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Artikel „Lepsius, Karl Richard“ von Édouard Naville in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 51 (1906), S. 659–670, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Lepsius,_Karl_Richard&oldid=- (Version vom 24. November 2024, 10:24 Uhr UTC)
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Lepsius: Karl Richard L., 1810–1884. Am 23. December, am selben Tage wie Champollion, aber 20 Jahre später, ward Karl Richard Lepsius geboren, in Naumburg in Thüringen. Sein Vater, sächsischer Finanzprocurator, war ein strenger Beamter von vornehmer Haltung, dazu ein Mann von unermüdlicher Arbeitskraft, der die Muße, die ihm seine officielle Thätigkeit gewährte, in Forschungen verbrachte über die mittelalterlichen Bauten, an welchen Naumburg reich ist.

Als zwölfjähriger Knabe wurde der junge Richard in das naheliegende Gymnasium von Schulpforta aufgenommen, eine Bildungsanstalt, die sich schon damals eines hohen Rufes erfreute. Er gehörte zu den hervorragendsten Schülern der Anstalt und zeigte von vornherein Anlagen zu philologischen und historischen Studien. Sein Vater hatte sie in dem jungen Knaben schon frühzeitig erkannt, er hatte ihm diese Forschungen als Ziel seines Lebens von ferne gezeigt. Die tüchtigen Gelehrten und Pädagogen von Schulpforta haben auch wesentlich dazu beigetragen, ihren Schüler in diese Richtung zu lenken.

Um Ostern 1829 bestand er mit den besten Zeugnissen das Abiturientenexamen, das ihm den Zugang zu den Universitätsstudien eröffnete, welche er erst in Leipzig, später in Göttingen und Berlin durchführte.

Die zwei Semester, welche er in Leipzig verbrachte, waren eine Zeit des Schwankens in seinen Plänen und der Vorbereitung zu einem festen Entschluß. Obwol er immer mehr Neigung zur Philologie fühlte, sah er noch nicht ganz deutlich, welcher Richtung er folgen würde. Außerdem kann man aus seinen Briefen urtheilen, daß im Kreise der ausgezeichneten Lehrer der sächsischen Universität, unter welchen weltberühmte Philologen wie Gottfried [660] Hermann sich befanden, er doch nicht den Mann fand, der auf ihn einen entscheidenden Einfluß ausübte.

Anders war es in Göttingen, wo er am 8. Mai 1830 anlangte. Damals konnte sich die Georgia Augusta eines besonderen Glanzes rühmen, den sie einer Anzahl von Männern ersten Ranges verdankte, wie man sie in der Geschichte der deutschen Universitäten nicht oft gesehen hat. Otfried Müller, Dissen, Heeren, Dahlmann, die Brüder Grimm, Ewald waren in voller Thätigkeit. Der Studiosus L. war ein begeisterter Zuhörer Otfried Müller’s. Unter dessen Einfluß entschied er sich für den archäologischen Theil der Philologie, ohne den grammatischen aus den Augen zu verlieren. Dabei war er ein fleißiger Schüler Ewald’s, der ihn durch die Sanskritgrammatik in das neue Feld der allgemeinen Sprachvergleichung einführte. Was Geschichte betrifft, haben ihm Heeren und Dahlmann die richtige Methode gezeigt. Obwol Aegypten ihm noch ganz fremd blieb, so ist doch die Göttinger Zeit für L. entscheidend gewesen. Sie hat ihm seinen wissenschaftlichen Gesichtskreis außerordentlich erweitert, im Sinne der neuen Forschung, in welcher er später ein bahnbrechender Vertreter werden sollte. Wie sein berühmter Schüler und Biograph Ebers sich ausspricht: „Griechisch und Lateinisch zu lernen, genügte ihm nicht mehr, und wenn ihm auch Hermann’s rationale Auffassung der Grammatik … immer noch Bewunderung einflößte, so hatte er sich doch entschlossen, nicht mehr dessen Wegen zu folgen, sondern das Alterthum in seiner zusammenhängenden Entwicklung ins Auge gefaßt. Es galt ihm den Ursprung und die Beziehungen der alten Sprachen zu einander, das Erwachen und Erblühen der Kunst und des Seelenlebens der Alten zu erforschen.

Mit den ehrenvollsten Testaten versehen, begab sich L. 1832 nach Berlin. Seine ersten Erfahrungen kann man wol eine Enttäuschung nennen, deren Grund hauptsächlich die mangelhafte Vortragsweise hervorragender Gelehrten wie Boeckh, Lachmann, sogar Schleiermacher war, welche im Vergleich mit der vollendeten Lehrkunst, wie er sie zwei Jahre lang in Göttingen genossen hatte, einen ungünstigen Eindruck auf ihn machte.

Am übelsten waren die Collegien des Vaters der Sprachvergleichung, Bopp. Aber die persönlichen Beziehungen, die L. mit dem berühmten Lehrer schloß, waren ihm von sehr großem Nutzen, und er erkannte selbst, wie viel er Bopp zu verdanken hatte. In Berlin machte er auch die Bekanntschaft des ausgezeichneten Archäologen Gerhard, damals Secretär des archäologischen Instituts in Rom. Gerhard nahm sogleich ein lebhaftes Interesse an der Arbeit, die L. für seine Doctordissertation gewählt hatte: die Erklärung der sieben Bronzetafeln von Gubbio, die sogenannten „Eugubinischen Tafeln“, welche in oskischer und lateinischer Sprache verfaßt sind („De tabulis Eugubinis“, Diss. philologica. Ber. 1833). Diese Arbeit, die L. den Doctortitel mit den höchsten Ehren 1833 einbrachte, erregte ein großes Aufsehen in der Gelehrtenwelt. Es war hauptsächlich eine Entzifferung und eine vortreffliche Vorbereitung zu den Arbeiten, die bald das Hauptziel seiner wissenschaftlichen Thätigkeit werden sollten, wenngleich zu jener Zeit Aegypten und die hamitischen Sprachen dem jungen Archäologen und Linguisten noch ein völlig unbekanntes Feld waren.

In den dreißiger Jahren galt Paris als „der Mittelpunkt des geistigen Lebens der Welt“. Die ausländischen jungen Gelehrten kamen in Menge in die französische Großstadt, um ihren Studien den letzten Schliff zu geben und dabei die wissenschaftlichen Reichthümer und Sammlungen auszubeuten. Am 14. Juli 1833, ein Jahr nach dem Tode Champollion’s, kam L. in Paris an. Sehr bald fühlte er sich von den Vorlesungen angezogen, die Letronne im [661] Collège de France gab. Letronne war zwar Hellenist, aber er war der Freund Champollion’s gewesen, er war völlig in die Entdeckungen des Meisters eingeweiht, er wußte, wie Champollion dazu gekommen war, er hatte die Polemik verfolgt, die die Entzifferung der Hieroglyphen verursacht hatte. Außerdem war er ein scharfer Kritiker, der nur das Unbestreitbare gelten ließ. Letronne’s Vorlesungen erweckten in L. ein starkes Mißtrauen gegen Champollion’s Entdeckungen. Dieses Mißtrauen war ihm, unseres Erachtens, von großem Nutzen am Anfang seiner wissenschaftlichen Laufbahn und in den besonderen Verhältnissen, in denen er sich befand.

Im October 1833 war ihm ein doppelter Antrag gestellt worden. Bunsen, damals preußischer Minister beim päpstlichen Hofe, schlug ihm vor, nach Rom zu kommen, um sich dort erstens mit einer Sammlung umbrischer, okischer und etrukischer Inschriften zu befassen, und zweitens sich mit allem Ernst dem Studium der Schrift und Sprache der alten Aegypter hinzugeben. Der erste Antrag sagte ihm von vornherein zu; er war die natürliche Folge seiner früheren Arbeiten. Hingegen erweckte der zweite in ihm die größten Bedenken; und doch hatte ihm Gerhard einmal in Berlin gesagt, wenn er jünger wäre, würde er sich selbst dem Studium der Hieroglyphen widmen. Dennoch schlug L. nicht ab, und nachdem er sich einige Wochen über diese wissenschaftliche Lebensfrage besonnen, schrieb er an Bunsen am 12. December 1833 einen Brief, in welchem, nachdem er manche äußerliche Umstände behandelt, er mit den folgenden Worten schließt: „Hätte ich mich vor allen Dingen durch die bisher schon zugänglichen Quellen, besonders durch Champollion’s Grammatik, wirklich überzeugt, daß die gelegten Fundamente durch eine gewissenhafte und wissenschaftliche Behandlung zu weiteren Resultaten Hoffnung machten, so würde ich mit Freuden alle meine Kräfte, Zeit und Fleiß einem Gegenstande widmen, dessen Weiterförderung mit Recht das allgemeinste Interesse in Anspruch nehmen muß; dessen Bearbeitung aber für jetzt immer nur wenigen Begünstigten anheimfallen kann“.

Dieser Brief, der eine ermunternde Antwort Bunsen’s zur Folge hatte, hat L. zum Aegyptologen gemacht. Seinen Schülern, und unter ihnen dem Verfasser dieses Artikels, hat er öfters wiederholt, daß vor Bunsen’s Antrag er nie an ägyptische Studien gedacht hatte. Mit feurigem Eifer und unermüdlichem Fleiß warf sich L. auf sein neues Fach. Er blieb noch zwei Jahre lang in Paris, studirte koptisch, las alles, was sich auf Hieroglyphen bezog, und prüfte alles mit der streng wissenschaftlichen Methode, die er in seinen früheren Arbeiten angewandt hatte. Er studirte gründlich das Musée Charles X., etc., eine Sammlung, die der König auf Champollion’s Rath erworben hatte. Er copirte alte Inschriften und hatte sogar Einsicht in die Papiere Champollion’s, besonders in die Grammatik, die im Druck erschien, als L. Paris verließ. Seinem Gönner und späteren Freunde Bunsen berichtete er regelmäßig über den Gang seiner Studien; und da die Berliner Akademie ihn finanziell unterstützt hatte, schickte er einen sehr interessanten Bericht über das Fortschreiten seiner Arbeiten, auch über die Art und Weise, wie die Zweifel, welche er an der Richtigkeit des Champollion’schen Systems früher gehegt hatte, allmählich verschwunden waren.

In seine Pariser Zeit gehören zwei Abhandlungen, die der Berliner Akademie vorgelegt wurden: „Ueber die Anordnung und Verwandtschaft der semitischen, indischen, altägyptischen und äthiopischen Alphabete“ (Berlin, Abhandl. der Akademie, 1835), „Ueber den Ursprung und die Verwandtschaft der Zahlwörter, in der koptischen, semitischen und indogermanischen Sprache“ [662] (Berlin ebd. 1836). Es sind die Resultate seiner neuen Studien; in beiden räumte er dem Altägyptischen seinen Platz ein.

L. trennte sich schwer von Paris, wo er sein festes Lebensziel gefunden, und wo außer seinem großartigen wissenschaftlichen Erwerb, er viel Wohlgefallen erweckt hatte durch seine vornehme Persönlichkeit, seine ruhige und feine Haltung in Gesellschaft. Die Natur hatte ihn mit einer schönen, imposanten Gestalt begabt, und in seinem ganzen Benehmen war er durchaus, was der Franzose „homme du monde“ nennt. Er hinterließ in Paris viele Freunde, dennoch reiste er voll Hoffnung und Eifer über die Alpen in der Absicht, sich nach Rom zu begeben. Aber er konnte an Turin nicht schnell vorübergehen. Da war zu jener Zeit die reichste ägyptologische Sammlung der Welt, und L. mußte da drei Monate verweilen. Er studirte hauptsächlich die Papyri; unter ihnen die werthvollen Königsannalen, und er copirte vollständig den langen Text, den Champollion unrichtig Ritual genannt hatte, und welchen L. später unter dem Namen „Das Todtenbuch“ publicirte.

Nachdem er sich kurze Zeit in Pisa aufgehalten hatte bei Rosellini, dem Freunde und Schüler Champollion’s, der die ägyptische Reise mit ihm gemacht hatte, kam er im Mai 1836 in Rom an, wo die erste Zusammenkunft mit seinem Gönner Bunsen stattfand. Sehr bald entstand zwischen diesen beiden Männern von sehr verschiedenem Alter und Charakter die innigste Freundschaft, die L. immer als eins seiner schönsten und glücklichsten Erlebnisse betrachtete und deren dankbare Erinnerung er bis zum Grabe bewahrt hat. Zehn Jahre früher hatte Champollion Rom besucht und dort in Bunsen einen begeisterten Zuhörer und fast einen Schüler gefunden. Seitdem war Bunsen von dem Wunsche erfüllt, daß der Mantel des Meisters, der auf dem Boden lag, von einem Nachfolger aufgehoben werde. Bunsen selber war ein Mann von ausgebreitetem wissenschaftlichem Ehrgeiz. Er hatte den Plan gefaßt, ein großes Werk zu schreiben: „Aegyptens Stellung in der Weltgeschichte“, und von vorneherein beabsichtigte er, L. mit Specialuntersuchungen zu betrauen. Aber sehr bald sah er ein, daß L. Mitarbeiter sein müßte, und daß Bunsen und Lepsius zusammen auf dem Titelblatte stehen sollten. Das kam nicht zu Stande; später mußten sich die Mitarbeiter trennen. Lepsius’ Studien hatten sich so erweitert; in gewissen Punkten war ein so großer Widerspruch in den Ansichten Beider, daß ein gemeinschaftliches Zusammenwirken nicht mehr möglich war. Mehrere Jahre nachher erschien Bunsen’s Werk unter seinem Namen allein. Aber diese Meinungsverschiedenheiten störten nicht im mindesten die herzliche Freundschaft zwischen dem Diplomaten und dem um zwanzig Jahre jüngeren Gelehrten.

Damals wurde auch L. zum redigirenden Secretär des archäologischen Instituts in Rom ernannt. In den Annalen dieses Instituts erschien in französischer Sprache seine erste rein ägyptologische Arbeit: „Lettre à M. le Prof. Hippolyte Rosellini sur l’alphabet hiéroglyphique“. In dieser Arbeit faßt er kritisch das ganze System von Champollion zusammen. Er scheidet aus dem Alphabet eine Anzahl Zeichen aus, die zwar sich in den Namen römischer Kaiser finden, die aber nicht der alten Schrift angehören. Was am wichtigsten ist, er beseitigt einen schweren Irrthum des französischen Meisters. Er beweist, daß der ganze phonetische Theil der Hieroglyphen aus zwei Arten von Zeichen besteht: rein lautlichen Buchstaben, und Silbenzeichen, die bei weitem die zahlreichsten sind; so daß das hieroglyphische Schriftsystem ein Alphabet und eine Sammlung von Silbenzeichen umfaßt. Champollion hatte die Silbenzeichen nicht erkannt. Er hatte sie gewöhnlich richtig gelesen; aber er hatte sich über ihren Charakter getäuscht. Er nannte sie Initialzeichen und [663] betrachtete sie als Verkürzungen von Worten, die ihm in phonetischer Schreibung begegnet waren. L. kommt zu dieser grundlegenden Folgerung: In der Hieroglyphik gibt es zwei Arten von Zeichen: ideographische Zeichen, die einen Begriff oder ein Wort darstellen, und phonetische Zeichen, die getheilt werden müssen in rein lautliche Zeichen oder Buchstaben, und Silben. Jede dieser Silben kann ein vollständiges Wort sein, mit einem bestimmten Sinn, oder sie kann zur Bildung anderer Worte gebraucht werden. In diesem Fall hat sie einen rein lautlichen Werth, ganz unabhänig von dem Sinn, den sie an und für sich haben kann. Diese zwei Arten von Zeichen gehören den drei ägyptischen Schriften an: der hieroglyphischen, die die ursprüngliche ist, der hieratischen, die eine erste Vereinfachung der Zeichen ist und die seit älterer Zeit für Bücher gebraucht wurde, die keinen heiligen Charakter hatten, und der demotischen, die eine weitere Vereinfachung ist, welche bis auf das neunte Jahrhundert zurückgeht.

Trotz ihrer Kürze ist die Arbeit von L. epochemachend gewesen. Zum ersten Male wurden Champollion’s Entdeckungen durch eine methodische und kritisch scharfe Untersuchung gesichtet. Er hat das Princip endgültig festgestellt, indem er hier corrigirte und da beseitigte, was seiner Kritik nicht widerstehen konnte. Auf dieser Basis haben Andere die Grammatik aufgebaut. Denn obwol er nie die grammatischen Studien außer Sicht gelassen hat, ist es doch nicht die Richtung gewesen, die er in seinen großen Arbeiten eingeschlagen hat. Er hat bloß den Weg und die Methode gezeigt; nur am Ende seines Lebens ist er dazu zurückgekehrt, in seiner Nubischen Grammatik, die er mit Hülfe des Materials verfaßte, das er auf seiner Nilreise gesammelt hatte. Zwei Gegenstände haben ihn hauptsächlich gefesselt während seines Aufenthaltes in Rom, und während der folgenden Jahre bis zu seiner Reise: Götterlehre und Geschichte, oder richtiger Chronologie.

Aegyptische Götterlehre ist ein fast unübersehbares Feld. In der Fülle merkwürdiger Erscheinungen aller Art, die das Auge des Forschers blenden, ist es nicht leicht, seinen Weg zu finden. Champollion hatte es versucht. Sein unvollendetes Werk: „Le Panthéon Egyptien“ enthält zwar viele interessante Angaben über viele ägyptische Gottheiten; aber diese Unzahl von Göttern und Göttinnen, Dämonen, Gespenstern und fabelhaften Thieren, war das bloß die Schöpfung einer zügellosen Phantasie, oder war das ein bestimmtes System, ein Grundgedanke, auf welchem das alles beruhte? Diese Fragen beschäftigten L., der sich nicht leicht den abenteuerlichen Theorien Creutzer’s oder Roth’s anschließen konnte.

Er erkannte gleich, daß das wichtigste Document zur Erkenntniß der Götterlehre das Werk ist, welches Champollion unrichtig „Rituel funéraire“ genannt hatte, und welchem er den viel passenderen Namen „Das Todtenbuch“ gab. Dieses Buch wurde dem Todten in seinen Sarkophag beigelegt, oder sogar zwischen die Binden gelegt, in welche er eingewickelt war. Fragmente davon wurden auf den Mauern der Gräber, auf den Mumienkästen, auf Statuetten, auf Tüchern copirt. Das Buch bildet kein Ganzes, es besteht aus losen Stücken, für welche es in älterer Zeit keine Ordnung gibt, und von welchen man mehr oder weniger copirte je nach dem Preis, den man für den Papyrus geben wollte. Darum sind die zahlreichen Papyri des Todtenbuches in ihrer Länge sehr verschieden.

Das Buch besteht aus Gebeten und magischen Formeln, die dem Todten in den Mund gelegt werden, wenn er in der Unterwelt ankommt. Der Todte beschreibt die verschiedenen Formveränderungen, die er durchmacht, die göttlichen oder dämonischen Wesen, denen er auf seinem Weg begegnet, die Feinde [664] gegen welche er sich wehren muß, die Pforten, durch welche er schreitet. Er spricht von der Wiederherstellung seines Leibes, von den Opfergaben, die ihm dargebracht werden, von dem Gericht des Osiris, vor welchem er erscheinen soll, von seinem Leben in den elysäischen Feldern, gelegentlich auch von seiner Vereinigung mit dem Sonnengott Ra und von seiner Verschmelzung mit dieser Gottheit oder mit Osiris. Das alles bildet kein System; es gibt keinen festen Zusammenhang zwischen den verschiedenen Theilen, die oft im Widerspruch stehen. Man muß das Todtenbuch betrachten als eine Sammlung der Begriffe und der Einbildungen der alten Aegypter über alles, was nach dem Tode zu erwarten ist.

Das Todtenbuch ist gewiß uralt, doch gehören die letzten Exemplare, die wir davon besitzen, der römischen Zeit an. Sein Verständniß ist höchst schwierig und noch jetzt nur unvollständig erreicht; der Grund davon ist die Fülle von Metaphoren, von Symbolen, von Andeutungen aller Art, und auch unsere sehr unvollkommene Kenntniß von der Weise, in welcher abstracte Begriffe ausgedrückt wurden.

L. erkannte, wie viel aus dem Todtenbuche für die Götterlehre zu schöpfen ist, und in seinem ersten Aufenthalt in Turin copirte er im Museum den großen Todtenpapyrus, der eine Länge von 57 Fuß hat. Auf seiner folgenden Reise verglich er von neuem seine Copie, welche er 1842 unter dem Namen „Das Todtenbuch der alten Aegypter“ publicirte. Die 79 Tafeln wurden von einem jungen Künstler Max Weidenbach gezeichnet, der mit seinem minder geschickten Bruder Lepsius’ Mitarbeiter wurde, und der sich in die Hieroglyphenzeichnung so einzuarbeiten wußte, daß seine Wiedergabe der ägyptischen Schrift und Kunst sich durch eine Schönheit und Reinheit des Stils auszeichnet, die nicht übertroffen worden ist.

Das Todtenbuch zu übersetzen, wagte L. nicht. Zu jener Zeit war das eine reine Unmöglichkeit; aber er theilte das Buch in Capitel ein und in der Einleitung zeigte er, wie die Vergleichung und das Studium der Varianten die richtige Methode war, um, wenn möglich, zum Verständniß des Textes zu gelangen. Seine weiteren Studien bewiesen ihm, daß der Text, den er gewählt hatte, einer späteren Zeit angehörte, in der die Schreiber nicht mehr verstanden, was sie copirten, und wo der Text mit Glossen und Erklärungen überhäuft ist, die den Sinn noch verdunkeln. Dennoch gab er das Interesse für das Todtenbuch nicht auf. Im Gegentheil, sein Leben lang hat er sich damit beschäftigt. Im J. 1867 publicirte er ältere Texte, die er auf Särgen des mittleren Reiches im Berliner Museum gesammelt hatte („Aeltere Texte des Todtenbuchs nach Sarkophagen des altägyptischen[WS 1] Reiches im Berliner Museum“, Berlin 1867, Fol.). Er rieth seinen Schülern, das Buch als Object ihrer Studien zu wählen. Auf dem Londoner Orientalistencongreß (1874) schlug er vor, daß eine kritische Ausgabe der älteren Texte gemacht werde, und daß der Schreiber dieser Zeilen damit beauftragt werden sollte. Unter den Auspizien der Berliner Akademie und mit Hülfe des preußischen Unterrichts- und Cultusministeriums ist die Arbeit gemacht und gedruckt worden. Sie beruht auf der Vergleichung von mehr wie achtzig Papyri, die sämmtlich dem neuen Reiche, der XVIII. bis XX. Dynastie, angehören. Von Anfang an schien es mir nothwendig, an der Eintheilung und Numerirung von L. festzuhalten, obwol in zwei oder drei Fällen die Eintheilung unrichtig ist. L. selber hat das Werk fast vollendet gesehen, als es 1881 in Berlin dem Orientalistencongreß vorgelegt wurde. Er hat es in der Akademie besprochen und die Methode gebilligt, die zur Sammlung und Wiedergabe der Varianten [665] angewandt worden war; aber den Druck selbst hat er nicht mehr gesehen. Das Werk ist ein Jahr nach seinem Tode erschienen.

Außer seinen Todtenbuchstudien hat er in seinen Abhandlungen „Ueber den ersten Götterkreis und seine geschichtlich-mythologische Entstehung“ (Berlin 1851) und „Ueber die Götter der vier Elemente“ das historische Princip gesucht und die Methode gezeigt, durch welche man eine gewisse Ordnung in das Chaos der ägyptischen Götterlehre bringen konnte.

In Italien hatte er angefangen, was wir das Hauptwerk seines Lebens nennen können, was am meisten dazu beitragen wird, seinen Namen in der Wissenschaft zu verewigen. Er sammelte alle Königsnamen, die uns erhalten sind, und ordnete sie in die Dynastien, deren Reihenfolge wir durch Manetho und die christlichen Chronographen kennen. Mit einem Wort: er machte den ersten Entwurf seines Königsbuches, das für Aegyptologen noch jetzt unentbehrlich ist, und ohne welches es unmöglich wäre, die Geschichte Aegyptens zu schreiben. Aber das Werk erschien erst später, nach seiner Nilreise, wo er noch viel Material sammelte.

Auch die Kunst vernachlässigte er nicht. Eine Abhandlung über die ägyptische Säule „Sur l’ordre des colonnes-piliers en Egypte et ses rapports avec le second ordre égyptien et la colonne grecque“, Rom 1838) zeigt wie, von dem Höhlenbau ausgehend, man Schritt für Schritt die dorische Säule aufwachsen sieht, nachdem man die Umwandlung des Pfeilers in die sogenannte protodorische Säule als Mittelglied erkannt hat. Auf diese architektonische Kunstform, sowie auf den Kanon der ägyptischen Bildhauer ist L. noch später zurückgekommen („Ueber einige ägyptische Kunstformen und ihre Entwickelung“, Berlin, Akad. Abh. 1871).

Bunsen verließ Italien vor L. Er reiste nach England, wo die beiden Freunde bald wieder zusammentrafen. Der junge Aegyptolog hatte da wichtige Sammlungen zu studiren. Außerdem war er von einem starken Wunsch erfaßt worden, nach Aegypten zu reisen. Wie Champollion fühlte er ein dringendes Bedürfniß, an Ort und Stelle die Denkmäler zu sehen, deren Studium sein Lebensberuf, war und die Sammlung von Documenten zu vervollständigen, von welcher er schon viel Gebrauch gemacht hatte. Aber dazu bedurfte er einer starken finanziellen Unterstützung, die nicht gleich kam. Die Wartezeit benutzte er, außer seinem Aufenthalt in England, zu mehreren Reisen nach Deutschland, nach Turin und nach Holland. Anfangs 1842 wurde er zum Professor Extraordinarius für Aegyptologie an der Berliner Universität ernannt; aber er trat sein Lehramt erst mehrere Jahre später an.

Als König Friedrich Wilhelm IV., der als Kronprinz die Passalacqua’sche Sammlung erworben und in Schloß Monbijou aufgestellt hatte, auf den Thron kam, ließ er sich von Bunsen und Alexander v. Humboldt leicht überreden, eine vollständige und wohlausgerüstete Expedition nach Aegypten zu schicken, deren Leiter L. sein würde. Es wurden ihm reiche Geldmittel zur Verfügung gestellt; außerdem war es ihm vergönnt, selbst seine Reisegefährten zu wählen: den Architekt Erbkam, die Brüder Weidenbach, den Maler Frey, den Former Franke und Lepsius’ Herzensfreund Abeken, früher Prediger der preußischen Gesandtschaft in Rom, der nachher in die Diplomatie eintrat. Am 7. September 1842 segelte die Expedition von Southampton ab.

Die Abreise trennte Bunsen und L. Außerdem hatte kurz vorher L. Bunsen bestimmt, ihn von der Mitarbeiterschaft an dem geplanten Werke „Aegyptens Stellung in der Weltgeschichte“ freizusprechen. Ihre Meinungsverschiedenheiten waren zu groß. Bunsen hielt an einem chronologischen System fest, das L. mit den hieroglyphischen Angaben als unvereinbar betrachtete. [666] Bunsen war einverstanden und sein erster Band erschien während Lepsius’ Abwesenheit. Die Absage, wie gesagt, trübte nicht im mindesten ihr freundschaftliches Verhältniß. Bunsen begleitete sogar L. von London nach Southampton.

In Aegypten stellte sich L. ungefähr dieselbe Aufgabe wie Champollion. Dazu hatte er viel reichere Mittel wie der Meister, außerdem, da er selber die ägyptische Wissenschaft viel erweitert hatte, konnte er viel mehr leisten. Die Reise ist bei weitem diejenige gewesen, die die größten Resultate zur Folge gehabt hat. Uebrigens war sie zur Zeit für den Fortschritt der Wissenschaft dringend nöthig. Champollion’s Zeichnungen waren publicirt, aber ohne irgend eine Erklärung, und in der Akribie und Genauigkeit ziemlich mangelhaft, wie das von einer Publication zu erwarten war, die von Männern gemacht wurde, welche die Inschriften nicht verstanden. Die junge Wissenschaft verlangte vollständigeres und correcteres Material. Das ist Lepsius’ Ziel gewesen während seines dreijährigen Aufenthalts in Aegypten, denn er ist erst im Winter 1846 zurückgekommen. Wie Champollion, benachrichtigte er seine Freunde über das Fortschreiten der Expedition, und über seine Entdeckungen, die er sowol in seinen Studien wie in seinen Ausgrabungen machte. Der Zweck der Ausgrabungen, wozu ihm Mohammed Ali einen Ferman gegeben hatte, der ihm unbeschränkte Erlaubniß gewährte, war nicht nur die Lösung architektonischer und historischer Fragen, sondern auch die Sammlung werthvoller Alterthümer für das Berliner Museum, das im Begriff war gebaut zu werden. Die Briefe, welche er 1852 in einem Band sammelte und herausgab („Briefe aus Aegypten, Aethiopien und der Halbinsel des Sinai, geschrieben 1841–1845“, Berlin 1852) sind längere Zeit der beste wissenschaftliche Führer für Aegypten gewesen.

Die Mitglieder der Expedition sind mit einer einzigen Ausnahme dem Leiter treu geblieben und haben, jeder in seinem Fach, dazu beigetragen, das Resultat dieser Expedition zu einem wirklich glänzenden zu machen. Der Hauptzweck von L. war Geschichte. Er wollte das Gerüst dieses gewaltigen Baues, der viertausend Jahre gedauert hat, reconstruiren. Darum hielt er sich an den Plätzen auf, wo in dieser Hinsicht am meisten zu erreichen war. Erstens bei den Pyramiden, wo er in den Gräbern des alten Reichs mehrere Monate arbeitete. Champollion hatte sie vernachlässigt; so war das Material, das er von da brachte, so gut wie neu. Er studirte auch mit dem Architekten Erbkam den Bau der Pyramiden, eine Frage, über welche noch jetzt die Aegyptologen nicht einig sind.

Natürlich hielt ihn Theben längere Zeit auf mit seinen wunderbaren Bauten, die sich fast über die ganze ägyptische Geschichte erstrecken. Er verweilte da auf der Hin- und Rückreise, denn er fuhr über alle Katarakte bis nach Dongola und Gebel Barkal. Von da machte er mit Abeken einen Abstecher nach Fazogl am blauen Nil mit der Absicht, die Frage entscheidend zu lösen, ob die ägyptische Cultur aus Aethiopien kam, ob sie von Süden nach Norden geschritten war. Die Denkmäler, die er oberhalb Khartum fand, sind alle aus sehr später Zeit. So war der Beweis geliefert, daß Aethiopien nicht die Urheimath ägyptischer Cultur gewesen war. Dagegen hat er aus dem Fundort der ältesten Denkmäler in der Gegend von Memphis gefolgert, daß die Cultur aus Asien über den Isthmus von Suez gekommen war. Die neuen Forschungen haben die Aegyptologen zu dem Schluß geführt, daß die Cultur zwar aus Asien gekommen ist, aber daß sie von Süden eingerückt ist entweder durch den Weg von Kosseir nach Keneh, den nördlichsten, oder nach unserer Meinung weiter im Süden durch Abessinien.

[667] In sprachlicher Hinsicht benutzte er seine Reise nach Nubien, um Material zu sammeln über die drei Dialekte der Nubasprache, das er später in seiner Nubischen Grammatik herausgegeben hat. Ein anderer Abstecher, den er mit einem der Brüder Weidenbach machte, führte ihn zur Sinaihalbinsel, wo er die ägyptischen Inschriften sammelte und wo er eine Frage aufwarf, worüber die Reisenden jetzt noch streiten: welchen Berg muß man als den mosaischen Sinai betrachten?

Als er Aegypten im Herbst 1845 verließ, reiste er durch Syrien, sah sich die ägyptischen Skulpturen an, die auf den Felsen am Nahr el Kelb bei Beirut stehen, und schiffte sich dann in Smyrna ein. Er kam über Constantinopel in Berlin an, wo er mit Begeisterung empfangen wurde. Kurz vor ihm war die Sammlung Denkmäler angekommen, die er sich durch seine Ausgrabungen angeschafft hatte, und die unerhörte Menge von Inschriften Plänen, Zeichnungen, Abklatschen, die die Erwerbung dreier Jahre war, die Frucht von seiner und seiner Mitarbeiter Thätigkeit. Die öffentlichen Blätter rühmten den glänzenden Erfolg, und der König Friedrich Wilhelm IV. bewilligte sogleich die Mittel, um diese Schätze in der würdigsten Weise zu verwerthen.

Die Wanderjahre waren für Lepsius abgeschlossen. Nun gründete er eine Häuslichkeit und vermählte sich im Juli 1846 mit Elisabeth Klein, der Waise des bekannten Musikers und Componisten gleichen Namens. Im August desselben Jahres wurde er zum ordentlichen Professor an der Universität ernannt, im Mai 1850 zum Mitglied der Akademie und 1855 zum Director des Aegyptischen Museums.

Seine erste große Arbeit war die Herausgabe der Resultate seiner Reise: „Die Denkmäler aus Aegypten und Nubien“, deren zwölfter und letzter Band erst 1856 erschien. Das Werk ist vielleicht das größte, das es gibt. Der König wünschte, daß die Resultate seiner Reise in einem Werke gesammelt würden, das an Format und Schönheit der Ausstattung alle Bücher der Art übertreffen würde. So sind die 12 Riesenfolianten entstanden, die 894 Platten, welche fast alle von den Brüdern Weidenbach gezeichnet sind, unter Lepsius’ Aufsicht, der sie mit peinlicher Sorgfalt revidirte. Der Plan ist verschieden von dem Champollion’schen Werk. Hier ist alles geographisch classificirt. Alle Inschriften, die am selben Ort gesammelt wurden, sind zusammen gedruckt, obwol sie in sehr verschiedene Zeiten gehören. Für L. gab es nur eine einzige Ordnung, die chronologische; und das allein war schon eine Schöpfung. Die Inschriften folgen aufeinander nach der Zeit, in welche sie gehören. Das setzt die Herstellung der Reihenfolge der Dynastien voraus. Diese Reihenfolge hatte Champollion für zwei oder drei glücklich gefunden; aber das Ganze hatte er nicht versucht. In Italien hatte L. diese Arbeit schon begonnen, aber erst in Aegypten kam er zu bestimmten Schlüssen in gewissen schwierigen Punkten wie des Platzes der XII. Dynastie. Sein System hat er in den „Denkmälern“ dargestellt und durchgeführt, und man muß anerkennen, daß seine Aufstellung der Reihenfolge sich als ganz richtig bewährt hat. Sie ist jetzt noch die Basis des ägytptischen Geschichte, und die neuen Forschungen haben kaum etwas daran geändert.

Daneben hat er zahlreiche Arbeiten herausgegeben, die einen besonderen Punkt der Wissenschaft behandeln. Diese Arbeiten waren gelegentlich große Bücher wie die „Chronologie der Aegypter“, die 1849 erschien, oder das „Königsbuch“, das erst 1858 gedruckt wurde, außerdem eine große Anzahl Abhandlungen, die der Berliner Akademie vorgelegt wurden, und welche die verschiedensten Gegenstände erörtern, aber hauptsächlich Chronologie und Maaße. [668] Er hatte eine Vorliebe für alles, was sich auf Zahlen bezog. Seine Abhandlungen zeichnen sich durch eine sehr sichere Methode, scharfen kritischen Sinn, große Genauigkeit und vollkommene Klarheit aus. Man kann zwar von seiner Meinung abweichen und seine Resultate nicht alle billigen, hauptsächlich in den Zahlen und in der Chronologie; aber er hat die Richtschnur gezeigt; er hat den Grundstein gelegt, auf welchen alle folgenden Arbeiten gebaut worden sind.

Was man vielleicht L. mit Recht vorwerfen kann, ist, daß er viele seiner Arbeiten unvollendet ließ. Er erkannte den Weg, zeigte ihn klar und richtig, aber er ließ Andere ihn einschlagen. Und doch hat er sein Leben lang gearbeitet. Außer seinen Arbeiten hatte er das Museum einzurichten nach einem bestimmten Plan, den er selber entworfen hatte; dabei fand er Zeit für eine ganze Anzahl von Abhandlungen und Zeitungsartikel. Dennoch hat er die Aufgabe nicht gelöst, die ihm von vornherein anheim zu fallen schien. Er hat nie den Text zu den „Denkmälern“ publicirt. Der wahre Text zu den 12 Folianten ist das umfangreiche Tagebuch der ägyptischen Reise, das man mit Champollion’s Notizen vergleichen kann. Dieses Tagebuch wird jetzt unter dem Namen desjenigen seiner Schüler publicirt, dem er es überlassen hatte, unter Mitwirkung von Dr. Borchardt, Dr. Sethe und Dr. Schaefer, auf Kosten des preußischen Unterrichtsministeriums. Außer zahlreichen Angaben über Inschriften oder Denkmäler, die jetzt verschwunden sind, kann man aus diesem Tagebuch sehen, wie richtig L. vor sechzig Jahren das schon erkannte, was jetzt öfters als Neuigkeit betrachtet wird.

Im J. 1866 ging er zum zweiten Male nach Aegypten. Er bereiste hauptsächlich das Delta und die Gegend des Suezcanals. Auf dieser Reise hatte er das Glück, den großen bilinguen Stein von Canopus, in Sän, dem alten Tanis, zu entdecken. Diese Inschrift ist wie die des Rosettasteins hieroglyphisch, demotisch und griechisch geschrieben. Sie ist vollständig; es fehlt kein Wort daran. Ein Duplicatum davon wurde später in einem anderen Orte des Deltas gefunden. Diese lange Inschrift, deren hieroglyphischen und griechischen Theil L. in Facsimile mit Uebersetzung publicirte („Das bilingue Decret von Canopus“, Berlin 1866, Fol.), lieferte den Beweis, wenn es nöthig gewesen wäre, daß die Methode der Entzifferung die richtige war, sowol wie die Reconstruction des Lexicons und der Grammatik. Ueber seine Reise schrieb er Berichte in die Zeitschrift für Aegyptische Sprache und Alterthumskunde, die von Brugsch 1863 gegründet wurde, aber deren Leitung er 1864 übernommen hatte. Eine dritte Reise nach Aegypten machte L. mit einer Anzahl von Gästen des Vicekönigs im Herbst 1869, bei Gelegenheit der Eröffnung des Suezcanals. Die vier Schiffe der Expedition gingen bis nach Assuan herauf; aber L. fuhr gleich nachher zum zweiten Mal den Nil herauf, mit dem Kronprinzen von Preußen.

Im J. 1874 war er beim Orientalistencongreß in London anwesend. Er genoß in dieser Versammlung ein Ansehen, das seiner hervorragenden Stellung in der Wissenschaft würdig war. Er gab da die Anregung zu einer kritischen Ausgabe des Todtenbuches. Auch ließ er von der ägyptischen Section des Congresses eine Umschreibung der Hieroglyphen annehmen, an der er bis zu seinem Tode streng festhielt. Die Berliner Schule hat sie neuerdings zu Gunsten einer anderen verworfen, welche L. weder aus principiellen noch aus praktischen Gründen gebilligt hätte.

Obwol er grammatische Studien ziemlich bei Seite gelassen, so hat er doch das Linguistische nicht ganz vernachlässigt. Die lautlich alphabetischen Studien, in die er sich in Paris vertieft hatte, wurden von ihm 1854 im [669] größten Maßstab wieder aufgenommen, auf Anregung der Church Missionary Society, welche für die praktischen Zwecke der Missionen ein einheitliches Lautschriftsystem für die mannichfaltigsten Sprachen verlangte. Das Resultat seiner Studien in dieser Richtung hat L. erst deutsch herausgegeben: „Allgemein linguistisches Alphabet“, und später (1863) in einer englischen Ausgabe: „Standard alphabet“. Sein System hat sich als praktisch bewährt für allerlei wilde Sprachen der jetzigen Zeit; aber nicht so gut für die alten Inschriftsprachen.

Seine letzte größere Arbeit, die er als siebzigjähriger Mann herausgab, war die „Nubische Grammatik“, in welcher er das Material verwerthete, das er selber in Nubien gesammelt hatte. Da finden wir nicht nur die grammatische Bildung der drei nubischen Dialekte, sondern auch eine ausführliche Einleitung über die Völker und Sprachen Afrikas, worin er ein Gesammtbild der Gruppirung und geschichtlichen Verbreitung sämmtlicher Sprachen und Völker Afrikas gibt. Einige seiner Ansichten sind heftig angegriffen worden wie zum Beispiel der Ursprung, den er den Phöniziern zuschreibt, die er in den Namen Puna (oder Puni) der altägyptischen Inschriften wiederfindet. Hingegen scheinen die neuesten Forschungen in Arabien und Afrika sich seiner Ansicht zu nähern.

Wenige Jahre nach seiner Vermählung hatte L. sich in Berlin ein Haus bauen lassen im Stile der englischen Gothik. Dort hat er den größten Theil seiner Meisterjahre zugebracht. Das Haus, von einem schönen Garten umgeben, war der Mittelpunkt eines regen gesellschaftlichen Lebens. Eine ganze Anzahl bedeutender Männer waren da willkommene Gäste; nicht nur hervorragende Collegen aus Berlin, sondern auch Ausländer, Gelehrte, Reisende, Staatsmänner, Künstler, Diplomaten. Jeder, der den Vorzug hatte, sich in diesem freundlichen und geistreichen Kreise zu bewegen, hat davon eine lebhafte Erinnerung aufbewahrt. Im J. 1873 wurde L. zum Geheimen Regierungsrath ernannt. Im selben Jahre bewogen ihn Privatumstände, das Oberbibliothekaramt anfangs provisorisch und bald nachher definitiv anzunehmen, ohne daß er seine ägyptischen Arbeiten unterbrach. 1881 sollte er das Präsidium des Orientalistencongresses in Berlin führen, aber ein leichter Schlaganfall nöthigte ihn, die Leitung des Congresses seinem Collegen Professor Dillmann zu überlassen. Doch war seine Thätigkeit wenig gelähmt, bis er um Ostern 1884 den Anfall seiner letzten Krankheit fühlte. Im Bette corrigirte er noch die letzten Bogen der „Längenmaaße der Alten“, und am 10. Juli that er den letzten Athemzug.

Diese kurze Biographie von L., dessen wir persönlich immer nicht sowol als eines Lehrers als eines wissenschaftlichen Vaters gedenken werden, schließen wir am besten mit diesen Worten Professor Dillmann’s: „Ein halbes Jahrhundert hindurch war es L. vergönnt, den innern Fonds geistiger Kraft, den der Schöpfer ihm mitgegeben, voll und ganz aus sich herauszuarbeiten und in vielen schönen und glänzenden Werken zu verkörpern, zu seiner Ehre, zum Nutzen seines Vaterlandes, zur Förderung der höchsten Ziele menschlicher Erkenntniß. Wie er noch lebend unter seinen Zeitgenossen als der erste seines Faches im In- und Ausland willig anerkannt und von einer Schaar mittelbarer oder unmittelbarer Schüler als ihr Meister und Führer dankbar verehrt wurde, so wird auch in Zukunft sein Name mit höchster Achtung genannt werden, so lange es eine Alterthumswissenschaft gibt“.

Siehe: Ebers, Richard Lepsius, ein Lebensbild. Leipzig 1885, wo sich ein vollständiges Verzeichniß seiner Schriften befindet. – Duemichen, Zur Erinnerung an R. Lepsius. Straßburg 1884. – Dillmann, Gedächtniß-Rede [670] auf Karl Richard Lepsius (Abhandl. der Königl. Preuß. Akademie d. Wissenschaften vom Jahre 1885. – Brugsch, K. Richard Lepsius. Nachruf, Zeitschr. f. Aeg. Sprache u. Alterthumskunde 1884, S. 45. – Ed. Naville, Vorrede zur Textausgabe der: Denkmäler aus Aegypten und Aethiopien Leipzig 1897.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: altäggyptischen