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Artikel „Schumann, Robert“ von Wilhelm Joseph von Wasielewski in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 33 (1891), S. 44–55, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Schumann,_Robert&oldid=- (Version vom 10. Dezember 2024, 01:40 Uhr UTC)
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Schumann: Robert Alexander S., der durch seltene Originalität und Tiefe des Empfindens sich vor den anderen Componisten seiner Zeit auszeichnende Tonsetzer, wurde am 8. Juni 1810 zu Zwickau geboren, wo sein Vater mit günstigem Erfolge eine Verlagsbuchhandlung begründet hatte. Seine Mutter war eine geborene Johanna Schnabel aus Zeitz. Der mit ihr 1795 geschlossenen Ehe entsprossen fünf Kinder, von denen unser Tonmeister das jüngste war. Die Musik, für die S. später so große Bedeutung gewann, fand keine Pflege im elterlichen Hause. Lediglich bestanden die ersten musikalischen Eindrücke, welche er empfing, darin, daß die Mutter ihm allerhand Lieder nach dem Gehör (denn die Noten kannte sie nicht), vorsang, wie es bekanntlich im Familienleben so häufig geschieht. Da der mit einem feinen Gehör begabte Knabe diese Sangesweisen sich schnell aneignete, beschloß seine Mutter, ihm Clavierunterricht ertheilen zu lassen. Derselbe wurde zwischen dem sechsten und siebenten Lebensjahre bei einem Lehrer des Zwickauer Gymnasiums, dem Baccalaureus Kuntzsch begonnen, welcher außerdem das Organistenamt an der Marienkirche versah. Dieser Mann erkannte zwar die ungewöhnliche Begabung seines Schülers, war aber keineswegs die geeignete Persönlichkeit, um dessen Naturell im richtigen künstlerischen Sinne zu leiten. Die Beschäftigung ihres Sohnes mit der Musik betrachtete die Mutter übrigens nur als angenehmen Zeitvertreib. Vor allem wünschte sie, daß Robert sich dereinst einem wissenschaftlichen Berufe widmen sollte. Er wurde daher, als er die Privatelementarschule des Archidiakonus Döhner in Zwickau absolvirt hatte, zum Besuche des Gymnasiums seiner Vaterstadt angehalten, dessen Schüler er von 1820–1828 war. Je mehr sich aber seine Individualität entwickelte, desto mehr machte sich der künstlerische Trieb in ihm geltend, und zwar nicht nur in musikalischer, sondern auch in litterarischer Hinsicht. Wenn er sich einerseits in Gedichten, romanhaften Gebilden und Räuberkomödien versuchte, welch’ letztere mit Beihülfe seines Vaters, sowie seines älteren Bruders Julius unter Mitwirkung von Schulkameraden zur Darstellung im elterlichen Hause gebracht wurden, so unternahm er andererseits bereits als sieben- oder achtjähriger Knabe ohne jede theoretische Vorbildung auf eigene Hand musikalische Compositionsversuche, bei denen es sich um Tänze und Variationen handelte. Einige Jahre später (1822 oder 1823) wagte er sich dann an die Composition des 150. Psalmes für Chor und Orchester. Mit dem Wesen des letzteren hatte er sich einigermaßen dadurch bekannt gemacht, daß er in Gemeinschaft mit seinen musikalischen Jugendgenossen leichtere Orchesterwerke aufführte, wie solche ihm gerade erreichbar waren. In der Regel leitete er dieselben gleichsam dirigirend am Clavier, indem er die fehlenden Instrumentalpartieen zu ergänzen suchte. Auch befaßte er sich, obwol nur oberflächlich, mit dem Flöten- und Violoncellspiel, um erforderlichen Falls mit dem einen oder dem anderen aushelfen zu können. Die solchergestalt bewerkstelligten Musikaufführungen beschloß S. meist mit einer freien Clavierphantasie. Gleichzeitig ließ er es auch an fortgesetzten poetischen Versuchen nicht fehlen, zu welchen er durch die Lectüre verschiedener Autoren, [45] von denen er damals Sonnenberg’s und Schulze’s Schriften bevorzugte, in besonderer Weise angeregt wurde. Ja, er begründete sogar mit gleichgesinnten Schulkameraden einen „litterarischen Verein“, dessen Vorsitzender er war. Dieser Verein hatte nach Ausweis des von ihm dafür entworfenen Statutes den Zweck der „Einführung in die deutsche Litteratur“.

Man sieht, Schumann’s künstlerische Bestrebungen waren von Hause aus zwiefacher Art. Diese Doppelseitigkeit ist charakteristisch für sein eigenartiges Naturell. Sie zeigt, daß seine musikalische Ader im Jünglingsalter noch nicht so entschieden bei ihm hervortrat, um ihn unwiderstehlich zur ausschließlichen Hingabe an die Tonkunst anzutreiben. Sein Schulkamerad Ferd. Röller bemerkt darüber bezeichnend, Schumann’s musikalisches Talent sei in ihm während jener Jahre keineswegs so vorherrschend ausgeprägt gewesen, daß man ihn ganz allein hätte dazu bestimmt glauben können, und fügt hinzu: „Die Ueberzeugung, einmal etwas Ausgezeichnetes zu leisten, gab sich deutlich zu erkennen, aber ganz rein bestimmt scheint mir das Fach von vornherein nicht gewesen zu sein“. S. muß dies selbst später noch empfunden haben, denn in seinem 21. Jahre, nachdem er sich kurz vorher schon gänzlich für die Musik entschieden hatte, schrieb er an seine Mutter: „Wäre mein Talent zur Dichtkunst und Musik nur in einem Punkte concentrirt, so wäre das Licht nicht so gebrochen, und ich getraute mir viel“. Geschah es doch auch, daß S. bis zum Eintritt in das reifere Mannesalter seine Kräfte zu gleichen Theilen der musikalisch schöpferischen und litterarischen Thätigkeit widmete, – nämlich als Herausgeber der „Neuen Zeitschrift für Musik“. Nach dieser Zeit nahm ihn freilich die Kunst der Töne vollständig und ausschließlich in Anspruch. Höchst wahrscheinlich ist es, daß dies schon früher geschehen wäre, wenn S. in der Jugend eine schulgerecht normale künstlerische Ausbildung, namentlich in theoretischer Beziehung erhalten hätte, denn daß seine musikalische Begabung die bei weitem stärkere Potenz in ihm war, beweist sein späteres schöpferisches Wirken.

Der Clavierunterricht, welchen S. im zarten Alter von Kuntzsch erhielt, währte nur wenige Jahre. Nachdem der Knabe nämlich, der sich durch Talent und Privatfleiß eine nicht unbeträchtliche pianistische Fertigkeit erworben hatte, in gesellschaftlichen Zirkeln, sowie in den musikalischen Vortragsabenden des Gymnasiums mehrfach als Solospieler aufgetreten war, ohne seinen Clavierlehrer dabei zu Rathe gezogen zu haben, erklärte dieser, Robert bedürfe seiner Leitung nicht mehr und könne sich nunmehr allein weiter fortbilden.

Der Vater beobachtete mit erklärlichem Antheil den regen Trieb seines Sohnes zur künstlerischen Bethätigung. Anfangs hegte er die Hoffnung, Robert werde die litterarische Laufbahn verfolgen, welche er selbst in seinen jüngeren Jahren als Verfasser mehrerer fachwissenschaftlicher und geschäftlicher Schriften mit einigem Erfolg beschritten hatte. Als sich aber die Compositionsversuche seines Sohnes mehrten, zu denen bald auch Ouverturen- und sogar Opernentwürfe kamen, gewann er den Glauben, daß derselbe zum Musiker bestimmt sei. Gegen den Willen seiner Gattin, welche von der Kunst als Lebensberuf nichts wissen mochte, wandte er sich brieflich an den hochgefeierten Schöpfer des „Freischütz“ und bat ihn, seinen Sohn als Schüler anzunehmen. Weber zeigte sich dazu geneigt; aus unbekannten Ursachen kam indessen der Plan nicht zur Ausführung. Robert verblieb in Zwickau, besuchte weiter das Gymnasium und beschäftigte sich neben seinen Schulpflichten auf eigene Hand fortgesetzt mit künstlerischen Dingen. Wenn dieses Dilettiren nun auch keineswegs ganz vergeblich war, so konnte es ihn doch nicht in sicherer Weise fördern, da er einer einsichtsvollen, zielbewußten Leitung entbehrte. Vielleicht hätte der Vater noch einen zweiten Schritt gethan, um seinen Sohn einem anerkannten Tonmeister zur Ausbildung [46] zu übergeben, wäre er nicht nach längerem Siechthum am 10. August 1826 aus diesem Dasein abberufen worden.

Robert war damals soeben in das siebzehnte Lebensjahr eingetreten, also in jenes Alter, in welchem sich bei lebhaft empfindenden und zu Gefühlsschwärmereien hinneigenden Naturen die ersten Herzensregungen zu melden pflegen. S., der, wie man weiß, zu diesen Naturen gehörte, machte keine Ausnahme davon. Thatsächlich hatten es ihm fast gleichzeitig zwei Jungfrauen seiner Vaterstadt angethan, denen er wechselsweise feurige Huldigungen in platonisirender Weise und, so zu sagen, aus der Ferne darbrachte, indem er sie in Dichtungen und Gesängen feierte. Zu den um jene Zeit auf Byron’sche und Schulze’sche Texte componirten Liedern wurde er noch ganz besonders durch eine von ihm verehrte gesangskundige Dilettantin, Namens Agnes Carus, angeregt, welche sich während des Sommers 1827 besuchsweise in Zwickau bei Verwandten aufhielt. Es kam hinzu, daß S. damals Jean Paul’s Werke kennen lernte, welche ihm sogleich die höchste Bewunderung einflößten. Dieser Autor entsprach seiner mystisch phantastischen Empfindungsweise mehr als alle anderen Dichter, zum Theil wol auch mit deshalb, weil Jean Paul in seinen Schriften der Musik eine so bevorzugte Stellung eingeräumt hat. In erster Linie war es aber doch jedenfalls die eigenthümliche Gefühls- und Ausdrucksweise Jean Paul’s, zu der S. sich wahlverwandtschaftlich hingezogen fühlte, und zwar um so mehr, als dieselbe mit seinem romantisch gestimmten Seelenleben harmonirte, durch welches ja auch seine gesammte künstlerische Productivität gekennzeichnet ist. Im März des Jahres 1828 schrieb er an seinen Jugendfreund Flechsig: „Jean Paul nimmt noch den ersten Platz bei mir ein: und ich stelle ihn über Alle, selbst Schillern (Goethe versteh’ ich noch nicht) nicht ausgenommen.“ Einen wie tiefen Eindruck der Jean Paulismus auf S. gemacht hatte, geht am deutlichsten daraus hervor, daß derselbe sich für längere Zeit sehr stark in seinem Schriftthum, sowie in seiner Tonsprache reflectirte.

Die Osterzeit 1828 war herbeigekommen. S. hatte das Gymnasium unter Ablegung des Abiturientenexamens durchgemacht und es sollte nun die Entscheidung für den Lebensberuf getroffen werden. Er fühlte sich zur Kunst hingezogen, seine Mutter aber bestand auf dem Studium der Rechtswissenschaft, und so fügte er sich fürs erste dem Wunsche derselben. Nachdem er in Gemeinschaft mit einem neuerworbenen Freunde, seinem späteren Heidelberger Studiengenossen Gisbert Rosen aus Detmold eine Erholungsreise über Baireuth nach Augsburg und München, wo er Heinrich Heine’s persönliche Bekanntschaft machte, unternommen hatte, bezog er zunächst die Universität Leipzig. Wol belegte er die für das ihm aufgedrungene Fach erforderlichen Collegien, doch besuchte er sie mit ausgesprochener Abneigung und nur unregelmäßig, wogegen er den sogenannten Humanioribus zeitweilig ein reges Interesse widmete. Am meisten freilich zog es ihn zur Tonkunst hin. Dieser opferte er den größten Theil seiner Zeit. Mit Zustimmung seiner Mutter, welche gegen das Musiciren des Vergnügens und der Erholung halber nichts einzuwenden hatte, ersuchte er Friedrich Wieck, in dessen Hause er bald heimisch wurde, um Clavierunterricht, der ihm auch gewährt wurde. Seine Fingerfertigkeit war damals schon eine ansehnliche, entbehrte indessen noch sehr der gründlichen Durchbildung. Er spielte, so schrieb er zwei Jahre später an Hummel, „zwar alle Concerte vom Blatt“, mußte „im Grunde aber die C-dur-Scala erst anfangen“.

Unter seinen studentischen Bekannten fand S. einige, mit denen er sich aufs eifrigste den Freuden des Zusammenspieles hingab, wobei mancherlei Werke der Kammermusik geübt und gelegentlich vor einem kleinen Kreise von Zuhörern zum besten gegeben wurden. Als Hauptstück figurirte dabei Franz Schubert’s Es-dur-Trio, [47] Op. 100. Mit den Claviercompositionen dieses genialen Tonsetzers beschäftigte sich S. überhaupt sehr viel: er war ihm der musikalische Jean Paul. Aber auch in die Kunst Beethoven’s und Bach’s vertiefte er sich. Das „wohltemperirte Clavier“ des Letzteren beschäftigte ihn fast täglich, und zugleich ließ er es an erneuten Compositionsversuchen nicht fehlen.

Dieses Musiktreiben wurde unterbrochen, als S. nach Ablauf eines Jahres Leipzig mit Heidelberg vertauschte, angeblich um dort seine juristischen Studien fortzusetzen, in Wirklichkeit jedoch, um fleißig weiter zu musiciren. Die Rechtswissenschaft war ihm durchaus antipathisch, und selbst ein so geistreicher Lehrer derselben wie Thibaut, vermochte ihm kaum mehr als ein vorübergehendes Interesse dafür abzugewinnen. Alle guten Vorsätze und Anläufe, die auf die Jurisprudenz bezüglichen Vorlesungen seiner Mutter zu Liebe regelmäßig wahrzunehmen, fruchteten nichts. Desto mehr drängte es ihn zur Musik: er wollte sich der Virtuosenlaufbahn widmen, ein Wunsch, der sich noch wesentlich steigerte, als S. zu Ostern 1830 Paganini in Frankfurt hatte spielen hören.

Schon nach einem halbjährigen Aufenthalt in Heidelberg (November 1829) eröffnete S. seiner Mutter den inneren Conflict, welcher ihn bedrängte, indem er ihr schrieb: „Glaube mir, hätt’ ich jemals Etwas auf der Welt geleistet, es wäre in der Musik geschehen; ich habe in mir von jeher einen mächtigen Trieb für die Musik gefühlt, auch wohl schaffenden Geist, ohne mich zu überschätzen. Aber – Brodstudium! – Die Jurisprudenz verknorpelt und vereist mich noch so, daß keine Blume der Phantasie sich mehr nach dem Frühling der Welt sehnen wird.“

Die Mutter antwortete auf diese Kundgebung entweder ausweichend oder in liebevoll ermahnendem Tone, bei dem Rechtsstudium zu beharren, denn vor der Hand kam die Berufsfrage nicht weiter zur Erörterung. S. verblieb ruhig in Heidelberg und – musicirte in aller Stille für sich wie bisher. Inzwischen entstanden auch wieder verschiedene Compositionen, so namentlich 1829 einige der später in den „Papillons“ (Opus 2) abgedruckten Tonsätze, ferner Clavieretüden zum eigenen Gebrauch, und in der ersten Hälfte des Jahres 1830 die Abegg-Variationen (Opus 1), sowie Anfänge zu einem Clavierconcert und zu Symphonieen. An Wieck berichtete er damals, er sei „manchmal so voll von lauter Musik und so recht überfüllt von nichts als Tönen“, daß es ihm „eben nicht möglich“ sei, „Etwas niederzuschreiben“. Der Drang zur Production war mächtig in ihm, er gebot nur noch nicht über das Vermögen, seine Gedankenwelt in wohlgeordneter formeller Gestaltung zu Papier zu bringen, da es ihm an dem dazu Nothwendigen, nämlich an der Compositionstechnik fehlte.

Unterm 30. Juli 1830 richtete S. an seine Mutter einen Brief, in welchem er abermals die Berufsfrage zur Sprache brachte und zugleich den festen Entschluß kundgab, sich gänzlich der Musik widmen zu wollen. Diese Eröffnung versetzte seine Mutter in große Bestürzung. Rathlos wie sie war, wandte sie sich auf den Wunsch ihres Sohnes an Friedrich Wieck, um dessen Gutachten zu erbitten. Dasselbe fiel zu Gunsten Schumann’s aus, und damit war die Angelegenheit endgültig entschieden. S. kehrte ein paar Monate später nach Leipzig zurück, um dort sein selbstgewähltes Lebensziel zu verfolgen. Er hätte keinen geeigneteren Ort dafür wählen können, denn Leipzig besaß ein altgegründetes, wohlorganisirtes Musikleben, durch welches die Stadt eine hervorragende, und damals bezüglich der Instrumentalmusik für Norddeutschland auch maßgebende Stellung einnahm.

Da S. noch an dem Gedanken festhielt, sich als Claviervirtuose auszubilden, so begann er von neuem den entsprechenden Unterricht bei Friedrich Wieck. Bald aber schien es ihm, als ob er in technischer Beziehung nicht schnell genug [48] fortschreite. Um nun rascher vorwärts zu kommen, unternahm er heimlich ein mechanisches Uebungsverfahren, durch welches er, ohne es zu ahnen, seine rechte Hand beschädigte. Zunächst versagte infolge unnatürlicher Ueberanstrengung nur erst der Zeigefinger den Dienst beim Clavierspiel, dann aber trat allmählich auch eine Erlahmung der ganzen Hand ein. Jahre lang that S. mit großer Beharrlichkeit alles Mögliche, um den erlittenen Schaden zu beseitigen, doch besserte sich das Uebel schließlich nur so weit, daß das krankende Organ nach und nach wieder für das private Musiciren einigermaßen brauchbar wurde. Angesichts des Mißgeschickes, welches S. sich infolge seiner gewaltsamen Fingerexercitien zugezogen hatte, blieb ihm nur noch die Möglichkeit bei der Kunst zu bleiben, wenn er sich ausschließlich dem Schaffen widmete. Er sah dies sehr wohl ein und entschloß sich auch, bei einem damals in Leipzig anwesenden Musikdirector, Namens Kupsch, theoretischen Unterricht zu nehmen, wozu er sich bis dahin nicht hatte entschließen können. „Sie wissen, ich mag die absolute Theorie wenig leiden“, schrieb er aus Heidelberg an Friedrich Wieck. Nun war er sich aber doch darüber klar geworden, daß ohne sie im Compositionsfache nichts Rechtes anzufangen sei. Indessen dauerte der Unterricht bei Kupsch nur kurze Zeit, und S. componirte wieder für sich. So arbeitete er an der Fortsetzung des in Heidelberg begonnenen, wol aber niemals beendeten Clavierconcertes, fertigte seine durch Jean Paul’s „Flegeljahre“ veranlaßten „Papillons“ (Opus 2) und schrieb unveröffentlicht gebliebene Variationen über ein Originalthema. Alle diese Erzeugnisse, soweit sie bekannt wurden, lassen das ungewöhnlich begabte, geistreiche Naturell Schumann’s erkennen, vermögen jedoch höheren Ansprüchen nicht gerecht zu werden, da sie, auf einer unsicheren künstlerischen Basis ruhend, in compositorischer Hinsicht unzulänglich sind. Als gewandter Spieler hatte S. sich für den Claviersatz gewisse Vortheile anzueignen vermocht, und auch Manches aus Meisterwerken, sowie aus theoretischen Schriften auf autodidaktischem Wege gelernt. Doch diese Selbsthülfe konnte keineswegs eine regelmäßige, folgerichtige Ausbildung in der Compositionskunst ersetzen. Nachdem er nun, auf seine eigene Kraft vertrauend, Jahre lang allein für sich gearbeitet hatte und dann zu der Erkenntniß gelangt war, daß das ins Auge gefaßte Ziel ohne fachmännisch gründliche Anleitung nicht erreicht werden könne, ersuchte er Heinrich Dorn, der zu jener Zeit Capellmeister am Leipziger Theater war, um theoretischen Unterricht. Dorn erklärte sich dazu bereit. Da es sich zeigte, daß S. in den Elementen der Harmonielehre noch ganz unsicher war, mußte der Unterricht mit Uebungen begonnen werden, wie man sie Anfängern gibt. S. war aber sehr fleißig und machte daher schnelle Fortschritte. Weil er jedoch nicht mit ausdauernder Beharrlichkeit das Studium verfolgte, brach Dorn nach Verlauf von etwa einem halben Jahre den Unterricht ab. S. wünschte weiterhin nochmals die Lehre vom Kanon unter Leitung Dorn’s durchzunehmen, wozu es jedoch nicht mehr kam. Im Juli 1832 berichtete er seinem alten Lehrer Kuntzsch, er habe vor etlichen Monaten den theoretischen Cursus bei Dorn bis zum Kanon vollendet, den er nach Marpurg für sich durchstudirt. Im J. 1836 schrieb S., seiner Lehrzeit bei Dorn eingedenk, an denselben: „Also denke ich fast täglich an Sie, oft traurig, weil ich doch gar zu unordentlich lernte, immer dankbar, weil ich trotzdem mehr gelernt habe, als Sie glauben.“

In der That hatte S. unter Dorn’s Führung Vieles gelernt, wie aus seinen demnächst unternommenen Compositionen zu ersehen ist. Dieselben bestanden in den „Intermezzi“, Opus 4, in einigen kleineren Tonsätzen, welche im Opus 124 mit zum Abdruck gelangten, in den Bearbeitungen von zwölf Paganini’schen Violincapricen (als Op. 3 und 10 in zwei Heften erschienen), sowie in den „Impromptus“ Opus 5. Dann auch wurde der erste Satz einer Symphonie [49] in G-moll gefertigt, zu der im folgenden Jahre zwei weitere Stücke kamen, und außerdem begann S. seine beiden Sonaten Op. 11 und 22. Der Fortschritt in diesen Werken, so weit sie veröffentlicht sind, gegen die vorhergehenden ist unverkennbar. Freilich konnte das soeben erst absolvirte Studium nicht sogleich runde, formell vollendete Schöpfungen erzeugen. S. mußte erst den in sich aufgenommenen spröden Lehrstoff innerlich verarbeiten, und dazu gehörte Zeit. Sehr natürlich ist es daher, daß seine damaligen Compositionen inbetreff der gesammten Gestaltung zu wünschen ließen, was S. später selbst ausdrücklich anerkannt hat. Wenn im Gegensatz dazu hier und da behauptet worden ist, in Schumann’s Erstlingswerken spreche sich seine Individualität am bestimmtesten und reinsten aus, so ist dies nur in einem bedingten Sinn richtig. Allerdings sind diese aus „Sturm und Drang“ hervorgegangenen Geisteserzeugnisse, zu denen auch die Fis-moll-Sonate (Opus 11) zu rechnen ist, in ihrer Besonderheit eigenartig und anziehend. Doch würden sie, ohne von ihrer Ursprünglichkeit zu verlieren, weit mehr höheren künstlerischen Anforderungen entsprochen haben, wenn S. sich bereits in jüngeren Jahren die Compositionstechnik angeeignet und dadurch frühzeitig die Fähigkeit erworben hätte, sich mit der im Gesetze wurzelnden Freiheit auszudrücken. Daß dem so ist, beweisen unumstößlich die von ihm während seiner mittleren schöpferischen Periode geschriebenen Werke, welche bei durchaus eigenthümlichem Gehalt auch meistentheils schön gestaltet sind und ihm die Krone der Meisterschaft eingetragen haben.

Im J. 1834 war S. als Tonsetzer quantitativ weniger productiv als unmittelbar vorher: er schrieb nur die geist- und charaktervollen symphonischen Etüden (Op. 13), sowie den „Carneval“ (Op. 9). Die Ursache dieses eingeschränkteren musikalischen Schaffens hatte ihre besonderen Gründe. S. gehörte seit dem Ende des Jahres 1833 einem geselligen Kreise jüngerer Musiker an, welche in regelmäßigen abendlichen Zusammenkünften ihre Ideen über die Tonkunst austauschten. Es stand damals das fahrende Virtuosenthum und die mit demselben eng verbundene oberflächliche Salonmusik in höchster Blüthe. Ernstere Bestrebungen wurden dadurch in den Hintergrund gedrängt, zumal auch die Verleger, welche des flotten Geschäftes halber am liebsten gangbare Modeartikel auf den Markt warfen, schwer für höhere Bestrebungen zu gewinnen waren. Dazu kam, daß die Leipziger musikalische Kritik schlaff und schwächlich geworden war, mithin nicht auf der Höhe der Zeit stand. Gegen diese unerquicklichen Zustände beschloß S. mit Gleichgesinnten Front zu machen, in der Hoffnung, das öffentliche Kunstleben wieder mehr zu heben. Demgemäß beschloß man, ein eigenes litterarisches Organ zu gründen, nicht allein um dem bestehenden Schlendrian einen Damm entgegenzusetzen, sondern auch, um jungen Talenten die Wege zu ebnen. So entstand die „Neue Zeitschrift für Musik“, welche vom April 1834 ab in regelmäßiger Wochenausgabe erschien. An der Begründung derselben waren außer S. betheiligt: der talentvolle, acht Monate später schon durch ein Brustleiden dahingeraffte Pianist Ludwig Schunke, Julius Knorr und Friedrich Wieck. Im Grunde war aber S. die treibende Kraft, wie er denn auch anfangs ganz allein die Redactionslasten trug und, abgesehen von den auswärtigen Correspondenzen, die hauptsächlichsten Beiträge für die Zeitung lieferte. Knorr und Wieck zogen sich ohnehin bald von dem Unternehmen zurück. Eine wirkliche Unterstützung erlangte S. erst, als Carl Banck im Sommer 1834 nach Leipzig kam, und für mehrere Jahre sein thätiger Mitarbeiter an dem neu geschaffenen Blatte wurde. Daß dasselbe im Laufe der nächsten Jahre vollkommen den rühmlichen Zweck erreichte, dem es gewidmet war, ist genugsam bekannt.

Durch sein musiklitterarisches Wirken hat S. sich ein bedeutsames Denkmal [50] von bleibendem Werth gesetzt. Es ist hier indessen nicht der Ort, um auf diesen Zweig seiner Thätigkeit näher einzugehen. Nur der originellen Einkleidung sei gedacht, deren er sich mehrentheils bei seinen Schriftstücken bediente, indem er durch fingirte Charaktere den gegensätzlichen Anschauungen seiner „Doppelnatur“ beredten Ausdruck gab. Die von ihm dafür erfundenen Hauptgestalten waren Florestan und Eusebius. Florestan sollte die stürmische, leidenschaftliche, und Eusebius die sanfte, schwärmerische Seite seines Wesens versinnlichen. Dazwischen stand vermittelnd Meister Raro. Mit diesen Scheinfiguren, denen noch andere, von S. für bestimmte Persönlichkeiten seiner Sphäre ersonnene Maskennamen hinzugesellt wurden, war die romanhafte Idee des sogenannten Davidsbündlerthums verbunden, jener imaginären geistigen Verbrüderung, durch welche das Kunstphilisterthum bekämpft werden sollte. Diese „nur im Kopfe“ Schumann’s existirende „Davidsbündlerschaft“, welche in der „Neuen Zeitschrift für Musik“, Wahrheit und Dichtung auf humoristische Weise verbindend, sich zum öfteren vernehmen ließ, trieb auch bald bemerkenswerthe Blüthen in der compositorischen Thätigkeit ihres Urhebers, wie der „Carneval“, Op. 9, die Fis-moll-Sonate, Op. 11, und die „Davidsbündlertänze“, Op. 6, beweisen.

Die Entstehung des „Carnevals“ fällt in die Zeit eines Herzenserlebnisses Schumann’s. Ja, man kann sagen, daß das letztere geradezu die Veranlassung zu diesem Werke wurde. S. lernte nämlich zu Beginn des Sommers 1834 im Wieck’schen Hause eine junge Dame, Namens Ernestine v. Fricken, kennen. Bald entspann sich eine zarte, vollkommen erwiderte Neigung zu ihr. Ernestinens Heimathsort war das böhmische Städtchen Asch. S. hatte herausgefunden, daß die Buchstaben dieses Ortsnamens durch die Töne a es c h zu versinnlichen seien und zugleich, daß dies die einzigen musikalischen Buchstaben seines eigenen Namens waren. Dieses „Zufallsspiel“ gab S., der sich im Liebesfeuer befand, den Antrieb zur Composition einer Reihe von Claviersätzen, denen fast durchgängig die obigen vier Töne zu Grunde liegen. Das Ganze wurde schließlich durch die den einzelnen charakteristischen Stücken gegebenen Ueberschriften zu einer Art Maskenspiel. S. verlobte sich mit Ernestine v. Fricken in der Absicht, sie zu seiner Lebensgefährtin zu machen. Aber die intime Beziehung zu ihr erkaltete von Seiten Schumann’s allmählich und wurde im Januar 1836 wieder definitiv gelöst, nachdem er sich vorher innerlich schon für Clara Wieck, seine nachmalige Gattin entschieden hatte, die damals im siebzehnten Lebensjahre stand. Clara’s Vater wollte indessen von diesem Verhältnisse schlechterdings nichts wissen und legte demselben, anfangs mit Erfolg, mannichfache Hindernisse in den Weg, woraus sich für S. Conflicte ergaben, die aufs tiefste in sein Seelenleben eingriffen. Die nachhaltig schweren Gemüthsbewegungen, in welche er dadurch versetzt wurde, fanden ihren künstlerischen Ausdruck in einigen Compositionen, worüber S. gelegentlich an Heinr. Dorn schrieb: „Gewiß mag von den Kämpfen, die mir Clara gekostet, Manches in meiner Musik enthalten und gewiß auch von Ihnen verstanden worden sein. Das Concert (Opus 14), die Sonate (Opus 11), die Davidsbündlertänze, die Kreisleriana und die Novelletten hat sie beinah allein veranlaßt.“

Von den Tonschöpfungen, welche S. noch außer den soeben genannten während seiner Herzensbedrängnisse schrieb, sind vor allem hervorzuheben: die „Phantasiestücke“ (Op. 12) und die „Kinderscenen“ (Op. 15). Diese Clavierwerke nebst den schon erwähnten „Kreisleriana“ (Op. 16) und den „Novelletten“ (Op. 21) bilden gleichsam den Höhepunkt dessen, was S. in seiner ersten schöpferischen Periode geleistet hat. Wie Geistreiches und in gewissem Sinne Bedeutendes auch seine vorher entstandenen Compositionen, zu denen noch die anfangs 1836 geschriebene „Phantasie“ (Op. 17) gehört, immer enthalten – sie können [51] sich inbetreff der Gesammtgestaltung mit den vorstehend ausgezeichneten nicht messen. Dies erklärt auch, warum Werke, wie namentlich die Phantasiestücke Op. 12 und die Kinderscenen Op. 15, mit infolge ihrer leichteren Verständlichkeit, bald große Verbreitung fanden und Schumann’s Namen in der musikalischen Welt erst recht eigentlich bekannt machten.

Die unverkennbare Wandelung, welche sich in S. während der Jahre 1837 und 1838 bezüglich der bei weitem bestimmter, klarer und abgerundeter gewordenen Darstellungsweise vollzog, beruhte nicht allein darin, daß er fortgesetzt an seiner Vervollkommnung arbeitete. Er wurde gleichzeitig auch wesentlich durch eine Persönlichkeit beeinflußt, deren künstlerische Ueberlegenheit er ebenso rückhaltlos als freudig anerkannte. Diese Persönlichkeit war Felix Mendelssohn-Bartholdy.

Mendelssohn kam zu Ende des Sommers 1835 nach Leipzig, um die Leitung der Gewandhausconcerte zu übernehmen, denen er bekanntlich einen bedeutenden Aufschwung gab. Bereits in jungen Jahren gebot er über eine seltene Meisterschaft im Tonsatz, was Schumann’s aufmerksamen Blicken nicht entgangen war: schon in der Vorrede zum ersten Heft seiner Bearbeitungen der Paganinischen Etüden (Op. 3), welche 1832 erschienen, machte er eine Hindeutung auf Mendelssohn’s emporsteigenden Stern. Sehr bald nach Mendelssohn’s Ankunft in Leipzig lernte S. denselben kennen. Bald auch traten beide Männer einander näher, und im häufigen Beisammensein tauschten sie ihre Ansichten über die Kunst aus. Für S. nun war dieser Verkehr ungemein fördernd, da Mendelssohn der bei weitem geschultere, erfahrenere und einsichtsvollere Musiker war. S. erkannte dies in einer, seine noble Gesinnung kennzeichnenden Weise an, indem er unterm 13. April 1838 an Clara Wieck schrieb: „Wie ich mich als Musiker zu ihm (zu Mendelssohn) verhalte, weiß ich aufs Haar und könnte noch Jahre bei ihm lernen.“

Der vorstehend angedeutete Einfluß Mendelssohn’s auf S. konnte begreiflicher Weise nicht urplötzlich, sondern nur allmählich seine Wirkung ausüben. Ganz entschieden trat sie erst hervor, als S. anfing, sich den großen Instrumentalformen zuzuwenden. Doch auch vor dem Jahre 1840 machen sich schon die Spuren der erwähnten Einwirkung insofern bemerklich, als S. mehr und mehr eine durchsichtigere, melodisch reichere und formvollendetere Schreibweise annahm. Während der letzten Monate des Jahres 1838, sowie des ganzen folgenden Jahres war seine Productivität jedoch keine umfänglichere. Es entstanden während dieser Zeit, abgesehen von dem mehrsätzigen „Faschingsschwank“ (Opus 26) nur kleinere Claviercompositionen, nämlich: „Arabeske“ (Opus 18), „Blumenstücke“ (Opus 19), „Humoreske“ (Opus 20), „Nachtstücke“ (Opus 23), drei „Romanzen“ (Opus 28), sowie einige in Op. 99 und 124 mitabgedruckte Tonsätzchen. Manches Andere wurde begonnen, aber nicht vollendet. Besondere Umstände waren eingetreten, welche Schumann’s Arbeitskraft wesentlich beeinträchtigten. Es wurde bereits erwähnt, daß S. ein Seelenbündniß mit Clara Wieck geschlossen hatte, welchem deren Vater die Anerkennung versagte. Dies geschah in einer so beharrlichen und rücksichtslosen Weise, daß S. dadurch für längere Zeit in die kummervollste Lage versetzt wurde. In der Hoffnung, diesem Zustande ein Ende machen zu können, wenn er sich von dem Schauplatze seiner Seelenbedrängnisse entfernte, faßte er den Plan, von Leipzig nach Wien überzusiedeln, um sich dort, zugleich mit Rücksicht auf die Begründung der von ihm ersehnten ehelichen Verbindung, ein neues Heim zu schaffen. Ein wichtiges Moment bildete dabei die Dislocirung seiner Musikzeitung, welche er nicht in Leipzig zurücklassen wollte. Ende September 1838 begab er sich daher nach Wien, in der Ueberzeugung, dort durch seine persönliche Anwesenheit zunächst [52] diese ihm so wichtige Angelegenheit schnell ordnen zu können. Darin hatte er sich freilich durchaus getäuscht. Nach monatelangen zeitraubenden Verhandlungen wurden ihm von der Wiener Polizeibehörde inbetreff der Zeitungsangelegenheit so unübersteigliche Hindernisse in den Weg gelegt, daß er sich endlich genöthigt sah, unverrichteter Sache wieder nach Leipzig zurückzukehren. Auch hier gelangte er vor der Hand nicht zur Ruhe, denn es stürmten erneute, seine Herzensangelegenheiten betreffende Gemüthserregungen auf ihn ein. Da der Vater seiner Erwählten auch ferner bei seinem Widerstand blieb, so sah S. sich genöthigt, die Hülfe der zuständigen juristischen Behörde anzurufen. Es war damit ein längerer Proceß verbunden, der schließlich zu Gunsten Schumann’s entschieden wurde. Am 12. September 1840 fand seine legale eheliche Verbindung mit Clara Wieck statt.

Wurde das Jahr 1840 für S. einerseits durch die Verwirklichung seiner Herzenswünsche zu einem bedeutungsvollen, so gewann es andererseits für ihn auch in künstlerischer Beziehung Wichtigkeit. Wir sahen, daß S. von 1829 ab bis zum Jahre 1840 seine Kräfte als Tonsetzer dem instrumentalen Schaffen gewidmet hatte. Die Instrumentalcomposition war jenes Gebiet, in dem er sich heimisch fühlte, ja, er stellte sie ganz entschieden über die Vocalmusik. Dementsprechend schrieb er an Hirschbach, einen der Mitarbeiter an seiner Zeitung: „Componiren Sie doch mehr für Gesang. Oder sind Sie vielleicht wie ich, der ich Gesangscompositionen, so lange ich lebe, unter die Instrumentalmusik gesetzt habe und nie für eine große Kunst gehalten?“

Von dieser seltsamen Anschauung, die einigermaßen im Zusammenhang mit der romantischen Richtung Schumann’s stand, war unser Meister, als er ihr Ausdruck gab, wohl schon zurückgekommen, denn zu Beginn des Jahres, in welchem er sich verheirathete, warf er sich mit solcher Energie auf die Vocalcomposition, daß in demselben ausschließlich nur Gesänge (der Zahl nach circa 140) für eine Stimme, sowie für zwei und mehrere Stimmen entstanden. Leicht ist zu errathen, woher ihm der Antrieb dazu kam. Das mächtig gesteigerte Liebesgefühl, welches ihn angesichts der Hoffnung beseelte, bald mit der Erwählten seines Herzens vereinigt zu sein, trieb ihn, zu dem gesungenen Worte zu greifen, um vermöge desselben die reiche Fülle seines tief bewegten Inneren austönen zu lassen.

S. schrieb weiterhin noch eine beträchtliche Anzahl von Liedern und Gesängen, aber den hohen poetischen Schwung, die innige Gemüthsschwärmerei vieler seiner im J. 1840 entstandenen Vocalsätze vermochte er nur in verhältnißmäßig wenigen Fällen wieder zu erreichen.

Mit dem Jahre 1841 trat S. insofern in die Periode der bedeutendsten schöpferischen Thätigkeit ein, als von da ab seine umfangreichsten und gehaltvollsten Tongebilde entstanden. Indem er sich zunächst wieder vorzugsweise der Instrumentalmusik zuwandte, componirte er in diesem und dem folgenden Jahre nachstehende Werke: Symphonie (B-dur, Op. 38), „Ouvertüre, Scherzo und Finale“ (letzteres im J. 1845 umgearbeitet, E-dur, Op. 52), erster Satz des Clavierconcertes (A-moll, Op. 54), Symphonie (D-moll, Op. 120), neu instrumentirt 1851, drei Streichquartette Op. 41, Clavierquintett Op. 44, Clavierquartett Op. 47 und „Phantasiestücke“ Op. 88.

Das Jahr 1843 wurde nach Vorausgang der Variationen für 2 Claviere (Op. 46) der Composition des weltlichen Oratoriums „Paradies und Peri“ (Op. 50) gewidmet. Ein äußeres Erlebniß war die vorübergehende Betheiligung Schumann’s als Lehrer an der in Leipzig neu eröffneten Musikschule. Zu Beginn des Jahres 1844 unternahm er mit seiner Gattin eine Kunstreise nach Petersburg und Moskau. Von derselben anfangs Juni heimgekehrt, löste [53] er sein Verhältniß zu der von ihm bis dahin herausgegebenen und geleiteten Musikzeitung vollständig auf, und machte sich dann an die Composition der Schlußscene des zweiten Theiles von Goethe’s Faust. Die Versenkung in diese schwierige Arbeit strengte Schumann’s Geist so sehr an, daß er nach ihrer Vollendung in einen besorgnißerregenden Zustand verfiel. Diese Erscheinung war keine neue. Schon im Herbste des Jahres 1833 wurde S. aus Anlaß des Todes einer seiner Schwägerinnen von einer tiefen Exaltation ergriffen, die sich in „fürchterlicher Melancholie“ äußerte und eine unnatürliche Furcht vor dem Aufenthalte in hohen Stockwerken erzeugte. Nunmehr, nach elf Jahren traten bei S. aufs neue ähnliche krankhafte Symptome hervor, aber in weit stärkerem Grade als das erste Mal. Dieser Umstand bestimmte ihn, im Spätherbst 1844 seinen Wohnsitz von Leipzig nach Dresden zu verlegen, um dort in Ruhe und Zurückgezogenheit von der Welt eine Besserung seiner Leiden herbeizuführen. Dieselbe wurde auch unter angemessener ärztlicher Behandlung allmählich erreicht, so daß S. sich im Laufe des folgenden Jahres wieder mehr und mehr seiner künstlerischen Thätigkeit zuwenden konnte. So entstanden demnächst außer vielen contrapunctischen Arbeiten die vier Fugen für Pianoforte (Op. 72), die Studien für den Pedalflügel (Op. 58) und die beiden letzten Sätze zum Clavierconcert (Op. 54). Ueberdies wurde die C-dur-Symphonie Op. 61 skizzirt, wogegen ihre Ausarbeitung erst im J. 1846 unternommen wurde.

Dem folgenden Jahr gehören, abgesehen von einigen kleineren Vocalsätzen, an größeren Werken an: die Ouvertüre zur Oper Genoveva und die beiden Claviertrios Op. 63 und 80. Im übrigen war S. mit Skizzirung der Oper Genoveva selbst beschäftigt, deren Partitur im August 1846 vollendet wurde. Die ersten Aufführungen dieser Bühnenschöpfung erfolgten zu Leipzig am 25., 28. und 30. Juni 1850. Sie erzielten kaum mehr als einen Achtungserfolg. Nach der dritten Darstellung wurde die Oper ad acta gelegt, und Jahre verflossen, ehe sie in Leipzig wieder über die Bretter ging. Die anderen Bühnen Deutschlands zögerten lange, ehe sie die „Genoveva“ in Scene setzten. Eine durchgreifende, bleibende Wirkung wurde mit der Oper nirgend erreicht, was seinen Grund in dem mehrentheils undramatischen Wesen derselben hat. Abgesehen hiervon besitzt das Werk viele Züge von hervorragender musikalischer Bedeutung und Schönheit.

Im Spätherbst des Jahres 1848 entstand mit der Ouvertüre zu Byron’s „Manfred“ die großartigste instrumentale Schöpfung Schumann’s, gleich ausgezeichnet durch tiefe Characteristik und hohen Phantasieflug. Bald nach ihrer Vollendung schrieb er auch die übrigen dazu gehörenden Tonsätze. Dann wandte er sich in einem gewissen Sinne der geistlichen Musik zu. Er benutzte dazu nicht biblische oder kirchliche Texte, sondern Rückert’s „Adventlied“, welches sich mit seiner allgemein gehaltenen religiösen Tendenz in contemplativer Richtung bewegt. Dieses Musikstück ist von edlem Gepräge, aber nicht sonderlich erhebend. Von derselben Art und Beschaffenheit sind die beiden im folgenden Jahre auf Rückert’sche Texte unternommenen Compositionen „Verzweifle nicht“ (Op. 93) und das „Neujahrslied“ (Op. 144). Mehr näherte sich S. der „religiösen“ Musik gegen sein Lebensende, indem er im J. 1852 eine Messe und ein Requiem auf die überlieferten kirchlichen Texte schrieb. Doch stehen diese Werke, welche eine unverkennbare Ermattung der productiven Kraft offenbaren, in erfinderischer Hinsicht entschieden gegen seine früheren Vocalschöpfungen zurück.

Das Jahr 1849 bezeichnete S. als sein „fruchtbarstes“, und er durfte es so nennen, da er in keinem anderen Zeitabschnitt so viele Werke – der Zahl nach 30 – schrieb wie in dem erwähnten. Hervorzuheben sind von diesen [54] Compositionen das „spanische Liederspiel“, Op. 74, das „deutsche Minnespiel“ aus Rückert’s Liebesfrühling, Op. 101, das „Requiem für Mignon“, Op. 98b, das Concertstück für vier Hörner, Op. 86, das „Nachtlied“, Op. 108, sowie vier Scenen aus dem ersten und zweiten Theile von Goethe’s „Faust“, welche in der ersten Hälfte des Jahres 1850 durch die Hinzufügung der Scenen „Die vier grauen Weiber“ und „Faust’s Tod“ vervollständigt wurden. Die gesammte von S. zu verschiedenen Zeiten componirte, und in drei Abtheilungen gruppirte Faustmusik erhielt ihren Abschluß durch eine nachträglich noch hinzugefügte größere Instrumentaleinleitung, welche im August des Jahres 1853 entstand.

Ein äußeres Erlebniß des Jahres 1850 war für S. die Berufung zum städtischen Musikdirector nach Düsseldorf. Den Obliegenheiten eines Dirigenten zeigte sich S., der sich schon zu Dresden in dieser Thätigkeit versucht hatte, nur wenig gewachsen. Indessen verblieb er in seinem neuen Amte vom Herbste des genannten Jahres bis zum Spätherbst 1853. Alsdann wurde es ihm infolge einer Differenz mit dem Concertcomité, so zu sagen, unmöglich gemacht, seine Directionsthätigkeit noch weiter fortzuführen.

Auch während seines Düsseldorfer Lebens war S. als Tonsetzer ungemein fleißig. An größeren Instrumentalwerken schrieb er noch das Concertstück für Violoncell Op. 129, die in vielem Betracht schöne Es-dur-Symphonie Op. 97, sowie die Ouvertüren zu Schiller’s „Braut von Messina“, Op. 100, zu Shakespeare’s „Julius Cäsar“, Op. 128, und zu Goethe’s „Hermann und Dorothea“, Op. 136. Ferner die „Festouvertüre“ über das Rheinweinlied, Op. 123, die beiden Claviersonaten mit Violine, Op. 105 u. 121, das Claviertrio in G-moll Op. 110, das Concertallegro für Pianoforte mit Orchesterbegleitung, Op. 134, und die „Phantasie“ für Violine mit Orchesterbegleitung, Op. 131. Auch ein unveröffentlicht gebliebenes Violinconcert entstand. Ferner schrieb S. mehrere umfangreiche Vocalwerke in Düsseldorf, von denen die Messe und das Requiem bereits erwähnt wurden. Die Reihe dieser Gesangscompositionen eröffnete er mit „Der Rose Pilgerfahrt“, Op. 112. Auf dieses in formeller Hinsicht an das „Paradies und die Peri“ erinnernde Gebilde folgte unmittelbar die Ballade „Der Königsohn“, Op. 116. Mit derselben machte S. den Versuch, eine neue Kunstgattung ins Leben zu rufen, indem er die Ballade unter Aufbietung eines bedeutenden Apparates in breiteren Formen behandelte. Obwol die Aufnahme dieses Experiments von Seiten des Publicums keine ermunternde war und auch die nächsten Bekannten Schumann’s ihre Bedenken dagegen zu erkennen gaben, schritt der Meister doch auf dem einmal betretenen Wege weiter vor und componirte in derselben Weise noch die Balladen „Des Sängers Fluch“, „Vom Pagen und der Königstochter“ und „Das Glück von Edenhall“. Letztere Composition ist dem Männergesang gewidmet, während bei den vorhergehenden gleichartigen Werken, abgesehen von den Solostimmen der gemischte Chor betheiligt ist. Mit diesen Schöpfungen wurde ebensowenig eine durchgreifende Wirkung erreicht, wie mit dem „Königsohn“.

Nachdem S. die Directionsthätigkeit aufgegeben hatte, unternahm er mit seiner Gattin einen Ausflug nach Holland, auf welchem das Künstlerpaar überall die glänzendsten Concerttriumphe feierte. Von dieser Reise heimgekehrt, beschäftigte S. sich nur noch mit kleineren Arbeiten. Inmitten derselben verfiel er, nachdem er schon längere Zeit in Besorgniß erregender Weise gekränkelt hatte, in jene beklagenswerthe Geistesumnachtung, von der er nicht wieder genesen sollte. Am 29. Juli 1856 wurde er zu Endenich bei Bonn, wohin man ihn in eine Heilanstalt gebracht hatte, von seinen Leiden durch den Tod erlöst.

Schumann’s Künstlerlaufbahn, im ganzen und großen betrachtet, gewährt das Bild eines hohen, edeln, von außerordentlich bedeutenden Erfolgen begleiteten [55] Strebens. Nicht allein wollte er sich, von der Natur mit einer genialen Begabung ausgestattet, einfach nur als schaffender Geist bethätigen; er fühlte auch den unwiderstehlichen Trieb, unbekannte Kunstpfade zu bahnen. Dies ist ihm bis zu einem gewissen Grade gelungen, wenn auch keineswegs in dem Maße, als es seiner reichbewegten Einbildungskraft vorschwebte. Lediglich erreichte er das ins Auge gefaßte Ziel in der von ihm geschaffenen Gattung des sogenannten „Phantasiestückes“, sowie in verschiedenartigen Charakterstücken für das Clavier allein oder mit Begleitung, deren er eine beträchtliche Anzahl schrieb. Im Fach der Gesangslyrik, sowie der großen Instrumentalgattungen hat er, gestützt auf die Ueberlieferungen, eigenthümlich Neues von großem und bleibendem Werth geleistet. Seit Beethoven vermochte kein anderer Tonsetzer hinsichtlich der Qualität so geistig Hervorragendes und Tiefes zu bieten wie S.: ohne Ausnahme übertrifft er sie Alle an Phantasie, melodischem Schwung und originaler Gedankenkraft, sowie an Gemüthswärme. Einzig überlegen war ihm Felix Mendelssohn bezüglich einer meisterhaft vollendeten Beherrschung der Kunstmittel und besonders auch im Chorsatz. Der letztere entsprach Schumann’s künstlerischem Naturell nicht völlig, obwol er mit der dafür erforderlichen polyphonen Schreibweise vertraut war, wie seine Instrumentalcompositionen beweisen. Sonst aber nimmt S. eine dominirende Stellung unter den productiven Musikern der Neuzeit ein: nicht wenige seiner Werke sichern ihm die Unsterblichkeit für alle Zeiten.