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Artikel „Bergk, Theodor“ von Rudolf Peppmüller in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 46 (1902), S. 381–383, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Bergk,_Theodor&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 11:57 Uhr UTC)
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Bergk: Wilhelm Theodor B. ist als Sohn des zu seiner Zeit wohlbekannten Litteraten Johann Adam B. und dessen Gemahlin Wilhelmine geb. Agricola am 22. Mai 1812 zu Leipzig geboren. Auf Gemüth und Charakter des Knaben hatte der Vater den größten Einfluß. Bezeichnend ist, daß er ihm am 11. Juli 1825, wo Theodor in die Thomasschule eintrat, eine schriftliche Ermahnung überreichte „Meinem Theodor bei seinem Eintritt in die Thomasschule zu Leipzig“, in welcher er ihm die Pflichten nahelegte, die ihm oblägen. Bald urtheilten Lehrer Bergk’s, daß er der beste Schüler der Classe sei; als er April 1830 mit einem langen, in alcäischen Strophen verfaßten Valedictionsgedicht das Gymnasium verließ, erklärte ihn das ihm als Zeugniß überreichte Diplom für „durchaus würdig zu höheren Studien überzugehen“. Die Vielseitigkeit der Gegenstände, welche B. schon in seiner fünfjährigen Universitätszeit umfaßte, war erstaunlich und die Schlagfertigkeit und der Umfang seines Wissens imponirte nicht nur den Studiengenossen, sondern auch G. Hermann, dem Manne, der für Bergk’s Studiengang entscheidend war. Seine kritische Befähigung bewies er schon als Mitglied der griechischen Gesellschaft durch die „Commentatio de Sophoclis fragmentis“, welche er Hermann im J. 1833 zum Geburtstagsgeschenk machte. Bald wandte er sich den griechischen Lyrikern zu, dem Lieblingsstudium seines Lebens, zunächst dem Anakreon, danach den Komikern. Die „Commentationes de reliquiis comoediae Atticae antiquae“, ein noch heute anerkanntes Werk, schrieb er 1838 als Inspectionslehrer auf dem Hallischen Waisenhause. Nach einer kurzen, für ihn wenig erfreulichen Lehrthätigkeit in Neustrelitz ging er noch 1838 an das Joachimsthaler Gymnasium in Berlin über, wo Meineke eine Reihe ausgezeichneter Männer um sich scharte. Mit den philosophischen Dichtern hatte sich B. schon in Leipzig beschäftigt: in Berlin veröffentlichte er ein bedeutendes Programm über Empedokles. Für Meineke’s Fragmenta comicorum aber bearbeitete er jetzt die Fragmente des Aristophanes. Schon Ostern 1840 siedelte er indeß nach Kassel über, um auch dort rüstig weiterzuarbeiten. Immer mehr erweiterte sich sein Studienkreis und vertiefte sich seine Auffassung von der Alterthumswissenschaft, die ihn mehr und mehr Böckh und Welcker näherte. Seine litterargeschichtlichen Neigungen bewies er schon früh durch eine vortreffliche Kritik von O. Müller’s griechischer Litteraturgeschichte. Den großen Umfang seines Wissens aber bethätigte er in Marburg, wohin er im J. 1842 an C. F. Hermann’s Stelle berufen wurde, durch den umfassenden Kreis seiner Vorlesungen. Er las über Encyklopädie der Philologie, griechische Grammatik, römische und griechische Litteraturgeschichte, griechische Philosophie, Archäologie und antike Kunstgeschichte, und es gibt kaum einen bedeutenderen antiken Schriftsteller, den er im Colleg, Seminar oder in der Societät nicht behandelt hätte. Als Programmatarius hat er in Marburg und später in Halle eine sehr umfangreiche, ihn manchmal bedrückende Thätigkeit entwickeln müssen. Seine zahlreichen Schriften (324 Nummern) findet man im 1. Bande der von mir besorgten Kleinen Schriften (Halle 1884 und 1886) verzeichnet. Die Lyriker förderte B. zunächst noch durch einzelne Schriften, die erste große Ausgabe erschien 1843 ohne die Mitwirkung von Schneidewin, mit dem sie B. nach dessen Wunsch hatte gemeinsam bearbeiten sollen. Alsbald verfaßte dieser eine scharfe Kritik, die beide Gelehrte für immer trennte. Wenn Schneidewin in Einzelheiten auch nicht im Unrecht war, so hatte er die Mängel des Buches doch sehr übertrieben. Sein „Delectus“ ist heute vergessen: Bergk’s „Lyriker“ dagegen haben, stetig vervollkommnet (2. Ausg. 1852, 3. Ausg. [382] 1866) die 4. Auflage erlebt (I. 1878, II. III. 1882) und sind bis heute ein Hauptwerk der classischen Philologie. Eine Ergänzung dazu bildet die „Anthologia lyrica“ (1853, 1868), worin auch der von B. immer von neuem geförderte Babrius enthalten ist. Bergk’s Thätigkeit galt aber nicht bloß dem Hellenismus, auch die römische Philologie verdankt ihm viel, vor allem durch Studien zu Ennius, zu den Bruchstücken der Dramatiker, zu Plautus und den Inschriften. „Aller Orten“ zeigte er sich heimisch, „aufräumend und Licht schaffend“ (Droysen schon. 1845). Mit welcher Virtuosität er die griechische Sprache beherrschte, bewies er 1845 durch ein die Barbarossasage behandelndes griechisches Gratulationsgedicht an die Königsberger Universität. Eben damals legte er auch den Grund zur Beurtheilung und Erklärung der Erigone des Eratosthenes (1846), zugleich aber führten ihn Ritschl’s Arbeiten über den Plautus eben diesem Dichter zu. Namentlich für den Trinummus hat außer Ritschl kein Gelehrter so viel geleistet wie B. Der Komödie blieb er zwar lange getreu, aber sein Scharfsinn und seine Gelehrsamkeit kamen auch anderen römischen Dichtern, besonders den Fragmenten der Sceniker und Lucrez sowie der Sacralpoesie der Römer zu gute. Obwol B. im Grunde eine reine Gelehrtennatur war, so hatte er doch Veranlassung öffentlich für seine politische Ueberzeugung einzutreten, denn 1847–1849 saß er im hessischen Landtage, 1848 war er in Frankfurt einer der 17 Vertrauensmänner. Er bewährte, durchaus constitutionell gesinnt, in seiner politischen Wirksamkeit dieselbe Klarheit, die ihn auch sonst auszeichnete, gab sie aber mit einiger Enttäuschung auf, um ganz zu seinen gelehrten Studien zurückzukehren. Besonderes interessirten ihn in jener Zeit auch archäologische Fragen, ein Feld, das er in Freiburg, wohin er, mehr und mehr unzufrieden mit den Verhältnissen in Hessen, im J. 1852 übersiedelte, weiter pflegte. Als er dorthin ging, schied er zugleich von einem Unternehmen, das er, selbst sein eifrigster Mitarbeiter, mit Cäsar zusammen fast zehn Jahre geleitet hatte, der „Zeitschrift für die Alterthumswissenschaft“. Noch in Marburg bearbeitete er den Aristophanes für Teubner, in Freiburg den Sophokles für B. Tauchnitz. Auch verfaßte er dort die wichtige Abhandlung „über das älteste Versmaß der Hellenen“, eine Vorarbeit für Usener’s ‚altgriechischen Versbau‘. Recht wohl hat sich B. übrigens, trotz der schönen Natur des Landes in Freiburg bei den geringen Mitteln der Universität und der mangelhaften Vorbereitung der Studirenden nicht gefühlt; vielmehr wartete er auf seinem „äußersten Posten“ an Deutschlands Grenze auf bessere Zeiten. Diese kamen, als ihm von Halle die Professur für Eloquenz angeboten wurde. Erst hier eröffnete sich ihm eine befriedigende Lehrthätigkeit: 22 Semester hat er in Halle gelesen und alle wichtigen Gegenstände der classischen Philologie behandelt. Selbst wie wenige zur Emendation befähigt hat er seine Schüler doch nie direct zur Conjecturalkritik angeregt: er wollte vor allem Gymnasiallehrer, nicht Universitätsgelehrte bilden. Bald hatte er Bernhardy überflügelt, und schon deshalb erfüllte sich dessen Hoffnung mit ihm noch eine Strecke Weges zusammenzugehen nicht. Beide waren eigenwillige Naturen: keiner wollte dem anderen den Vorzug einräumen, und darum trennten sich ihre Wege. Auch mit Ritschl zerfiel B., als er aus methodischen Gründen von seinem Standpunkte aus dessen Plautuskritik angriff und gegen ihn in scharfem Tone die Schrift über das auslautende D im Lateinischen schrieb. Sein Amt verpflichtete B. in Halle zu einer umfangreichen officiellen Schriftstellerei: nur sein immenses Wissen erklärt die Mannichfaltigkeit der von ihm bearbeiteten Themen. Leider aber war er durch diese kleinen Aufsätze verhindert, seinem Lieblingsplane näher zu treten, der Abfassung einer griechischen Litteraturgeschichte in größerem Stil. Erst nachdem er seine infolge von Kränklichkeit erbetene Entlassung aus dem Lehramte [383] erhalten und nach Bonn übergesiedelt war, konnte er die Arbeit, die er als Lebensaufgabe betrachtete, in Angriff nehmen. Sie ist unvollendet geblieben: nur einen starken Band hat B. (1872) selbst herausgegeben, die übrigen drei G. Hinrichs (1883, 1884) und ich *) (1886). Scharfsinn in den Combinationen und eine gefällige Darstellung zeichnen auch dieses, freilich ebenfalls von Subjectivismus nicht freie Werk aus, dessen Zweck es sein sollte, „zu erneutem Studium der reichen Schätze dieser unvergleichlichen Litteratur“ anzuregen. Die römische Alterthumsforschung förderte B. in der Bonner Zeit durch die Ausgabe des „Index Augusti rerum a se gestarum“ (1873), in der er wie in der Abhandlung „Inschriften römischer Schleudergeschosse“ (1876) sich gegen Mommsen wandte, sowie durch Arbeiten über Topographie und Geschichte der Rheingegenden in römischer Zeit (1882). Zu letzterer war er angeregt worden als Vicepräsident des Vereins von Alterthumsfreunden im Rheinlande. Er trat aus diesem nachmals aus in Veranlassung eines schweren Streites mit Aus m’ Werth, bei dem er wol sachlich, aber nicht der Form nach recht hatte. Vorlesungen an der Bonner Universität hat er bis 1876 gehalten. Immer thätig, hat er sich noch in den letzten Jahren seines Lebens an der Erklärung und Verwerthung neuer Funde, wie der Berliner Fragmente von Aristoteles’ Ἀθηναίων πολιτεία, deren Verfasser er zuerst feststellte (1881), des Verzeichnisses der Siege dramatischer Dichter in Athen (1879) und neuentdeckter Bruchstücke griechischer Dichter (1880) mit Erfolg betheiligt. Stets erwägend, was sich ihm an Problemen darbot, hat er allein so viel Schriften nachgelassen, wie mancher tüchtige Gelehrte in seinem ganzen Leben nicht veröffentlicht hat. Kein neuerer Gelehrter kann sich mit B. an Vielseitigkeit messen: die verschiedensten Gebiete hat er miterobert oder wenigstens mitangebaut. Ueberall zu Hause gab er selbst „Goethe’sche Paralipomena“ heraus (1857) und nicht nur die eigentliche Philologie, sondern auch die Epigraphik, Dialektologie und Mythologie hat er gepflegt, aber auch numismatische, chronologische und astronomische Studien, soweit sie die Alterthumswissenschaft angehen, getrieben. – Er hat weder Schule machen wollen, noch sich einer Schule anschließen können. Er war nicht der Mann der sogen. „reinlichen Methode“, die Vorzüge seiner Leistungen beruhen auf umfassender Gelehrsamkeit, Scharfsinn und hervorragender divinatorischer Befähigung. Es ist erstaunlich zu sehen, wie viel Bergk’sche Vermuthungen z. B. im Pindar nachträglich die handschriftliche Bestätigung gefunden haben. – Wissenschaftliche Corporationen verliehen B. früh Auszeichnungen: schon 1844 ward er ordentliches Mitglied des archäologischen Institutes zu Rom, 1845 correspondirendes Mitglied der Berliner, 1860 ordentliches Mitglied der Münchener Akademie, in demselben Jahre auch Correspondent der Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen, 1876 ihr auswärtiges Mitglied. 1843 war B. Vorsitzender der Kasseler Philologenversammlung, 1867 Vicepräsident der Hallischen. Viele Jahre ist er Mitglied der königl. wissenschaftlichen Prüfungscommission zu Halle gewesen. – Treu gepflegt von seiner Gemahlin Ida, Meineke’s ältester Tochter, die er 1843 heimführte, ist B. am 20. Juli 1881 zu Ragaz sanft entschlafen und dort neben Schelling begraben worden. Seine letzten Lebenstage hat seine Gattin in der von mir für den 2. Band der Kl. Schriften gelieferten ausführlicheren Biographie geschildert. Kinder hat B. nicht gehabt.


[383] *) Ein Register zu den 3 Bänden von mir und W. Hahn erschien 1894.