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Artikel „Reinhold, Karl Leonhard“ von Carl von Prantl in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 28 (1889), S. 82–84, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Reinhold,_Karl_Leonhard&oldid=- (Version vom 19. März 2024, 06:20 Uhr UTC)
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Reinhold: Karl Leonhard R., geboren am 26. October 1758 in Wien, † in Jena am 10. April 1825, Sohn eines Inspectors am Arsenale, besuchte vom siebenten Lebensjahre an das Gymnasium seiner Vaterstadt und trat im Herbst 1772 als Noviz in das Jesuitencollegium ein; nach Aufhebung des Jesuitenordens (September 1773) kehrte er zunächst in das Vaterhaus zurück, fand aber bereits im Herbste 1774 Aufnahme in dem Barnabitencollegium, wo er October 1778 als Lehrer der Philosophie verwendet wurde. Nach dem Regierungsantritte des Kaisers Joseph II. gab sich in Wien eine freisinnige Strömung kund, und es bildete sich (1781) ein Verein „Zur wahren Eintracht“ für Gewissens- und Denkfreiheit, welcher sich in freimaurerischen Formen bewegte und neben Alxinger, Blumauer, Sonnenfels u. a. auch R. unter seine Mitglieder zählte. Die von Blumauer redigirte Wiener Realzeitung enthielt unter der Rubrik „Theologie und Kirchenwesen“ zahlreiche Aufsätze Reinhold’s, und in demselben reifte allmählich der Entschluß, seine Fesseln abzusteifen. Als im Sommer 1783 Professor Petzold aus Leipzig anwesend war, verabredete R. mit demselben, sich von ihm nach Leipzig entführen zu lassen, woselbst er als Studirender immatriculirt Vorlesungen bei Platner hörte und seinen Unterhalt durch Zeitungsartikel fristete; bald aber riethen ihm seine Wiener Freunde, um den Nachforschungen der Exjesuiten zu entgehen, sich mit Empfehlungsbriefen nach Weimar zu Wieland zu begeben, wo er im Mai 1784 eintraf und freundlichst aufgenommen wurde. Sofort trat er als Mitarbeiter an Wieland’s „Deutschem Mercur“ ein, und bald erhielt er auch Antheil an der Redaction desselben, wodurch es ihm ermöglicht war, mit Wieland’s Tochter (am 18. Mai 1785) den Ehebund zu schließen. Neben einem Aufsatze im Wiener Journal „Die hebräischen Mysterien oder die älteste religiöse Freimaurerei“ (neuer Abdruck 1788) und dem vorübergehenden Unternehmen einer „Allgemeinen Damenbibliothek“ (1785) verblieb der Deutsche Mercur das Organ, in welchem R. meist anonym seine Arbeiten veröffentlichte. Dort erschienen: „Herzenserleichterung zweier Menschenfreunde über Lavater’s Glaubensbekenntniß“ (1785) und „Ueber eine Recension von Herder’s Ideen“ (1785, d. h. Kant hatte in der Jenaer Litteraturzeitung Herder’s Schrift ablehnend beurtheilt, R. aber trat für dieselbe ein), ferner „Ehrenrettung der Reformation“ (1786, Neudruck 1789), und nun folgten daselbst von 1786 an nacheinander acht „Briefe über die Kantische Philosophie“ (2. Aufl. in 2 Bdn. 1790–92), welche sowohl persönlich für R. als auch sachlich für den Kantianismus von günstigstem Einflusse waren. R. gab darin in äußerst schöner Sprache ein gute sachgemäße Darstellung der Kritik der reinen Vernunft, besonders bezüglich ihres Verhältnisses zur Moral und Religion, und sowie er hiebei nicht nur die ausdrückliche Zustimmung Kant’s fand, sondern auch das Verdienst sich erwarb, während einiger Jahre das Verständniß Kant’s in weiteren Kreisen zu verbreiten, so genoß er davon auch die Frucht, daß er im Herbst 1787 auf Antrag des Curators Voigt in Jena zum [83] Professor der Philosophie ernannt wurde. In höchst anziehenden Vorträgen las er mit glänzendem Lehrerfolge über die Kritik der reinen Vernunft, über Logik und Metaphysik, über Aesthetik und auch über Wieland’s Oberon. Im Anfange des Jahres 1789 veröffentlichte er „Ueber die bisherigen Schicksale der Kantischen Philosophie“, eine Schrift, welche er als Vorrede wieder aufnahm in sein unbestrittenes Hauptwerk: „Versuch einer neuen Theorie des menschlichen Vorstellungsvermögens“ (1789, 2. Aufl. 1795). Hier nun versuchte er selbständig die Kantische Trennung zwischen Sinnlichkeit und Verstand zu überbrücken, und indem die Frage sich aufdränge, woher man denn wisse, daß unser Geist an die Formen der Sinnlichkeit und des Verstandes gebunden sei, sprach er zur Beantwortung derselben die Forderung einer „Elementarphilosophie“ aus, in welcher er sich auf die Thatsache des Bewußtseins stützend, den Grundsatz durchführte, daß im Bewußtsein die Vorstellung vom Vorgestellten und vom Vorstellenden unterschieden und zugleich auf beide bezogen werde, d. h. es sei zu unterscheiden Etwas, welches sich bewußt ist (Subject) und Etwas, dessen sich das Subject bewußt ist (Object) und Etwas, wodurch sich das Subject des Objectes bewußt ist (Vorstellung). Hierdurch nimmt R. in der Entstehung der nachkantischen Philosophie eine entscheidende Stellung ein, denn er bildet die Uebergangsstufe von Kant zu Fichte, dessen Ternarius „Thesis, Antithesis, Synthesis“ eben auf Reinhold’s Theorie des Vorstellungsvermögens beruht. Die Hauptpunkte seiner sog. Elementarphilosophie gab er wieder in etwas veränderter Form im 1. Bande seiner „Beiträge zur Berichtigung bisheriger Mißverständnisse der Philosophen“ (1790–94) und in der Schrift „Ueber das Fundament des philosophischen Wissens“ (1791). Er war aber hiermit auf seinem Höhepunkte angekommen, und seine späteren Leistungen hatten keine Wirkung mehr, ja fanden kaum Beachtung; er durchlief in der Folge verschiedene Anschauungen, da er allerdings mit Leichtigkeit sich in fremde Ansichten hineinzudenken vermochte, aber dabei mehr Beweglichkeit seines Denkens, als Gründlichkeit desselben kund gab. Er war überhaupt ein weicher Optimist, welcher alles Neue freudig begrüßte, aber doch jedesmal bereits selbst geahnt hatte; bezeichnend für sein Wesen ist, daß er (1795) den Einfall hatte, einen „Entwurf zu einem Einverständnisse über die Hauptmomente der moralischen Angelegenheiten“ bei Wohlgesinnten circuliren zu lassen, der dann wirklich unter dem Titel „Ueber die Grundbegriffe und Grundsätze der Moralität“ (1798) gedruckt wurde. Im Sommer 1793 erging an ihn ein sehr vortheilhafter Ruf an die Universität Kiel (an Stelle des nach Kopenhagen abgehenden Tetens), Familienverhältnisse aber nöthigten ihn, die Hinreise erst zu Ostern 1794 anzutreten; die Jenenser Studirenden beklagten den Abgang ihres Lieblingslehrers und brachten demselben mehrfache Ovationen dar. Die Bearbeitung einer Berliner Preisaufgabe über die Fortschritte der Metaphysik brachte ihm (1796) den zweiten Preis, und in einer Neubearbeitung derselben unter dem Titel „Ueber den gegenwärtigen Zustand der Metaphysik“ (1797) erklärte er feierlich seinen Uebertritt zu Fichte, dessen Wissenschaftslehre die „Philosophie ohne Beinamen“ sei, womit auch das „Sendschreiben an Fichte und Lavater“ (1797) zusammenhing. In der Schrift sodann „Ueber die Paradoxien der neusten Philosophie“ (1799) versuchte er eine Vermittlung zwischen Fichte und Jacobi, und als nun (1800) Bardili’s Grundriß der ersten Logik (s. A. D. B. II, 56) erschien, erblickte er in diesem eigenthümlichen Erzeugnisse die letzte und allerletzte Reform der Philosophie und vereinigte sich mit Bardili zur Herausgabe der „Beiträge zur leichteren Uebersicht des Zustandes der Philosophie“ (6 Hefte, 1801–3), worin auch eine mißliebige Recension über Schelling’s System des transcendentalen Idealismus erschien. [84] Da hierüber Schelling in der Einleitung zum Kritischen Jourmal (1802) mit einer entsetzlichen Grobheit über die beiden herfiel, veröffentlichte dieselben einen „Briefwechsel über das Wesen der Philosophie und das Unwesen der Speculation“ (1804). Es folgte dann noch eine Reihe schwächerer Arbeiten Reinhold’s, nämlich: „Anleitung zur Kenntniß und Beurtheilung der Philosophie in ihren sämmtlichen Lehrgebäuden“ (1805), „Versuch einer Auflösung der Berliner Preisaufgabe über die analytische Methode“ (1805), „Versuch einer Kritik der Logik“ (1806), „Anfangsgründe der Erkenntniß der Wahrheit in einer Fibel für noch unbefriedigte Wahrheitsforscher“ (1808), „Rüge einer merkwürdigen Sprachverwirrung unter den Weltweisen“ (in Weimar geschrieben, wo er sich im Sommer 1809 zur Erholung aufhielt), eine Vorarbeit zu der größeren Schrift „Grundlegung einer Synonymik für den allgemeinen Sprachgebrauch in den philosophischen Wissenschaften“ (1812), worin er gegen den unkritischen Gebrauch vieldeutiger und synonymer Worte kämpfte, da hierin die Schuld an dem Unwesen der neuen Philosophie liege. Desgleichen dem Sprachgebiete gehört an „Das menschliche Erkenntnißvermögen“ (1816), seine letzte Schrift aber „Die alte Frage, was ist Wahrheit“ (1820) lenkt wieder mehr auf die praktisch-religiösen Ansichten Kant’s zurück.

Ernst Reinhold, Karl Leonh. Reinhold’s Leben und litterarisches Wirken (1825). – Rob. Keil, Wieland und Reinhold (1885). – Ueber Reinhold’s Philosophie Näheres in den bekannten Werken von J. E. Erdmann und Ed. Zeller.