ADB:Hummel, Johann Nepomuk
Joseph II. diese Anstalt auflöste, wendete sich Joseph H. nach Wien und wurde dort Orchesterdirector am Theater Schikaneder’s. Der Sohn erregte schon damals, im Alter von 7 Jahren, durch sein Clavierspiel die Aufmerksamkeit der musikalischen Kreise Wiens, insbesondere die Mozart’s. Der große Meister interessirte sich in so hohem Grade für den Knaben, daß er ihn in sein Haus aufnahm und ihm Unterricht ertheilte. (Vgl. W. A. Mozart von Jahn, Leipzig 1858, IV. 195 ff.) Unter solch denkbar günstigsten Umständen machte der junge H. so rasche Fortschritte, daß der Vater mit ihm schon im J. 1788 die erste Kunstreise durch Deutschland, Dänemark, Holland, England und Schottland unternehmen konnte. Außerordentlichen Erfolg begleitete diesen ersten Ausflug. In einem Briefe an Jos. Sonnleithner in Wien vom 22. Mai 1826 (Neue Zeitschrift für Musik, Bd. IX. S. 164) macht H. selbst folgende Mittheilungen über seinen Lebensgang: „Meine ersten Compositionsversuche stammen von meinem 11ten und 12ten Jahre her, und obwohl sie das Gepräge des damaligen Geschmacks und meiner Kindheit an sich tragen, so verriethen sie dennoch Charakter, Ordnung und Sinn für Harmonie, ohne damals noch Unterricht in der Composition erhalten zu haben. Als ich 15 Jahre alt war, kehrte ich 1793 nach Wien zurück; studierte den Contrapunkt bei Albrechtsberger’n und genoß später Salieri’s Unterricht in der Gesangscomposition, in den ästhetischen Ansichten und der musikalischen Philosophie überhaupt. Während meiner musikalischen Studienjahre arbeitete ich meist im Stillen für mich und gab nur selten etwas heraus; die 2 Fugen Op. 7 und die Variationen Op. 8 erwarben mir zuerst die Aufmerksamkeit der gebildeten Kunstwelt. Da ich schon damals als Spieler in Wien den ersten Platz einnahm, so beschäftigte ich mich hauptsächlich mit Unterricht; und die Zahl meiner Schüler war so groß, daß ich 10 Jahre lang täglich 9 bis 10 Stunden gab, und um auch in der Composition fortzuschreiten, mich um 4 Uhr morgens Winter und Sommer an’s Schreibpult setzen mußte, da ich keine andere Zeit dazu übrig hatte. Vom Jahre 1794 bis 1814 spielte ich in Wien nicht mehr öffentlich, da theils innere, theils äußere Verhältnisse im Wege standen, andererseits ich auch die Lust dazu verloren hatte; blos in den Cirkeln meiner Freunde und Beschützer der Kunst phantasirte ich zuweilen. Während dieser Jahre habe ich Compositionen beinahe in allen Fächern geleistet, die sich sämmtlich des Beifalls sowohl der Kenner als der Liebhaber zu erfreuen hatten, und somit gründete sich, durch steten Fleiß unterstützt, endlich mein Ruf im Auslande. Jos. Haydn schlug mich 1803 zu herzoglich würtembergischen Diensten vor; da aber der Herzog damals seinen Sinn änderte (aus einem Grunde, der nur wenigen Personen bekannt ist) und keinen Kapellmeister mehr von Wien engagieren wollte, so empfahl mich Haydn dem reg. Fürsten Nic. Esterhazy, seinem Herrn, als Conzertmeister, um ihn bei seinem herannahenden schwächlichen hohen Alter im Dienste zu supliren; wo ich denn auch bis zur Auflösung 1811 der beinahe aus 100 Personen bestehenden Capelle blieb. Von nun an privatisirte ich in Wien bis 1815, wo ich zum erstenmal wieder öffentlich als Spieler auftrat. Endlich 1816, nachdem die Kriegzeiten verschwunden waren, erwachte auch das Verlangen in mir, wieder einmal in die Welt hinauszutreten. Ich machte eine Kunstreise nach Prag, Dresden, Leipzig, [385] Berlin und Breslau, und ward überall mit so viel Liebe und Achtung und Auszeichnung empfangen, daß ich mir vornahm, auch nach England zu gehen, und mich dort auf eine Reihe von Jahren zu fixiren; als ich aber vorher noch nach Wien zurückkehrte, traf ich dort den Engagements-Antrag als Capellmeister in königl. würtembergischem Dienste an. Ich änderte meinen Plan, und nahm das mir vom Hochsel. König angebotene Engagement (wobei sich mir zugleich ein schönes Feld zum Wirken im Gebiete der Kunst eröffnete) an: allein dieser kunstsinnige Fürst starb bereits in der 4ten Woche meines Daseins, und nachdem ich noch 2½ Jahre dort verweilte, nahm ich meine Dimission und vertauschte 1819 jene Anstellung mit der mir von Weimar aus angebotenen, allwo ich mich gegenwärtig als großherzogl. Hofkapellmeister unter den für Kunst- und Wissenschaft einwürkungsreichsten Auspicien des kunstliebenden Fürsten und der erhabenen Kunstkennerin, Selbstausüberin und meiner Schülerin, der Frau Erbgroßherzogin und Großfürstin von Rußland befinde. Seit 1816 habe ich viele Kunstreisen durch ganz Deutschland, Holland, Rußland und Frankreich gemacht, die sämmtlich und in jeder Beziehung den glänzendsten Erfolg für mich hatten. – In Paris wurde mir die ausgezeichnete Ehre zu Theil, von der akademischen Gesellschaft „les enfans d’Apollon“ zum Mitgliede ernannt zu werden; desgleichen auch von der musikalischen Gesellschaft zu Géneve; – auch haben die Künstler von Paris eine Medaille mit meinem Brustbilde verfertigen lassen, und sie mir mit Beifügung eines Albums, in dem sie sich sämmtlich (wie auch Madame Duchesse de Berry) eingezeichnet haben, verehrt.“ – Diesem schlichten Bericht des Meisters ist nur wenig hinzuzufügen. Das erste Werk, welches ihm bedeutenden Ruf als Componisten verschaffte, war seine Haydn gewidmete Sonate in Es, Op. 13. „Diese frischkräftige Sonate, sowie die Phantasie Op. 18, welche beide den erlangten Fortschritt in freierer und kühnerer Behandlung des Pianoforte bezeugen, möchten als die Hauptwerke der früheren Periode anzunehmen sein, neben welchen sich noch eine Sonate in F wie in C, ein gut gearbeitetes, aber in den Formen veraltetes Conzert in C, einige (ebenfalls veraltete) Trio’s und beliebte Rondo’s bemerklich machen.“ Während seiner Stellung beim Fürsten Esterhazy componirte er seine erste Messe in B. Aus dieser Zeit auch datirt die Begegnung Hummel’s mit Beethoven. bei Gelegenheit der Aufführung von dessen C-dur-Messe in Eisenstadt, worüber namentlich durch Schindler mancherlei falsche Nachrichten verbreitet worden sind. Thayer beginnt im dritten Bande seiner Beethoven-Biographie (S. 21 ff.) die Thatsachen richtig zu stellen. (Vgl. noch Marx, Ludwig van Beethoven, II. 155 und Hiller, Aus dem Tonleben unserer Zeit, N. F.) Während Hummel’s Aufenthalt in Wien (1815–16) entstand „die beliebte bella capricciosa und das Rondo in A, welches einen Wendepunkt in Hummel’s Compositionen fürs Pianoforte, den Uebergang nämlich zu seiner späteren brillanten Weise bezeichnet und dessen Form, vielmal nachgeahmt, normal wurde für das Conzert-Rondo“. Von Stuttgart aus wurde H. zuerst bekannt als musikalischer Improvisator. Dieses Talent, mit welchem er so außerordentliche Erfolge erzielen sollte, hatte sich ganz in der Stille entfaltet. Um diese Zeit auch erschien sein schönes Septett, welches noch jetzt die Hörer erfreut und entzückt. – Die angenehme Stellung in Weimar bot H. Gelegenheit, seine Talente immer weiter zu entwickeln. Dort erschienen zunächst jene Werke, welche seinen Ruf und seine Richtung für immer feststellen sollten: die Sonate in Fis (op. 81), das Conzert in A (85), das Concert in H (89), ein Quintett in Es (87), die Trio’s in E und Es (83 und 93), die vierhändige Sonate in As (92), das Rondo in B (99), die Sonate in D (106) u. a. In Wien spielte er 1827 zuerst sein berühmtes As-dur-Concert (Op. 113). 1830 entstanden das Militärseptett, die [386] Phantasie „Oberons Zauberhorn“, das große Rondo „Retour de Londres“, Variationen etc. – Im J. 1833 dirigirte er die deutsche Oper in London. Außer dieser erfolgreichen Thätigkeit als Componist und Virtuos vernachlässigte er durchaus nicht seine amtliche Stellung in Weimar; dort spielte er in den seit 1828 gestifteten Hofcapellconcerten, welche er dirigirte, jährlich seine neuen Compositionen und entzückte die Hörer durch seine Phantasien. – Auch als Lehrer war H. thätig; Hiller und Adolf Henselt rechnen zu seinen Schülern. All sein Wissen und Können in dieser Beziehung hat er in einer „Großen Pianoforteschule“ niedergelegt, welche 1828 bei Haslinger in Wien erschienen ist. Seine Studien sind eine treffliche Einführung zu seinen Werken, aber als Schlußstein derselben (Op. 125), zu einem Zeitpunkte, wo schon eine neue Richtung des Pianofortespiels in vollem Heranschreiten war, offenbar zu spät erschienen. Von seinen Kirchencompositionen sind außer der schon erwähnten Messe in B zwei andere in Es (Op. 80) und D (Op. 111), sowie ein Graduale und Offertorium (Op. 88 und 89) zu erwähnen. Eine große Oper von ihm „Mathilde von Guise“, ward in Weimar und Berlin gegeben, ohne Erfolg zu haben. Seit dem J. 1833 zog sich H., kränklich geworden, mehr und mehr von öffentlicher Thätigkeit zurück. Hochgeachtet und geschätzt starb er in Weimar am 17. October 1837. - Die glänzendste Seite von Hummel’s Künstlerlaufbahn ist unbestritten die als Virtuos. Ein Zeitgenosse von ihm, der nun auch verstorbene tüchtige Hofpianist C. Montag in Weimar sagt hierüber in der neuen Zeitschrift für Musik (Bd. VII. S. 165): „Ein unmittelbarer Sprosse der Wiener Schule, brachte er das Auszeichnende derselben mit. Die Schönheit der Formen, reiche harmonische Gedanken, gebildete, einschmeichelnde Melodieen; aber er war der Erste, der dieses Alles mit einer ungeahnten Pracht und Klangfülle aufs Pianoforte überzutragen und einen solchen Reichthum von glänzenden Passagen, solche Neuheit in den Verzierungen zu entfalten wußte, und auf diesem Instrumente mit einer solchen Kühnheit herrschte, die in Erstaunen setzte. Dabei ist nicht genug das Ungesuchte, Natürliche in seinen Werken anzuerkennen, wodurch dieselben denn auch nie ihre Wirkung verfehlen, und als Muster für alle Compositionen dieser Art dastehen. – Die Fertigkeit und Sicherheit seines Spiels war außerordentlich, und zwar so vollkommen durchgebildet und abgeschlossen, wie sie nur ein vorzügliches Talent erlangen kann, und dann mit nichts zu vergleichen ist. Bei aller Bravour blieb ihm immer eine ruhige Klarheit, der Ton war rund und klingend, seine Passagen schnell und kräftig, besonders reizend das helle Perlende seiner Läufe und Verzierungen. Leidenschaft, die das Innerste aufregt, war weder in seinen Compositionen, noch in seinem Spiele, woraus sich auch erklärt, daß seine dramatischen Werke kein Glück gemacht haben. Am tiefsten scheint uns in dieser Hinsicht sein Septett in D und die Sonate in Fis zu gehen. Wahrhaft genial wurde er in seinen Phantasieen. Der streng rhythmische Fluß seiner Gedanken, die Sicherheit über alle Formen und die Ruhe der Ausführung blieben hier immer gleich zu bewundern. In Concerten begann er dieselben gewöhnlich mit einem brillanten Gedanken, den er contrapunktisch ausführte, bis er die strengen Formen ebnete nach einem Thema, das er in verschiedener Weise darstellte, selten variirte, ihm dann ein zweites oder auch mehrere zugesellte und diese dann vermischte, verband, plötzlich aus Passagen hervortreten oder durchklingen ließ, immer pikant und überraschend. Zu Themen pflegte er dann bekannte Opernmelodien, am liebsten Mozart’sche und vor allen aus Don Juan, zuweilen auch Volkslieder zu wählen. Größer aber war er noch, wenn er im Kreise Eingeweihter oder, wo es galt, die Tiefe seiner Kunst zu zeigen, phantasirte. Dann überließ er sich entweder dem Lauf seiner Gefühle oder hielt einen Gedanken fest, der einer [387] weiteren Ausführung fähig war und entfaltete dann einen Reichthum an Formen und harmonischen Combinationen, ja kam in solch’ einen Schwung, daß man oft bedauern mußte, wie viel der Gedanke auf dem langen Wege aus dem Kopfe aufs Papier von seiner ursprünglichen Wärme verliere. Ehe er öffentlich phantasirte, pflegte er gern in Bach’s temperirtem Clavier zu spielen, was er auch fleißig benutzte, ehe er seine Kunstreisen antrat“.
Hummel: Johann Nepomuk H., geboren den 14. November 1778 in Preßburg, † 1837, erhielt den ersten Musikunterricht von seinem Vater Joseph H., der inzwischen Musikmeister am Militärstift in Wartenberg geworden war. Als Kaiser- Ueber Hummel’s Bedeutung in Hinblick auf die historische Entwickelung des Clavierspieles und der Claviercomposition vgl. Reißmann’s „Allgemeine Geschichte der Musik“ (III. S. 281). Ueber seine Thätigkeit in Weimar s. F. v. Hiller, Künstlerleben 1880, S. 1 ff. Ein ziemlich genaues Verzeichnis von Hummel’s Werken bringt Fétis, Biogr. universelle des Musiciens, IV, Paris 1864.