ADB:Bunsen, Karl Freiherr von

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Artikel „Bunsen, Christian Karl Josias Freiherr v.“ von Reinhold Pauli in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 3 (1876), S. 541–552, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Bunsen,_Karl_Freiherr_von&oldid=- (Version vom 7. Dezember 2024, 06:36 Uhr UTC)
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Bunsen: Christian Karl Josias Freiherr v. B., Gelehrter und Staatsmann, geb. zu Korbach 25. Aug. 1791, † zu Bonn 28. Nov. 1860, stammte aus bürgerlicher Familie, die, seit lange im Waldeckischen ansässig, auch in anderen Zweigen über die engeren Grenzen hinaus zu ehrenvollem Ansehn gelangt ist. Das einzige Kind aus einer zweiten, späten Ehe des Vaters, der an dreißig Jahre in einem waldeckischen Regiment den Holländern diente und sich in bescheidener Stellung treu und ehrenfest einen reinen frommen und unabhängigen Sinn bewahrt hatte, verdankte er, an Körper und Gemüth reich ausgestattet, ihm vor Allen die Entwicklung gleicher Eigenschaften. Nachdem er seit 1798, besonders die alten und neuen Sprachen lebhaft erfassend, das Gymnasium seines Geburtsorts besucht hatte, bezog er im Herbst 1808 die Universität Marburg um Theologie und Philologie zu studiren. Schon nach einem Jahre trieb es ihn trotz kargen Mitteln nach Göttingen, wo sich Heyne mit väterlicher Güte seiner annahm. Eine Hülfslehrerstelle am Gymnasium und die Unterweisung eines reichen Jünglings aus New-York, W. B. Astor, halfen über die drückenden Sorgen hinweg, während er mit energischem Willen und rascher Fassungsgabe den Kreis seiner Studien erweiterte. Auch nachdem er 1812 mit einer „Disquisitio de jure Atheniensium hereditario“ den Facultätspreis gewonnen und nach dem Druck der Arbeit ehrenhalber aus Jena die philosophische Doctorwürde erhalten, arbeitete er rüstig weiter, durch seinen Feuereifer das belebende Element eines philosophischen Bundes, aus welchem Lücke der Theolog, Lachmann der Philolog, Ernst Schulze der Dichter der bezauberten Rose, Brandis der Philosoph hervorragen. Während andere in den Befreiungskrieg hinauszogen, löste B. zwar jedes Dienstverhältniß zur westfälischen Regierung, entwarf auch eine erste politische Denkschrift zu Gunsten seines kleinen Heimathlandes, verharrte aber, Ausflüge nach Süddeutschland, an den Rhein und nach Holland abgerechnet, in Göttingen, erfüllt von den unter Benecke betriebenen germanistischen Studien, von idealer Beisterung für das Alterthum und dem Wunsche „des weiten und fernsten Ostens Sprache und Geist hinüberzuziehen in seine Wissenschaft und sein Vaterland“, bis er im Frühling 1813 zunächst Brandis über Kiel nach Kopenhagen begleitete, wo Finn Magnussen sein Lehrer im Isländischen wurde. Von dort begab er sich im Herbst nach Berlin, um in dem Staate, „der sich freut, jeden Deutschen aufzunehmen“, den großen Meistern der Wissenschaft, namentlich Niebuhr, nahe zu treten. Ein dem letzteren vorgelegter Arbeits- und Lebensplan, „die Idee der Philosophie in ihrem Verhältniß zum Glauben, zur Philologie und Historie“, in welchem B. seinen in Sprache und Gottesanschauung wurzelnden Forschungen das Ziel einer Geschichte der Menschheit steckte, sollte alsbald in Angriff genommen werden. So begab er sich im Frühling [542] 1816 nach Paris, wo er unter Silvestre de Sacy seine Kenntniß des Persischen erweiterte und das Arabische begann, in der Hoffnung am Ganges selber mit dem Sanskrit die Weisheit Zoroaster’s, Brahma’s und Buddha’s zu ergründen. Diesen luftigen Plan gedachte er als Mentor Astor’s mit dem er wie zu Paris so auch im August zu Florenz wieder zusammentraf, auszuführen. Allein die Rückkehr jenes nach New-York trat dazwischen, und B., obwol enttäuscht, begriff, daß sich sein Zweck auch in Europa erreichen lasse. Da zog ihn Niebuhr, der, von Brandis als Legationssecretär begleitet, als Gesandter nach Rom ging, im November hinterdrein in die ewige Stadt. Hier nun nahmen angesichts der Herrlichkeit aller Zeiten die Wanderjahre ein unverhofft glückliches Ende. Statt die Summe alles Endlichen und Unendlichen im Sturm zu erobern, begann B. im Kreise der deutschen Künstlerschaft, im Verkehr mit hochgebildeten Engländern und unter Niebuhr’s mächtiger Einwirkung sich in wissenschaftlicher Methode auf positive Ziele zu richten. Am 1. Juli 1817 wurde die Verheirathung des in seiner Erscheinung ungemein anziehenden Mannes, der auf der Reise durch Südfrankreich fast als Napoleonide angehalten worden wäre, mit der durch seltene Gaben des Geistes und Herzens ausgezeichneten Fanny Waddington aus Monmouthshire entscheidend für sein Leben. Nicht minder folgenreich war es, als er im Sommer 1818 an Stelle des in die Heimath zurückkehrenden Brandis als Secretär bei Niebuhr eintrat. In Amtsgeschäften wurde er nicht nur, während in Deutschland der politische Starrkrampf anhub und in Italien die Revolution unterlag, auf die realen Zustände der Gegenwart hingewiesen, sondern an Niebuhr’s großem Werke erschloß sich ihm der volle Blick für die Geschichte Roms. Das um diese Zeit von Cotta unternommene Sammelwerk: „Beschreibung der Stadt Rom“, Stuttgart 1830–1843, 3 Bde., wäre nach Niebuhr’s Zeugniß ohne Bunsen’s Eifer niemals ausgeführt worden, so wenig es ihm auch behagte neben eigenen topographischen und antiquarischen Beiträgen zur Geschichte der antiken und frühchristlichen Stadt Jahre lang die Verpflichtungen Anderer zu übernehmen. „Die Basiliken des christlichen Roms nach ihrem Zusammenhange mit Idee und Geschichte der Kirchenbaukunst“, München 1843, erschienen nachträglich als erläuternder Text zu Gutensohn und Knapp, „Denkmale der christlichen Religion oder Sammlung der ältesten christlichen Kirchen und Basiliken Roms“. Aber auch sein ursprünglicher Arbeitsplan erhielt neues Leben, als sich um die evangelische Gesandtschaftscapelle eine kleine deutsche Gemeinde bildete, in biblischer Kritik, kirchengeschichtlichen und liturgischen Forschungen, die mit der Häuslichkeit im Palazzo Caffarelli auf dem Capitol, wo Freude am deutschen Kirchenliede wie an altitalienischer geistlicher Musik herrschte, in schöner Wechselwirkung standen. Als im Herbst 1822 Friedrich Wilhelm III. von Verona aus Rom besuchte und auf die von ihm eingeführte preußische Agende mit B. zu reden kam, fand dessen freimüthige Einsprache nicht nur gnädige Aufnahme, sondern erfolgte sogar die überraschende Ernennung zum Legationsrath. Bei Niebuhr’s Rückkehr im Mai 1824 ersetzte er ihn bereits als Geschäftsträger, indem jener selber zuredete in einer Laufbahn zu verharren, die zu den eigenen Entwürfen so wenig stimmte. Indeß Bunsen’s Persönlichkeit, sein Urtheil über liturgische Dinge und die warme Liebe für die Sache der evangelischen Union bewahrten ihm die königliche Huld, wie sehr auch der Durchführung seiner Ideen daheim das monarchische Princip und die Abneigung der Gemeinde, bei ihm selber, der freiwillige Annahme durch die kirchlichen Organe voraussetzte, damals wenigstens Ueberschätzung der englischen Liturgie im Wege standen. Den Vorzügen des Lebens in Rom mit seinem universellen Verkehr erwuchs aus der räumlichen Entfernung freilich ein bestimmter Nachtheil. Wie ihm die wirklichen Zustände der deutschen Heimath in idealem Lichte oder schief erschienen, so wurde [543] er von vielen, welche seine Stellung in Rom nicht begriffen, verkannt, wol gar als Glücksritter, als Reactionär oder katholisirender Frömmler verschrien. Es war daher sehr wichtig, daß, nachdem durch die von Niebuhr erwirkte Bulle De salute animarum die Verhältnisse des preußischen Staats zur Curie im Allgemeinen geregelt worden, Verhandlungen namentlich wegen der gemischten Ehen den mit dem römischen Geschäftsgang Vertrauten im Herbst 1827 nach Berlin zogen, wo er mit den einflußreichen Kreisen in vielseitige Berührung trat. Damals ertheilte der König einem Herzenswunsch Bunsen’s, der Einführung einer von ihm nach den gründlichsten Vorarbeiten mit Richard Rothe’s Unterstützung entworfenen Agende in den Gottesdienst der capitolinischen Gemeinde, seine Sanction. Hat doch Friedrich Wilhelm III. die zu seinen Gedanken nicht immer stimmende Arbeit drucken lassen und eigenhändig mit einem Vorwort versehen. Nach Rom brachte B. nur günstige Eindrücke heim; seine Stellung schien vollends gesichert, als im Herbst 1828 die römische Reise des Kronprinzen von Preußen den innigen Austausch zwei merkwürdig ähnlich gestimmter Seelen fest begründete. Unter dem Protectorat des geistvollen Fürsten gewann das Archäologische Institut (Instituto di corrispondenza archeologica) die erste Gestalt, bei dessen fernerem Gedeihen die eigentlichen Stifter Eduard Gerhard und B. stets unvergessen bleiben werden, und wurde nicht minder der Grund zum protestantischen Hospital gelegt, zwei segensreiche Anstalten, die seit 1835 in eigenen Localen neben der Gesandtschaft auf dem Capitol untergebracht sind. Im Bereich des ersteren betheiligte sich B. an der Erforschung der neu entdeckten etruskischen Alterthümer und begann, 1826 durch Champollion’s Anwesenheit angeregt, sich mit den Räthseln Aegyptens zu befassen, wofür er späterhin Richard Lepsius zu gewinnen wußte. Aus den hymnologischen Studien ging hervor: „Versuch eines allgemeinen evangelischen Gesang- und Gebetbuchs zum Kirchen- und Hausgebrauch“, Hamburg, F. Perthes, 1833. Später folgte: „Die heilige Leidensgeschichte und die stille Woche. Die Liturgie der stillen Woche in Musik gesetzt von Sigmund Neukomm“, Hamburg 1841, woraus sich die zweite veränderte Ausgabe des ersten Werks entwickelte, die ohne seinen Namen erschien: „Allgemeines evangelisches Gesangbuch“, Verlag des Rauhen Hauses zu Hamburg 1846. Daneben liefen amtliche Aufgaben, die Verhandlungen mit dem päpstlichen Stuhle und die durch die Julirevolution belebte große Politik. Angesichts der in Italien ausgebrochenen Bewegung machten die Vertreter der Großmächte das von B. entworfene Memorandum vom 21. Mai 1831, in welchem der Regierung des Kirchenstaats freilich vergeblich Reformation in der Richtung des Laienregiments angerathen wurde, zu dem ihrigen. B. hatte sich allmählich von Niebuhr’s düsterer Anschauung der Weltlage emancipirt und war ein Anhänger des Repräsentativsystems geworden. Die Freundschaft mit ähnlich gesinnten Engländern wie Thomas Arnold und Julius Hare, in Rom für das Leben geschlossen, verwandelte ihn in der Folge aus einem Tory in einen gemäßigten Whig. Inzwischen machte sich an der Curie und im Katholicismus überhaupt jener Geist geltend, der auf Trennung zwischen Kirche und Staat, auf autonome und zugleich hierarchische Gewalt ersterer hinarbeitete. Die Verhandlungen über die gemischten Ehen kamen nicht vom Fleck, weil sich kein Vergleich zwischen der einer jeden akatholischen Verbindung abholden Kirche und dem preußischen Landrecht finden ließ, welches die Mischehen als fördersam für das friedliche Zusammenleben der beiden Confessionen betrachtete, aber die Erziehung der Kinder ganz in die Hand des Vaters legte. Zwar gestattete das Breve Pius’ VIII. vom 25. März 1830 nun auch für die Erzdiöcese Köln, selbst wenn die katholische Braut keine Zusage wegen Confession der Kinder gegeben, die Ehe unter passiver Assistenz des Geistlichen zu einer legalen zu machen. Allein [544] vielen Gläubigen geschah hiermit nicht genug, und unter dem strengen Gregor XVI. wurde jener Erlaß bald mißgünstig interpretirt. B., zum Frühjahr 1834 wieder in Berlin, rieth im Einverständniß mit dem würdigen Erzbischof von Köln, dem Freiherrn v. Spiegel, der zaudernden Regierung zur Annahme jenes allerdings dehnbaren Zugeständnisses. So kam es in der That mit den Bischöfen der westlichen Sprengel zu der Uebereinkunft vom 19. Juni 1834. Obwol B. als außerordentlicher Gesandter nach Rom zurückgekehrt, vom Papst überaus gnädig empfangen wurde, hatte der Scheinfriede doch bald ein Ende. Curie und Klerus wollten unduldsam die Seelen nur für sich gewinnen, die preußische Regierung in ihrer paritätischen Haltung versäumte selber die Ausführung des Beschlossenen. Als Erzbischof Spiegel nach einem Jahre starb, während entstellte Berichte vom Rhein aus das gute Vernehmen zwischen Curie und Gesandtschaft untergruben, trat mit der Wahl des Freiherrn Droste v. Vischering der schroffste Umschlag ein. Der neue Erzbischof setzte sich über den Modus vivendi der Convention hinweg und verdammte gleichzeitig die hermesianische Lehre an der katholisch-theologischen Facultät zu Bonn. In ihrer Verlegenheit berief die Regierung im Sommer 1837 ihren Vertreter abermals nach Berlin zu den Verhandlungen, die am 20. November mit der gewaltsamen Abführung des Erzbischofs jäh abschlossen. Es war die freie Willensäußerung der absoluten Staatsgewalt, doch rechtfertigte B. ihr Verfahren in der „Denkschrift über die katholischen Angelegenheiten in den westlichen Provinzen Preußens vom 25. August“, in der er noch immer an dem friedlichen Beisammensein beider Kirchen festhielt. Vertrauensselig weigerte er sich seinen Posten in Rom mit der Stelle eines Generaldirectors des Museums in Berlin zu vertauschen und gab sich sanguinisch wie immer sogar zum Vermittler her, als er im December über Wien, wo er die Unterstützung des Fürsten Metternich gewonnen zu haben meinte, nach Rom zurückkehrte, um dort sofort sich seines Irrthums bewußt zu werden. Der am Rhein entbrannte Kampf, persönliche Verleumdung und die offene Feindschaft des Vaticans brachen über ihn zusammen. Der Papst verweigerte den Empfang, die Curie jede weitere Transaction. Demgegenüber erschien die preußische Regierung, noch lediglich der Polizeistaat und ohne alle Stütze in der öffentlichen Meinung, völlig rathlos. Diesem Conflict fiel B. nicht ohne eigene Schuld zum Opfer. Am 1. April 1838 erhielt er seine Entlassung in Form eines gnädigen Urlaubs. Nachdem er und die Seinen sich am 28. vom Capitol, aus jenen Pflanzungen, in denen sein Name fortlebt, losgerissen, zogen sie über die Alpen sich ein „neues Capitol“ zu suchen. Er rastete in München, froh des Wiedersehns mit Cornelius und Schnorr, des schöpferischen Verkehrs mit Schelling. Dort wurde ihm die Weisung, zunächst nicht nach Berlin zu kommen, sondern den Urlaub zur Reise nach England zu verwenden. Ueber ein Jahr verbrachte er in der Heimath seiner Frau. In London fesselte vorzüglich der geistige Austausch und das Parlament, daran schlossen sich Besuche in Oxford, bei Arnold in Rugby, in Wales etc. Er bewegte sich frei in den edelsten Kreisen der Tories und Whigs. Die kirchlichen Dinge boten den Hauptgegenstand der Discussion und der Arbeit. Dem jungen Gladstone, dessen Buch über Kirche und Staat eben erschienen war, verhieß er, daß er dereinst England regieren werde. Man irrt indeß, wenn man B. zeiht, sich damals der Lehre von der apostolischen Succession zugeneigt zu haben. Gleich Arnold verwarf er vielmehr alle katholisirende Richtung. Pusey und H. Newman durchschaute er sofort. Seit Ende 1839 als Gesandter in der Schweiz wieder angestellt, verlebte B. auf dem Hubel bei Bern eine in Stille und Arbeit erquickliche Zeit, aus welcher die als Handschrift gedruckte Ansprache: „Elisabeth Fry an die christlichen Frauen und Jungfrauen Deutschlands“, Bern 1842, stammt. Lebhaft wandte er sich fortan den Bestrebungen der inneren Mission, [545] insonderheit dem Diaconissenwesen zu. Nach der so manche Wendungen anbahnenden Thronbesteigung Friedrich Wilhelms IV. vermittelte B. die Berufung Stahl’s, ohne in ihm den Zerstörer der evangelischen Union zu ahnen, Schelling’s, Cornelius’, Felix Mendelsohn’s nach Berlin und die Rehabilition E. M. Arndt’s in seiner Bonner Professur. Im April 1841 berief ihn der König in innigster Zuneigung nach Berlin um ihm eine Specialmission nach England anzuvertrauen. Sie sollte, gestützt auf die jüngsten Erfolge der Cabinette im Orient, der protestantischen Körperschaft zur Anerkennung im türkischen Reiche verhelfen, vorzüglich die evangelische Gemeinde in Jerusalem sichern. Das war für Preußen und das evangelische Deutschland nur ausführbar, wenn sie sich an ein Unternehmen der englischen Kirche anlehnten. Aus den Unterhandlungen mit den namhaftesten Wortführern, von Whigs und Tories gefördert, ist das Bisthum von Jerusalem hervorgegangen, im Anschluß an die bereits bestehende Judenmission, zur Hälfte von England, zur andern von Preußen ausgestattet. Auch die Ernennung des Bischofs, der anglicanisch ist, alternirt, ohne daß eine Confession in die andere aufgeht oder ihr zu nahe tritt. Des Königs und Bunsen’s Gesichtspunkt hat letzterer unterstützt von H. Abeken dargelegt in der Schrift: „Das evangelische Bisthum zu Jerusalem“, Berlin 1842. Wie in England dieser Bund vorzüglich von den Puseyiten als ketzerisch verlästert worden ist, so fehlte es daheim nicht an thörichtem Argwohn, es solle auf Umwegen der protestantischen Kirche bischöfliche Weihe aufgedrängt werden. Des Königs freie Huld aber schuf einen neuen Wendepunkt in Bunsen’s Leben, indem er ihm noch vor Ablauf des Jahrs dem Wunsche der Königin Victoria entsprechend den hochwichtigen Posten seines Gesandten in London übertrug und 1845 die Ernennung zum Wirklichen Geheimen Rath hinzufügte. Seine Niederlassung in Carlton Terrace, zuerst Nr. 4, sieben Jahre später Nr. 9 (Prussia House, Eigenthum der preußischen Regierung) erhielt gleich zu Anfang besondere Weihe durch den Besuch Friedrich Wilhelms IV. als Pathen bei der Taufe des Prinzen von Wales im Januar 1842. In der Zeit politischer Windstille, als übergroße Hoffnung in Enttäuschung umschlug, bereitete er sich im Drang des Londoner Daseins durch seltene Arbeitskraft und unvergleichliche Gabe anzuziehen und einzuwirken eine Stellung, die ihn auf der Höhe der Thätigkeit und der Gesellschaft zu einem Organ des Austausches zwischen deutschem und englischem Leben gemacht hat, wie es noch keines gegeben. In einer unendlichen Fülle persönlicher Beziehungen, Pflichten und Arbeiten diente er seinem königlichen Herrn und Freunde. Ein Aufsatz: „Die Vollendung des Kölner Doms. Eine Stimme aus England“, zuerst in der Augsb. Allg. Zeitung 1842, Nr. 103–105, dann separat, die Betheiligung an dem Dombauproject in Berlin, der in England besorgte Ankauf der Teppiche Raphael’s für das Berliner Museum weisen darauf hin. Noch wichtiger war ein Aufenthalt in Berlin in der ersten Hälfte 1844 wegen des Ehescheidungsgesetzes und der bereits brennenden Verfassungsfrage. Im August begleitete er dann wieder den Prinzen von Preußen auf einer Rundreise durch England. Bei dem Gegenbesuch der Königin Victoria am Rhein im August 1845 war B. anwesend und sah den König nochmals in Berlin, ohne jedoch auf dessen Entschlüsse einwirken zu können. Bereits seit 1843 wurde es ihm klar, daß Fürst und Diener in den Grundanschauungen über Kirche und Staat auseinander gingen. Als endlich die Verfassung vom 3. Febr. 1847 erschien, verfehlte sie beides, Zeit und Ziel. Bunsen’s öffentliche Wirksamkeit blieb auf innige Verbindung der beiden protestantischen Großmächte gerichtet, wobei der Zollverein und der Sieg des Freihandels in England, die spanischen Heirathen und die Unterdrückung Krakau’s, der Sonderbundskrieg und die Stellung Neuenburgs nach der Reihe in Betracht kamen. An dem Vertrauen der Königin [546] Victoria und des Prinzen Albert, an der Freundschaft des Freiherrn v. Stockmar gewann er starken Halt. Sein religiöses Interesse war 1845 der Berliner Generalsynode und 1846 der ersten Vereinigung der evangelischen Allianz in London zugewendet. Das deutsche Hospital zu Dalston in Verbindung mit den Diaconissen von Kaiserswerth gedieh unter seiner thätigen Förderung. Dabei fand er Zeit zur Abfassung der Schrift: „Die Kirche der Zukunft“, Hamburg 1845 (ins Englische übersetzt 1847), anknüpfend an das Bisthum zu Jerusalem in Briefen an den Hochkirchenmann Gladstone zur Vertheidigung der Rechtmäßigkeit und Apostolicität der deutschen evangelischen Kirche; zur Herausgabe von „Ignatius von Antiochien. Sieben Sendschreiben an A. Neander“, Hamburg 1847; zu einem sprachwissenschaftlichen Vortrage (in „Three Linguistic Dissertations read at the Meeting of the British Association in Oxford – am 29. Juni 1847 – by Bunsen, C. Meyer and M. Müller“, London 1848); zu der Vollendung der ersten Stücke seines ägyptischen Werks, als eben Freund Lepsius von seiner Forscherreise am Nil zurückkehrte. So kam das Jahr 1848 heran. B. der sofort jede Privatbeschäftigung daran gab, hoffte mit der ganzen Kraft seiner Seele, die Aufrichtung eines deutschen Bundesstaats unter Preußens Führung werde im Einvernehmen mit der Frankfurter Nationalversammlung gelingen. Er that es, obwol stark verleumdet, als treuer Diener seines Herrn, wovon sich kein Geringerer als der Prinz von Preußen während seines Aufenthalts in Carlton Terrace überzeugte. Zwei Sendschreiben an das deutsche Parlament, in welches ihn die Schleswiger wählten, ohne daß er sie vertreten konnte, legten seine Auffassung dar: „Die deutsche Bundesverfassung und ihr eigenthümliches Verhältniß zu den Verfassungen Englands und der Vereinigten Staaten“, London 7. Mai 1848 und „Vorschlag für die unverzügliche Bildung einer vollständigen Reichsverfassung während der Verweserschaft“, Frankfurt a. M. 5. September 1848. Amtlich und als Patriot hatte er sich mit der schleswig-holsteinschen Frage zu befassen, die wie die ganze Bewegung in England fast allgemein auf Unverstand, Gleichgültigkeit und Eifersucht stieß. Das Wenige, was sich bei der Regierung und in der öffentlichen Meinung bessern ließ, war durchaus sein Werk. Bereits im April erschien sein „Memoir on the constitutional rights of the Duchies of Schleswig and Holstein, presented to Lord Palmerston“, London, Longmans 1848 („Denkschrift“ etc. Aus dem Englischen. Berlin 1848). In der Folge wurde er von Berlin und Frankfurt mit Bearbeitung der durch den Waffenstillstand von Malmö arg verfahrenen Angelegenheit betraut. Wol bewog ihn der steigende Conflict zwischen jenen beiden Polen, das Reichsministerium für die auswärtigen Angelegenheiten abzulehnen, doch besorgte er einstweilen die deutsche Vertretung in London, wo er doch einige Staatsmänner überzeugte, daß Oesterreich aus einem Gesammtdeutschland ausscheiden müsse. Im August war er auf Wunsch des Ministers Auerswald in Berlin und mit dem Könige und Reichsverweser beim Dombaufest in Köln. Hatte er schon früher seine Bestimmung darin erkannt, „oben am Mastkorb schauend zeitige Winke zu geben“, so verhehlte er dem tief erregten Könige das Ergebniß seiner Wahrnehmungen keinen Augenblick. Angesichts der „schwarzweißen Reaction“ schrieb er: „Die Macht der Zeit liegt in dem Streben Deutschlands zur Einheit. Von ihm hängt Leben und Tod ab.“ Bei abermaliger Anwesenheit in Berlin im Januar 1849, wo inzwischen die Wendung des Novembers eingetreten, stieß er in den ihm stets mißgünstigen Sphären bereits auf österreichische Gegenwirkung. Dennoch begab er sich im Einklang mit Graf Brandenburg nach Frankfurt, ostensibel in Sachen der Herzogthümer, in Wahrheit um bei Gagern und anderen nationalen Führern, die sein Herz erwärmten, den zaghaften, gerade auf Oesterreich und die Fürsten blickenden Gedanken des Königs als Fürsprech zu dienen. Als er am 11. Febr. [547] wieder in Berlin eintraf, war lange vor dem 3. April gegen Annahme der Kaiserkrone entschieden. B., nach London zurückgekehrt, sah dann in der Doppelstellung als preußischer und deutscher Staatsmann voll Schmerz in den nächsten Monaten alle großen Ziele schwinden, die Nationalversammlung Preis gegeben, den Bürgerkrieg zwar durch preußische Waffen unterdrückt, aber die Ehre seines Staats vor der Welt erniedrigt. Während die preußisch-deutsche Union, die auch ihm noch als Rettungsanker erschien, an der eigenen Mattherzigkeit wie dem falschen Spiele Anderer scheiterte und die Reaction in Berlin und Frankfurt weiter ausgriff, als nach der Bezwingung der Ungarn Oesterreich und sein Anhang auf Rußland gestützt über Hessen und Schleswig-Holstein hinweg zu Olmütz Preußen unter ihren Willen beugten und den Bundestag wiedereinsetzten, trachtete B. vergeblich über alles, was verloren ging, in England die Augen zu öffnen. Klagend bezeichnete er die Königin, den Prinzen Albert und Sir Robert Peel als die einzigen, die es doch ehrlich mit Preußen und Deutschland meinten. Die „Briefe des Germanicus“, die zu Anfang 1850 im Londoner Globe erschienen, stammten aus seiner Feder. Wol freute er sich der am 6. Februar vom Könige beschworenen preußischen Verfassung, aber sie hielt die Katastrophe nicht auf, die zu Ende des Jahrs den General v. Radowitz, als er ihr zum Opfer fiel, auf einige Zeit nach London und in sein Haus brachte. Der König selber hatte die beiden ihm innig vertrauten Männer zusammengeführt, die sich lange gekannt, nun aber in den Stürmen der Zeit gereift einander vollends erschlossen. Durch den König allein verblieb auch B. auf seinem Posten. Vergebens wurde von Oesterreich seine Entlassung gefordert und vom Ministerpräsidenten Manteuffel beantragt. An dem Entschluß, freiwillig zurückzutreten und sich zunächst in Form eines einjährigen Urlaubs in Rom niederzulassen wurde er durch eine ernstliche Erkrankung behindert. Noch hoffte er von Schleswig-Holstein das Aeußerste abzuwenden und hatte im Juli 1850 Betheiligung an den von den übrigen Mächten in London gepflogenen Conferenzen mannhaft zurückgewiesen. Gleichwol entschloß er sich späterhin „um dem Könige sein Opfer nicht noch schwerer zu machen“, das Protocoll vom 8. Mai 1852, welches die Herzogthümer einer nie vorhandenen Integrität der dänischen Monarchie opferte, zu unterzeichnen, vielleicht der dunkelste und wenigst tadelsfreie Schritt seines Lebens. Mancher Andere wäre den erschütternden Stößen, welche jene Jahre Leib und Seele versetzten, erlegen, B. vermochte, nachdem er nicht mehr in die Speichen des rückwärts rollenden Rades eingreifen konnte, durch die unvergleichliche Elasticität seines Wesens und bald auch wieder durch ungewöhnliche Thätigkeit auf anderen Gebieten sich aufrecht zu erhalten. Er war das eigentliche Bindeglied der auf englische und preußische Kosten von Richardson, von Barth, Overweg und Vogel nach Centralafrika unternommenen Entdeckungsreise. Er betheiligte sich an der Vorberathung der vom Prinzen Albert ins Leben gerufenen ersten großen Weltausstellung des Jahres 1851. Auch nach dem Tode des hochverehrten Peel, des Vorsitzenden der Commission, der auf dem Sterbebette wiederholt sein Verlangen nach B.[WS 1] aussprach, widmete dieser dem großen Unternehmen treue Theilnahme, war von dem mächtigen Eindruck der Eröffnung und den hochgespannten Hoffnungen für das Friedensglück der Nationen ergriffen und freute sich der Anwesenheit des Prinzen und der Prinzessin von Preußen, deren Reise als nach einem von Verschwörern erfüllten Lande die Berliner Schwarzseher auf jede Weise zu hintertreiben gesucht hatten. Daneben aber hatte er die ernsten Studien seines Lebens wieder aufgenommen. Mit den Documenten des Urchristenthums vor sich begann er ein schon früher entworfenes „Leben Jesu“ zu überarbeiten, nahm das ägyptische Werk wieder auf und wagte sich an die Grundelemente des chinesischen Sprach- und Schriftsystems um dessen Zusammenhang mit dem Aegyptischen darzuthun, als [548] eine auf dem Berge Athos entdeckte Handschrift Φιλοσοφοίμενα ἤ κατὰ πασῶν αἱρέσεων ἔλεγχος von E. Miller in Paris 1851 herausgegeben und dem Origenes beigelegt, ihn nicht nur auf die Fährte des wahren Verfassers brachte, sondern seinen theologisch-kirchengeschichtlichen und philosophisch-sprachwissenschaftlichen Forschungen zu einem gemeinsamen Schwerpunkt verhalf. Mit unverwüstlicher Arbeitskraft veröffentlichte er: „Hippolytus and his age; of the doctrine and practice of the Church of Rome under Commodus and Alexander Severus; and ancient and modern Christianity and Divinity compared“, London, Longmans 1852, 4 Vols. Der erste Band handelt in fünf Sendschreiben an Julius Hare über den wirklichen Autor der neu entdeckten Schrift, den heiligen Märtyrer Hippolytus, der im dritten Jahrhundert Bischof von Portus bei Rom war, über die Lage der Kirche, wie sie sich aus diesem urkundlichen Bruchstück ihres inneren Lebens ergibt. Im zweiten Bande sind von B. schon früher entworfene Aphorismen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit, vorzüglich der Religionsgeschichte, verbunden mit einer Anwendung auf Glauben und Cultus jener nachapostolischen Kirche. Daran reiht der dritte die Liturgie sowie die Constitutionen und Canones der ältesten Gemeinde nicht nur kritisch aus den Documenten selber auf die ursprünglichen Formen zurückgeführt, sondern zu einem lebensvollen Bilde des Daseins im häuslichen wie im öffentlichen Gottesdienst gestaltet. Der vierte Band beginnt mit einer Vertheidigungsrede des Hippolytus an das englische Volk, einer sokratischen Nachbildung, in welcher B. die eigene Stellung zum Evangelium, seine Auffassung des Verhältnisses der Gegenwart zum Urchristenthum darzulegen sucht. Dann folgen Reliquiae Liturgicae, die ältesten Bücher der orientalischen wie der abendländischen Kirche, lateinisch edirt und dem Andenken Niebuhr’s gewidmet. Gleichzeitig erschien in deutscher Uebersetzung: „Hippolytus und seine Zeit“, 2 Bde., Leipzig, F. A. Brockhaus, 1852. 1853. Form und Tendenz jedoch erzielten, weil mehr auf die Engländer berechnet, kaum eine volle Wirkung; auch stieß sich die deutsche Gelehrtenwelt an der kühnen Phantasie, mit welcher B. seine Ideen rasch in Thatsachen umzusetzen pflegte, allein die besondere Vorrede, ein „geharnischtes Vorwort“ für Regierungen und Volk, in welchem er seine im Leben und ernsten Nachdenken gereiften innersten Ueberzeugungen muthig aussprach, erwarb ihm viele aufmerksame Leser, freilich auch solche, die in unbeweglicher Geistesrichtung an ihm irre wurden. In England jedoch erschien schon 1854 als Frucht des eisernsten Fleißes eine neue Ausgabe oder vielmehr eine Erweiterung zu drei eigenen unter sich lose verbundenen Werken unter dem Gesammttitel: „Christianity and Mankind. Their Beginnings and Prospects“. Die beiden ersten Bände: Historical Section: Hippolytus and his age; or beginnings and prospects of christianity, erscheinen in mehr kirchengeschichtlicher Darstellung mit den Briefen an Hare und der Apologie im Anhang. Zwei weitere Bände: Philosophical Section: Outlines of the philosophy of universal history applied to language and religion entwickelte anschließend an Beiträge von Max Müller und Th. Aufrecht über den Stand der vergleichenden Sprachkunde Bunsen’s eigenste Ideen von dem Sprache, Gottesbewußtsein und Bestimmung der Menschheit durchziehenden Bande. Zu drei Bänden endlich ist angewachsen: Philological Section: Analecta Antenicaena 1. Reliquiae literariae, 2. Reliquiae canonicae, 3. Reliquiae liturgicae als ein Urkundenbuch zur Geschichte der nachapostolischen Kirche. In unersättlicher Lust zu schaffen that sich B. selber nie genug. Auch „Aegyptens Stelle in der Weltgeschichte“, dessen drei ersten Bände 1845 Hamburg, dessen vierter und fünfter 1856 und 1857 Gotha bei Perthes erschienen, verdankt den Riesenanstrengungen dieser Jahre das Allermeiste. Die englische Uebersetzung: „Egypt’s Place in universal history, translated by H. Cottrell with additions by Samuel Birch“ [549] I–V, 1848–1867 London, Longmans ist vom Verfasser, der auf diesem Gebiete rastlos thätig blieb, in eine neue Bearbeitung umgeschaffen. B. war einer der Ersten die an die große Entdeckung Champollion’s anknüpften, und verfolgte, obwol in beständigem Arbeitsaustausch mit Lepsius, Birch u. A. untersuchend und darstellend doch seinen eigenen Weg. Er will gestützt auf Urkunden und Geschichte des alten Aegyptens durch Synchronismus der arischen, semitischen und chinesischen Culturwelt die Epochen bis zu den Anfängen der Menschheit hinaufsteigen. Die Ideen seiner akademischen Jugend, in denen sich bereits Sprache und Geschichte, Philosophie und Religion verschlangen, gewinnen in diesem Werke faßlich wissenschaftliche Gestalt. Und noch zu manchem anderen fand er Zeit. Der Uebersetzung von Niebuhr’s Leben und Briefen durch Miß Winkworth wird von ihm ein längeres Sendschreiben: „Niebuhr’s Political Opinions and Character“, 31. Oct. 1852 hinzugefügt, und ähnlich „Letter to Miss Winkworth“, 11. Mai 1854, der von ihr übersetzten, von B. hochgeschätzten „Deutschen Theologie“. Bis zur letzten Stunde seines englischen Daseins druckte und corrigirte er an seinen Werken, denn inzwischen wurde nochmals ein Abschied von ihm gefordert, nicht minder bitter als der einst von Rom gewesen. Nachdem er sich zu Anfang 1852 entschlossen hatte auf seinem Posten auszuharren, mußte er zwar viel über sich ergehen lassen, stand aber mit ungebrochenem Muth stets für seine Ueberzeugung ein. So hat er die von einer ständischen Rückwandlung bedrohte preußische Verfassung beschirmen helfen und nach Einsetzung des zweiten Napoleonischen Kaiserthums zur Erhaltung des allgemeinen Friedens redlich mitgewirkt. Voll sanguinischer Hoffnungen erblickte er in der orientalischen Krisis des Jahrs 1853 eine Schicksalserfüllung, die Deutschland und Preußen wieder zu Ehren bringen müsse. In seinen Denkschriften äußerte er sich freimüthig gegen das Protectorat, welches Kaiser Nicolaus dem Vaterlande ansann und drang auf Preußens Anschluß an die Westmächte. Während die englische Presse den zaudernden König mit Hohn bewarf und das Londoner Cabinet seinen Gesandten bestürmte, gab er, wie er am 4. März 1854 nach Berlin telegraphirte, Lord Clarendon die Erklärung ab, Preußen müsse zuvor an seiner Nordostgrenze Sicherheit erhalten und für Rußlands Erniedrigung in der Ostsee Sorge getragen werden. Das stürzte ihn schon am folgenden Tage. Der König hatte triftige Gründe, seinem Lande den Frieden zu wahren; Herr v. Manteuffel opferte alle Gegner Rußlands bereitwillig der Kreuzzeitungspartei; und, nachdem sogar Bunsen’s Depeschen in geheimnißvoller Weise aus dem königlichen Cabinet in die Hände des russischen Gesandten gespielt worden, triumphirte die Camarilla. Der König selber hätte ihn halten mögen, der Prinz von Preußen that sein Möglichstes. Einen Urlaub wollte er nicht nehmen, sondern definitiv ausführen, was ihm schon einige Jahre zuvor wünschenswerth erschien. Auf sein Entlassungsgesuch erfolgte endlich die Abberufung, und am 17. Juni verließ er London, aus allen Sphären, hoch und niedrig, öffentlich und häuslich mit Aeußerungen der aufrichtigsten Theilnahme und Verehrung begleitet. Wie schwer auch die Trennung von der dritten Heimath, in welcher er zahllose Wurzeln geschlagen und mehrere Kinder verheirathet hatte, die Elasticität seines Geistes half ihm abermals. Sofort begründete er sich in der Villa Charlottenburg bei Heidelberg, außerhalb Preußens, obwol nunmehr Bonner Bürger, aber am Sitze einer deutschen Hochschule Häuslichkeit und Arbeitsstätte. Der amtlichen Thätigkeit enthoben schöpfte er aus Berührung des vaterländischen Bodens neue freudige Kraft für den Dienst der geistigen Freiheit seiner Nation. Ohne Unterbrechung wurden die weitreichenden Arbeiten wieder aufgenommen und mit gelehrten Freunden in der Nähe oder auf Ausflügen nach Bonn und Göttingen besprochen. Die kirchlichen Fragen der Gegenwart jedoch, die ultramontane Aggression (unbefleckte Empfängniß, Bonifaciusfeier, [550] Bischof Ketteler von Mainz) so gut wie das unionsfeindliche Treiben der Lutheraner (Stahl und Hengstenberg), worüber er auf des Königs Anregung freimüthig auch mit diesem correspondirte, gaben zunächst Veranlassung zu der populären und weit hinauswirkenden Schrift: „Die Zeichen der Zeit. Briefe an Freunde über die Gewissensfreiheit und das Recht der christlichen Gemeinde“, Leipzig, 2 Bde. 1855. Es sind zehn Briefe an E. M. Arndt gegen drei Feinde: die Ultramontanen, die Confessionalisten, den verfolgungssüchtigen Despotismus der Gegenwart. „Die Rettung liegt in dem Glauben an die ewige und göttliche Wahrheit.“ Das Heil der Völker, der romanischen wie der germanischen, ist nur „gesetzliche und religiöse Freiheit“. Heftige Erwiderungen wie die Stahl’s nützten dem Buch ungemein, das wie eine That zu rechter Zeit lauten Beifall hervorrief und rasch nach einander drei Auflagen erlebte. Den Händen des Verfassers entwuchs bereits ein anderes Werk: „Gott in der Geschichte oder der Fortschritt des Glaubens an die sittliche Weltordnung“, Leipzig, 3 Bde. 1857, 1858, das sofort auch ins Englische und Französische übersetzt wurde. B. faßt hier die Grundanschauungen zusammen, denen er von Jugend auf Nachdenken und Forschen gewidmet hatte, die Selbstoffenbarung Gottes in den Nationen, bei den alten Hebräern wie bei den Hellenen, in der Weisheit der Orientalen wie in den Liedern der Edda, in dem Gegensatz der mittelalterlichen und der evangelischen Kirchen. Mit dem Gesetz des sich entwickelnden Gottesbewußtseins wird zugleich das Gesetz und das Ziel des menschlichen Fortschritts überhaupt erkannt. Auch hier drang er auf das freie Walten der christlichen Gemeinde, in welcher der Geist Gottes wirkt, stieß aber den Gelehrten durch manche allzu kühne Hypothese, vielen kirchlich Frommen durch pantheistische Anklänge vor den Kopf. Während er daneben Zeit fand eine in Edinburgh erscheinende Uebersetzung von Freytag’s Roman „Soll und Haben“, die deutsche Uebersetzung einer Predigt des Schotten Caird: „Die Religion im gemeinen Leben“, auf Wunsch der Verleger mit Vorreden zu versehen, in inniger Uebereinstimmung mit Richard Cobden für die Friedensgesellschaft ein Memoire über ein Weltschiedsgericht zu entwerfen und 1857 für die bei Black in Edinburgh erscheinende „Biographia Britannica“ den Artikel Luther zu schreiben, woraus sich sofort der Riesenplan entwickelte, dem deutschen Volke seinen gewaltigsten Mann in einem geschichtlichen Gemälde selbstschildernd vorzuführen, wandte er die volle Kraft der Aufgabe zu, die ihm für die letzten Jahre Lebensberuf wurde. Aus langjährigen Vorstudien über Psalmen, Propheten, Leben Jesu, Evangelienharmonie, in der Muße zu Heidelberg erwuchs: „Bunsen’s vollständiges Bibelwerk für die Gemeinde“, Leipzig, 9 Bde. 1858–70. Es bietet auf Grund der lutherischen revidirten Uebersetzung die Schriften alten und neuen Testamentes mit umfangreichem Apparat, insonderheit einem laufenden Commentar, und ist bestimmt den halb versunkenen Schatz, das Wort Gottes, dem allein die Kraft Kirche und Gemeinde zu verjüngen entströmt, von neuem zu heben. Bei der gewissenhaften philologischen Durcharbeitung des ungeheuern Stoffs gingen ihm die Doctoren Haug und Kamphausen zur Hand; die letzten Abtheilungen sind nach seinem Tode von H. A. Holtzmann bearbeitet. Außer Herstellung des deutschen Textes aber wird dem Volke, damit es selber urtheile, im Gegensatz zu der Inspirationstheorie aus den „Bibelurkunden“ Kritik und Geschichte der Bücher aufgerollt. Als Gemeingut Aller, nicht als verschlossener Schatz der Theologen, als Zeuge der ewigen Wunder Gottes und nicht von Mirakeln erscheint ihm die Bibel. „Die Menschheit besitzt in ihr eine wahrhaftige Gottesgeschichte mit dem Evangelium als ihrer Blüthe und mit der Persönlichkeit Jesu Christi, des Sohnes Gottes, als ihrem Heiligthum.“ Welche Schwächen und Schattenseiten dabei auch hervortreten mögen, B. unterzog sich der Aufgabe mit voller Wahrhaftigkeit und [551] heiligem Ernst. Zwei Bände, einen großen Theil des alten Testamentes sah er noch vollendet, anderes war druckfertig, dem neuen Testamente, in welchem das immer wieder umgearbeitete Lebensbild Jesu Christi als der vollen persönlichen Offenbarung Gottes, nicht als Product der Mythenbildung und deshalb auch im Gegensatz zu der Tübinger Schule im Anschluß an das Evangelium Johannis den Mittelpunkt bildet, waren die schmerzensfreien Stunden seines letzten Lebensjahres gewidmet. Die von ihm aufgezeichneten Bruchstücke sind dem Denkmal eingefügt, das ihm seine Mitarbeiter in der Vollendung des Bibelwerks zu setzen geholfen haben. B. erfreute sich in Heidelberg des regsten Verkehrs mit ansässigen Gelehrten und Freunden und sehr vielen, die aus Deutschland, England, Frankreich und Amerika ihn zu besuchen kamen. Auch das Band, welches ihn mit dem König verknüpfte, war nicht gerissen. Im Septbr. 1855 hatten sie eine kurze Begegnung auf dem Bahnhof zu Marburg, wo jedoch die bedrängte Lage der evangelischen Kirche nicht berührt werden konnte. Aber trotz aller Abweichung ließ Friedrich Wilhelm nicht von ihm und ruhte nicht, bis der alte Freund zur Versammlung der Evangelical Alliance im September 1857 drei Wochen hindurch sein Gast im Berliner Schloß war. Alle Anschwärzungen mit Hinweis auf die neuesten Schriften Bunsen’s vermochten die vertrauensvolle Liebe des Fürsten nicht zu entwurzeln, dem ebenfalls im Grunde des Herzens das Christenthum mehr galt als alles Blendwerk der Dogmatik. Beide tauschten noch einmal von Mund zu Mund ihre Gedanken. In einem freimüthigen Vortrag combinirte B. behufs gegenseitiger Verständigung den Baustil des für Berlin projectirten Domes mit der Selbständigmachung der evangelischen Kirche. Am Tage seiner Abreise, dem 3. Oct., wurde der König von dem Schlaganfall gerührt, der den traurigsten Zustand und schließlich das Ende herbeiführte. Einer seiner letzten Acte war Bunsen’s Berufung in das Herrenhaus und seine Erhebung zum Freiherrn gewesen. Bisher hatte dieser wie Niebuhr eine Standeserhöhung stets von sich gewiesen, jetzt fügte er sich in der Hoffnung, daß einer seiner Söhne den entsprechenden Grundbesitz erwerben werde. Dem Herrenhause wohnte er nur einmal bei im October 1858, als mit der Einsetzung der Regentschaft des Prinzen von Preußen die von ihm herzlich begrüßte neue Wendung anhub. Bei dieser Gelegenheit sah er Berlin und Alexander v. Humboldt zum letzten Mal, mit dem ihn seit 1816 die freundschaftlichsten Beziehungen verbunden hatten, deren Andenken er sich auch durch die boshaften Publicationen aus Varnhagen’s Nachlaß nicht verkümmern ließ (s. Briefe von Alexander v. Humboldt an Bunsen, Leipzig 1869, S. 211 ff.). Die Huld des Fürsten hätte ihn gern wieder herangezogen, er selber dachte nur vorübergehend daran, denn außer seinen Arbeiten gebot ihm der Zustand seiner Gesundheit darauf zu verzichten. Gesteigerte asthmatische Beschwerden, deren Vorboten sich schon seit Jahren meldeten, nöthigten ihn im Winter von 1858 auf 1859 unter der liebevollen Pflege der Seinen, stets unermüdlich thätig, in Cannes ein milderes Klima aufzusuchen und froh über den scheinbaren Erfolg denselben Aufenthalt im nächsten Winter zu wiederholen. Das zweite Mal nahm er den Weg über Paris, wo ihn der Umgang mit alten und neuen Bekannten, darunter auch E. Renan, ungemein anzog. In Cannes stand er am Sterbelager des hochverehrten Tocqueville. Sehnsüchtig aber blickte er über das Wasser nach dem geliebten Italien hin, das er im Morgenroth seiner jungen Freiheit wieder zu erblicken verhoffte. Treffend hatte er im voraus die Krisis erfaßt; im Vertrauen auf Napoleon und Cavour, von gleichem Enthusiasmus mit Garibaldi zürnte er der Apathie der Heimath, zumal der österreichischen Strömung in Süddeutschland. Die eigene prophetische Natur sah stets die Ideale ihrer Verwirklichung nahe, wie oft er sich auch im Einzelnen täuschen mochte. [552] Der Haltung Preußens zollte er Beifall, verkannte aber mit dem Liberalismus die neue gesetzliche Ordnung des Militärdienstes, denn wie Cobden die Rüstung zur See hielt er die Verstärkung zu Lande für unnöthig. Weniger erquickt war er im Mai 1860 aus dem Süden zurückgekehrt nach Bonn, wo er endlich den alten Wunsch erfüllt und eine eigene Wohnung erworben hatte, in der Hoffnung, gleich Niebuhr noch als Lehrer auf die akademische Jugend wirken zu können. Allein die Aeußerungen des unheilbaren Herzübels wurden immer heftiger, die Stunden schmerzensfreier Arbeit und ungetrübter Lebensfreude seltener. Am 25. August feierte er zum letzten Male seinen Geburtstag im Kreise der Familie und der Freunde, die auch aus der Ferne ihn zu besuchen kamen. Nur der Geist blieb frisch und lebendig trotz fürchterlicher Beklemmungen, denen er mehrmals zu erliegen meinte. Voll Ergebung in den Willen Gottes als der ewigen Liebe nahm er Abschied mit Segensworten für die Gegenwärtigen und Abwesenden, im Gebet für das Vaterland, für Preußens Königshaus, für Italien und England. Im Bewußtsein, für das Reich Gottes gearbeitet zu haben, war er bereit aus der Welt zu scheiden „ohne Haß gegen irgend jemand“, ohne Furcht vor den Schrecken des Todes. Um 5 Uhr Morgens am 28. November hatte die letzte Stunde geschlagen. Am 1. December beim scheidenden Strahl der Sonne trug man den Sarg hinaus auf den Bonner Kirchhof, wo er unfern von Niebuhr und Arndt beigesetzt worden ist. Neben Rang, Titel und Orden erfreute er sich noch mehr der wissenschaftlichen Ehren: 1839 hatte ihn die Universität Oxford, 1853 die von Edinburgh zum Ehrendoctor der Rechte creirt; 1857 wurde er wirkliches Mitglied der Berliner Akademie, 1859 correspondirendes der Académie des Inscriptions et Lettres. Neben der Liebe der Seinen hat selten jemand in so reichem Maße Freundschaft erworben und erwiedert. Wie er die Dienste Anderer zu benutzen verstand, hat er uneigennützig eine große Menge strebsamer Männer auf ihrer Lebensbahn gefördert. Ein Werkzeug der Liebe, des Hoffens und des Glaubens hat er nach den verschiedensten Richtungen des Lebens in Kirche und Staat das Licht, das ihn durchströmte, scheinen lassen, dessen Wirken und Andenken durch menschliche Schwäche und Irrthum nicht verdunkelt werden.

A Memoir of Baron Bunsen, late Minister Plenipotentiary and Envoy Extraordinary of His Majesty Frederic William IV at the Court of St. James. By his Widow Francess Baroness Bunsen. In two Volumes. London, Longmans 1868. Christian Karl Josias Freiherr v. Bunsen. Aus seinen Briefen und nach eigener Erinnerung geschildert von seiner Wittwe. Deutsche Ausgabe, durch neue Mittheilungen vermehrt von Friedrich Nippold. Leipzig, F. A. Brockhaus. 3 Bde. 1868–1871. Unsere Zeit, 1861. S. 337–377 (von Heinrich Abeken) und Herzog’s Realencyklopädie der Theologie XIX. S. 277–295 von Kamphausen.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Punkt fehlt in der Vorlage