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Artikel „Arminius“ von Georg Heinrich Kaufmann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 1 (1875), S. 534–536, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Arminius_der_Cherusker&oldid=- (Version vom 21. November 2024, 19:42 Uhr UTC)
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Arminius stammte aus dem königlichen d. h. dem vornehmsten Hause der Cherusker, aus dem die Führer (duces) gewählt zu werden pflegten. Die Cherusker hatten jedoch damals keinen König, bildeten auch keinen einheitlichen Staat, die einzelnen pagi gingen auch zu Armin’s Zeiten wiederholt verschiedene Wege.

Armin’s Vater hieß Segimer, ein Bruder Flavius, ein Onkel Inguiomer. Seine Gattin war Thusnelda, die Tochter des Segest, eines Cheruskerfürsten wie Armin’s Vater. Segest hatte sie einem anderen verlobt, aber A. entführte sie. Segest war eifriger Freund der Römer, doch ist nicht zu sagen, ob der politische Gegensatz den Familienzwist oder umgekehrt der Familienzwist den politischen Gegensatz veranlaßte. Noch ehe Thusnelda ihren ersten Sohn Thumelicus geboren hatte, lieferte sie ihr Vater 15 n. Chr. in die Gewalt der Römer. Der Sohn wurde in der Gefangenschaft geboren, in Ravenna erzogen und 26. Mai 17 als zweijähriger Knabe bei dem Triumphzuge des Germanicus durch die Straßen Roms geschleppt. Ueber seine späteren Schicksale hatte Tacitus in den verlorenen Büchern der Annalen berichtet, jetzt bleibt uns nur eine frühere Andeutung über schimpfliche Behandlung, die er erlitt. Dies hat die Veranlassung gegeben zu Halm’s „Fechter von Ravenna“ (der übrigens völlig freie Dichtung ist). Daß A. in früher Jugend nach Rom kam, ist unbegründete Vermuthung, doch gewann er das römische Bürgerrecht und die römische Ritterwürde, Ehrenbezeugungen, die er wol hervorragender Tapferkeit im römischen Dienst, wahrscheinlich auf dem Feldzuge des Tiberius zur Unterdrückung des pannonischen Aufstandes dankte und durch die man vielleicht den angesehenen, viel versprechenden Jüngling an Rom zu fesseln hoffte. Wie dem auch sei, jedenfalls hatte A. im römischen Heere gefochten, kannte römische Kriegskunst und führte im Jahre 9 n. Chr. eine Schaar germanischer Hülfstruppen im Heere des Varus. Was ihn auch abhielt, gleich so manchen anderen in diesem Dienste aufzugehen, waren es zufällige Erfahrungen, persönliche Wünsche, war es ein besonders tiefes Gefühl von dem Segen der herabgeströmt auf den Menschen aus der treuen Bewahrung vaterländischer Art, war es ein besonders scharfer Blick für die schlimmen Schäden römischen Wesens, welche der Glanz einer ungleich höheren Cultur nicht heilen sondern nur verdecken konnte – genug A. faßte den Plan, sein Vaterland von der Herrschaft der Römer zu befreien und führte ihn aus durch den Sieg über Varus und die Kämpfe gegen Germanicus. Bald nach der Schlacht im Teutoburger Walde erschienen zahlreiche Werke (Vell. Pat. II. 119), welche den Römern ausführlich schilderten, wie es hergegangen war bei Varus Tod – doch scheinen sie sich mehr [535] bemüht zu haben, den Unfall auf die grenzenlose Thorheit des Varus zurückzuführen, damit der Ruhm der römischen Unbesiegbarkeit möglichst wenig gemindert werde, und packende Bilder von der trunkenen Grausamkeit der Germanen nach dem Siege zu geben, als eine wirklich zusammenhängende Darstellung. Wenigstens lassen die Angaben, welche in die zusammenfassenden Geschichtswerke übergegangen und uns erhalten sind, tiefes Dunkel über die wichtigsten Punkte. Es wird erzählt, daß Varus die Deutschen durch vorschnelle Einführung römischer Rechts- und Verwaltungsformen reizte, doch bleiben wir völlig ungewiß, wie stark die Wirkung solcher Verstimmung war: ungewiß bleiben wir auch über die Vorbereitungen, die A. traf, über die Weite und Bestimmtheit seiner Pläne, ja endlich selbst über die Stellung, die der erst 25jährige Mann den am Aufstand betheiligten Völkerschaften und ihren Fürsten gegenüber einnahm.

Das ist aber sicher, daß nur einige Völkerschaften, etwa die, welche später unter dem Gesammtnamen der Sachsen erscheinen, an dem Aufstande Theil hatten. Die Friesen im Nordwesten, die Sueben und Marcomannen im Süden und Osten hielten sich fern und auch unter den Cheruskern, selbst unter den Verwandten Armin’s waren mehrere römisch gesinnt. Vielleicht schon damals der Bruder Armin’s, der wenigstens 5 Jahre später im Heere des Germanicus gegen A. stritt. Der Vater Armin’s, Segimer, wird von Strabo als einer der vorzüglichsten Leiter des Aufstandes genannt, dagegen ist es zweifelhaft, ob der angesehene Oheim Armin’s, Inguiomer, Theil nahm, da Tacitus (I. 60) bei den späteren Kämpfen ausdrücklich bemerkt, daß er, der seit lange bei den Römern im Ansehen stand, von A. zum Kampfe mit fortgerissen sei. Segest endlich versuchte die äußersten Mittel, um den Aufstand unmöglich zu machen. Er machte dem Varus Anzeige und forderte ihn auf, sämmtliche Fürsten der Germanen, ihn selbst eingeschlossen, gefangen zu setzen. Varus glaubte der Anzeige nicht und als er auszog, um einige Völkerschaften an der Weser zu züchtigen, welche sich auf Armin’s Anstiften gegen die Römer erhoben hatten, ließ er den A., welcher vorgab, Hülfstruppen herbeiführen zu wollen, ruhig zu den Aufständischen abgehen. Die Bewegung der Deutschen wurde übermächtig, selbst Segest scheint gezwungen zu sein, ihr zu folgen und gegen die Römer zu schlagen (Tac. I. 58). So wurde im Teutoburger Walde im Jahre 9 n. Chr. das ganze römische Heer von 3 Legionen (ca. 16000 Mann) und gewiß ebensoviel Hülfstruppen vernichtet. Man hat mit unermüdlichem Fleiße den Ort der Niederlage näher zu bestimmen gesucht, doch ist eine sichere Entscheidung nicht gewonnen.

Die Deutschen besetzten nach dem Kampf die zahlreichen Castelle, welche die Römer am rechten Rheinufer angelegt hatten. Selbst das feste Aliso fiel in ihre Hände, indem die Besatzung durch Hunger gezwungen wurde, einen Ausfall zu versuchen, durch den sie auch an den Rhein entkamen. Die Rheingrenze selbst wurde von den Deutschen nicht bedroht, obwohl die Römer für Gallien, ja für Italien fürchteten. Ueber Aliso s. Giefers in „Forschungen zur deutsch. Gesch.“ VII.

In den Jahren 14–16 n. Chr. erneuerte dann Germanicus, dessen Feldherrnruhm Tacitus mit Vorliebe preist, den Versuch, Deutschland zu unterwerfen. Wiederum stand A. an der Spitze des Widerstandes, auch sein Oheim Inguiomer unterstützte ihn, während sein Bruder Flavius für Rom stritt. A. ist von Segest, dann Segest von der Partei des Armin’s gefangen gesetzt, Segest entkam und gewann einen festen Ort. Da er hier belagert wurde, machte Germanicus auf seinen Hülferuf einen Streifzug in jene Gegend, befreite ihn und machte zugleich in jenem Orte die Thusnelda zur Gefangenen. Man sieht, der Streit der Führer zerreißt auch die Volksgemeinde, den Kampf mit Rom begleiteten innere Fehden.

Germanicus hat Erfolge errungen, er konnte die Gebeine der Varianischen [536] Legionen auf dem Schlachtfelde bestatten, wo sie damals schon über 5 Jahre bleichten, ja er konnte östlich der Weser ein Siegeszeichen errichten – aber seine Heere erlitten furchtbare Verluste und A. war immer wieder im Felde. (E. v. Wietersheim, „Der Feldzug des Germanicus an der Weser im Jahre 16 n. Chr.“ in „Abhandlungen der kgl. sächs. Gesellschaft der Wissenschaften“, Leipzig 1850, Bd. II. p. 430–81.) Deshalb befahl Tiberius, den Angriff aufzugeben, sich auf die Vertheidigung der Grenzen zu beschränken und die Germanen ihren inneren Zwistigkeiten zu überlassen. Wirklich kam es schon im folgenden Jahre (17 n. Chr.) zum Kampf zwischen A. und Marbod, der unter den östlichen Deutschen eine ähnliche, doch schon zu festeren Formen entwickelte Stellung einnahm wie A. unter den Cheruskern. Armin’s Oheim Inguiomer trat dabei auf Marbod’s Seite. Auf beiden Seiten wurde mit Benutzung römischer Kriegskunde gestritten, endlich behielt A. den Sieg und bald darauf wurde Marbod durch einen Aufstand in seinem Reiche zur Flucht auf römisches Gebiet gezwungen. Auch Armin’s Laufbahn erreichte bald ein jähes Ende. Er wurde von seinen Verwandten getödtet im Jahre 21 n. Chr. 37 Jahre alt, nachdem er 12 Jahre an der Spitze seiner Völkerschaft oder eines weiteren Bundes gestanden hatte (Tac. II. 88.) Als Grund seiner Ermordung bezeichnet Tacitus sein Streben nach der Königswürde, doch lassen die Worte nicht bestimmt erkennen, welche Beschränkung seiner Befugnisse er abstreifen wollte. Das Natürlichste scheint die Annahme, daß er nur zum Zweck des Kriegs gewählter Heerkönig war und diese Stellung auch im Frieden zu behaupten suchte.

Eine wirkliche Charakteristik Armin’s gestatten die Nachrichten nicht, von einzelnen Zügen tritt neben der Tapferkeit und Verschlagenheit besonders die ruhige Besonnenheit hervor, welche ihn z. B. auch dann nicht verließ, als seine Gefährten einst im Siegestaumel ein römisches Lager zu stürmen verlangten. Seine ganze Geschichte aber zeigt uns den großen Mann, und ohne Zweifel haben wir in ihm den Befreier Deutschlands zu verehren.