ADB:Elisabeth (Landgräfin von Thüringen)
Ludwig IV. von Thüringen, Tochter des Königs Andreas von Ungarn und seiner Gemahlin Gertrud, zweiter Tochter Bertholds III., Herzogs von Meran, Grafen von Andechs, Markgrafen von Kärnthen und Istrien, geb. im J. 1207, gest. zu Marburg 19. Novbr. 1231. Schon bei Lebzeiten wegen ihres heiligen Wandels ein Augenmerk des Papstes. Gregor IX., der sie ihrem Beichtvater, dem päpstlichen Inquisitor Konrad von Marburg, zu geistlicher Leitung besonders empfahl, wurde sie nach Einholung von Berichten über ihren Wandel und über eine Reihe von außerordentlichen Heilungen an ihrem Grabe von ihm am 1. Juni 1235 als Heilige proclamirt, in Folge wovon am 1. Mai 1236 im Beisein Kaiser Friedrichs II., einer Anzahl deutscher Fürsten, Erzbischöfe und Bischöfe und einer unzählbaren Menge von Pilgrimen ihre Gebeine aus dem Grabe erhoben und zur Adoration ausgestellt wurden. Ueber ihrem Sarkophag erhob sich, von ihrem Schwager Konrad gegründet, dicht neben dem von ihr gestifteten Hospital, ein in den einfachsten und schönsten Formen der Frühgotik gehaltener Dom, eine Zierde nicht nur Marburgs, sondern Deutschlands. Um die Geschichte Elisabeths aber, die mehr und mehr zur gefeiertsten Heiligen Deutschlands ward, schlingt sich von jener Zeit an ein reicher Kranz von Sagen und Dichtungen, denen sogar das Ungemeine gelang, ihre Geburt mit der Glanzperiode der deutschen Dichtung im 13. Jahrhundert in gewisse Verbindung zu setzen. Gerade diese Ueberwucherung ihrer Geschichte durch Mähre und Dichtung, deren Inhalt am vollständigsten und anmuthigsten durch Graf Montalembert dargestellt worden ist, hat unserer Zeit Veranlassung gegeben, durch Zurückgehen auf die ältesten Quellen ihr Leben genau zu erforschen. Am entschiedensten hat Wegele, der verdiente Herausgeber der Reinhardsbrunner Annalen, diese Aufgabe ergriffen und sie in einem Aufsatz über die heilige E. (in Sybel’s Histor. Zeitschrift, München 1861) gelöst. Auf Grund der Dicta Ancillarum bei Menken Scriptores II (mit denen die noch ungedruckte Bearbeitung derselben durch Cäsarius von Heisterbach aus den Jahren 1236 und 1237 zu verbinden ist), der vorhandenen Reste einer Vita Ludovici von Bruder Berthold in Reinhardsbrunn und jenes Berichtes Konrads von Marburg an Gregor IX. hat er in unparteiischer Weise ein ansprechendes Lebensbild der heiligen E. gezeichnet, worin er zugleich die von der Sage unkenntlich gemachten Verhältnisse behandelt. Gleichwol wird die Forschung theils durch Sichtung des vorhandenen Quellenmaterials, theils durch Lösung einzelner die innere Entwicklung Elisabeths betreffende Räthsel noch einiges nachzutragen haben.
Elisabeth, Gemahlin des LandgrafenDessen bedarf gleich die Geschichte ihrer ersten Jahre. Nicht als ob wir, um die Uebersiedelung der vierjährigen Königstochter an den landgräflichen Hof auf der Wartburg (1211) zu erklären, ohne die urkundliche Nachweisung einer besonders engen Verbindung der beiden Höfe, welche allerdings noch nicht geliefert ist, auf die Mythe von Klingsor zurückgreifen müßten. Die Vermuthung Wegele’s, daß das vermittelnde Glied in dem Bischof Eckbert von Bamberg zu sehen sein werde, der nach der Ermordung Philipps durch Otto von Wittelsbach 1208 von Bamberg an den [41] Hof seines Schwagers in Preßburg floh und dann 1211 unter Mitwirkung des Landgrafen Hermann in sein Amt wieder eingesetzt wurde, reicht zunächst aus. Aber es fragt sich, wie ist die eigenthümlich kirchlich-religiöse Haltung des Kindes und weiterhin der heranwachsenden Jungfrau auf der Wartburg zu erklären? E., so erzählt in den Ancillenberichten ihre älteste Gefährtin, spielte wol mit andern Kindern und jagte sie gelegentlich, auf einem Bein hüpfend, nach der Schloßcapelle zu, aber – um unterdeß einen Augenblick hineinzuschlüpfen, oder um die Schwelle und Wände derselben zu küssen; sie warf sich wol mit den andern auf die Erde, um sich da mit ihnen zu messen, aber – sie that das, um dabei einige Kniebeugungen zu machen; wenn sie ärmeren Kindern etwas schenkte, verpflichtete sie sie zum Sagen einiger Ave Maria. Weiter hören wir, daß die herangewachsene Jungfrau, in schönem Anzug mit der Prinzessin Agnes im Geleit der Landgräfin Sophie zur Kirche gegangen, während der Wandlung den goldenen Hauptschmuck ablegte und in sichtlich demüthiger Haltung dasaß. Wie ist ein solches Werthlegen auf äußere Bezeigungen der Frömmigkeit gerade auf der Wartburg zu begreifen, wo ein kirchlicher Ton in der Gesellschaft nicht herrschte? E. muß neben der kindlichen und aufrichtigen Frömmigkeit, die in ihr war, und von der religiösen Stimmung der Zeit abgesehen, von ihrer Heimath her eine Neigung, dieselbe auch äußerlich kundzugeben, mitgebracht haben. Und woher wird diese abzuleiten sein? Man kann wol sagen: ein Haus wie das der Mutter Elisabeths, das Haus des Herzogs Berthold von Meran, aus welchem ein Bischof, ein Patriarch, eine Aebtissin und eine Herzogin, welche später heilig gesprochen worden ist, hervorgegangen sind, muß wol in ganz besonderer Art eine Stütze kirchlich strenger Frömmigkeit gewesen sein, und durch ihre Mutter Gertrud, wenn dieses sich auch weniger nachweisen läßt, wird eine solche auf E. übergegangen sein. Aber die Sache liegt noch anders. Jene Herzogin, seit 1186 Gemahlin des Herzogs Heinrich des Bärtigen von Schlesien und Polen, Hedwig, die Mutterschwester Elisabeths, war nach der von Stenzel herausgegebenen Vita S. Hedwigis in einem Grade kirchlich und ascetisch, und genoß deshalb auch um ihres Einflusses auf die Ihrigen willen lange vor ihrer Canonisation einen solchen Ruhm, daß sie sicher sehr früh ihrer Nichte als Vorbild aller Tugenden vorgestellt worden ist. Nun wird gerade von ihr gerühmt, daß sie schon als Kind ein greises Herz gehabt, daß sie allen Leichtsinn gemieden, daß sie sich nie unter spielende Kinder gemischt, daß sie in geringen Kleidern einhergegangen sei, daß sie von ihrer Jugendzeit an keine Scharlachkleider, keine übermäßig kostbaren Tücher, keine safranfarbigen Schleier um den Kopf getragen habe; ja daß sie während der Messe in Andacht auf ihr Angesicht niedergefallen sei, um den Boden zu küssen. Da ist es wol unzweifelhaft der von Hedwig ausgehende Einfluß, auf den wir jene befremdenden Erscheinungen in Elisabeths Kindheit und Jugend zurückführen, und worin wir auch den Schlüssel zu mehr als einer Eigenthümlichkeit ihrer reiferen Jahre zu finden haben.
Damit hat Hedwig denn, ohne es zu wollen, die Veranlassung zu den schweren Erfahrungen gegeben, welche E. auf der Wartburg gemacht hat. Was man beim Kind übersehen hatte, mochte man an der Jungfrau nicht leiden, und da sie an ihrer Unterscheidung von weltlichem und kirchlichem Leben fest genug hielt, um sich von dem, was sie für geboten hielt, nicht abbringen zu lassen, so setzte sie sich der Gefahr aus, entweder verachtet oder gehaßt zu werden. Es ist für den Eindruck, den sie mit ihrem religiösen Verhalten machte, bezeichnend, daß wir in den Berichten über sie von keinem einzigen freundlichen Wort lesen, welches die Landgräfin oder ihre schöne Tochter jemals mit ihr gesprochen hätten. Dazu kam im Fortschritt der Jahre das Ausbleiben einer Ausstattung der Braut. Was die Ancillenaussagen von einer dadurch erzeugten Mißstimmung [42] der landgräflichen Beamten melden, kann doch nur darauf führen, daß man darüber vor allem in der maßgebenden Region mißvergnügt war. Wirklich kam es dazu, daß man Ludwig, der seit seines Vaters Hermann Tod (1216) den Landgrafenstuhl einnahm, zu überreden suchte, die ihm angetraute Braut heimzuschicken und sich bei näheren Höfen Raths zu holen. Aber dieser Angriff auf die trauernde Ausländerin gab nur den Anlaß zu einer entscheidenden Erklärung Ludwigs an den wackern Walter von Vargila, der ihm von den Reden, die man am Hofe führte, Mittheilung machte. „Man sage, was man sage“, entgegnete der Landgraf, „so spreche ich, daß sie mir lieb ist und auf dieser Erde ich nichts lieberes habe.“ Alle Mißgunst am Hofe mußte schweigen. Im J. 1221 wurde das landgräfliche Paar, Ludwig 20, E. 14 Jahre alt, feierlich vermählt.
Berthold, der uns jene schöne Antwort aufbewahrt hat, redet aufs erfreulichste auch von dem Glück dieser Ehe. „Ach, welch ein selig heilig unschuldig Paar“, sagt er, „kam hier zusammen nach Gottes Willen!“ E. hing mit zärtlicher Hingebung an Ludwig: wir lesen davon, daß, als es ihm darauf ankam eilig zu einem angesetzten Landtage zu gelangen, sie ihn begleitete und an seiner Seite einen Ritt von acht deutschen Meilen zurücklegte. Seinerseits trug Ludwig mit liebenswürdiger Ruhe ihre geistlichen Uebungen. Sie stand, auch hierin ein Abbild der Gräfin Hedwig, des Nachts öfters auf, um zu beten: er gestattete, obwol es für ihn mit Unbequemlichkeiten verbunden war, daß eine ihrer Dienerinnen sie dazu weckte. Kniete sie dann im Bett, so ergriff er wol ihre Hände mit den seinigen und mahnte sie, ihrer selbst zu schonen. Nur daß sie sich während der Fastenzeit, auch hierin ihrer Tante Hedwig nachfolgend, in einem Nebenzimmer von ihren Dienerinnen geißeln ließ, würde er, wenn er es erfahren hätte, nicht gebilligt haben. Ihre Bedenken, von Gerichten an der landgräflichen Tafel zu essen, welche etwa von einer Kriegsbeute oder von einer mit Gewalt weggenommenen Naturalsteuer armer Leute herrührte, ließ er gelten und gab ihr zu erkennen, daß er sie im Grunde theile. Die von der jugendlichen Gemahlin in ihrem Mitleid mit armen Kranken begangene Unbesonnenheit, einen Aussätzigen auf Ludwigs Bett zu legen, pries er als einen in Christo gethanen Dienst gegen seine darüber erzürnte Mutter; und als sie in der Hungersnoth der Jahre 1225 und 1226 während einer langandauernden Abwesenheit Ludwigs in Italien die landgräflichen Kornkammern aufgethan und durch Anlegung eines Krankenhauses in Eisenach und tägliche Speisung von 400 Armen nicht allein die Vorräthe verbraucht, sondern die Einnahmequellen selbst geschmälert hatte, sagte er bei seiner Rückkehr zu den hierüber Klage führenden Beamten: „Laßt sie armen Leuten nach ihrem Willen gütlich thun, wenn uns nur Wartburg und die Neuburg (Freiburg) verbleiben!“
Um so befremdender ist auf den ersten Blick der uns in jene Zeit versetzende Bericht Konrads, ihres Beichtvaters, über eine von E. gegen ihn gethane Aeußerung (bei Kuchenbecker Annal. Hass. p. 110): „er habe sie (bei einem seelsorgerischen Besuch) in Klagen darüber angetroffen, daß sie sich einst vermählt habe.“ Ist’s möglich? hat Elisabeth dies gesagt? wo ist da noch Liebe, wo auch Dank für die erwiesene Geduld und Freundlichkeit ihres Gemahls? Wir möchten Konrad, wenn es anginge, der Lüge zeihen! Doch erwägen wir das Wort genauer, so finden wir, daß es sich gerade unter der Voraussetzung, daß sie ihren Gemahl noch eben so zärtlich liebte, wie von jeher, am vollständigsten erklärt. Es bezieht sich auf das geistliche Lebensgebiet, auf welches, wie wir gesehen, E. schon in ihrer Kindheit mit Erfolg hingeleitet worden war und welches sie auf der Wartburg mit um so größerer Entschiedenheit, je reifer sie geworden, betreten hatte. Darauf deuten schon die mit jener Aeußerung in Verbindung stehenden [43] Worte: (in Klagen) „daß sie ihr gegenwärtiges (zeitliches) Leben nicht in jungfräulicher Blüthe beschließen konnte“. Seit der Apokalyptiker (14, 4) die Ehelosen als Jungfrauen gepriesen „die dem Lamme folgen, wohin es geht“, war der Ruhm der Jungfräulichkeit in der Christenheit von Jahrhundert zu Jahrhundert gestiegen, sie war vorzugsweise das Ideal, dem die Unzähligen zustrebten, welche sich dem „vollkommenen Leben“ als Mönche und Nonnen widmeten, und soeben hallte die Welt von dem Lobe derer wieder, welche Alles verließen und nach den Regeln des hl. Franciscus oder des hl. Dominicus, das, wie es schien, selige Leben der freiwilligen Armuth ergriffen hatten. In der Bewunderung für diese Geistesthaten hatte sie einer Anzahl von Mennebrüdern, die sich in Eisenach niederließen, Handreichung gethan (in quadam capella sui oppidi, ubi Minores Fratres locaverat); in der Sehnsucht nach Weltentsagung nahm sie Konrad als Beichtiger an und gelobte ihm, um auf diesem Wege durch ihn gefördert zu werden, vorbehaltlich der ehelichen Rechte ihres Mannes vollkommenen Gehorsam, ja für den Fall, daß derselbe vor ihr mit Tode abgehen sollte, Ehelosigkeit bis zum Grabe. Voll treuester Liebe zu ihrem Gemahl und in der Hingabe an die mit dem ehelichen Leben verbundenen Pflichten konnte sie bei der durch jene ihr willkommenen Zeiterscheinungen nahe gelegten Vergleichung dieses Standes mit dem gepriesenen Stand seliger Vollkommenheit im Interesse der religiösen Erhebung bedauern, daß sie in Folge ihrer Verheirathung dieser höchsten Lebensstufe verlustig gegangen war; aber sie fühlte sich durch das Bewußtsein hievon so mehr angetrieben, innerhalb ihres Standes um das höchste geistige Gut der Vollkommenen, die Gemeinschaft mit Gott, durch dauernde Uebung der kirchlich verordneten Mittel des Gebetes, des Fastens und der Barmherzigkeit nach allen Kräften, Leibes und der Seele, zu ringen. Durch diesen mit Begeisterung aufgenommenen Versuch, unvereinbare Gegensätze der Kirchenlehre zu vereinigen, den sie bei Lebzeiten ihres Gemahls durchzuführen sich bestrebte, ist sie auf ihrer Stufe eine Heldin des Glaubens: und darin liegt ihre Größe.
Mit welch inniger Liebe sie ihrem Gemahl ergeben ist, zeigt die ergreifenden Geschichte ihrer Katastrophe, die mit dem Augenblick beginnt, wo sie, erfreut über seine Rückkehr von einer Reise in die untere Werragegend, traulich in seinen Taschen suchend, das Kreuz findet, durch dessen Annahme er sich zur Theilnahme an dem von Friedrich II. dem Papst zugesagten Kreuzzug nach dem hl. Lande verbindlich gemacht hat: sie sinkt vor Schreck in Ohnmacht. Einige Wochen später, an jenem Johannistag 1227, an dem Ludwig mit seiner Ritterschar von Schmalkalden aufbricht, vermag sie sich nicht von ihm zu trennen, sondern schließt sich dem Zuge an und zieht weiter und immer weiter mit, bis endlich der Abschied geboten ist, und er ihr den Ring zeigt, dessen Ueberbringer ihr sichere Nachricht von ihm bringen werde, er rede von Leben oder Tod. Als im Spätherbst die Kunde von seinem am 11. Sept. in der Nähe von Otranto erfolgten Hinscheiden sie erreicht, ruft sie: „Todt, todt ist mir nun die Welt mit ihrer Freude und Ehre!“ und durcheilt untröstlich die Gänge des Schlosses. Und wahrhaft großartig ist ihr Erscheinen an dem von den rückkehrenden Kreuzfahrern von Italien gebrachten Sarge, der die Gebeine ihres Gemahls birgt. „Herr“, spricht sie im Gebete, „du weißt wol, daß mir, hätte es nach deinem heiligen Willen sein sollen, sein Leben und sein liebliches, fröhliches Angesicht lieber gewesen wäre, als alle Freude, Wonne, Ehre und Lust dieser Welt … Nun aber will ich deinem Willen, mein allerliebster Herr, nicht widerstreben.“ (Sommer 1228.)
Wir sind damit dem bekannten Exil, welches der Treubruch ihres Schwagers Heinrich Raspe etwa im Dec. 1227 über sie und ihre Kinder verhängte, und woraus die Geschwister ihrer Mutter: Mathilde, Aebtissin eines Klosters zu Kitzingen, und Ekbert, Bischof von Bamberg, sie erlösten, um einen Schritt vorangeeilt. [44] In welch namenlose Bedrängniß sie dadurch auch gestürzt worden ist, ihre Liebe und ihr Gottvertrauen sind unverändert daraus hervorgegangen. Wenn durch ihre Verbannung von der Wartburg eine Veränderung in ihr hervorgebracht worden ist, so liegt dies nur in dem Vorkommen visionärer Zustände in ihrem Leben, die sich in Folge der über sie gekommenen Aufregung und Verlassenheit bei ihr zeigten; wiederum sind diese Zustände nichts anderes, als die Abbilder ihres sich immer bleibenden lauteren, geistigen Wandelns vor Gott.
Durch Vermittelung Ekberts und der heimgekehrten thüringischen Kreuzritter, vor allen Rudolfs von Vargila, der Heinrich Raspe’s Untreue mit unerschrockenen Worten strafte, ward ihr unter Zusage von 500 Mark jährlicher Einkünfte und Zuerkennung des ihr schon von Ludwig als Wittwensitz zugesagten Marburg die Wartburg wieder geöffnet.
Jedoch das nahe Beisammensein mit ihren alten Gegnern und mit Heinrich selbst, welcher seinen Versprechungen nicht nachkam, konnte nicht tröstlich für sie sein. Wie uns Konrad, dem sie um diese Zeit durch den auf ihr Unglück aufmerksam gewordenen Papst Gregor IX. zur geistlichen Pflege besonders empfohlen wurde, in dem erwähnten Briefe an diesen mittheilt, bewegen Gedanken ganz anderer Art, als der an ein ruhiges Bleiben auf der herrschaftlichen Burg ihr Inneres. Sie gedachte, um die höchste Vollkommenheit zu erreichen, in ein Kloster zu gehen, oder – und hierzu bat sie ihn unter vielen Thränen um seine Gestattung – vor den Thüren zu betteln. Nachdem er ihr dies abgeschlagen, vollzog sie Charfreitag 1229 in der Capelle der Mennebrüder einen feierlichen Act der Entsagung. Die Hände auf den Altar legend, erklärte sie, daß sie dem Gegenwärtigen und dem Vergangenen, dem eigenen Willen, aller Herrlichkeit der Welt und allem, was Christus im Evangelium (vgl. Mt. 19, 29) zu verlassen befiehlt, entsage. Sie würde auch den Besitzungen (zu verstehen von den durch Heinrich ihr zugesagten) entsagt haben, wenn Konrad sie daran nicht gehindert hätte. Und von diesem Gedanken erfüllt, zog sie nach Marburg.
Wenn die Quellenberichte die Veranlassung zu diesem Schritt ihrem Beichtiger Konrad zuschreiben, dieser aber das Gegentheil davon an den Papst berichtet, so wird, da wir keinen Grund haben, ihn einer Lüge zu zeihen, die eine und die andere Aussage auf verschiedene Momente zu beziehen sein.
Genug, E. traf mit ihren Dienerinnen Gude und Eisentrud Sommer 1229 in dem kleinen Ort der äußersten Grenze Thüringens ein, nahm jedoch nicht in ihrem Wittwensitz, dem Schloss, dessen Bewohner, die Burgleute, gegen sie feindlich gesinnt waren, Aufenthalt, sondern in dem nahegelegenen Wehrda, welches damals außer einem Burgsitz ein Kloster mit einer Capelle besaß. Erst nachdem ein Haus aus Holz und Lehm am Fuße des Schlossberges für sie fertig geworden war, zog sie nach Marburg, und der Einzug in ihr Haus ist mit zwei für sie sehr bedeutenden Ereignissen bezeichnet. Sie zog mit ihren Dienerinnen den grauen Rock des dritten Franciscusordens an, und als erste seelsorgliche Maßnahme traf Konrad die grausame Bestimmung, daß zuerst die eine, später die andere jener Dienerinnen, damit alle Gedanken an die frühere Größe aus Elisabeths Herz herausgerissen würden, von ihr entfernt und durch zwei andere, die eine von sehr verächtlichem Aussehen, die andere harthörig und von mürrischer Sinnesart, behufs Förderung Elisabeths in der Demuth und Geduld ersetzt werden sollten. Unter heißen Thränen schieden erst Gude und dann Eisentrud von ihrer geliebten Herrin und die Anderen traten ein.
Folgerichtigkeit kann man in Konrads hartem Verfahren nicht verkennen. Vergegenwärtigen wir uns nach den Begriffen der Kirche die von E. damals erreichte [45] geistliche Stufe. Auf der Wartburg hatte sie, solange ihr Gemahl lebte, in ehelichem Stande nach der Vollkommenheit gerungen; bereits hatte sie außer vollkommenem Gehorsam für den Fall ihrer Wittwenschaft Ehelosigkeit in Konrads Hand gelobt. Nun war dieser Fall eingetreten. Gebunden durch dieses Gelöbniß, fügte sie demselben, daß sie dem eigenen Willen entsagte, eine Verschärfung des schon angelobten Gehorsams hinzu. Ihrer Gesinnung nach hatte sie auch allen Gütern entsagt und damit das dritte Gelübde, das der Armuth, auf sich genommen. Daß sie thatsächlich ihren Besitzungen entsagte, daran hatte nur Konrad sie gehindert. Sie stand also der ersehnten Vollkommenheit des Lebens ganz nahe. Für Konrad kam es jetzt darauf an, sie in dem geistigen Besitz, den sie errungen, zu erhalten, und dazu sollte der rücksichtslose Befehl an E., durch Entlassung ihrer vertrauten Dienerinnen ihm Gehorsam zu zeigen und durch Annahme von unliebsameren ihre Demuth und Geduld zu fördern, dienlich sein.
Für E. that sich aber nun eine neue Aussicht auf. Gezwungen, ihre Besitzungen zu behalten, blieb ihr übrig, die Gesinnung, die sie in Bezug auf dieselben schon ausgesprochen, dadurch zu bethätigen, daß sie alles, was sie hatte, zu Werken der Barmherzigkeit verwendete. In Gebet und Fasten, in Keuschheit und Gehorsam, die Stimme ihres Beichtigers als Gottes Stimme verehrend, faßte sie den Entschluß, diese Möglichkeit zur Wirklichkeit zu erheben. Und von der Bezeigung dieser Liebe sind die Berichte der Ancillen, auch der beiden, die bestimmt waren, ihr das Leben zu erschweren, erfüllt. Arme und Kranke waren der Gegenstand ihrer Sorge und Pflege. Konrad mußte oft durch seine Geißel Einhalt thun, damit sie darin nicht zu viel thäte; waren ihr heute die Hände gebunden, so bewegten sie sich am nächsten Tage desto freier, denn sie wurde krank, wenn sie nicht Liebe erweisen konnte. Was sie den Einzelnen, die sie oft in Schaaren um sich sah, Gutes und Liebes gethan, dessen wird das Volk nie aufhören, mit Dankbarkeit zu gedenken. Was sie für die Zukunft stiftete, das Hospital für arme Kranke und Pilgrime in Marburg, das steht noch in lebendiger Blüthe vor uns, das Denkmal reiner Liebe, die nichts für sich behalten wollte – denn das Wenige, was E. bedurfte, verdiente sie sich durch ihrer Hände Arbeit – sondern nur bestrebt war, dem armen und kranken Volk um Christi willen zu helfen.
Fromme, treue Selbstaufopferung, das ist der Charakter der Marburger E.
Freilich war die Vollkommenheit, wie sie die Kirche ihr als höchstes Ziel vorhielt, in der Wirklichkeit keine Vollkommenheit. Die Forderungen des allernächsten, des häuslichen Berufes, mußten über dem Streben nach jener in den Hintergrund treten. Indem E. Gott dankte, daß sie es durch Gottes Hülfe dahin gebracht, daß ihr um der Liebe zu Gott willen ihre Kinder wie jeder andere nächste seien, bezeugte sie laut, was der Kirche und was ihr selbst fehle. Aber mit den Mitteln, die ihr die Kirche bot, hat sie treulich und freudig bis zu ihrem seligen Ende um ihr Heil gekämpft.
- Die alte Litteratur siehe bei Montalembert. Die wichtigsten neuen Schriften: K. W. Justi, Elisabeth die Heilige, Zürich 1797, 2. Aufl. Marburg 1835. Comte de Montalembert, Histoire de Ste. Elis. de Hongrie, duchesse de Thuringe, Paris 1836. Uebersetzt und bereichert von J. Ph. Städtler. 3. Aufl. Aachen und Leipzig 1845. G. Simon, Ludwig IV. genannt der Heilige etc. und seine Gemahlin, die hl. Elis. von Ungarn, Frankfurt 1854. G. W. Fink, Elisabeth, bei Ersch und Gruber I. 33. Leipzig 1840. Franz Xav. Wegele, Die hl. Elisabeth von Thüringen, in Sybel’s Hist. Zeitschr. 1861. E. L. Th. Henke, Konrad von Marburg, Beichtvater der hl. Elis. u. Inquisitor, Marburg 1861.