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Artikel „Woltmann, Alfred“ von Alfred Stern in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 44 (1898), S. 185–188, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Woltmann,_Alfred&oldid=- (Version vom 3. Dezember 2024, 17:04 Uhr UTC)
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Woltmann: Alfred W., geboren am 18. Mai 1841 in Charlottenburg, † in Mentone am 6. Februar 1880. Sein Vater siedelte von Berlin nach Breslau über, wo er als Universitätsbibliothekar wirkte. Für W. aber blieb Berlin immer die geliebte Heimath. Dort machte er auch einen Theil seiner Gymnasialzeit durch und begann 1860 das Studium auf der Universität, das er in München fortsetzte. Er sollte Jurist werden, wandte sich aber bald mit glühendem Eifer der Kunstwissenschaft zu. Freundschaftlicher Verkehr mit bedeutenden Vertretern derselben, wie namentlich mit Waagen, häufiger Besuch der Gemäldesammlung Berlins, vor allem aber das sichere Gefühl der ihm innewohnenden eigenthümlichen Fähigkeiten hatten ihn schon früh auf diesen Weg gewiesen. Indem er ihn betrat, strebte er, als einer der ersten, mit Bewußtsein dem Ziele zu, die moderne Kunstwissenschaft ausschließlich als Kunstgeschichte zu fassen. Ein lebhaftes Interesse an der historischen Wissenschaft im allgemeinen kam diesem Streben zu Hülfe. Der begeisterte Schüler Guhl’s und Lützow’s war ein ebenso eifriger Hörer Sybel’s und verständnißvoller Leser Ranke’s. Auch hatte er das Glück, schon in jungen Jahren, angeregt durch einen Besuch Augsburgs, einen deutschen kunstgeschichtlichen Gegenstand zu ergreifen, wie er schöner und fruchtbarer nicht leicht gedacht werden konnte. Es war das Leben Hans Holbein’s. Schon im vierten Studiensemester war er dafür entschieden. Seine Breslauer Doctor-Dissertation (1863) bewies, wie tief er bereits in das auserkorene Forschungsgebiet eingedrungen sei. Drei Jahre später erschien der erste, und, nach einem höchst gewinnreichen Aufenthalt in London, Paris und den Niederlanden, 1868 der zweite Band des Werkes „Holbein und seine Zeit“. (Englische Uebersetzung von F. E. Burnet, London 1872.) Die seltene Verbindung von Sammlerfleiß, geistiger Durchdringung des Stoffes, klarer und lebhafter Darstellung, nicht zu vergessen die Ausweitung der Biographie zum farbenreichen Culturbilde, sicherten dem Werke einen glänzenden Erfolg. Es gab den Anstoß zu einer wissenschaftlichen Bewegung, die weit über die Kreise der Fachgelehrten hinausgriff, und an der W. selbst fortdauernd den regsten Antheil nahm. Die Dresdener Holbeinausstellung vom Jahre 1871 bezeichnet vielleicht ihren Höhepunkt. Zahlreiche Arbeiten Woltmann’s (wie über Hans Holbein des Aelteren Silberstiftzeichnungen im kgl. Museum zu Berlin, 1876) wurden durch sie hervorgerufen. Endlich schloß die zweite Auflage seiner Holbein-Biographie, dem Andenken „des theuern Meisters G. F. Waagen“ und „dem verehrten Freunde Dr. Eduard His“ gewidmet (Band 1: Des Künstlers Familie, Leben und Schaffen, 1874; Band 2: Excurse, Beilagen, Verzeichniß der Werke, 1876) Woltmann’s Jahre lang durchgeführte Beschäftigung mit diesem Gegenstande ab. In der ersten Auflage war die Fälschung der Augsburger Inschrift, auf der die folgenschwere Vordatirung des Geburtsjahres des jüngeren Holbein [186] beruhte, noch nicht durchschaut, die Originalität des Dresdener Madonnenbildes noch festgehalten. In der zweiten brach der Forscher mit den Irrthümern, die er als solche erkannt hatte, fügte der kostbaren Fracht neue werthvolle Stücke zu, warf lästigen Ballast entschlossen über Bord und schuf ein Werk, das sich in der kunstgeschichtlichen Litteratur den Namen eines classischen verdient hat.

Während der Arbeit an der ersten Auflage des Holbein hatte sich W. in Berlin habilitirt und auch dem größeren Publicum durch das gesprochene Wort bekannt gemacht. Er war, wie wenige befähigt, als akademischer Lehrer zu wirken und durch populäre Vorträge zwischen Wissenschaft und Leben zu vermitteln. In freier Rede, nur durch kurze Aufzeichnungen unterstützt, entwickelte er sein Thema, klar in der Disposition, sicher im Ausdruck, von wahrer Begeisterung für seinen Gegenstand getragen, ohne je in hohles declamatorisches Pathos zu verfallen. Dieselben Eigenschaften bewährte er als gesuchter Mitarbeiter von Zeitungen, Zeitschriften und Sammelwerken. Es ist erstaunlich, mit welcher Leichtigkeit, Gewandtheit und Sachkenntniß, ohne die Gebote strenger Kritik zu verletzen, er die Masse litterarischer Ansprüche, die an ihn gelangten, befriedigte. Im Laufe der Zeit erlangte sein Name in der Tagespresse wie in den wissenschaftlichen Organen eine wohlbegründete große Autorität. Auch seiner Polemik, so scharf sie sein konnte, mußte man nachrühmen, daß sie immer nur der Sache galt. Er war eine kampffertige und kampffreudige Natur, aber er liebte den Kampf, nicht um sich vorzudrängen, sondern von einem Gefühl der Pflicht getrieben, war bereit, begangene Irrthümer freimüthig einzugestehen, und kannte nur gegen Modegötzen und Dilettantismus keine Gnade.

Die Berufung als Professor der Kunstgeschichte an die polytechnische Schule in Karlsruhe im J. 1868 gab ihm eine feste akademische Stellung und erweiterte seine Lehrthätigkeit. Er stand damals in der Blüthe seiner Kraft. Ein Kreis von hervorragenden Künstlern und Gelehrten nahm ihn freudig auf, durch innige Freundschaft fühlte er sich mit gleichaltrigen und jüngeren Genossen verbunden, alles Erlebte und Gedachte war Gemeingut, mit strenger Arbeit wechselten heitere Feste ab. Für ihn, der es schmerzlich empfand, daß seine Kenntniß des rein Technischen der Kunst lückenhaft geblieben, war der vertraute Umgang mit Meistern wie C. F. Lessing, Schrödter, Gude, Riefstahl u. A. unschätzbar. Neben seiner Wirksamkeit an der polytechnischen Schule gingen auch hier, wie bei Wanderfahrten im Süden und Westen Deutschlands, freie Vorträge vor einem gemischten Publicum. Sein organisatorisches Talent suchte er u. a. in einer Neuordnung der Gemäldegalerie zu bewähren, wobei sein rücksichtsloser Eifer manchen Anstoß erwecken mußte. Friedlicher verlief die Ordnung der fürstlich Fürstenbergischen Sammlungen in Donaueschingen, deren wissenschaftliches Verzeichniß er 1870 herausgab. Eine andere gesonderte Veröffentlichung aus dieser Zeit war die schon früher vorbereitete, kurz zusammenfassende, aber lehrreiche „Baugeschichte Berlins (1872). Auch besorgte er gemeinsam mit dem Verfasser die zweite Auflage des fünften Bandes von „Schnaase’s Geschichte der bildenden Künste“. Er durchstreifte als Kunstforscher das Elsaß und machte die Ausbeute dieser „Streifzüge“ im günstigsten Augenblick, als aller Augen auf das Deutschland wiedergegebene Land gerichtet waren, durch die „Zeitschrift für bildende Kunst“ zum Gemeingut. Er lernte, zuerst während der Herbstferien 1869, Italien kennen und sammelte in unermüdlicher Arbeit schauend und vergleichend Bausteine für das Werk, das er zum Hauptwerk seines Lebens machen wollte.

Als Anton Springer die Universität Straßburg verließ, durfte man erwarten, W. werde sein Nachfolger werden. Damals aber ward diese Hoffnung getäuscht. Besser wußte man Woltmann’s Verdienste in Oesterreich zu schätzen. Er folgte Ostern 1874 einem Ruf nach Prag. Auch dort erwarb er sich unter [187] seinen Schülern wie in gesellschaftlichen Kreisen bald treue Freunde, aber auch die Feinde blieben nicht aus. Mehr als irgend ein anderer wurde er in den traurigen Gegensatz der Deutschen und Czechen hineingerissen, als er es für seine Pflicht hielt, der Ueberlieferung einer eingeborenen czechischen Kunst entgegenzutreten. Ein öffentlicher Vortrag über „die deutsche Kunst in Prag“, den er am 25. November 1876 in der „Concordia“ hielt (im Druck erschienen Leipzig, 1877) rief infolge der Zeitungsberichte unter einem Theil der czechischen Studentenschaft einen Sturm der Entrüstung hervor. Er selbst sah sich hämisch angegriffen, und die Ruhe wurde vorübergehend durch förmliche Tumulte gestört. Dies konnte ihn nicht irre machen, seine Forschungen fortzusetzen und im „Repertorium für Kunstwissenschaft“ den Nachweis czechischer Fälschungen zu vervollständigen. Für die widrigen Eindrücke des Prager Aufenthaltes entschädigte er sich durch häufigen Aufenthalt in Wien im Verkehr mit Thausing, Eitelberger u. A., durch wiederholte größere Reisen und neue litterarische Erfolge. Die Herausgabe von „G. F. Waagen’s Kleinen Schriften“ (1875), die er gemeinsam mit Bruno Meyer und K. v. Lützow besorgte und mit einer überaus werthvollen biographischen Skizze einleitete, war ihm Herzenssache. Die „Geschichte der deutschen Kunst im Elsaß“ (1876), gleichsam „ein Abschiedsgruß an den Oberrhein“, aus jenen früheren Streifzügen erwachsen und doch „eine neue Arbeit aus einem Gusse“, ließ die provinziale Kunstgeschichte auf geniale Art als einen Auszug der allgemeinen Kunstgeschichte erscheinen. Die Sammlung „Aus vier Jahrhunderten niederländisch-deutscher Kunstgeschichte“ (1878) vereinigte eine Anzahl der meisterhaften Vorträge, die er in einer Reihe von Städten vor dankbaren Hörern gehalten hatte. Wie er sich hier für die Auswahl durch den Blick auf „den engen geistigen Zusammenhang“, auf die „moderne Kunstentwicklung der germanischen Völker in bedeutenden Momenten“, bestimmen ließ, so strebte er nun überhaupt über die Specialforschung zu universeller Betrachtung hinaus und fand in ihr die höchste Befriedigung. Es konnte ihm dabei nur von Nutzen sein, mit H. Janitschek die Redaction des „Repertoriums“ zu übernehmen, so sehr seine Arbeitslast dadurch auch vermehrt wurde.

Sein Wunsch, von dem heißen Boden Prags auf einen anderen Wirkungsplatz verpflanzt zu werden, wurde 1878 durch die lang ersehnte Berufung nach Straßburg erfüllt. Hier durfte er hoffen, inmitten einer großen gelehrten Körperschaft, auf einem ihm lieben und vertrauten Stück Erde, durch reiche Mittel unterstützt, alle die Entwürfe zu verwirklichen, die seinem rastlosen Geiste vorschwebten. An der Spitze stand eine Geschichte der Malerei: ein Werk, dessen Plan ihm allmählich aus so vielen Einzelstudien, darunter besonders eifrigen Forschungen zur Geschichte der Miniaturmalerei, erwachsen war. Aber er kam schon leidend nach Straßburg, schonte seine Kräfte in keiner Weise und arbeitete um so fieberhafter, je ernster die Anzeichen seiner Krankheit wurden. Der erste Band der Geschichte der Malerei, in dem Karl Woermann die Malerei des Alterthums behandelt hatte, erschien 1879. Das vom 1. Decbr. 1878 datirte Vorwort schloß mit dem bescheidenen Satze: „Mir würde zur Befriedigung gereichen, wenn der Leser doch bei der zusammenfassenden Behandlung die Arbeit eines in der Einzelforschung geschulten Kunsthistorikers wahrnähme“. Was W. sich vorgesetzt, hat er, insofern ihm die Ausführung möglich war, vollkommen erreicht. Woermann, der Fortsetzer seiner Arbeit, hat ihm das hohe Lob ertheilen dürfen: „Das Buch ist, soweit Woltmann es geschrieben hat, ein lebendiges Denkmal seines Schaffens als Forscher und Schriftsteller und bezeugt beredt, in wie hohem Grade er eingehende Specialstudien mit weitem historischen Blicke und strenge Wissenschaftlichkeit mit edlem, klaren Stile zu verbinden verstand“. In den Osterferien 1879 nach dem Erscheinen des ersten Bandes machte er noch eine anstrengende Studienreise nach Norddeutschland, bei der ihm die rauhe Jahreszeit [188] zusetzte. Dann nahm er die vielfachen Arbeiten, die ihm oblagen, wieder auf, bis er Ende Mai nach einer Vorlesung zusammenbrach. Sein hochaufgeschossener Wuchs, das verdächtige brennende Roth der Wangen, der plötzliche Wechsel von nervöser Erregtheit und unbezwinglicher Müdigkeit hatten manche seiner Freunde schon vormals mit Sorgen erfüllt. Nun ergriff ihn die unerbittliche Gewalt, die er, seinem Lieblingskünstler nachdichtend, in dem Capitel über den „Todtentanz“ mit düsteren Farben geschildert hatte. Er suchte Erholung in Badenweiler, am Genfer See und schien seine alte Kraft und Elasticität wiederzugewinnen. Den Winter sollte er an der Riviera verbringen. Aber dieser furchtbar kalte Winter machte dort bei mangelhaften Heizvorrichtungen den Aufenthalt für einen Lungenkranken höchst unerquicklich. Als sich sein Zustand verschlimmerte, eilte seine Schwester zu ihm, um ihn zu pflegen. Sie geleitete ihn von Bordighera nach Mentone und erleichterte ihm die qualvollen Tage. Seine Gedanken weilten bei der in Deutschland zurückgebliebenen Mutter, bei den Freunden, bei der Arbeit, die er bis zum Schlusse des ersten Capitels der Geschichte der Malerei des 15. Jahrhunderts in Oberitalien förderte. Er war thätig, bis ihm im eigentlichen Wortsinn die Feder entsank. Als ihm keine Täuschung mehr übrig blieb, ging er dem Tode wie ein Held entgegen. Am Abend des 6. Februar 1880 hatte er ausgelitten. –

Frei in seinem Denken und Handeln, für vaterländische Größe begeistert, ohne sich durch chauvinistische Anwandlungen fortreißen zu lassen, Vielen lieb und werth, ohne je einer Clique anzugehören, kein weltflüchtiger Stubengelehrter, sondern allem Merkwürdigen in Staat und Gesellschaft, Kunst und Wissenschaft zugewandt, nur zu oft mehr dem Triebe seines Herzens als kühler Berechnung folgend, eine Arbeitskraft ersten Ranges, reich an eigenen Ideen und fähig, auf die Ideen Anderer liebevoll einzugehen: so war er denen, die ihn kannten, in einem kurzen, aber inhaltvollen Leben erschienen, und sein Name wird in der Entwicklung der Kunstgeschichte einen dauernden Ehrenplatz behaupten.

Unter den zahlreichen Nekrologen nimmt derjenige Bruno Meyer’s in der Zeitschr. f. bildende Kunst, Bd. XV, 1880 die erste Stelle ein.