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Artikel „Feuchtersleben, Ernst Freiherr v.“ von Jakob Franck in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 6 (1877), S. 730–731, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Feuchtersleben,_Ernst&oldid=- (Version vom 18. Dezember 2024, 01:53 Uhr UTC)
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Feuchtersleben: Ernst Freiherr v. F., geistvoller Schriftsteller und Arzt, geb. 29. April 1806 zu Wien, erhielt seine erste wissenschaftliche Bildung in der kaiserl. königl. Theresianischen Adelsakademie und studirte dann Medicin. Seit 1840 Secretär der kaiserl. königl. Gesellschaft der Aerzte eröffnete er 1844 an der Wiener Hochschule Vorträge zur Vorbildung psychischer Aerzte und wurde noch in demselben Jahre Decan der medicinischen Facultät und 1847 Vicedirector der medicinisch-chirurgischen Studien in Wien. Im J. 1848 erhielt er unter dem Ministerium Dobblhof die Stelle eines Unterstaatssecretärs im Ministerium des Unterrichts, kehrte jedoch, da er sein Streben verkannt und sein Wirken nutzlos sah, schon im October 1848 lieber in das Privatleben zurück, als daß er seiner idealen Auffassung des Lebens untreu ward und seine liberalen Grundsätze verleugnete. Aber die Freudigkeit seines Geistes war damit vernichtet und seine Lebenskraft gebrochen. Schon ein Jahr darauf erlag er einer plötzlichen Krankheit am 3. Sept. 1849.

F. trug die Begeisterung und die Befähigung in sich, Reformator des öffentlichen Unterrichts in Oesterreich zu werden. Er tritt uns als ein ehrenwerthes, wohlthuendes Charakterbild entgegen, das in dankbarer Anerkennung des Angestrebten wol verdient, von seinen verschiedenen Seiten betrachtet zu werden. Daß er, mit an die Spitze der Schulverwaltung gestellt (das Unterrichtsministerium selbst lehnte er im Juli 1848 bescheiden und entschieden ab), kein mechanischer Fortführer altverjährten Herkommens und Brauches sein werde, das konnte man schon aus einzelnen Zügen aus seinem Jugendleben schließen. Seine Willensstärke und Entsagungsfähigkeit zu prüfen und zu üben, legte er sich schon im Theresianum freiwillig persönliche Entbehrungen auf. Er verbrachte ganze Nächte auf der nackten Erde, auf das Bett verzichtend, oder aß sich nur halb satt und ließ gerade seine Lieblingsspeisen unberührt. Selbst die Einladungen ins väterliche Haus während der Ferien schlug er unter mancherlei Vorwänden aus, um sich ein Opfer aufzulegen, das ihn in seinen Augen groß und stark erscheinen ließe. Trotz dieses ungewöhnlichen Bildungszwanges, der sich früh in eigenthümlichen Formen ausprägte, wußte er sich vor Schroffheit und Schwärmerei zu bewahren und gerade ein künstlerisches Maßhalten und eine harmonische Abgrenzung zu gewinnen und in seinem ganzen Auftreten, in seinen verschiedenen Wirkungskreisen als Eigenthümlichkeit seines Lebens hervortreten zu lassen. Wir haben es hier zunächst nicht mit dem sinnigen Dichter, nicht mit dem geschickten gewissenhaften Arzte, nicht mit dem menschenfreundlichen Philosophen zu thun, sondern mit dem Streben eines Mannes, der sein Heimathland zu den Höhen deutscher Bildung und Wissenschaft zu erheben und in untrennbare und umfassende Verbindung mit Deutschland zu setzen bemüht war. Welches Vertrauen er in die Bildungsfähigkeit seiner Landsleute setzte, wie er an eine große Zukunft Oesterreichs gerade in seiner Bedeutung für die Wiedergeburt der deutschen Litteratur und Poesie glaubte, davon zeugt unter anderem folgende Stelle aus seinen „Lebensblättern“: „Es ist kaum zu viel gehofft, wenn wir, insofern überhaupt eine Wiedergeburt der deutschen Dichtkunst bevorsteht, dies von Oesterreich aus verheißen. Hier war es, wo Lessing’s und des unschätzbaren, im übrigen Deutschland verkannten Wieland’s gesunde, fröhliche Pflanzungen in der Josephinischen Epoche für die Dauer Wurzel schlugen; hier gilt der klare Menschensinn, hier ist Volksgefühl für lebendige Poesie. Als noch das ganze übrige Deutschland vom Traum der Schlegel-Novalis’schen Hyper-Romantik gefesselt lag und tiefzarten Unsinn phantasirte, da war es eine einfachklare, ruhige Stimme aus Oesterreich, die des verständigen J. Schreyvogel, genannt West, in seinem trefflichen „Sonntagsblatt“, welche allein das Kind, wenn auch etwas laut, beim rechten Namen nannte, den nun jeder Knabe nachspricht.“ [731] F. schien ganz zum Vermittler deutscher und österreichischer Art und Bildung geschaffen; obwol Katholik, doch schon in seinem 15. Jahre durch Luther’s Schriften zum deutschen Nationalwesen hingezogen; obwol auf österreichischen Schulen erzogen, doch schon früh mit Gedanken erfüllt, die den altherkömmlichen Richtungen seines heimathlichen Lebens wiedersprachen; obwol friedlichen Gemüthes, doch durch philosophirende und ideelle Richtung seiner Natur, dem unveränderlichen Standpunkt seiner Umgebung gegenüber, nicht zu anmaßlich keckem Widerspruch, aber zu verständig begründeter Entgegnung geneigt und in allen feurigsten Umgestaltungsplänen von inniger Vaterlandsliebe und Achtung vor der sittlichen und geistigen Freiheit des Menschen erfüllt. Zur Zeit, als die Wogen des aufgeregten Volkes stürmisch hoch gingen, war es Feuchtersleben’s eifriges Trachten, die Springfluth zu dämmen und die übertretenden Wellen in ein geregeltes Bett zurückzuleiten, in seiner späteren amtlichen Stellung aber, dem ganzen Volke eine Bildung zuzuwenden, welche die einzelnen Glieder des Staates zu einem gesunden, ebenmäßigen und glücklichen Körper verbände. Von F. geleitet veröffentlichte Minister Dobblhof den rühmenswerthen „Entwurf der Grundzüge des öffentlichen Unterrichts in Oesterreich“. Darin sind als Hauptgrundzüge das Recht und die Pflicht des Staates, für den Unterricht der Jugend zu sorgen, die Befreiung von der Bevormundung der Kirche (ohne den Clerus vom Unterrichte auszuschließen) und die Herleitung der akademischen Einrichtungen aus dem wissenschaftlichen und corporativen Begriff der Universitäten aufgestellt. Doch war damals der günstige Augenblick zur Ausführung dieses Planes schon vorüber. Sie scheiterte an manchen politischen Schwierigkeiten, wozu auch der Grundsatz der Gleichberechtigung der Nationalitäten Oesterreichs gehörte, die in der Unterrichtsfrage zur Geltung kommen sollte. In seinen Schriften lernen wir F. nicht nur als gebildeten, denkenden Arzt, sondern auch als einen mit lebensfrischem Humor begabten Dichter kennen. Er verfaßte u. a. „Zur Diätetik der Seele“, 1838. 40. Aufl. 1874, eine Schrift, die für das größere Publicum bestimmt war und worin er mit überzeugender Kraft nachweist, daß die Gesundheit des Körpers durch Kräftigung der geistigen Thätigkeit und der Willenskraft erhalten oder wieder hergestellt werden könne; „Gedichte“, 1836. 4. Ausg. 1846 (das schöne Gedicht „Es ist bestimmt in Gottes Rath“ ist bekanntlich fast zum Volksliede geworden); „Die Gewißheit und Würde der Heilkunst“, auch unter dem Titel: „Aerzte und Publicum“, 1839; „Lehrbuch der ärztlichen Seelenkunde“, 1846; „Beiträge zur Litteratur, Kunst- und Lebenstheorie“, 1841. Seine sämmtlichen Werke (mit Ausschluß der rein medicinischen) wurden von Fr. Hebbel (Wien 1851–53. 7 Bände) herausgegeben, worin auch die von Hebbel verfaßte Biographie Feuchtersleben’s.