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Artikel „Klein, Bernhard“ von Robert Eitner in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 16 (1882), S. 78–87, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Klein,_Bernhard&oldid=- (Version vom 23. Dezember 2024, 16:53 Uhr UTC)
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Klein: Bernhard Joseph K., besonders als Kirchencomponist geschätzt, hat an Ludwig Rellstab, dem einst gefürchteten Berliner Kunstkritiker, einen begeisterten Biographen gefunden. Man kann dreist behaupten, daß der nachhaltige [79] Nachruhm Klein’s zum größten Theile den wiederholten biographischen und kritischen Artikeln, die Rellstab seinem von Jugend an theuren Freunde nach dessen Tode widmete, zugeschrieben werden kann, denn trotzdem heute von Klein’s Compositionen kaum ein und der andere Satz noch bekannt ist, lebt er doch im Munde Aller als Meister der Kirchencomposition fort. Das interessanteste und frisch aus dem Leben gegriffene Bild gibt uns Rellstab im J. 1835 in Robert Schumann’s damals neu gegründeter „Neuen Zeitschrift für Musik“, 3. Band (Leipzig bei Barth). Hier theilt er in einem umfangreichen Aufsatze die Erlebnisse in den Jahren 1819 und 1820 mit, in welchen Jahren K. nach Berlin übersiedelte und sich die Jugendfreundschaft zwischen Beiden knüpfte. Hier erhalten wir erst den Schlüssel zu den später abgefaßten Biographien Rellstab’s, die sich als Nekrolog in der Vossischen Zeitung vom Jahre 1832 (Nr. 223), dann 1836 oder 1837 in der Biographie im Schilling’schen Tonkünstlerlexikon, sowie 1838 auch in Fétis’ Biographie universelle, die zwar nicht mit seinem Namen gezeichnet ist, jedoch denselben Charakter, dasselbe Urtheil enthält, befinden. In diesen sozusagen officiellen Biographien hüllt sich der Verfasser über Klein’s Charakter in ein gewisses nebelhaftes Dunkel und läßt der Deutung des Lesers soviel Spielraum, daß er mehr anregt als befriedigt. Gerade diese mystische Charakterschilderung hat aber beigetragen, K. einen Nachruhm zu sichern, der mit seinen Leistungen in keinem Verhältniß steht. K. war den 6. März 1793 in Köln geboren (nach seiner Grabschrift auf dem katholischen Kirchhofe vor dem Oranienburger Thore zu Berlin; v. Ledebur, Tonk.-Lex. Berlins,). Sein Vater besaß eine Weinwirthschaft daselbst und lebte in behaglichen Verhältnissen, bis ihn die unter der französischen Gewaltherrschaft ausgebildete Angeberei mit einem Schlage zum armen Mann machte (N. Zeitschrift f. Musik III, 82). v. Ledebur schreibt allerdings: „Sein Vater, Peter K., war Contrabassist, nach den Angaben eines jüngeren Bruders Klein’s, der um das Jahr 1833 seiner Dienstpflicht beim 2. Garderegiment genügte.“ Hiergegen streiten aber die eigenen Worte Klein’s, der im J. 1819 Rellstab erzählte: „Ich hatte von früh an Neigung zur Musik; meinen Vater erfreute sie, denn er war selbst musikalisch. Das erste Clavierspiel übte ich auf einem alten Instrument, welches in einem Zimmer stand, wo sich zugleich unsere Weingäste, denn mein Vater hatte einen Weinschank, einfanden. Doch mußte ich immer pianissimo spielen, denn so wie ich ins Feuer gerieth und lauter wurde, riefen die Gäste in ihrem kölnischen Dialect: „Du Jung, sei nicht so laut! Spiel still, Jung!“ Doch können beide Recht haben, denn der Vater verlor zur Zeit der Franzosenherrschaft, wie schon angedeutet, durch die „droits réunis“ die Concession und mag zum Contrabaß gegriffen haben. Der jüngere Bruder kannte also die früheren Verhältnisse der Eltern nicht, über die vielleicht nie gesprochen worden ist. K. sollte sich anfänglich dem geistlichen Stande widmen, die schweren Kriegszeiten unterbrachen aber das Studium, die Verarmung der Familie schnitt jegliche Hülfsmittel ab und K. war mehr auf sich angewiesen. Seine bedeutenden musikalischen Anlagen und sein feuriger Geist entwickelten sich ohne Fürsorge eines geregelten Unterrichts. Nur ein musikalisch gebildeter Geistlicher übernahm es, die Arbeiten des bereits zum Jünglinge Herangewachsenen durchzusehen. Durch die Verwendung einer vornehmen Dame wurde er vom französischen Militärdienst befreit und ihm zugleich Gelegenheit geboten 1812 nach Paris zu gehen, wo er Cherubini’s Rath und auch gelegentlichen Unterricht (wie Rellstab im Schilling IV. S. 140 sich ausdrückt) empfing. Seine unermüdete Selbstthätigkeit – wie Rellstab schreibt – spornte ihn hier nach allen Richtungen und er verfolgte sowol die frischen blühenden Zweige der Kunst, die in der Gegenwart reich sproßten, als er auch ihrer historischen Entwickelung nachging und sich schnell in den Besitz der mannigfaltigsten [80] antiquarischen Kunstkenntnisse setzte. Ueber diese Kunstkenntnisse Klein’s gibt uns Rellstab in seinen Jugenderinnerungen (N. Zeitschr. f. Musik III, 57) ein anziehendes Bild. In Rellstab’s Familie fand um 1819 ein allwöchentlicher musikalischer Gesellschaftstag statt. Ludwig Berger, ein Hausfreund der Familie, hatte den jüngst aus Köln angelangten K. an Rellstab empfohlen als guten Clavierspieler und Tenorsänger und ihm das Prädikat – mit dem er sehr sparsam war – hinzugefügt: „und sehr guten Musiker“. K. war in diesen Zirkel zum ersten Male geladen und studirte dem Dilettantenchore das ihm völlig fremde Oratorium: Die Israeliten in der Wüste von Phil. Emanuel Bach ein. Rellstab schreibt nun: „Hier wurde das hervorragende musikalische Talent Klein’s recht sichtbar, indem er aus der ihm völlig unbekannten Partitur auf der Stelle mit meisterhafter Sicherheit begleitete, dabei selbst den Tenor mitsang und festhielt und die nicht sonderlich sicheren übrigen Stimmen mit einer Adlerschärfe führte und beobachtete, die ihnen plötzlich ein Vertrauen gab wie eine Armee, an deren Spitze sich nach einem unsicheren Feldherrn ein Napoleon stellt. Seine Leistungen als Dirigent, Partiturspieler und Sänger zugleich, würden unter allen Umständen hervorragende gewesen sein, zumal aber in Berlin, wo es damals in der That keinen einzigen Musiker gab, der darin das Erforderliche geleistet hätte. Der eine war Clavierspieler, aber er sang nicht, der andere sang, hatte aber nicht die genügende Fertigkeit auf dem Instrument; der dritte war in Beidem halbsicher; der vierte war ein vortrefflicher Solospieler, aber kein Dirigent u. s. w. Unter allen Musikern, die ich kennen gelernt (1835), gibt es nur einen, der ihm im sichern Lesen der Partitur vom Blatt gleich kommt und ihn nach gewissen Seiten übertrifft; dies ist Mendelssohn-Bartholdy, der, ein größerer Clavierspieler, was mechanische Schwierigkeiten darbietet, allerdings geläufiger vom Blatt spielt. K. dagegen hatte andere Vorzüge, von denen ich nicht weiß, ob Mendelssohn sie theilt. Er besaß eine große antiquarische Gelehrsamkeit und Uebung im Lesen alter Manuscripte, so daß keine Gattung von Schlüssel oder Notenschrift ihn irre machte. Dabei war er ebenso des Talentes mächtig Worte wie Noten schnell zu lesen und drang mit einer Art von Divinationsgabe augenblicklich in den Geist der vorzutragenden Gesangsstücke ein, welches bei halbleserlicher Schrift und bei leicht möglichen Täuschungen in der Auffassung unter manchen Umständen in der That bewunderungswürdig war. In dieser Beziehung war K. der größte vom Blatt Leser, den ich jemals gekannt. Dabei aber verlor er die übrigen Stimmen nie aus dem Gesicht und oft erregte es mir ein wahrhaftes Staunen, in wie viele Kräfte seine Seele sich spaltete, wenn ich ihn eine wilde verworrene Begleitung mit Feuer spielen, eine eigene Stimme dabei mit unnachahmlichem Vortrage singen hörte und doch sah, wie er seine schwachen Helfer nie aus dem Auge verlor, ihnen bei jedem Eintritt zuwinkte, ihrem Vortrage durch Zeichen nachhalf und was die Pflichten eines Dilettantendirigenten mehr sind. – Von einem so begabten Manne hätte man Außerordentliches bei großen Aufführungen erwarten sollen; wir werden später sehen, daß dies eine Täuschung war und ganz das Gegentheil eintrat, freilich aber aus Gründen, die mit seinem musikalischen Talent keinen Zusammenhang hatten.“ Die Erklärung ist uns Rellstab schuldig geblieben, wie so manchen anderen versprochenen Aufschluß über Klein’s Charakter.

Doch wir haben noch aus früherer Zeit nachzuholen. Nach halbjährigem Aufenthalt in Paris, wo er oft mit der bittersten Noth zu kämpfen hatte, kehrte K. wieder nach Köln zurück. Ueber seine Pariser Zeit wußte er nur die heitersten und drolligsten Anekdoten zu erzählen: „Wir haben in Paris sehr fröhliche Tage gehabt“, erzählte er im J. 1819 Rellstab, „Hunger und Noth, aber eine Jugendfrische, die sich durch nichts dämpfen ließ; einmal verkaufte ich meine Don-Juan-Partitur [81] für eine Schüssel rothe Rüben und einige andere Victualien an eine Hökerin.“ Rellstab fügt hier hinzu (N. Zeitschr. f. Musik III, 73): „Ich könnte Klein noch heute zeichnen, so lebhaft steht sein Bild vor mir, wie er mir diese Abenteuer aus Paris erzählte, wobei sich sein ganzes, an sich schon jugendlich geistvolles Wesen neu belebte und fortdauernd Funken und Blitze des kecksten Humors sprühte.“ In Köln wurden ihm die musikalischen Aufführungen im Dome übertragen, sowie die Leitung des ganzen damit verbundenen musikalischen Instituts. In diesem Verhältniß blieb er, einen Zwischenaufenthalt in Heidelberg abgerechnet, der ihm Thibaut’s Bekanntschaft und durch dessen reiche Sammlung die der alten italienischen Componisten eintrug, bis zum Jahre 1819, wo er, nachdem die Aufführung seiner ersten Messe im J. 1815 und die einer Cantate auf Schiller’s „Worte des Glaubens“ im J. 1817 sein Talent und seine Kenntnisse entscheidend bewährt hatten, auf Kosten des preußischen Cultusministeriums nach Berlin gesandt wurde, um die dortigen Musikanstalten kennen zu lernen und dann als Kapellmeister und ordinirter Musiklehrer am Dome nach Köln zurückzukehren. In der allgemeinen musikalischen Zeitung in Leipzig vom Jahre 1815 (Bd. XVII, Sp. 301) finden wir das günstigste Urtheil über seine Leistungen in diesem Zeitraum. Dort heißt es: „Dieser junge vaterländische Künstler lieferte in dieser seiner ersten Messe Alles, was sich von einem so tiefen Studium der alten und neueren Componisten, als das seinige ist, nur erwarten ließ. Er ist in Köln geboren und gleich berühmt durch sein vortreffliches Clavierspiel, als durch die Tiefe und Gründlichkeit seiner Compositionen, unter welchen eine Bearbeitung des Erlkönigs, vor wenigen Wochen bei N. Simrock in Bonn erschienen, jeden Kunstfreund und Kenner sicher befriedigen wird.“ – K. mußte den Ansprüchen seiner Zeit vollkommen Genüge thun, daß man in ein so übermäßiges Lob ausbrach, denn die obige Zeitschrift vermerkt sonst ein Uebersprudeln des Genies sehr übel. – K. ging also im J. 1819 auf Kosten des preußischen Staates nach Berlin. Der damals in musikalischen Angelegenheiten allmächtige Zelter hatte selbst das Ministerium zu dem Schritte aufgefordert und war es besonders Zelter’s Lehrsystem, welches K. in Berlin studiren sollte. Rellstab, der Wohlunterrichtete, aber stets auf Klein’s Seite Stehende, schreibt darüber: „Zelter hatte, im Gefühl seines eigenen Rufes und gewohnt, nur von unbedeutenden Anfängern umgeben zu sein, auch Bernhard Klein nur für einen talentvollen Schüler gehalten, dem er geradehin imponiren und ihn nach seinem Willen lenken und unterrichten zu können meinte. Aus diesem Gesichtspunkte war er der Beschützer Klein’s gewesen und hatte sich seiner angenommen. Da es sich aber bald herausstellte, daß K. vollkommen wußte, wer er sei und was er leiste, und nachdem, bei näherer Bekanntschaft, die Ehrfurcht vor dem Wissen und Können des berühmten und gereisten Mannes aus der Hauptstadt, die bei dem sein Streben erst beginnenden Jünglinge aus der Provinz so natürlich war, sich vermindern mußte, endlich K. Zelter’s Lehren nicht als solche betrachtete, die ihm eine unbedingte Richtschnur sein sollten, sondern als solche, die er selbst zu prüfen habe: da änderte sich Zelter’s Gesinnung, der nie einen Rivalen, besonders aber einen Sieger, wie er ihn hier nach allen Seiten fand, ertragen konnte, auf der Stelle. Wir (scil. Rellstab) haben ihn nicht selten völlig geringschätzig von dem Manne sprechen hören, der ihn doch, wie sichs bald öffentlich herausstellte, so weit an Genius und Wissen überragte. Doch K. stand schon damals selbständig fest genug, um sich gegen Zelter zu behaupten. Er hatte sich namentlich unmittelbar bei dem Ministerium so in Ansehen gesetzt und zugleich war ihm der Aufenthalt in Berlin so angenehm geworden, daß er daselbst zu bleiben beschloß und sich um eine Anstellung bei der damals begründeten [82] Organistenschule bewarb, wo ihm dann auch der Lehrvortrag über Generalbaß und Contrapunkt anvertraut und gleichzeitig das Amt eines Musikdirectors und Gesanglehrers an der Universität übertragen wurde."

Um obige Auslassungen Rellstab’s richtig zu würdigen, muß man wissen, daß Zelter 1819 ein Mann von 61 Jahren war und K. 26 Jahre zählte und K. ein Wesen hatte, welches wol im Augenblick imponiren, auch einen älteren Mann – wie Ludwig Berger – amüsiren, doch auf die Zeit recht lästig werden konnte. Rellstab schildert ihn in dem oft genannten Artikel in der Neuen Zeitschrift für Musik (Bd. III) in folgender Weise: „Es war an einem Februartage des Jahres 1819, wo Ludwig Berger mich eines Abends einlud und mir zugleich andeutete, er wolle mir und einigen Freunden den Plan zu einer gesellig künstlerischen Unternehmung vorlegen.“ (Es handelte sich um die Gründung einer zweiten Liedertafel, welche der Zelter’schen Concurrenz machen sollte.) „Als ich eintrat, fand ich den jetzigen Musikdirector (A. W.) Bach (damals Schüler Berger’s) bei ihm, der zugleich mein Schulgenosse und Freund war (zum näheren Verständniß sei erwähnt, daß Berger 1819 52 Jahre zählte, Rellstab 20 und Bach 23 Jahre). Berger sagte uns, wir würden noch einen Gast bei ihm sehen, einen Herrn Klein aus Köln, einen Clavierspieler und Tenorsänger und sehr guten Musiker. Mit diesem Beiwort war Berger nicht freigebig, sondern im Gegentheil, fast hatte ich alle die, die mir bisher als Autoritäten in der Musikwelt Berlins etwas gegolten hatten, vor seinem Urtheil, das sie sehr schwache Musiker nannte, plötzlich fallen sehen. Ich war also in der That begierig auf die Bekanntschaft. Allein wir saßen eine halbe, eine ganze Stunde, es erschien Niemand. Endlich, als der Abend fast verstrichen war, öffnete sich die Thüre des Zimmers ein wenig, ein Kopf guckte herein und sprach in fremdartiger, aber wohllautender Mundart ein munteres ‚Guten Abend.‘ ‚Endlich!‘ rief Berger, und sprang auf. ‚Ei ei, Herr Klein, wie kann man so lange auf sich warten lassen.‘ Indessen war Klein eingetreten und wir sahen einen jungen Mann von mittlerer Größe, lebhaften, doch nicht hervorstechenden Zügen, dessen ganzes Wesen launige Behaglichkeit ausdrückte. Man wollte ihn schelten, daß er so lange geblieben sei, allein er ließ sich nicht ankommen. ‚Ei was!‘, rief er, ‚mich haben die Augen eines schönen Mädchens zurückgehalten, das ist ein Grund, um der ganzen Welt wortbrüchig zu werden!‘ Er warf hierauf den gelben Mantel, den er, wie er erzählte, unterwegs von einem Philister geliehen, ab und stand – ich will ihn beschreiben, wie Goethe den Werther mit allen Aeußerlichkeiten, – in einem schwarzen etwas knappen Frack mit hellgrünen Beinkleidern, die er nach damaliger Sitte in den Stiefeln trug, vor uns. Er trug eine Brille; aber unter den Gläsern bemerkte man doch sein lebhaftes geistreiches Auge. – Sein Gespräch war munter, scherzend, oft ironisch. Ich weiß noch, daß es mir auffiel, mit welcher kecken Energie er, wenn von musikalischen Gegenständen die Rede war, den Ansichten Berger’s opponirte, etwas, das ich bisher von keinem der Musiker, die diesen ausgezeichneten Mann zu umgeben pflegten, erlebt hatte, weil jeder seine Ueberlegenheit empfand. Bei Bernhard Klein war es das sichere Gefühl eigener Kraft; etwas, das ich damals, von dem hohen Standpunkte Berger’s zu fest überzeugt, wol nicht richtig beurtheilen konnte.“ Nachdem Rellstab nun auf die Stiftung einer zweiten Liedertafel zu sprechen kommt und das Hastige Klein’s gegen Berger’s Bedächtigkeit mit großer Breite hervorhebt, fährt er fort: „Der Tisch war abgeräumt. Nur die Flaschen und Gläser standen noch auf demselben. Klein war unruhig, ungeduldig, verfiel von einem aufs andere. Endlich wollte er Schach spielen. Berger, der das Spiel ungemein liebt und stets mit ganzer Aufmerksamkeit dabei, überdies ein vortrefflicher Spieler ist, nahm den Vorschlag an und glaubte sich auf einen gefährlichen Gegner gefaßt machen [83] zu müssen. K. that einige Züge, die ich und, so schien es, auch Berger nicht fassen konnten, sondern etwas sehr Verstecktes dahinter vermutheten; allein nach 10 Zügen höchstens war er matt. Er schien sich zu verwundern, rief aber mit Eifer: ‚Noch einmal!‘ Das Spiel ging von vorne an; wir glaubten doch noch, er habe sich von der ersten Hitze hinreißen lassen, seinen Gegner zu leicht genommen und im Verfolgen eines combinirten Planes diesen gar nicht beachtet, wie es öfters ganz geschickten Spielern zu ergehen pflegt. Allein nach kaum fünf Minuten wiederholte sich der Vorfall und man sahe, daß K. nur so eben hastig hineinzog ohne allen Plan. Als er sich wieder matt sah, stand er auf und warf leicht hin: ‚Für heute genug!‘ Unser Lachen über seinen verunglückten Kampf und unsere ins Komische aufgelöste Spannung auf sein Schachspieltalent rührte ihn wenig."

Und dann Seite 58. Die Gründung der neuen Liedertafel machte Fortschritte, allein es gab noch viel zu besprechen „und deshalb forderte K. uns auf, unsere Junta, wie er sich ausdrückte, in ein Weinhaus zu verlegen. Dies geschah. Wir, d. h. Klein, Berger, Reichardt und einige andere, gingen in die nachher als Sammelplatz jugendlicher Künstler gewissermaßen berühmt gewordene Weinhandlung von Schulz & Schäfer, am Gensd’armen-Markt. K. war hier nicht nur Herr im Hause, sondern gewissermaßen König in seinem Reiche. Seiner keck genialen Künstlernatur sagte dieses zwanglose Treiben, dem er einen edlen Geist einzuhauchen wußte, ungleich mehr zu als das glatte Philisterthum unserer Residenzgesellschaften. Daher war es auch, als sei er plötzlich ganz von einem anderen Geiste beseelt. Er sprudelte von Witz und humoristischen Einfällen, doch dazwischen nahm er wieder einen so mächtigen edlen Aufschwung, daß er alles mit sich fortriß. Er besaß in dieser Beziehung eine Macht der Persönlichkeit, wie ich sie nie wieder angetroffen. In solchen Augenblicken, das fühlte man, war er König der Welt, weil er sich verachtend weit über ihre Beschwerden, über den kleinen Druck, die engen Sorgen des Lebens erhob; er glich dem Pegasus, den man vom Joche losspannt, die gebundenen Schwingen löst und der sich nun frei in den reinen göttlichen Aether emporschwingt. Was eine Künstlernatur sei, habe ich durch ihn gelernt. Freilich aber ahnte ich damals nicht, daß ihm das Maß, diese heilige Obhut, die selbst dem edelsten Drang der Kräfte nicht fehlen darf, fehlte, und so die göttliche Flamme, die sich belebend in seiner Brust entzündete, uneingedämmt, wild um sich greifen und sein Innerstes endlich vulkanisch ausbrennen und zerstören mußte, statt es zu läutern. – Der neue Bund war geschlossen, er sollte mit Champagner besiegelt werden. … Klein’s Feuer wuchs; er war unersättlich, unermüdet, unübertrefflich im Vollgenuß der Freude! Die halbe Nacht war verflossen; die Besonnenen mahnten zum Aufbruch. K. fesselte sie immer wieder und jedem reichte er das Glas zum Brudertrunk. ‚Die Stunde der Freude kehrt nicht wieder‘, rief er, ‚bleibt, betrügt Euch nicht selbst darum!‘ – Endlich geschah der Aufbruch dennoch; wir zogen laut durch die Straßen, wie Jünglinge eben thun, wenn Gluth des Weins, der Freundschaft und Begeisterung das Herz erfüllt. K. war der Führer überall; er wollte noch tausend Dinge unternehmen, schlug auch dies und jenes zur Uebergipfelung der Freude vor und brachte es endlich wenigstens dahin, daß wir Reichardt noch bis in seine, in einem sehr entfernten Theile der Stadt gelegene Wohnung begleiteten, dort seinen musikkundigen Stubengefährten erweckten und in der Nacht noch einige vierstimmige und Studentenlieder freilich mehr jubelten als sangen.“ Um das Bild von Klein’s Charakter in der Blüthezeit seines Lebens zu vervollständigen, müssen wir aus der interessanten Schilderung Rellstab’s noch einen Abschnitt wählen. „Es war ein schöner April-Vormittag des Jahres 1819, einer jener lauen Vorfrühlingstage, wo man sich nur verwundert, daß nicht alles grünt und [84] blüht, weil die erwärmte balsamische Luft so mächtig auffordert, sie einzusaugen und sich in ihren linden Strömungen zu wiegen. Zufällig begegnete ich K. unter den Linden. ‚Das ist ein Tag!‘ rief er mir entgegen, ,heut muß man schwelgen im Genuß der Luft und Sonne! Wo willst Du hin?‘ – Ich hatte irgend einen gleichgültigen Gang und fand mich daher auf der Stelle zu einem Spaziergange bereit, d. h. ich dachte an einen Gang von einer oder zwei Stunden durch den Thiergarten. Doch K. legte die Tage, wo er schwelgerisch genießen wollte, nach einem anderen Maßstabe an, denn er entwarf einen Plan, der uns bis zum späten Abend beschäftigen konnte. ‚Laß uns jetzt etwas frühstücken, dann wollen wir nach Stralau hinausfahren, dort zu Mittag essen, eine Wasserfahrt machen, kurz, den ganzen Frühling ausschöpfen und aussaugen, so lange er noch einen Tropfen seines reinen Aethers bietet.‘ – Ich fing von Arbeit, von zu Mittag zu Haus sein müssen, von Dienstangelegenheiten (Rellstab war damals Offizier) u. dgl. zu sprechen an. ,Ei was!‘ fiel er mir ein, ‚sei kein Philister. Solche verfluchte Pflichten gehören in ein Iffland’sches Stück; wirf die Lumpereien bei Seite! Sieh diesen göttlichen blauen Himmel, athme die Frühlingsluft! Der Tag ist zum Schwelgen geschaffen, wer das nicht begreift, lästert den Himmel.‘ K. war in solchen Augenblicken unwiderstehlich; zwar seine Worte und Ansichten lassen sich ungefähr wiedergeben, allein nicht die hinreißende Weise, der halb zwischen Scherz und Unwillen schwebende Ton, womit er so ängstliche Krämeransichten des Lebens, wie er sie nannte, bekämpfte, nicht die Liebenswürdigkeit, das kecke Jugendfeuer, mit dem er seine Siege erfocht. Ich schlug also ein und wir gingen in unsere Weinhandlung, um zuerst ein Frühstück zu genießen. ‚Ich setze Dich auf das Frühstück‘ sprach K. in der Studentensprache, ‚setze Du mich auf die Fahrt.‘ Jetzt erst fand sich’s, daß er seinen ganzen Plan entworfen hatte ohne einen Heller Geld zu haben. Er zählte dabei mit der unbedingtesten Sicherheit auf die Börse irgend eines anderen und mit Recht, denn er betrachtete die seinige ebenfalls nur als eine ihm übergebene Kasse, aus der er, freilich ohne irgend Rechenschaft zu legen, die Ausgaben der Freude für sich und andere zu bestreiten hatte. Ich kannte damals die Sitte noch nicht und wußte nicht, wie K. durch immer neue Einfälle und Forderungen die Genüsse zu erweitern und mithin zu vertheuern wußte. Die mäßige Summe, welche ich bei mir trug, schien mir indessen doch nicht für zwei auszureichen und es war mir daher lieb in der Nähe meiner Wohnung zu sein, um meine Börse füllen zu können. Wir frühstückten hierauf und fuhren dann in einer Droschke bis an das fast eine halbe Meile entfernte Stralauer Thor. K. ließ während der Fahrt seinem satyrischen Humor freien Lauf. Jeder vorübergehenden Figur gewann er die lächerliche Seite ab, entweder wie sie sich im Augenblick entwickelte, oder wie sie mit der ganzen Physiognomie der Gestalt und ihrem anscheinenden Stande oder Geschäft verwachsen sein konnte. Seine Bemerkungen waren ganz eigenthümlich in der Form wie im Geist, und ich hege die feste Ueberzeugung, daß, wenn er die Beharrlichkeit gehabt hätte, welche zur Herausbildung jeder noch so großen Anlage nothwendig ist, die eine künstlerische Leistung werden soll, er ein ausgezeichneter humoristischer Schriftsteller geworden wäre. – Unser Weg führt fast nur zwischen Gartenzäunen dahin. Plötzlich haben wir den Blick über einen Garten, wo eine blühende Hyacinthenflur wogt und die gewürzigen Düfte derselben wehen uns entgegen. Noch heute sehe ich K. vor mir, wie ihn dieser Anblick überraschte und mit einem inneren Entzücken füllte. ‚O sieh, o sieh‘, rief er aus, ‚wie schön ist das! Jetzt erst fühle ich den Frühling!‘ Sein ganzes Wesen ist umgewandelt nach diesem Anblick, tausend Erinnerungen seiner Jugend werden wach, eine liebenswürdige Schwärmerei, die bei aller Zartheit doch männlich bleibt, gibt seinem Blick, seinen Zügen einen erhöhten Ausdruck. Wir haben [85] endlich das Thor erreicht und fühlen den frisch-grünen Rasen unter unseren Füßen. K. erzählt mir, während wir auf der Wiese am blauen klaren Strom hinwandeln, vieles aus seiner Jugendzeit; „von jeher hatte ich", sprach er, „eine unbezwingliche Lust über die Stadtmauer hinweg ins Freie zu schauen. Es war daher mein größtes Vergnügen, allein oder mit einem einzigen Freunde, der schon längst todt ist, auf den höchsten Boden der Häuser zu steigen und aus den Dachfenstern über die Giebel hinweg, das grüne Feld zu erspähen. Aus einem Fenster sahen wir dann bei hellem Wetter über den Spiegel des blitzenden Rheins hinaus das Siebengebirg, dessen blaue Häupter am Horizont hervorragten. Ich kann dir nicht sagen, wie mir damals das Herz schlug, wenn ich die blauen Berge in der Ferne erblickte. Im Uebrigen war meine Jugend gedrückt und düster, ich habe alle Freude in mir suchen müssen.“ Eine regelmäßige Darstellung seines Jugendlebens gab K. nicht; dazu war er zu lebhaft, zu aufgeregt; allein er warf Einzelheiten hin, brachte gelegentlich die interessantesten Züge zum Vorschein, doch liebte er es nicht bei trüben Erinnerungen zu weilen, sondern sprang gern rasch davon ab und pflegte gerade dann recht scharf humoristische Contraste hervorzusuchen. Wir hatten inzwischen das Dorf Stralau erreicht. Im Wirthshause war K. völlig wieder der fröhliche Humorist. Er trieb seinen Scherz mit dem Kellner, mit dem Wirth, mit den aufwartenden Mädchen, aber stets so fein, daß er niemals seiner Stellung gegen sie auch nur das Mindeste vergab. Wer aber ein gewisses Maß in seinen Genüssen beobachten wollte, wer bei Bestellungen in einem Wirthshause an seinen Geldbeutel, an die Kosten dachte, die ein Genuß verursachen könnte, der mußte nicht in Klein’s Gesellschaft bleiben, denn in dieser Beziehung kannte er weder Rücksichten noch Grenzen. Was irgend aufzutreiben war, wozu die Lust des Augenblicks ihn anregte, das mußte herbeigeschafft werden ohne Rücksicht auf die Stunde oder Entfernung, wenngleich er hundert Mal die Erfahrung gemacht hatte, daß seine Lust zum Genuß längst vorüber und erkaltet war, wenn die Möglichkeit ihn zu befriedigen eintrat.“

So tritt uns Klein’s Bild entgegen in der schönsten Blüthezeit des Menschenlebens. Er war zu Hohem berufen, das irdische Misere hemmte aber seinen Flug. K. componirte viel und beschäftigte sich mit Vorliebe mit theoretischen Studien. Es schien ihm Bedürfniß zu sein, sein Wissen Anderen mitzutheilen, denn Rellstab erzählt, daß er in „Gesellschaft zweier seiner Bekannten Unterricht im Generalbaß bei ihm nahm, den er damals hauptsächlich wol um sein eigenes System zu prüfen, einigen seiner musikalischen Freunde und Bekannten unentgeltlich ertheilte.“ An Compositionen erschienen damals Lieder für eine Singstimme mit Begleitung des Pianoforte, Variationen für Pianoforte, einige geistliche mehrstimmige Gesänge und die Cantate „Hiob“, auch fällt in diese Zeit der Entwurf der Oper „Dido", zu der Rellstab den Text lieferte (s. N. Z. f. Musik, Bd. III, 195). Die Kritik nahm seine Werke mit außergewöhnlichem Interesse und Antheil entgegen und spendet ihm so reichlich Lob, daß es einer Steigerung kaum fähig ist. So schreibt ein K. fernstehender Recensent in der Leipziger Allgemeinen musikalischen Zeitung vom J. 1820 (Bd. XXII, Sp. 453): „Herr K. zeigt in diesen Liedern in gar nicht gewöhnlichem Maße die Empfänglichkeit und das Urtheil, welche erfordert werden, um ein Gedicht aus dem Ganzen wahr und klar aufzufassen, sowie das Talent und die Geschicklichkeit dies also aufgefaßte Ganze sich selber lebendig anzueignen, zu individualisiren und um diesem allem gemäß es in Tönen auszusprechen; Vorzüge, ohne welche man, auch bei bedeutenden anderen musikalischen Fähigkeiten und Kenntnissen, zwar, was den Gesang betrifft, sehr hübsche italienische Canzonetten u. dgl., nie aber ein wahres und schönes deutsches Lied schreiben wird, so wenig, als wahren und schönen Theatergesang. In dieser Hinsicht ist keines dieser Lieder verfehlt oder [86] auch nur vernachlässigt und einige sind wahrhaft vortrefflich. Dabei ist Herr Klein ein braver Sänger. Was er der Singstimme gibt, ist überall natürlich, fließend, sogar bequem, ohne darum an Eigenthümlichkeit oder Ausdruck zu verlieren. Eher muthet er der Begleitung hin und wieder, doch nicht oft, etwas zu, das nicht ganz leicht ist“ u. s. f. – Ueber die acht Variationen für Pianoforte, Nr. 1, heißt es ebendort, Spalte 404: „Die Variationen lehren uns einen Componisten kennen, dem es weder an eigenthümlicher Erfindung, noch an Kenntnissen und Geübtheit in solider Harmonie fehlt, der auch sein Instrument vortheilhaft zu benutzen und mit ihm gute Wirkung hervorzubringen versteht.“ Ebenso günstig wird im 21. Bande (1819) Sp. 848 ein Salve regina für eine Sopranstimme mit 2 Violinen, Viola und Baß, opus 3, als „ein höchsteinfaches, andächtiges, eines liebevollinnigen Ausdruckes fähiges Gesangsstück“ beurtheilt. Auch ein Ave Maria (Bd. XXIII, Sp. 427) für vier Singstimmen mit beliebiger Clavierbegleitung erfährt ein gleiches Lob. „Die Wirkung des Ganzen ist andächtig, demüthig mild und wohlthuend“, sagt der Recensent. Besonders aber als Liedercomponist wird ihm durchweg das ungetheilteste Lob gespendet, so 1822 als das 12. Heft „Lieder und Gesänge mit Pianoforte“ in Berlin bei Christiani erscheint. Der Recensent obiger Zeitung schreibt Spalte 739: Herr K. ist ein glücklicher Componist in der Liederkunst. Das Heft enthält wahrhaft ausgezeichnete Stücke. Obgleich seine Erfindung originell ist, bleibt er doch beim Höchsteinfachen und wahrhaft Liedermäßigen. Ueber die bereits oben erwähnte Oper „Dido“ gibt uns Rellstab (a. a. O. S. 194 ff.) eine ausführliche Beschreibung ihrer Entstehung und ihres textischen Inhaltes. Sie gelangte in Berlin im J. 1823 zur öffentlichen Darstellung, errang sich jedoch beim Publikum keinen Erfolg, obgleich sie von seinen Freunden sehr hoch gehalten wurde. So soll Ludwig Berger (nach Rellstab) gesagt haben: „Ich möchte diese Oper lieber geschrieben haben als den Titus!“ (sic?). Rellstab hat sich hiergegen doch etwas mehr selbständiges Urtheil bewahrt und seine Freundschaft zu K. geht nicht in blinde Verehrung über. Er läßt der Oper alle Gerechtigkeit widerfahren, trifft aber auch den Kern der Schwäche aller Compositionen Klein’s. Er sagt S. 197: „In der Einheit des Stils, in der zarten, innigen und großartigen Auffassung des Gedichts, in der Reinheit von allem Geschmackwidrigen, bildet Klein’s Werk ein wahrhaft zum Vorbild geschaffenes Ganze. Ich will die Fehler desselben darum nicht verkennen. Es sind dieselben, die sich auch in Klein’s übrigen Werken, namentlich auch in seinen Oratorien, die sich doch jetzt (1835) eine siegende Bahn brechen, vorfinden und die freilich von dem Publikum, welches in der Musik nur einen bedeutungslosen Genuß des äußeren Ohrs sucht, ohne dieselbe bis in die Seele dringen zu lassen, am schwersten verziehen werden. Der strenge Ernst, die Treue und Wahrheit in der Declamation und der Grundsatz, in der Melodie immer möglichst nicht nur den rhetorischen Accent, sondern die ganze Modulation des Redeausdrucks beizubehalten, bringen scheinbar Monotonie in die Musikstücke, die erst nach genauerer Kenntniß verschwindet. Verstärkt wird dieser Fehler noch dadurch, daß K. auch in harmonischer Beziehung nicht sorgsam genug auf Contraste dachte, oft zu lange in derselben Tonart modulirte und die Glieder zu häufig aus gleichen, oder ganz nahe verwandten Tonarten baute, weshalb ein Musiker, der eine kleinliche Tadelsucht besaß und sich an der sonstigen unendlichen Ueberlegenheit des Werkes ärgerte, die Oper nicht mit Unrecht, aber übertreibend ,eine in C-moll‘ nannte.“ Wenn der öffentliche Erfolg der Oper auch nur ein ehrenvoller war, so hatte er für K. selbst doch die besten Folgen, denn das längst erwählte Mädchen seines Herzens reichte ihm nun die Hand fürs Leben. Es war Elisabeth Parthey, die reiche Erbin. Die Berliner Welt, die gern witzelt und spöttelt, ließ ihr freudiges [87] Erstaunen über dies plötzliche Ereigniß, wie Rellstab schreibt, in allerlei Calembourg – oder wie der Berliner sagt: in Kalauern aus. Er hat sie sich eropert (erobert), hieß es, oder: Sie hat sich Klein gemacht, er die beste Parthey ergriffen u. dgl.

K., nun aller irdischen Sorge enthoben, benutzte die ihm kurz gemessene Lebenszeit in staunenswerther Weise. Außer dieser einen Oper schrieb er noch die „Ariadne“ und die „Irene“ (unvollendet), die Oratorien: „Hiob“, „Jephta“, „David“, „Athalia“ und eine Charfreitags-Cantate (unvollendet), sehr viel geistliche Gesänge, darunter Messen und Magnificat, und eine große Anzahl Lieder und Gesänge. – Ein ausführliches Verzeichniß seiner Werke findet sich in v. Ledebur’s Tonkünstler-Lexikon Berlins. – Als Lehrer der Theorie und Director des kgl. Instituts für Kirchenmusik widmete er sich mit Liebe und Eifer dem Unterricht und sah um sich einen Kreis der begabtesten Schüler, die mit großer Verehrung an ihm hingen; so S. W. Dehn, A. Haupt, W. Taubert, H. Dorn, O. Nicolai, Jul. Schneider, Fr. H. Truhn u. A. Leider wurde ihm bereits 1829 seine Gattin durch den Tod entrissen. Dies Ereigniß wirkte so lähmend auf seine ganze Thätigkeit und besonders auf seine Lebenslust, daß er sich wie menschenscheu von jeglichem Umgange zurückzog und jenem von Rellstab bereits oben erwähnten Verhängniß entgegeneilte, welches seinem Leben am 9. September 1832 ein Ende machte. Noch heute, nach fast 50 Jahren, schreibt mir einer seiner bereits ergrauten Schüler: „wir haben nie aufgehört den unglücklichen Mann zu verehren und zu lieben.“ Rellstab widmet seinem dahingeschiedenen Freunde in der Vossischen Zeitung vom 22. September (Nr. 223) warme und ernste Worte: „In dem Verstorbenen“, schreibt er, „ist eine so reich begabte Eigenthümlichkeit, die sich nicht allein in dem Gebiet der Musik geltend machte, verloren gegangen, daß sein Verlust für diejenigen, welche näher mit der höchst seltenen, ja man ist versucht zu sagen, wunderbaren Organisation seines Geistes bekannt geworden, einer der unersetzlichsten ist, die uns nach dem gegenwärtigen Stande der Dinge betreffen konnten. In K. zeigten sich die verschiedenartigsten geistigen Erscheinungen, deren Lösung schwierig sei, weil sie auf scheinbare Widersprüche stoße. Er blieb dem großen Haufen unverständlich und entbehrte dadurch der allgemeinen Anerkennung; nur Wenige wußten ihn zu schätzen.“ Auch S. W. Dehn gibt uns in der Vorrede zu seiner Harmonielehre (Berlin 1860) ein treffliches Bild über den Mann: „Die erste Andeutung zu einer Grundlage für die systematische Construction sämmtlicher Hauptaccorde einer Tonart verdanke ich den mündlichen Mittheilungen meines Lehrers Bernhard Klein. Seine tiefe, auf Wissenschaft gegründete Einsicht in das ganze Wesen der Tonkunst gewährte mir, wie den meisten seiner Schüler, überhaupt erst einen lichten Blick in die gesammte Theorie der Tonsetzkunst, nach welchem ich wenigstens vorher vergeblich gestrebt hatte.“ Sein Bruder Joseph gab nach dem Tode Bernhards die nachgelassenen Compositionen desselben heraus und sie finden 1837 in der Leipziger Allgemeinen musikalischen Zeitung noch eine zum Theil sehr günstige Aufnahme, obgleich sich bereits der Tadel bemerkbar macht. So schreibt der Referent obiger Zeitung, Spalte 153: Man erkennt einen gebildeten, denkenden Mann und fertigen Tonsetzer, der freilich nicht überall das Höchste erreicht, und Spalte 739: Seine Aufgabe beseelt sich ihm selten zu einem vollen Lebensbilde, es ist vielmehr seine Weise, von Moment zu Moment, ja sogar von Satz zu Satz in Vereinzelung fortzuschreiten. Heute erscheinen uns seine Werke, nachdem wir an den klassischen Meistern gestärkt und einen anderen Maßstab gewohnt sind anzulegen, verblaßt und wir erkennen nur noch den nach Hohem Strebenden, aber bald darin Erlahmenden.