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Artikel „Schnaase, Karl“ von Lionel von Donop in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 32 (1891), S. 66–73, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Schnaase,_Karl&oldid=- (Version vom 7. Dezember 2024, 02:28 Uhr UTC)
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Schnaase: Karl Julius Ferdinand S., Kunsthistoriker und Jurist, gehört neben Kugler, Waagen, Rumohr u. a. zu den Begründern der neueren Kunstgeschichte. Während er im Verlaufe seiner juristischen Thätigkeit eine hohe Stellung erreichte, widmete er als einer der geistvollsten Gelehrten 40 Jahre seines Lebens der kunstgeschichtlichen Forschung. Er faßte die Kunst im innigsten Zusammenhange mit dem gesammten Cultur- und Geistesleben auf und führte ihre geschichtliche Auffassung in das allgemeine Bildungsstreben ein.

Einer alten und wohlhabenden Patricierfamilie angehörig, wurde S. am 7. September 1798 zu Danzig geboren. Sein Vater hatte nach der Besitznahme der Stadt durch Preußen im J. 1793 sein öffentliches Amt niedergelegt, um sich mit dramatischen und historischen Studien zu beschäftigen. Durch Erbschaft bereichert verließ er Danzig bald nach Karl’s Geburt und führte mit den Seinigen ein eigenthümliches Wanderleben. Von der Mutter, einer zart angelegten Natur, scheint der Sohn die edlen Charaktereigenschaften wie auch die schwankende Gesundheit geerbt zu haben. Die Familie verweilte vorzugsweise in Berlin, brachte jedoch meistens den Sommer, auch ganze Jahre auf größeren und kleineren Reisen zu. Die Lieblingsneigungen des Vaters waren der Entfaltung des Sinnes für die ruhigere Kunst nicht gerade günstig, ebenso wenig mögen die bunten Eindrücke die stetige Entwicklung des jungen geistigen Lebens gefördert haben. Auf diese Ruhelosigkeit zurückblickend, pflegte S. später selbst mit Bedauern zu bekennen, daß er seine Jugendjahre im Reisewagen zugebracht habe. Bei dieser seltsamen Lebensweise des Vaters sah er schon frühe vieler Länder Baudenkmäler und Kunstwerke; längere Zeit und wiederholt verweilte er in Paris, dann in Braunschweig, Breslau, Prag und Wien. Am Tage der Schlacht bei Leipzig kehrte die Familie wieder nach Berlin zurück. Den Unterricht erhielt er anfänglich durch Hauslehrer und den Vater selbst, später auf Berliner Schulen und Gymnasien. Poesie, Geschichte, auch mathematische Studien zogen ihn damals vornehmlich an.

Da der Vater die Nachtheile eines Lebens ohne festen Beruf an sich erfahren hatte, suchte er seine Söhne durch rechtzeitige Bestimmung an einen solchen zu gewöhnen und demzufolge fügte sich auch sein Sohn Karl der ihm seit seinen Knabenjahren wiederholten Anordnung, die juristische Laufbahn einzuschlagen. Noch ehe er das Gymnasium verließ, löste der Tod des Vaters das elterliche Haus auf. Während Karl in Berlin zurückblieb, sah sich die Mutter mit den übrigen Kindern zu einem längeren Aufenthalte in Danzig genöthigt. Das ursprünglich bedeutende Vermögen war durch die Reisen zusammengeschmolzen und Einschränkungen blieben unvermeidlich.

Vor Vollendung seines 18. Jahres konnte Karl, der von jeher in seinem Leben einen hohen sittlichen Ernst bewahrte, die Berliner Universität beziehen. Im Herbste 1816 besuchte er seine Vaterstadt, wo sein empfänglicher Kunstsinn in den Sehenswürdigkeiten der alterthümlichen Stadt, im Artushof, in der [67] Pfarrkirche und in den vielen Gotteshäusern genugsame Nahrung und Anregung fand. Im allgemeinen war jene Zeit, in der die Jugend mit unreifen Plänen in die politische Entwicklung einzugreifen suchte, einer tieferen, wissenschaftlichen Ausbildung nicht günstig. Savigny’s geistvoller Vortrag befreundete ihn jedoch dergestalt mit den juristischen Studien, daß er sie mit Hingebung betrieb. In froher Jugend genoß S. seit Ostern 1817 das akademische Leben zu Heidelberg, begleitet von seinem Freunde Ladenberg. In seiner Absicht, sich dem juristischen Lehrfache zu widmen, wurde er durch den Rath des Heidelberger Rechtslehrers Thibaut wankend gemacht und bald durch die anziehende Kraft der philosophischen Lehren Hegel’s gefesselt. Die Gemäldesammlung der Gebrüder Boisserée hatte damals noch keinen entscheidenden Einfluß auf ihn, weil die alterthümlichen Formen der in ihr vertretenen Schulen ihm noch zu fremdartig erschienen. Die landschaftlichen Schönheiten dagegen lockten ihn zu Ausflügen in die nähere und fernere Umgebung von Heidelberg, in den Schwarzwald, nach Straßburg und im Herbste 1817 in die Schweiz. Er durchwanderte mit einigen Freunden das Berner Oberland und kehrte im October zu seinen Studien zurück.

Im Herbste 1818 folgte er als Schüler seinem berühmten Lehrer Hegel nach Berlin und studirte eifrig Philosophie. Das Hegel’sche System fesselte ihn durch seinen weiten Gesichtskreis und durch die Verbindung des Concreten mit den Kategorien des logischen Gedankens. Auf seine fernere wissenschaftliche Denkweise hatte dies gründliche Studium den nachhaltigsten Einfluß. Seine universelle Geistesart, welche die Kunstgeschichte zu einer weitumfassenden Culturgeschichte vertiefte, gewann ihren schöpferischen Trieb aus dieser philosophischen Schulung. Dennoch gewährten ihm die mit Leidenschaft betriebenen theoretischen Studien damals nicht die Befriedigung, welche seine contemplative und religiös angelegte Natur von der Beschäftigung mit der Philosophie erwartete. Je mehr sie ihn anzog, um so mehr fühlte er sich innerlich beunruhigt. Er empfand daher lebhaft das Bedürfniß nach Unterbrechung dieser Studien durch Verfolgung praktischer Lebensziele. Dazu kam die Nothwendigkeit, seine über das gewöhnliche Maaß bereits ausgedehnte Studienzeit nach dem Wunsche seiner Mutter zum Abschluß zu bringen. Mit Hülfe seiner früheren juristischen Studien bestand er am 6. Juli 1819 das erste Examen.

Eine Erholungsreise führte ihn auf mehrere Wochen nach Dresden, wo die Sammlung von Meisterwerken aus der Zeit höchster Kunstblüthe ihn zu dauernder Begeisterung ergriff. Am 26. Juli d. J. wurde ihm eine Anstellung bei dem Land- und Stadtgericht zu Danzig zu theil. Der praktische Dienst erweckte in ihm das Gefühl seiner nützlichen Thätigkeit und sein scharf denkender Geist gewann dem juristischen Wissen zugleich ein erhöhtes Interesse ab. Von neuem fesselte ihn die alterthümliche Schönheit seiner Vaterstadt mit ihrer malerischen Umgebung, auch gewann er noch Zeit, seine philosophischen, historischen und litterarischen Studien mehr oder weniger planmäßig fortzusetzen, Musik zu treiben und auf Grund einer kleinen Kupferstichsammlung die Eindrücke der Dresdener Galerie zu nähren. Das Gebiet, an welches Neigung und Begabung ihn späterhin fesseln sollten, faßte er zum Theil damals bereits ins Auge. Mit vorsichtiger Besonnenheit hielt er indeß an dem einmal erwählten Berufe fest und absolvirte noch die übrigen vorgeschriebenen, für den Staatsdienst erforderlichen Prüfungen. Von October 1819 bis Februar 1821 verblieb S. in Danzig und wurde darnach an das Oberlandesgericht nach Marienwerder versetzt. In dem kleinen entlegenen Orte, der seinen kunstgeschichtlichen Bestrebungen keine Anregung darbot, fand er sich bald geistig vereinsamt und sehnte das Ende seiner Gefangenschaft herbei. Nachdem er das letzte Examen glücklich bestanden hatte [68] und kurze Zeit in Königsberg thätig gewesen war, gönnte er sich zur Erholung und allgemein geistigen Ausbildung eine Frist, die er bei anderthalbjähriger Befreiung von amtlichen Verpflichtungen seit September 1826 zu einer italienischen Reise benutzte. Ueber Wien, Venedig, Verona, Mantua, Bologna und Florenz ging er nach Rom, wo er seinen Freund Dr. W. Röstel traf und fünf Monate zubrachte. Im Verkehr mit Bunsen, der als preußischer Gesandter in Verbindung mit befreundeten Gelehrten das große Werk der Beschreibung Roms bearbeitete, lernte er damals auch die Führer der deutsch-römischen Künstlercolonie kennen. Seine Neigung war fortan nicht nur auf die Betrachtung der Kunst im allgemeinen, sondern in höherem Grade auf ihre geschichtliche Auffassung gerichtet, für die in jener Zeit auch Rumohr, Waagen und Kugler mit epochemachenden Arbeiten wirkten. S. fühlte sich am meisten von der Kunst des italienischen Mittelalters angezogen, weil er für den Zusammenhang der weltgeschichtlichen Kunstentwicklung gerade in den Mittelgliedern größerer Perioden die anschaulichste Bestätigung zu finden glaubte. Auch die religiösen Beziehungen erweckten in ihm den Antrieb, nach Kräften dieser Forschung sich zu widmen. Trotz seiner zarten, leicht verletzbaren Gesundheit, die unter dem römischen Aufenthalte gelitten hatte, besuchte S. auch Neapel und die Tempel von Paestum. Ueber Genua und Mailand, durch die Schweiz, Tirol und die Rheinlande, überall mit dem eingehenden Studium von Kirchen und Sammlungen beschäftigt, kehrte er, an kunstgeschichtlichen Kenntnissen und Anschauungen bereichert im Spätherbst 1827 nach Königsberg zurück, um bei dem dortigen Oberlandesgerichte seine Thätigkeit als Assessor wieder aufzunehmen. Den Wunsch nach einer freieren Lebensstellung gab er auf, weil die Vermögensverhältnisse der Familie noch während seiner italienischen Reise erheblichen Abbruch erlitten hatten. Er beschloß, seinem bisherigen Berufe treu zu bleiben und die kunstgeschichtlichen Lieblingsstudien je nach Zeit und Gelegenheit zu betreiben. Mit Eichendorff, Lucas, Hagen u. a. befreundet, söhnte er sich mit Königsberg sichtlich aus. Unerwartet als Rath an das Oberlandesgericht nach Marienwerder versetzt, wurde er im Frühjahr 1829 seiner geliebten Mutter und bald darauf auch seiner Schwester Pauline durch den Tod beraubt und durch diese Schicksalsschläge so erschüttert, daß er selbst, völlig muthlos geworden, bedenklich erkrankte. Die Familienbande, die ihn an die Heimath fesselten, waren durch diese Erlebnisse gelöst. Auf ärztlichen Rath verließ er Marienwerder und begab sich nach Berlin, wo er mit Hinweis auf seinen Gesundheitszustand die Versetzung in die Rheinprovinz erwirkte.

Im October 1829 übernahm S. das Amt eines Procurators am Landgerichte zu Düsseldorf, wo damals ein reges Kunstleben erblühte. Seit 1826 stand dort W. Schadow an der Spitze der Akademie; Künstler wie Lessing, Hübner, Th. Hildebrandt und C. Sohn, Schirmer, Bendemann und Schrödter traten hervor und erwarben sich die enthusiastische Zustimmung ihrer Zeitgenossen. Wenngleich in dieser Blüthezeit der älteren Düsseldorfer Schule keine eigentliche nationale Kunst sich entwickelte, empfing doch das ganze Leben von ihr eine erhöhte Stimmung. S. trat hier in Kreise ein, in welchen seine fein und tief angelegte Natur sich bald heimisch fühlte. Er lebte mit empfänglichen Künstlern und verfolgte ihre Fortschritte mit wachsender Theilnahme. Ueberdies gewann er an Immermann und Uechtritz treue Freunde, mit denen er über poetische und wissenschaftliche Fragen Gedankenaustausch wechseln konnte. Von den Malern stand ihm wol Schirmer und Lessing am nächsten. Im Umgang ferner mit Felix Mendelssohn-Bartholdy genoß er edlen Gesang und Musik, für die er tief empfänglich war. Aus dem benachbarten Bonn stellte sich öfter Löbell ein, dessen [69] historischen und litterargeschichtlichen Studien auf S. anziehend einwirkten, auch entstanden wirkungsvolle Beziehungen zu Kinkel, R. Wiegmann und Ramboux. Als Vorstandsmitglied des Kunstvereins übte S. durch seinen geläuterten Geschmack und durch sein scharfsinniges Urtheil in dem Düsseldorfer Künstlerkreise einen erheblichen Einfluß aus. In der edlen Charlotte v. Schanowska wurde ihm im Sommer 1833 eine seinem Geiste ebenbürtige Gefährtin beschieden, die mit sorgender Liebe über seinem Dasein gewacht hat.

Bereits im ersten Jahre seines Düsseldorfer Aufenthalts trat er, noch leidend, eine Reise durch Belgien und Holland an, die ihn von neuem kräftigte. Das Ergebniß dieses Ausfluges waren seine „Niederländischen Briefe“, die jedoch, da er sie neben seinen umfangreichen Amtsgeschäften ausarbeitete, erst im J. 1834 erschienen. Mit echt philosophischem Geiste erfaßte er die Aufgabe und betrachtete die Kunstwerke als Producte ihrer Zeit. Von der Kunst der Gegenwart, von ästhetischen Anforderungen ausgehend und zu der älteren Kunst aufsteigend suchte er ohne Rücksicht auf systematische Gliederung den Beweis der inneren Einheit der Kunstentwickelung zu erbringen, indem er die Kunst im engsten Zusammenhange mit den geschichtlichen Bedingungen, mit dem Charakter jeder Periode und dem vorwaltenden Volksgeiste würdigte. Er war bestrebt, vor allem die treibende Seele jeder Cultur wahrzunehmen und die Kunst aus ihren inneren Motiven zu erklären. Die Charakterisirung der Landschafts- und Genremalerei in Verbindung mit der Geschichte und mit dem Volksleben ihrer Heimath ist wol von keinem Nachfolger Schnaase’s übertroffen. Die Ferien benutzte er unablässig zu Studienreisen, zu Ausflügen rheinauf und abwärts, in die Nähe und Ferne, namentlich zu den Kunstdenkmälern des Mittelalters, dessen Gemüthsleben immer mehr seine Neigung in Anspruch nahm. Zu Anfang des Jahres 1836 wurde S. zum Oberprocurator ernannt und damit wuchs seine Arbeitslast. Durch häufige Badereisen suchte er seiner zunehmenden Kränklichkeit Herr zu werden. Im Herbst 1837 lernte er die neuere Kunst in München kennen, deren vergleichende Betrachtung mit der Düsseldorfer Schule wol nicht ohne herabstimmende Beurtheilung der letzteren geblieben ist. Neben seinen schriftstellerischen Arbeiten, die ihren gedeihlichen Fortschritt nahmen, las er während des Winters 1839–40 im Verein der Düsseldorfer Künstler die divina commedia in Uebersetzungen vor und begleitete jeden Gesang mit Erklärungen. Von kleineren Aufsätzen aus jener Zeit sind die „Historischen Erläuterungen zu L. Schwanthaler’s Kreuzzug Friedrich Barbarossa’s (1840) und der treffliche Bericht über die Kirche zu Ramersdorf in Kinkel’s Jahrbuch vom Rhein (1847) hervorzuheben. Im Herbst 1840 hielt sich S. eine Zeit lang in Berlin und Dresden auf. Durch den Verlust seines Freundes Immermann tief erschüttert, fand er in dem aus Italien heimkehrenden Maler Schirmer, der kurze Zeit sein Hausgenosse war und bald darauf durch ein verwandtschaftliches Verhältniß ihm nahe trat, einen anregenden und tröstenden Freund.

Dem Wunsche seiner Freunde entsprechend gab S. im häuslichen Kreise eine Uebersicht der gesammten Kunstgeschichte. Krankheit hinderte ihn an der Beendigung seiner Vorträge, aber das Material dazu war allmählich so gereift und vervollständigt, daß er die Veröffentlichung eines umfassenden Werkes über die Geschichte der bildenden Künste beschloß. Der erste Band erschien im J. 1843, sechs weitere folgten in erster Auflage bis zum Jahre 1864. Der Erfolg, den er bereits mit den ersten Bänden erntete, erhöhte sein eigenes Interesse und veranlaßte ihn zu tieferen Studien namentlich auf dem Gebiete der Kunst des Mittelalters. Kugler war ihm zwar mit seiner Geschichte der Malerei und mit seinem Handbuche der Kunstgeschichte zuvorgekommen. Gegenüber diesen [70] auf kritischer Sichtung der Kunstwerke und auf vorwiegend formaler Betrachtungsweise ruhenden Werken sucht S. die Erscheinungen der künstlerischen Production „aus den physischen und geistigen, sittlichen und intellectuellen Eigenthümlichkeiten der Völker abzuleiten und den Proceß der Durchdringung des Kunstlebens mit den sonstigen Lebenselementen aufzuzeigen“. Mit einer seltenen Universalität wissenschaftlicher Bildung behandelte er die Kunstgeschichte als einen integrirenden Bestandtheil der Culturgeschichte. Während aber die Schilderung der altorientalischen Kunst und die Geschichte der Antike mehr der gesetzmäßigen Entwicklung allgemeiner Ideen galt, ist die historische und kritische Darstellung der einzelnen Werke und Vorgänge in der Kunstgeschichte des Mittelalters stärker betont. Diese fünf Bände sind als classische Schöpfungen zu betrachten, welche sich würdig an die große deutsche Litteraturperiode anreihen. Der tiefe Denker und Historiker ist auch ein Meister in der Darstellung. Die Anschaulichkeit und das Ebenmaß der von innerer Wärme erfüllten Schilderung verleiht ihr den Werth eines mustergültigen Vorbildes, an welchem die jüngeren Kunsthistoriker herangereift sind. Was Winckelmann seiner Zeit für das eng umgrenzte Gebiet der Antike und was A. v. Humboldt für die Betrachtung des Naturganzen anstrebte, suchte S. für die Kunst des Mittelalters seinen Zeitgenossen dazubieten. Um so bewunderungswürdiger war der rüstige Fortschritt seines großen und mühevollen Unternehmens, als er, überhäuft von Berufsgeschäften, nicht über eine ausgiebige Muße zu verfügen hatte und stets von unsicherer Gesundheit abhängig nach ärztlicher Vorschrift oft für längere Zeit der Arbeit entsagen mußte. Er konnte indeß die Urlaubsfristen, die seine Kränklichkeit erforderte, zu kunstwissenschaftlichen Reisen nach Frankreich (1844) und nach Oberitalien bis Florenz (1845) benützen.

Verdrießliche Vorkommnisse verleideten ihm darnach das Leben in Düsseldorf, weshalb er im J. 1848 einen Ruf als Obertribunalsrath nach Berlin annahm. Wenn ihn auch hier die politischen und kirchlichen Zerwürfnisse beunruhigten, so fand er doch für den Verlust des rheinischen Lebens einigen Ersatz in den Sammlungen und Bibliotheken. Berlin war damals ein Mittelpunkt kunstwissenschaftlicher Bestrebungen. Männer, wie Kugler, Waagen, der Archäolog Ed. Gerhard, Hotho, Schorn, Sotzmann u. A. standen, jeder auf seinem Gebiete, in voller Kraft und neidloser Thätigkeit. Unter den Jüngern dieses Kreises ist der früh heimgegangene Fr. Eggers als Herausgeber des Deutschen Kunstblattes zu nennen, zu welchem auch S. feinsinnige Beiträge, besonders aus dem Bereiche der mittelalterlichen Kunst lieferte. Auch W. Lübke, bald der bevorzugte Freund seines Lehrers, und später der Archäolog K. Friederichs waren ihm zugethan. Schnaase’s gastliche Wohnung, dicht am Thiergarten im damaligen Hause des Bildhauers Drake, wurde der Mittelpunkt jener Gesinnungsgenossen. Aus dem harmonischen Zusammenwirken jener Kräfte hat die Kunstwissenschaft reichen Gewinn erzielt.

S. hielt stets an einer tief religiösen, protestantischen Glaubensinnigkeit fest. Doch war ihm die Religion nicht Sache des Dogmas, sondern Bekenntniß und Erfahrung inneren Lebens. Mit Eifer nahm er an der Gründung eines Vereins für religiöse Kunst in der evangelischen Kirche theil, um den Gottesdienst durch die Weihe der Kunst zu heben. Sein Verkehr mit Männern wie Bethmann-Hollweg, Uechtritz und Grüneisen wurzelte in diesen Bemühungen, die auch in Schnaase’s Vorträgen „Ueber das Verhältniß der Kunst zum Christenthum und besonders zur evangelischen Kirche“ (Berlin 1852) und über „Bildung und Christenthum“ (Berlin 1861) ihren beredten Ausdruck fanden. Zur Belebung dieser Interessen rief er in Verein mit C. Grüneisen und J. Schnorr v. Carolsfeld [71] das christliche Kunstblatt in’s Leben, in welchem er als treibende Kraft der Redaction mehrere gediegene Aufsätze erscheinen ließ. Er wurde auch Mitglied einer berathenden Museums-Commission und leitete mehrere Jahre hindurch den Verein der Kunstfreunde. Schnaase’s Verdienste um die Förderung der lebenden Kunst fanden dadurch öffentliche Anerkennung, daß die Berliner Kunstakademie im J. 1853 ihn zum Ehrenmitglied erwählte. Körperliches Leiden nöthigte ihn im Sommer 1856 zu einem längeren Aufenthalte im Süden.

Unbefriedigt durch die politischen Zustände Preußens zu jener Zeit nahm er nach mehr als 30jähriger Dienstzeit den Abschied aus dem Staatsdienste, um ausschließlich kunstgeschichtlichen Studien zu leben. Im Herbste 1858 begab er sich abermals nach Italien, wo zwei jüngere Fachgenossen und Freunde, C. v. Lützow und W. Lübke ihn begleiteten. Mit Letzterem, der dem Meister wohl am innigsten verbunden war, machte er im Sommer 1860 eine gemeinsame Studienreise durch Belgien und im Herbst 1861 nach Wien. Das sorgfältige Studium der reichen Kunstschätze der Kaiserstadt gab die Veranlassung zu der Abhandlung über die österreichische Malerei im 15. Jahrhundert, welche in den „Mittheilungen der k. k. Centralcommission für Erforschung und Erhaltung der Baudenkmale“ erschien. Später lieferte er für die Wiener „Recensionen über bildende Kunst“ polemische Aufsätze über Michelangelo’s Medicäer-Statuen, sowie die gediegenen Aufsätze über die byzantinische Kunst und über die italienische, französische und deutsche Renaissance, welche die methodische und kritische Sicherheit des Verfassers beglaubigen. Insbesondere ist hier die Besprechung von J. Burckhardt’s Geschichte der italienischen Renaissance-Architektur (1867), der warm empfundene Nekrolog seines Freundes Waagen (1868), der Rückblick auf die Holbein-Ausstellung in Dresden „Im neuen Reich“ (1871) und der Nachruf an C. Friederichs (Christl. Kunstblatt, 1872) zu erwähnen. Noch bevor sich S. im Herbste 1864 zu einem Winteraufenthalte in Rom und Neapel auf Reisen begab, hatte er die Genugthuung, die während eines Zeitraums von 21 Jahren fortgesetzte „Geschichte der bildenden Künste“ bis zum Schluß des Mittelalters geführt zu haben. Da die ersten Bände des Werkes bereits vergriffen waren, drängte der Verleger zur Vorbereitung einer zweiten Auflage. Um die Fortsetzung der späteren Perioden nicht völlig zu unterbrechen, begann S. die Durchsicht und Vervollständigung der früheren Theile für den neuen Druck unter dem Beistande befreundeter jüngerer Gelehrten, wie Lützow, Friederichs, Rahn, A. Schultz, Lübke, Woltmann, Dobbert und Eisenmann. Alle Mitarbeiter der zweiten Auflage zollten ihrem geistvollen Führer unbegrenzte Verehrung und haben durch den persönlichen lehrreichen Verkehr mit ihm die lohnendste Anregung und Förderung ihrer Studien erfahren. Auf die harmonische Einheit des Ganzen bedacht hat S. sowohl als sinniger Geschichtsphilosoph wie als kritischer Historiker seinem Werke, in welchem er selbst mehrere Abschnitte neu bearbeitete, mit jugendlicher Frische den Stempel der Vollendung aufgeprägt. Das Material zu einer Fortsetzung in einem achten Bande über die deutschen Malerschulen und die flandrische Malerei nebst einem von S. selbst entworfenen Culturgemälde der Renaissancezeit wurde von Lübke und Eisenmann vortrefflich zu einem abschließenden Ganzen abgerundet. Die Entwicklungsgeschichte der Kunst, wie sie von Schnaase’s Geist beseelt, in dem epochemachenden Werke vorliegt, ist seit dem Erscheinen der zweiten Auflage als Ganzes unerreicht geblieben. Die mit dem befreundeten Franzosen Germain geplante Uebersetzung ist leider nicht erschienen.

Mit gesteigertem Interesse hatte S. nach der Heimkehr aus Italien an der großen Umwandlung seines Vaterlandes innigen Antheil genommen. Während der Aufenthalt in Berlin seinen Studien förderlich war, erwies sich das nordische [72] Klima für seine Gesundheit minder zuträglich. Im Herbste 1867 siedelte er nach dem anmuthigen Wiesbaden über. In den ersten Jahren seines dortigen Aufenthaltes unternahm er zur Sommerzeit noch manche Reise. So besuchte er 1869 die internationale Ausstellung in München, 1871 die Holbein-Ausstellung in Dresden und im Herbste desselben Jahres führte er eine Fahrt durch den Schwarzwald nach der Schweiz aus, um die Sammlung des Fürsten v. Fürstenberg in Donaueschingen, das Museum in Basel und die Gemälde der oberdeutschen Schule in Colmar kennen zu lernen; ja noch im Sommer 1872 benutzte er einen längeren Aufenthalt in Cannstadt zu einem Abstecher nach Tiefenbronn bei Pforzheim zur Besichtigung der Altargemälde von Hans Schühlein und Lucas Moser. Auch gereichte ihm noch ein Besuch in Freiburg zur Untersuchung des Münsters und seiner Kunstwerke zu hohem Genuß.

Da dem Leidenden allmählich die Bewegung im Freien versagt wurde, sah er es als eine besondere Erquickung an, mit dem damaligen Conservator der Antikensammlung in Wiesbaden, R. Kekulé, sowie mit den besuchsweise eintreffenden Freunden Lübke und Woltmann seine Gedanken austauschen zu können. Von Badenweiler aus, wo er wiederholt sich aufhielt, richtete S. am 27. August 1873 eine in den Mittheilungen des österreichischen Museums veröffentlichte Zuschrift an den in Wien tagenden kunstwissenschaftlichen Congreß.

In den Briefen der letzten Jahre, die ihm beschieden waren, kehren häufig milde Klagen über die Abnahme seiner Lebenskräfte wieder; der Tod hatte ihm bereits manchen alten Freund genommen, sein zartes Gemüth dadurch erschüttert und die Vereinsamung empfindlich gemacht. Nach einem sehr beschwerlichen Winter bezog er im Sommer 1874 eine auf dem Adolfsberg in Wiesbaden gelegene Villa und erfreute sich dort noch einmal des Grüns und jeder Blüthe im Sonnenschein. Am 17. Mai 1875 wurde er in lebhafter Unterhaltung mit dem aus Italien heimgekehrten Prof. R. Kekulé plötzlich unwohl und bald darauf von einem wiederholten Schlaganfall betroffen. Am 20. Mai d. J. endete ein sanfter Tod sein Leben, das die sorgsamste Pflege seiner Frau so lange erhalten hatte. Ein Brustbildniß Schnaase’s von Marie Wiegmann in der National-Galerie zu Berlin und eine Marmorbüste von J. Kopf in der Säulenhalle am Neuen Museum daselbst haben die feinbeseelten Züge des Gelehrten der Nachwelt bewahrt.

S. ist nicht nur als epochemachender Forscher zu schätzen, der mit genialem Blicke der Wissenschaft neue Bahnen angewiesen, sondern in gleichem Maße als ein Mann von vollendeter Harmonie und Humanität des Wesens. Der Director des Kunstvereins in Wiesbaden sprach an seiner Ruhestätte die vollgültigen Worte: „Wie sich bei jedem wahrhaft bedeutenden und großen Menschen das Innere harmonisch abschließt, so war sein Streben durchdrungen von Ernst und sittlicher Weihe. Mit selbstloser Uneigennützigkeit, mit reinster Liebe zur Sache lag er dem frei gewählten Lieblingsberufe ob, mit Freigebigkeit theilte er aus den reichen Schätzen seines Wissens, mit liebenswürdiger Bescheidenheit wußte er Belehrung zu empfangen und mit freundlicher Nachsicht beurtheilte und ermunterte er die Leistungen Jüngerer.“

Zur Förderung der Wissenschaft hatte S. seine Kupferstichsammlung der Universität zu Bonn vermacht. Straßburg erbte einen Theil seiner Bibliothek, während seinem Freunde W. Lübke der andere Theil seiner Büchersammlung und der gesammte wissenschaftliche und briefliche Nachlaß zufiel. Um die Tiefe des Gemüthslebens und die vielseitige geistige Regsamkeit des Mannes erschöpfend würdigen zu können, bedarf es noch der Veröffentlichung seiner eigenen Briefe, die nur zum geringen Theil vorliegen.

[73] Vgl. Im neuen Reich, 1875, Nr. 23. Karl Schnaase von A. Springer. – Repertorium für Kunstwissenschaft, 1876, S. 194–208. Karl Schnaase, (Nekrolog) von A. Woltmann. – Zeitschrift für bildende Kunst, 1875, S. 289–301. Karl Schnaase, von W. Lübke. – Christliches Kunstblatt, 1876, Nr. 1, S. 1–9. – Karl Schnaase. Biographische Skizze von Wilh. Lübke. Stuttgart 1879. – Wiederholt im VIII. Bde. der Geschichte der bildenden Künste von Dr. Karl Schnaase. Stuttgart 1879. p. XVII–XLXXXIV. – Erinnerungen an Friedrich v. Uechtritz und seine Zeit in Briefen von ihm und an ihn. Mit einem Vorwort von Heinrich v. Sybel. Leipzig 1884. S. 231–289.