ADB:Hermann, Gottfried
Karl David Ilgen, einen Lehrer erhielt, der den wilden Jungen ebenso sehr durch seine Persönlichkeit wie durch die der Individualität des Schülers angemessene eigenthümliche Methode des Unterrichts zu zähmen und seine Trägheit in regen Eifer für das Lernen umzuwandeln wußte. Ilgen las mit dem Knaben binnen zwei Jahren im Griechischen nur zwei Capitel der Memorabilien des Xenophon und die vier ersten Bücher der Ilias, die er ihm in eingehendster Weise erklärte; als er aber bemerkte, daß der Schüler besondere Freude an der griechischen Litteratur hatte, schenkte er ihm die von C. Ludw. Köhler besorgte Ausgabe des Homerischen Hymnus an Apollon und veranlaßte ihn Bemerkungen dazu zu schreiben, um die Irrthümer dieses unfähigen Herausgebers zu verbessern, eine Arbeit, durch die der Schüler von selbst zur eindringenden Beschäftigung mit den übrigen Homerischen Hymnen geführt wurde. Nachdem er zwei Jahre lang den Unterricht Ilgen’s genossen hatte, bezog er 1786 die Universität seiner Vaterstadt, um sich, dem Wunsche seines Vaters gemäß, dem Studium der Jurisprudenz zu widmen. Bald aber überwog die Neigung für das classische Alterthum, deren Keime durch Ilgen’s Unterricht in ihm entwickelt worden waren, über alle äußeren Rücksichten; er wandte sich hauptsächlich unter der Führung des Professors der Poesie und Beredtsamkeit an der Universität Leipzig, Friedrich Wolfgang Reiz, den H. sein ganzes Leben lang mit seltener Pietät als den Lehrer, dem er alles, was er geworden, verdankte, verehrt hat, der classischen Philologie zu. Reiz war es, der seine Studien insbesondere auf die antike Metrik lenkte und ihm dafür wie für andere Dinge Richard Bentley als Meister und Vorbild darstellte. Den Einfluß, den dieser sein Lehrer auf seine Methode des Arbeitens und Forschens geübt hat, charakterisirte H. selbst später dahin, daß er jenem besonders zweierlei verdankte: einmal daß er nicht viele Schriftsteller auf einmal, sondern jeweilig nur einen gelesen, sodann daß er sich gewöhnt habe nichts auf Treu und Glauben hinzunehmen, sondern nach den Gründen jeder Sache zu forschen. Außerdem ist besonders das Studium der Kant’schen Philosophie, zu welchem er in Leipzig durch einen zufälligen Anlaß geführt worden war und dem zu Liebe er dann ein Semester lang (1793/94) die Universität Jena besuchte, um Reinhold’s Vorlesungen zu hören, auf Hermanns wissenschaftliche Methode, namentlich auf seine Behandlung der Grammatik und Metrik, von Einfluß gewesen. Am 18. October 1794 habilitirte sich H., nachdem er schon am 19. December 1790 sich die Magisterwürde in Leipzig erworben und 1793 eine rechtsphilosophische Abhandlung „De fundamento iuris puniendi“ veröffentlicht hatte, als Privatdocent bei der philosophischen Facultät der Universität Leipzig durch Vertheidigung seiner Abhandlung „De poeseos generibus“, welche neben deutlichem Einfluß der Schriften Kant’s und der Vorlesungen des Leipziger Aesthetikers Ernst Platner doch schon entschiedene Selbständigkeit der Auffassung und Begriffsbestimmung und eine ausgebreitete Belesenheit erkennen läßt. Mit dem Sommersemester 1795 eröffnete er seine akademische Lehrthätigkeit durch Vorlesungen über Kant’s Kritik der Urtheilskraft und über Sophokles’ Antigone; aber schon vom nächsten Semester ab las er, abgesehen von der Leitung lateinischer Disputationen über philosophische [175] Gegenstände, ausschließlich über philologische Disciplinen. Im J. 1797 erhielt er in Anerkennung der bedeutenden Erfolge seiner Lehrthätigkeit eine außerordentliche Professur, die er am 28. März 1798 mit einer Gedächtnißrede auf Fr. W. Reiz öffentlich antrat. Bald darauf begründete er, um einen engeren Kreis von Studirenden zur selbständigen Beschäftigung mit den griechischen Schriftstellern und zum eindringenderen Verständniß derselben anzuleiten, eine „griechische Gesellschaft“, aus deren von ihm bis zu seinem Lebensende mit Liebe und Aufopferung geleiteten Uebungen eine stattliche Anzahl von Philologen deutscher Zunge einen reichen Gewinn an Kenntnissen und methodischer Schulung davon getragen hat. Daneben leitete er seit dem J. 1834 an dem damals als Staatsinstitut eingerichteten philologischen Seminar die griechischen Interpretationsübungen, während die Leitung der lateinischen seinem jüngeren Collegen Reinhold Klotz zugefallen war. – Bereits im J. 1803 wurde H., nachdem er 1802 den an ihn ergangenen ehrenvollen Ruf zum Rectorate der Schulpforta abgelehnt hatte, zum ordentlichen Professor in der philosophischen Facultät mit dem Titel und den Obliegenheiten als Professor eloquentiae ernannt, wobei er, der an der Universität Leipzig bestehenden Sitte gemäß, zum Behuf des Eintritts in die Facultät eine von ihm verfaßte Abhandlung „De differentia prosae et poeticae orationis“ öffentlich vertheidigte. Am 29. September desselben Jahres vermählte er sich mit Christiane Wilhelmine Schwägrichen, mit welcher er über 37 Jahre lang in glücklicher Ehe gelebt hat. Im J. 1809 wurde ihm neben der Professur der Beredtsamkeit auch die der Poesie übertragen. Als ächter professor poeseos et eloquentiae hat er, Tausende von Schülern mit beredtem Munde in das Verständniß der antiken Poesie nach Form und Inhalt einführend, als Meister besonders der lateinischen Darstellung bei jeder Veranlassung in würdigster Weise schriftlich und mündlich für die Universität, der er mit voller Seele angehörte, das Wort führend, gewirkt bis wenige Wochen vor seinem am 31. December 1848 erfolgten Tode, hochgeachtet von seinen Vorgesetzten, Collegen und Mitbürgern, mit verehrungsvoller Anhänglichkeit geliebt von seinen Schülern und Freunden, von seinen Fachgenossen bei verschiedenen Gelegenheiten als Meister ihrer Wissenschaft, als Fürst der Kritiker gefeiert. Wol hat er mit einigen seiner Fachgenossen, vor Allen mit demjenigen, der ihm in vollster Ebenbürtigkeit gegenüberstand, mit August Boeckh und mit dessen bedeutendstem Schüler, Otfried Müller, längere Zeit hindurch in litterarischer Fehde gelegen, deren Ursprung auf die Verschiedenheit der beiderseitigen Auffassung der Aufgabe und des Zieles der Philologie und des richtigen Weges zur Erreichung desselben zurückzuführen ist. War doch H. das anerkannte Haupt der grammatisch-kritischen Schule, welche in dem Verständniß der antiken Schriftwerke das Ziel der Philologie, in der Erforschung der Sprache das erste und unerläßlichste Mittel zur Erreichung desselben erkannte, Boeckh dagegen der Führer der sogenannten „Sachphilologen“, welche die möglichst allseitige Erkenntniß des antiken Geistes nach allen seinen Manifestationen in Theorie und Praxis, im äußerlichen und innerlichen Leben der klassischen Völker als die Aufgabe der Alterthumswissenschaft bezeichneten und daher die sogenannten realen Disciplinen als mindestenes gleichberechtigt mit Grammatik und Kritik betrachtet wissen wollten. Aber dieser Gegensatz hat sich allmälig ausgeglichen und auch die beiden Führer, die übrigens wiederholt öffentlich dagegen Protest erhoben haben, daß man sie als Häupter zweier geschlossener, einander feindselig gegenüber stehender Schulen betrachte, haben sich öffentlich die Hand zur Versöhnung gereicht und in ihren späteren Lebensjahren in gegenseitiger neidloser Anerkennung und freundschaftlicher Hochachtung nebeneinander jeder seine eigene Bahn, die schließlich zu dem gleichen Ziele führte, verfolgt.
Hermann: Johann Gottfried Jakob H., einer der hervorragendsten Philologen Deutschlands, wurde am 28. November 1772 in Leipzig, wo sein Vater Senior des Schöppenstuhles war, geboren. Ein körperlich schwächlicher, aber äußerst lebhafter und wilder, ja trotziger Knabe, zeigte er anfangs eine entschiedene Abneigung gegen alles Stillsitzen und Lernen, bis er in seinem zwölften Lebensjahre in dem späteren Rector der Schulpforta,[176] Nach seiner äußeren Erscheinung war H. klein von Gestalt, von schmächtigem und zierlichem Körperbau, rasch und sicher in seinen Bewegungen. Von Jugend auf ein leidenschaftlicher Reiter, erschien er bis ins hohe Alter regelmäßig im Reitanzuge, gestiefelt und gespornt auf dem Katheder. Wie er diese seine Lieblingsneigung auch mit seinen philologischen Studien in Verbindung zu bringen wußte – eine Verbindung, für welche Göttling durch die Bezeichnung Hermann’s als „grammaticorum equitum doctissimus“ einen treffenden Ausdruck gefunden hat – davon legt eine von ihm verfaßte Abhandlung über die Ausdrücke, durch welche die Griechen die Gangarten des Pferdes bezeichnen („Commentatio de verbis quibus Graeci incessum equorum indicant ad Xenophontem de re equestri cap. VII“, in den Opuscula Vol. 2, p. 63–80) Zeugniß ab.
Die außerordentliche Wirksamkeit, welche H. als akademischer Lehrer entfaltet hat, die sich nicht blos auf die Philologen vom Fach, sondern auch auf Studirende anderer Facultäten, insbesondere auf die protestantischen Theologen erstreckte, beruhte im Wesentlichen auf seiner, insbesondere für die Jugend anziehenden und anregenden Persönlichkeit. Eine ächt antike Einfachheit, die allen äußeren Glanz und Pomp verschmähte, durchdrang sein ganzes Leben und Wesen; unbestechliche Wahrheitsliebe war der Grundzug seines Charakters, der sich nicht nur in seinem Wahlspruche, dem Euripideischen Verse ἁπλοῦς ὁ μῦθος τῆς ἀληθείας ἔφυ und in seiner bekannten Mahnung, daß es auch eine Kunst des Nichtwissens gebe (est quaedam etiam nesciendi ars et scientia), sondern auch in allen seinen wissenschaftlichen Forschungen ausprägte. Sein Vortrag – meist lateinisch, nur in den systematischen Collegien deutsch – war schlicht und klar, ohne jeden rhetorischen Schmuck und Effecthascherei, in ruhigem Flusse dahin gleitend, bei jeder Schwierigkeit verweilend, aber nur um die Hörer, nachdem er sie auf die Klippen aufmerksam gemacht, an denen andere gescheitert waren, mit genialer Leichtigkeit und Sicherheit an denselben vorüberzuführen. Alles, was er sprach, war durchdrungen von warmer Begeisterung für das Alterthum, die sich unwillkürlich auch den empfänglichen Gemüthern der Zuhörer mittheilte und ein unsichtbares Band um Lehrer und Schüler schlang, das durch den näheren persönlichen Verkehr, wie er ihn besonders mit den Mitgliedern der griechischen Gesellschaft pflegte, immer stärker und dauerhafter wurde. Am glänzendsten trat sein Lehrtalent hervor in den exegetischen Vorlesungen, in denen er mit Vorliebe die griechischen Tragiker, Pindar und Homer, daneben auch Hesiod, die griechischen Bukoliker, Thukydides, die Poetik des Aristoteles, Plautus und Terenz behandelte; unter seinen systematischen Vorlesungen waren die bedeutendsten die über die antike Metrik, über die Grammatik der beiden classischen Sprachen und über Kritik und Hermeneutik; außerdem hat er wiederholt über griechische Litteraturgeschichte und über scenische und agonistische Alterthümer gelesen. Hermann’s litterarische Thätigkeit erstreckt sich, seiner Grundanschauung von der Aufgabe der Philologie gemäß, hauptsächlich auf die Grammatik der classischen, insbesondere der griechischen Sprache (auf lateinische Grammatik beziehen sich nur ein Paar Aufsätze aus seinen spätesten Lebensjahren), auf die antike Metrik und auf die Kritik und Erklärung antiker Schriftsteller, vorzugsweise der griechischen Dichter. Indem H. der Grammatik die Aufgabe zuweist, das Wesen und die Gestaltung der Sprache aus der menschlichen Vernunft als ihrer Quelle zu erklären, verlangt er anstatt der bisher üblichen empirischen eine rationelle Behandlung des grammatischen Stoffes. Dies für die griechische Grammatik anzubahnen ist der Zweck seiner Schrift „De emendanda ratione graeca grammaticae pars I“ (Leipzig 1801), welche in zwei Büchern die Laut- und Accentlehre und die Formenlehre, überall mit vorzugsweiser Berücksichtigung der von den früheren Grammatikern vernachlässigten oder falsch aufgefaßten Punkte, behandelt und als Anhang einige grammatische [177] Inedita bringt. Eine Fülle feiner Beobachtungen über einzelne Punkte der griechischen Syntax enthalten Hermanns Zusätze zu dem lange Zeit als Schulbuch gebrauchten Werke des Franzosen François Vigier (Vigerus) „De praecipius graecae dictionis idiotismis liber“, dessen Bearbeitung durch H. zuerst in Leipzig 1802, in vierter Auflage ebenda 1834 erschienen ist. Außerdem behandelte er, abgesehen von einigen kleineren grammatisch-rhetorischen Arbeiten, einzelne Capitel der griechischen Syntax in mustergültiger Weise in der Abhandlung „De ellipsi et pleonasmo in graeca lingua“ (Opuscula I. p. 148 ss.) und in den 4 Büchern „De particula ἄν“ (Opusc. IV, p. 1 ss.).
Recht eigentlich bahnbrechend sind Hermanns Arbeiten auf dem Gebiete der antiken Metrik, wo er keinen Vorgänger hatte außer R. Bentley, der sein gleichsam instinctives Verständniß für die Kunstformen der antiken Poesie zwar vielfach praktisch bethätigt, aber, wenn man von dem kleinen Schediasma de metris Terentianis absieht, nirgends entwickelt und begründet hat. H. ging mit Recht auf die Lehren der alten Metriker zurück, welche er durch scharfe und umfassende Beobachtungen an den uns erhaltenen antiken Dichterwerken erweiterte und berichtigte; er begnügte sich aber auch hier nicht mit der Empirie, sondern suchte auf philosophischem Wege das Wesen des Rhythmus zu ergründen und daraus die allgemeinen Gesetze der metrischen Composition zu entwickeln, wobei er freilich die Tradition der alten Rhythmiker und Musiker, deren Bedeutung besonders durch Joh. Aug. Apel und Aug. Boeckh im Gegensatz zu H. zur Geltung gebracht wurde, außer Acht ließ oder vielmehr verschmähte. Die Grundzüge seines Systems hat H. schon in der Schrift „De metris poetarum graecorum et romanorum“ (Leipzig 1796) aufgestellt; weiter ausgeführt und begründet erscheint dasselbe in dem „Handbuche der Metrik“ (ebd. 1799), am reichsten entwickelt in den „Elementa doctrinae metricae“ (ebd. 1816), aus welchem Werke H. selbst einen zunächst für seine Vorlesungen bestimmten, durch manche Beobachtungen im Einzelnen bereicherten und berichtigten Auszug unter dem Titel „Epitome doctrinae metricae“ (ebd. 1818; 4. Ausg. 1869) gegeben hat. Welchen bedeutenden Eindruck diese metrischen Arbeiten Hermanns sowol unter den Fachgenossen als auch in weiteren Kreisen machten, das beweist einerseits eine Aeußerung Fr. A. Wolf’s, der in der Beilage zum ersten Heft seiner Analekten (1817) S. 4 H. „den ersten und unbefangensten Kenner der Metrik“ nennt, andererseits die von H. bescheiden abgelehnte Aufforderung, eine deutsche Metrik zu schreiben, welche Goethe bei einem Besuche in Leipzig im J. 1800 persönlich an H. richtete. In besonders glänzender Weise tritt Hermanns Meisterschaft in Grammatik und Metrik, sein tiefes und feines Gefühl für das Richtige und Schöne in Sprache und Vers, in seiner kritischen und exegetischen Behandlung der Werke antiker Dichter hervor. Seine Kritik ist eine wesentlich divinatorische; wenn er eine Stelle als verderbt erkannt hat, setzt er ohne ängstlichen Anschluß an die handschriftliche Ueberlieferung sich selbst an die Stelle des Dichters und schafft in künstlerischer Freiheit aus der Unmittelbarkeit seiner Anschauung des Alterthums heraus ihm nach, was und wie derselbe geschrieben haben könnte; daher seine Conjecturen nicht selten gar keine äußere, aber immer die größte innere Wahrscheinlichkeit haben. Die kritische Thätigkeit ist aber für H. nicht Selbstzweck, wie dies bei manchen älteren, besonders holländischen Philologen der Fall war, sondern ihre Aufgabe ist, das Verständniß der antiken Schriftwerke und den Genuß derselben in dem von dem Verfasser beabsichtigten Sinne anzubahnen. Die Kritik muß also mit der Exegese, deren Aufgabe H. selbst in seiner Programmabhandlung „De officio interpretis“ (Opusc. VII, p. 97 ss.) methodisch dargelegt hat, stets Hand in Hand gehen: wer nicht in beiden Stücken gleich tüchtig ist, der gleicht nach Hermanns Ausdrucke [178] einem Menschen, der, auf einem Beine hinkend, auch auf dem anderen nicht recht vorwärts schreiten kann.
Von den griechischen Dichtern hat H. mit besonderer Vorliebe die Tragiker behandelt. Seit dem Jahre 1799, wo er als Probe einer neuen kritischen Ausgabe der Tragödien des Aeschylus die Eumeniden dieses Dichters herausgab, hat er ein halbes Jahrhundert lang an dieser Ausgabe gearbeitet, ohne damit zu einem ihm selbst genügenden Abschlusse zu kommen; er hat während dieser Zeit zahlreiche Proben seiner Aeschyleischen Studien in Programmen und gelehrten Zeitschriften veröffentlicht, darunter eine den Umfang eines Buches erreichende Kritik von Otfried Müller’s Ausgabe der Eumeniden (wiederholt in den Opusc. VI, pars II), welche in der damaligen gelehrten Welt viel Staub aufwirbelte; aber erst nach seinem Tode ist die Ausgabe der Tragödien und Fragmente des Aeschylus mit umfänglichem kritischen Commentar und einigen erläuternden Abhandlungen, durch Hermanns Schwiegersohn, Moritz Haupt druckfertig gemacht, ans Licht getreten (Leipzig 1852, 2 Bde.; ed. II. Berlin 1859).
Von Sophokles hat H. die von K. G. A. Erfurdt mit der Bearbeitung der Antigone (Leipzig 1809) begonnene Ausgabe nach dessen Tode (seit 1811) fortgeführt und die je eine Tragödie enthaltenden einzelnen Bändchen in wiederholten Bearbeitungen verbessert und bereichert.
Von Euripides hat H. in den Jahren 1810–1827 einzelne Tragödien mit Einleitungen und kurzen kritischen Anmerkungen zum Gebrauch für seine Vorlesungen herausgegeben. Seit 1831 begann er eine Gesammtausgabe dieses Dichters mit Einleitungen und kritischen Commentaren, von der aber nur 8 Stücke (bis 1841) erschienen sind. Außerdem hat er in Programmen die Fragmente der verlorenen Tragödie Phaethon (deren Entdeckung in einer Pariser Handschrift auch Goethe’s lebhaftes Interesse erregte), einzelne Stellen der „Troades“ und der „Iphigenia in Aulis“ und die Frage nach dem Ursprung der Tragödie „Rhesos“ behandelt.
Von Aristophanes hat er die Wolken in zweifacher Bearbeitung (zuerst Leipzig 1799, dann ebenda 1830) herausgegeben und in einem Programm „De choro Vesparum Aristophanis“ (Opusc. VIII. p. 253 ss.) eine längere Partie aus den Wespen mit besonderer Rücksicht auf die Frage der Vertheilung der Chorgesänge unter die einzelnen Mitglieder des Chors behandelt.
Neben den Dramatikern hat H. auch den griechischen Epikern eingehende Studien zugewandt. Von den Homerischen Dichtungen hat er die Hymnen herausgegeben (Leipzig 1806); die sogenannte Homerische Frage, d. h. die Untersuchung über die Entstehung der Ilias und der Odyssee, hat er zuerst nach Fr. A. Wolf in selbständiger Weise weitergeführt, besonders durch die Abhandlungen „De interpolationibus Homeri“ (Opusc. V, p. 52 ss.) und „De iteratis apud Homerum“ (Opusc. VIII, p. 11 ss.); feine Erörterungen über den Gebrauch der Tempora und Modi in der Homerischen Sprache enthalten die beiden zunächst durch eine Arbeit Fr. Thiersch’s über denselben Gegenstand hervorgerufenen Dissertationen „De legibus quibusdam subtilioribus sermonis Homerici“ (Opusc. II, p. 18 ss.). Werthvolle Beiträge zur Kritik und Erklärung der Gedichte des Hesiodos gibt er in einer eingehenden Recension der Göttling’schen Ausgabe dieser Gedichte (Opusc. VI, 1, p. 142 ss.), während er in der Abhandlung „De Hesiodi theogoniae forma antiquissima“ (Opusc. VIII, p. 47 ss.) eine zuerst von O. F. Gruppe geäußerte Vermuthung über die Urgestalt der Theogonie im Einzelnen selbständig ausführt. Hochbedeutend ist Hermanns Ausgabe der den Namen des Orpheus tragenden Dichtungen (Leipzig 1805), sowol wegen der Fortschritte in der Textkritik, als auch besonders wegen der angehängten Untersuchungen über die Entstehungszeit dieser Dichtungen, Untersuchungen, welche [179] für alle späteren Forschungen über die spätgriechischen Epiker mustergültig geblieben sind.
Von den eingehenden Studien, welche H. den Gedichten des Pindar von seinen Jugendjahren an – er schrieb schon 1798 für Heyne’s Pindarausgabe eine Abhandlung „De metris Pindari“ – bis an sein Lebensende gewidmet hat, gibt eine Anzahl einzelner, in verschiedenen Bänden der Opuscula wieder abgedruckter Abhandlungen Zeugniß, unter denen besonders die „Observationes de dialecto Pindari“ (Opusc. I, p. 245 ss.) hervorzuheben sind. Andere gleichfalls in den Opuscula wiederholte Abhandlungen beschäftigen sich mit den Fragmenten der Sappho, mit der Elegie des Hermesianax, mit der bukolischen Poesie der Griechen überhaupt und mit Theokrit insbesondere; noch aus Hermanns Nachlasse ist eine druckfertig von ihm hinterlassene Ausgabe der Gedichte des Bion und Moschos veröffentlicht worden (Leipzig 1849).
Von Werken der griechischen Prosa hat H., abgesehen von einem bloßen Textabdruck des Lexicons des Photios (Leipzig 1808), nur die Poetik des Aristoteles mit lateinischer Uebersetzung, Commentar und einer Abhandlung über das Wesen der tragischen und der epischen Dichtung herausgegeben (Leipzig 1802).
Auf dem Gebiete der römischen Litteratur hat H. schon von seiner Studentenzeit an dem Plautus, den sein Lehrer Reiz ihm einst als „Braut“ zugewiesen, ein besonders vom metrischen Interesse geleitetes Studium gewidmet, als dessen Frucht im J. 1800 eine Ausgabe des Trinummus erschien (nach Hermanns Tode wiederholt im J. 1853), welche nach dem Urtheile des in dieser Frage competenten Forschers, Fr. Ritschl, „als einziges Beispiel eines in allem Wesentlichen richtigen Verfahrens, und die Vorrede dazu als kurze, aber lehrreiche Anleitung zu der allein wahren Behandlungsweise“ dasteht. H. selbst hat auf der Philologenversammlung zu Dresden im Herbst 1844 die ihm bestimmte Braut öffentlich dem eben genannten jüngeren Bewerber, Fr. Ritschl, abgetreten, jedoch auch nach Lösung seines Verlöbnisses durch eine diesem gewidmete Ausgabe der Bacchides (Leipzig 1845) bewiesen, daß diese seine alte Liebe nicht gerostet sei. Sonst sind nur einige seiner zahlreichen Programme den römischen scenischen Dichtern und zwei Aufsätze aus seinen spätesten Lebensjahren dem Horaz, mit besonderer Rücksicht auf die Frage der Interpolation einzelner Gedichte desselben, gewidmet. Von den sogenannten realen Disciplinen der Alterthumswissenschaft hat nur die griechische Mythologie H. ein tieferes und andauerndes Interesse abgewonnen. Die Studien über das altgriechische Epos, insbesondere über die Theogonie des Hesiodos, führten ihn naturgemäß dazu, der Frage über das Wesen und die Entstehung der griechischen Mythen näher zu treten und namentlich der symbolisch-mystischen Deutung derselben durch Fr. Creuzer, die in den weitesten Kreisen ein ungewöhnliches Aufsehen erregte, gegenüber Stellung zu nehmen. Die Grundzüge seiner Anschauung, nach welcher die älteste griechische Mythologie weder symbolisch noch allegorisch, sondern poetisch, d. h. personificirend, und etymologische Interpretation das einzige Mittel zum Verständniß derselben ist, hat H. selbst in den beiden in den Jahren 1817 und 1818 veröffentlichten Abhandlungen „De mythologia Graecorum antiquissima“ und „De historiae graecae primordiis“ (Opusc. II, p. 167 ss.) dargelegt und auch in dem durch eine Anfrage Creuzer’s über eine Stelle des Homerischen Hymnus auf Demeter veranlaßten Briefwechsel mit Creuzer, welchen dieser mit Hermanns Einwilligung der Oeffentlichkeit übergeben hat, im Widerspruch gegen diesen festgehalten und weiter ausgeführt („Briefe über Homer und Hesiodus vorzüglich über die Theogonie von G. Hermann und Fr. Creuzer, Professoren zu Leipzig und Heidelberg. Mit besonderer Hinsicht auf des Ersteren Dissertatio de mythologia Graecorum antiquissima und auf des Letzteren Symbolik und Mythologie [180] der Griechen“. Heidelberg 1818. Dazu die von H. selbst veröffentlichte Schrift „Ueber das Wesen und die Behandlung der Mythologie. Ein Brief an Herrn Hofrath Creuzer“. Leipzig 1819). Von dem Versuch der Deutung der Namen gehen auch einige spätere Arbeiten Hermanns über einzelne griechische Gottheiten aus, die Abhandlungen „De Atlante“ (Opusc. VII, p. 241 ss.), „De Graeca Minerva“ (ebd. p. 260 ss.) und „De Apolline et Diana“ (ebd. p. 285 ss.).
Was H. sonst endlich über einige controverse Punkte der griechischen Kunstgeschichte, über die Methode der Behandlung der griechischen Inschriften („Ueber Herrn Professor Boeckh’s Behandlung der Griechischen Inschriften“, Leipzig 1826) und über die Kritik und Erklärung einzelner, besonders metrischer, griechischer Inschriften geschrieben hat, das kann man als Streifzüge bezeichnen, die er mit scharfen philologischen Waffen ausgerüstet auf die von litterarischen Gegnern beherrschten Gebiete nicht ohne Ruhm, aber ohne bleibenden Gewinn für die Wissenschaft unternommen hat. Sind doch seine oben charakterisirten Leistungen vollkommen ausreichend, um ihm für alle Zeiten einen der ersten Plätze in der Geschichte der philologischen Wissenschaft zu sichern. Von der im Vorstehenden öfter erwähnten Sammlung der kleinen Schriften Hermanns, die auch eine Anzahl formgewandter Gedichte desselben in lateinischer und griechischer Sprache enthält, den Opuscula, sind sieben Bände von ihm selbst in den Jahren 1827 bis 1839, der achte im Jahre 1877 von seinem Enkel Theodor Fritzsche herausgegeben worden.
- Vgl. Hermanns Praefatio zu den Acta Societatis Graecae ediderunt A. Westermann C. Funkhaenel. Vol. II. Leipzig 1836. – O. Jahn, G. Hermann. Eine Gedächtnißrede. Leipzig 1849 (wiederholt in O. Jahn’s Biographischen Aufsätzen S. 91 ff.). – K. F. Ameis, G. Hermann’s pädagogischer Einfluß. Ein Beitrag zur Charakteristik des altclassischen Humanisten. Jena 1850. – H. Köchly, G. Hermann. Zu seinem 100jährigen Geburtstage. Heidelberg 1874.