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Artikel „Sybel, Heinrich von“ von Paul Bailleu in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 54 (1908), S. 645–667, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Sybel,_Heinrich_von&oldid=- (Version vom 11. Oktober 2024, 14:25 Uhr UTC)
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Sybel: Heinrich von S., berühmter Historiker, geboren zu Düsseldorf am 2. December 1817, † zu Marburg am 1. August 1895. – Das altbürgerliche Geschlecht Sybel wohnte weitverzweigt in der Grafschaft Mark, einige Kaufleute, die meisten Theologen, unter ihnen des Historikers Großvater Ludolf Florenz S., Subrector des Gymnasiums in Soest, später Pfarrer an der dortigen Petrikirche, ein trefflicher Lehrer und Prediger, von tüchtiger Bildung, die er auch als Verfasser von „Beiträgen zur westfälischen Kirchen- und Literaturgeschichte“ bekundete. Unter seinen hinterlassenen Schriften finden sich noch Abhandlungen über „das Testament Friedrich’s des Großen“ und über die Frage: „Ist durch Revolutionen in den Staaten wahre Verbesserung für das Menschengeschlecht zu hoffen?“ – gleichsam Vorarbeiten für die [646] späteren Forschungen des Enkels. Sein 1781 geborener Sohn Heinrich Philipp Ferdinand, ursprünglich gleichfalls zur Theologie bestimmt, wählte nach eigener Neigung die juristische Laufbahn und wurde 1804 Assessor in Münster, unter der Franzosenherrschaft 1811 kaiserlicher Procurator, 1816 Justitiar bei der preußischen Regierung in Düsseldorf. Vermählt seit 1815 mit der Tochter eines wohlhabenden Elberfelder Kaufmanns, Amalie Brügelmann, die in einer Heidelberger Pension eine ausgezeichnete Bildung erhalten hatte, gelangte er bald zu Ansehen und Wohlstand, so daß er 1831 in den erblichen Adelstand erhoben wurde. In dem unter preußischer Herrschaft rasch emporblühenden Düsseldorf wurde sein Haus ein Mittelpunkt künstlerischen und litterarischen Lebens. Auch er war schriftstellerisch thätig; noch sind Aufzeichnungen von ihm erhalten, hauptsächlich Schilderungen aus der Franzosenzeit, in denen er Selbstbiographie und Culturgeschichte glücklich verbindet. Uebrigens war er ein eifriger preußischer Patriot, ein vortrefflicher Beamter, kirchlich und politisch liberal, zugleich, wie es scheint, nicht ohne eine streitlustige Ader.

In diesem Hause wuchs der am 2. December – dem napoleonischen Gedenktage – 1817 geborene älteste Sohn Heinrich Karl Ludolf heran, ein Knabe von lebhaftem und empfänglichem Geiste, von schöner Begabung und ausdauerndem Fleiße. S. selbst hat es immer als ein Glück seiner Jugend gepriesen, „daß er schon als Knabe und weiter als junger Mann in der glücklichen Lage war, alle Eindrücke einer dem Schönen gewidmeten Welt in die begeisterte Seele aufzunehmen“. Er schreibt darüber in seinen 1877 verfaßten Aufzeichnungen: „In den letzten zwanziger Jahren kam W. Schadow als Director der Kunstakademie nach Düsseldorf, mit ihm seine damaligen Schüler Lessing, Hübner, Beckmann, Hildebrand, Schirmer u. s. w. Um dieselbe Zeit wurde K. Immermann dorthin versetzt, bald nachher Felix Mendelssohn als städtischer Musikdirector gewonnen. Alle diese Männer verkehrten viel und dauernd in unserem Hause, wo ihnen meine Mutter, eine für alles Schöne höchst empfängliche Frau, das lebhafteste Interesse entgegenbrachte. Immermann war lange Zeit hindurch täglicher Gast; ich habe selten eine Persönlichkeit wiedergesehen, die jedem Begegnenden in solchem Maße den Eindruck geistiger Superiorität bei hinreißender Liebenswürdigkeit und Frische erweckte. In demselben Kreise erschien dann mit etwas ernsteren Zügen der Kunsthistoriker Schnase, der Dichter Uechtritz.“ Eine Fülle der edelsten ästhetischen Eindrücke umgab den heranwachsenden Knaben und regte zugleich den Sinn für schöne Form und den Trieb zu philosophischer Betrachtung an. Auch das Gymnasium wirkte auf ihn in entsprechender Weise.

Zugleich wandte aber schon der Schüler seine entschiedene Neigung der Geschichte zu. „Ich war unersättlich“, schreibt S. selbst, „in der Lektüre sowohl poetischer als historischer Schriften. Niebuhr’s römische Geschichte machte mir den mächtigsten Eindruck; dann fand ich etwas später auf der städtischen Bibliothek Burke’s Werke, die für meine politische Richtung von dauerndem Einfluß waren“. Das Reifezeugniß der Schule rühmt von S. „genaue sichere und umfassende Kenntnisse in Geschichte, Geographie und Chronologie“.

Nach einer glücklichen Schulzeit, während deren er mit dem gleichaltrigen Bernhard Windscheid und mit Eduard Bendemann dauernde Freundschaft schloß, bezog S. 1834, noch nicht ganz siebzehn Jahre alt, die Universität Berlin, wo er Collegien mannichfaltiger Art, auch chemische, hauptsächlich aber juristische und historische Vorlesungen bei Savigny und Ranke besuchte. Savigny, bei dem er Institutionen und zwei Mal Pandekten hörte, nennt er 1888 „den vollendetsten akademischen Lehrer des 19. Jahrhunderts“. „Mit Ueberraschung wurde ich inne, welche Fülle ethischen und culturgeschichtlichen [647] Reichthums das wegen seiner Trockenheit verrufene Pandektenstudium birgt und mit welcher classischen Meisterschaft und Klarheit der verehrte Lehrer diesen edlen Kern genießbar zu machen wußte.“ „Hier ging mir die Wahrheit auf, daß ein volles Quantum juristischer Bildung die unerläßliche Bedingung für die Erkenntniß und Darstellung politischer Geschichte ist.“ Es war der historische und culturgeschichtliche Gehalt der juristischen Vorlesungen, wohl auch die meisterhafte Verknüpfung der Entwicklung des Rechts mit der Entwicklung des Volksgeistes überhaupt, was ihn besonders zu Savigny hinzog. Mächtiger aber noch als Savigny packte und fesselte ihn doch Ranke, dessen „Fülle der Kenntniß, geistsprühender Vortrag, stets originelle und individuelle Darstellung“ ihm „eine neue Welt eröffneten“. Ranke hatte eben das erste jener historischen Seminare eröffnet, die, von seinen Schülern weitergebildet, auf allen deutschen Universitäten die methodische Quellenforschung gepflegt haben. „Die Morgenstunde in der Jägerstraße“, da S. sich zu den Uebungen Ranke’s zum ersten Male einfinden durfte, bezeichnete er später als den „Anfang seines wissenschaftlichen Lebens“. So schreibt er 1867 dem verehrten Lehrer, dem „historicorum Germaniae principi“, als „treuer Schüler“, zum Doctorjubiläum: „Wie so vielen Anderen haben Sie auch mir die Wege zur Wissenschaft gewiesen. Sie sind mir stets das überlegene und antreibende Vorbild geblieben, Sie haben mich fort und fort mit thätiger und erfrischender Freundschaft gefördert.“ In der akademischen „Gedächtnißrede auf Leopold von Ranke“ (1886) hat S. seiner Dankbarkeit besonders warmen Ausdruck gegeben.

An Ranke’s historischen Uebungen betheiligte sich S. auch während er im Frühjahr 1837–1838 als Einjährig-Freiwilliger bei dem 2. Garde-Ulanenregimente diente. Aus den Anregungen, die er im Verkehr mit dem großen Meister und dessen älteren Schülern Waitz, Giesebrecht, Dönniges, Wilmans empfing, gingen seine ersten Arbeiten hervor, zunächst die Dissertation: „De fontibus libri Jordanis de origine actuque Getarum“, eine ebenso fleißige wie scharfsinnige Untersuchung über die Quellen und die Glaubwürdigkeit des Geschichtschreibers der Gothen, aber doch nur eine Arbeit, wie sie damals und später nicht wenige in Ranke’s Seminar entstanden sind. Individueller als die Dissertation selbst erscheinen einige der beigegebenen Thesen: „Ohne Philosophie kein ordentlicher Historiker“; „die Kunst der Geschichtsschreibung blüht, wenn die Objecte der Geschichtschreibung in Blüthe stehen“; „der Geschichtschreiber soll cum ira et studio schreiben“; „von den Personen, nicht von den Einrichtungen, hängen die Geschicke der Völker ab“. Hier haben wir zusammen Wesenszüge von Sybel’s geistiger Persönlichkeit und Leitsätze seiner wissenschaftlichen Arbeit: philosophische Durchdringung und Auffassung der geschichtlichen Entwicklung; Abhängigkeit der Geschichtschreibung von dem jedesmaligen Stande der staatlichen und geistigen Cultur; die Forderung Niebuhr’s, daß der Geschichtschreiber die Vergangenheit wie etwas Gegenwärtiges durchlebe und empfinde und mit bewegten Lippen darüber rede; endlich die Betonung des „höchsten Glücks der Erdenkinder“, der Persönlichkeit. Denn ganz wie Treitschke war und blieb S. allezeit der Ansicht, daß der freie Wille großer Persönlichkeiten der Geschichte zielsetzend ihre Bahnen weist.

Sybel’s Thesen durchbrechen mit hellem und scharfem Klange die quiescirende Beschaulichkeit von Savigny’s historischer Rechtsschule, ebenso wie das treufleißige Stillleben vieler Quellen sichtenden und Chroniken schreibenden Rankeschüler. Ein neuer Historiker kündigt sich an, der in freier und kräftiger Eigenart sein Haupt über die Schranken der Schule emporhebt, ein zwanzigjähriger [648] Jüngling, der doch schon die festen Umrisse zeigt, die noch am 75jährigen Greise bemerkbar waren. An Ranke’s Hand ist S. in das Reich der Wissenschaft eingetreten; seine Wege darin hat er sich dann selbst gesucht, seinen Platz sich selbst errungen.

Einige Monate nach dem „cum laude“ bestandenen mündlichen Examen und der am 18. April 1838 erfolgten Promotion ging S. nach Bonn, wo er sich im Sommer 1840 mit einer Probevorlesung über „die politischen und Culturverhältnisse des mit den Europäern zunächst in Berührung gekommenen Morgenlandes um die Zeit der beginnenden Kreuzzüge“ als Docent habilitirte. Am 7. November begann er seine akademische Thätigkeit mit einer Antrittsrede über Erzbischof Adalbert von Bremen, mit deren „Inhalt und Vortragung“ E. M. Arndt sich „sehr zufrieden“ erklärte. S. las dann zunächst über die Völkerwanderung, alte und neueste und rheinische Geschichte, nicht gerade unter erheblichem Zulauf, da neben ihm noch sechs andere Docenten, darunter Dahlmann und Löbell, der ihn übrigens besonders anregte und förderte, Geschichte vortrugen. Größeren Erfolg hatte seine litterarische Wirksamkeit. Noch zu Anfang des Jahres 1841 veröffentlichte er sein erstes größeres Werk, „Die Geschichte des ersten Kreuzzuges“, dessen allseitig anerkannte Bedeutung ihm einen Namen unter den deutschen Historikern erwarb. Ranke selbst begrüßte mit warmer Anerkennung die Arbeit, die er ursprünglich angeregt und deren Fortgang er mit seinem Rath begleitet hatte; „mit voller Ueberzeugung“, schrieb er am 6. Juli 1841 dem Minister Eichhorn, der ihn um ein Gutachten ersucht hatte, „spreche ich aus, daß sich von dem so jungen Verfasser vieles Gute erwarten läßt, und daß er aller Aufmunterung würdig ist“. Sybel’s Werk darf noch heute als ein Muster methodischer Quellenforschung gelten. Mit eindringendem Scharfsinn sondert er die bisher neben und durch einander benutzten Quellenschriften, scheidet die echten Zeugnisse der Kreuzzugstheilnehmer von der späteren legendarischen Ueberlieferung und gibt dann in klarer Darstellung, mit gesundem politischem Urtheil, eine Geschichte des ersten Kreuzzugs, bei der der sagenhafte Ruhm des Eremiten Peter und Gottfried’s von Bouillon gründlich zerstört, die Bedeutung Boemund’s von Tarent in das rechte Licht gesetzt wird. Uebrigens zeigt die Arbeit, worauf damals besonders Menzel schon hinwies, im Inhalt wie in der Form, in der Schöpfung wie in der Fassung der Gedanken, noch den beherrschenden Einfluß Ranke’s; Sätze wie: „den weltumwälzenden Ideen Gregor’s setzte sich die Kraft der bestehenden Dinge entgegen“, tragen ganz Ranke’sche Prägung.

Nicht den gleichen Erfolg hatte S. mit der im J. 1844 erschienenen „Entstehung des deutschen Königthums, einer Schrift, welche die Nachwirkung der Berliner Rechtsstudien – auch in der Ueberschätzung des römischen Einflusses – erkennen läßt, in der Heranziehung der Verhältnisse anderer Völker – Afghanen und Russen, Schotten und Sulioten – etwas von Ranke’scher Universalität zeigt, welche aber zugleich durch die Betonung der Bedeutung hervorragender Persönlichkeiten für die Staatenbildung wieder Sybel’s Eigenart verräth. Kecklich wendet sich der junge Historiker gegen Jacob Grimm, der die Continuität der deutschen Zustände gelehrt hatte; er leugnet die Entwicklungsfähigkeit der alten Geschlechtsverfassung, den einheimischen Ursprung des deutschen Königthums und leitet dies aus den Dienstverträgen germanischer Häuptlinge mit römischen Imperatoren ab, eine Auffassung, gegen die sogleich Georg Waitz, von dessen deutscher Verfassungsgeschichte eben damals der erste Band erschien, und später Felix Dahn lebhaften Widerspruch erhoben, während H. Leo seine Zustimmung aussprach. Wie die „Geschichte des ersten Kreuzzuges“ zeigt auch die „Entstehung des deutschen Königthums“ [649] scharfe und eindringende Kritik, ein deutliches Bestreben, den Zusammenhang der Entwicklung durch leitende Gedanken begreiflich zu machen, eine ungesuchte Selbständigkeit und Ursprünglichkeit der Auffassung, die sich keiner Autorität unterordnet, besonders aber einen entschiedenen Gegensatz gegen die romantische Verklärung des deutschen Mittelalters, die, im Zeitalter der Freiheitskriege emporgekommen, unter König Friedrich Wilhelm IV. neues Leben gewonnen hatte.

Neben diesen beiden größeren Werken veröffentlichte S., namentlich in den Jahrbüchern des noch heute blühenden „Vereins von Alterthumsfreunden im Rheinland“, eine Anzahl von Abhandlungen und Recensionen, unter denen eine Besprechung des dritten Bandes von Schlosser’s Geschichte des 18. Jahrhunderts viel bemerkt wurde (1844). Er anerkannte die persönliche Energie, mit der Schlosser allenthalben sein gesundes Ich und seinen Maßstab zu behaupten wußte, aber er vermißte das unerläßliche Gegengewicht hierzu, die Fähigkeit, sich „mit Ehrfurcht und Liebe“ in den Stoff zu versenken, und er tadelte nachdrücklich den Mangel an ästhetischem Sinn und das Uebermaß moralisirender Betrachtungsweise, die sich in einem stets „grämlichen Tone“ ausspreche, sowie „die Eilfertigkeit, an jede Erscheinung eine Kritik in demokratischem Sinne anzuknüpfen“. Zugleich arbeitete S. fleißig an einer rheinischen Geschichte, in der er besonders die administrative, ständische und kirchliche Entwicklung der Rheinlande darzustellen beabsichtigte. Auch ein gewisses praktisches Interesse scheint ihn bei diesen Arbeiten schon geleitet zu haben; er wollte die ältere rheinische Geschichte durchforschen, hauptsächlich auch um, wie er damals schreibt, den richtigen „geschichtlichen Standpunkt“ für die Beurtheilung seiner eigenen Zeit und seiner eigenen Umgebung zu gewinnen.

Inzwischen, im Herbst 1841, hatte S. sich mit einer jungen Dame aus Darmstadt, der Tochter des hessischen Ministerialraths Eckhardt, Karoline, vermählt, die ihm in glücklicher dreiundvierzigjähriger Ehe mehrere Söhne schenkte, von denen zwei den Vater überlebt haben. Das junge Paar erfreute sich der angenehmsten gesellschaftlichen Verhältnisse, inmitten eines eifrigen Kreises junger Docenten, zu denen Sybel’s alter Freund der Pandektist B. Windscheid, der Orientalist Gildemeister, die Philologen Heimsoeth und Urlichs u. A. gehörten. „Wir hielten“, so schreibt S., „nicht blos bei den Büchern zusammen, sondern führten auch ein lustiges Leben, stifteten einen Schwanen-Orden, so genannt nach dem Wirthshaus, wo er tagte, veranstalteten Concerte, Bälle, Landpartien und genossen eines guten Ansehens in der Gesellschaft.“ Aus diesem Kreise entsprang die Anregung zu der mit Gildemeister verfaßten Streitschrift: „Der heilige Rock zu Trier und die zwanzig andern heiligen ungenähten Röcke“ (1844). Die Schrift, durch die S. mit dem schweren Rüstzeug Ranke’scher methodischer Kritik in die Tageskämpfe eingriff, hatte trotz oder wegen vielfacher und heftiger Anfeindungen großen Erfolg. Noch 1844 erschien eine zweite, im nächsten Jahre eine dritte Auflage, und der Angriffe erwehrten sich die Verfasser in einem zweiten Theile unter dem Titel: „Die Advokaten des Trierer Rocks. Zur Ruhe verwiesen von Dr. J. Gildemeister und Dr. H. v. Sybel“ (3 Hefte, 1845).

Noch vor Veröffentlichung dieser Schriften war S. zum außerordentlichen Professor ernannt worden (29. April 1844), nach einem Gutachten der philosophischen Facultät, die an ihm „ausgezeichnete Kenntnisse, viele Fähigkeiten und echten wissenschaftlichen Sinn“ rühmte, und nach Befürwortung durch den Minister Eichhorn, dem, wie S. erzählt, die Kritik Schlosser’s besonders gefallen hatte. Es wurde dabei ausgesprochen, man wolle ihn mittels dieser [650] Beförderung dem preußischen Staatsdienst erhalten und „ihn in den Stand setzen, sich mit um so größerem Erfolg der Bearbeitung der Geschichte der Rheinprovinz widmen zu können“. Trotzdem blieb Sybel’s akademische Stellung, bei der großen Zahl älterer Professoren, nach wie vor ungünstig und aussichtslos, so daß es begreiflich ist, wenn er, obschon mit Leib und Seele Rheinländer und Preuße, doch im nächsten Jahre der Berufung zu einer ordentlichen Professur der Geschichte in Marburg ohne langes Bedenken folgte. Der spätere Minister Bethmann-Hollweg, damals Curator der Universität Bonn, sah „den jungen Mann, der schon so früh seltene Gaben gezeigt“, ungern scheiden; aber, wie er an Eichhorn schrieb: „Da S. durch Geburt und freie Neigung dem preußischen Staate angehört, so kann auch er dereinst, an Tüchtigkeit und Ruhm gewachsen, zu uns zurückkehren“ (12. Juli 1845). Es sollte noch 16 Jahre dauern, ehe diese Hoffnung, der auch S. selbst in seinem Abschiedsgesuche lebhaften Ausdruck gab, sich verwirklichte.

Marburg a. d. Lahn, „das kleine alte Bergstädtchen, von der Elisabethkirche geschmückt, von dem alten Schloß gekrönt, auf allen Seiten von Waldhängen und Wiesengründen berührt“, wurde dem jungen Paare „bald ein werthes Heim“. Zu alten Freunden – Gildemeister war ebenfalls nach Marburg berufen – fanden sich neue, Bergk, Bunsen, vornehmlich Eduard Zeller, mit dem er viele Jahrzehnte später den Marburger Freundschaftsbund in Berlin erneuerte, und der radical gesinnte Nationalökonom Julius Hildebrand, der Sybel’s Berufung betrieben hatte und ihn jetzt in die Interessen seines Fachs und in politische Bestrebungen hineinzog. Ed. Zeller, der in dem von S. erworbenen Marburger Haus Wohnung genommen hatte, hat in seinen „Erinnerungen an H. v. S. aus den Jahren 1849 bis 1856“ (veröffentlicht in Varrentrapp’s biographischer Einleitung zu „Vorträge und Abhandlungen von H. v. S.“, 1897) Sybel’s und seiner Gattin Stellung in Marburg anmuthig geschildert. „Der ganze Zuschnitt ihres Hauswesens, der gesellschaftliche Takt der Hausfrau, die Lebensfreudigkeit, die Heiterkeit, die weltmännische Gewandtheit des Hausherrn, ein Erbtheil seines elterlichen Hauses und seiner rheinländischen Heimath, verliehen dem Sybel’schen Haus einen eigenthümlichen Reiz und machten es zu einem Mittelpunkte gebildeten Verkehrs, der auch von Auswärtigen gern aufgesucht wurde.“ Sybel’s akademische Wirksamkeit war freilich auch hier, bei einer Studentenzahl, die zwischen 200 und 300 schwankte, wenig bedeutend; er las vor vier, fünf Zuhörern, denen er sich aber mehr widmete als vorher in Bonn. Immer hatte er dabei Muße zu reicher litterarischer Production. Er schrieb über „Geten und Goten“, gegen J. Grimm’s Hypothese von deren Identität, und faßte den Plan, die „Entstehung des deutschen Königthums gleichsam rückwärts fortzusetzen“ und den Zerfall des Römerreiches darzustellen in dem Niedergang des Wohlstandes und dem Absterben des politischen Sinns, Studien, aus denen viele Jahre später ein Vortrag über „politisches und sociales Verhalten der ersten Christen“ hervorgegangen ist (veröffentlicht 1863). Dann aber ergriff ihn die politische Bewegung der Zeit mit unwiderstehlicher Gewalt und gab seinem Leben und seinen Arbeiten einen neuen Gehalt und eine entschiedenere Richtung.

S. selbst hat die Entwicklung unserer Geschichtschreibung immer nur im Zusammenhang mit der Entwicklung unseres nationalen Lebens überhaupt verstanden: wir werden ihm nicht Unrecht thun, wenn wir die veränderte Richtung seines Strebens und Wirkens aus der Wandlung des politischen und geistigen Lebens in Deutschland mindestens ebenso sehr ableiten, wie aus inneren, angeborenen Trieben.

[651] Man kennt jene mächtige Bewegung der Geister, die der Thronbesteigung Friedrich Wilhelm’s IV. folgte und der Erschütterung von 1848 voranging, eine Bewegung, die sich zugleich auf eine stärkere Betheiligung des Bürgerthums an den öffentlichen Angelegenheiten und auf eine straffere Zusammenfassung des lockeren deutschen Staatenbundes, auf verfassungsmäßige Freiheit und nationale Einheit richtete. Wie unsere Geschichtschreibung den Wandlungen des deutschen Geisteslebens, von dem sie selbst einen so wichtigen Theil ausmacht, immer gefolgt ist, also geschah es auch jetzt: philosophisch und ästhetisch in den Tagen Kant’s und Schiller’s, national seit der Erhebung gegen die napoleonische Weltherrschaft, wird sie jetzt politisch in Dahlmann’s „Zwei Revolutionen“, Droysen’s „Vorlesungen über die Freiheitskriege“, Gervinus’s „Geschichte der poetischen Nationalliteratur der Deutschen“.

Es konnte nicht anders geschehen, als daß auch S. von dieser Bewegung ergriffen wurde, die in seinem Inneren verwandte Interessen und Neigungen berührte. Er war ein Sohn des politisch angeregten Rheinlandes, dessen zu blühendem Wohlstand gelangtes Bürgerthum jetzt auch nach einem politischen Machtantheil empordrängte; als Historiker, der in dem Walten der Persönlichkeiten den Lebensnerv der historischen Entwicklung erkannte, mußte er sich aus der Gebundenheit des Mittelalters zur freieren Neuzeit hingezogen fühlen, wie er auch schon in Bonn über neueste Geschichte gelesen hatte. Jetzt legt er die Kirchenväter bei Seite, um in den eben (1844) erschienenen Briefen Edmund Burke’s die große revolutionäre Bewegung am Ausgang des 18. Jahrhunderts zu studiren. Neben Burke, der den stärksten Einfluß auf Sybel’s historische und politische Anschauungen gewann, behauptet sich nur noch Niebuhr, an dem er außer der überlegenen Einsicht und staatsmännischen Sachkunde die Energie des sittlichen Urtheils und die starke Betonung politischer und nationaler Gesichtspunkte bewundert. Weit tritt Ranke jetzt zurück. Ranke hatte es einst von sich gewiesen, in der Historie „die Vergangenheit zu richten, die Mitwelt zum Nutzen künftiger Jahre zu belehren“: eben hierin erblickt S. seine vornehmste Aufgabe als Lehrer und Geschichtschreiber. Ranke schwelgt in der beseligenden Wonne des Erkennens: S. will vom Baume der Erkenntniß Früchte pflücken zur Erquickung und Stärkung der in mächtigem Aufschwung ringenden Gegenwart. Was soll ihm da ein Ranke, der die Zeichen der Zeit so wenig zu verstehen scheint, daß er, am Vorabend von 1848, in den „Neun Büchern preußischer Geschichte“ das alte Preußen in der Blüthe seines Partikularismus und Absolutismus bewundernd darstellt?

Unter solchen Eindrücken, in diesen Jahren fruchtbarster Arbeit und aufrüttelnder geistiger Bewegung reifen Sybel’s historische und politische Anschauungen, in der Weise, daß die historisch gewonnene Ueberzeugung der politischen Ansicht immer vorausgeht. In rascher Folge erschienen die Vorträge und Abhandlungen: „Ueber die heutigen Tories“ (1846); „Die politischen Parteien im Rheinland in ihrem Verhältniß zur preußischen Verfassung geschildert“; „Ueber das Verhältniß unserer Universitäten zum öffentlichen Leben“; „Edmund Burke und die französische Revolution“; „Edmund Burke und Irland“ (sämmtlich 1847). S. zeigt sich darin politisch und kirchlich freisinnig, aber keineswegs doctrinär liberal; man könnte ihn einen conservativen Whig nennen, wie er selbst Burke charakterisirt hat. Er wünscht die Verwirklichung liberaler Ideen zunächst durch Einführung von Reichsständen in Preußen und in Deutschland, aber nicht als „ein angeborenes Recht der Menschen und der Völker“, sondern als das historische Ergebniß der deutschen Entwicklung, „wegen seiner Zweckmäßigkeit bei den heutigen deutschen und preußischen Zuständen“, und nicht als das Werk einer gewaltsamen Umwälzung, [652] die immer und überall nur die wahre Freiheit ertödte, sondern vermöge einer monarchischen That. Er bekämpft Ultramontanismus und Feudalismus; aber er verwirft ebenso die Lehre von der Volkssouveränität, und nimmt seinen Standpunkt „toto coelo entfernt von demokratischer Begeisterung oder kosmopolitischer Speculation“. Er ist überzeugt, daß nur das preußische Königthum, national aber zugleich verfassungssmäßig beschränkt, sein Ideal, den deutschen Rechtsstaat, verwirklichen kann. In diesem deutschen Rechtsstaat aber verschmilzt sich ihm Christenthum und Deutschthum, Göttliches und Menschliches. „Der Rechtsstaat, so formulirt er es später, ist der irdische Abglanz des christlichen Willens, wie er das uranfängliche Ziel des germanischen Gemeinwesens ist“.

Mit diesen historisch-politischen Anschauungen hängen die Forderungen zusammen, die S. an die deutsche Wissenschaft, insbesondere an die Geschichtschreibung stellt. Er verlangt enge Verbindung zwischen Wissenschaft und staatlichem Leben; die Hochschulen sollen sich „wie zur Zeit der Freiheitskriege in die Farbe der Gegenwart kleiden“. Niemand darf seine Gedankenarbeit von den großen Aufgaben seines Volkes ablösen; nur aus der beständigen Fühlung mit den „praktischen Angelegenheiten des Volkes“ strömt in die wissenschaftlichen Arbeiten diejenige Wärme und Frische, die religiöses und philosophisches Interesse allein nicht geben können. Wie einst Niebuhr, fordert S. von den Geschichtschreibern seiner Zeit nicht antiquarische Kenntnisse und ästhetische Formen, sondern ein politisches und nationales Gewissen.

Mit diesen Anschauungen und Bestrebungen trat S. in die Bewegung von 1848; aus ihnen entspringen seine Erfolge wie seine Niederlagen. Es war ein Glück für den jungen Historiker gewesen, daß er sich in der strengen Schule Ranke’s und Savigny’s mit dem Ernst historischen Sinns erfüllt hatte: das bewahrte den vielseitig Angeregten, für die Gedanken und Bedürfnisse des Augenblicks Empfänglichen, vor flacher politischer Tagesschriftstellerei; es war jetzt ein ebenso großes Glück für den Politiker, daß er gerade noch rechtzeitig in Burke seinen politischen Lehrmeister gefunden hatte: das bewahrte ihn vor dem Versinken in die Oede des abstrakten Radicalismus, dem so mancher seiner westdeutschen Landsleute anheimfiel. Kampflustig und redegewandt, ein echter Rheinländer, warf er sich nun in den Strom der revolutionären Bewegung; mit seinem Vater besuchte er in Frankfurt das Vorparlament, wo sie auf der Linken Platz nahmen, veröffentlichte Wahlprogramme, Vereinsprogramme und eine Broschüre über oder vielmehr gegen „das Reichsgrundgesetz der 17 Vertrauensmänner“, in der er es für ein schweres Unglück erklärte, wenn man mit den Oesterreichern dem deutschen Reiche „ein Viertel seiner besten Stämme raubte“, – doch hören wir, wie er selbst seine damalige politische Thätigkeit geschildert hat.

„Ich machte“, schreibt S., „das Vorparlament in Frankfurt mit und stimmte mit Freund Hildebrand tapfer für dessen Permanenz, wurde dadurch in Marburg ein populärer Mann, vermochte aber einen Wahlkreis für das Parlament selbst nicht zu erobern. Auch die Marburger Volksthümlichkeit hielt nicht lange vor, da ich mich bei der allmählich eintretenden Sonderung der Parteien entschieden der gemäßigt constitutionellen anschloß. Als ich mich nun den Anträgen eines philosophischen Collegen [Bayrhoffer] auf deutsche Republik widersetzte, und als ich vollends den einsichtigen Streich beging, in einer Volksversammlung gegen das gleiche allgemeine Stimmrecht zu sprechen, warf mir Abends das souveräne Volk die Fenster ein und wiederholte seitdem bei jeder populären Festlichkeit das Vergnügen. Im Herbst [1848] wählte die Universität mich zu ihrem Deputirten bei dem kurhessischen Landtag, dessen [653] Hauptaufgabe die Votirung eines neuen, von dem Märzministerium vorgelegten Wahlgesetzes gegen die doppelte Opposition der Conservativen von rechts und der Demokraten von links war. Ich gewann durch die kräftige Vertheidigung desselben ein näheres persönliches Verhältniß zu dem trefflichen Eberhard, damals Minister des Innern, und zu dessen vertrautestem Berather, dem Ministerialrath Wiegand. Meine Freunde verhießen mir, daß ich in der nächsten Session zum Präsidium des Landtags berufen würde. Aber ich sollte so hoch nicht steigen. In dem mir bestimmten Wahlkreise siegte die demokratische Partei und ich blieb draußen. Zu meinem Glücke. Denn der nachherige Präsident, welcher 1850 den Kampf gegen Hassenpflug zu leiten hatte, trug aus demselben eine längere Festungshaft davon; ich hätte ohne Zweifel dasselbe Schicksal gehabt und mein ganzer Lebensgang eine andere Richtung genommen.“

Immerhin wurde auch S. in diese Streitigkeiten verwickelt. Ein Artikel voll scharfer Angriffe gegen Hassenpflug’s Regiment, den er am 27. Mai 1850 in der „Neuen Hessischen Zeitung“ veröffentlichte, zog dem Herausgeber eine Anklage zu, bei der S. selbst mit Anderen die Vertheidigung führte und eine Freisprechung erzielte.

Dagegen wurde S. 1850 von dem hessischen Landtag in das Staatenhaus des Erfurter Parlaments delegirt, wo er an den Berathungen über die Unionsverfassung lebhaften Antheil nahm. „Das Staatenhaus“, so erzählt er, „ernannte den jetzigen [1877] Finanzminister Camphausen, den früheren Minister von Patow und mich zu Referenten über die Verfassung. Außer ihnen verkehrte ich dort von hervorragenden Personen mit Radowitz, Rudolf von Auerswald, Georg Beseler, Max Duncker, Graf Dyhrn, sowie mit dem zu längerem Besuch eintreffenden Droysen … So nichtig zuletzt die Versammlung auslief, so erfreulich ist mir durch jene dort geknüpften Verbindungen die Erinnerung daran geblieben.“

Die Bewegung des Jahres 1848 ließ ihn freilich nicht politisch „hoch steigen“, wie er wohl gehofft haben mochte; aber indem sie seiner wissenschaftlichen Thätigkeit in der schon vorher eingeschlagenen Richtung einen neuen und starken Impuls gab, erhob sie ihn zu einer hohen Stufe wissenschaftlichen Ansehens und litterarischen Ruhmes.

Dem Ungewitter von 1848 folgten stille Jahre rastloser und gesegneter Arbeit. „Ich zog mich“, erzählt S., „zu den wissenschaftlichen Studien zurück, aber allerdings nicht zur römischen Kaiserzeit. Der Sturm der revolutionären Jahre hatte auch meine historische Forschung auf andere Wege getrieben, bei deren Betreten ich freilich nicht ahnte, daß ich die Arbeit meines Lebens begann. Die Radicalen von 1848 zeigten vielfach socialistische Tendenzen; mir kam der Gedanke, eine Broschüre zu schreiben, in der gezeigt würde, welche Folgen solche Dinge in der französischen Revolution gehabt.“ Aus der Broschüre wurde, wie bekannt, ein fünfbändiges Werk, dessen erster Band 1853, dessen letzter 1879 erschien, die „Geschichte der Revolutionseit von 1789 bis 1800“, die in zahlreichen Auflagen verbreitet, ins Französische und Englische übersetzt, den europäischen Ruf Sybel’s begründet hat. So ist das Werk, an dem in fast dreißigjähriger Arbeit ein Menschenleben sich abmühte, entstanden wie eine Gelegenheitsschrift, das schlagendste Zeugniß für die enge Verbindung zwischen der wissenschaftlichen Thätigkeit seines Verfassers und den Ideen und Tendenzen des Tages. Auch dies Werk zeigt den uns schon bekannten polemischen Grundzug der meisten Werke Sybel’s: der Legende von den Ideen und der großen Revolution von 1789, wie sie kurz zuvor in Michelet’s und Lamartine’s Werken eine fast dichterische Ausgestaltung und Verklärung erfahren [654] hatte, setzt S. die aus den echtesten Quellen, vornehmlich aus den Archiven zu Paris und Wien, London und Berlin geschöpfte geschichtliche Wahrheit entgegen. Mit scharfen Schnitten räumt seine kräftige Hand auf in dem wuchernden Gestrüpp von Legenden, das den Zugang zum Verständniß der großen Umwälzung versperrt. Er zerstört die Fabel von den goldenen Tagen der Freiheit von 1789, unter deren schimmernder Oberfläche er schon für die Anfänge der Revolution Roheit, Gewaltthat und Tyrannei aufdeckt, die Fabel von den edlen und ewigen Idealen der Menschenrechte und der Constitution von 1791, in denen er die Keime zu allen Greueln des Terrorismus und zu der Militärdespotie des Imperialismus nachweist; die Fabel von der großen Fürstenverschwörung in Pillnitz, von den aus dem Boden gestampften vierzehn französischen Armeen u. s. w. Es ist das Ergebniß einer Gedankenarbeit, zu der sich die von Ranke übernommene kritische Quellenforschung und das durch Burke geweckte und durch eigene Erfahrungen gereifte politische Urtheil vereinigt haben.

Aber S. in seiner Revolutionsgeschichte zerstört nicht blos, er baut mächtiger und haltbarer wieder auf. S. sieht in der Revolution nicht, wie Dahlmann in dem oben erwähnten Werke, einen Kampf um Verfassungsfragen; mit klarem Blick und eindringendem Verständniß verfolgt er die Entwicklung der wirthschaftlichen Verhältnisse in ihrer Wechselwirkung mit dem Wandel der Staatsformen, und aus der Fülle der Thatsachen und Beobachtungen über ländliche und städtische Verhältnisse, über Gütereinziehungen und Assignatenwirthschaft, erschließt sich ihm der sociale Charakter der großen Revolution und ihre in einem ungeheuren Besitzwechsel gipfelnde Bedeutung. Reicher noch als für das Verständniß ihrer politischen und nationalen Bedeutung ist das Ergebniß für die Kenntniß der Wechselwirkung zwischen der inneren Entwicklung und den auswärtigen Beziehungen des revolutionären Frankreich. S. hat – und damit nennen wir wohl das werthvollste und bleibende Ergebniß seiner Forschungsarbeit – den zerrissenen Zusammenhang zwischen der geschichtlichen Entwicklung des Ostens und Westens von Europa wieder hergestellt. Unwiderleglich hat er nachgewiesen, daß die große Umwälzung ihre allumfassende Ausdehnung ebenso sehr durch die aggressive Politik Katharina’s II. von Rußland wie durch die propagandistischen Expansionstendenzen der Revolution erhalten hat. Ohne die französische Revolution, lehrt S., keine zweite und dritte Theilung Polens. Eine großartige Auffassung, die den Umsturz des alten Frankreich, des alten deutschen Reiches und der Republik Polen unter Einem Gesichtspunkt, als Einen historischen Zersetzungsproceß in Kausalnexus bringt. Für den Ursprung des Revolutionskrieges stellt er die oft verdunkelte Mitschuld der Franzosen in helleres Licht, indem er die kriegschürenden Wühlereien der Girondisten stark hervorhebt; ihr Führer Brissot ist ihm – man gestatte das Wort – der Gramont des Krieges von 1792. Während er hierbei die österreichische Politik rechtfertigt, belastet er sie auf der anderen Seite um so schwerer mit der Verantwortlichkeit für den elenden Ausgang des ersten wie des zweiten Koalitionskrieges. Wenn dabei der österreichische Staatskanzler Baron Thugut als der Hauptschuldige erscheint, als der Träger einer politisch verfehlten und selbst sittlich verwerflichen Staatskunst – es ist eben immer noch der Sybel der Thesen von 1838, der in den Personen die Träger der Weltgeschichte erblickt und „cum ira et studio“ Geschichte schreibt oder ein ander Mal den „ethischen Zorn“ für eine unerläßliche Eigenschaft des „vollendeten Historikers“ erklärt.

Eben hieran nun knüpft die ernsteste Einwendung an, die Sybel’s Werk überhaupt erfahren hat. Es hatte der schneidenden Kritik, den befremdenden [655] Ansichten auch sonst nicht an Gegnern gefehlt. Die französische Politik fand in Frankreich, die österreichische Politik in Oesterreich (v. Vivenot), und in Deutschland (H. Hüffer) ihre Vertheidiger, die S. in scharfer Polemik abzuwehren wußte, niemals gewandter und schlagfertiger als dann, wenn er einmal seinen verlorenen Posten behaupten zu müssen glaubte. Den stärksten Eindruck aber mußte es ihm doch später machen, daß sein eigener Lehrer, der allanerkannte Meister der deutschen Geschichtschreibung, daß Ranke in dem 1875 erschienenen Buche vom „Ursprung und Beginn der Revolutionsskriege“ eine der seinigen gerade entgegengesetzte Auffassung entwickelte. Ranke würdigte sonst Sybel’s Arbeit, namentlich seine Quellenforschung, in vollstem Maße. „An S.“, sagte er mir einmal, „muß ich besonders anerkennen, daß er immer an der richtigen Methode festgehalten hat; Waitz und Giesebrecht haben es ja auch gethan, aber die hatten es ja auch leichter“. Allein während S. sich ausdrücklich einmal zu Treitschke’s Wort bekannte; daß „die starken Männer die Zeit machen“, war Ranke, wie er 1882 an Manteuffel schrieb, der Ansicht, daß „große Verhältnisse die Menschen machen“. So sah er nicht in einer Partei oder gar in Einem Manne die Urheber der Revolutionskriege: er fand die Ursache in einer Idee, in der Idee der Volkssouveränität, die in der französischen Revolution zur Erscheinung kommt und ihre Wirkung nach zwei Richtungen hin äußert: wie im Innern zum Sturz des alten Königthums, so führte sie nach außen mit derselben Nothwendigkeit zum Kriege gegen diejenigen Mächte, welche auf die Entwicklung der revolutionären Idee Einfluß zu gewinnen und auszuüben suchen. S., einer ausführlichen Polemik dies Mal ausweichend, begnügte sich zu erwidern, daß er seinerseits die Ideen nicht „außerhalb des Menschen als dämonische Kräfte sehe, die ihn wider seinen Willen fortstoßen“; er sehe „in aller Geschichte die Menschen, die sich das Gedankenbild erschaffen, danach handeln und dafür einzustehen haben“. Es ist, wie mir scheint, der uralte Streit zwischen Freiheit und Nothwendigkeit, der Gegensatz zweier geschichtsphilosophischen Systeme, der in dieser Discussion zu Tage tritt. Neben diesen Ansichten über den Ursprung der Revolutionskriege strebt neuerdings noch eine andere Auffassung, hauptsächlich von Glagau in der Untersuchung über „Die französische Legislative und der Ursprung der Revolutionskriege“ (1896) vertreten, nicht ohne Erfolg sich Geltung zu verschaffen. Danach wäre, ungefähr wie Ranke will, zwar der letzte Grund der Revolutionskriege in dem revolutionären Charakter der Principien von 1789 zu suchen; andererseits wird aber, ganz im Gegensatz zu S., auch der österreichischen Politik, wie sie Fürst Kaunitz leitete, ein entschieden aggressiver Charakter zugesprochen.

Die Frage nach dem Ursprung der Revolutionskriege und ihre Beantwortung durch S. ist gewiß nicht der einzige Punkt, in dem die „Geschichte der Revolutionszeit“ eine Correctur verträgt oder erfordert. S. arbeitete anfangs mit einem durchaus unzulänglichen archivalischen Material; er hat selbst humorvoll geschildert, unter welchen Hemmungen und Schwierigkeiten und wie spät er zu den echten Quellen vordrang (vgl. „Pariser Studien“). Einem neuen Actenbestande gegenüber alte, mit combinatorischem Scharfsinn gewonnene Ansichten z. B. über diplomatische Zusammenhänge aufzugeben, wurde ihm nicht leicht. Treffend hat A. Dove einmal geurtheilt: „daß die Welt, wie Goethe sagt, voller Widerspruch sei, wird in Ranke’s historischer Anschauung niemals übersehen; für S. ist die Geschichte durch und durch beweisbar, und hartnäckig hält er an der geschmiedeten Kette seiner Gedanken fest“. Hierunter leidet z. B. die Darstellung der österreichischen Politik in den Jahren 1794 und 1795. Andererseits muß hervorgehoben werden, daß [656] die neueste Schilderung grade der persönlichen Politik Thugut’s in Luckwaldt’s großer Actenpublication „Oesterreich und Frankreich im ersten Koalitionskriege“ (1907) mehr Sybel als Hüffer Recht zu geben scheint.

Auch in Frankreich selbst hat Sybel’s Werk ebenso Anerkennung als Widerspruch erfahren. Die großen französischen Historiker der Revolution, Sorel und Taine, haben, der eine für die auswärtigen Beziehungen, der andere für die innere Entwicklung der Revolution, bewußt oder unbewußt, stillschweigend oder ausgesprochen, Sybel’s Ansichten wenigstens zu einem guten Theile aufgenommen. Ganz ablehnend verhält sich dagegen die neuere radicale Richtung, wie sie in Frankreich vornehmlich Aulard vertritt. Ihr genügt es nicht, daß S. dem Kampfe des dritten Standes um politische und wirthschaftliche Freiheit doch eigentlich sympathisch gegenübersteht; sie lehrt, daß wer die Revolution nicht liebt, sie nicht verstehen kann, und sie sieht in der Erhebung des französischen Volkes nur eine harmlose Reformbewegung, die erst durch den Widerstand des Königs und durch die Einmischung des Auslandes in revolutionäre Bahnen abgedrängt wurde.

Allein wie Ranke einmal sagt, „bei Arbeiten dieser Art kommt es nicht darauf an, daß jeder Satz, den man aufstellt, von den Nachfolgern für richtig erklärt wird. Das Verdienst großer Werke beruht darauf, daß sie auf neue Bahnen weisen und sie selbständig und mit Erfolg einschlagen“. Wie es der beste Kenner, L. Häusser, sogleich aussprach (Allg. Zeitung, 24. Sept. 1853), war Sybel’s Werk in seiner Art „epochemachend“. Mit Häusser’s Deutscher Geschichte und Theodor Mommsen’s Römischer Geschichte bezeichnet es den Höhepunkt der deutschen politischen Geschichtschreibung der fünfziger Jahre des 19. Jahrhunderts, deren Programm S. selbst damals (1856) in einer Rede „über den Stand der neueren deutschen Geschichtschreibung“ aufgestellt hat. Auch von Sybel’s Werk kann man sagen, was Treitschke von Häusser’s Deutscher Geschichte geurtheilt hat: „es war eine politische That ebenso sehr wie eine wissenschaftliche Leistung.“ Es wirkte, wie Gustav Freytag sogleich bemerkte, erzieherisch auf die deutsche Nation, aus deren politischem Ideengehalt es den fremden französischen Radicalismus auszuscheiden beitrug. Aber es bedeutet auch etwas in der Geschichtschreibung, die es an Inhalt, an Farbe, an Leben bereicherte. Alles in allem hat E. Marcks wohl recht mit der Ansicht: „in Vielem widerlegt oder weitergebildet, der Ablösung fähig und vielleicht bedürftig, ist das Werk noch heute die beste Gesammtgeschichte des Revolutionszeitalters geblieben.“

An der fast dreißigjährigen Thätigkeit für die „Geschichte der Revolutionszeit“ hat Sybel’s großes Talent sich zur Meisterschaft emporgearbeitet. Anfangs mit der Größe und Vielseitigkeit des Stoffes mühsam ringend, erhebt sich die Darstellung in durchsichtiger Klarheit der Composition, lebendiger Anschaulichkeit der Gestaltung, Kraft und Fülle des Ausdrucks in den letzten beiden Bänden, namentlich in der Schilderung des Emporkommens Napoleon Bonaparte’s, des Zerfalls der Koalition von 1799 und des Untergangs der Directorialregierung, zu einer Höhe, die S. in seinem späteren großen Werke nicht wieder erreicht hat.

Mit dem durchschlagenden Erfolge der Geschichte der Revolutionszeit, dieses rechten Werkes zur rechten Zeit, hatte S. sich einen Platz erobert in der ersten Reihe jener Historiker, die nach der Erschütterung von 1848 unter der Theilnahme und dem Beifall der deutschen Nation die Geschichte der Vergangenheit zugleich mit politischem Verständniß und unter ethischen Werthurtheilen erfaßten und in einer großen Anzahl ausgezeichneter Werke zur Darstellung brachten. Sein wachsendes Ansehen veranlaßte den König Max [657] von Baiern, auf Empfehlung und unter Vermittlung Ranke’s schon im Jahre 1854 bei S. wegen Uebernahme einer Professur in München anzufragen. Auf beiden Seiten fanden sich Schwierigkeiten. Der König suchte nach einem „festen Krystallisationskern’“, um den sich „eine historische Schule“ bilden könne. S. schien dazu geeignet; man nahm zunächst zwar Anstoß an seiner politischen und noch mehr an seiner kirchlichen Stellung, beruhigte sich dann aber, nachdem er bei der Besprechung eines französischen Werkes über das Directorium den siegreichen Widerstand der katholischen Kirche gegen die französische Revolution und die würdevolle Haltung Papst Pius VII. anerkennend erörtert hatte (1855). S. seinerseits wünschte sich längst aus Marburg weg; wiederholt schon hatte er in Berlin seine Abberufung aus Marburg angeregt, wo, wie er 1849 dem preußischen Cultusministerium schrieb, „der Mangel der wichtigsten Hilfsquellen und Bildungsmittel“ und „die engen und prekären Verhältnisse eines kleinen Staatslebens“ ihm den Aufenthalt verleideten. Die materielle Ausstattung der Münchener Professur fand er unzureichend, gab aber nach, als Ranke ihm schrieb: „Sie bedürfen eines Ihren Talenten angemessenen Schauplatzes: München bietet Ihnen einen solchen dar … Weil ich Sie liebe und ehre, weil ich Ihnen das Beste gönne, wünsche ich, daß Sie annehmen.“

So erfolgte nach zweijähriger Verhandlung im J. 1856 Sybel’s Berufung nach München, wo er bald in hervorragender wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Stellung eine überaus rege und fruchtbare Thätigkeit entfaltete. Auch in seinen letzten Lebensjahren erschien ihm die Münchener Zeit als die glücklichste seines Lebens. König Max wurde ihm ein huldvoller Gönner, der mit Eifer und Verständniß auf die Pläne einging, durch die die Kunststadt München auch zu einer Hauptstadt der Wissenschaft erhoben wurde. S. war ein regelmäßiger und willkommener Theilnehmer der „Symposien“, jener Abendgesellschaften, bei denen der König einen so glänzenden Kreis ausgezeichneter Dichter, Künstler und Gelehrter um sich vereinigte. Als akademischer Lehrer hatte S., wie auch seine Gegner Böhmer und Döllinger anerkennen mußten, reichen und nachhaltigen Erfolg, Männer wie Emanuel Geibel und Melchior Meyr saßen zu seinen Füßen. Zu den öffentlichen Vorträgen, bei denen er in Liebig’s großem Hörsaal anfangs über mittelalterliche Geschichte, später über 18. und 19. Jahrhundert sprach, drängten sich die Herren und Damen der besten Münchener Gesellschaft. S. wurde schon 1857 zum Vorstande beider Abtheilungen des mit staatlicher Unterstützung neu errichteten historischen Seminars ernannt, des ersten dieser Art in Deutschland. In Gemeinschaft mit Ranke organisirte er 1858 die „historische Kommission bei der bayrischen Akademie der Wissenschaften“, deren erster Secretär und nach Ranke’s Tode (1886) Präsident er wurde und an deren großartigen Unternehmungen, den deutschen Reichstagsacten, der Allgemeinen deutschen Biographie u. s. w. er den regsten und wirksamsten Antheil hatte. In dem zum 25jährigen Bestehen der Commission (1883) von ihm verfaßten Bericht, in dem er auch des Königs Max in warmherzigen Worten gedenkt, hat er selbst diese Wirksamkeit geschildert. Daneben gründete S. (1859) die „Historische Zeitschrift“, um in erster Linie darin „die wahre Methode der historischen Forschung zu vertreten und die Abweichungen davon zu kennzeichnen“, zugleich aber auch in der ausgesprochenen, echt Sybel’schen Absicht, „solche Stoffe oder solche Beziehungen in den Stoffen vorzugsweise zu behandeln, welche mit dem Leben der Gegenwart einen noch lebenden Zusammenhang haben“. Die Zeitschrift, deren Redacteur und fleißigster Mitarbeiter namentlich in den ersten [658] Jahren S. selbst war, wurde rasch zum Mittelpunkt der litterarischen Bewegung in der Geschichtswissenschaft und hat in den zu seinen Lebzeiten erschienenen 75 Bänden eine ungeheure Masse historischen Stoffes bewältigt. Die Hauptsache aber ist, daß in dieser glücklichen und gesegneten Münchener Zeit auch Sybel’s eigene Production abermals einen neuen Aufschwung nahm.

Sybel’s wissenschaftliche Laufbahn gliedert sich nicht nach den Wendungen seines äußeren Lebensganges: wie er in Marburg zunächst die Bonner Studien wieder aufgenommen und fortgesetzt hatte, so schlossen sich die ersten Münchner Arbeiten den Marburger an. Er führte die Geschichte der Revolutionszeit weiter, von der der dritte Band in erster und zweiter, die beiden ersten in zweiter Auflage erschienen, er erörterte „das politische und sociale Verhalten der ersten Christen“ (Vortrag von 1857) und die Geschichte der Kreuzzüge. Er beschäftigt sich auch, auf Anregung von König Max, mit „Uebersichten über bayerische Geschichte“. Dann aber greift wiederum die Gegenwart bestimmend in den Gang seiner Arbeiten.

Das schlummernde öffentliche Leben Deutschlands, das von dem Krimkriege nur leise berührt war, regte sich 1859 kräftig bei dem Lärm des Streites zwischen Oesterreich und Frankreich, und neben der italienischen erhob sich lösungheischend die deutsche Frage. Während aber die süddeutsche Presse. von Wien aus beeinflußt, die deutschen Regierungen einschließlich Preußens zur Unterstützung Oesterreichs drängte, machte sich andererseits der Gegensatz der preußisch-deutschen und der österreichisch-europäischen Interessen lebhaft fühlbar. Wie hätte S., allezeit so empfänglich für die geistig-politischen Strömungen des Tages, von diesen Bewegungen unberührt bleiben können? Der italienische Einheitskampf hatte seine volle Sympathie. In enger Fühlung mit den litterarischen Vertretern der preußischen Regierungsspolitik, namentlich mit Max Duncker und Hermann Baumgarten, wirkte er für ein „entschiedeneres Auftreten“, eine „energische öffentliche Action“ Preußens und insbesondere für eine innigere Verständigung mit Bayern. Gegen die Agitation für den Anschluß an Oesterreich veröffentlichte er eine anonyme Broschüre unter dem Titel: „Die Fälschung der guten Sache durch die Allgemeine Zeitung“. Zugleich behandelt er das Leben und die Ansichten Joseph de Maistre’s, des italienischen Staatsmannes und Gegners Oesterreichs; er schildert in glänzenden Vorträgen Kaiserin Katharina II. und die Erhebung Europas gegen Napoleon I. – alles Geschichten aus der Vergangenheit, die er mit einem „fabula docet“ für die Gegenwart abschließt.

Ganz unmittelbar aber packte er die große Tagesfrage in einem akademischen Königsgeburtstagsvortrage (28. November 1859) über „die neueren Darstellungen der deutschen Kaiserzeit“, der als ein neuer und energischer Vorstoß gegen die romantische Verherrlichung des Mittelalters das weiteste Aufsehen erregte. Von dem festen Boden einer nationalen und realen Politik aus, wie ihn nach seiner Ansicht vornehmlich König Heinrich I. behauptet hat, wendet sich S. in scharfer Kritik gegen das welterobernde theokratische Kaiserthum des deutschen Mittelalters, gegen die Politik der Kaiser Karl der Große und Otto der Große, die statt in Erfüllung der deutschen Mission den Osten zu germanisiren, Deutschlands beste Kräfte in Italien vergeudeten, eine Politik, die „nach dreihundertjährigen kolossalen Anstrengungen in einer nicht minder kolossalen Niederlage zusammenbrach“. Giesebrecht, gegen dessen „Geschichte der deutschen Kaiserzeit“ sich die Kritik theilweise richtete, schwieg dazu; dagegen erstand für S. ein starker Gegner in dem Innsbrucker Professor Julius Ficker, der mit einer Schrift „Das deutsche Königreich in seinen universalen und nationalen Beziehungen“ (1861) antwortete. Er leitete das Unglück der [659] deutschen Nation nicht aus der Gründung, sondern aus dem Verfall des Kaiserreichs her; grade das Verlassen der althergebrachten Grundlage des Kaiserthums habe auch die Zerrüttung der Grundlage der deutschen Königsgewalt zur unmittelbaren Folge gehabt. S., schon in Bonn, entgegnete mit der „historisch-politischen Abhandlung“: „Die deutsche Nation und das Kaiserreich“ (1862), in deren Vorwort er erklärte: „So sicher, wie die Ströme seewärts fließen, wird es zu einem engeren deutschen Bunde (neben Oesterreich) unter Leitung seines stärksten Mitglieds kommen“. Ficker veröffentlichte noch im J. 1862: „Deutsches Königthum und Kaiserthum“. Sybel’s Auffassung fand in den ihm politisch und wissenschaftlich nahestehenden Kreisen, aber auch z. B. bei Jacob Grimm starken Beifall. Neuerdings urtheilt man ungünstiger. E. Marcks meint: „Sein Buch war eine Waffe. In der Geschichte der historischen Erkenntniß war es eine Verirrung, aber der Geschichte unseres werdenden Staates gehört es bleibend und glänzend an.“ Auch A. Dove spricht von einem „historischen Fehlurtheil“.

Das akademische und litterarische Wirken Sybel’s in München zeigt den Fortgang einer Entwicklung, die mit den Wandlungen der deutschen Geschichte gleichen Schritt hält. Die aus den historischen Studien längst in S. erwachsene Ueberzeugung von dem deutschen Berufe Preußens kommt in seiner öffentlichen Wirksamkeit energisch zum Durchbruch und gibt seiner Geschichtschreibung einen specifisch preußischen Zug, doch ohne damit deren ältere Grundlagen zu verrücken. Nach wie vor bleibt S. der conservative Whig – der „gemäßigte Whig“, wie er sich selbst einmal König Max gegenüber genannt hat –; nach wie vor durchdringen sich in ihm, wie damals schon Bluntschli in einer Rede hervorhob, historisch conservative und politisch liberale Elemente, auf deren fruchtbarem Zusammenwirken die neuere deutsche Entwicklung doch überhaupt beruht. Diesen Elementen Raum zu schaffen, den deutschen Rechtsstaat zu verwirklichen, gilt jetzt mehr als je seine Arbeit.

Es begreift sich, daß der Träger solcher Bestrebungen in München seinen Platz nicht zu behaupten vermochte. Ein Zeichen wachsender Gegnerschaft gegen ihn war im J. 1860 die Wahl Döllinger’s zum Secretär der historischen Classe der Akademie; bedenklicher war, daß auch Sybel’s Verhältniß zu König Max getrübt wurde. Gerade bei den Gutachten über schwebende politische Fragen, die S. noch zuweilen ausarbeiten mußte, trat der Gegensatz seiner Anschauungen von der preußischen Führung zu dem Lieblingsgedanken des Königs von der deutschen „Trias“ so unversöhnlich hervor, daß auch Sybel’s wissenschaftliche Unternehmungen dadurch ungünstig beeinflußt werden mußten. S. selbst wäre gern in München geblieben, auch der König trotz aller Meinungsverschiedenheiten wünschte es; allein er gab ihm doch zu verstehen, daß er nicht in der Lage sei, ihn „bei einer etwaigen Agitation in seiner amtlichen Stellung erhalten zu können“. So entschloß sich S. im J. 1861, einem Rufe nach Bonn zu folgen und Dahlmann’s Lehrstuhl zu übernehmen (mit 2000 Th. Gehalt). An Ranke aber schrieb er: „Ja wohl, es ist, wie Sie sagen: es ist nicht bloß ein gewöhnlicher Wechsel einer Professur gegen die andere; tausend Fäden werden zerrissen, und ich empfinde den Bruch eines jeden.“ Doch blieb S. als Secretär der historischen Commission dauernd mit München in Verbindung, und bei der Nachricht vom Tode des Königs Max schrieb er 1864 an Ranke: „Mir ist die Erinnerung an die Dissidien der letzten Jahre völlig zurückgetreten; in innerster Rührung habe ich nur das Bild des echten humanen Wohlwollens, des edlen Strebens, der leidenschaftslosen stets dem Guten nachringenden Natur vor Augen.“

[660] Kaum in Bonn angelangt, wo er nach seinen eigenen Worten „mit erquickender Herzlichkeit“ aufgenommen wurde, fand S. sich in den schweren Conflict hineingezogen, der durch den Widerstand des preußischen Abgeordnetenhauses gegen die von König Wilhelm I. betriebene Heeresreform hervorgerufen wurde. Er trat in nahe Beziehungen zu den Führern des rheinischen Liberalismus, zu Mevissen und Beckerath, und wurde von Krefeld wiederholt in das Abgeordnetenhaus gewählt, an dessen Verhandlungen er von 1862–1864 als Mitglied des linken Centrums durch Anträge und Reden lebhaft sich betheiligte. Der politische Standpunkt, den er dabei anfangs vertrat, war seiner ganzen bisherigen Haltung entsprechend national und gemäßigt liberal. Er wünschte die innigste Verbindung zwischen der inneren und der äußeren Frage, zwischen der Armeereform und der deutschen Reform. Der Doctrinarismus der Fortschrittspartei stieß ihn ab. In der alles beherrschenden Militärfrage nahm er eine vermittelnde Stellung ein; mit Twesten und Stavenhagen wollte er die Cadres für die Neuformation bewilligen, unter Herabsetzung der Kosten durch Einführung der zweijährigen Dienstzeit, was aber weder bei dem König noch im Abgeordnetenhause Anklang fand. Infolge dessen glitt er mehr und mehr nach links, zur bitteren Enttäuschung seiner altliberalen Freunde Duncker und Droysen, die auf ihn die größten Hoffnungen gesetzt hatten. „Für mein persönliches Theil“, so erläutert S. selbst diesen Uebertritt zur Opposition, „mußte ich mich jetzt entscheiden. Die Wahl war schwer, nachdem das nach meiner Ueberzeugung Wünschenswerthe gesetz- und verfassungswidrig geworden war. Ich sagte mir endlich, daß über die Zweckmäßigkeit der Armeeformation mir ein bindendes Urtheil nicht zustehe, die Verletzung des Verfassungsrechts aber über jeden Zweifel erhaben sei. Ich trat also jetzt zur entschiedenen Opposition.“ Wie man auch über diese nachträgliche Motivirung denken möge, es ist gewiß, daß S. damals von einer seinem Wesen sonst durchaus widersprechenden radicalen Strömung fortgerissen wurde. In scharfen Reden trat er dem Ministerpräsidenten v. Bismarck und dem Kriegsminister v. Roon entgegen, was ihm namentlich in den Rheinlanden eine starke Volksthümlichkeit gewann. „Sybel ist der Held des Tages“, schrieb damals Mevissen. Eine Erkrankung an Diphtheritis, der ein hartnäckiges Augenleiden folgte, nöthigte ihn jedoch schon Anfang 1864, sein Mandat niederzulegen und den politischen Schauplatz zu verlassen. „Der Himmel war so gnädig“, hat S. selbst nachher geurtheilt, „mich an weiterer Blamage zu hindern.“ Später, in den ersten Zeiten des Norddeutschen Bundes, den er mit Freude begrüßte – wie er auch 1866 seinen ältesten Sohn sogleich hatte als Freiwilligen eintreten lassen –, als Abgeordneter von Lennep-Mettmann, und 1874 in den Tagen des Culturkampfes als Vertreter Magdeburgs im Abgeordnetenhause, hat S. noch einmal kräftig in die Politik eingegriffen, wie früher als entschledener Gegner des allgemeinen Stimmrechts und der Ultramontanen, die er am Rhein selbst durch die Gründung des „Deutschen Vereins“ nicht eben glücklich zu bekämpfen suchte.

Inzwischen hatte S. unter den akademischen Lehrern Bonns ohne Zweifel die erste Stelle eingenommen; seine wissenschaftliche Bedeutung und seine politische Wirksamkeit sammelten einen Kreis um ihn, den er – nach seines Collegen Anton Springer’s Worten – „durch Leutseligkeit, eine heitere und leichte Natur zu fesseln wußte“. Er hielt am 15. Mai 1865, bei der Gedenkfeier für die Vereinigung der Rheinlande mit Preußen, die Festrede, in der er erklärte: „Wie dieses Preußen einmal ist, mit seinen Schroffheiten und Schwächen, mit seiner Tüchtigkeit und Kraft, mit seiner großen Geschichte und seiner gewaltigen Zukunft, wir gehören zu ihm, wir wollen ihm gehören und [661] zu keinem andern.“ Ihm wurde das Rectorat für 1868 und damit die Leitung und Festrede bei der Jubelfeier der fünfzigjährigen Gründung der Universität übertragen, eine Aufgabe, der er mit allgemein bewunderter Gewandtheit und beweglicher Geisteskraft gerecht wurde. Groß war seine Klugheit und seine Geschicklichkeit in der Behandlung akademischer Geschäfte. Von seinen Vorlesungen berichtet einer seiner damaligen Schüler und Zuhörer (Pflugk-Harttung): „Selbst in den schwülen Nachmittagsstunden des Spätjuli saßen auf den Bänken dicht geschart Studenten aller Facultäten, Officiere, jugendliche Engländer und ergraute Rentiers.“ Sybel’s Vortrag, ursprünglich weder recht ansprechend noch wirkungsvoll, hatte sich wie sein Stil in strenger Selbstzucht schön entfaltet. S. sprach, in Anlehnung an wohlausgearbeitete Hefte, leicht und fließend, nicht schnell, nicht langsam, bei etwas hoher Stimme stets allgemein verständlich, oft in leichter humoristischer oder ironischer Färbung, immer fesselnd, anregend, zuweilen, wie bei dem Schicksal des Don Carlos, den Greueln der Schreckensherrschaft und den Niederlagen König Friedrich’s des Großen, so ergreifend, daß die Zuhörer ihre Thränen nicht zurückhalten konnten. Der rechte Nachfolger Niebuhr’s und Dahlmann’s, suchte er seinen Zuhörern das Verständniß für die treibenden Kräfte des historischen Lebens zu erschließen. Dabei imponirten die Klarheit und Sicherheit, mit der er „Wesentliches und Unwesentliches schied, Menschen und Verhältnisse beurtheilte, reiche gelehrte Kenntnisse in den Dienst ethischer Zwecke stellte“, während „die Verbindung von überlegener Klugheit und menschenfreundlichem Wohlwollen, die aus seinen Augen und Worten sprach“, fesselte. Seine begabteren Schüler vereinigte er zu historischen Uebungen, bei denen er an Quellen des früheren Mittelalters anknüpfte, seine Ausführungen aber auch durch Beispiele aus der neueren und neuesten Geschichte erläuterte. Es kam dabei nicht selten zu lebhaften Erörterungen, da S., indem er seine Schüler an die Grundsätze methodischer Quellenforschung band, doch eigenes Denken und selbständiges Urtheil immer zu wecken strebte. Denn so streng er alle Subjectivität bei der kritischen Feststellung des Thatbestandes ausschloß, so bereitwillig ließ er sie bei der zusammenfassenden Anschauung und Betrachtung wieder gelten. Immer lehrte er, sich nicht in Kleinigkeiten zu verlieren, nicht an Aeußerlichkeiten hängen zu bleiben, weite Ziele zu wählen. Eine große Anzahl der tüchtigsten Historiker und geistvollsten Docenten ist aus diesen Uebungen hervorgegangen, manche leicht erkennbar an der Selbständigkeit und Energie des sittlich-politischen Urtheils, das hie und da der kritischen Feststellung des Thatbestandes vielleicht vorauseilt.

Daneben zeigte S. gerade in diesen Jahren auch in eigenen Arbeiten eine ungemeine Productivität, wobei Wissenschaft und Politik vielfach Hand in Hand gingen. So bei den Abhandlungen, durch die er die öffentliche Meinung in Frankreich und in England über die Bedeutung der großen Umwälzungen in Deutschland aufzuklären suchte (1866 u. 1871), bei den Festreden zum Andenken an E. M. Arndt (1865) und den Freiherrn vom Stein (1872), bei den Studien über „die Lehren des heutigen Socialismus und Communismus“ und über „die Wirksamkeit der Staatsgewalt in socialen und ökonomischen Fragen“ (1872), in denen er Lehren und Forderungen der Socialdemokratie energisch bekämpfte, aber doch auch von dem Eigenthum die für das Gesammtwohl erforderlichen Opfer verlangte. Andere Schriften wehrten die Angriffe gegen die Geschichte der Revolutionszeit ab („Oesterreich und Preußen im Revolutionskriege“, „Oesterreich und Deutschland im Revolutionskriege“ 1866 und 1868). Von sonstigen Arbeiten dieser überaus fruchtbaren Jahre in Bonn – meist „Gelegenheitsschriften“ im besten Sinne – erwähnen wir [662] noch den Vortrag über „Die Entwicklung der absoluten Monarchie in Preußen“ (1863), eine gedankenreiche und geistvolle Nachweisung der inneren Continuität in der Entwicklung Preußens von der absoluten Monarchie zum modernen Verfassungsstaat, und eine antecipirte Widerlegung der neuerdings in Frankreich (von G. Cavaignac) aufgestellten Anschauungen über die ausschließende Beherrschung und Beeinflussung der preußischen Reformzeit durch die Ideen der französischen Revolution. Besonderes Aufsehen machten in Deutschland wie in Frankreich Sybel’s kritische Untersuchungen über die von Hunolstein und Feuillet de Conches veröffentlichten Briefe Marie-Antoinette’s, deren Unechtheit er entdeckte und in scharfsinniger Beweisführung überzeugend nachwies.

Aus dieser großen akademischen und litterarischen Wirksamkeit heraus wurde S. im Juni 1875 zur Leitung der preußischen Staatsarchive und des Berliner Geheimen Staatsarchivs insbesondere berufen. Zögernd nahm er an, wie einst bei der Berufung nach München nicht ohne das drängende Zureden Leopold v. Ranke’s. Dann aber hat er in freiem und großem Geiste, mit fester und geschickter Hand und unter den glücklichsten Erfolgen, genau zwei Jahrzehnte hindurch das preußische Archivwesen geleitet und zu hoher Blüthe emporgehoben. Die Zahl der Beamten wurde erheblich vermehrt; an Stelle der alten und unzulänglichen Gebäude erstanden vielfach stattliche Neubauten; die lästigen Bestimmungen, welche den Zutritt erschwerten und die Benutzung der Archive einschränkten, wie die Controlle über die angefertigten Auszüge, fielen eine nach der anderen. Ein großes Verdienst erwarb er sich bei der Durchführung des Systems der Ordnung der Actenmassen nach dem Provenienzsystem, d. h. nach den Behörden, bei denen die Actengruppen erwachsen sind. Er sorgte dafür, daß dieses Ordnungsprincip, das zunächst im Geheimen Staatsarchiv zu Berlin erprobt wurde und dessen praktische Zweckmäßigkeit und wissenschaftliche Bedeutung ihm einleuchteten, auch in den Staatsarchiven der Provinzen nach Möglichkeit durchgeführt wurde. In einer an das Königsberger Staatsarchiv gerichteten Verfügung von 1881 hat er sich entschieden zu diesem Ordnungsgrundsatz bekannt, indem er die vom Standpunkte des Forschers, der alle über einen Gegenstand vorhandenen Acten möglichst an Einer Stelle vereinigt wünscht, erhobenen Bedenken mit überlegener Sachkunde zurückweist. Ebenso hat er angeordnet, daß die Acten einer Behörde in derjenigen Ordnung verbleiben sollen, die sie von der Registratur der betreffenden Behörde selbst erhalten haben, daß litterarische Nachlässe, die in die Archive gelangen, ungetrennt bleiben sollen usw., Ordnungsgrundsätze, die seitdem in allen preußischen Staatsarchiven erfolgreich angewandt sind und sich durchaus bewährt haben. Man darf hiernach sagen, daß die organische Gliederung der Actenbestände eines jeden preußischen Staatsarchivs gegenwärtig auf den von S. festgelegten Grundlagen beruht und hoffentlich immer beruhen wird. Eine besondere Theilnahme widmete S. den von ihm ins Leben gerufenen und bis zum 62. Bande geleiteten „Publicationen aus den preußischen Staatsarchiven“, in denen er, gegen alle bisherige Gepflogenheit, auch Actenstücke der jüngsten Vergangenheit, die Berichte des Bundestagsgesandten v. Bismarck aus Frankfurt a. M., veröffentlichen ließ. Den wissenschaftlichen Arbeiten seiner Beamten schenkte er eine stets bereitwillige Unterstützung und verständnißvolle Förderung; gerade ihnen gegenüber bewies er oft, daß er – nach seinen eigenen Worten – auch als Archivdirector mehr Professor geblieben als Verwaltungsbeamter geworden war. Nur darin hatte er weniger Erfolg, daß es ihm nicht gelang, die tüchtigen und zum Theil selbst ausgezeichneten Kräfte, die er für den Archivdienst gewann, dem Wettbewerb der Universitäten gegenüber [663] durch Hebung und Aufbesserung der Stellen dauernd den Archiven zu erhalten.

Mit der Verwaltung der Staatsarchive, der Herausgabe der Archivpublicationen, dem Präsidium der historischen Commission bei der bairischen Akademie der Wissenschaften verband S. noch die Leitung des von ihm begründeten historischen Instituts in Rom, das hauptsächlich die Berichte der päpstlichen Nuntien aus Deutschland herausgab, und als Mitglied der Berliner Akademie der Wissenschaften, als welches er auch ein Semester hindurch an der Berliner Universität über deutsche Geschichte las, die Antheilnahme an der Centraldirection der Monumenta Germaniae, an der Veröffentlichung der „Politischen Correspondenz Friedrich’s des Großen“ und der „Acta Borussica“, der großen Quellensammlung zur Geschichte der preußischen Verwaltung im 18. Jahrhundert. Mit Sickel zusammen publicirte er photographische Abbildungen von Urkunden deutscher Könige und Kaiser von Pippin bis Maximilian, ein höchst werthvolles Hülfsmittel für paläographische Forschung und Unterricht. Man darf sagen: wenn Ranke der deutschen Geschichtswissenschaft einst den stärksten und entscheidenden Impuls gab, so hat doch für Organisirung und Förderung geschichtswissenschaftlicher Unternehmungen, leitend und anregend, niemand mehr gearbeitet und geleistet als Heinrich v. Sybel.

Seine unerschöpfliche Arbeitslust und Arbeitskraft fanden aber in dieser großartigen organisatorischen Thätigkeit um so weniger Befriedigung, als er solche Quelleneditionen, „die Errichtung fester Kellergewölbe“, wie er es einmal nannte, keineswegs „für die höchste Aufgabe seines Berufes hielt“; sein Geist mußte sich auch in eigenen Hervorbringungen auswirken. Er brachte die „Geschichte der Revolutionszeit“ zum Abschluß (1879), bearbeitete für die Allgemeine Deutsche Biographie die Artikel über Hardenberg (1879) und Haugwitz (1880), gab den dritten Band seiner „Kleinen historischen Schriften“ heraus (1880, der erste war 1863, der zweite 1869 erschienen), einen Band „Vorträge und Aufsätze“ (1874), und veröffentlichte in zweiter Auflage die „Geschichte des ersten Kreuzzugs“ und die „Entstehung des deutschen Königthums“, jene nur „neu bearbeitet“, diese zwar „umgearbeitet“, aber in ihren Grundanschauungen doch unverändert. Dann aber sah sich der Vierundsechzigjährige nach einer neuen großen Aufgabe um. Er hatte zeitweilig (1867) an eine deutsche Geschichte seit 1815 gedacht, deren wesentlicher und eigentlicher Inhalt ihm in den bisherigen Darstellungen völlig vernachlässigt schien, dann den Plan zu einer „lesbaren und politisch gedachten“ allgemeinen deutschen Geschichte gefaßt, für die er in Berlin schon mit einem Verleger Vertrag schloß. Entscheidend aber wurden schließlich die Beziehungen zu Fürst Bismarck, die sich in Berlin vertraulicher gestaltet hatten. Im J. 1881 erhielt er von Bismarck die Ermächtigung, außer dem ihm selbstverständlich zur Verfügung stehenden Geheimen Staatsarchiv, auch das Archiv des Auswärtigen Amtes für eine Darstellung der neueren und neuesten Geschichte Preußens und Deutschlands zu benutzen. Aus diesen Forschungen erwuchs das Werk von der „Begründung des deutschen Reiches unter Wilhelm I.“, dessen erste Bände 1889 erschienen und dessen letzte Bände (VI u. VII), die Geschichte des Norddeutschen Bundes und den Ursprung des Krieges von 1870 umfassend, zu Ende 1894 veröffentlicht wurden. Der Titel des Werkes bezeichnet auch seine Begrenzung: es ist nicht, wie Treitschke’s deutsche Geschichte, die Geschichte eines Volksthums, das, aus der Zersplitterung heraus unter Erfolgen und Irrungen, Siegen und Niederlagen ringt und kämpft nach der Verkörperung in einem Staate. Es ist eine Geschichte der preußischen Politik, eigentlich der Politik Bismarck’s, in ihrer Richtung auf die Herstellung der deutschen Einheit. Einer [664] weit ausholenden Einleitung folgt eine recht ungünstige Schilderung der schwächlichen Politik König Friedrich Wilhelm’s IV., die im fünften Bande von Treitschke’s deutscher Geschichte ihre Bestätigung fand und auch durch neuere Rettungsversuche (Rachfahl: Deutschland, König Friedrich Wilhelm IV. und die Berliner Märzrevolution, 1901) nicht erschüttert scheint. Den Höhepunkt des Werkes bilden der 3., 4. und 5. Band, in denen Bismarck’s Politik, das allmähliche Werden und Reifen seiner großen Pläne, die verwickeltsten diplomatischen Verhandlungen, wie die Frage der Elbherzogthümer, der Ursprung des Krieges von 1866 und endlich der Verlauf dieses Krieges selbst, in einer Erzählung von leuchtender Klarheit und eleganter Schönheit vergegenwärtigt werden. Ueber der Auswahl und Behandlung des Stoffes waltet ein Maßhalten, das sich oft zu diplomatischer Zurückhaltung steigert. Die tiefen und klaffenden Gegensätze im deutschen Leben werden dabei freilich ebenso verhüllt oder abgeschwächt wie die scharfen Kämpfe zwischen den leitenden Persönlichkeiten in Preußen; das wechselvolle Verhältniß Bismarck’s zu König Wilhelm wird nur an der Oberfläche berührt, Bismarck selbst erscheint, wie Marcks urtheilt, „zu verständig, zu correct, zu farblos, zu harmlos, zu zahm“. Der 6. und 7. Band tragen einen wesentlich anderen Charakter als die vorhergehenden. Einige Monate nach Bismarck’s Rücktritt wurde S. von der weiteren Benutzung der Acten des Auswärtigen Amtes ausgeschlossen; vom Titel verschwindet der Zusatz, den die ersten fünf Bände tragen: „vornehmlich nach den preußischen Staatsacten“. Der schöne frische Quell, aus dem S. sich und dem Leser eine überwältigende Fülle historischer Belehrung geschöpft hatte, ist verschüttet. Dafür erschlossen sich ihm in wachsendem Maaße neue Quellen in den Mittheilungen der Zeitgenossen, vor allem Bismarck’s selbst, des gräflichen Diplomaten Vitzthum von Eckstädt u. A. Hierdurch ist Sybel’s viel angefochtene Auffassung der spanischen Throncandidatur des Prinzen von Hohenzollern, der Allianceverhandlungen zwischen Frankreich, Oesterreich und Italien, überhaupt der Vorgeschichte des Krieges von 1870 entscheidend beeinflußt worden. Mag darin die Darstellung mancher Zusammenhänge und mancher Einzelheiten der Ergänzung und Berichtigung bedürfen, die Gesammtanschauung der damaligen Politik Bismarck’s als einer in „ihrer Stärke ruhenden Friedensspolitik“, wie sie sich namentlich in der rumänischen Frage, bei dem Aufstande in Kreta u. s. w. zeigte, scheint wohl begründet.

Auch insofern unterscheiden sich diese beiden letzten Bände von den früheren, als die innere Entwicklung Norddeutschlands mehr in den Vordergrund tritt und die parlamentarischen Verhandlungen einen breiteren Raum einnehmen. Die Darstellung der politischen Kämpfe im constituirenden Reichstag des Norddeutschen Bundes trägt zuweilen fast den Charakter von Memoiren, in denen S. mit warmer Theilnahme seiner nationalliberalen Freunde, mit überlegenem Humor der Radicalen, und mit unverhüllter Abneigung seiner bittersten Gegner, der Ultramontanen, namentlich Mallinckrodt’s, gedenkt. Bemerkenswerth ist dabei auch seine wiederholte und entschiedene Absage an das allgemeine, gleiche und directe Wahlrecht, das er als eine Erfindung seiner alten Feinde, der Jacobiner von 1793, und als „die Vorstufe der demokratischen Dictatur“ bekämpfte. Seinen vollen Beifall finden dagegen die liberalen Gesetze, mit denen Norddeutschland damals überschüttet wurde und deren zuweilen bedenkliche sociale und wirthschaftliche Folgen er unbeachtet läßt.

Diese „Begründung des deutschen Reiches durch Wilhelm I.“ bedeutet in der Entwicklung von Sybel’s Geschichtsauffassung und Geschichtschreibung einen neuen Abschnitt. Wie die früheren Arbeiten entstand auch dies Werk in innigster Fühlung mit der Zeitgeschichte, im Zusammenhang der Kämpfe [665] um die Lösung der großen deutschen Frage, und insofern trägt es einen durchaus politischen und nationalen Charakter. Allein S. steht auf dem Schlachtfeld nicht mehr als Kämpfer, sondern als Sieger; mit leichter Feder, in heller Siegesfreude schreibt er den Schlachtbericht.

Damit hängt ein Anderes zusammen. In der akademischen Gedenkrede auf seinen großen Lehrer und Meister hatte S. einst das Streben Ranke’s, auch die Gegner und deren Tendenzen, selbst schlechthin verwerfliche Persönlichkeiten, forschend zu „begreifen“, nicht ohne kritisches Bedenken erörtert; jetzt bezeichnet er selbst als seine Aufgabe, „das Verhalten der Gegner, die Motive ihres Thuns, nicht aus Thorheit oder Schlechtigkeit abzuleiten, sondern nach den historischen Voraussetzungen ihrer ganzen Stellung zu begreifen“. Aus diesem Wandel erklärt sich in der Geschichte der „Begründung des deutschen Reiches“ die bei aller Entschiedenheit des politischen Standpunktes und bei aller Wärme vaterländischer Gesinnung maßvollere Auffassung und mildere Beurtheilung; daher, in der Schreibweise, der tiefgehende Unterschied zwischen der oft leidenschaftlichen, aber immer auch kraftvollen „Geschichte der Revolutionszeit“ und der reifen und abgeklärten, aber zuweilen doch etwas zu geglätteten Darstellung der „Begründung des deutschen Reiches“. Diese unleugbare Milde, auch da, wo er verurtheilt, hat freilich nicht gehindert, daß S. auch diesmal mannichfachen Widerspruch erfahren hat: König Friedrich Wilhelm IV., die Schweizer, die Schleswig-Holsteiner und ganz neuerdings Fürst Schwarzenberg (durch Friedjung) sind gegen S. mehr oder minder erfolgreich vertheidigt worden.

In rastloser und unablässiger Arbeit hatte der Siebenundsiebzigjährige an dem großen Werke geschafft und geschrieben. An der Hohenzollernstraße, in der er seit der Uebersiedlung nach Berlin wohnte, dehnte der Thiergarten die grüne Pracht seiner Bäume und Sträucher aus; er achtete dessen nicht, nur zuweilen erhob er sich von dem Schreibtisch, um langsam schreitend im Zimmer auf- und abzugehen und so der ihm von Schweninger dringend empfohlenen Bewegung durch etwas häusliche Gymnastik nachzuhelfen. „Ich bin buchstäblich Monate lang nicht aus dem Zimmer gekommen“, sagte er mir im Winter 1894/95, „nun will ich mich aber auch ordentlich ausruhen und erholen.“ Ich zweifle, daß er es gethan hat. Als ich ihn zum letzten Male sah, im Frühjahr 1895, fand ich ihn wie immer an seinem Schreibtisch, über Büchern und Zeitschriften, die große Gestalt tiefer als sonst gebeugt, die Stimme zuweilen von einem quälenden Husten unterbrochen, der ganze Körper sichtlich leidend unter den Folgen einer schweren Erkältung, in den Augen aber und um den Mund das alte freundliche, wohlwollende Lächeln. In lebhafter Unterhaltung erörterte er den Ursprung des Krieges von 1870, indem er allen Einwendungen gegenüber seine bekannte Auffassung nachdrücklich festhielt, berührte die durch Max Lehmann angeregte Frage nach dem Ursprung des siebenjährigen Krieges und verweilte endlich, im Anschluß an einen ihm für seine Zeitschrift überreichten Aufsatz über die Vorgeschichte des Friedens von Basel, in freundlicher Erinnerung bei den Tagen seiner eigenen Arbeiten in den Pariser Archiven. Jedes Wort zeigte, wie er in der Bewegung der Geschichtswissenschaft, die er selbst mit angeregt, namentlich in den Fortschritten der Quellenforschung lebte und webte.

Einige Wochen später, am 13. Juni, verließ S. Berlin und reiste nach Marburg, wo er einst so gesegnete Jahre verlebt hatte und wo er nun bei seinem jüngeren Sohne Ludwig (1846 in Marburg geboren, Professor der Archäologie und Kunstgeschichte an der dortigen Universität) einen Theil seines Urlaubes zu verbringen pflegte. Seine Gesundheit war durch wiederholte Krankheitsanfälle erschüttert, mit der verminderten Lebenskraft die frühere [666] Beweglichkeit fast verschwunden; aber in der liebevollen Pflege der Seinigen, in der kräftigenden und belebenden Luft der das Lahnthal umgebenden Höhen erholte er sich rasch wieder und konnte selbst allein einen Ausflug nach Wiesbaden unternehmen, von dem er in bester Frische zurückkam. Sogleich wandten sich seine Gedanken wieder der geliebten Arbeit zu; er sprach davon, die Erinnerungen seines Lebens, namentlich aus der Münchener Zeit, niederzuschreiben, entschied sich dann aber doch zunächst für die Fortsetzung seines großen Werkes, dessen Vollendung ihm als eine ebenso schwere wie heilige Pflicht erschien. Lebhaft beschäftigte ihn dabei der Eindruck, den seine „Neuen Mittheilungen und Erläuterungen“ zur Vorgeschichte des Krieges von 1870 und ein Aufsatz über „Die Phantasien des Herzogs von Gramont“ in Deutschland und besonders in Frankreich machten. Ein französischer Publicist hatte ihn eingeladen, darüber für Frankreich zu schreiben, und sich erboten, die Arbeit zu übersetzen und die Veröffentlichung zu vermitteln. S. fühlte sich geneigt, darauf einzugehen; in französischer Sprache antwortete er dem Schriftsteller, – vielmehr er begann eine Antwort, denn schon bei der zweiten Seite des Briefes nahm ihm eine schwere Erkrankung, eine Art Lungenlähmung, die Feder aus der Hand. Nur einen Tag brachte er dann im Bette zu; am nächsten Morgen, 1. August 1895, in aller Frühe, ist er, umgeben von den Seinigen, kampflos verschieden.

Sybel’s Leben war voll ausgelebt, sein Wirken in sich abgeschlossen. Eine ursprüngliche und starke Begabung, die unter der belebenden Gunst glücklichster Verhältnisse, in gesunder bürgerlich-rheinischer, preußisch-protestantischer Luft reich und schön sich entfaltet hatte; von den Strömungen der Zeit immer gefördert und getragen, nie ganz hingerissen; ein lebhaft und vielseitig angeregtes Geistesleben, das sich der Wissenschaft und der Kunst der Historie zuwendet, aber mit der Gegenwart immer in Wechselwirkung bleibt, ohne doch in sie ganz aufzugehen; in der Abneigung gegen mittelalterliche Romantik wie gegen den rein ästhetischen Classicismus eine durchaus moderne Natur; in dem Kampfe gegen Feudalismus und Clericalismus, gegen Radicalismus und Socialdemokratie der rechte Historiker des liberalen protestantischen deutschen Bürgerthums.

Vier Eigenschaften, lehrt S. selbst, muß der Historiker von heute haben: Sinn und Begabung für kritische Forschung und für philosophische Durchdringung des Stoffes, sittlich-politisches Urtheil, lebendige Anschauung und Vergegenwärtigung der Vergangenheit. Ein ander Mal verlangt er: „geistige Ergreifung und Verarbeitung des Stoffes nach sittlichen und politischen Principien“; „Gruppirung und Verbindung der Thatsachen nach organischen, durchgreifenden, einheitlichen Gesichtspunkten“. Zweifellos gab es und gibt es Historiker, die S. in irgendeiner jener Eigenschaften übertroffen haben oder übertreffen; keine hat er selbst in sich zur höchsten Potenz gesteigert. Allein ebenso zweifellos scheint mir auch, daß niemand alle jene Eigenschaften so in sich ausgeglichen und verschmolzen hat wie S. selbst. So bleibt er der vornehmste Repräsentant jener reichen und glänzenden Epoche unserer Geschichtschreibung, die unter dem Druck und in der Erhebung der schweren politischen und nationalen Kämpfe Deutschlands ihr eigenartiges Gepräge erhalten hat. Und untrennbar ist dabei dem Historiker der Politiker verbunden. S. selbst spricht einmal (in der „Begründung des deutschen Reiches“) von dem „langen pädagogischen Proceß“, der erforderlich war, ehe den Deutschen die Bildung des nationalen Staates gelang. In diesem Entwicklungsproceß ist auch S. eine Kraft gewesen, er selbst, seine Arbeit und seine Werke; und in diesem Sinne konnte ihm bei dem fünfzigjährigen Doctorjubiläum (1888) Fürst [667] Bismarck danken „für seine langjährige Mitarbeit an dem gemeinsamen vaterländischen Werke“.

Autobiographische Auszeichnungen und Briefe Sybel’s, sowie Acten des preußischen Cultusministeriums, meist schon benutzt in meinem Aufsatze „H. v. Sybel“ (Deutsche Rundschau, October 1895), der obiger Darstellung zu Grunde liegt. Reicheres Material konnte Varrentrapp verwerthen in der vortrefflichen „biographischen Einleitung“ zu „Vorträge und Abhandlungen von Heinrich von Sybel“ (Historische Bibliothek, herausgegeben von der Redaction d. histor. Zeitschrift III, 1897), wo sich S. 157 bis 174 auch ein „Chronologisches Verzeichniß der von Sybel veröffentlichten Schriften“ in 228 Nummern findet. Nekrologe von Oldenbourg und Meinecke in der Histor. Zeitschr., 75. Bd. (1895); E. Marcks in der „Zukunft“ vom 26. Oct. 1895; vergl. auch dessen schöne Würdigung der politischen Geschichtschreibung der fünfziger Jahre in „Ludwig Häusser und die politische Geschichtschreibung in Heidelberg“ in „Heidelberger Professoren aus dem 19. Jahrhundert. Festschrift der Universität zur Centenarfeier ihrer Erneuerung durch Karl Friedrich.“ I, 1903). A. Dove: „Ranke und Sybel in ihrem Verhältniß zu König Max“ (Beil. zur Allg. Zeitung vom 18. und 19. Nov. 1895, auch in „Ausgewählte Schriftchen“, 1898). – G. Schmoller, „Gedächtnißrede auf H. v. Sybel und H. v. Treitschke“, 1896. – Ueber den Streit mit Ficker s. jetzt die Biographie Ficker’s von J. Jung (1907). – Ueber die Familie Sybel s. F. K. L. von Sybel (des Historikers älterer Sohn): „Nachrichten über die Soester Familie Sybel 1423–1890“ (München 1890).