte er nun vom nationalen Standpunkt aus gegen das „falsche antikische Wesen“ und gegen das handwerksmäßige Nachdrechseln alter Sprach- und Kunstformen in der deutschen Dichtung, nicht minder aber gegen den „Sauerteig der falschen Aufklärung“ und den in Deutschland tiefeingewurzelten Sectengeist. Liebe zum Vaterland und zur Religion, deutsch-nationalen und christlich-katholischen Sinn zu erwecken, galt ihm durchweg als Hauptzweck. Auf ein welthistorisches Gemälde der europäischen Geistesbildung kam es ihm vornehmlich an: daher stellte er die der indischen und sonstigen altorientalischen Litteratur gewidmeten Abschnitte nicht nach streng chronologischer Methode an den Anfang seines Werkes, sondern schaltete sie lieber erst nach der [748] Schilderung vom Verfall der griechisch-römischen Litteratur ein, weil erst damals das Morgenland überhaupt mit dem Christenthum aus Europa bedeutsam zu wirken begonnen habe. Auf Detailangaben, auch auf kritische Einzelforschung mußte S. im allgemeinen verzichten; aber immerhin verwerthete er überall in geistreicher und selbständiger Weise eine bei dem damaligen Mangel an litterarischen Hülfsmitteln doppelt bewundernswürdige Fülle von Wissen. Stets verband er ästhetisches Urtheil und geschichtliche Betrachtung. Gerne setzte er die einzelnen Erscheinungen in der Litteratur der verschiedenen Völker in Zusammenhang mit und in Gegensatz zu einander. Seine persönlichen Ansichten sprach er möglichst klar und einfach, nüchtern und bestimmt aus; seine Gabe scharf zu charakterisiren verleugnete sich auch hier nicht.
Daneben war S. in Wien vor allem journalistisch thätig. Den auf Metternich’s Betreiben im März 1810 begründeten „Oesterreichischen Beobachter“ leitete er, da der eigentliche Redacteur, Regierungsrath v. Pilat, damals in amtlichen Angelegenheiten verreist war, während der ersten Zeit und nahm auch später als Mitarbeiter daran regen Antheil. 1812–1813 gab er die Monatsschrift „Deutsches Museum“ heraus. Als ihren Hauptzweck bezeichnete er, Geschichte, Philosophie, Kunst und Litteratur in einem vaterländischen und durchaus deutschen Geiste zu betrachten und weiter zu fördern. Philosophie des Lebens, germanisches Recht, ältere deutsche Verfassungs- und Culturgeschichte, altdeutsche Sprach- und Litteraturkunde, Poesie, Theater, Kunst und Aesthetik überhaupt sollte hier eine Pflegestätte finden, Politik im engeren Sinne jedoch ausgeschlossen bleiben. S. selbst steuerte verhältnismäßig wenig und nicht immer Bedeutendes zu seiner Monatsschrift bei, ein Capitel aus seinen Vorlesungen über Litteratur, gelegentliche Ergänzungen zu denselben, eine Untersuchung und Charakteristik Ossian’s, der Edda und Shakespeares, eine kirchlich einseitige Kritik eines Buches von Friedrich Heinrich Jacobi, Bemerkungen über Gemälde in einem böhmischen Schlosse und noch ein paar Kleinigkeiten. Aber er theilte aus dem Nachlaß des Freiherrn v. Gebler eine stattliche Reihe von Briefen Wieland’s, Lessing’s, Ramler’s und anderer mit und gewann dichterisch oder wissenschaftlich hochbedeutende Mitarbeiter, die ihm bald einen Act aus einem mit Interesse oder Begeisterung aufgenommenen Drama, bald einige lyrische Versuche, bald ausführliche, besonders für die Geschichte der Germanistik wichtige Abhandlungen zur Verfügung stellten. Zu ihnen zählten außer seinem Bruder August Wilhelm Schriftsteller wie Adam Müller, Matthias Claudius, Matthäus v. Collin – auch dem Nachlaß Heinrich Joseph v. Collin’s durfte er einiges entnehmen –, Jean Paul, Zacharias Werner, Fouqué, Graf Christian Stolberg, Theodor Körner und sein Vater, Maler Müller, Friedlich Heinrich Jacobi, Wilhelm v. Humboldt, Jakob Grimm, Görres, Docen, Büsching, Kopitar, Heeren, Böttiger, Caroline Pichler, Amalie v. Hellwig geb. Imhoff und zahlreiche geringere. So kam auch die Leserwelt der Zeitschrift wohlwollend entgegen. An ihrem immerhin frühen Abschlusse waren nach Schlegel’s Erklärung allein die Kriegsereignisse schuld; Anfangs trug er sich sogar mit dem Gedanken, dereinst nach dem Friedensschlusse sein „Museum“ wieder zu eröffnen. Er begnügte sich statt dessen damit, an der größten kritischen Zeitschrift Oesterreichs, den „Wiener Jahrbüchern der Litteratur“, fleißig mitzuarbeiten. Noch einmal trat er 1820 als Herausgeber einer Zeitschrift hervor: in diesem und den folgenden Jahren erschienen sechs Hefte der von ihm seit 1816 geplanten „Concordia“, 1823 zu einem mäßig starken Bande gesammelt. S. wollte hier den gesammten moralischen Zustand unseres Zeitalters, das ganze intellectuelle Leben des deutschen Volkes untersuchen und vom Standpunkte des Christenthums aus dauerhaft begründen und neu bearbeiten, die streitenden Ansichten [749] über Staat und Kirche versöhnen. Adam Müller, Zacharias Werner, Franz Baader und andere Gleichgesinnte liehen ihm dazu ihre Unterstützung. Er selbst lieferte außer einer Besprechung der religiösen Gedichte Lamartine’s, dessen hohe Begeisterung, Tiefe des Gefühls und innige Beseelung er (mit manchen Seitenblicken auf den „dämonischen“ Dichter Byron) rühmte, namentlich eine umfassende Abhandlung „Signatur des Zeitalters“ und einen etwas kürzeren Aufsatz über die Seele. Den tiefen inneren Zwiespalt des Lebens suchte er in der letzteren Arbeit zu erklären und zu versöhnen; von dem Mangel an innerem Frieden ging er in der ersteren Abhandlung aus. In diesem krankhaften Zustand des Zeitalters, dessen Gipfel der Parteienstreit zwischen Unverstand und Unverstand sei, sah er nur eine Folge des religiösen, moralischen und politischen Unglaubens, der sich in den Tendenzen der sogenannten Aufklärung, in dem revolutionär gewordenen Nationalgefühl der Franzosen, in dem Genie der Unwahrheit, kurz in der Herrschaft des zerstörenden Princips, des Absoluten, offenbare. Rettung vor diesem allgemeinen Verfall hoffte er nur von dem „Organisch-Lebendigen und Positiven“, und so strebte er im Einklang mit den ausdrücklich genannten Burke, Gentz, Bonard, Adam Müller, Karl Ludwig v. Haller, auch mit Görres und dem Grafen Maistre, aber im schroffsten Widerspruch zu allem, was er zwanzig Jahre vorher gedacht und gelehrt hatte, nach der historischen Begründung des christlichen Staates in monarchischer Verfassung.
Etwa zur Zeit der Freiheitskriege hatte S. seine völlige Lösung von seiner litterarischen Vergangenheit und von seinen früheren Genossen vollendet. Damals erst wurde auch sein Uebertritt zum Katholicismus in den weitesten Kreisen bekannt. Im Ministerium Metternich’s war er mehrfach thätig, ohne jedoch etwas Selbständig-Bedeutendes zu leisten oder für seine Ideen und Vorschläge die Beachtung und Belohnung zu finden, die er dafür zu verdienen meinte. Während des Wiener Congresses reichte er einen Verfassungsentwurf für Deutschland ein; aber auch dieser wurde ad acta gelegt. Nach der neuen Organisation der vaterländischen Verhältnisse wurde er endlich im October 1815 zum ersten Legationssecretär mit dem Charakter eines Legationsrathes und 3000 Gulden Gehalt bei der österreichischen Gesandtschaft am deutschen Bundestag in Frankfurt a. M. ernannt. Zur gleichen Zeit erhielt er vom Papst den Christusorden. Daraufhin erwirkte er sich die in seiner neuen Stellung ihm werthvolle Erlaubniß, gleich seinem Bruder den alten Adel seiner Familie, um den sich die letzten Generationen derselben durchweg nicht mehr gekümmert hatten, wieder führen zu dürfen. In Frankfurt vertrug sich S. weder mit den subalternen Beamten seines Bureaus noch mit dem Chef desselben, dem späteren österreichischen Minister Graf Buol-Schauenstein; so wurde er denn schon im April 1818 von seiner Stelle wieder abberufen. Doch blieb er noch mehrere Monate theils in Frankfurt, theils zu kürzerem Besuch in Wiesbaden und Aschaffenburg, da über seine weitere Verwendung im Staatsdienste noch nichts bestimmt war. Wieder fühlte er, der sich in Frankfurt an ein behagliches, selbst genußreiches Leben gewöhnt hatte, sich ernsten Geldsorgen ausgesetzt. Bei dieser Unsicherheit seiner künftigen Lage ließ er seine Gattin im April 1818 nach Rom zu zweijährigem Aufenthalte bei ihren Söhnen reisen. Er selbst empfing noch den Besuch seines Bruders August Wilhelm und reiste erst im October und November 1818 über München langsam nach Wien zurück. Hier suchte er sich allmählich in die Wissenschaft wieder einzuleben und begann einen Umriß der Philosophie niederzuschreiben. Aus dieser ruhigeren Arbeit riß ihn eine Reise nach Italien, die er als Begleiter des Fürsten Metternich im Frühling und Sommer 1819 unternehmen konnte. Trotz der Eile, mit der er Italien durchzog, sah er außer [750] Pisa und Pästum alles Wichtige; in Rom, wo er Dorothea und seine Stiefsöhne antraf, in Neapel und Florenz verweilte er länger. Mit sehnsüchtigem Entzücken dachte er an die Reise zurück; aber einen bleibenden, bedeutsamen Einfluß auf sein geistiges Wesen übte sie nicht aus. Nach der Rückkehr fühlte er sich mehrfach krank, so daß er wiederholt während der nächsten Jahre in Baden bei Wien und in Steyermark Erholung suchen mußte. Aus dem gehofften Wiedereintritt in den Staatsdienst wurde nichts, ebenso wenig aus einer etwaigen Anstellung an einer preußischen Universität, zu der August Wilhelm ihm verhelfen sollte. Seine Vermögensverhältnisse gestalteten sich demgemäß immer trauriger. Und die wiederaufgenommene Schriftstellerei konnte er jetzt auch nicht mehr so fördern wie in jüngeren und gesünderen Jahren. Zunächst besprach er in den „Wiener Jahrbüchern“ die deutsche Kunstausstellung in Rom vom Jahre 1819, wieder als warmer Freund der neu blühenden christlichen Kunst, doch etwas maßvoller und weniger einseitig als in den Pariser Aufsätzen. Daran schloß sich ebenda eine sehr umfangreiche Recension der Schrift J. G. Rhode’s „Ueber den Anfang unserer Geschichte und die letzte Revolution der Erde als wahrscheinliche Wirkung eines Kometen“ (1819), ein Versuch Schlegel’s, Religion und Wissenschaft, Bibel und Naturgeschichte (und zwar bis auf die einzelnen Verse der Mosaischen Schöpfungsurkunde) in Einklang zu bringen, nebst allerlei aus Ahnung, Erkenntniß und Irrthum zusammengewobenen Erörterungen über die Urreligion, die Ursprache, den Urstaat, das Urland und den Urstamm. Gleichzeitig beschäftigte ihn die Herausgabe der „Concordia“ und die Sammlung seiner Schriften. Zum großen Theil völlig umgearbeitet, seinen nunmehrigen christlich-conservativen Anschauungen möglichst angepaßt, auch von mancher formalen Rauheit und Schroffheit entkleidet, erschienen dieselben zu Wien 1822–1825 in zehn Bänden, keineswegs vollständig: Einzelnes schloß S. absichtlich aus, da er es seinen jetzigen Grundsätzen gemäß nicht umgestalten konnte; anderes war zur Aufnahme bestimmt, als die Auflösung der Verlagsbuchhandlung ihn nöthigte, die Ausgabe lange vor dem Abschlusse abzubrechen. Bitter kränkte es ihn, daß sein Bruder August Wilhelm gegen seine neuesten Arbeiten in verschrobenen Briefen ebenso wohl wie in öffentlichen Broschüren und Vorreden zu eignen Sammlungen eine unzweideutig feindliche Stellung einnahm und so ein Herzensbündniß schroff zerriß, das er trotz aller Gegensätze der Lebenesanschauung gerne unverletzt bis zu seinem Ende erhalten hätte. Seine übrigen Geschwister sah er bei einem mehrwöchentlichen Besuche Dresdens im Herbst 1824 wieder; auch frischte er dabei die alten Beziehungen zu Tieck wieder lebhaft auf. Seine eignen und besonders Dorotheens Gesundheitsverhältnisse veranlaßten ihn zu mehrfachen Badereisen, die er im Herbst 1825 und wieder im Herbst 1827 bis nach München ausdehnte.
Im Frühling 1827 hielt er zu Wien wieder vor zahlreichen Damen und Herren, die zum Theil der höchsten Gesellschaft angehörten, Vorlesungen, diesmal über „Philosophie des Lebens“ (1828 gedruckt). Indem er im Einzelnen an den Aufsatz über die Seele in der „Concordia“ anknüpfte, setzte er den „Irrthümern“ des Materialismus und Idealismus einen Spiritualismus entgegen, der von der Seele als dem Anfang und dem Ersten ausging, den Geist aber dennoch als das Höchste aufstellte und auch (im Widerspruch gegen den Rationalismus) Gott als lebendigen und persönlichen Geist, nicht aber als absolute Vernunft oder bloße Vernunftordnung auffaßte. So hoffte S. statt der Philosophie der Schule eine Philosophie des Lebens, statt einem bloßen Vernunftsystem eine „innere Erfahrungswissenschaft der höheren Ordnung“ zu liefern, welche die beiden Elemente der Vernunftwissenschaft und der Naturphilosophie in sich aufnehme [751] und zugleich auch wahre Gottesphilosophie, d. h. gewissermaßen eine „angewandte Theologie“ sei. Durchaus auf die Lehren der biblischen und kirchlichen Offenbarung gestützt, dabei von der Ueberzeugung durchdrungen, daß er in einer entscheidenden, kritischen Uebergangszeit aus einer Weltperiode in die andere wirke, wollte S. für die neue Weltepoche den alten scheinbaren Zwiespalt von Glauben und Wissen zur wesentlichen Einheit des rechten Glaubens und des höchsten Wissens versöhnen. Neben manchen geistreichen oder auch praktisch nutzbaren Aeußerungen fand sich in diesen Vorlesungen auch allerlei skizzenhaft und flüchtig Zusammengestelltes, daher gelegentliche Unfertigkeiten und Widersprüche. Formal litten sie an dem Fehler, daß sie in dem Streben Schlegel’s nach Popularität keine streng wissenschaftliche Begründung und Ausbildung eines speculativen Systems darbieten konnten, andrerseits aber für das durchschnittliche Fassungsvermögen seiner Zuhörer doch noch zu hoch, für ihren Geschmack zu streng und zu fachmännisch gelehrt waren.
Indessen ließ sich S. durch den äußeren Erfolg ermuntern, im folgenden Frühling 1828 wieder Vorlesungen in Wien zu halten, nun über Philosophie der Geschichte, welche in zwei Theilen 1829 im Druck erschienen. S. selbst wollte diese Vorlesungen im innigsten geistigen Zusammenhang mit denen des vorausgehenden Jahres betrachtet wissen, gewissermaßen als den zweiten Theil des damals versuchten „neuen Anfangs der Philosophie und des sämmtlichen philosophischen Wissens“. Galt ihm als nächster Gegenstand und als erste Aufgabe der Philosophie überhaupt die Wiederherstellung des verlorenen göttlichen Ebenbildes im Menschen, so faßte er die Philosophie der Geschichte insbesondere als eine historische Entwicklung dieser Wiederherstellung nach dem Stufengange der Gnade in den verschiedenen Weltaltern auf. So stellte er sich denn auch hier durchaus auf den Boden der strengsten kirchlichen Lehre, maß daher den altbiblischen Ueberlieferungen über die Anfänge der Erde und der menschlichen Geschichte den unbedingtesten historischen Werth bei, ging auch bei der Betrachtung der folgenden Perioden stets von biblischen Anschauungen oder mindestens von Worten der Bibel aus und machte für die gesammte Darstellung der mittelalterlichen und neueren christlichen Geschichte das (nicht selten parteiische) Urtheil der katholischen Kirche zur Norm des seinigen. Auch die mannigfachen naturwissenschaftlichen Phantasien, die er zur Erklärung unserer jetzigen Erdbildung und ähnlicher physikalischer Vorgänge bedurfte, wußte er in einen gewissen Einklang mit der Mosaischen Urkunde zu bringen. Uebrigenes galt es ihm gerade in dieser ältesten Geschichte als eine Hauptregel, man müsse nicht alles erklären wollen; er hielt es vielmehr hier für das Sicherste, das, was uns die Ueberlieferung gibt, so, wie sie es gibt, stehen zu lassen, sei auch einiges darin noch so dunkel und räthselhaft. Ueberall zeigte sich S. ungemein unterrichtet auf den verschiedensten Gebieten; aus den meisten dieser Bezirke, aus der Geschichte der Politik, der Sprachen, der Litteraturen, der Religionen, der Cultur im allgemeinen, nahm er aber auch viel Einzelnes in seine Gesammtdarstellung herüber, was man hier kaum suchen würde. Statt einer systematisch genügend gegliederten, geistig freien und wissenschaftlich tiefen Philosophie der Geschichte lieferte er somit in der Hauptsache eine von religiösem und oft auch philosophischem Geiste durchwehte culturgeschichtliche Betrachtung der Entwicklung der Menschheit. Von einseitigem Fanatismus war seine Darlegung durchaus frei; gelegentliche Polemik (etwa gegen die neueste deutsche Naturphilosophie oder gegen die Aufklärung, gegen das Absolute) vermied er nicht.
Den dritten Theil in dieser philosophischen Encyclopädie, die auf sieben Cyclen von Vorlesungen berechnet war, sollten Vorlesungen über Philosophie der Sprache und des Wortes bilden, die S. im December 1828 und im Beginn [752] des folgenden Jahres zu Dresden hielt, wohin ihn Familienangelegenheiten geführt hatten. Im offenen Widerspruch gegen fast alle neueren Systeme, so gegen Spinoza und besonders gegen Hegel, dagegen bis zu einem hohen Grade im Einklang mit Saint-Martin, ging S. wieder von der Ueberzeugung aus, daß der gewöhnliche Zustand unsres jetzigen Bewußtseins der eines zwiefachen Gegensatzes zwischen Verstand und Willen, Vernunft und Phantasie sei. Aus dieser vierfachen Spaltung solle das lebendig vollständige, dreieinige Bewußtsein wieder hergestellt werden, dessen drei Principien Glaube, Hoffnung, Liebe sind. Im ganzen äußern und innern Leben suchte S. immer wieder das Walten dieser drei bewegenden Motive und herrschenden Potenzen; die Sinne des Menschen und ihre Wahrnehmungen, seine Triebe, die verschiedenen bildenden und tönenden Künste, alles brachte er in Parallele zu ihnen. Als wichtigstes Verbindungselement des vierfach getheilten Bewußtseins betrachtete er die Sprache, deren Wesen, Ursprung und mannigfacher Entwicklung er eine besondere, von seinen Zuhörern dankbar anerkannte Aufmerksamkeit widmete. Von den Bestandtheilen der Sprache entlehnte er denn auch die bildlichen Ausdrücke für das Grundschema des menschlichen Bewußtseins, dessen gemeinsamen Mittelpunkt das Gefühl, dessen Schlußstein die lebendige Idee des lebendigen Gottes bildet. Auch diese philosophischen Vorlesungen liefen durchweg auf eine überdies nicht immer klare, oft mystische Theologie hinaus und befaßten sich gern mit der gelegentlichen Construction oder minutiösen Erläuterung von Offenbarungswahrheiten.
Aber ehe S. diese Vorlesungen abschließen konnte, wurde er am 12. Januar 1829 zu Dresden durch einen plötzlichen Tod hinweggerafft. Er erlag einem Stick- und Schlagflusse, dessen Vorboten, Schwindelanfälle und sonstige Kränklichkeit, ihn seit Jahren wiederholt heimgesucht hatten. Unter den schriftstellerischen Plänen, mit denen er sich zuletzt trug, war neben weiteren philosophischen Vorlesungscursen namentlich eine Darstellung seiner philosophischen Lehrjahre. Persönlich scheint S., dessen Egoismus früher keine Rücksicht kannte, in späteren Jahren liebenswürdiger und milder geworden zu sein; dem Toten wurden von den verschiedensten Seiten Worte nachgerufen, die von ungeheuchelter, warmer Liebe zeugten. Geistig anregend wirkte er auch zuletzt noch wie früher, aber in ganz anderen Kreisen und in einem principiell verschiedenen Sinne. Der geistsprühende, revolutionäre Vorkämpfer der neuesten und freiesten Bestrebungen war zum Vertheidiger eines wiederbelebten geistigen Mittelalters geworden; zugleich aber hatte der einstige Fragmentist, der nirgends auch nur das kleinste Stockwerk fertig ausbauen wollte, eine groß angelegte philosophische Encyclopädie in aller Ausführlichkeit systematisch auszubilden unternommen.
- Hormayrs Neues Archiv für Geschichte, Staatenkunde, Litteratur und Kunst. Jahrgang 1829, Nr. 21 und 22: v. Bucholtz, Zur Erinnerung an F. v. S. – Ernst Freiherr v. Feuchtersleben, F. v. Schlegel’s Biographie im 15. (letzten) Bande der 2. Originalausgabe seiner sämmtlichen Werke. Wien 1846. – J. A. Moritz Brühl, Geschichte der katholischen Litteratur Deutschlands vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Leipzig 1854. S. 175–222 (großentheils von Feuchtersleben abhängig). – Helmina v. Chézy, Unvergessenes, Leipzig 1858 (besonders Bd. I, S. 256 ff.). – R. Haym, Die romantische Schule, Berlin 1870 (für die erste Hälfte von Schlegel’s Leben die beste Grundlage aller weiteren Forschung). – F. Schlegel’s prosaische Jugendschriften, herausgegeben von J. Minor. 2 Bände. Wien 1882. – F. Schlegel’s Briefe an seinen Bruder August Wilhelm, herausgegeben von Dr. Oskar F. Walzel. Berlin 1890. – Vgl. auch die Litteratur zu August Wilhelm Schlegel und zu Dorothea Schlegel.
[737] *) Zu Bd. XXXI, S. 376.