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Artikel „Heeren, Arnold (Hermann Ludwig)“ von Franz Xaver von Wegele in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 11 (1880), S. 244–246, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Heeren,_Arnold&oldid=- (Version vom 9. Dezember 2024, 21:56 Uhr UTC)
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Heeren: Arnold (Hermann Ludwig) H., Geschichtschreiber, geb. am 25. October 1760 in dem Dorfe Arbergen bei Bremen, wo sein Vater Prediger war. Hier brachte er die ersten 15 Jahre seines Lebens zu und erhielt seine Ausbildung durch Privatunterricht. Seit Anfang des Jahres 1776 besuchte er die Domschule zu Bremen, wohin kurz zuvor sein Vater als Prediger am Dome berufen worden war. Michaelis 1779 ging er nach Göttingen, um dem Wunsche desselben gemäß Theologie zu studiren. Aber auch ihm erging es wie so vielen anderen jungen strebsamen Männern jener Zeit, daß ihn, der übrigens sein Leben lang gut kirchlich gesinnt geblieben ist, dieser Beruf nicht zu fesseln vermochte. Er ließ sich durch Heyne für die philologischen, durch Spittler für die historischen Studien gewinnen; den letzteren hat er sich nach längerem Schwanken ausschließlich zugewendet und in ihnen dann die Bestimmung seines Lebens gefunden. Von Heyne ermuthigt, beschloß er, die academische Laufbahn einzuschlagen und erwarb sich 1784 durch die Erlangung der philos. Doctorwürde zugleich das Recht als Privatdocent in Göttingen aufzutreten. Seine ersten wissenschaftlichen Arbeiten bewegen sich auf dem Gebiete der Philologie, obwol er sich bald genug selbst darüber klar wurde, daß auf dieser Seite sein Beruf nicht liege. Im J. 1785 ließ er eine Ausgabe des Rhetors Menander „De encomiis“ erscheinen und faßte dann den Plan einer kritischen Ausgabe der „Eclogae physicae et ethicae“ des Johannes Stobäos. Zu dem Zwecke der Förderung dieses Planes und im Interesse seiner angegriffenen Gesundheit unternahm er (im Juli 1785) eine Reise nach Italien, Paris und den Niederlanden. [245] In Rom, wo er durch seine geschmeidige Natur sich rasch heimisch fühlte und die Gunst mehr als eines Cardinals gewann, hat er sieben, in der Hauptstadt Frankreichs etwa zwei Monate verweilt. Nach dem Ablauf von nahezu zwei Jahren kehrte er nach Göttingen zurück und erhielt, wie zu vermuthen, nicht ohne die Fürsprache des in Hannover höchst einflußreichen Heyne, dessen Schwiegersohn er später (1796) auch geworden ist, schon im Juni 1787 die Ernennung zum außerordentlichen Professor der Philosophie an der Universität daselbst. Nun erst trat er als öffentlicher Lehrer mit Vorträgen auf, die sich längere Zeit auf dem Grenzgebiete zwischen Philologie und Geschichte bewegten. Vermöge einer ihn charakterisirenden Unentschiedenheit, ließ er sich durch die noch in Wirksamkeit stehenden Lehrer wie Gatterer, Schlözer und Spittler eine Zeit lang hinhalten, ehe er, seiner Neigung entsprechend, als Lehrer und in Folge dessen auch als Schriftsteller sich ganz der Geschichte zuwendete. In diesen Jahren gab er mit dem ihm befreundeten Tychsen die „Bibliothek der alten Litteratur und Kunst“ heraus, die indessen ein nur kurzes Dasein fristete. Zu gleicher Zeit ging er an die Ausführung der seit Jahren vorbereiteten Ausgabe der Eclogen des Joh. Stobäos, von der Ostern 1792 der erste Theil erschien und deren Vollendung mit dem vierten Theile neun Jahre später erreicht wurde. Die Aufnahme, die gleich der ersten Probe wurde, war indessen keineswegs ermunternder Natur, und die gesammte Edition ist in der That durch die späteren Bearbeitungen von Gaisford und Meineke vollends der Vergessenheit überliefert worden. Um so entschlossener führt H. jetzt, unter dem Einflusse noch anderer äußerer Umstände, den Uebergang in das historische Lager aus. Im J. 1794 wurde er ordentlicher Professor der Philosophie, also noch ohne ein bestimmtes Nominalfach. Gatterer und Schlözer fingen zu altern an, Spittler verließ 1797 Göttingen ganz, und so wurde allmälig Platz für den nacheifernden H., ohne daß er jedoch einem von diesen gleichgestellt werden könnte; aber erst im J. 1801 ist er förmlich zum Professor der Geschichte ernannt worden. Schon im J. 1790 hatte er mit Vorlesungen über alte Geschichte begonnen und auf diesem Wege zugleich seiner litterarischen Thätigkeit die entscheidende Richtung gegeben; in dem Festhalten an ihr ist ihm die größte Genugthuung geworden und hat er die wissenschaftliche Bedeutung errungen, für die seine Kräfte überhaupt ausreichten. Genug, aus jenen Vorträgen ist sein Hauptwerk: die „Ideen über Politik, den Verkehr und den Handel der vornehmsten Völker der alten Welt“ herausgewachsen, das im Verlaufe der Zeit eine Reihe von Auflagen erlebte, aber auch wesentliche Umgestaltungen erfahren, und ihn gleich nach dem Erscheinen der ersten Bände zu einem berühmten Manne gemacht hat. Auch heute noch, wie sehr sich die Werthschätzung desselben abgeschwächt hat, knüpft sich das Gedächtniß seines Namens an dieses Werk. Von vornherein muß zugegeben werden, daß die Wahl des Stoffes ein glücklicher Griff war und daß hier eine Seite der Geschichte, die sonst gerne vernachlässigt wurde, eine eingehende Behandlung erfuhr. Man hat mit Fug vermuthet, daß Heeren’s Herkunft aus Bremen und die Jugendeindrücke, die er in der blühenden Handelsstadt erfahren, ihm hiezu besondere Anregung gegeben haben. Was außerdem der günstigen Aufnahme des Werkes sichtlich zu statten kam, war die gewandte, anziehende Darstellung, die die unverkennbar oft mangelnde Tiefe der Auffassung und Schärfe der Kritik den einen verdeckte, den andern erträglicher machte. Namentlich im Auslande hat sich das Werk hohen Beifalls erfreut: es ist in mehrere fremde Sprachen übersetzt worden. Auf den damit gegebenen Anstoß für die stärkere Berücksichtigung der „politisch-merkantilischen“ Seite der Geschichte, legt H. in seinen autobiographischen Nachrichten selbst das größte Gewicht. Von dieser Schrift jedoch abgesehen, hat H. auch außerdem als Lehrer einen anerkannten [246] Eifer und als Schriftsteller eine umfangreiche Thätigkeit entfaltet. Seine „Geschichte der Staaten des Alterthums“ (Göttingen 1799) und seine „Geschichte des europäischen Staatensystems und seiner Colonien“ (Göttingen 1809) sind seiner Zeit mit nahezu gleicher Gunst aufgenommen und mehrfach aufgelegt worden, nun freilich seit langer Zeit vergessen. Man merkt überall die Nachahmung von Spittler, hinter dem er aber an Gelehrsamkeit, kritischem Geiste und politischem Sinne weit zurückbleibt. Für das Mittelalter brachte er am wenigsten Neigung und Beruf mit. Seine „Geschichte der classischen Litteratur seit dem Wiederaufleben der Wissenschaften“, die weit genug ausholt (Gött. 1792–1802, 2 Bde.), muß als eine mißlungene Arbeit bezeichnet werden; dagegen hat er durch seine „Untersuchungen über die Kreuzzüge“, die ihm Villers in das Französische übersetzte, von dem Nationalinstitut in Paris den Preis erhalten. An Geist hat es H., so entschieden er jede philosophirende Anwandlung ablehnt, überhaupt nicht gefehlt; man kann mancher feinsinnigen Bemerkung, die in seinen Schriften zerstreut liegen, bei späteren Berühmtheiten wieder begegnen. Was ihm fehlte, um eine nachhaltige Wirkung hervorzubringen, war, neben den bereits angedeuteten Schwächen, die selbstgewisse mannhafte Persönlichkeit, die auch der oft quälenden Gegenwart muthig in’s Auge zu blicken weiß; daher wendete er der deutschen Geschichte grundsätzlich den Rücken und flüchtete mit seinen Studien eingestandener Maßen gern in abgelegene Zeiten. Aus dieser seiner Stimmung erklärt sich zum Theile das rasche Verbleichen seines einst so strahlenden Gestirnes. Bekannt ist ja, daß er die Inauguration des Bundestages in allem Ernste als den Anfang der Wiedergeburt unserer Nation gefeiert hat. Arbeitslust hat er auch in den späteren Jahren nicht vermissen lassen. Er erweiterte den Kreis seiner Vorlesungen in das Gebiet der Statistik und Länderkunde, übernahm seit Eichhorn’s Tod (1827) die Redaction der G. G. Anzeigen und legte in den Abhandlungen der G. Societ. d. W. seine Untersuchungen über die Quellen verschiedener Historiker und Geographen der alten Welt nieder, eine Thätigkeit, an der zugleich hervorzuheben ist, daß H. durch sie mehrere seiner Schüler, unter welchen G. H. Pertz mit Auszeichnung zu nennen ist, zu ähnlichen Arbeiten in anderen Theilen der Geschichte angeregt hat. Gleichwol mußte er es erleben, daß ihm ein neues und anders urtheilendes Geschlecht über den Kopf wuchs, was ja den Sterblichen selten erspart bleibt, an denen der Todesengel so lange verschonend vorübergeht, wie an ihm. Er mußte nachträglich noch heftige, ja leidenschaftliche Angriffe auf das Hauptwerk seines Lebens, von Heidelberg her, erfahren und es geschehen lassen, daß derjenige seiner Gegner, der, allerdings post festum kann man sagen, den Hauptschlag auf ihn geführt hatte, sein College wurde. Freilich war H. zu dieser Zeit in Göttingen selbst schon halb wie verschollen, und als er am 6. März 1842 als ein 82jähriger starb, wurde sein Abtreten vom Schauplatze in seiner nächsten Umgebung kaum bemerkt. Nur sechs Studenten sollen seinen Sarg zur letzten Ruhestätte begleitet haben. Wie populär und angesehen Heeren’s Name aber seiner Zeit gewesen war, bezeugt unter anderen auch die Thatsache, daß Perthes denselben, neben dem Ukert’s, an die Spitze des von ihm begründeten Unternehmens des Sammelwerkes einer „Geschichte der europäischen Staaten“, gestellt hat. Eine Gesammtausgabe seiner Schriften hat H. in 15 Bänden bereits in den Jahren 1821–26 selbst veranstaltet.

Vgl. Heeren’s autographische Nachrichten im 1. Thle. seiner „Historischen Werke“. Göttingen 1821. – Neuer Nekrolog der Deutschen, 20. Jahrgang. 1842. 1. Thl. Weimar 1844. S. 217–224. – Beilage zur A. A. Zeitung 1842, Nr. 25. – G. Waitz in den „Göttinger Professoren“. Gotha 1872. S. 248–250.