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Artikel „Wietersheim, Eduard von“ von Georg Müller in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 55 (1910), S. 72–89, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Wietersheim,_Eduard_von&oldid=- (Version vom 24. November 2024, 18:16 Uhr UTC)
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Wietersheim: Eduard von W., sächsischer Unterhändler bei der Gründung des Zollvereins, Minister des Cultus und öffentlichen Unterrichtes und Schriftsteller, † 1865. – Eduard Karl August Wilhelm v. W. wurde am 10. September 1787 zu Zerbst geboren. Sein Vater, August Christian Ludwig v. W., war Major im anhaltischen Infanterieregiment „Fürstin von Anhalt-Zerbst“, Erbherr auf Wörbzig, Frenz, Stadt- und Sachsenhagen. Die Mutter war Johanna Friederike Juliane geborene v. Nostitz, Tochter des fürstlichen Geheimen Rathes v. Nostitz-Drzwiecky. 1777 war ein W. von dem Fürsten Friedrich August nach London zur Einleitung der Unterhandlungen über den Verkauf von Zerbster Truppen an England zur Verwendung gegen die nordamerikanischen Colonien geschickt worden, ging auch später mit den Truppen nach Amerika, lebte nach der Heimkehr eine Zeitlang in Jever und trat dann in österreichische Dienste. Es war wohl ein Verwandter des oben genannten Majors. Als dieser den Befehl über die anhaltischen Truppen in [73] Luxemburg übernahm, verlebte der Knabe hier seine erste Jugend. Seine geistige Entwicklung erfolgte ungewöhnlich schnell. Kaum vier Jahre alt, erfreute er seinen Großvater mütterlicherseits durch Vorlesen der Zeitung. 1794 schied sein Vater aus dem Heeresdienste aus und kaufte das damals im Kurfürstenthume Sachsen gelegene Rittergut Mensdorf bei Eilenburg. Der Knabe wurde hier von einem Hauslehrer unterrichtet und kam dann nach Dessau, das damals in Erziehungsfragen großes Ansehen genoß. Zunächst besuchte er die Anstalt des Pestalozzianers Olivier, die dieser nach Auflösung des Philanthropins gegründet hatte (Fritsch, Ernst Tilich, S. 3), dann die des Professors Christoph Friedrich Feder, der als Schriftsteller wie als Schulmann sich zu Rousseau’s Grundsätzen bekannte und u. a. den Erbprinzen Friedrich von Anhalt-Dessau und den Fürsten Pückler-Muskau zu seinen Schülern zählte. Wie W. diesem Lehrer sein Leben lang in Dankbarkeit zugethan war, so blieb ihm aus der Dessauer Zeit der Sinn für Körperpflege und Naturschönheit, dazu das Interesse für Erziehungsfragen eigen. Vielleicht stammte daher auch seine Vorliebe für Beschäftigung mit der Geschichte.

Am 30. April 1804, reichlich 161/2 Jahr alt, wurde er an der Universität Leipzig immatrikulirt. Die Juristenfacultät, in der er seine Studien begann, sah damals noch ihre Hauptthätigkeit in der Wirksamkeit als Spruchbehörde. Als der Ordinarius Heinrich Gottfried Bauer einige Jahre später seine Entlassung einreichte, begründete er sie damit, daß er neben seiner akademischen Thätigkeit in 30 000 Processen mitgewirkt habe (Friedberg, Collegium Juridicum, S. 79). Doch gab es auch tüchtige Vertreter juristischer Wissenschaft: Erhard war der Verfasser des ersten Entwurfs eines sächsischen Criminalgesetzbuches, Christian Gottlieb Biener genoß hohe Achtung und Haubold, Vertreter des sächsischen Privatrechtes, war auch im Auslande angesehen. Die Staatswissenschaften pflegte Gottfried August Arndt im publicistischen, Karl Gottlieb Rössig im cameralistischen Sinne. Als sächsischer Geograph und Statistiker erfreute sich Friedrich Gottlob Leonhardi großer Anerkennung. Eifrig besuchte der Student die Vorlesungen. Wenn sie Sonnabend Mittag beendet waren, wanderte er nach dem elterlichen Gute, um Montag in früher Stunde von da abzurücken und zu rechter Zeit zum Colleg einzutreffen.

Nachdem er im Juni 1807, noch nicht 20 Jahre alt, die juristische Staatsprüfung mit der ersten Censur bestanden hatte, war er zwei Jahre lang Auditor beim Oberhofgerichte in Leipzig und trat nach Fertigung der vorgeschriebenen Probearbeit und bestandenem lateinischen Examen als Assessor bei der Landesregierung in Dresden ein, um bei dieser Behörde die für die höhere Beamtenlaufbahn übliche Vorbildung durchzumachen. Als Supernumerarien wurden hier junge Leute von altem Adel oder Freiherren beschäftigt, die sich dem Staatsdienste widmen wollten. Sie hatten zunächst sechs Monate unter Anleitung eines wirklichen Rathes vorzutragen und übernahmen dann selbständige Referate. Da diese der strengen Kritik der auf die Bevorzugung des Adels eifersüchtigen Doctorenbank ausgesetzt waren, so wurden sie mit der größten Sorgfalt ausgearbeitet. Die Schwierigkeit, Wichtigkeit und Mannichfaltigkeit der zu bearbeitenden Sachen machte den Aufenthalt bei der Landesregierung zu einer vortrefflichen Bildungsschule für den höheren Staatsdienst. Aus den ordentlichen Räthen wurden die Cabinetsräthe und Geheimreferendare, aus den Supernumerarien die Räthe für das Geheime Finanz- und Obersteuercollegium, die Kriegsverwaltungskammer und das Appellationsgericht gewählt. Auch die Amts- und Kreishauptleute wurden von hier berufen. Fast alle hohen Landesbeamten empfingen in der Landesregierung ihre grundlegende Bildung.

[74] Nachdem W. im J. 1811 seinsogenannten Hofrathsspecimina, bestehend in einem Lehens- und einem Cameralfalle, mit höchster Anstrengung gegen sieben Monate bearbeitet hatte, wurde er zum Supernumerar-Hof- und Justitienrath befördert und blieb ohne Gehalt bei der bisherigen Behörde.

Da brachten die politischen und kriegerischen Wirren ihn in eine bewegte Laufbahn, Während der Schlacht bei Leipzig befand er sich in der Stadt. Als jetzt das russische Gouvernement die Regierung Sachsens zunächst von Leipzig aus leitete, übernahm er bei diesem „auf wiederholtes Andringen, mit widerstrebendem Gefühl, jedoch nicht ohne vorher schriftlich erbetene und bedingtermaßen erhaltene Genehmigung des Cabinetsministers von Einsiedel“ eine Anstellung und wurde der Person des Generalgouverneurs Fürsten Repnin, zuerst ganz allein, beigegeben. Jedoch fühlte er sich auf seinem Posten nicht wohl und empfand Gewissensbisse über Annahme der Stellung, trotzdem er der großen persönlichen Güte und Liebenswürdigkeit Repnin’s und dessen Schwagers sich zu erfreuen hatte. Da veranlaßten ihn die Freiheitskämpfe in den Heeresdienst einzutreten, um sich dem inneren Zwiespalte zu entziehen. „An diesem drohenden Abgrunde“, schreibt er in seinem Tagebuche, „der mich entweder ganz verloren oder in einen fürchterlichen Kampf gerissen hätte, rettete mich eben jenes Gefühl (der Begeisterung für die deutsche Sache), was mich mit heißem Durste in den heilig geglaubten Kampf trieb. In diesem Sinne verschmähte ich die Vortheile, die manchen geblendet hätten, und Mittel an meiner Erhebung zu arbeiten, die ich hier nicht suchte, obwohl ich die Wege dazu kannte … Ich sprengte meine Bande und zog ins Feld. – Gottlob, ich war frei!“

Freilich war die Theilnahme an dem Feldzuge eine Enttäuschung. Der Banner der freiwilligen Sachsen, nach dem Vorbilde der Lützower gebildet, zog viele Leipziger an. Neben W. traten Professor Krug und Superintendent Tzschirner in ihn ein. Aber er „blieb in der Hauptsache Spielerei“ (Flathe), lag lange in Chemnitz und Thüringen, marschirte schließlich über Würzburg zur Blokade nach Mainz, wurde nach der Capitulation in die Umgebung verlegt und kam an die französische Grenze, als der erste Pariser Friede geschlossen wurde. W. wurde zum Officier gewählt, benutzte auch die Gelegenheit Paris zu sehen. Im Juni 1814 kam er nach Leipzig zurück.

Repnin suchte ihn wiederzugewinnen. Aber trotz der glänzenden Anerbietungen glaubte dieser „die Pflicht sprechen zu hören und wankte nicht“. Er trat als Supernumerar-Hof- und Justitienrath in die Landesregierung zurück. Als jetzt die Gefahr drohte, daß ganz Sachsen in preußischen Besitz übergehen würde, übernahm er im Sommer 1814 eine Reise nach Wien, wo damals der Congreß tagte; er wollte „die großen Ereignisse und Schauspiele der Gegenwart zu seiner Bildung benutzen und für den Fall der Annektirung Sachsens sich anderweit eine Stellung sichern. Als aber die Erhaltung der Selbständigkeit Sachsens gesichert schien, gab er diesen Plan auf. Nach Dresden zurückgekehrt, hatte er wegen seiner Dienstleistung im russischen Gouvernement manche Unannehmlichkeiten zu erdulden. Er schreibt: „Mit der Aussicht auf die Rückkehr des Königs wuchs aber auch in dieser furchtbaren Zeit der Verstellung, des Mißtrauens und der Verfolgung der bittere Argwohn und die Gehässigkeit der Royalisten gegen offene und heimliche, wahre und vermeinte Feinde der guten und rechtlichen Partei dergestalt, daß auch ich in Betracht meines früheren Verhältnisses nur nach und nach mit äußerster Anstrengung mich von schwerem Verdachte reinigen konnte.“

Vielleicht war auch seine äußere Erscheinung für eine außerordentliche Beförderung ein Hemmniß. Eine kleine bewegliche Figur, etwas unsicher [75] infolge von Kurzsichtigkeit, reichlich oft mit goldenem Löffelchen aus kostbarer Dose schnupfend, schien er Manchem mehr für den Regierungstisch als für Stellungen mit starker Repräsentation nach außen geschaffen.

Jedenfalls mußte er es zwei Mal erleben, daß er, wiewohl an erster Stelle vorgeschlagen, eine erledigte Amtshauptmannschaft nicht erhielt, auch sonst nicht berücksichtigt wurde und sich mit einer ständigen Stelle in der Landesregierung begnügen mußte, allerdings mit der Zusicherung des Ministers, daß der König mit den bisherigen nützlichen Diensten zufrieden sei und ihn in der Regierung nützlicher als anderswo gebrauchen könne.

Erst mit Beginn der Regierung König Anton’s wurde er schneller befördert. 1827 erfolgte seine Ernennung zum Kreishauptmann des Voigtländischen Kreises mit dem Sitze in Plauen. Bei seinem Amtsantritte erklärte er in einem Schreiben an die unterstellten Behörden: „Schriftliche Verhandlungen werde ich vermeiden und abkürzen, soweit die Geschäftsordnung es gestattet. Der Geist meines Berufes, der, unmittelbar in das Leben eingreifend, den Keim des Guten überall wecken und dessen Gedeihen zu ersprießlicher Frucht pflegen und leiten soll, bedarf oft einer lebendigeren Mittheilung, als das schriftliche Wort sie zu gewähren vermag.“

Wie er gemäß dieser seiner Anschauung praktisch in seinem Kreise eingriff, z. B. kurz nach seinem Amtsantritte bei Gelegenheit einer Ueberschwemmung des Elsterthales sich thatkräftig der Bewohner annahm, so suchte er auf die Gesetzgebung und Regierung durch Anregung, Kritik und Vorschläge einzuwirken. Sein Bezirk, wie ganz Sachsen, befand sich in einer schwierigen Lage: Gewerbfleiß und Handel lagen darnieder, die Prohibitivzölle an den enger gewordenen Grenzen erschwerten oder verhinderten die Ausfuhr; Muthlosigkeit und Niedergeschlagenheit machten sich breit.

Da reichte der neue Kreishauptmann am 1. October 1827 ein Gutachten über die Hebung und Unterstützung des Fabrikwesens ein. Er ging davon aus, daß die Natur den größten Theil Sachsens für das Fabrikwesen geschaffen habe; daß Gewerbe, die dem Welthandel angehören, die Aufmerksamkeit und Fürsorge der Regierung bedürfen. Lange sei das beneidete Sachsen den Nachbarländern hierin vorausgegangen, jetzt sei durch die Prohibitivsysteme ringsum der gleiche feste Schritt der sächsischen liberalen Handelspolitik mit dem Bedürfnisse in einen drückenden Gegensatz gestellt. Die Mittel Sachsens zu directer Unterstützung des Gewerbes hätten sich seit 1815 beinahe in dem Grade vermindert, in dem der innere Bedarf einer solchen sich vermehrt und auswärts ein neues reges Leben in den Nachbarstaaten sich entwickelt habe. Er verwies auf Preußen, Baiern und Oesterreich. Diese doppelt nachtheilige Stellung Sachsens zum Auslande führe übereilte Urtheile und Vergleiche herbei, die den treuen Staatsdiener schmerzten. Er gab daher 1. die Hinweisung auf einen neuen Fond zur Unterstützung des Gewerbes und 2. Bemerkungen über dessen Verwendung. Hier hob er hervor, daß es den Behörden noch an derjenigen innigen Verbindung mit dem Handelsstande fehle, die es ersteren allein möglich mache, das eigene Urtheil und den Blick dieses in Gewerbsangelegenheiten für ihre Zwecke zuverlässig zu benutzen. Denn der Fabrikant habe bei allem isolirten Interesse doch auch einiges Gemeinsame, welches, geweckt und weise benutzt, reiche Frucht tragen könne. „Verbesserung der jetzt vorhandenen und Einführung neuer Maschinen ist eines der dringendsten Bedürfnisse unseres Fabrikwesens. Es ist nicht zu viel gesagt, daß Millionen für Sachsen gewonnen sein würden, wenn es seit zehn Jahren Bobbinet-Maschinen gehabt hätte. Der Verfall unserer Spinnereien, lediglich die Folge ihres Zurückbleibens hinter den neueren englischen Verbesserungen, [76] hat schon viele brotlos gemacht und bedroht im Gebirge und Voigtlande noch die Existenz von 10 000 Menschen, während der ungeheure Verbrauch des Landes in demselben Artikel lediglich durch das Ausland befriedigt werden muß und Sachsens Weber von England abhängig macht. Gerade das Maschinenwesen aber bedarf am dringendsten einer kräftigen Unterstützung der Regierung, theils durch Bildung mechanischer Institute, woran es leider noch ganz gebricht, theils durch Anschaffungen von Modellen, Reisen u. s. w. Das Voigtland hat beinahe den größten Theil seines Handels in glatten baumwollenen Waaren nur darum verloren, weil es hinter der englischen und schweizer Appretur zurückgeblieben ist, und dieses wieder ist nur darum geschehen, weil kein Einzelner Fond und Muth hatte, die kostspieligen Appretur-Anstalten des Auslandes herzustellen, was durch gemeinsame Kraft, von der Regierung unterstützt, wahrscheinlich leicht gewesen sein würde.“

Eine Anerkennung seiner Thätigkeit und Auffassung durfte W. bereits im Jahre darauf in seiner Ernennung zum Kreishauptmann des erzgebirgischen Kreises mit dem Sitze in Zwickau erblicken. Wie er in dieser einflußreichen Stellung seine Anschauungen in die That umsetzte, so stellte er auf dem Landtage von 1830 als Mitglied der Ritterschaft den Antrag auf Erlaß einer allgemeinen Städteordnung.

Nachdem er bei der neuen Organisation am 29. September 1830 zum Director der Landes-Oekonomie-, Manufaktur- und Commerziendeputation ernannt worden war, bekam er entscheidenden Einfluß auf die Verhandlungen wegen Einführung der Gewerbefreiheit und Begründung eines ganz Deutschland umfassenden Zollvereins. In einem eingehenden Gutachten vom 22. September 1830 empfahl er die „gänzliche Vertilgung aller Behinderung des Fabrikwesens durch den Innungszwang“ und hob hervor: „Ein Volk, dessen nationales Leben an die Früchte seines Gewerbfleißes geknüpft ist, das in dem höchsten Aufschwunge, in der freiesten Entwicklung dieses seine einzige Rettung aus äußerer Bedrängniß sieht, fordert mit Recht, daß dieser gewichtigen Rücksicht jede andere nachgesetzt werde.“ Eine eingehende Begründung und Schilderung des Zustandes und Rückganges in den einzelnen Landestheilen hob die Nothwendigkeit thatkräftigen Eingreifens hervor.

Bei den Verhandlungen über den Zollverein vertrat er, zunächst ziemlich alleinstehend, den engen Anschluß an das preußische System, das später sich als Odem und Leben des großen deutschen Zollvereins erwiesen hat. Darin sah er die Ueberwindung der Schwierigkeiten, die mit den entgegenstehenden Interessen des Handels und der Industrie zusammenhingen, stellte eine günstige Wirkung auf Sachsens wirthschaftliche Verhältnisse in Aussicht, versprach eine leichte, einfache und klare Beilegung des Widerstreites zwischen Handelsfreiheit und Gewerbeschutz, hob aber auch die dadurch bedingte Aenderung des bisherigen Steuersystems hervor, aus der sich, ähnlich wie in Preußen, große Einnahmen ergeben würden.

Die durch die Septemberrevolution 1830 ans Ruder gekommenen Männer, namentlich v. Lindenau und v. Zeschau, unterstützten seine Vorschläge. Zu der entscheidenden Sitzung vom 25. December 1830 wurde er zugezogen. Drei Tage später berichtete der Geh. Legationsrath v. Jordan dem Könige von Preußen, daß Sachsen bezüglich der Steuern und des Handels das preußische System annehmen werde. Am Tage darauf schrieb König Anton an Friedrich Wilhelm III. den Wunsch, in eine nähere commerzielle Verbindung mit den preußischen Staaten zu treten und dadurch ebensowohl dem Besten seiner Unterthanen zu entsprechen, als zur Begründung eines freien Verkehrs im Umfange deutscher Bundesstaaten beizutragen. Das Anerbieten [77] wurde freundlich aufgenommen. Bei den in Berlin stattfindenden Verhandlungen erschien Zeschau und W.

Einen Einblick in den Gang und die Schwierigkeiten der Verhandlungen bietet des Letzteren Niederschrift im Geheimen Staatsarchive zu Berlin über eine Berliner Conferenz vom 24. Juli 1831, in der die wesentlichsten Gegensätze über die Zoll- und Handelsvereinigung in Berathung gezogen wurden. Der erste Punkt betraf die preußischen Ausgleichungs- oder Schutzsteuern von einigen sächsischen Fabrikaten. Da die sächsischen Commissare die Bereitwilligkeit ihrer Regierung, die fraglichen inneren Consumtionssteuern Preußens zu gleicher Zeit mit der jenseitigen Gesetzgebung über Ein-, Aus- und Durchgangszölle in Sachsen einzuführen, nochmals aufs bestimmteste erklärten, wurde von den preußischen Bevollmächtigten der bereits früher ertheilten Zusicherung gemäß der Wegfall der Ausgleichs- oder Schutzsteuern bestimmt ausgesprochen. Der ursprünglich für den 1. Januar 1832 in Aussicht genommene Anfangstermin wurde auf den 1. Juli 1832 oder spätestens 1. Januar 1833 hinausgeschoben. Bis dahin hoffte Sachsen alle Vorbedingungen und Vorbereitungen, namentlich auch die Entlassung aus dem mitteldeutschen Handelsverein bewirken zu können. Dann wurde über den Umfang verhandelt, in welchem die preußische Besteuerung innerer Erzeugnisse in Sachsen einzuführen sein werde und dabei von beiden Theilen anerkannt, daß bei dem Wegfall aller Grenzbewachung zwischen beiden Ländern hierunter auch völlige Gleichstellung in solchen eintreten müsse und daher in Sachsen namentlich nicht allein die preußische Braumalz-, Branntwein- und Weinmoststeuer, sondern auch die Tabaksteuer einzuführen sei. Ebendiesen Grundsatz wollte man preußischerseits nunmehr als Folge einer unbedingten gegenseitigen Verkehrsfreiheit auch auf die Salzverkaufspreise in Sachsen ausgedehnt wissen. Sachsen erklärte sich dazu sofort bereit, wenn preußischerseits der Salzpreis von 15 Thalern pro Tonne auf 13 Thaler herabgesetzt würde. – In der zweiten Streitfrage, der Gleichstellung Leipzigs mit den preußischen Meßplätzen hinsichtlich der Zollvergünstigungen, gelangte man zu keiner Annäherung der sich durchaus entgegenstehenden Ansichten. – Die dritte wesentliche Meinungsverschiedenheit betraf die Entschädigung der aus einem Zollverein zwischen Preußen und Sachsen für ersteres entspringenden finanziellen Verluste. Es handelte sich um die Frage, ob Sachsen allein oder Preußen mit den Verlust zu tragen habe.

Nachdem W. nach Dresden zurückgekehrt war, wurde ein Gutachten des Leipziger Handelsstandes über Gleichstellung der Meßplätze herbeigezogen. Darauf arbeitete er eine umfängliche Darstellung des sächsischen Standpunktes mit neuen Vorschlägen aus, die am 29. August 1831 in Berlin von dem sächsischen Gesandten v. Watzdorf überreicht wurden. Von besonderem Interesse ist ein Privatbrief, den W. am 16. August an den preußischen Commissar, Legationsrath Eichhorn, richtete, in dem er die einzelnen schwierigen Punkte hervorhob, z. B. über die Modifikation des Elbzolls, „deren einleuchtende Gerechtigkeit und Billigkeit Ihre Regierung gewiß auch zu einer angemessenen Beachtung unserer Wünsche bringen wird.“ Er erwähnt bezüglich der schwierigen Frage des Meßrabatts das Gutachten des Leipziger Handelsstandes, nach dem die Bevorrechtung von Frankfurt a. O. sicherlich zum Ruin der Leipziger Messe, infolge dessen aber des gesammten Handelsplatzes führen müsse und fuhr fort: „Unter diesen Umständen werden Ew. Hochwohlgeboren selbst erkennen, daß meine Regierung auf eine Vertragsbedingung nicht eingehen kann, welche, dem Grundsatze der Handelsfreiheit, dem Grundsatze der Gleichheit der Rechte unter den contrahirenden Theilen geradezu zuwiderlaufend, [78] – um ein jenseitiges Localinteresse sicher zu stellen – ein verhältnißmäßig für Sachsen ungleich wichtigeres Landesinteresse, welches den Leipziger Handel in mehrfacher Hinsicht, selbst in Beziehung auf den Fabrikstand für solches darbietet, einer Gefahr preisgeben würde, deren Folgen sich hier nicht übersehen lassen. Keine Regierung aber, am wenigsten eine constitutionelle, dürfte wohl – einer so ausdrücklichen Erklärung der Repräsentanten des gefährdeten nationalen Interesses entgegen – die Verantwortlichkeit einer so großen und bedenklichen Maßregel, wie die vorliegende, auf sich zu nehmen vermögen. Dieses wird vor allen die Ihrige, welche die Wünsche Ihres Volkes so weise aufzufassen, so geschickt und sorglich zu beachten weiß, nicht anders als richtig zu würdigen, nicht anders als wohlwollend zu beurtheilen im Stande sein. Sachsen verlangt nichts anderes, als Sie selbst im 17. Artikel Ihres Entwurfs und in dessen Erläuterungen für billig, gerecht und nothwendig im Grundsatze anerkannt haben, allgemeinen Wegfall alles Meßrabatts, d. i. bis auf diejenige unbedeutende Erleichterung, welche in den Meß- und Regieverhältnissen selbst eine unvermeidliche Begründung findet. Nur auf eine solche, zugleich gerechte und richtige Grundlage gestützt, kann gewiß auch ein großer deutscher Zollverein dauernden Bestand haben und wahrhafte Frucht bringen. Es ist innig zu bedauern, daß eine jenseitige Localrücksicht, deren Billigkeit an sich vollkommenes Anerkenntniß verdient, sich so feindlich zwischen die gute, große Sache gedrängt hat; man kann aber die Hoffnung immer noch nicht aufgeben, daß eine Regierung, die durch ein aufgeklärtes, freisinniges Verwaltungssystem schon so Wichtiges und Ersprießliches für Preußen und Deutschland gewirkt hat, auch in diesem – allerdings schwierigen – Gesichtspunkte bei der Sache sich bestimmen lassen werde.“

Am 21. September 1831 beantragte W. mit Zeschau die Zulassung zu den Verhandlungen Preußens mit den Regierungen von Baiern und Württemberg wegen Einführung eines gleichen Maaß-, Münz- und Gewichtssystems. Die preußischen Commissare beantworteten die oben erwähnten sächsischen Vorschläge unter dem 25. November 1831. W. hielt eine mündliche Verhandlung für erfolgreicher und fragte in Berlin wegen Feststellung eines Termins an. Am 15. März 1832 sprach er die Hoffnung aus, daß der Abschluß der Verhandlungen mit Baiern und Württemberg auch für Sachsen einen günstigen Erfolg in Aussicht stellen möge.

In der folgenden Zeit ist er bei den Berliner Verhandlungen nicht mehr betheiligt. Wie er schon früher mehrfach die drängenden Dresdener Geschäfte als Hinderniß in Berlin zu erscheinen bezeichnet, so mochte jetzt die Reformarbeit auf dem Gebiete der Gesetzgebung und seine Stellung als Regierungscommissar bei den ständischen Verhandlungen ihn in Dresden festhalten, namentlich nachdem er 1832 Mitglied des Staatsrathes und mit der Umgestaltung des Steuerwesens beauftragt worden war. 1833 wurde ihm das Ritterkreuz des sächsischen Verdienstordens, preußischerseits der Rothe Adlerorden II. Classe „als ein Anerkenntniß seiner eifrigen und einsichtsvollen Bemühungen bei der Unterhandlung und dem Abschlusse der vor kurzem zu Stande gekommenen Zollverträge“ verliehen. Aus dem Dankschreiben an den preußischen Minister geht seine Freude an dem Werke hervor: „War auch meine Mitwirkung bei der nun ins Leben getretenen deutschen Zollvereinigung nur eine sehr geringe, so läßt doch jede, selbst die entfernteste Theilnahme an einem großen und segensreichen Werke erhabene Erinnerungen zurück, ein Bewußtsein, dessen Werth für mich noch durch das Andenken an die hohen [79] und ausgezeichneten Staatsmänner vermehrt wird, deren persönliche Bekanntschaft und wohlwollende Aufnahme ich jenen Unterhandlungen verdanke.“

Unterdessen war er an neuen wichtigen Arbeiten betheiligt. Seine Ernennung zum Präsidenten der Landesregierung hatte die Ernennung als Regierungscommissar für die gesammten in den Geschäftskreis des Ministeriums des Innern einschlagenden Gegenstände zur Folge gehabt. Er vertrat die sämmtlichen an die Stände gelangenden Vorlagen, so das Heimathgesetz von 1834, die Brandversicherungsgesetze von 1834/35, den Entwurf einer allgemeinen Städteordnung, das D-Gesetz von 1835, die Medicinalorganisation vom folgenden Jahre, die Armenordnung von 1840, die Landgemeindeordnung u. a. m. Seine Reden aus dieser Zeit liegen nicht in stenographischen Niederschriften, sondern nur in den gedruckten Protokollauszügen vor. Ruhig und sachkundig entwickelte er den Standpunkt der Regierung, in vermittelnder Form ging er auf die Wünsche der Stände ein, wenn er z. B. in einer seiner ersten Reden über die Verleihung größerer Rechte an die Juden erklärte: „uns als dem größeren Theile liege es wohl ob, ihnen entgegenzukommen, ihnen die Hand zum Frieden zu bieten, doch nur mit Vorsicht und Behutsamkeit, und dieses wird geschehen können, wenn man der Ansicht nachgeht, welche in letzter Sitzung von dem Abgeordneten, Herrn Eisenstuck, entwickelt worden.“

Daneben hatte er in seinen Stellungen großen Einfluß auf die Bildung der Beamten. „Die Wietersheim’sche Schule hat viel dazu beigetragen, dem Beamtenthum vor allem jenen trefflichen Geist einzuimpfen, vermöge dessen der Beamte sich als wirklicher, zu voller Krafthingebung verpflichteter Diener des Staates fühlt, dem das von ihm bekleidete Amt nicht als solches, sondern nur in der Art seiner Pflichterfüllung Ansehen und Ehre gibt.“

1835 wurde er zum Kreishauptmann von Dresden bestellt, erhielt auch das Comthurkreuz des Verdienstordens in Anerkennung der „ferner in ausgezeichneter Weise dargelegten Berufstreue und einsichtsvollen Geschäftsleitung“. Der Ernennung zum Wirklichen Geheimen Rathe folgte die zum Mitgliede des Ordensrathes, auch zum Spruchmann des durch Artikel II des Bundesbeschlusses vom 30. October 1834 zur Erledigung der Streitigkeiten zwischen Regierungen und Ständen eingesetzten Bundesschiedsgerichtes. Zahlreiche, gelehrte und praktische Zwecke verfolgende Gesellschaften ernannten ihn zum Ehrenmitgliede.

So war er eine bekannte Persönlichkeit, als er 1840 zum Minister des Cultus und öffentlichen Unterrichts ernannt wurde. Er übernahm und führte die Geschäfte in einer Sturm- und Drangzeit, in der die kirchlichen wie die pädagogischen Fragen unter dem Einflusse der Bedürfnisse der neuen Zeit Gegenstand lebhafter Erörterungen und Auseinandersetzungen, Forderungen und Wünsche waren.

Auf kirchlichem Gebiete machten sich die verschiedensten Strömungen mit Macht und Hast geltend. In vielen Kreisen klang noch eine Verstimmung darüber nach, daß beim Jubiläum der Augsburgischen Confession 1830 die Behörden, namentlich in Dresden und Leipzig, eine gewisse Zurückhaltung gezeigt hatten. Das am 19. Februar 1827 ohne nochmalige Vernehmung mit den Ständen erlassene Mandat über die katholisch-geistliche Gerichtsbarkeit und ähnliche Maßregeln hatten Befürchtungen hervorgerufen, als ob es sich nicht um Gleichstellung der Confessionen, sondern um den Vorrang der katholischen Kirche handele. Jetzt erhoben auch die Stände Beschwerden wegen einzelner Uebergriffe katholischer Geistlicher und verhandelten 1843 und 1845 über den Antrag auf Erlaß eines Regulativs, die Ausübung des staatlichen [80] Hoheitsrechtes über die katholische Kirche betreffend. W. führte hier aus, daß die Mehrzahl der Beschuldigungen unbegründet seien und wies auf die Bestimmungen der Verfassungsurkunde hin, die hinreichende Sicherheit böten. Er erklärte, das Cultusministerium habe seine Pflicht gethan. Allerdings sei mit Strenge nicht durchzukommen, vielmehr gegenseitige kluge Nachgiebigkeit erforderlich. Wenn irgendwo, so habe man in dieser Beziehung die rechte Mitte einzuhalten. „Ich kann mir nicht denken, daß es der Regierung je einfallen sollte, die Frage, ob etwas dem allgemeinen kirchlichen Zwecke nachtheilig sei, von dem speciellen Gesichtspunkte der Kirche zu beurtheilen, welcher deren Träger zufällig angehören. Der Staat als solcher gehört keiner bestimmten Kirche an, sondern steht über allen Kirchen, und es wird eine Abänderung um so weniger nöthig sein, als dieser Ausdruck schon im vorigen Regulativ enthalten war und damals von beiden Kammern nichts dagegen erinnert wurde.“

Mit den politischen Freiheitsbestrebungen gingen die kirchlichen Hand in Hand. Deutschkatholiken und Lichtfreunde breiteten sich auch in Sachsen aus, namentlich in Leipzig. Hier fand Pfingsten 1842 die Versammlung der letzteren statt, wobei die vom Archidiakonus Fischer herausgegebenen „Blätter für christliche Erbauung“ mit dem Beiblatte „Mittheilungen für protestantische Freunde“ verbreitet wurden und viel Anklang fanden.

Andererseits suchte ein strengeres Lutherthum den früheren milden Supranaturalismus zu verdrängen. Wie früher Hahn in Leipzig, so war jetzt Rudelbach in Glauchau einflußreich. Letzterer hielt auf der Leipziger Conferenz im Herbste 1843 einen Vortrag über die Frage: „Wie kann mit dem festen Halten am lutherischen Bekenntniß der rechte Fortschritt in der Theologie vereinigt werden?“ und gab sein Gutachten ab: „Ueber die Bedeutung des Symbolums und das Verhältniß desselben zur Confirmation. Mit Beziehung auf die Leipziger Confessionswirren“ (Leipzig 1844). Später übernahm die Führung dieser Richtung Harleß, der als Professor der Theologie, wie als Pfarrer zu St. Nikolai zu Leipzig zahlreiche Anhänger warb.

Die in evangelicis beauftragten Staatsminister, zu denen W. als Cultusminister gehörte, erließen eine Bekanntmachung unter dem 17. Juli 1845, in der sie angesichts der Bestrebungen auf Beseitigung oder doch Aenderung des gemeinschaftlichen Glaubensbekenntnisses erklärten, sie fühlten sich gedrungen, auf jene Gefahren aufmerksam zu machen, von solchen Versuchen abzumahnen und öffentlich auszusprechen, daß sie, eingedenk ihres Eides, eingedenk der ihnen übertragenen Stellung, jenen Bestrebungen mit Bestimmtheit entgegentreten würden, daß sie daher auch die Bildung von Vereinen sowie Versammlungen, welche darauf gerichtet seien, das Glaubensbekenntniß der Augsburgischen Confessionsverwandten in Frage zu stellen oder anzugreifen, nicht dulden könnten und demgemäß das Verbot derselben veranlaßt hätten.

Aus allen Theilen des Landes liefen Proteste und Petitionen mit zahlreichen Unterschriften ein; die Stände nahmen sich der Beschwerdeführer an und der Abgeordnete Hensel begründete die Nothwendigkeit einer Verhandlung darüber mit dem Mißtrauen und der Mißstimmung im Volke, die nur durch ehrliche, offene Aussprache seitens der Stände und durch unbefangene Aufnahme und Berücksichtigung seitens der Staatsregierung gründlich verhütet werde. „Mit Entschiedenheit ist die Staatsregierung dem Geiste und der Richtung der Zeit entgegengetreten.“

Die bereits früher hervorgetretene Bewegung für eine protestantische Kirchenverfassung wurde von neuem lebendig. Eine Petition des Professors Biedermann mit 719 Genossen in Leipzig verlangte einen Gesetzentwurf, [81] durch welchen der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde ein größerer Antheil an der Ordnung ihrer kirchlichen Angelegenheiten eingeräumt würde, als ihnen nach der bestehenden Kirchenverfassung zustand. Der Abgeordnete Oberländer unterstützte sie mit den Worten: „Wir sind hier, weil eben nicht mehr der Wille und die Ansicht Einzelner das Volk und sein öffentliches Leben leiten, sondern weil aus ihm selbst hervorgehen soll, was ihm als Vorschrift gelten soll.“ Deshalb werde die Kammer die tausendfältig sich wiederholenden Wünsche freudig aufnehmen. W. erklärte sich zu gesetzgeberischen Vorlagen bereit. Doch warnte er bei der Schwierigkeit des Gegenstandes vor übereilten Beschlüssen.

Dagegen nahm er die Regelung der rechtlichen Stellung der Deutschkatholiken in die Hand. Er ging damit als erster den übrigen deutschen Regierungen voran, ohne freilich dafür Dank zu ernten. In dem Decret, das den Ständen am 14. September 1845 zuging, wurde hervorgehoben, daß die neue Religionsgesellschaft Gegenstand ernster Aufmerksamkeit und sorgfältiger Erwägung gewesen sei. Der Darlegung und Begründung des bisherigen Verfahrens der obersten Staatsbehörden inbezug auf die neuen Dissidenten folgte die Darstellung der gegenwärtigen Sachlage bezüglich der Vorbereitung der künftigen Hauptentschließung und des Bedürfnisses interimistischer Maßregeln. Bei den landständischen Berathungen hob er gegenüber dem Vorwurfe der Bedenklichkeit und Aengstlichkeit die Nothwendigkeit einer genaueren Prüfung der Bewegung hervor, erklärte sich aber zur gesetzlichen Regelung bereit. Sie erfolgte unter dem Ministerium v. d. Pfordten durch das Gesetz vom 2. November 1848.

Behufs zweckmäßigerer Vorbildung und Erziehung der Geistlichen wurden mehrere Verordnungen erlassen: die vom 10. August 1845 setzte die Anzahl der Prüflinge bei den theologischen Prüfungen fest; größere Bedeutung erlangte das Regulativ über die theologischen Candidatenvereine vom 20. März 1844. Die Eigenthums- und finanziellen Verhältnisse der Parochien und Stiftungen wurden durch genauere Bestimmungen geregelt, über die Präsentation der designirten Geistlichen für geistliche Aemter Anweisungen gegeben. Dem Landtage vom Jahre 1845 ging ein Dekret über die Gründung eines Emeritirungsfonds für Geistliche zu, das in eingehenden Verhandlungen zur Berathung gelangte. Gegenüber dem Vorwurfe, als ob es das Cultusministerium an Fürsorge habe fehlen lassen, erklärte der Minister in der II. Kammer, es würde sich bei näherer Erörterung der einzelnen Uebelstände herausstellen, daß das Ministerium alles gethan habe, wozu es nach den bestehenden Gesetzen und nach den kirchlichen Rechtsverhältnissen ermächtigt war. Ueber diese Schranken dürfe er nicht hinausgehen, und es bedürfe dies in der That keiner Rechtfertigung. Er fügte hinzu, daß sich die Cassenverhältnisse günstig gestaltet hätten, so daß entweder der Beitrag herabgesetzt oder die Pension erhöht werden könne. Bei dem Hinweise auf die Landtagsverhandlungen von 1836/37 wurde erwähnt, daß die Pension für die Wittwen der Pfarrer ursprünglich nur 16 Thaler, für die der Superintendenten 32 Thaler betrug.

Der Gottesdienst wurde namentlich durch die Einführung des neuen Perikopenbuchs berührt, dessen erster Theil mit dem 1. Advent 1840, der zweite mit dem gleichen Tage 1842 in Gebrauch genommen wurde. Einzelne Punkte, so die Altarvorlesungen und die Ertheilung des Segens fanden in besonderen Verordnungen ihre Regelung.

Nicht weniger stürmisch waren die Verhandlungen über das Unterrichtswesen, das, hinter den Bedürfnissen der Zeit zurückgeblieben, im allgemeinen [82] durch die neueren Strömungen wenig berührt, fast durchweg auf dem Standpunkte der Ordnungen Kurfürst August’s vom Jahre 1580 stand. Wohl war in dem letzten Jahrzehnt seit dem Inslebentreten der neuen Verfassung manches geschehen, doch war die Empfindung allgemein, daß hier noch mehr gethan werden müsse.

Die Universität Leipzig befand sich in einem bedenklichen Zustande der Stagnation. Die Verwaltung bedurfte einer durchgreifenden Neuordnung nach der rechtlichen wie nach der finanziellen Seite. Bereits durch Verordnung vom 7. März 1836 war dem Senat eine Statutenentwerfung aufgegeben und die Frage angeregt worden, ob nicht für minder wichtige Angelegenheiten die Bildung eines Ausschusses zweckmäßig sei. Jetzt wurde W. an letzteren erinnert und unter dem 20. August 1847 der endlich eingereichte Entwurf im allgemeinen gebilligt; nur hielt man zur Zeit die versuchsweise Einführung für angezeigt, um Erfahrungen zu sammeln. Wichtiger war die Finanzfrage. Der Staatszuschuß betrug 1842 39 000 Thaler und wurde in der nächsten Landtagsperiode auf 40 000 Thaler erhöht. Namentlich hielt der Minister eine bessere Verwaltung und Ausnutzung der Stiftungsgelder für nöthig. Da die Universität an dem lebhaftesten Geschäftsviertel der Stadt Leipzig lag, glaubte er durch zweckmäßige Bauten von vermiethbaren Läden und Wohnungen den Ertrag der Gebäude steigern zu können, was ihm auch gelang, wenn sich auch bei den ständischen Verhandlungen und sonst manche Angriffe gegen ihn richteten. Bereits dem Landtage von 1842 war ein darauf zielendes Dekret zugegangen, wurde aber zurückgezogen, da der Bau zunächst nicht mehr durchführbar war. Erst in der nächsten Landtagsperiode wurde er ausgeführt und dadurch für Bibliothek, Convict und Vorlesungen eine Reihe praktischer Räume gewonnen.

Weiter suchte der Minister den wissenschaftlichen Charakter der Universität zu heben. Von Bedeutung war die Reform der Juristenfacultät. Das Studium der Rechtswissenschaft wurde in Leipzig, so erklärte er in der II. Kammer, nicht mit dem Fleiße, besonders nicht mit dem wissenschaftlichen Geiste wie in den anderen Facultäten, besonders der medicinischen und theologischen, betrieben; der germanistische Zweig, deutsches Privatrecht und öffentliches Recht wurden vernachlässigt. Als Mittel zur Besserung wurde von ihm die Neuordnung der Prüfungen und die Entlastung der Professoren bezüglich der Spruchthätigkeit vorgeschlagen und durchgeführt. Durch Berufungen von außen suchte er der Facultät neues Blut zuzuführen; so wurde 1842 für Pandektenrecht v. d. Pfordten berufen. Für die philosophische Facultät wurde im Jahre darauf der Göttinger Wilhelm Weber gewonnen, der für die Hebung des physikalischen Unterrichts und die Ausstattung des physikalischen Cabinets erfolgreich thätig war. In die theologische Facultät wurde 1845 Harleß berufen, nicht ohne daß eine scharfe Gegnerschaft dagegen Widerspruch erhob. Auch für die Erhöhung der Gehälter geschah einzelnes.

Die Zahl der Studirenden betrug im J. 1840 reichlich 900, fiel im Winterhalbjahre 1842/43 auf 850, 1845/46 sogar auf 826, überschritt aber bei Wietersheim’s Austritt aus dem Ministerium wieder die Zahl 900. Von Einfluß auf den Rückgang der Studentenzahl mag der Ueberfluß der Candidaten der Theologie und des Predigtamtes gewesen sein, der das späte Einrücken in ein geistliches Amt zur Folge hatte und nicht zum Studium der Theologie ermuthigen konnte.

Eine Verstimmung zwischen Universität und Ministerium sei erwähnt. Als vom Ministerium des Innern die Einholung der Genehmigung der Vorgesetzten vor der Uebernahme städtischer Aemter und Aufträge eingeschärft [83] wurde und das Cultusministerium in der Verordnung vom 11. December 1847 den akademischen Senat anwies, künftig, so oft einer der Professoren oder sonstigen Beamten der Universität zu einem städtischen Amte gewählt werden sollte, dem Ministerium hierüber jedes Mal sofortige Anzeige zu erstatten, auch sich gutachtlich darüber zu äußern, ob die fraglichen Functionen mit den Lehrerpflichten des betreffenden Gewählten und dessen sonstiger Amtsthätigkeit vereinbar sei, erhob der akademische Senat dagegen am 27. Februar 1848 Widerspruch. In der That wurde die Verordnung nach Gehör des Gesammtministeriums vom neuen Cultusminister durch Verordnung vom 14. April 1848 aufgehoben.

Die Universitätsbibliothek, die nach langer Vernachlässigung sich seit dem Jahre 1833 eines bedeutenden Zuwachses zu erfreuen hatte, erfuhr unter W. manche Förderung. 1840 wurde die jährliche Verwendungssumme von 1500 auf 2000 Thaler erhöht. Durch die Ausführungsverordnung zum Preßgesetze vom 5. Februar 1844 wurde die Abgabe eines Pflichtexemplars aller im Lande gedruckten bezw. verlegten Bücher und Schriften gefordert; die Universitätsbibliothek erhielt so bis zu Wietersheim’s Rücktritt einen Theil der Schriften. 1840 wurden aus dem Rosenmüller’schen Nachlasse werthvolle Handschriften und Bücher der orientalischen Litteratur, 1845 zahlreiche Handschriften, die Tischendorf auf der Orientreise erworben hatte, angekauft. Der Heinroth’sche Nachlaß ergänzte die Bestände der medicinischen Bücherei. Zur Vermehrung des Münzcabinets wurde ein jährlicher Betrag angewiesen.

Am 1. Juni 1846 trat die Königliche Gesellschaft der Wissenschaften ins Leben, der W. nach seinem Rücktritt als Ehrenmitglied angehörte, und deren Sitzungen er gern beiwohnte.

Die Gymnasien bedurften bezüglich der Gebäude, der Lehrergehälter, des Unterrichtsbetriebs einer Neuordnung. In scharfen Ausdrücken kam die Mißstimmung in den ständischen Verhandlungen zum Ausdruck. Klagen der Studenten der Medicin, Mathematik und Pharmacie wurden vorgebracht: sie müßten die Elemente ihrer Wissenschaft auf der Universität lernen; in der II. Kammer wurde behauptet, daß, wenn der berühmte Liebig in Gießen in Leipzig seine Vorlesungen halten wollte, er keine Zuhörer haben würde, da kein Student im Stande sein könnte, ihm wegen Mangels der nöthigen Vorkenntnisse zu folgen. Der Reform der Gymnasien wendete daher der Minister sein ganzes persönliches Interesse zu. Zunächst setzte er frühere Bemühungen fort, auf die Gelehrtenschulen durch Unterstellung unter das Cultusministerium einen erhöhten Einfluß zu gewinnen. Nachdem der erste Cultusminister, Dr. Müller, bereits erfolgreich in dieser Richtung gewirkt hatte, waren dessen Nachfolger, v. Lindenau und v. Carlowitz, den Städten gegenüber nachgiebiger gewesen. Jetzt wurde 1842 die Lateinschule zu Annaberg eingezogen; kurz darauf wurden mit den Stadträthen zu Freiberg, Plauen i. V. und Zwickau Verträge abgeschlossen, kraft deren das Cultusministerium auf Zeit die Ausübung des der Stadt rechtlich verbleibenden Collatur- und Patronatsrechtes und alle Kosten, geringfügige Beiträge aus städtischen Cassen abgerechnet, übernahm, die Lehrer, denen der Stadtrath nur noch die formelle Vocation zuzufertigen hatte, durch das Bestallungsdekret anstellte und besoldete, in Zwickau auch jedes Mal dem Stadtrathe vor der Ernennung ein „geeignetes Subject“ zu präsentiren hatte. Der Staatszuschuß wurde für die einzelne Anstalt von 2125 Thalern im J. 1842 im folgenden Budget auf 3166 Thaler erhöht. Die Aufwendungen für die Gelehrtenschulen betrugen ursprünglich 18 000, später 20 300 Thaler.

[84] Behufs besserer Lehrerbildung wurde am 1. August 1843 eine Prüfungsordnung für das höhere Schulamt erlassen, die zum ersten Male in Sachsen den Gymnasiallehrerstand selbständig machte und den Bildungsgang von dem der geistlichen Laufbahn schied. Auch der Unterrichtsbetrieb erfuhr eine völlige Umgestaltung. Bereits unter dem Ministerium Müller waren Vorbereitungen für ein neues Regulativ getroffen worden, aber nicht zum Abschlusse gekommen. Jetzt wurden Bestimmungen erlassen, um den deutschen, den Geschichts- und den Geographieunterricht den Bedürfnissen der Zeit entsprechender zu gestalten. Im August 1845 trat in Dresden eine amtliche Rectorenconferenz zusammen, in der der Minister selbst den Vorsitz führte. Gegenentwürfe von Raschig und Köchly wurden mit zur Berathung gezogen. Hier wurde, zuerst nicht ohne Widerspruch, dann doch unter allgemeiner Befriedigung, die Vorlage nach dreitägigen Verhandlungen angenommen. Mit Verordnung vom 27. December 1846 wurde das Regulativ im Januar 1847 versandt, behufs Einführung von Ostern ab. Gleichzeitig wurde eine Revision der Gymnasien vorgenommen. Behufs Vertiefung des mathematischen und naturwissenschaftlichen Unterrichts wurde ein Gutachten der Naturforschenden Gesellschaft in Dresden, sowie der Universität Leipzig herbeigezogen und darauf von Vertretern der genannten Körperschaften berathen.

Dagegen wurden die namentlich von Köchly ins Leben gerufenen und geleiteten Vereinsbestrebungen mit dem Motto: „Nicht Reformen, sondern Reformation!“ vom Cultusministerium mit scheelen Augen angesehen. Die auf den 20. October 1846 einberufene Hauptversammlung des Dresdener Gymnasial- (nicht Gymnasiallehrer-) Vereins wurde verboten, schließlich das Verbot der Bekanntmachung der Versammlung aufgehoben, das Halten wissenschaftlicher Vorträge gestattet, die Bestätigung des Vereins aber nicht ausgesprochen. Das Vereinsorgan, die „Vermischten Blätter“, erhielt vom Cultusministerium nicht die Genehmigung als Zeitschrift zu erscheinen und wurde nun in drei umfangreichen Broschüren veröffentlicht. In einer Unterredung suchte der Minister die Seele der Bestrebungen, Köchly, zum Maßhalten zu bestimmen. Hierbei sprach er seine Stellung zu den politischen Tagesfragen dahin aus, es wolle Preßfreiheit, Oeffentlichkeit und Mündlichkeit des gerichtlichen Verfahrenes gewähren; dagegen bezeichnete er die Vertretung des deutschen Volkes beim Bunde als Hirngespinnst, als Lossagung vom Bunde; „Sachsen hat Pflichten gegen ihn, und er ist garantirt durch die europäischen Großmächte“. Köchly entgegnete: „Es ist ein deutscher Bund. Wollen ihn die Deutschen ändern, so werden sie stark sein gegen Ost und West.“ Erwähnt sei, daß das Regulativ von 1846 das nationale Element in der Erziehung betonte.

Die Errichtung von Realschulen wurde ins Auge gefaßt. 1843 wurde in Annaberg eine Realschul- und Progymnasialanstalt ins Leben gerufen, an der vier Realschul- und eine Progymnasialclasse bestanden. Von ständischer Seite sah man diese Gründung als eine Abschlagszahlung an und verlangte die Förderung des Realschulwesens als eines „bedeutenden und wichtigen Bildungsmittels für den Bürgerstand“. Dem Dresdner Stadtrath Gehe stellte W. für den Fall, daß auf communale Kosten ein Realgymnasium errichtet würde, aus der Staatscasse einen angemessenen Beitrag sowohl zur ersten Einrichtung als auch zur künftigen Unterhaltung in Aussicht, sobald die Verhandlungen wegen Reorganisation der Gymnasien zum Abschlusse gelangt sein würden. Waren doch in den ständischen Verhandlungen vielfach dringende Wünsche nach einer anderen Gestaltung der Bildung für die praktischen Berufe laut geworden. So ersuchten die Stände am 12. Juni 1846 bei Berathung [85] eines Dekrets über die chirurgisch-medicinische Akademie in Dresden die Staatsregierung, „die bereits von namhaften Pädagogen und sogar von Philologen im engeren Sinne angeregte Frage, ob unsere Gymnasien ihrer damaligen Einrichtung nach zur Vorbildung der Mediciner für die Universität allein geeignet seien, sowie die in diesem Bezug zu ergreifenden Maßregeln in sorgfältige Erwägung zu ziehen.“

Die Seminare zur Bildung der Volksschullehrer erhielten durch Verordnung vom 13. November 1840 die erste allgemeine Seminarordnung. Wichtig war an ihr, daß der bisherige dreijährige Cursus zu einem vierjährigen erweitert, die Aufnahmebedingungen erhöht, die Unterrichtsfächer und Ziele näher bestimmt, die Seminarcollegien zur Aufstellung von Lections- und Beschäftigungsplänen angehalten wurden. Leider ließen auch hier die Finanzverhältnisse des Ministers Absichten nicht voll zur Ausführung gelangen, indem behufs Ersparniß mehrfach die Classen zusammengelegt wurden. Doch wurden auch hier die Zuschüsse etwas erhöht. Während im J. 1842 im Budget 12 755 Thaler standen, wurden 1845 14 450 Thaler bewilligt, nachdem der Zuschuß für die Seminare zu Annaberg und Freiberg von 4200 auf 5000 Thaler erhöht worden war. Die Staatsregierung hatte bei den Ständen die Verlegung des Freiberger Seminars nach Annaberg unter Belassung eines kleineren, höhere Ziele verfolgenden in Freiberg beantragt; die Stände aber versagten dazu ihre Zustimmung, weil sie, bei aller Anerkennung des Bedarfs eines größeren Seminars für das Erzgebirge, sich von der Entbehrlichkeit der Freiberger Anstalt für die Landestheile, denen es bisher die Lehrer bildete, nicht überzeugen konnten. Das Annaberger Seminar wurde auf 50 Zöglinge erweitert, dagegen der vom Cultusministerium beantragte Ankauf des Hauses nicht genehmigt.

Unter Benutzung eines Legates des Superintendenten D. Tischer beabsichtigte das Cultusministerium die Begründung eines Lehrerinnenseminars in Pirna. In Uebereinstimmung mit einem Beschlusse vom Jahre 1839 sollten die Lehrerinnen nicht für die öffentlichen Schulen, sondern für den Privatunterricht und die Privatschulen erzogen werden. Aber die Stände lehnten den Antrag, wesentlich aus finanziellen Gründen, ab, weil die testirten 20 000 Thaler im Verhältniß zu den bedeutenden Kosten als zu geringer Beitrag erschienen.

Das Volksschulwesen mußte in einer Zeit, in der der Zollverein und der wirthschaftliche Aufschwung auf allen Gebieten dem ganzen Volke neue Aufgaben stellte und von jedem einzelnen erhöhte Arbeit und Bildung verlangte, Gegenstand besonderer Aufmerksamkeit werden. Mit anerkennenswerther Offenheit hatte das Cultusministerium durch eines seiner Mitglieder, den Geheimen Kirchen- und Schulrath Schulze, im J. 1833 eine unverblümte Darlegung der Schäden veröffentlicht. Das Volksschulgesetz von 1835 hatte die Volksschule auf eine rechtliche Grundlage gestellt. Aber die Schwierigkeiten, die dem Fortschritte durch das Patronatsrecht und namentlich die Nothwendigkeit großer finanzieller Opfer entstanden, waren groß. Immerhin war ein Fortschritt zu verzeichnen. Bei Eröffnung des Landtages am 20. November 1842 wurde in dem üblichen Berichte erklärt: „Ein Grundpfeiler des Staates und seiner Wohlfahrt – der öffentliche Unterricht – hat seit Erlaß des Volksschulgesetzes an Umfang und Wirksamkeit unverkennbar gewonnen. Vereinigt haben Staat und Gemeinde zu dessen Ausführung hingewirkt, und die von Letzteren zu diesem Zwecke gebrachten bedeutenden Opfer verdienen rühmend anerkannt zu werden.“ Die Mängel in den ärmeren Gegenden wurden offen zugegeben, ein Bericht darüber, sowie über die Mittel zur Abhülfe, für den [86] nächsten Landtag verheißen. Bei den letzteren Verhandlungen wurde von dem Minister ein neues Volksschulgesetz als in Aussicht stehend bezeichnet.

Auch die Lehrerschaft regte sich. Am 4. Februar 1843 beschloß der Dresdener Lehrerverein eine „Petition an die hohe Staatsregierung, wie an die hohe Ständeversammlung um Abhülfe gegen den herrschenden pekuniären und socialen Nothstand der sächsischen Volksschullehrer durch angemessene Ausgleichung ihrer äußeren Lage mit der Würde und den Beschwerden des Berufs“. Es wurde mehr Besoldung, Abschaffung der Bezahlung des Vicars durch den kranken und altersschwachen Stelleninhaber und pünktlichere Gehaltszahlung durch die Schulcassen erbeten. Die Verhandlung in der II. Ständekammer zeigte viel guten Willen und Anerkennung der Lehrerarbeit. Der Minister gab selbst statistische Unterlagen für die unhaltbaren Zustände: 36 Lehrerstellen hatten weniger als 120 Thaler Gehalt, 361 ein Einkommen von 120 Thalern, 245 ein solches von 120 bis 150 Thalern. An einzelnen drastischen Beispielen zeigte er die Noth in Lehrerhäusern. Den Standpunkt des Cultusministeriums vertheidigte er mit den Worten: „Was man hat thun können, hat man gethan; auch wird ferner so verfahren; wenn aber die Beschränkung der Mittel das Ministerium hindert, dem Antrage zu entsprechen, so liegt es in der Natur der Sache, daß es nicht möglich ist.“ Freilich mußte er sich auch gegen Männer wenden, die die Bestimmungen des Volksschulgesetzes als zu weitgehend angriffen und die Anforderungen zurückschrauben wollten. Da trat der Minister kräftig für das Gesetz ein, z. B. in der Frage des Ausfalls des Sonnabends bez. Mittwochsunterrichts in den ländlichen Gemeinden. Gegenüber Vorwürfen wegen zu straffer Durchführung oder zu großer Anforderungen des Schulgesetzes erklärte er: „Diesem Grundsatze ist das Ministerium allerdings nachgegangen und das war seine Schuldigkeit; denn das Gesetz hat es so gewollt; und das Schulwesen hätte in den betreffenden Orten nicht zweckmäßig organisirt werden können, wenn ihm nicht nachgegangen worden wäre.“ Der Vater des Volksschulgesetzes, D. Schulze, stand ihm hier getreu zur Seite, indem er den großen Fortschritt desselben hervorhob und u. a. erklärte, daß das, was anderwärts sich nur auf dem Papier schön ausnehme, sich hier in Wirklichkeit vorfinde; freilich machte er auch auf den klaffenden Gegensatz der Mittel und Leistungen aufmerksam. Erleichterungen für Lehrer, die 100 und mehr Kinder zu unterrichten hatten, wurden in Aussicht gestellt. Eine ausgiebige Hülfe wurde nicht beschlossen. Die äußerste Noth sollte durch Gratificationen gemildert werden. Die gesetzliche Regelung wurde auf den nächsten Landtag verschoben.

Bei seiner Eröffnung, am 14. September 1845, wurde in der Uebersichtlichen Mittheilung den Ständen eröffnet: „Durch die bewilligten Geldmittel ist es möglich geworden, das Gehalt der gering dotirten Geistlichen zu bessern, auch das Gehalt der Volksschullehrer, ständischem Antrag gemäß, bis zu dem gesetzlichen Betrage zu erhöhen und zugleich den Bedürftigsten unter ihnen eine noch weitere Unterstützung zu gewähren. Demnächst ist zu bleibender Verbesserung der Lage der Letzteren, ohne wesentliche Belastung der Staatscasse, geeignete Einleitung getroffen worden.“

Als jetzt der Dresdener Pädagogische Verein eine Denkschrift mit neuen Forderungen einreichte, die sich auf Verminderung der Minimalstellen, Wiederherstellung der zersplitterten und verkürzten 600- und 800-Thaler-Stellen richteten, als Robert Blum in einer Petition für die Verbesserung der geringen Gehälter der Volksschullehrer durch Zuschüsse aus Staatscassen eintrat, als Schriften wie „Lehrerleid und Lehrertrost“ zur Vertheilung gelangten, da durfte man auf eine wesentliche Besserung der Verhältnisse der [87] Lehrer durch die Gesetzgebung hoffen. Aber die Kammer erging sich in breiten Debatten über religiöse und politische Streitfragen; die Schule kam kurz weg. Allerdings bewilligte man 16 500 Thaler zur Verbesserung der Lehrergehälter, erklärte sich auch zu mehr bereit, „da es Zeit sei, den Lehrern einmal etwas Reelles zu geben und sie nicht wieder mit geist- und gemüthvollen Reden abzuspeisen.“ Als Staatszuschüsse standen jetzt im Budget für die Volksschulen 37 000 Thaler gegen 35 000 im J. 1842.

Der Volksschulunterricht wurde insofern erweitert, als das Turnen, das in zahlreichen Vereinen eifrige Pflege fand, auch in seiner Bedeutsamkeit für den Jugendunterricht erkannt wurde.

Daß W. auch den künstlerischen Bestrebungen, die damals in Dresden von hervorragenden Künstlern, wie Semper, Richard Wagner, Schnorr von Carolsfeld, gepflegt wurden, Verständniß und Förderung zuwandte, geht aus einer Schrift hervor, die er aus Anlaß eines neuen Galeriebaues anonym veröffentlichte.

So hatte W. auf dem Gebiete des Schulwesenes und der Volkserziehung eine Reihe Verbesserungen herbeigeführt, auch ein neues Volksschulgesetz in Aussicht gestellt. Wenn er im März 1848 mit dem Ministerium Könneritz seine Entlassung einreichte, so war der Grund mehr in den politischen und religiösen Strömungen zu suchen, die seit dem Rücktritte v. Lindenau’s in der Regierung zur Herrschaft gelangt waren, weniger in seiner Thätigkeit auf dem Gebiete der Unterrichtsverwaltung, der scharfe Gegner, wie Oberländer, ihre Anerkennung nicht versagten. Auch Raschig in seinem „Rückblicke“ läßt der Thätigkeit nach der äußeren Seite Gerechtigkeit widerfahren. Er selbst erklärte in seinen „Bemerkungen“: „Schwieriges versucht, nur Unvollkommenes geleistet zu haben, bin ich mir bewußt. Handeln – wo durch Zuwarten unfehlbar Tadel zu vermeiden gewesen wäre – bekundet mindestens ein Wollen, das die Sache höher stellt als die Person. Auch die Streitfrage praktisch angeregt, die Hauptpunkte festgestellt zu haben, scheint nicht nutzlos.“ Auch hier tritt die fachliche Behandlung der einschlagenden Fragen, die Verweisung auf die Thatsachen wohlthuend hervor. Zum Schlusse ruft er seinem Kritiker zu: „Ob der versuchte Neubau wieder umgestürzt oder nur verbessert wird – gilt gleich. Förderung des Zwecks über Alles! Wolle dazu der so befähigte Verfasser, wie jeder der Beruf und Kraft dazu in sich fühlt, redlich mitwirken!“

Wie diese Schrift den Abschiedsgruß an die Schule darstellt, so richtete er bei seinem Rücktritt an die Superintendenten ein Schreiben, dessen Veröffentlichung er nicht scheute, aber auch nicht wünschte. Als Grund seines Scheidens aus seinem Wirkungskreise führte er an: „Der Rückschlag eines ungeheuren Weltereignissets auf Europa hat – in weiser Allerhöchster Würdigung der Forderungen der Zeit – auch meine Entlassung zur Folge gehabt, nicht weil meine Ueberzeugung – überall dem Rufe Gottes in der Geschichte folgend – Aenderungen widerstrebte, sondern weil eine neue Zeit auch neue Männer fordert.“ Von Interesse ist die Betonung der Lehrfreiheit, deren „weite, gleichwohl nicht maßlose Geräumigkeit der evangelische Geistliche mit Stolz als die kostbarste Errungenschaft unserer Kirche betrachtet“.

Von seinen Amtspflichten entbunden, wandte er sich der Thätigkeit als Schriftsteller zu. Zunächst knüpfte er an eine Schrift Guizot’s an, der, ebenfalls Staatsmann und Geschichtsschreiber, ihm wohl als Vorbild dienen mochte. Seine Schrift „Die Demokratie in Deutschland“ (Leipzig 1849) bietet in dem sechsten Abschnitte über die socialistische Republik eine wörtliche Uebersetzung des vierten Capitels aus Guizot’s „De la démocratie en France“; [88] übrigens ist er „der Anmaßung fern, solchem Vorbilde nahe zu kommen, nicht aber dem Anspruche selbständiger Auffassung“.

Nur hier betrat er in diesen Jahren das Gebiet der zeitgenössischen Politik. Später berührte er es in seinem Aufsatze über „Detlev Graf von Einsiedel“ (Arch. f. d. Sächs. Geschichte Bd. III, S. 353–390). Viel beachtet wurde seine „Gedächtnißrede auf Se. Majestät Friedrich August, König von Sachsen“, die er in der öffentlichen Sitzung der Königl. Sächs. Gesellschaft der Wissenschaften am 27. October 1854 hielt (Leipzig 1854). Als zehn Jahre später das Schicksal der Elbherzogthümer die Gemüther bewegte, schrieb er „Die Tagesfrage. Zur … Beleuchtung der Schleswig-Holsteinschen Erbfolge und Verfassung“ (Dresden 1864).

Dagegen wandte er sich mit aller Kraft historischen Studien zu, die von Jugend auf sein Lieblingsgebiet gewesen waren. Zunächst war es die Geschichte seiner Heimath, die ihn fesselte. Als Frucht dieser Studien veröffentlichte er die Abhandlung über „Die Urbewohner des heutigen Sachsens“ (Archiv f. d. Sächs. Gesch., Bd. III, S. 51–71). Mehr und mehr vertiefte er sich in die Geschichte des römischen Reichs und der Völkerwanderung; mit besonderem Eifer warf er sich auf das Studium des geographischen Hintergrundes der Völkerzüge und Schlachten. Mit deutscher Urgeschichte für den besonderen Zweck sächsischer Geschichte beschäftigt, führten ihn im Juli 1849 Familienangelegenheiten auf den classischen Boden der Römerfeldzüge. Bereits am 14. November 1849 las er in der Sitzung der Gesellschaft der Wissenschaften zu Leipzig eine Studie „Ueber die Marsen“, die im ersten Bande der Berichte zum Abdrucke gelangte (S. 175–185). Im folgenden Jahre erschien in den Abhandlungen der genannten Gesellschaft (Philol.-historische Classe I, S. 429–481) „Der Feldzug des Germanicus an der Weser im Jahre 16 nach Christi Geburt“. Es waren Vorstudien zu seiner vierbändigen „Geschichte der Völkerwanderung“, die in den Jahren 1859 bis 1861 erschien und ihm die Würde eines Doctors der Philosophie seitens der Universität Leipzig einbrachte. In zweiter, völlig umgearbeiteter, auf zwei Bände verkürzter Auflage wurde sie 1880 von Felix Dahn herausgegeben. 1857 erschien seine Arbeit „Ueber den praktischen Werth der speciellen Angaben in der Geographie des Claudius Ptolemäus, inbesondere über Germanien“ (Ber. d. Gesellsch. d. Wiss., 9. Bd., S. 112–145).

In seinem Familienleben trafen ihn eine Reihe schwerer Schicksalsschläge. Nachdem seine Braut, Adelaide v. Schönberg, geb. v. Burgsdorff, auf einer Reise in Montpellier gestorben war, verheirathete er sich später mit Constanze v. Thümmel, die ihm 1833 durch den Tod entrissen wurde. 20 Jahre später verschied seine zweite Gemahlin, Freifrau Agnes v. Gutschmid. Auch die drei Töchter aus erster Ehe gingen ihm im Tode voran. Er starb am 16. April 1865 in Dresden.

C. D. von Witzleben, Eduard von Wietersheim. Leipzig 1865. Hier wird S. 11 ein Tagebuch über die Jahre 1818–16 erwähnt. – (F. G. Raschig,) Rückblicke auf die Wirksamkeit des Ministeriums v. Wietersheim in Sachen des vaterländischen Gelehrtenschulwesens. Zwickau 1848. – (E. von Wietersheim,) Bemerkungen über die Schrift des Director und Professor M. Raschig zu Zwickau. „Rückblicke …“ Dresden 1848. – E. Böckel, Hermann Köchly. Heidelberg 1904. – Th. Vogel, Artikel „Sachsen“ in Schmid’s Encyklopädie des gesammten Erziehungs- und Unterrichtswesens. 2. Auflage. – v. Seydewitz, Codex des im Königreiche Sachsen geltenden Kirchen- und Schulrechts. 3. Auflage, Leipzig 1890, S. 1044–1046. – Th. Flathe, Geschichte von Sachsen, III. Bd. (Gotha [89] 1873), S. 389. 429. 445. 450. 461 ff. 514. 535. 568. -– A. Leuschke, Zur Geschichte der Lehrerbildungsfrage im Königreiche Sachsen. Dresden 1904. – O. Hartung, Der Dresdener Lehrerverein. O. O. u. J. – (Bülau,) Sr. Majestät des Königs Johann von Sachsen Besuch der Universität Leipzig am 4., 5. und 6. August 1857. Nebst einer Darstellung der Anstalten und Sammlungen der Universität. Leipzig 1858. – Harleß, Bruchstücke aus dem Leben eines süddeutschen Theologen, 2. Abth. Bielefeld u. Leipzig 1850. – W. Weber, Der deutsche Zollverein. Leipzig 1871. – F. Kapp, Der Soldatenhandel deutscher Fürsten nach Amerika. 2. Auflage. Berlin 1874, S. 144. 210. 249 ff. – Briefe von Wietersheim enthält das Kgl. Preuß. Geh. Staatsarchiv zu Berlin.