ADB:Meineke, August
[221] der schon 1801 als Rector in Eisenach starb, in regem Briefwechsel, der sich noch erhalten hat und uns den Vater als einen für das Wohl des Sohnes außerordentlich besorgten Mann von festem, streng sittlichen Charakter kennen lehrt. Immer von Neuem wird der Sohn in diesen Briefen aufgefordert, vor Allem sich eifrig mit den antiken Schriftstellern als der einzigen Grundlage aller höheren Bildung zu beschäftigen, und Schulpforta war durch seine eigenthümliche Organisation sowie durch die grade damals an der Anstalt wirkenden ausgezeichneten Lehrer wie keine andere Schule ein fruchtbarer Boden für solche echt philologische Richtung. In engerem Anschluß namentlich an die gewaltige Persönlichkeit des Rectors Ilgen machte M. die Klassen rasch durch und zeichnete sich überall vor seinen Mitschülern aus, obwol seine Gesundheit durchaus keine feste war; seine lateinischen und griechischen Dichtungen und Aufsätze aus der Schülerzeit hat er bis an seinen Tod aufbewahrt; sie zeigen eine Reife, ein Geschick, eine Belesenheit und sogar einen kritischen Blick in erstaunlichem Maße. Auch seine Lehrgabe konnte sich, als er in Prima war, in Folge der besonderen in Pforta herrschenden Einrichtungen schon erheblich entwickeln. Seine Valedictionsarbeit, welche in sieben Kapiteln „Observationes criticae in Graecos aliquot scriptores“ enthält, wurde im Frühling 1810 eingereicht, ein eigentliches Abgangssexamen aber konnte er nicht machen, da er durch Krankheit, die namentlich mit Blutauswurf verbunden war, gezwungen wurde, zu seiner Kräftigung sich bei seiner Großmutter in Auerstädt aufzuhalten. In Bezug auf die Wahl seines Studiums und der Universität konnte er keinen Augenblick schwanken. Begabung und Erziehung wies ihn auf die Philologie, die sächsische Landesschule auf die Landesuniversität und der Rector Ilgen auf seinen Freund und einstigen Schüler Hermann. Im Anschlusse an diesen großen Meister, in innigstem Verkehre mit ihm und als besonders hervorragendes Mitglied von Hermanns griechischer Gesellschaft hat M. drei Semester in Leipzig zugebracht, mit strenger von Schulpforta her ihm eingepflanzter Eintheilung des Tages, abgewandt von dem geräuschvollen Treiben der großen Stadt und dem eigentlich studentischen Leben. Und hierzu war er durch seine Lage gezwungen; als vermögenslose Waise mußte er, soweit die Stipendien und die Unterstützungen von Verwandten nicht ausreichten, für eigenen Verdienst durch Privatstunden sorgen; auch gab er unter dem Pseudonym Fabricius einige Biographien des Plutarch heraus. Doch konnte ihn all dieses nicht vor finanzieller Bedrängniß schützen und so athmete er tief auf, als ihm im Sommer 1811 der Antrag wurde, als Professor der griechischen und römischen Litteratur an das Conradinum nach Jenkau bei Danzig zu gehen; auf Hermanns Rath nahm er die Stelle an; von einem Examen war bei ihm nicht die Rede, er trat die Stelle im noch nicht vollendeten 21. Lebensjahre an, sechs Jahre nachdem er in Schulpforta als Tertianer aufgenommen war. Am 25. November 1811 langte M. an seinem Bestimmungsorte an, der fern von allem Geräusch der Welt in reiner Berg- und Waldluft liegt und eine meilenweite Umsicht bis an das Meer darbietet. Die Anstalt, welche nur etwa 60 Schüler zählte und von zwei bedeutenden Männern, Kant’s Schüler R. B. Jachmann und dem Gräcisten Franz Passow gemeinsam dirigirt wurde, verfolgte den Zweck, allen ihren Zöglingen ohne Rücksicht auf das gemeine Nützlichkeitsprincip eine gleichmäßige humanistische Bildung zu geben. Zugleich herrschte dort eine echt deutsche Gesinnung, ein Gefühl für die Knechtung des Vaterlandes und eine feste Hoffnung auf dessen baldige Erhebung. Hier wurde M., der bis dahin von der Lage Deutschlands kaum berührt worden war, von einem neuen Geiste angehaucht und schloß sich in dieser Gesinnung namentlich dem fast gleichaltrigen hochbegeisterten Passow eng an. Seine Lehrthätigkeit in Jenkau, die durch keine Reglements oder Verordnungen irgend welcher Art gehemmt war, ließ ihm Zeit genug [222] seinen Studien nachzugehen; damals erschienen neben kleineren Arbeiten auch seine „Curae criticae de comicorum fragmentis ab Athenaeo servatis“ als Vorläufer seines großen Lebenswerkes. Bald genug aber endete diese stille Zeit für ihn; die furchtbare Belagerung Danzigs erfolgte in unmittelbarer Nähe, ja das russische Hauptquartier befand sich in Jenkau selbst, die Mittel der auf den Ertrag einiger benachbarter Rittergüter angewiesenen Anstalt wurden erschöpft und die Schule mußte 1814 aufgelöst werden, um bald in ganz anderer Gestalt wieder zu erstehen. M. aber hatte inzwischen wiederum einen ehrenvollen Ruf erhalten und zwar an das Gymnasium zu Danzig. Hier galt es dem einst hochberühmten, damals aber ganz verkommenen akademischen Gymnasium neues Leben einzuflößen; bald aber brach sich die richtige Ansicht Bahn, daß dies nur durch die Verschmelzung jener Anstalt mit der lateinischen Schule zu St. Marien möglich sei; der treffliche Oberbürgermeister v. Weickhmann und der frühere Professor, damaliger Präses der Stadtschuldeputation Trendelenburg, waren für diesen Plan besonders thätig; M. aber wurde zum Director des neuen Gymnasiums ernannt, das er zum Reformationsjubiläum am 10. November 1817 als 26jähriger junger Mann mit einer lateinischen Rede über Melanchthon’s Verdienste um die altclassische Litteratur einweihte, und zwar unter Theilnahme der ganzen Bevölkerung. Ihm war völlig freie Hand in der Organisation der Anstalt und in der Berufung der Lehrer gegeben und er verstand es, eine Anzahl ausgezeichneter junger Männer als seine Gehülfen an dem großen Werke heranzuziehen. Begeisterung für die Wissenschaft zu wecken war sein Hauptziel und dieses Ziel hat er in seinem hohen idealen Fluge zu erreichen gewußt in einem Maße, daß sein dortiges Wirken noch lange nach ihm fortgewirkt hat. Er selbst schreibt noch im J. 1857: „Was war das in Danzig vor 40 Jahren für ein Leben! wie ging’s da mit Feuerschritten vorwärts, wie hat da der Beifall der Verständigen das Bewußtsein des Gelingens über alle Hindernisse siegreich emporgehoben!“ Mit seinen Lehrern in innigem freundschaftlichen Verkehre des Gebens und Empfangens, mit manchen ausgezeichneten Männern, an deren Spitze der Oberpräsident v. Schön stand, in engem Umgange, zündete sein Wesen und Wirken in weiten Kreisen ein heiliges Feuer an und sein Gymnasium erhob sich hoch über die Schwesteranstalten der Provinz; es ist unmöglich darauf hier näher einzugehen. In diese gesegnete Zeit fällt auch seine Vermählung mit Elisabeth Lodemann aus Ilten bei Hannover und damit die Begründung eines langjährigen Familienglücks. Aber weder das Amt noch die häuslichen Sorgen drängten seine Wissenschaft zurück; sein Hauptwerk aus der Danziger Periode (neben mehreren kleineren Schriften) ist die Sammlung der Fragmente des Menander und Philemon, die er Fr. Jacobs widmete. Dieser Abschnitt seines Lebens endete 1826 mit seiner Berufung als Director des Joachimsthal’schen Gymnasiums zu Berlin; er nahm diesen Ruf hauptsächlich wegen der vom Mittelpunkt des deutschen Geisteslebens entlegenen Lage Danzigs an und schied unter den lebhaftesten Aeußerungen der Anerkennung von Seiten der Kreise des Gymnasiums, der Behörden und der Bevölkerung. Sein neuer Wirkungskreis war ein außerordentlich großer, namentlich durch das mit dem Gymnasium verbundene Alumnat von 120 Zöglingen; hier vor Allem hatte seine Thätigkeit kräftig einzusetzen und er führte bereits in den ersten Jahren eine völlig neue Organisation dieses Institutes durch, wobei ihm namentlich die in seinem geliebten Pforta und auch die in Jenkau gemachten Erfahrungen sehr zu Statten kamen. Aber auch im Uebrigen nahm die Anstalt mit ihrer großen Schülerfrequenz und mit den Schwierigkeiten, denen ein erziehliches Wirken gerade in Berlin unterliegt, seine Kraft in hohem Maße in Anspruch. Viel Neues und Vortreffliches ist unter seinem langen Directorate geschaffen worden, wenn er auch in Folge größeren [223] Einwirkens der Behörden nicht mit derselben beneidenswerthen Freiheit handeln konnte wie in seiner Danziger Stellung. Tüchtige, ja sogar ausgezeichnete Männer standen ihm auch hier zur Seite in nicht geringer Zahl, und mancher junge Lehrer empfing erst durch ihn förderliche Hinweisung auf die einzuschlagende Bahn; an bösen Vorgängen unter Schülern und Lehrern konnte es freilich in einem so großen Wirkungskreise auch nicht fehlen. Noch bedeutend erweitert wurde dieser Wirkungskreis, als er schon 1834 zum Mitgliede der wissenschaftlichen Prüfungscommission für das Examen pro facultate docendi ernannt wurde und damit einen wesentlich bestimmenden Einfluß auf das philologische Studium im ganzen Königreiche erhielt. Eine noch enger mit seinen wissenschaftlichen Arbeiten verbundene Ehre war ihm schon 1830 zu Theil geworden durch seine Erwählung zum Mitgliede der Akademie der Wissenschaften, in welche er im Juli 1830 nach einem glänzenden Vortrage Schleiermacher’s über den eben verstorbenen Buttmann zugleich mit Lachmann eingeführt wurde. Zum Theil mit denselben bedeutenden Männern wie in der Akademie trat M. in Verkehr durch die wöchentlich einmal sich versammelnde griechische oder sogenannte Herodotgesellschaft, in welcher ein höchst ungezwungener Ton mit der größten geistigen Anregung verbunden war. Auf solche und andere Weise nach den verschiedensten Seiten hin in Anspruch genommen und dabei von durchaus nicht fester Gesundheit entwickelte er dennoch während seiner Berliner Amtsführung eine außerordentlich fruchtbare schriftstellerische Thätigkeit, die sich nur dadurch erklärt, daß er ungemein leicht und rasch arbeitete und daß er die Grundlagen zu seinen Arbeiten bereits vor seiner Berufung nach Berlin gelegt hatte. Mit nothwendiger Uebergehung der kleineren Abhandlungen und Programme müssen hier doch folgende Bücher genannt werden: „Quaestiones scenicae, tres partes“, Berol. 1826–31; „Graecorum comicorum fragmenta“. 5 Bde., Berol. 1839–57 (in kleinerer Ausgabe 1847); „Cinnamus et Nicephorus“, Bonnae 1836; „Delectus anthologiae Graecae“, Berol. 1842: „Philologicae exercitationes in Athenaei deipnosophistas“, Berol. 1843–46; „Stephani Byzantini quae supersunt“, Berol. 1849; „Strabonis geographica“, 3 Bde., Lips. 1852–53; „Alciphronis rhetoris epistolae“, Lips. 1853; „Q. Horatius Flaccus“, Berol. 1854; „Stobaei florilegium“, 4 Bde., Lips. 1852–53; „Theocritus Bion Moschus“, Berol. 1856. Wenn man bedenkt, daß diese umfangreichen Werke von einem zur Kränklichkeit neigenden Manne in einer ungesunden Parterrewohnung des alten Gymnasialgebäudes bearbeitet worden sind, so ist es nicht zu verwundern, daß zu seiner gichtischen Disposition allmählich nervöse Rückenschmerzen und Blutcongestionen nach Kopf und Herz hinzutraten. Seine vorübergehend gehaltenen Vorlesungen an der Universität gab er deshalb (und zum Theil auch wegen Moritz Haupt’s Berufung) bald wieder auf und schon 1846 hatte er sich von der unmittelbaren Aufsicht über das Alumnat befreien lassen. Der Entschluß, sein Directorat ganz niederzulegen, wurde ihm sehr schwer, war aber nothwendig; am 1. Juli 1857 trat er in seinem 67. Lebensjahre in den Ruhestand unter den rührendsten allseitigen Beweisen höchster Verehrung, von der Regierung, was bis dahin in der preußischen Gymnasiallehrerwelt noch nie vorgekommen war, durch die Ernennung zum Geheimen Regierungsrath ausgezeichnet. Er bezog nun eine frei und gesund gelegene Wohnung, die er während seines 13jährigen Ruhestands nicht mehr gewechselt hat, in unmittelbarer Nachbarschaft von einer ganzen Anzahl befreundeter Gelehrter und hat in dieser Wohnung, in seinem Zimmer umgeben von den ihm einst geschenkten Statuen der Musen, unablässig, zwar bei schwindender Kraft, aber in voller Geistesfrische sich seiner Wissenschaft gewidmet. So erschienen denn 1858–67 zu Leipzig die vier Bände seines Athenäus, 1860 ebendaselbst die Ausgabe des Aristophanes, daneben manche kleinere Abhandlungen, [224] namentlich im Philologus, ferner 1861 zu Berlin „Callimachi hymni et epigrammata“, 1862 die Antigone, 1863 der Oedipus Coloneus des Sophokles, 1860–1864 seine abschließenden Arbeiten über Stobäus, und dabei ist manches Andere noch unvollendet geblieben. Seine reiche Bibliothek, auf welche sich alle diese Werke stützten, ist nach seinem Tode durch den Grafen Otto zu Stolberg-Wernigerode angekauft worden und befindet sich jetzt in dem Orte am Harze, in dem M. öfters und besonders gern geweilt hat. Neben der Wissenschaft fesselte ihn während seines Ruhestandes noch die Freundschaft und die Familie ans Leben; beiden hatte er sich stets mit ganzem Herzen gewidmet. Aber die Freunde starben einer nach dem anderen hin und nur wenige haben ihn überlebt; in seiner großen Familie genoß er zwar viele reine Freuden, die er oft in seinen Briefen in schönster Weise zum Ausdruck brachte, aber auch vieles sehr schwere Leid hat ihn in diesem Kreise getroffen. Seine körperlichen Leiden wuchsen durch Hinzutreten von Altersschwäche, Blasenbeschwerden und wiederholten Schlaganfällen. Das Reisen, durch das er sich oft erholt hatte, mußte aufgegeben werden und auch die öfters wiederholten Badekuren in Teplitz mußten seit 1861 aufhören. Zum letzten Male hat er Berlin 1865 verlassen, um den Sommer in seinem geliebten Harze zuzubringen, in dem er einen Theil seiner Kindheit verlebt hatte; der Unterzeichnete, dem er einst Pathe bei der Taufe und Examinator beim Staatsexamen gewesen war, schaffte ihm in Wernigerode eine Wohnung und stand ihm nach Möglichkeit zur Seite; „ich wollte, mein Auge schlösse sich bald“, waren seine letzten Worte bei unserem Abschiede. Aber erst am 12. December 1870 schloß sich in Folge eines erneuten Schlaganfalls dies helle Auge. Seine Freunde und Schüler traten zusammen und stifteten zu seinem Gedächtniß ein Meinekestipendium und einer unter ihnen, Ferdinand Ranke, hat ihm durch eine liebevoll geschriebene Biographie (August Meineke, ein Lebensbild, Leipzig 1871) ein schönes Denkmal gesetzt.
Meineke: August M. stammte von Vorfahren ab, welche seit Jahrhunderten meistens evangelische Geistliche oder Lehrer gewesen waren. Als er am 8. December 1790 geboren wurde, war sein Vater Rector des Gymnasiums zu Soest. Bis zu seinem zehnten Jahre in einer Elementarschule dieser Stadt vorbereitet, folgte M. seinem Vater, als dieser im J. 1800 als Rector nach Osterode am Harz versetzt war, und wurde dort durch sein aufgewecktes Wesen bald der Liebling von Mitschülern und Aelteren. Um den Sohn seiner sichtbaren großen Anlagen wegen möglichst zu fördern, brachte der Vater ihn im J. 1805 nach Schulpforta, auf welcher Anstalt, die er allen anderen Schulen weit vorzog, er selbst einst sieben Jahre lang Schüler gewesen war; die Aufnahmeprüfung in Schulpforta war das einzige Examen, das M. in seinem Leben zu bestehen gehabt hat. Vater und Sohn blieben bis zum Tode des ersteren,