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Artikel „Wagner, Richard“ von Franz Muncker in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 40 (1896), S. 544–571, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Wagner,_Richard&oldid=- (Version vom 30. Dezember 2024, 14:46 Uhr UTC)
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Wagner: Wilhelm Richard W., der größte Tondichter seit Beethoven’s Tode, erkannte als seine Lebensaufgabe die Regeneration der unter romanischen Einflüssen entarteten deutschen Oper und ihre künstlerische Umgestaltung zum echten musikalischen Drama. Auch dichterisch glänzend begabt, strebte er nach der innigsten Vereinigung von Poesie und Musik, denen sich die übrigen Schwesterkünste hülfreich beigesellen sollten, im Drama als dem Gesammtkunstwerk, das, gleich der altattischen Tragödie durchaus im nationalen Sinne begründet, den Geist und Charakter unsers Volkes künstlerisch am vollkommensten zu offenbaren vermag. Als Dramatiker vor allem fühlte er sich, und in dem, was er als Dramatiker leistete, liegt hauptsächlich sein ungeheures geschichtliches Verdienst, nicht in seinen poetischen noch auch in seinen musikalischen Schöpfungen an und für sich, wie bewundernswerth sie auch immer sein mögen. Von der alten Oper ausgehend, erblickte er selbst sein Ziel, das seit einem Jahrhundert die ersten Denker, Dichter und Componisten in Frankreich und namentlich in Deutschland geahnt und gesucht hatte, erst nach und nach in voller Klarheit und näherte sich ihm Schritt für Schritt in seinen Werken. Jahrzehnte lang nur von ganz wenigen Freunden verstanden, von allen übrigen belächelt oder gar heftig bekämpft, rang er mit unerbittlicher Consequenz und nie erlahmender Energie, bis [545] er seinen kühnsten Plan zur That machte und damit, bald nachdem Deutschland seine politische Machtstellung wiedergewonnen hatte, auch der deutschen Kunst zum Siege über das Romanenthum und neuerdings zum Principat im internationalen Kunstleben verhalf.

Als jüngstes Kind einer zahlreichen Familie wurde W. am 22. Mai 1813 zu Leipzig geboren. Sein Vater Friedrich W. (geboren ebenda im Juni 1770), Polizeiactuar am Leipziger Stadtgericht, ein tüchtiger Beamter, auch mit lebhaftem Sinn für die Kunst, besonders für das Theater begabt, erlag schon am 22. November 1813 einem Nervenfieber. Seine Mutter Johanna geb. Bertz aus Weißenfels (geobren am 19. September 1778, vermählt am 2. Juni 1798, † im Februar 1848) gab im Sommer 1814 ihren Kindern einen neuen, liebevoll für sie sorgenden Vater in dem trefflichen Porträtmaler und Charakterschauspieler Ludwig Geyer (geboren am 21. Januar 1780 zu Eisleben), schon seit Jahren der Familie W. innigst befreundet. Die Seconda’sche Truppe, der er angehörte, hatte bisher abwechselnd in Dresden und Leipzig gespielt. Nachdem sie aber im Herbst 1814 in den sächsischen Staatsdienst eingetreten war und das deutsche Schauspiel im Dresdener Hoftheater übernommen hatte, beschränkte sie ihre Thätigkeit allmählich ganz auf die Residenzstadt. Schon 1815 siedelte die Familie W. hieher zu Geyer über. Reges künstlerisches Leben waltete in seinem bürgerlich-behaglichen, durch ungezwungene Gastlichkeit ausgezeichneten Hause. Das Theater stand naturgemäß unter den geistigen Interessen seiner Familie voran. Geyer selbst dichtete mehrere beifällig aufgenommene Lustspiele, von denen er einzelne wol zuerst im Familien- und Freundeskreise aufführen ließ. Denn Puppenspiele und dramatische Vorstellungen waren an der Tagesordnung in seinem Hause, für seine Kinder eine unerschöpfliche Quelle der Anregung und des Vergnügens. Drei seiner Stieftöchter und sein ältester Stiefsohn Albert W. (1799–1874) widmeten sich theils der Schauspielkunst, theils dem Operngesang. Auch der kleine Richard, der in seinen ersten Jahren viel unter Kränklichkeit litt, dann aber kräftiger gedieh und bald nach seinem sechsten Geburtstage in die Schule geschickt wurde, schwärmte für alles Theatralische. Aber trotz dieser künstlerischen Anregungen und trotz seiner eigenen mannigfachen Anlagen ließ er vorerst noch kein bestimmtes Talent erkennen, das der Ausbildung fähig erschien. Im Zeichen- und Clavierunterricht machte er zunächst nur geringe Fortschritte. Desto munterer war er zu allerlei übermüthigen Knabenstreichen aufgelegt.

Tief schnitt in das glückliche Familienleben der Tod Geyer’s am 30. September 1821 ein. Die Stütze der Mutter und der Geschwister wurde nun vornehmlich Rosalie W., Richard’s älteste Schwester (1803–1837), seit anderthalb Jahren am Dresdener Hoftheater engagirt und als Darstellerin jugendlich-naiver Rollen ungemein geschätzt. Richard kam auf ein Jahr zu einem Bruder Geyer’s, der als Goldschmied in Eisleben wohnte; daselbst besuchte der Knabe die Privatschule des Pastors Alt. Nach Dresden zurückgekehrt, wurde er am 2. December 1822 in die Kreuzschule aufgenommen. Hier machte er wissenschaftlich gute Fortschritte; namentlich gab er sich mit begeistertem Eifer dem Studium des griechischem Alterthums hin. Fleißig übersetzte er aus der „Odyssee“; auch sein jetzt erwachendes dramatisches Talent wurde zuerst durch altclassische Vorbilder bestimmt: er entwarf Trauerspiele nach dem Muster Johann August Apel’s, eines schwächlichen Nachahmers der Antike. Sogleich aber trat die Lectüre und der Einfluß Shakespeare’s dazu: aus ihm entlehnte er die Hauptmotive für ein romantisch-abenteuerliches Trauerspiel. Von den Erscheinungen im deutschen Kunstleben der Gegenwart zog vor allem der „Freischütz“ – und zwar auch [546] dieser noch mehr von der dramatischen als von der musikalischen Seite – die bewundernde Aufmerksamkeit des Knaben auf sich. Mit unbegrenzter Verehrung blickte er auf Weber, der ihm wol als Freund Geyer’s schon früher persönliche Theilnahme eingeflößt hatte.

Der musikalische Trieb regte sich in Wagner’s Seele erst kräftig, nachdem er 1827 mit den Seinigen wieder nach Leipzig übergesiedelt war. In der Nicolaischule, die er hier besuchte, erlahmte sein philologischer Eifer mehr und mehr, und auch der innige, anregende Verkehr mit seinem Leipziger Oheim, dem vielseitig gebildeten und schriftstellerisch thätigen Philologen, Litterarhistoriker, Uebersetzer und Originaldichter Adolf W. (1774–1835), vermochte ihn nicht wieder in der ehemaligen Weise anzufachen. Desto leidenschaftlicher flammte seine Begeisterung für Beethoven’s Symphonien und Ouvertüren empor, während er gleichzeitig sich in die Dichtungen der deutschen Romantiker, besonders in die phantastischen Erzählungen des musikverständigsten unter ihnen, E. T. A. Hoffmann, einlas. Dazu gesellte sich nach und nach auch die Wirkung anderer bedeutender Werke aus unserer neueren Litteratur, namentlich der mächtige Eindruck des „Faust“, der an Goethe’s Geburtstag 1829 seine erste Aufführung in Leipzig erlebte. Das rechte Verständniß für Mozart und Haydn gewann jedoch der durch diese neuen musikalisch-poetischen Erlebnisse excentrisch erregte Jüngling erst, als er 1831 gründlichen Unterricht in Harmonielehre und Contrapunkt bei dem trefflichen Cantor der Thomasschule Theodor Weinlig empfing. Hatte er vorher in seinen ersten Compositionsversuchen, besonders in einer Ouvertüre, die 1830 im Leipziger Theater ohne Erfolg gespielt wurde, Beethoven’s Tiefsinn nachbilden und zugleich mit Hoffmann’s abenteuerlicher Phantastik vereinigen wollen, so versuchte er nun seine strenger geschulte Kraft zunächst an einigen einfach-bescheidenen Clavierstücken, von denen zwei, eine Sonate in B-dur und eine Polonaise (vierhändig) 1832 gedruckt erschien. Dann aber kehrte er mit verdoppeltem Eifer zu dem nunmehr besser verstandenen Beethoven zurück. In den Partituren dieses Meisters lebte er; von seiner neunten Symphonie richtete er sich einen Clavierauszug für zwei Hände ein; nach seinem Vorbild, gelegentlich auch nach dem Muster Mozart’s verfaßte er 1832 neben einigen Arien und Liedern (darunter sieben Gesangsnummern zu Goethe’s „Faust“) mehrere Concertouvertüren, die bei vereinzelten Aufführungen in Leipzig freundlichen Beifall fanden. Am bedeutendsten von diesen Compositonen war eine Symphonie in C-dur, im Frühling 1832 entstanden: bei aller Abhängigkeit von den beiden älteren Meistern deutscher Musik zeugte sie doch auch vielfach von eigenartiger Erfindung und Verarbeitung dankbarer Themen und verrieth neben großer contrapunktischer Sicherheit eine keck-energische Zuversichtlichkeit des jungen Tondichters.

Dieser hatte sich inzwischen auch äußerlich von den gelehrten Studien abgewendet und den Beruf des Musikers ergriffen. Im Herbst 1830 vertauschte er die Nicolaischule mit der Thomasschule; doch hatte der nach studentischer Freiheit dürstende Jüngling zumal in dieser stürmisch aufgeregten Zeit nach der Julirevolution und während des polnischen Aufstandes keinen Sinn mehr für Gymnasialaufgaben und Schülerpflichten. Am 23. Februar 1831 ließ er sich an der Universität immatriculiren. Als sein Fachstudium bezeichnete er die Musik; daneben wollte er Philosophie und Aesthetik hören, kam aber im Taumel des ungebundenen Burschenlebens, dem er sich für kurze Zeit rückhaltlos hingab, nicht recht dazu, diese Absicht zu verwirklichen.

Eine Reise nach Wien im Sommer 1832 brachte ihm nur wenig erfreuliche Eindrücke von dem Musikleben der Kaiserstadt; eine ernstere Pflege guter Musik fand er auf dem Rückwege zu Prag, wo der strenge Mozartianer Dionys Weber [547] wohlwollend die C-dur-Symphonie und andere seiner Compositionen aufführte. Hier begann er auch seine erste Oper „Die Hochzeit“, deren Text er sich nach Motiven aus Immermann’s „Cardenio und Celinde“ selbst dichtete. An die musikalische Ausarbeitung, die im einzelnen kraftvoll und mit charakteristischen Zügen ausgestattet, in der Hauptsache jedoch durch die älteren Muster der deutschen Oper bestimmt war, machte er sich sogleich nach der Ankunft in Leipzig, gab sie aber bald wieder auf, da seiner Schwester Rosalie die Dichtung mißfiel. An die Stelle der „Hochzeit“ trat alsbald ein anderer Opernentwurf, „Die Feen“. In Würzburg, wohin er im Januar 1833 zum Besuche seines Bruders Albert ging, vollendete er, während er auch als Chordirigent am Theater thätig war, bis Neujahr 1834 sowol die Dichtung wie die Compositon des neuen Werkes. Den Text gewann er durch eine verkürzende und stellenweise veredelnde Umarbeitung des tragikomischen Märchens „La donna serpente“ von Gozzi. Namentlich beseitigte oder milderte er derb-possenhafte und übertrieben märchenartige Züge des Originals, erhöhte durch den klaren, wohlberechneten Aufbau des Ganzen die dramatisch-theatralische Wirkung und gestaltete aus musikalischen Gründen neben anderen Scenen hauptsächlich den Schluß des Dramas um, indem er ihn zugleich durch die Idee von der erlösenden, aus dem Irdischen zu ewiger Wonne erhebenden Liebe vertiefte. Zur wahren künstlerischen Freiheit erhob er sich freilich hier noch ebensowenig als Dichter wie als Musiker. Auch die Composition der „Feen“, bewegte sich vornehmlich in den alten Geleisen der deutschen Oper von Mozart bis Weber, Marschner und ihre geringeren Zeitgenossen; Anklänge an den Stil Rossini’s und der jüngeren Italiener wies sie nur selten auf. Sie litt hauptsächlich unter übermäßiger Breite, die gelegentlich eine gewisse Flachheit zur nothwendigen Folge hatte. Dabei zeigte sie aber doch in zahlreichen Fällen selbständige Erfindungskraft und eine hervorragende Gabe, stimmungsvoll und dramatisch wirksam zu charakterisiren. In der Beherrschung der technischen Mittel, in der Behandlung der Chors und besonders des Orchesters verrieth sich schon der künftige Meister; bis zu hohem Grade künstlerisch gelungen waren neben einigen Arien vor allem die großen Ensembles und die Ouvertüre.

Allein, so gut immerhin die „Feen“ neben den beliebtesten Opern jener Zeit einen ehrenvollen Platz behaupten konnten, vermochte W., im Januar 1834 nach Leipzig zurückgekehrt, sie trotz allem Bemühen doch nicht auf die dortige Bühne zu bringen. Hier herrschte, alles andere verdrängend, die neueste französische und italienische Musik. Und selbst W. lernte diese Herrschaft begreifen und die dramatischen Vorzüge der romanischen Opernkunst vor der altmodisch-steifen, zur Unzeit „gelehrten“ Musik der jüngsten deutschen Tonsetzer würdigen, als ihn die geniale Wilhelmine Schröder-Devrient in Bellini’s Opern entzückte. Bei ihrer künstlerisch vollkommenen Darstellung ahnte er zuerst das Ideal musikalisch-dramatischer Kunst überhaupt, das er – wieder im Hinblick auf sie – von nun an, so lang er lebte, zu verwirklichen trachtete. Zunächst ergriff auch ihn die bis zum Taumel und bis zur sinnlichen Frivolität lebensfrohe Stimmung, die ihm aus der französisch-italienischen Musik entgegenklang. Sie vernahm er mit gleicher Stärke in den Schriften Heinse’s und der Autoren des „Jungen Deutschland“, in deren Lectüre er sich mit leidenschaftlicher Begeisterung versenkte. Persönlich trat ihm von diesen Schriftstellern Laube am nächsten, seit 1832 mit ihm befreundet; in der von Laube geleiteten „Zeitung für die elegante Welt“ erschien auch am 10. Juni 1834 Wagner’s erster schriftstellerischer Versuch, der revolutionäre Aufsatz über die deutsche Oper. Dichterisch wirkte von den Vertretern der neuesten deutschen Litteratur für mehrere Jahre Heine am stärksten auf W. ein; von den modernen Opern riß ihn die zweifellos bedeutendste, [548] Auber’s „Stumme von Portici“, zu fieberischem, aber nachhaltendem Enthusiasmus hin.

Auber und Bellini vor allem und neben ihnen überhaupt die neueren französisch-italienischen Operncomponisten bestimmten daher den musikalischen Stil der zweiactigen Oper, deren Plan er 1834 auf einer Sommerreise zu Teplitz entwarf. Die dichterische Grundlage bot ihm Shakespeare’s „Maß für Maß“. Aber schon der Titel, den W. dem neuen Werke gab, „Das Liebesverbot oder die Novize von Palermo“, deutete die völlige Umgestaltung seiner Vorlage an. Er vereinfachte nicht nur die Handlung und Personenzahl des englischen Dramas, verlegte den Schauplatz – vielleicht wieder im Anschluß an Auber’s „Stumme“ – nach dem Süden und änderte mehrfache Einzelheiten, um die psychologische Wahrscheinlichkeit, die er an andern Stellen freilich ziemlich sorglos behandelte, sowie die theatralische Wirkung zu erhöhen, sondern er trug, hingerissen von den Lehren des „Jungen Deutschland“, eine völlig neue sittliche Grundidee in die dramatische Fabel hinein. Die freie Sinnlichkeit, deren Darstellung für Shakespeare nur Mittel zum Zweck war, um einen sittlich-rechtlichen Grundsatz zu verherrlichen, entfaltete W. um ihrer selbst willen und ließ sie den Sieg über puritanische Heuchelei allein durch ihre eigene Kraft ohne Hülfe von außen gewinnen. Statt des richtenden Herzogs machte er Isabella zur Hauptperson, die keusche, aber die Rechte der Sinnlichkeit keineswegs leugnende Jungfrau, die den wegen eines Liebesvergehens verurtheilten Bruder errettet. Ein Grundmotiv der späteren Tannhäuserdichtung war so in dem Charakter Isabella’s mitten in dem keck-sinnlichen, deutschen Ernst verspottenden Uebermuth dieses Jugendwerks bereits angedeutet, und ebenso ließen vereinzelte bedeutende Themen mitten in der äußerlich effectreichen, leichtfertigen und gelegentlich ans Triviale streifenden Musik des „Liebesverbots“, in der nach romanischer Art das melodische Element weit vor dem harmonischen vorwaltete, schon den Componisten der folgenden Opern bis auf den „Tannhäuser“ vorahnen.

Bald nachdem W. die Arbeit an dem „Liebesverbote“ begonnen hatte, trat er (im Juli 1834) als Musikdirector in die Bethmann’sche Theatertruppe ein, die zunächst noch in Lauchstädt und Rudolstadt, seit dem October aber ständig in Magdeburg spielte. Hier vor allem bildete sich nach den ersten Würzburger Versuchen der künftige geniale Dirigent. Zwei Winter wirkte er hier mit hingebungsvollem Eifer; die Sommermonate 1835 verbrachte er in Leipzig und Kösen, wo damals auch Laube weilte, schließlich auf einer Amtsreise nach Nürnberg, wo er sich neuerdings an der alles Erwarten übersteigenden Kunst der Schröder-Devrient berauschte. Als Schriftsteller verfaßte er für die neue Musikzeitung des befreundeten Robert Schumann ein paar Essays über deutsche und italienische Gesangeskunst (mehrfach an den früheren Aufsatz über die deutsche Oper anknüpfend) und über Magdeburger Musikzustände. Als Tondichter wandelte er mit dem unvollendeten Entwurf einer Symphonie in E-dur (1834) noch unbeirrt in den Bahnen Beethoven’s und verlor sich auch bei andern Compositionen geringeren Umfangs, so bei einer Neujahrscantate (Ouvertüre mit zwei Chorsätzen) und einer Ouvertüre zu Theodor Apel’s Schauspiel „Columbus“, nur zögernd aus ihnen. Entschiedner wandte er ihnen den Rücken in seiner Oper, die er im Winter 1835/36 vollendete: am 29. März 1836, dicht vor der Auflösung der Bethmann’schen Truppe, die sich bei der Gleichgültigkeit des Magdeburger Publicums nicht halten konnte, brachte er sie zu einer übereilten und daher wirkungslosen Aufführung, der einzigen, die ihr überhaupt je beschieden war. Vergeblich versuchte er im Sommer 1836 persönlich in Leipzig und Berlin eine der dortigen Bühnen für sein Werk zu erobern. Von allen Mitteln entblößt, ging er im August nach Königsberg, wo die Stelle eines Musikdirectors [549] demnächst frei werden sollte. Aber noch verstrichen mehrere Monate, bis W. endlich im Frühling 1837 an sie berufen wurde: eine sorgenschwere, für das künstlerische Schaffen des jungen Tondichters unergiebige Zeit, der nur eine Ouvertüre „Rule Britannia“ und eine musikalische Einlage zu einem nicht näher bekannten Schauspiele (mit vereinzelten Vorahnungen eines später mit „Lohengrin“ erklingenden Themas) entstammte. Gleichwohl hatte W. den Muth, sich am 24. November 1836 mit der von Magdeburg her ihm verlobten, jetzt in Königsberg wirkenden Schauspielerin Minna Plauer (1814[?] – 25. Januar 1866) zu verheirathen. Es war ein vielleicht übereilter, zunächst jedoch nicht unglücklicher Schritt. Durch Schönheit und Darstellungstalent, besonders aber durch echte Herzensgüte ausgezeichnet, half Minna lange Zeit ihrem Gatten Noth und Leid treu tragen, ohne doch sein künstlerisches Streben und Vermögen je völlig zu verstehen, bis sie ein schweres Herzleiden im Sommer 1858 zwang, sich von dem Heimath- und Ruhelosen zu trennen und in die Pflege ihrer Verwandten nach Zwickau, später nach Dresden zu begeben.

Um sich aus den kläglichen Verhältnissen des kleinstädtischen Musiklebens mit einem Schlage zu befreien, trachtete W. nach nichts geringerem als einem Opernerfolg auf der Pariser Bühne. Aus Heinrich König’s Roman „Die hohe Braut“ zimmerte er sich das Gerüste einer großen Oper zusammen und sandte es an Scribe mit der – natürlich vergeblichen – Bitte, er möge ihm darnach ein Textbuch zur musikalischen Composition schreiben. 1842 führte er den von dem Franzosen verschmähten, theatralische Wirkung versprechenden Entwurf selbst in leichten Opernversen aus, überließ dann aber diese Dichtung seinem Prager Freunde Johann Friedrich Kittl, der sie als vieractige Oper „Bianca und Giuseppe oder die Franzosen vor Nizza“ in Musik setzte. Einen persönlicheren, tieferen Eindruck als von König’s Roman empfing W. von Bulwer’s „Rienzi“, den er im Sommer 1837 während eines kurzen Aufenthalts zu Dresden in deutscher Uebersetzung von Georg Nicolaus Bärmann las. Das tragische Ende des römischen Helden, der mit seinen großen Plänen an der Gemeinheit seiner Umgebung zu Grunde geht, schien auch ihn selbst furchtbar zu bedrohen. Aus den unmittelbaren Lebenssorgen, in die er durch den Bankerott des Königsberger Theaters gerathen war, erlöste ihn zwar im August 1837 ein Ruf an den Musikdirectorsposten des Rigaer Stadttheaters, das soeben Karl v. Holtei an der Spitze eines wirklich guten Schauspiels- und Opernpersonals übernommen hatte. Aber das Elend der kleinlichen deutschen Theater- und Musikzustände trat dem krampfhaft emporstrebenden Künstler hier nur aufs neue in abschreckender Grellheit vor das Auge. Pflichtgetreu dirigirte er mit aller erdenklichen Sorgfalt die französischen und italienischen Modeopern, verfaßte auch für die Sänger manche Einlage dazu und schrieb sogar nach einer stark modernisirten Erzählung aus „Tausend und eine Nacht“ eine zweiactige komische Oper „Die glückliche Bärenfamilie“, von der er sogleich zwei Nummern ebenfalls in dem frivol-trivialen Stile jener romanischen Muster componirte. Bald jedoch wandte er sich mit Abscheu von dieser Arbeit und zugleich von ihren unkünstlerischen Vorbildern für immer ab. Geistige Erholung und Erhebung fand er nun vornehmlich an der Dichtung einer großen, fünfactigen Oper, die durchweg auf die größten Bühnenverhältnisse berechnet war, „Rienzi, der letzte der Tribunen“. Im Sommer 1838 vollendete er das Textbuch, das, aus Bulwer’s gleichnamigem Roman durch knappe Concentration und zielbewußt-dramatische Umgestaltung des weitschichtigen epischen Stoffes erwachsen, überall große sittliche (besonders freiheitlich-patriotische) Ideen und die höchsten künstlerischen Absichten offenbarte, in der psychologischen Motivirung sowie in der poetischen Ausführung des Einzelnen aber noch gewisse Mängel verrieth. In mehreren tragischen Hauptmotiven [550] der „Stummen von Portici“ verwandt, übertraf „Rienzi“ durch die Sicherheit und Geschlossenheit des dramatischen Aufbaus doch diese bewunderte Vorgängerin und ihre sämmtlichen Genossen, mit denen er die äußere Form der großen Oper theilte, noch weit. Nach dramatischer Bewegung, Wahrheit und Vornehmheit des Ausdrucks strebte W. vor allem auch bei der musikalischen Composition des „Rienzi“, freilich nicht immer mit ganzem Erfolge, da er noch vielfach von dem Stile Auber’s und Meyerbeer’s abhängig war. An Reichthum und Schönheit neu erfundener Melodien stand er hinter diesen beiden sogar noch einigermaßen zurück. Aber beide und namentlich Meyerbeer überragte er schon jetzt durch die gleichmäßig sorgfältige Durchbildung seiner ganzen Composition, durch reichere harmonische und modulatorische Wirkungen, durch die stellenweise schon hoch entwickelte polyphone Behandlung des Orchesters und der Ensemblesätze, endlich durch die wirklich künstlerische Gestaltung der Recitative nach dem Muster Gluck’s und seiner Nachfolger Méhul und Spontini. Noch war vieles in Wagner’s Musik zu breit gedehnt, manches conventionell gehalten, einzelnes sogar trivial ausgefallen; aber deutlich bekundeten die beiden letzten Acte und besonders die am Schlusse des Ganzen componirte, ebenso glänzende wie lebensvolle Ouvertüre die fortschreitende Kunst des Tondichters, der sich wieder mit heiß entflammter Liebe, nun aber selbständig nacheifernd den großen deutschen Meistern, vor allem Beethoven und Weber, näherte.

Doch bis W. sich der Vollendung seiner Oper freuen durfte, hatte er noch schwere Kämpfe zu bestehen. In Riga führte er (bis zum Frühjahr 1839) kaum die zwei ersten Acte der Partitur aus – neben ihnen entstanden nur wenige musikalische Kleinigkeiten, darunter die Composition von G. Scheurlin’s Lied „Der Tannenbaum“ –; dann reifte seine unvermuthete, aus künstlerischen Gründen jedenfalls nicht berechtigte Entlassung aus dem Rigaer Theaterverbande in ihm den schon früher gehegten Entschluß, nach Paris zu gehen und von hier aus sich den Weg auf die großen europäischen Bühnen zu bahnen. Wenige Tage nach dem Schlusse des regelmäßigen Mitauer Gastspiels, bei dem W. noch als Capellmeister mitwirkte, ging er mit Minna (im Juli 1839) zu Pillau an Bord eines kleinen Segelschiffes, das ihn nach mehr als dreiwöchentlicher, abenteuerlicher Fahrt nach London brachte. Hier rastete er acht Tage; dann weilte er, mit der Instumentation des „Rienzi“ beschäftigt, einige Wochen in Boulogne sur mer, wo er Meyerbeer kennen lernte und dessen aufrichtige Theilnahme gewann. Mit zahlreichen, leider nur zum größten Theil erfolglosen Empfehlungen von ihm traf er im September in Paris ein.

Enttäuschung auf Enttäuschung wartete hier seiner. Weder dem halbfertigen „Rienzi“ noch dem durch Dumersan ins Französische übersetzten „Liebesverbot“ vermochte er den Eintritt auf eine Pariser Bühne zu erzwingen. Meyerbeer, gerade damals vielfach auf Reisen, konnte persönlich wenig für ihn thun; die übrigen Deutschen, die ihm in Paris freundschaftlich nahe traten, unter ihnen wieder Laube, der ihn auch mit Heine bekannt machte, die Maler Ernst Kietz und Friedrich Pecht, der Philologe Siegfried Lehrs, hatten in der musikalischen Welt keinen Einfluß. Compositionen französischer Texte nach Gedichten von Ronsard, Victor Hugo und Heine, die er mit Rücksicht auf das Publicum der Parisier Salons absichtlich leicht hielt, erwiesen sich als künstlerisch noch viel zu edel und ernst, um in diesen Kreisen zu gefallen. So brachen denn bald Tage der bittersten Noth für W. an. Durch Clavierauszüge und Arrangements für allerlei Instrumente aus beliebten Modeopern, hauptsächlich aus Donizetti’s „Favoritin“ und Halévy’s „Guitarrero“, die er für den reichen Musikverleger Maurice Schlesinger bearbeitete, verdiente er sich kaum das Nothwendigste. Die Composition des „Rienzi“ rückte dabei langsamer vor, als ihm lieb war: erst [551] im November 1840 wurde sie vollendet. Neben ihr entstand unter dem überwältigenden und zugleich erlösenden Eindrucke der „Neunten Symphonie“, deren drei erste Sätze in den Concerten des Conservatoire meisterlich gespielt wurden, die (1855 überarbeitete und dann erst veröffentlichte) „Faust-Ouvertüre“, die musikalische Darstellung des Leidens und der Verzweiflung einer heroischen, von Faustischem Drange erfüllten Persönlichkeit in ihrem Kampfe mit der Welt, ursprünglich als erster Satz einer – leider unvollendet gebliebenen – Symphonie gedacht.

Ungleich deutlicher als im „Rienzi“ sprach sich in dieser kürzeren Composition die entschiedene Abwendung Wagner’s von der romanischen Modemusik aus. In Paris, dem Mittelpunkte dieser allerorten noch hochgefeierten Kunst, die auch ihn eine Zeit lang geblendet hatte, erkannte er erst ihre ganze Nichtigkeit; in der Hauptstadt Frankreichs fand er sich endgültig als deutschen Künstler wieder. In zahlreichen Aufsätzen, die er seit dem Juli 1840 in der „Revue et gazette musicale“, in der Dresdener „Abendzeitung“, in August Lewald’s „Europa“ und in Schumann’s „Neuer Zeitschrift für Musik“ veröffentlichte, deckte er nun mit schonungslosem Spotte und phantastischem Humor, wie man ihn vorher ebenso genial nur bei E. T. A. Hoffmann und bei Heine finden konnte, die Verlogenheit der modernen Luxuskunst, die Genußsucht und Oberflächlichkeit des Publicums, die äußerliche Effecthascherei der Dichter und Tonsetzer, das kunstfeindliche Virtuosenthum der Sänger, Instrumentisten und Schauspieler auf. Mit inniger Begeisterung pries er gegenüber diesem hohlen Scheinwesen seine geliebten deutschen Meister, erläuterte namentlich an den Werken Mozart’s und Beethoven’s das Wesen einer vollkommenen Symphonie und Ouvertüre, schilderte mit schöner Wärme deutsche Musikpflege und die herrliche Entwicklung der Instrumentalmusik in Deutschland und feierte in Weber’s „Freischütz“ die edelste und wahrhaftigste Verklärung des deutschen Gemüthes durch eine volksthümliche Oper. Im Stil wie in der Tendenz waren diese kritisch-theoretischen Essays zwei vortrefflich erzählte gleichzeitige Novellen verwandt, „Eine Pilgerfahrt zu Beethoven“ und „Ein Ende in Paris“. Eigne äußere und innere Erlebnisse, phantastisch-frei ausgestaltet, und tiefsinnige Gedanken über die Natur und Aufgabe des echten Künstlers übertrug hier W. sammt seiner eignen Schwärmerei für deutsche Meister, zumal für Beethoven, dem er damals in einer großen, zweibändigen Biographie gemeinsam mit dem kenntnißreichen Bibliotheksbeamten Anders ein würdiges Denkmal setzen wollte, und sammt seinem nunmehrigen Widerwillen gegen die flache Modemusik auf einen äußerst lebensvoll gezeichneten, ihm angeblich befreundeten deutschen Musiker, der in Paris, ein Opfer seines idealen Enthusiasmus, Hungers stirbt.

Bald nach diesen litterarischen Bekenntnissen trat Wagner’s Auflehnung gegen das herrschende Opernwesen auch in seinem musikalischen Schaffen zu Tage. Mit dem im Sommer 1841 auf dem Lande zu Meudon bei Paris gedichteten und componirten „Fliegenden Holländer“ that er den ersten Schritt von der herkömmlichen Oper hinweg zum wahren musikalischen Drama, dessen Idee er in der „Pilgerfahrt zu Beethoven“ ahnungsvoll angedeutet hatte. Den Stoff seines neuen Werkes hatte er schon in Riga aus Heine’s „Memoiren des Herrn v. Schnabelewopski“ kennen lernen; auf der stürmischen Seereise längs der norwegischen Küste hatte dann die in ihren Grundelementen alte Sage neues Leben und feste Gestalt in seiner Phantasie gewonnen. In der (bald wieder zerstörten) Hoffnung, nun endlich einen Compositionsauftrag von der „Großen Oper“ zu erhalten, entwarf er 1840 in Paris den dramatischen Plan und führte sogleich die Ballade Senta’s in Vers und Melodie aus, gewissermaßen die Quintessenz des Ganzen. Aus ihr schälte er später nur die dramatischen [552] und musikalischen Motive, die in ihr lagen, los und entwickelte sie selbständig weiter. So gewann er eine in Handlung und Verlauf, Zeit und Stimmung, nicht minder jedoch in der musikalisch-thematischen Anlage und Ausarbeitung durchaus einheitliche Oper, von echt dramatischem Leben erfüllt und zugleich durch eine balladenartige Kürze und Geschlossenheit ausgezeichnet. In Heine’s Erzählung mußte vor allem der Charakter des Weibes, das durch ihre Treue den „ewigen Juden des Oceans“ erlöst, tragisch vertieft werden. Zu diesem Behufe fügte W., der sich dabei wol auch an Goethe’s „Egmont“ sowie an Marschner’s „Hans Heiling“ und „Vampyr“ erinnerte, die Gestalt des abgewiesenen früheren Liebhabers Erik in die Handlung ein und begründete damit den dramatisch ebenso wirksamen wie sittlich bedeutenden Gegensatz zwischen der sinnlichen Liebe, die nach gemeinsamem Lebensgenuß mit dem Geliebten verlangt, und dem von allem Sinnlichen entkleideten Mitleid, das zum Opfertod für den Geliebten drängt: ein Lieblingsthema seiner Dichtung. In der Sehnsucht des Holländers nach Erlösung sprach er nun aber auch, müde des unstäten Umherirrens in der Fremde, die eigne Sehnsucht nach der Heimath aus. Für sie ausschließlich bestimmte er 1841 sein Werk. An das Vorbild deutscher Meister, in erster Linie Beethoven’s und Weber’s, hielt er sich auch wieder als Componist des „Fliegenden Holländers“, obwol er sich von dem romanischen Einflusse nicht sogleich vollständig und am wenigsten in den mehrstimmigen Gesangsnummern losmachen konnte. Dem deutschen Volksgesang lauschte er die rhythmische Bestimmtheit der Melodie ab; in der deutschen Instumentalmusik fand er die entwicklungsfähigen Keime zu dem auch von ihm vorerst noch sparsam verwertheten System der Leitmotive: die künstlerische Einheit seines ganzen Dramas, das zwar noch äußerlich die alte Opernform mit ihren einzelnen Gesangsstücken wahrte, drückten die stets wiederkehrenden, zur Charakteristik der Personen, Situationen und Stimmungen dienenden musikalischen Hauptthemen aus, deren Gewebe sich über die vollständige Oper ausbreitete.

Vergebens bot W. das an eigenartiger Erfindung und wahrhaft künstlerischer Durchbildung, an poetischem Gehalt und melodischem Reiz den „Rienzi“ weit überragende Werk mehreren deutschen Bühnen an; endlich verhalf Meyerbeer’s Empfehlung dem „Holländer“ zur Annahme in Berlin, wie schon einige Monate vorher dem „Rienzi“ in Dresden. Jetzt hatte W. nichts mehr in Paris zu suchen; im April 1842 kehrte er in die Heimath zurück, der er von nun an treu für immer angehören wollte. Schon erfüllten ihm neue dramatische Pläne die Seele. Eine Episode aus der Geschichte des Hohenstaufen Manfred, der er duch eine frei erdichtete, mannigfach an Schiller’s „Jungfrau von Orleans“ erinnernde Heldin poetischen Glanz und Wärme verlieh, begeisterte ihn zum Entwurf einer fünfactigen Oper „Die Saracenin“, den er noch einmal 1843 hervorsuchte und scenisch genauer ausführte. Aber schon in Paris verdrängten diesen Plan aus seiner Phantasie die Volkssagen vom Tannhäuser, vom Sängerkrieg auf der Wartburg und von Lohengrin, die er jetzt in ihrer echten, alten Gestalt kennen lernte, nachdem er die beiden ersten bereits vor Jahren in den modernisirenden Bearbeitungen Tieck’s und E. T. A. Hoffmann’s gelesen hatte. Sie hielten seinen Sinn auch noch gefangen, als W. von Dresden, seinem nächsten Ziele, aus eine Sommerreise nach Teplitz unternahm. Hier entstand der vollständige, scenische Entwurf des „Tannhäuser“; nach Jahresfrist wurde ebenda im Sommer 1843 die Dichtung des neuen Dramas vollendet.

In der Zwischenzeit gelangte nach anstrengenden Proben „Rienzi“ am 20. Oct. 1842 in Dresden zur Aufführung, in ausgezeichneter Besetzung und mit unbedingtem Erfolge; schon am 2. Januar 1843 ging ebenda der „Holländer“ zum ersten Mal in Scene, anfangs nicht minder beifällig aufgenommen. Die [553] lang ersehnten Tage des Ruhms und Glücks schienen nun über Erwarten glänzend angebrochen zu sein. Laube erbat sich von W. eine (geistreich und warm geschriebene) Skizze seines Lebens, die in der „Zeitung für die elegante Welt“ zu Anfang des Februars 1843 gedruckt erschien. Einige Tage vorher war W. zum Capellmeister am Hoftheater in Dresden ernannt worden. Ueber sechs Jahre wirkte er hier an der Spitze vortrefflicher Künstler, unter denen Tichatschek und die Schröder-Devrient am höchsten hervorragten; namentlich setzte er, wo es irgend möglich war, allen Eifer an mustergültige Aufführungen der Werke unserer deutschen Meister. Auch als Concertdirigent trat er für sie mit erfolgreicher Entschiedenheit ein; geradezu bahnbrechend wurden seine Bemühungen für das Verständniß der Symphonien Beethoven’s, zumal der vielverlästerten, ihm besonders ans Herz gewachsenen neunten. Daneben übernahm er die Leitung der Dresdener Liedertafel; für sie componirte er zum allgemeinen Musikfest der sächsichen Männergesangvereine 1843 das „Liebesmahl der Apostel“. Das Jahr darauf stellte er gelegentlich der von ihm kräftigst geförderten Ueberführung der Leiche Weber’s aus England nach Dresden einen Trauermarsch aus Motiven der „Euryanthe“ zusammen. Im Winter 1846/47 bearbeitete er Gluck’s „Iphigenie in Aulis“; namentlich gab er der Oper einen neuen dramatischen Schluß. Auch sonst verfaßte er einige kleinere Gelegenheitscompositionen. Hauptsächlich aber schrieb er vom Sommer 1843 bis zum Frühling 1845, zuerst mit manchen Unterbrechungen, zuletzt in nervöser Eile, die Musik zum „Tannhäuser“.

In der Dichtung dieses Dramas hatte sich W. zum ersten Mal als wirklich schöpferischen Poeten erwiesen, nicht mehr, wie noch im „Holländer“, von einer einzelnen älteren Dichtung unmittelbar abhängig, sondern durch freie, selbständige Verknüpfung verschiedener Sagenmotive künstlerisch Neues gestaltend. So verband er hier, einer wissenschaftlich unhaltbaren, für den Dramatiker aber höchst fruchtbaren Vermuthung des Königsberger Gelehrten C. T. L. Lucas folgend, den Inhalt des Tannhäuserliedes und des Gedichts vom Wartburgkrieg, den er sowol in den altdeutschen Originalausgaben als in den „Deutschen Sagen“ der Brüder Grimm und in Ludwig Bechstein’s „Sagenschatz des Thüringer Landes“ las, zu einer organischen Einheit, in der sich zugleich, was an jeder der beiden Einzelsagen für die dramatische Verwerthung lückenhaft erschien, aus der andern befriedigend ergänzte. Darein verflocht W. einige bedeutsame Züge aus Hoffmann’s Neubearbeitung des Sängerkrieges und entnahm überdies ein Grundmotiv seiner Dichtung, die Sehnsucht Tannhäuser’s aus den Freuden des Venusberges nach den Schmerzen und Kämpfen der Erde, aus Heine’s Parodie des alten Volksliedes. Den Schluß des letzteren mit seiner antipapistischen Tendenz gestaltete er künstlerisch frei, dazu dramatisch sehr wirksam um: der Tod des reuig Büßenden wird zugleich seine Erlösung vom Fluch der Sünde. Sichtbar verkörpert erscheint im Drama die sittlich-religiös erlösende Macht in der Gestalt der jungfräulich reinen Fürstentochter, deren todeswillig sich aufopfernde Liebe selbst noch den wild verzweifelnden, fast schon verlorenen Sünder vor ewigem Verderben rettet. Ihr lieh W., um ihre dramatische Bedeutung allgemein verständlich zu begründen, den Namen und einzelne Charakterzüge der heiligen Elisabeth.

Im kunstvollen Aufbau der Handlung, in der eigenartigen und sicheren Charakteristik der Personen und in der Kraft des poetischen Ausdrucks übertraf „Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg“ die früheren Operndichtungen Wagner’s beträchtlich. Gleich ihnen war aber auch das neue Drama aus einer unmittelbar persönlichen Stimmung seines Verfassers hervorgegangen. Auch in ihm glühte ein leidenschaftliches Verlangen nach höchstem geistig-sinnlichen Genuß, den er in der modernen Welt umsonst suchte, eine fieberische Sehnsucht nach einer an sich nicht unirdischen, aber aus der Sinnlichkeit erlösenden, über die Erde [554] erhebenden Liebe. In der Musik des „Tannhäuser“ vornehmlich sprach sich diese Erregtheit des Künstlers aus. Reicher und kräftiger entwickelte in ihr der Componist, was er im „Holländer“ begonnen hatte. Schon hielt er sich viel freier von der conventionellen Opernmelodie und näherte sich in seinen Weisen wieder um einen guten Schritt mehr dem natürlichen Rhythmus der Textesworte, verwandte etwas häufiger und charakteristischer die Leitmotive und erhöhte die Ausdrucksfähigkeit des Orchesters, stieß die alte Opernform bis auf geringe Reste um und ließ fast durchweg nur die Rücksicht auf das Drama walten. Was ihm zunächst in Dichtung und Composition noch nicht völlig zu seiner eignen Befriedigung gelungen war, gestaltete er theilweise bald nach der ersten Aufführung in Dresden (am 19. October 1845) um, so das Vorspiel zum dritten Aufzug und die Schlußscene; theilweise schuf er es erst nach Jahren, kurz vor der Pariser Tannhäuservorstellug (vom März 1861) neu, so namentlich die Venusbergscene im ersten Act. Unter dem mächtigen Eindruck der Schopenhauer’schen Philosophie vertiefte er jetzt den dichterischen und sittlichen Gehalt der auch äußerlich erweiterten Scene bedeutend; musikalisch bereicherte er sie durch die kühnste Entfaltung seines späteren, eben erst im „Tristan“ erprobten Compositionsstils.

Nach der Vollendung des „Tannhäuser“ in seiner ersten Form begab sich W. zum Sommeraufenthalt 1845 nach Marienbad. Hier entwarf er den Plan zu den „Meistersingern“ und zu „Lohengrin“. Während er den ersten vorläufig beseite legte, führte er den Entwurf des „Lohengrin“ schon im Winter darnach dichterisch und alsbald auch musikalisch aus; im März 1848 konnte er sich der fertigen Partitur freuen. Den Stoff des Dramas schöpfte er hauptsächlich aus dem gleichnamigen mittelhochdeutschen Epos eines bairischen Verfassers und aus der inhaltsreichen Vorrede seines Herausgebers Joseph Görres, der auf allerlei verwandte Sagen des Mittelalters hinwies. Einzelne davon fand W. auch (ebenso wie das bairische Rittergedicht) dem Hauptinhalte nach einfach und bündig und gerade deshalb sehr eindringlich in den „Deutschen Sagen“ der Brüder Grimm erzählt. Aus diesen verschiedenen Fassungen der Schwanrittersage wob er kunstreich die menschlich echtesten und bedeutsamsten Züge zu einem neuen Ganzen zusammen, dessen Selbständigkeit und Eigenart auch dadurch keine Einbuße erlitt, daß er noch das eine oder andere Motiv aus Weber’s „Euryanthe“ entlehnte und in ein paar Scenen Marschner’s „Templer und Jüdin“, Immermann’s „Merlin“, ja selbst einen Vorgang aus dem Nibelungenliede äußerlich nachbildete. Denn nicht nur in der dramatischen Ausgestaltung des aus allen diesen Quellen gewonnenen Stoffes verfuhr W. als reifer Künstler, in jeder Hinsicht noch sicherer und glücklicher als beim „Tannhäuser“, sondern auch den symbolischen Gehalt der Sage, der er erst einen dichterisch bedeutenden weltgeschichtlichen Hintergrund gab, erfaßte er in einer vorher kaum geahnten Tiefe. Wie in dem sinnverwandten Mythos von Zeus und Semele sah er hier die Natur der menschlichen Sehnsucht, deren letztes Ziel nur das Reinmenschliche sein kann, und das Wesen der Liebe ausgesprochen, die nothwendig nach voller sinnlicher Wirklichkeit verlangt. Um volle Liebe, nicht anbetende Bewunderung zu erlangen, steigt der göttlich Geartete, in den Schleier des Geheimnisses gehüllt, zu dem menschlichen Weibe herab. Sie aber muß, eben um der höchsten Liebe theilhaftig zu werden, den bewunderten, dankbar verehrten Unbekannten in seinem vollen Wesen erkennen. Nicht aus leichtfertiger Neugier, sondern aus innerer, sittlicher Nothwendigkeit, die sie zur tragischen Heldin stempelt, thut sie die verbotene Frage.

Auch die Musik zu „Lohengrin“ bezeichnete wieder einen mächtigen Schritt vorwärts auf Wagner’s Bahn. Von der herkömmlichen Opernform und der [555] alten Opernmelodie war noch weniger als im „Tannhäuser“ zu spüren. In größeren Linien bewegte sich die ganze Composition; harmonisch reicher war das durch ganz neue Klangfarben überraschende Orchester entwickelt, das thematische Gewebe der Leitmotive klarer und dichter gesponnen. Durchaus diente die Musik dem Drama. Auch die Gesangsstücke von rein lyrischem Charakter ordneten sich fest der dramatischen Entwicklung ein; vor allem auf dramatisch ausdrucksvolle Declamation zielten die einzelnen Melodien ab. Aber gerade wegen dieser künstlerischen Fortschritte konnte W., dessen „Tannhäuser“ schon bei der Feindseligkeit einer verständißlosen Kritik ohne rechten Erfolg geblieben war, sein neues Werk in Dresden nicht auf die Bühne bringen. Erst am 28. August 1850 führte Franz Liszt den „Lohengrin“ in Weimar auf, wo er anderthalb Jahre zuvor auch dem „Tannhäuser“ eine heimliche Stätte bereitet hatte.

Während W. noch an der Instrumentation des „Lohengrin“ arbeitete, entwarf er, durch die augenblickliche politische Lage Deutschlands zur Wahl eines geschichtlichen Helden bewogen, ein nicht für die musikalische Composition berechnetes Drama „Friedrich der Rothbart“. In der Erkenntniß jedoch, daß die historisch-politischen Verhältnisse ihn einengten, wandte er sich lieber dem ihn längst begeisternden mythischen Helden zu, der ihm in der urgermanischen Sage genau dasselbe zu bedeuten schien wie der Hohenstaufe Friedrich I. in der Geschichte. In einem durch Anschauungen des jenaischen Philologen Göttling bestimmten Essay „Die Wibelungen, Weltgeschichte aus der Sage“ (geschrieben im Sommer 1848, gedruckt 1850) suchte er die Stammes- und Geistesverwandtschaft der Ghibellinen mit den Nibelungen zu erweisen. Gleichzeitig gewann er aus den ältesten Ueberlieferungen des Nibelungenmythos den Plan zu einer Tragödie „Siegfried’s Tod“, die er sogleich im Herbst 1848 dichterisch ausführte. Doch bevor er ernstlich an die musikalische Composition dieses Werkes ging, drängte sich ihm, noch in demselben Herbst 1848, ein neuer Dramenstoff auf, „Jesus von Nazareth“. Der sorgfältig überdachte Entwurf der fünfactigen Tragödie, erst 1887 aus Wagner’s Nachlaß gedruckt, bewies in der ungemein geschickten Ausnützung aller geschichtlichen Gestalten und Verhältnisse, die den Heiland umgaben, und in der kunstvoll vertiefenden Charakteristik seiner Anhänger und Feinde die dramatische Meisterschaft des Dichters, der die sittliche Idee des Christenthums auf der Bühne eindringlich lehren und weihevoll verklären wollte. Nur als edelster der Menschen, von allem Uebernatürlich-Wunderbaren entkleidet, sollte Jesus in dem Drama erscheinen, aber als Stifter der Religion der Liebe in einer Welt der herzlosen Gewalt. Doch bei dieser Ablehnung des kirchlichen Dogmas mußte sich W. sagen, daß man eine baldige Aufführung seines Werkes, das sich durchaus an die allernächste Gegenwart richtete, nicht dulden würde, und ließ daher den Plan unausgearbeitet liegen.

Bald darnach sollte die politisch-revolutionäre Bewegung jener Jahre entscheidend in Wagner’s Leben eingreifen. Zwar lockten ihn weniger politische als künstlerische und rein menschliche Beweggründe in das Lager der Unzufriedenen. Er hoffte von der Revolution eine Besserung der allgemeinen Culturzustände und im Zusammenhange damit eine künstlerische Reform. Der letzteren suchte er zunächst auf gesetzmäßigem Wege vorzuarbeiten, indem er dem sächsischen Cultusminister einen Entwurf zur Organisation eines deutschen Nationaltheaters für das Königreich Sachsen – an Stelle des bisher vom Hofe abhängigen Theaters – mit gar manchen beherzigenswerthen, entschiedenen Erfolg verheißenden Vorschlägen zur Hebung der vaterländischen Kunstpflege einreichte. Gleichzeitig aber gab er er sich, eingenommen von den Lehren Proudhon’s, den demokratisch-socialistischen Anschauungen des ihm befreundeten Musikdirectors August Röckel (1814–1876) und des von diesem nach Dresden gebrachten [556] russischen Revolutionärs Michael Bakunin hin, eiferte in einer Versammlung des Vaterlandsvereins und in Röckel’s „Volksblättern“ gegen Adel und Geldherrschaft, hielt aber, in seinen republikanischen Bestrebungen weniger folgerichtig als jene radicalen Genossen, die ihn darum als unpraktischen Phantasten betrachteten, an der Königstreue fest und vertrat die Umwandlung Sachsens in einen Freistaat, dessen höchste vollziehende Gewalt in dem Königshause Wettin ruhe und forterbe. An den Dresdener Aufstand vom Mai 1849 betheiligte sich W. vornehmlich als leidenschaftlich erregter Zuschauer, nicht unmittelbar als Barricadenkämpfer, unterstützte aber in Einzelheiten, die ihm selbst unverfänglich erschienen, die Führer der Bewegung immerhin erheblich genug, daß ihm nach dem Siege der Regierungstruppen schwere Strafe drohte. Doch entkam er, noch ehe die gerichtliche Verfolgung gegen ihn eröffnet wurde, zuerst nach Weimar, wo ihm Liszt der treueste, von nun an brüderlich für ihn sorgende Freund wurde, dann – am 29. Mai – nach Zürich.

Trotz der Drangsal und Gefahr der letzten Tage, obwol aus der Heimath verbannt und steckbrieflich verfolgt, fühlte W. vor allem das Glück vollständiger künstlerischer Freiheit, die ihm mit dem Ausscheiden aus seinem bisherigen Amte zu Theil geworden war. Dazu gesellte sich die innige Freude, noch dicht vor seiner Flucht aus dem Vaterland endlich in Liszt den Künstler gefunden zu haben, der ihn in seinem Streben und Schaffen liebevoll verstand und die Macht wie den Willen besaß, bahnbrechend für ihn zu wirken. Und in der That, Liszt’s unermüdlicher Freundeseifer machte in verhältnismäßig kurzer Zeit möglich, was W. selbst von Dresden aus nicht vermocht hatte; von Weimar aus eroberten sich seine bisher mißachteten Werke nach und nach fast alle deutschen Bühnen. Aber in die Schweiz, wo ihr Schöpfer weilte, gelangten sie erst nach Jahren. Die Sehnsucht nach ihnen, das Verlangen, nur wenigstens einer Aufführung seines „Lohengrin“ beiwohnen zu können, war es vornehmlich, was mit der Zeit dem Verbannten die Trennung von Deutschland unerträglich schmerzlich machte und in ihm das bittere, mitunter selbst seine Thatkraft lähmende Gefühl seiner künstlerischen Verödung hervorrief.

Zuerst hatte sich W. von Zürich erfolgreich nach Paris begeben, theils auf Liszt’s Rath, theils noch selbst von der alten Hoffnung geblendet, daß er durch einen Pariser Opernerfolg seinen Werken den Weg über ganz Europa öffnen könne. Diesmal aber erkanne er schon nach wenigen Wochen die Täuschung und kehrte bereits im Juli 1849 nach Zürick zurück, wohin ihm bald darauf auch seine Frau aus Dresden nachkam. Noch einige Male (1850 und 1858, wozu 1853 eine Erholungsreise in Liszt’s Gesellschaft kam) lockten ihn ähnliche trügerische Hoffnungen in die französische Hauptstadt; stets aber genügte ein kurzer Aufenthalt in ihr, um ihn völlig ernüchtert nach Zürich wieder zu entlassen. Volle neun Jahre wohnte er hier, dem politischen Treiben fern, obwol mehrere ihm befreundete Flüchtlinge aus Deutschland, unter ihnen Herwegh und Semper, ebenda eine Freistatt fanden. Von seinen neuen Mitbürgern trat ihm mancher persönlich nahe, so der Germanist Ludwig Ettmüller, später auch Gottfried Keller. Bald auch zogen jüngere Anhänger aus der Heimath ihm nach, um in Zürich seine Schüler zu werden, so namentlich Hans v. Bülow. Mit ihnen nahm sich W. des Züricher Theater- und Musiklebens warm an, dirigirte neben einzelnen Opern besonders Beethoven’sche Symphonien, gab in einer kleinen Schrift Winke zur Begründung eines originellen, echt volkthümlichen Theaters in Zürich und führte im Mai 1853 mit Hülfe befreundeter Musiker und Sänger aus Deutschland und der Schweiz in drei Concerten ausgewählte Bruchstücke aus „Rienzi“, dem „Holländer“, „Tannhäuser“ und „Lohengrin“ vor stürmisch begeisterten Zuhörern auf.

[557] Vor allem aber zum Schaffen neuer Werke wollte W. die Freiheit ausnützen, die er jetzt genoß. Mit der Musik zu dem noch in Dresden gedichteten Nibelungendrama gedachte er das Ziel, dem er sich in seinen letzten Werken schrittweise genähert hatte, endgültig zu erreichen, seine künstlerische Befreiung von der Oper zu vollenden. Aber bei den Mißverständnissen, unter denen sein Wirken so oft während der letzten Jahre hatte leiden müssen, hielt er es für nothwendig, durch theoretische Erörterungen dem neuen Kunstwerk erst den Boden zu bereiten. So verfaßte er unter dem geistig und formal ihn bestimmenden Einflusse der Junghegelianer, besonders Ludwig Feuerbach’s, oft auch unmittelbar an seine revolutionären Anschauungen aus der jüngsten Dresdener Vergangenheit anknüpfend, eine Anzahl von ästhetischen Reformschriften, unter denen „Die Kunst der Revolution“ (1849), „Das Kunstwerk der Zukunft“ (1850), „Kunst und Klima“ (1850) und das dreibändige Werk „Oper und Drama“ (1851) seine Ansichten am bedeutendsten und vollständigsten offenbarten. Im Einklang mit zahlreichen Aussprüchen älterer Denker und namentlich auch mit Anselm Feuerbach’s Buch über den vaticanischen Apoll zeigte W., wie in der antiken Tragödie sämmtliche Künste, die bildenden, mimisch darstellenden und tönenden oder redenden, zum höchsten künstlerischen Zwecke zusammenwirkten, wie aber mit dem Untergange des freien Griechenthums auch die echte Kunst verfiel und im Dienste der Kirche, der Fürsten und zuletzt der Industrie zum bloßen Handwerk entartete: aus der einstigen lebens- und liebevollen Vereinigung gelöst, erstarrten die einzelnen Künste in ihrer Sonderentwicklung; auch im Oratorium und in der Oper traten sie bloß äußerlich neben einander ohne organische Ineinsbildung zu einem gemeinsamen Zwecke, jede Kunst vielmehr eigensüchtig nur für sich wirkend; so diente, was einst dem gesammten Volke ein Quell geistiger Erhebung gewesen, nur noch dem Sinnengenuß weniger, herabgesunken zum eitlen Tand des Luxus. Eine Wiedergeburt der echten Kunst und ihrer vollkommensten Werkes, des wahren Dramas, hofft W. von der Zukunft, wenn dereinst die „große Menschheitsrevolution“ das Sklaventhum in jeder Form ausgerottet und das ganze Volk frei gemacht habe. In diesem Drama, dessen Inhalt allein der schöne und starke, durch die höchste Liebeskraft zur Freiheit gelangte Mensch ist, werden sich wieder wie in der attischen Tragödie alle Einzelkünste, nur in reicherem Maß und in technisch höherer Vollendung auf das innigste verbinden, jede herrlich entfaltet im liebevollen Zusammenwirken mit den Schwesterkünsten. Auch in seiner Darstellung wendet sich dieses Gesammtkunstwerk wieder an das ganze Volk, aus dessen gemeinsamem Leben es als höchste Geistesschöpfung entsprungen ist. Mit einer Fülle von geistreich treffenden Bemerkungen über alle erdenkliche Fragen, die namentlich das Wesen und die geschichtliche Entwicklung der Dichtkunst und der Musik berühren, stattete W. seine scheinbar einseitige, in der Hauptsache aber unantastbare Beweisführung aus: nicht das Recht und Verdienst der Einzelkünste bestritt er, sondern nur die Möglichkeit, durch eine von ihnen allein das wahre Drama, ebenbürtig der antiken Tragödie, zu erzielen. Gestützt auf ein staunenswerthes philosophisches und historisches Wissen, schrieb er doch nur als Künstler, in dem der künstlerische Drang übermächtig alle wissenschaftlichen Kenntnisse und Bestrebungen sich unterordnete, als Künstler überdies, der das Werk, mit dem er sich selbst einem Ideal des Dramas zu nähern hoffte, bereits bis auf Einzelheiten der Form klar bestimmt im Geiste trug.

Zahlreiche kleinere Schriften verwandten Inhalts reihten sich, abgesehen vom mannichfachen unvollendeten Entwürfen, den grundlegenden theoretischen Werken an, darunter „Erinnerungen an Spontini“ (1851), ein Brief an Liszt über die „Goethestiftung“ (1851), Programme zu Beethoven’schen und zu eignen Compositionen, Winke für die Aufführung des „Tannhäuser“ und des „Holländers“, [558] ein Bericht über Wagner’s neuen Schluß zur Ouvertüre von Gluck’s „Iphigenie in Aulis“ (1854), ein Schreiben über Liszt’s symphonische Dichtungen (1857), besonders aber der ungeheures Aufsehen und heftigsten Widerspruch erregende Aufsatz über „Das Judenthum in der Musik“ (1850), mit berechtigt schroffen Urtheilen über Mendelssohn-Bartholdy und Meyerbeer (1869 mit verschärfenden Zusätzen neu herausgegeben) und, inhaltlich viel bedeutender, die große Vorrede zur Ausgabe seiner drei letzten Operndichtungen „Eine Mittheilung an meine Freunde“ (1852) mit der tief eindringenden Geschichte seiner bisherigen künstlerischen Entwicklung. Wie alle diese Schriften, so diente auch die „Mittheilung“ vielfach dazu, „Oper und Drama“ und die andern ästhetischen Hauptwerke zu ergänzen: zugleich aber kündigte sie schon ausdrücklich das neue künstlerische Werk an, dem die sämmtlichen theoretischen Arbeiten nur als Vorbereitungen dienen sollten, die Nibelungentetralogie.

Von allen dramatischen Plänen, die W. 1849 mit in die Schweiz brachte, war „Siegfrieds Tod“ am weitesten gediehen; mehr als alle andern Versuche lag ihm diese Dichtung am Herzen. Für kurze Zeit nur fesselte ihn fast noch mehr der Mythos von Wieland dem Schmied, der ihm aus der „Edda“ und der „Wilkinasaga“ und nicht minder aus Simrock’s epischer Neubeabeitung bekannt wurde und ihn während des Winters 1849/50 – im Zusammenhange mit seinen damaligen Pariser Absichten – zu dem ausführlichen Entwurfe eines dreiactigen Dramas anregte. Glücklich concentrirte W. die Handlung und veredelte sittlich mehrere Züge der Sage; deutlich vor allem deckte er ihren symbolischen Gehalt auf: die echte Kunst steigert gerade im tiefsten Leiden, wenn rohe Gewalt sie knechtet und zu unkünstlerischem Dienste zwingt, ihre Wunderkraft auf das höchste, sich selbst aus Noth und Schmach glorreich befreiend.

Aber trotz des persönlichen Antriebs, der in dieser Bedeutung der Sage für W. lag, kehrte er vom Entwurf des „Wieland“ bald wieder zu „Siegfrieds Tod“ zurück. Nun aber erkannte er (im Frühling 1851), daß in seiner Tragödie das epische Element zu weit um sich greife und die Vorgeschichte Siegfried’s und Brünhildens in einem besonderen Drama ausgeführt werden müsse. Rasch entwarf er in drei Acten den „Jungen Siegfried“; vom 3. bis 24. Juli vollendete er die Dichtung. Doch auch damit war nur halb geholfen; der weitverzweigte Sagenstoff machte vielmehr noch zwei dem „Jungen Siegfried“ vorauszustellende Dramen nöthig, ein umfangreiches Vorspiel von vier Scenen „Das Rheingold“ und eine dreiactige Tragödie „Die Walküre“. Diese lag am 1. Juli 1852 in der Dichtung fertig vor, jenes zu Anfang des folgenden Novembers. Nun mußten noch die beiden Siegfrieddramen, besonders „Siegfrieds Tod“ bedeutend überarbeitet und, wie in dem ganzen großen Werke die Geschicke der Götter und Menschen durch gemeinsame Schuld und Sühne innig verbunden waren, so auch das Ende der Götter mit dem Tode der herrlichsten Menschenpaares unmittelbar verknüpft werden. Gegen Weihnachten 1852 war auch diese Arbeit beendigt, und W. konnte bald nach Neujahr die ganze Dichtung „Der Ring des Nibelungen“ als „ein Bühnenfestspiel für drei Tage und einen Vorabend“ gedruckt seinen nächsten Freunden (erst 1863 der übrigen Leserwelt) vorlegen.

Auch einzelne musikalische Motive entstanden zugleich mit dem dichterischen Texte des „Rings“, andere namentlich im Sommer 1853 auf einer Reise nach Oberitalien. Die regelrechte Compostition begann jedoch erst im Winter darauf. Bereits im Mai 1854 wurde die Partitur des „Rheingoldes“ abgeschlossen. Aber schon die Vollendung der Musik zur „Walküre“ (1856) verzögerten Krankheitsanfälle und eine mehrmonatliche Reise nach London, wo W. im Frühling 1855 acht Concerte der älteren philharmonischen Gesellschaft dirigirte. Hernach componirte er bis zum Juni 1857 noch unter allerlei äußeren und inneren [559] Hemmungen die ersten anderthalb Acte des „Siegfried“; dann aber ließ er, durch die völlige Aussichtslosigkeit seines Schaffens entmuthigt, die Arbeit acht Jahre ruhen. Erst 1865 kehrte er zu ihr zurück, konnte sich ihr jedoch auch in der nächsten Zeit nicht ununterbrochen widmen. So wurde „Siegfried“ erst im Februar 1871 und die nunmehr „Götterdämmerung“ betitelte Schlußtragödie im November 1874 vollendet.

Dicherisch und musikalisch entsprach der „Ring des Nibelungen“ vollkommen dem Ideal des dramatischen Kunstwerks, das W. in den Reformschriften der ersten Züricher Jahre aufgestellt hatte. Den größten Stoff der germanischen Volkssage, aus den ältesten Quellen der Ueberlieferung geschöpft, von allen störenden Zuthaten gereinigt, belebte hier ein von der einfach-schönen Urform des Mythos entzückter und doch durch und durch moderner Künstler mit überwältigender dramatischer Kraft dichterisch neu. Den reichen Schatz deutscher und altnordischer Sagen und Märchen eignete er sich gründlich an; in die einschlägige fachwissenschaftliche Litteratur las er sich, zum Theil unter Ettmüller’s Beirath, fleißig ein. Besonders schloß er sich – inhaltlich und formal – an die von Ettmüller übersetzten und durch eine mannichfach belehrende Vorrede eingeleiteten Lieder der „Edda“ sowie an die „Völsungasaga“ an, die ihm gleich der „Wilkinasaga“ und „Nornagestssaga“ in Friedrich Heinrich von der Hagen’s Uebertragung vorlag. Einzelne poetische Motive fand er in deutschen Volksmärchen, auch in Simrock’s „Wieland dem Schmied“ und selbst in Fouqué’s mißglücktem Heldenspiel „Sigurd der Schlangenbändiger“. Von germanistisch-gelehrten Werken zog er neben den Schriften Wilhelm Grimm’s und Lachmann’s namentlich Wilhelm Müller’s „Versuch einer mythologischen Erklärung der Nibelungensage“ zu Rathe. So bekannte auch er sich zu der Ansicht Lachmann’s, daß der Nibelungenmythos in seiner ältesten Gestalt mit Siegfried’s Tode schloß. Siegfried aber erschien ihm seiner ursprünglichen Bedeutung nach eins mit dem Frühlingsgott Baldur, dessen Tod den Untergang der Welt herbeiführt. Und nun verband W. die nur in ihren Hauptmomenten dargestellte Sage von dem Wölsungengeschlecht durchweg organisch mit der Wotanssage und machte den Kampf des lichten Himmelsgottes Wotan mit dem finstern Nibelung Alberich zum dramatischen Grundgedanken der ganzen Tetralogie. Diesen Kampf knüpfte er an ein äußeres, dramatisch sehr glücklich verwerthetes Symbol der Macht und des Besitzes, an den nur durch den furchtbarsten Fluch gewonnenen, Verderben wirkenden Ring Alberich’s. Den bereits im Mythos gegebenen Gedanken, daß die Begierde nach solcher Macht die Quelle aller Schuld und somit die letzte Ursache des Weltuntergangs sei, vertiefte er philosophisch bedeutsam und erkannte einzig der selbstlos sich hingebenden Liebe die Kraft zu, die Welt vom Fluche der Schuld zu erlösen. Mit dem Tiefsinn und der Großartigkeit der sittlich-philosophischen Ideen paarte sich im „Ring“ als Ganzes betrachtet ebenso wie in den einzelnen Theilen der Tetralogie eine kühne Kraft und Sicherheit der dramatischen Gestaltung, die selbst bei dem Schöpfer des „Tannhäuser“ und „Lohengrin“ überraschen konnte. Er bewährte jetzt die höchste Kunst psychologischer Darstellung und erwies sich als Meister in der treffend scharfen und lebensvollen Charakteristik aller, auch der dichterisch untergeordneten Personen. Die dramatische Handlung entwickelte er in beständigem Fortschritt, auch wo sie äußerlich stille zu stehen schien, und mit strengster Folgerichtigtkeit, überall künstlerisch spannend und menschlich ergreifend, zwischen idyllischer Heiterkeit und erschütternder Tragik, mit höchstem Kunstverstande und wirksamer Steigerung der Eindrücke wechselnd. Sorgfältig auf zeitliche Geschlossenheit und überhaupt auf einheitlichen Bau der einzelnen vier Stücke bedacht, spann er doch zahlreiche verbindende Fäden von einem zum andern, um sie alle mit zum tragischen Knoten des unvergleichlich herrlichen [560] Schlußdramas zu schürzen und mit ihm wundervoll zu lösen. Der äußeren Form des ganzen Werkes verlieh er ein höchst charakteristisches Gepräge, indem er an altdeutscher Dichterrede die Kraft und den Glanz seiner Sprache phantasievoll nährte und den der gesammten altgermanischen Poesie gemeinsamen Gebrauch des Stabreims in eigenartig-freier Weise erneuerte.

Wie sich die Dichtung des „Rings“, weil zum Componieren bestimmt, formal von den gleichzeitigen Schauspielen unserer Litteratur bedeutsam unterschied, so bezeichnete Wagner’s Musik nunmehr den denkbar schroffsten Gegensatz zur Opernform. Unbedingt und unablässig diente sie dem dramatischen Zwecke. So entsprang die Gesangesmelodie naturgemäß aus der lebendigen Declamation des dichterischen Wortes. Rhythmisch auf das schärfste bestimmt, stets im reichsten Flusse dahinwogend, vereinigte sie die in der Oper getrennten Vorzüge des Recitativs und der Arie auf einer höheren Stufe. Rede und Gegenrede löste sich, wie im gesprochenen Drama, so hier im Gesange regelmäßig ab. Mehrstimmige Sätze und Chöre waren nur dann in den Dialog eingefügt, wenn es die dramatische Situation erforderte, daß mehrere Personen sich gleichzeitig aussprachen; aber auch dann war im Ensemblegesang jede einzelne Stimme für sich selbständig behandelt. Dafür entfaltete sich fast ununterbrochen in reichster Polyphonie das Orchester, dessen unendlich kühne und bei höchster Idealität des Stiles doch im einzelnen realistische Ausgestaltung fast Tact für Tact gegen den herkömmlichen Operngebrauch verstieß. Nach der melodischen wie nach der harmonischen Seite glänzend entwickelt und durch eine vorher ungeahnte Ausnützung der verschiedenen Instrumente in seinen Klangwirkungen überaus bereichert, begleitete es durchweg charakteristisch die Handlung, sie erklärend, vorbereitend, für unsere Empfindung vertiefend. Sorgfältig bis ins kleinste ausgebildet, offenbarte sich in Gesang und Orchester gleichmäßig und unaufhörlich das System der Leitmotive; die großen, den vier Dramen gemeinsamen Grundthemen deuteten die musikalische Einheit des Ganzen an, gaben aber auch in ihren beständigen, ungezwungenen Umformungen die immer wechselnde Handlung und Empfindung ausdrucksvoll kund.

Als Anhänger der Feuerbach’schen Philosophie hatte W. die Dichtung und Composition des „Rings“ begonnen. Gleichwol lag seinem Drama die tiefe Anschauung von der Nichtigkeit des ganzen Weltwesens zu Grunde, und so lehrte unter anderm die Gestalt Wotan’s schon geradezu die Verneinung des Willens zum Leben, die uns vom Leide der Welt erlösen soll. Wie mächtig mußte sich nun W. ergriffen fühlen, als er 1854 diese in der eignen Seele bereits erschauten Ideen in Schopenhauer’s Werken ausführlich dargelegt und tiefsinnig begründet fand! Die herben Erfahrungen der letzten Jahre hatten ihn doppelt empfänglich für diese Philosophie gemacht; so gab er sich nun ihrem gründlichen, planmäßigen Studium mit innigster, nie wieder erschütterter Ueberzeugung hin. Als künstlerische Frucht erwuchs daraus alsbald eine neue Tragödie, „Tristan und Isolde“, schon 1854 entworfen, doch erst im Sommer 1857, als die Arbeit am „Siegfried“ vorläufig zurückgelegt werden mußte, rasch in der Dichtung ausgeführt, bis zum August 1859 auch in der Partitur vollendet.

Einer Andeutung Wilhelm Müller’s folgend, erkannte W. in der Tristansage die tragische Grundidee des alten Siegfriedmythos wieder: auch Tristan freit das ihm bestimmte Weib für einen andern. Während aber Siegfried seinen Irrthum mit dem Tode büßt, malt die Tristansage vornehmlich die Liebesqual des durch den gleichen Irrthum getrennten Paares aus. Als eine Art von poetischer Ergänzung seiner „Nibelungen“ betrachtete daher W. den „Tristan“, und völlig im Einklange mit Grundmotiven seiner Siegfriedtragödie löste er – diesmal ohne die Beihülfe wissenschaftlicher Arbeiten – aus den episch breiten Dichtungen des Mittelalters, von denen ihm besonders das herrliche Werk Gottfried’s von Straßburg [561] in der Uebersetzung von Hermann Kurz, daneben aber wol auch französische Behandlungen des gleichen Themas vorlagen, eine einfache Urform der Tristansage los, um auf solchem Grunde ohne jeglichen Aufwand theatralischer Mittel, bei möglichster Beschränkung in Personen und äußeren Geschehnissen eine überaus fest in sich geschlossene, meisterhaft gegliederte dramatische Handlung von der gewaltigsten tragischen Wirkung aufzubauen. Dabei ging W. überall auf künstlerische und sittliche Veredlung der überlieferten Sagenmotive und auf Vertiefung der Charaktere aus. Indem er von allem Anfang an Tristan und Isolde unter dem Bann gegenseitiger, wenn auch unbewußter Liebe zeigte, ließ er den Zaubertrank nur mehr als Symbol, nicht als eigentlich wirksam gelten. Dem Verhältniß der Liebenden zu dem getäuschten König Marke nahm er jeden lächerlichen und sinnlich widrigen Beigeschmack. In reinster Verklärung aber, frei von dem leisesten Hauche lüsterner Frivolität, erschien die Liebe Tristan’s und Isoldens selbst mit ihrer stets mächtiger wachsenden und erst nach langem Leid erfüllten Sehnsucht nach Erlösung vom irdischen Zwiespalt im gemeinsamen Tode. Hier namentlich erwies sich der tiefe Eindruck der Philosophie Schopenhauer’s auf den Dichter. Aber auch im einzelnen zeigte die Tristantragödie neben einer Fülle der wundersamsten Lyrik, die sich jedoch immer dem dramatischen Rahmen willig einfügte, auf Schritt und Tritt Schopenhauer’sche Gedanken und Lehren poetisch wiedergegeben und künstlerisch belebt, darum auch in ihrer ganzen philosophischen Strenge der mächtigsten Wirkung auf das Empfinden der Lesers und Hörers gewiß. Diesen unmittelbaren Eindruck verstärkte unendlich die Musik zum „Tristan“, von lyrischer Innigkeit und dramatischer Leidenschaft gleichmäßig durchwogt, an melodischer und harmonischer Schönheit wie an eigenartiger Erfindungskraft überschwänglich reich, nach ihrem Stilcharakter der Composition des „Rings“ am nächsten verwandt, aber bei strenger Befolgung der bereits dort bethätigten Kunstgesetze doch wieder in voller künstlerischer Freiheit entstanden, ohne daß der schaffende Tondichter sich dabei irgendwie einer nüchternen Theorie bewußt wurde.

Aus verwandter Anschauung und Empfindung gingen ziemlich gleichzeitig mit dem „Tristan“ noch einige andere poetisch-musikalische Versuche hervor. In den Frühling 1856 fiel der dramatische Entwurf „Die Sieger“ (nach den Mythen von Buddha); auch der erste Gedanke an Wagner’s letztes Werk, den „Parsifal“, tauchte damals schon auf. Vom December 1857 bis zum Juni 1858 componirte er in Tristanstimmung und vielfach auch geradezu nach musikalischen Motiven des „Tristan“ fünf tiefsinnige Gedichte seiner Züricher Freundin, der warm für seine Kunst begeisterten Kaufmannsgattin Mathilde Wesendonck.

Zu einer künstlerisch befriedigenden Aufführung des „Tristan“, wie W. sie ersehnte, schien sich eine Aussicht am ersten in Karlsruhe zu bieten, wo Großherzog Friedrich dem Schöpfer des Werkes wohlwollend geneigt war. Doch auch er konnte dem Verbannten die Erlaubniß zur Rückkehr nach Deutschland vorerst nicht erwirken. In der Schweiz aber vermißte W. längst die ihm nöthige künstlerische Anregung zu empfindlich, um nicht eine Veränderung seines Wohnorts mit allen Kräften anzustreben. Zürich hatte er schon im August 1858 für immer verlassen und den Herbst und Winter hernach in Venedig zugebracht. Seit dem April 1859 weilte er in Luzern. Nun siedelte er, um wieder regelmäßig Musik hören zu können, im September 1859 nach Paris über. Auch seinen „Tristan“ hoffte er, als der Karlsruher Plan scheiterte, hier aufführen zu können. Mit drei Concerten, die das französische Publicum darauf vorbereiten sollten, rief er ungeheures Aufsehen im Musikleben und in der Kritik der Weltstadt hervor, ohne doch die rechte, andauernde künstlerische Theilnahme zu finden. Da gab Napoleon III. Befehl zur Aufführung des „Tannhäuser“ in der „Großen Oper“. [562] Die französische Uebersetzung besorgten Edmond Roche und Charles Nuitter. W. selbst gestaltete namentlich die erste Scene seines Dramas in dichterisch wie musikalisch bedeutsamer Weise um und suchte überdies vor den Parisern sein gesammtes künstlerisches Wollen in großen Zügen zu schildern und zu rechtfertigen, indem er eine Prosaübertragung seiner „Quatre poèmes d’opéras“ („Holländer“, „Tannhäuser“, „Lohengrin“, „Tristan“) mit einem die Grundgedanken seiner früheren Reformschriften kurz wiederholenden Brief an den befreundeten Conservator der kaiserlichen Museen Frédéric Villot einleitete (1861 auch deutsch unter dem Titel „Zukunftsmusik“ herausgegeben). Allein trotz aller noch so sorgfältigen Vorbereitung fand die Aufführung des „Tannhäuser“ im März 1861 bei einer scandalös-rücksichtslos verfahrenden Oppositionspartei einen so heftigen, demonstrativen Widerstand, daß W. nach der dritten Vorstellung sein Werk von der Pariser Bühne zurückzog. Wieder setzte er seine künstlerische Hoffnung allein auf das deutsche Volk.

Und nun endlich war ihm auf seine erneute Bitte vom Sommer 1860 die Rückkehr nach Deutschland außer Sachsen (seit dem März 1862 auch dahin) gestattet worden. Noch im August 1860 hatte er von Paris aus Frankfurt am Main, Darmstadt und Baden-Baden besucht; endgültig wandte er sich im Frühling darauf zurück in die Heimath, um von jetzt an Paris nur noch einige Male zu vorübergehendem Aufenthalte zu besuchen. Herzlich und ehrenvoll vom deutschen Publicum überall aufgenommen, trachtete W. vor allem darnach, für den „Tristan“ und damit für seine Kunst überhaupt, wie sie sich in dem letzten Jahrzehnt entwickelt hatte, eine Stätte zu finden. Wieder zeigte sich zuerst in Karlsruhe Aussicht darauf, dann namentlich in Wien, wo W. daher während der nächsten Zeit seinen eigentlich Wohnsitz nahm und selbst das Studium seines Werkes leitete. Allein nach zwei Jahren sah er seine Hoffnung hier ebenso getäuscht wie anderswo. Nur Bruchstücke aus dem „Tristan“ und dem „Ring“ konnte er hier und in mehreren andern deutschen Städten (1863 auch in Prag, St. Petersburg, Moskau und Pest) in Concerten vorführen, bei allem äußeren Erfolge tief unbefriedigt von solch ungenügender Wiedergabe. Daß er seine „Nibelungen“ je vollenden und nach dem in seiner Seele völlig ausgereiften Plane, den er im Vorwort der Dichtung 1863 darlegte, vor einem Festpublicum in einem eigens zu diesem Zwecke gebauten Theater aufführen werde, glaubte er nun selbst nicht mehr; wo sollte sich ein deutscher Fürst oder ein Verein kunstliebender vermögender Männer und Frauen finden, der die Kosten des Unternehmens zu decken bereit wäre? Blieben ja selbst die Vorschläge, die er zur künstlerischen Reform des Wiener Hofoperntheaters 1863 im „Beobachter“ auf Wunsch des befreundeten Redacteurs Friedrich Uhl machte, so wenig chimärenhaft sie auch waren, trotz dem Beifall der Leser ohne jede thatsächliche Wirkung.

Geraume Zeit hielt W. bei diesen betrübenden Erfahrungen doch seinen Muth aufrecht und seinen Schaffenseifer lebendig. Während des Winters 1861 zu 1862, den er zum Theil in Paris zubrachte, führte er die komische Oper, deren Plan er einst 1845 zu Marienbad entworfen hatte und nun mannichfach veränderte, erweiterte und vertiefte, dichterisch aus. 1862 erschienen „Die Meistersinger von Nürnberg“, als Manuscript gedruckt, zu Mainz. Die musikalische Composition begann W. in demselben Jahre zu Biebrich am Rhein. wohin er sich für den Frühling und Sommer zurückgezogen hatte; später setzte er sie zu Penzing bei Wien fort. Nach mancherlei Unterbrechung wurde sie erst im October 1867 vollendet.

Die erste Kunde von den Nürnberger Meistersingern hatte W. schon in früher Jugend aus E. T. A. Hoffmann’s Novelle „Meister Martin der Küfer [563] und seine Gesellen“ empfangen. Reicheren und wissenschaftlich genaueren Aufschluß über sie fand er in Wagenseil’s Nürnberger Chronik von 1697. Aber zu wirklichem Leben in seiner Phantasie erwachte das alte Bürgerthum und Kunsttreiben der Reichsstadt wol erst, als er sich in das unmittelbare Studium der Werke des Hans Sachs liebevoll versenkte. Ihm bildete er mit charakteristischer Treue und doch künstlerisch frei Sprache und Vers nach, hierin dem größten Schüler des altdeutschen Meisters, dem jungen Goethe, ebenbürtig; an der sinnigen Heiterkeit des Nürnberger Dichters erfrischte sich sein eigner tiefer Humor, aus derselben Herzlichkeit und Milde des Gemüths hervorquellend. Aber nicht nur als humoristisch-heiteren Betrachter des Weltwesens führte W. den größten Meistersinger in sein Drama ein, sondern mehr noch als den Meister selbstloser Entsagung, der so zum Träger der inneren, ans Tragische streifenden Handlung wurde. Für die äußere dramatische Fabel der „Meistersinger“ entlehnte W. manche Züge aus Lortzing’s Oper „Hans Sachs“, deren Text selbst wieder von dem gleichnamigen Schauspiel Deinhardstein’s abhängig war. Aber er erst stellte in seinem Lustspiele, das an Reichthum des dramatischen Gehalts, an Meisterschaft der Form, an Fülle und Bedeutung der Ideen in der ganzen deutschen Litteratur seines Gleichen suchte, die Gegensätze von Minnesang und Meistersang, von echter, freier, bei innigster Berührung mit dem Volksgeiste doch individuell-eigenartiger Kunst und spießbürgerlich-pedantischer Handwerksreimerei, von Genie und Philisterthum wahrhaft künstlerisch gestaltend dar. Und indem er mit höchster geschichtlicher Treue und vaterländischem Sinne ein umfassendes Culturbild aus deutscher Vergangenheit zeichnete, streifte er zugleich mit leiser Ironie die feindliche Aufnahme, die sein eigenes künstlerisches Streben bei den meisten seiner Zunftgenossen fand. Zur musikalischen Composition drängte diesmal, wie einst im „Tannhäuser“, schon äußerlich der Stoff des Dramas, nicht minder die innere Handlung, die eben nicht wol durch Worte, sondern fast nur durch die Musik auszudrücken war. Die unablässig fortschreitende Entwicklung der äußeren wie der inneren Vorgänge forderte aber geradezu von der Musik den in höchster Weise dramatisch durchgebildeten Stil des „Rings“ und des „Tristan“. An ihm hielt denn auch W. unwandelbar fest, auch wo er, scheinbar weniger streng als in jenen beiden Werken, wieder geschlossene musikalische Formen zuließ, den vierstimmigen Choralsatz, Chöre und Ensembles, darunter ein regelrechtes Quintett, ebenso wo er kunstvoll das Schema der Fuge verwerthete oder selbst schnörkelhafte Coloraturen anbrachte. Denn als dies verstieß bei ihm niemals gegen die dramatische Wahrheit und diente vielmehr nur der dramatischen Entwicklung und Charakteristik. Zudem zeugte die ganze Composition von einer gegen früher fast noch gesteigerten Kraft und Frische der Erfindung, und mit der Schönheit und ausdrucksvollen Bestimmtheit der Melodien wetteiferte in ihr die vollendete Kunst harmonisch-contrapunktischer Ausarbeitung.

Aber die Aussichten auf eine Aufführung des Werkes schwanden mehr und mehr, während W. noch eifrig an der Composition thätig war. Selbst die Wiener Theaterleitung, auf deren Theilnahme er noch am ersten rechnen zu dürfen glaubte, gab ihm ihre Gleichgültigkeit unzweideutig zu verstehen. Das lähmte schließlich seinen Muth. Im Frühling 1864 verließ er Wien und begab sich, an der Zukunft nahezu verzweifelnd, zu alten Freunden, Dr. François Wille aus Hamburg und dessen Gattin Eliza, nach Mariafeld bei Zürich. Nach einigen trotz aller freundschaftlichen Pflege kummervollen Wochen wandte er sich, selbst über sein nächstes Schicksal ungewiß, nach Stuttgart. Hier erreichte ihn die Botschaft, die ihm in seinem langjährigen Ringen endlich, ohne zu trügen, Sieg verhieß. Ludwig II., seit dem 10. März König von Baiern, berief den Künstler, den er mit aller Gluth jugendlicher Begeisterung liebte, dessen Schaffen [564] und Wollen er mit genialem Veständniß erfaßte wie vorher niemand, zu sich nach München. Am 4. Mai 1864 stand W. zum ersten Mal vor ihm; von diesem Tage an verband die edelste Freundschaft, die nur der Tod lösen konnte, die beiden wahrhaft großen Naturen.

In innigem Verkehr mit König Ludwig verlebte W. den Sommer zu Starnberg, den Herbst und Winter darauf zu München. Dankbar widmete er ihm den „Huldigungsmarsch“ (1864); für ihn vorzüglich nahm er die Composition der „Nibelungen“ wieder auf, für deren Aufführung bereits Semper auf königlichen Befehl die Pläne eines großartigen Theaterbaus entwarf. Ihn vor allem zu erfreuen, veranstaltete und leitete W., in Gemeinschaft mit ausgezeichneten, durch ihn nach München berufenen Jüngern seiner Kunst wie Hans v. Bülow und dem herrlich begabten Sänger Ludwig Schnorr v. Carolsfeld, musterhafte Aufführungen mehrerer seiner Werke, besonders des „Tristan“ (im Juni 1865). Für König Ludwig schrieb er den geistvoll belehrenden und mahnenden Aufsatz „Ueber Staat und Religion“ (1864), der, auf der Lehre Schopenhauer’s gegründet, doch über sie allerorten und zumal in der idealen, fast übermenschlich-tragischen Auffassung des Königthums hinausging, dabei aber auch durchaus den Standpunkt des praktischen Politikers preisgab und den eines zum Künstler organisirten Denkers bezeichnete, weshalb die tiefsinnige Betrachtung der ernstesten Lebensfragen von bedeutsamen Worten über die Stellung und Aufgabe der Kunst im Leben eingerahmt war. Wieder auf den Wunsch des Königs verfaßte W. 1865 einen umfangreichen, in allem Einzelnen wohl begründeten „Bericht über eine in München zu errichtende deutsche Musikschule“, die vornehmlich der praktischen Ausbildung ihrer Schüler im höchsten musikalischen Sinne gewidmet sein und eine richtige Pflege unserer nationalen Kunst, die Begründung eines künstlerischen Stils für den Vortrag deutscher Meisterwerke anbahnen sollte. Eine praktische Gesangsschule forderte er dazu in erster Linie; an sie sollten sich allmählich eine Theaterschule und ein vollständiges Orchesterinstitut anschließen. Von diesen Vorschlägen konnte freilich nur ein – immerhin großer – Theil verwirklicht werden, als 1867 in München an Stelle des alten Conservatoriums eine neue Musikschule trat, mit deren Leitung zunächst Bülow betraut wurde.

Inzwischen hatten Mißgunst, Skandalsucht, kleinliche Intrigue und plumpe Verleumdung das Verhältniß des Künstlers zum Köng niederträchtig entstellt. Den Seelenbund der beiden vermochten derartige Angriffe zwar nicht im geringsten zu lockern; wol aber mußte sich der von allen Seiten gedrängte Fürst zur äußerlichen Trennung von dem Freunde entschließen. Am 10. December 1865 verließ W. München und begab sich zunächst nach Genf, von wo aus er Südfrankreich besuchte; im Frühling 1866 miethete er ein Landhaus in Tribschen bei Luzern. Von König Ludwig wiederholt besucht, lebte er hier in behaglicher Weltabgeschiedenheit ungestört der künstlerischen Arbeit; jüngere Freunde seiner Kunst, so Bülow mit seiner Gattin Cosima, der Tochter Liszt’s, und der später berühmte Dirigent Hans Richter, weilten oft längere Zeit in seiner Nachbarschaft, das Glück seiner Einsamkeit theilend und erhöhend. Nach München kam er jetzt nur noch als Gast für wenige Tage oder Wochen, so besonders zu den Proben des „Lohengrin“ im Frühling 1867 und zur ersten Aufführung der „Meistersinger“ am 21. Juni 1868, während er von den künstlerisch ungenügenden ersten Aufführungen des „Rheingolds“ (am 22. September 1869 (am 22. September 1869) und der „Walküre“ (am 26. Juni 1870) sich ferne hielt.

Auch zur schriftstellerischen Thätigkeit trieb ihn wieder innere Regung im Verein mit äußeren Anlässen. Für die im October 1867 von Stuttgart nach München verlegte „Süddeutsche Presse“, an deren Leitung sein Dresdener Freund Röckel betheiligt war, verfaßte er außer einigen polemischen Bücherbesprechungen [565] die (1868 auch in selbständiger Ausgabe erschienene) von echt nationalem Geist erfüllte Abhandlung „Deutsche Kunst und deutsche Politik“, eine im Grunde ästhetische Untersuchung, die aber zugleich die wichtigsten Fragen des öffentlichen politischen Lebens bedeutsam berührte. Ueberzeugt von der innigen Gegenwirkung der ethisch-ästhetischen Bildung und der staatlichen Entwicklung eines Volkes, gestützt auf ein reiches und zuverlässiges geschichtliches Wissen, im besonderen angeregt durch den politischen Denker Constantin Frantz, erblickte W. den sichersten Weg zu Deutschlands Befreiung von dem staatlichen Uebergewicht Frankreichs in der Erlösung des verwahrlosten öffentlichen deutschen Kunstgeistes von dem sklavischem Drucke der französischen Civilisation. Als den wichtigsten Schritt aber auf dieser Bahn bezeichnete er eine künstlerische Umgestaltung des entarteten deutschen Theaters im nationalen Sinne, die in der vollkommenen stilgemäßen Uebereinstimmung zwischen dem deutschen Dichterwerk und seiner theatralischen Darstellung gipfele. Den deutschen Geist in seinem Streben über die bloße praktische Nützlichkeit hinaus nach solchen Zielen zu fördern, hielt W. für Baierns besonderen, von seinen Königen längst erkannten deutschen Beruf, durch den allein es seine Selbständigkeit neben Preußen dauernd wahren könne. Unendlich mehr Beachtung als diese Schrift fand die neue Ausgabe des „Judenthums in der Musik“ (1869) und die mannichfach damit zusammenhängende Broschüre „Ueber das Dirigiren“ (1869) mit ihrem Protest gegen die charakterlos-oberflächliche Art der Dirigenten aus Mendelssohn’s Schule und ihrer Forderung eines charakteristisch bedeutenden, auf Erkenntniß der richtigen Tempi, also auf gesanglichem Verständiß beruhenden Vortrages. Einen viel weiteren Gesichtskreis umspannte wieder die aus tiefgründiger philosophischer Forschung entsprungene, Schopenhauer’sche Gedanken genial ausführende Schrift über Beethoven (1870). Mit einer ebenso begeisterten wie besonnenen, ungemein aufschlußreichen Würdigung des Beethoven’schen Genius und seiner geschichtlichen Verdienste verband W. hier eine theoretisch erschöpfende Erklärung des Wesens der Musik und der Natur des Musikers. Sein letztes Ziel war auch hier wieder das Ideal des wahren Dramas; im Hinblick darauf verlangte er auch jetzt Neubeseelung der deutschen Kunst und Befreiung unserer Civilisation von der Herrschaft des französischen Geschmacks, der „frechen Mode“.

In großer Zeit erklang dieser nationale Appell des deutschen Künstlers. Auch er fühlte sich durch die Siege seines Volkes neu belebt und zu weit ausgreifender Thätigkeit mächtig angetrieben, um so mehr, als das Jahr der politischen Erhebung Deutschlands zugleich sein häusliches Glück vollkommen und dauernd begründete. Durch seine Vermählung mit Cosima v. Bülow hatte er endlich die Frau gefunden, die ihn nicht nur hingebungsvoll liebte, sondern geistig und künstlerisch immer und durchaus verstand. Inneren Frieden und beseligende Heiterkeit, die kein Zweifel mehr trübte, genoß er erst an ihrer Seite. Die Geburt eines glücklich gedeihenden Sohnes, den er Siegfried nannte, erfüllte ihn mit froher Hoffnung auf die Zukunft. Ueberaus lieblich sprach er diese freudig-zufriedene Stimmung in einem zart empfundenen Orchesterstück aus, dem „Siegfried-Idyll“ (1870), dessen wichtigste musikalische Motive aus dem Siegfrieddrama stammten. Aber dieselbe Heiterkeit seines Gemüths ließ auch den übermüthigen Spott zu, mit dem er 1871 die belagerten Pariser nebst ihrem patriotisch eifernden Dichter Victor Hugo, zugleich aber auch Offenbach und das von der Pariser Mode beherrschte deutsche Theater in einem Aristophanischen Lustspiel „Eine Capitulation“ geißelte. Und in höchster vaterländischer Begeisterung schuf er auf die Nachricht vom Erstehen des neuen deutschen Reiches 1871 den „Kaisermarsch“ für großes Festorchester und Chor, ein kraftvolles, farbenreiches Tongemälde, das den siegreichen Kampf mit beinahe dramatischer [566] Anschaulichkeit verkörperte. Schriftstellerisch ungemein rührig verfaßte er um dieselbe Zeit, an frühere Arbeiten und Lebenseindrücke anknüpfend, einen Aufsatz über die Bestimmung der Oper und „Erinnerungen“ an Auber. Ferner begann er 1871 die Herausgabe seiner „Gesammelten Schriften und Dichtungen“ in historischer Reihenfolge, wobei er freilich verschiedene Jugendarbeiten unterdrückte, einzelne Werke auch hie und da leise veränderte. Neun Bände erschienen bis 1873; ein zehnter folgte 1883 (2. Auflage 1887–88).

Namentlich aber belebte der mächtige Aufschwung des deutschen Volkes während des Kriegsjahres neuerdings Wagner’s Muth, die Verwirklichung seines kühnsten Wunsches zu unternehmen. Das Theater für seine „Nibelungen“, an dessen Bau in München seine dortigen Gegner den König verhindert hatten, wollte er nun, zwar im Vertrauen auf den ihm stets treuen Beistand Ludwig’s II., hauptsächlich aber mit Hülfe eines Vereins der übrigen Freunde seiner Kunst, in einer kleineren, für seine Absichten geeigneteren Stadt erbauen und die zum größten Theile bereit vollendete Tetralogie darin mit auserlesenen Kräften aufführen. Sein Blick fiel auf die bairische Provinzialstadt Baireuth. Bei kurzem Besuche der Stadt im April 1871, dann wieder im December zeigten sich die Verhältnisse daselbst günstig, die Vertreter der Bürgerschaft entgegenkommend; ein schön gelegener Bauplatz wurde alsbald erworben, die Bauarbeiten ohne Verzug begonnen. Schon im April 1872 siedelte W. für immer nach Baireuth über. Während des ersten Sommers wohnte er in dem nahen Dörfchen Donndorf neben dem Schloß Fantaisie, dann in Baireuth selbst, seit 1874 im eignen Hause „Wahnfried“. Zunächst freilich konnte er noch wenig an ein ruhiges Bleiben denken. Energische Freunde, unter ihnen besonders Bülow, der jung verstorbene Pianist Karl Tausig und am eifrigsten von allen die Gemahlin des preußischen Hausministers Marie Freifrau v. Schleinitz, förderten thatkräftig die Begründung der Baireuther Festspiele; der Musikalienhändler Emil Heckel rief zu ihrer Unterstützung in Mannheim 1871 den ersten „Richard-Wagner-Verein“ ins Leben; seinem Beispiele folgte man in vielen deutschen und ausländischen Städten. Reisen zu diesen Vereinen unterbrachen wiederholt den stillen Aufenthalt Wagner’s in Baireuth, seine Arbeit an der Instrumentation der „Götterdämmerung“, seine Berathungen mit Architekten, Maschinenmeistern und Decorationsmalern. Besonders leitete er 1871–1875 zum Besten seines Unternehmens zahlreiche Concerte in Mannheim, Hamburg, Berlin, Köln, Wien, Pest und anderen größeren Städten. So gedieh denn auch der Bau in Baireuth, über den W. seinen Freunden in Broschüren und Erklärungen wiederholt Bericht erstattete, sichtlich trotz manchen, oft ernsten Schwierigkeiten. Am 22. Mai 1872 fand die feierliche Grundsteinlegung statt, künstlerisch geweiht durch eine unvergleichlich herrliche Aufführung des „Kaisermarsches“ und der „Neunten Symphonie“, die dem meisterlichen Dirigenten auch zu einer neuen schriftstellerischen Erörterung des Vortrags Beethoven’scher Werke Gelegenheit gab. Im August 1873 konnte dem Bühnenbau der Dachstuhl aufgesetzt werden. Im Sommer darauf wurden bereits mit einzelnen Sängern Clavierproben vorgenommen; im Juli und August 1875 fanden genauere Clavier- und Orchesterproben der vollständigen Tetralogie im Festspielhause statt, schon von zahlreichen Anhängern Wagner’s besucht.

Neben dieser anstrengenden Thätigkeit für sein großes Unternehmen fand der Künstler noch Muße, mehrere kleine Aufsätze und größere Schriften auszuarbeiten, die er zum Theil in dem neu begründeten Leipziger „Musikalischen Wochenblatt“ veröffentlichte. Unter ihnen ragte die dem Andenken der Schröder-Devrient gewidmete Broschüre „Ueber Schauspieler und Sänger“ (1872) hervor. Gestützt auf eigne Erfahrung wie auf geschichtliches Studium und tief überzeugt [567] von dem hohen künstlerischen Berufe des Mimen, drang W. gegenüber dem in Virtuosenthum und conventionellem Schlendrian entarteten deutschen Theaterwesen vornehmlich auf Wahrhaftigkeit der Darstellung und Rückkehr zur Natürlichkeit. Auch eine musikalische Nebenarbeit, die von Amerika aus begehrte Composition eines Festmarsches zur hundertjährigen Gedenkfeier der Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten von Nordamerika (1876), führte W. in jener Zeit unermüdlicher Anspannung aller Kräfte aus.

Endlich stand er am Ziele trotz allen Hindernissen, die ihm namentlich die feindselige Presse in den Weg warf. Nach neuen, mehr als zweimonatlichen Proben standen vom 13. bis zum 30. August 1876 die ersten Baireuther Festpiele unter der musikalischen Leitung Hans Richter’s statt, drei Aufführungen des gesammten „Ringes“ durch ausgezeichnete Sänger und Musiker, die dem Rufe des Meisters bereitwillig gefolgt waren, vor bewundernden Zuhörern aus deutschem und fremdem Lande, unter denen der Geistesadel reichlich vertreten war. Zahlreiche einheimische und ausländische Fürsten, an ihrer Spitze Kaiser Wilhelm I. und König Ludwig II., wohnten den Vorstellungen bei. Pecuniär ergaben die Festspiele zwar – dank den Wühlereien der Gegner Wagner’s – ein beträchtliches Deficit, das ihr Begründer in der Hauptsache allein, wenn auch mit Hülfe seines königlichen Freundes, deckte. Künstlerisch aber gelangen sie über alles Erwarten vorzüglich. Es war der stolzeste Triumph, der ihrem Schöpfer bescheert werden konnte, zugleich seit Jahrzehnten wieder der erste große Sieg des deutschen Geistes auf dem Gebiete der Kunst, dessen nationale Bedeutung das Ausland keineswegs verkannte.

Leider aber versäumte das deutsche Volk die Pflicht, die ihm aus der unvergleichlichen That seines größten lebenden Künstlers erwuchs, und beraubte so sich selbst des Gewinns, den ihm diese versprach. Der Eifer der meisten Gönner Wagner’s hatte nur dem einmaligen Erfolge gegolten. Bei seinem Bestreben, die regelmäßige Wiederholung der Baireuther Festspiele zu sichern und im Zusammenhange mit ihnen eine Art von musikalisch-dramatischer Hochschule zum Studium und zur Aufführung der Werke deutscher Meister in Baireuth zu begründen, sah er sich kläglich im Stiche gelassen, so daß er bald beiden Lieblingsgedanken entsagen und die „Nibelungen“ den herkömmlichen Opernbühnen überlassen mußte. Ja sogar zur Direction mehrer großer Concerte in London (im Mai 1877) entschloß er sich in der – freilich vergeblichen – Hoffnung, dadurch die Kosten der vorjährigen Festspiele aufzubringen. Zuletzt blieb er wieder auf schriftstellerische, theoretische Erörterungen angewiesen, statt nach seinem Wunsche umittelbar praktisch auf verständnißvolle Künstler einwirken zu können. Er betheiligte sich als eifrigster Mitarbeiter an einer Monatsschrift, die sein jüngerer Freund Hans Freiherr v. Wolzogen seit dem Januar 1878 herausgab, den „Baireuther Blättern“. Im schroffen Widerspruch gegen die gesammte moderne Cultur, deren lächerliche und gefährliche Erscheinungen in Staat, Gesellschaft und Religion, in Wissenschaft und Kunst er heftig geißelte, empört über die Entartung des echten deutschen Wesens, als deren vornehmste Ursache er die rapid wachsende Macht des Judenthums betrachtete, und zugleich voll Vertrauen, daß der deutsche Geist sich aus diesem Verfall durch die Macht der Kunst, besonders der Musik, wieder lebenskräftig erheben werde, besprach W. in zahlreichen Aufsätzen der Jahre 1878 und 1879 verschiedene ästhetische und ethische Fragen von tief einschneidender Bedeutung, so unter anderem die vom Nützlichkeitsprincip unbeirrte Idealität des Strebens im wahrhaft deutschen Charakter, das Verhältniß des verbildeten modernen Publicums zum Kunstwerk, die innere Tragik im Schicksale des durch allerlei geschichtliche Bedingungen eingeengten schaffenden Genius, den an mannichfachen geschichtlichen Beispielen klar [568] zu erkennenden Unterschied zwischen dem dichterischen Seher und dem Künstler, die Bedeutung des Textwortes für die musikalische Melodie, den Gegensatz von dramatischer und symphonischer Compositionsweise.

Deutlicher und strenger als diesen von Schopenhauer’schen Gedanken gelegentlich durchzogenen Aufsätzen war der philosophische Charakter den letzten Beiträgen Wagner’s zu den „Baireuther Blättern“ seit dem Herbst 1879 aufgeprägt. Auf den Grundanschauungen Schopenhauer’s und der von ihm gepriesenen brahmanisch-buddhistischen Religion beruhten sie zunächst; nicht minder aber war ihr den tiefsten Fragen der Menschheit nachforschender Verfasser durch die agitatorischen Bestrebungen Ernst v. Weber’s gegen die Vivisection, durch die geistvollen Untersuchungen des ihm persönlich befreundeten Grafen Arthur v. Gobineau über die Ungleichheit der menschlichen Racen und durch die wichtigste Schrift des französischen Vorkämpfers für den Vegetarianismus J. A. Gleïzès angeregt. W. verband, vertiefte und vervollständigte die Forschungsergebnisse dieser Vorgänger, deren Einseitigkeiten er auch theilweise berichtigte, und erklärte so, namentlich in der tiefsinnigen Abhandlung „Religion und Kunst“ (1880), die schon von den erhabensten Religionen (der indischen und der christlichen) betonte Sündhaftigkeit der historischen Menschheit aus der Entartung des Blutes, die durch die Abkehr der Menschen von der naturgemäßen Pflanzenkost zum Genusse des thierischen Fleisches bewirkt worden sei. Aus diesem physischen und sittlichen Verfall, in welchem er auch den Grund zur Entartung des ursprünglichen Christenthums und zur Verderbniß der ganzen modernen Scheincultur sah, erhoffte er nur durch eine gründliche Regeneration des Menschengeschlechts Rettung. Möglich aber erschien ihm eine solche Regeneration einzig auf dem Boden einer wahrhaften, von den allegorischen Zuthaten der verschiedenen Culte gereinigten Religion, der Religion des Mitleidens mit ihren drei alles umfassenden Tugenden der Liebe, des Glaubens und der Hoffnung. Erst auf dieser Grundlage echter Sittlichkeit hielt er auch das Gedeihen höchster Kunst für möglich, deren eigentliche Aufgabe er wiederum darin erkannte, daß sie die unaussprechliche göttliche Wahrheit im Bilde offenbare und zu Erfassung dieser Wahrheit hinleite. Wie W. bei dergleichen Betrachtungen den reinen Kern der christlichen Religion zum Mittelpunkte seiner ethischen Weltanschauung machte, so verherrlichte er auch stolz die Stammeseigenthümlichkeiten des germanischen Volkes. Und heftig eiferte er gegen jegliche Vermischung der Germanen als der höchsten Blüthe der edelsten Race, der arischen, mit Abkömmlingen von unedleren Racen, auch hiermit wieder in Bahnen zurücklenkend, die er schon vor drei Jahrzehnten betreten hatte.

Bei dem großen Publicum fanden diese Essays mit ihrem tiefen Ernst und ihrer scharfen Polemik gegen allen modernen Optimismus und Fortschrittswahn wenig Verständiß und Beifall. Und fast noch weniger wollten die übrigen freilich nur zum geringen Theil von W. inspirirten Aufsätze der „Baireuther Blätter“ den ferner stehenden Lesern zusagen. Nur im engsten Kreise seiner Anhänger übte die Monatsschrift die von ihr erwartete Wirkung, hier aber oft desto nachdrücklicher, aus. Aber eben damals erzielte W. den unmittelbarsten und allgemeinsten Eindruck, der vielleicht jemals seiner Kunst beschieden war, mit dem religiös-mystischen Drama, das, dieselben Ideen wie jene Essays verkündigend, zur Ertödtung der sinnlich-sündigen Begierde und Bethätigung des erlösenden Mitleids mahnte, mit dem Bühnenweihfestspiele „Parsifal“.

Schon 1857 und genauer 1865 hatte sich W. den Entwurf dieses seines letzten Werkes aufgezeichnet; doch erst im Februar 1877 vollendete er die Dichtung, im Januar 1882 die gesammte Partitur. Wiederholte Erkrankung an der Gesichtsrose zwang ihn, öfters die Arbeit zu unterbrechen, und bewog ihn [569] zu mehrfachem, andauerndem Aufenthalt in Italien (von Januar bis zum October 1880 in Neapel, Siena und Venedig, vom November 1881 bis zum Frühling 1882 in Palermo). Den „Parsifal“ bestimmte er von allem Anfang an ausschließlich für das Baireuther Festspielhaus. Im August 1881 fanden die ersten vorbereitenden Clavierproben statt; genauere vollständige Proben folgten im Sommer 1882, und am 26. Juli 1882 reihte sich unmittelbar daran die erste Aufführung des Bühnenweihfestspiels, die bis zum 29. August noch fünfzehn Male wiederholt wurde. Den Kern des Orchesters und der Chöre bildeten die von König Ludwig zur Verfügung gestellten Kräfte des Münchener Hoftheaters unter der Leitung Hermann Levi’s und Franz Fischer’s; die Solorollen waren wieder, wie 1876, ausgezeichneten Sängern verschiedner deutscher Bühnen übertragen. Zum höchsten künstlerischen Gelingen gesellte sich diesmal auch der äußere Erfolg: gestützt auf das materielle Erträgniß der von überaus zahlreichen Gästen aus aller Welt besuchten Vorstellungen des „Parsifal“, konnte W. sogleich die Wiederholung der Festspiele für 1883 ankündigen.

Aus den tiefsinnigsten Sagen des christlichen Mittelalters, den Sagen von Parzival und vom heiligen Gral, wie sie in edelster Fassung Wolfram von Eschenbach mit epischer Breite darstellte, hatte W. die Umrisse und Hauptgestalten für die dichterische Handlung seines letzten Werkes genommen. Meisterlich verstand er es wieder, den weitschichtigen Stoff, der ihm hier geboten wurde, dramatisch zu concentriren und zu vereinfachen; namentlich drängte er öfters mehrere Personen des mittelhochdeutschen Epos in eine Gestalt zusammen, die er überdies durch die Aufnahme bedeutsamer Charakterzüge aus anderweitigen Sagen ungemein glücklich vertiefte. So entlehnte er auch aus andern, besonders französischen Fassungen der Gralssage, die er vielleicht nur aus gelegentlichen Berichten gelehrter Forscher kannte, desgleichen aus der Geschichte der büßenden Magdalena, aus dem Gedicht vom Wartburgkrieg und E. T. A. Hoffmann’s Neubearbeitung desselben, aus Immermann’s „Merlin“, aus Legenden und Volksmärchen und vornehmlich aus dem „Alexanderlied“ des Pfaffen Lamprecht einzelne für seine eigene Darstellung höchst wichtige Motive. Aber von jeder äußerlichen, mosaikartigen Zusammensetzung weit entfernt, verband er alle diese Bilder aus fremden Werken, die großentheils aus vieljähriger Erinnerung seiner Phantasie vorschwebten, zur lebendigsten organischen Einheit, indem er als frei schaffender Künstler sie in seinem Geiste völlig neu gestaltete. Im Aufbau des Ganzen wie in der kunstvollen Ausbildung des Einzelnen erwies er sich auch hier als dramatischen Meister, obwol er sich nicht an die Schulregeln der herkömmlichen Tragödie band. Die philologisch unrichtige Schreibung und Deutung des Namens Parsifal durch Görres (in der Vorrede zum altdeutschen „Lohengrin“) gab ihm den Anstoß zu der dramatischen Grundidee seines Werkes. Den Helden seiner Dichtung zeichnete er als den „reinen Thoren“, der, indem er der sinnlichen Begierde siegreich widersteht, „durch Mitleid wissend“ und so der sündigen Welt und sich selbst zum Erlöser von Begierde und Leiden wird. Die musikalische Composition des „Parsifal“ stand gemäß der feierlich-religiösen Grundstimmung des Ganzen an leidenschaftlicher Beweglichkeit, nicht aber an Reichthum, Kraft und Schönheit der Erfindung hinter Wagner’s früheren Werken zurück. Sie ruhte auf denselben Grundlagen wie alle seine Tönschöpfungen aus den letzten dreißig Jahren, war aber stellenweise, da auch die dichterische Handlung ein Meisterstück von einfachster Größe war, harmonisch wie melodisch schlichter geartet und gab in reicherem Maße wieder den durch den dramatischen Zweck der hier geforderten, bisweilen an ältere kirchliche Musik anklingenden Chören und selbst dem Massengesange Raum. Ueberall durchdrangen sich Poesie und Musik gegenseitig auf das innigste; tiefste dramatische Wahrheit klang überzeugend und ergreifend aus [570] den mystisch erhabenen Tönen, in denen sich die Wunderwelt göttlicher Gnade und reinsten Glaubens offenbarte, wie aus den wirkungsvoll mit ihnen wechselnden Stimmen verführerischer Weltlust und nach Erlösung ringender sündiger Leidenschaft.

Schon während der Aufführungen des „Parsifal“, in dessen begeisterter Aufnahme man endlich eine erste Gewähr für den einstigen vollkommenen Sieg des Baireuther Gedankens erblicken mochte, suchten kleine Unpäßlichkeiten W. mehrfach heim. Gleich nach dem Ende der Festspiele begab er sich daher im September 1882 mit den Seinen zum Herbst- und Winteraufenthalte nach Venedig. Bald sandte er von hier aus wieder Beiträge zu den „Baireuther Blättern“; dann beschäftigten ihn namentlich schon die Vorbereitungen zu den Festspielen des nächsten Sommers. So bis zur letzten Stunde thätig, erlag er am 13. Februar 1883 im Palazzo Vendramin einem jähen, heftigen Anfall eines Herzleidens, das schon längere Zeit in ihm schlummerte, ohne ihm oder den Seinen Sorge für den nächsten Augenblick einzuflößen. Seine Leiche wurde nach Beireuth übergeführt und dort nach seinem Wunsch im Garten seines Hauses am 18. Februar beigesetzt, geleitet von den Tausenden seiner Freunde und Anhänger aus Nah’ und Fern, die sich noch um den Sarg des hoch bewunderten und heiß geliebten Meisters scharen wollten. Noch keinem deutschen Dichter – außer etwa Klopstock und Grillparzer – war eine ähnliche Todtenfeier bereitet worden. Auch alle größeren Bühnen Deutschlands ehrten würdig den Verewigten, dessen Werke gerade in den nächsten Jahren nach seinem Tode eine ungeahnt weite Verbreitung im Vaterlande wie in der Fremde und einen bedeutsamen Einfluß auf das gesammte Kunstleben Deutschlands und der Nachbarstaaten gewannen. Mit der allgemeinen Theilnahme an ihnen wuchs namentlich auch der Erfolg, der Wagner’s eigentlichstes Vermächtniß, die von seiner Wittwe heilig gewahrten Baireuther Festspiele, immer reicher und herrlicher krönte. Und wie der Geist des Künstlers unsterblich in seinen Werken fortlebt, so bleibt auch das Andenken des hochgesinnten wie herzlich guten, bei allen Stürmen der Leidenschaft, die in ihm brausten, doch liebevoll milden und kindlich-liebenswürdigen Menschen, dem muthvolle Wahrhaftigkeit und klare Natürlichkeit über alles ging, der Seele seiner vielen, treu ergebenen Freunde unvergänglich eingeprägt.

Ueber sein Leben und Wirken hat sich W. selbst wiederholt in seinen Schriften mit rückhaltsloser Aufrichtigkeit ausgesprochen, am ausführlichsten in der „Autobiographischen Skizze“ (1843) und in der „Mittheilung an meine Freunde“ (1852). Ebenfalls zum größten Theil aus Wagner’s Schriften und unter seiner Aufsicht sowie in seinem Namen stellte Freiherr Hans Paul v. Wolzogen den englischen, 1879 in der „North-American Review“ gedruckten Essay „The work and mission of my life“ zusammen, der 1884 zu Leipzig, durch ein Nachwort vermehrt, auch in deutscher Sprache erschien („R. Wagner’s Lebensbericht“). Eine mehrbändige, genau ins Einzelne eindringende Selbstbiographie Wagner’s ist bisher nur als Manuscript gedruckt, den allernächsten Freunden zugänglich geworden und bleibt der Oeffentlichkeit gleich den allermeisten Briefen von und an W. vorerst noch vorenthalten. Aus der Fülle der letzteren erschienen bis jetzt vornehmlich der Briefwechsel mit Liszt von 1841 bis 1861 (2. Bde., Leipzig 1887), die Briefe an Theodor Uhlig, Wilhelm Fischer und Ferdinand Heine (Leipzig 1888), an Frau Eliza Wille geb. Sloman („Deutsche Rundschau“, Bd. 50, Berlin 1887), an Emil Heckel („Die Bühnenfestspiele in Baireuth“ von Karl Heckel, Leipzig 1891), an August Röckel (Leipzig 1894), an Ferdinand Praeger („Baireuther Blätter“ 1894), dazu zahlreiche Einzelbriefe, in Zeitungen, Memoiren und andern Schriften veröffentlicht (zum Theil verzeichnet von Emerich Kastner, „Wagneriana“, Theil 1, Wien 1885). Die Litteratur, die sich an Wagner’s [571] Leben und Wirken, oft auch nur an seinen Namen heftet, ist wol schon jetzt in ihrer ganzen Ausdehnung nicht mehr zu übersehen. Gleichwol ist eine des großen Menschen und Künstlers in jeder Hinsicht würdige Biographie auch heute noch nur ein frommer Wunsch. Die Grundlage zu einer solchen wird stets das von peinlichem Fleiße, gewissenhaftester Sorgfalt und innigster Begeisterung zeugende Buch von Karl Fr. Glasenapp bleiben („R. Wagner’s Leben und Wirken“, 2 Bde., Kassel und Leipzig 1876–77; 3., reichlich vermehrte Auflage, 3 Bde., Leipzig 1894 ff., bisher nur Bd. 1 erschienen), zuverlässig und nahezu erschöpfend im Bericht über alle äußeren Lebensereignisse, Begegnungen und Erfahrungen Wagner’s, aber in der Darstellung und geschichtlichen Würdigung seines künstlerisch-geistigen Schaffens ungenügend, auch sonst im Urtheil manchmal einseitig. Kürzere Biographien verfaßten unter andern Wilhelm Tappert (Elberfeld 1883, besonders werthvoll für die Erkenntniß von Wagner’s Entwicklung bis etwa 1849), Richard Pohl (Leipzig 1884, in der von Paul Graf Waldersee herausgegebenen Sammlung musikalischer Vorträge, 5. Reihe, trefflich in der übersichtlich zusammenfassenden Darstellung der Verdienste Wagner’s um das musikalische Drama) und Franz Muncker (Bamberg 1891, nur eine knappe Skizze, die auf geschichtliche Erkenntniß der Werke Wagner’s abzielt und besonders über ihre Stellung in der deutschen Litteratur manche, auch hier wiederholte Andeutungen enthält). Tiefer in das Einzelne dringen zwei umfangreiche Werke ein: „R. Wagner’s geistige Entwickelung“ von Hugo Dinger (2 Bde., Leipzig 1892 ff., bisher nur Bd. 1 erschienen, trotz einigen Irrthümern, unvorsichtigen Urtheilen und übereilten Schlüssen ein recht dankenswerthes, wissenschaftlich aufschlußreiches Buch) und „R. Wagner“ von Houston Stewart Chamberlain (München 1896, geistig umfassender als alle früheren Darstellungen, ausgezeichnet in der ästhetischen und allgemein philosophischen Betrachtung von Wagner’s Schaffen und Streben, einseitig fast nur in der augenfälligen, ungerechtfertigen Mißachtung des historischen Moments der Forschung). Zahlreiche Aufsätze, besonders in den „Baireuther Blättern“, dem „Baireuther Taschenkalender“ (seit 1885), der „Revue Wagnérienne“ (3 Jahrgänge, Paris 1885–88), dem von Joseph Kürschner herausgegebenen „R. Wagner-Jahrbuch“ (nur ein Band, Stuttgart 1886) und in den verschiedenen Musikzeitungen, sowie viele Einzelschriften von ungleichem Werthe sind den einzelnen Werken und bestimmten Seiten in Wagner’s künstlerisch-geistiger Thätigkeit gewidmet. Auch sämmtliche soeben genannten Biographen haben auf diesem Gebiete gearbeitet. Besondere Erwähnung verdienen in dieser endlosen Reihe, die mit Liszt’s geistvollen und begeisternden Essays über „Tannhäuser“ und „Lohengrin“ (1851; vgl. Liszt’s gesammelte Schriften, Bd. 3, Abtheil. 2, Leipzig 1881) stolz beginnt, etwa noch die mannichfachen Schriften Hans Paul v. Wolzogen’s (neben den „Thematischen Leifäden“ durch die Musik des „Rings“, des „Tristan“ und des „Parsifal“ namentlich „Wagneriana“, Leipzig 1888, und „Erinnerungen an R. Wagner“ (Leipzig 1891), ferner Chamberlain, „Das Drama R. Wagner’s“ (Leipzig 1892), Hermann Freiherr v. der Pfordten, „Handlung und Dichtung der Bühnenwerke R. Wagner’s“ (Berlin 1893) und Alfred Ernst, „L’art de R. Wagner“ (2 Bde., Paris 1893 ff.). Unmittelbar aus Wagner’s Schriften stellten Glasenapp und Heinrich v. Stein ein „Wagner-Lexikon“ (Stuttgart 1883), der erstere auch eine „Wagner-Encyklopädie“ (2 Bde., Leipzig 1891) zusammen. Ein Verzeichniß der ganzen, massenhaften Litteratur versuchte Emerich Kastner („Wagner-Katalog“, Offenbach a. M. 1878) und viel umfassender Nikolaus Oesterlein („Katalog einer R. Wagner-Bibliothek“, 4 Bde., Leipzig 1882–95).