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Artikel „Salieri, Antonio“ von Max Dietz in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 30 (1890), S. 226–231, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Salieri,_Antonio&oldid=- (Version vom 18. Dezember 2024, 03:25 Uhr UTC)
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Salieri: Antonio S., berühmter dramatischer Componist, war geboren zu Legnano im Venezianischen am 19. August 1750. Bei der sorgfältigen Erziehung, die man ihm im Hause seines Vaters, eines wohlhabenden Kaufmanns, angedeihen ließ, ward auch die Pflege der Musik, zu der ihn frühzeitig lebhaftes Interesse hinzog, und worin er schon als Kind erstaunliche Fähigkeiten zeigte, nicht vergessen. Im Clavier-, Violinspiel und Gesang empfing er den ersten Unterricht von seinem von Tartini ausgebildeten älteren Bruder Franz, einen weiteren in der Folge durch den Domorganisten Simoni, einen Schüler des bekannten Padre Martini. Seine leidenschaftliche Hineigung zur Musik war so groß, daß sie den sonst so lenksamen braven Jungen zuweilen zum kindlichen Ungehorsam gegen die Gebote seiner Eltern verleitete, was freilich durch den strengen Vater unnachsichtlich geahndet ward. Die Idylle dieses Familienglückes ward jedoch rasch zerstört. Einer jener Schicksalsschläge, die zuweilen wie ein jäh aufflammender Donnerkeil niederfahren und in verwüstender Eile den Wohlstand von Familien von Grund aus zerstören, hatte ihn und die Seinigen getroffen. Sein Vater hatte sich nämlich in Handelsspeculationen eingelassen, die einen unglücklichen Ausgang nahmen. Die gänzlich zerrüttete Vermögenslage hatte ihm nach fruchtlosen Versuchen, sich wieder aufzuhelfen, den Lebensfaden abgekürzt. Da die Mutter schon früher gestorben war, sahen sich die zurückgebliebenen Kinder einem ungewissen Schicksale ausgesetzt, der Noth, ja dem Elend preisgegeben. Glücklicherweise erschien der Rettungsengel in Gestalt des venezianischen Edelmannes Giovanni Mocenigo. Dieser, ein Freund seines Vaters, dem das Unglück der armen Hinterbliebenen zu Herzen ging, nahm den jungen strebsamen Musiker, der über eine frische Sopranstimme verfügte, mit nach Venedig und erwirkte ihm eine Freistelle im Alumnat der Marcuskirche, wofür er an Sonn- und Feiertagen im Kirchenchor mitzusingen hatte. Hier studirte der 15jährige Knabe Generalbaß unter der Leitung Pescetti’s und Gesang bei dem Tenoristen Pacini. Seine Fähigkeiten gelangten so zu rascherer Entwicklung, indeß erst einem Deutschen, Florian Gaßmann, war es vorbehalten, ihnen zur vollständigsten Ausbildung zu verhelfen. Der eben erwähnte k. k. Kammercomponist hielt sich damals gerade in Venedig auf, um seine Oper Achille in Sciro in Scene zu setzen. Durch einen glücklichen Zufall auf die Anlagen des kleinen Italieners aufmerksam gemacht, beschloß er, von nun an selbst seine künstlerische Fortbildung zu übernehmen und brachte ihn nach Wien, wo er am 15. Juni 1766 ankam. Diesem trefflichen Manne, der an S. Vaterstelle vertrat, ihn in seinem Hause durch 8 Jahre lang aufnahm und ihm als Lehrer, Führer, Freund und Berather zur Seite stand, hatte S. außerordentlich viel zu danken. Er war sich auch Zeit seines Lebens dieser Dankesschuld bewußt und hat nichts versäumt, um sie reichlich an den Kindern seines Wohlthäters abzutragen. Unter Gaßmann’s gründlicher Unterweisung, die ihm die tiefsten Geheimnisse der Composition erschloß, kamen seine schlummernden Talente bald zu glänzender Entfaltung. Nachdem er sich im Componiren kirchlicher und instrumentaler Tonstücke tüchtig eingeübt und durch seinen Mentor dem Kaiser vorgestellt worden, bot sich ihm endlich auch die heiß ersehnte Gelegenheit, seinen lebhaften Drang nach Erprobung seines Talentes in der dramatischen Musik zu befriedigen. Sein erstes derartiges Werk, die Oper La Vestale blieb unaufgeführt. Ein besseres Loos war seiner Buffooper Le Donne letterate beschieden, welches Werkchen gleich im Vorhinein den aufmunternden Beifall Gluck’s erhalten hatte. S., der sich bei den Proben und Copiaturverbesserungen beinahe aufgerieben, lief am Morgen der ersten Aufführung durch halb Wien, um seinen Namen zum ersten Male an den Gassenecken gedruckt zu lesen, und war nicht wenig erfreut über den günstigen Erfolg, den sein Erstlingswerk beim Publicum davon trug. Von hier an – man schrieb damals 1770 – [227] datiren die Erfolge, die S. auf verschiedenen Bühnen Europas als dramatischer Tonsetzer in einer Schaffensperiode von 34 Jahren feierte. Zwei kleinere Operncompositionen zu Texten Boccherini’s, der auch zu Le Donne letterate das Textbuch geliefert, trennen eine Schöpfung von gewichtigerem Gehalt, Armida, von seiner Debutoper. Diesen später von Gluck verunsterblichten Stoff hat S. sechs Jahre früher 1771 zu dem Gedichte Coltellini’s componirt. Mit vollem Ernst schritt er an die Vertonung dieses interessanten Sujets, an dem schon außer unzähligen neapolitanischen Opernschreibern Lully in einem seiner vornehmsten Meisterwerke seine Kraft gezeigt, und befliß sich dabei, auf Gluck’s Bahnen einherschreitend, einer größeren Treue im Ausdruck, als damals sonst bei den italienischen Modecomponisten Brauch war. Er war auch mit Erfolg bemüht, den weitschweifigen Organismus der damaligen Opera seria näher zusammenzurücken, das Ueberwuchern der Musik auf das richtige Maaß einzuschränken und sich der bequemen Gewohnheiten der herrschenden Zopfoper, der unnützen Ritornelle und Da capo’s sowie der sinnstörenden Passagen und Coloraturkünsteleien nach Möglichkeit zu entschlagen. Durch gedrängtere Kürze im Aufbau der Musikstücke gedachte er dieselben zur dramatischen Wirkung geeigneter zu machen. Kein Wunder, wenn dieses Werk, das an vielen deutschen Bühnen und auch anderwärts gespielt ward, angesichts solcher reellen Vorzüge gerechtes Aufsehen erregte, und daß der geachtete Musiktheoretiker Scheiba, der es in Kopenhagen kennen lernte, sein Geschick segnete, „das ihn in alten Tagen eine Oper hören ließ, welche seine Ideen von solch’ einer Composition verwirklichte, indem sie allen übel angebrachten conventionellen Schmuck verbannte und alles auf die Natur und das Gefühl zurückführte“. Freilich müssen wir eingedenk sein, daß alle diese Neuerungen eigentlich nur glückliche Reproductionen des viel energischeren und entschiedeneren Vorgehens Gluck’s waren, und daß Salieri’s Armida 1771 geschrieben ist, also 4 Jahre nach Alceste und 9 Jahre nach Orfeo, Opern, die als Vorbild überall durchleuchten. Nach dieser Leistung, die den Namen des Componisten zuerst in weitesten Kreisen zur Geltung brachte, lieferte S. in den 70er Jahren eine Reihe von Buffoopern. Nachdem er 1774 an Stelle des inzwischen verstorbenen Gaßmann zum k. k. Kammercompositor und zum Capellmeister der italienischen Oper ernannt worden und sich später mit einem adeligen Fräulein, namens Therese von Helfersdorfer verheirathet hatte, reiste er 1778 nach Italien, wo er die Bühnen von Mailand, Venedig und Rom mit neuen Gaben seines Talentes schmückte. Nach zweijähriger Abwesenheit wieder in Wien angelangt, wußte ihn der Kaiser für seine Lieblingsidee, das Nationalsingspiel, zu interessiren, und er erhielt von Joseph II. den Auftrag zur Composition einer deutschen Oper, die 1781 unter dem Titel „der Rauchfangkehrer“ mit gutem Erfolg in Scene ging. Mit diesem zweiactigen Singspiel war S. gegen Gluck’s Pilgrime von Mekka in Concurrenz getreten, bis das Jahr darauf Mozart’s Bräutigamsoper Belmonte und Constanze diese und alle ähnlichen Versuche in Schatten warf. Nur noch einmal seitdem hat sich S. mit der Composition einer deutschen Oper beschäftigt. Es war dies die Oper „die Neger“, die als seine letzte musikdramatische Schöpfung im J. 1804 im Theater an der Wien gegeben ward und seine Laufbahn als Opernsetzer beschließt. Hatte er bisher die italienische Bühne mit zahlreichen Werken, theils heiteren, theils ernsten Charakters bereichert, war er dem noch in den Windeln liegenden deutschen Singspiel bald nach seiner Geburt Pathe gestanden, so sollte jetzt der Anstoß zur vollsten und kühnsten Entfaltung der ihm innewohnenden Künstlerkraft kommen, ein ungeahnter Aufschwung seines Talents erfolgte nun, wie ihn der Contact mit der französischen Bühne in dem vielseitig veranlagten Künstler hervorrief. Den Vermittler bei dieser entscheidenden Phase seines Schaffens spielte die Freundschaft [228] Gluck’s, der ihn für eine ehrenvolle und schwierige Aufgabe als Würdigsten erkor. Schon 1769 war S. mit Gluck bekannt geworden und zu ihm, der ihn „immer geliebt und aufgemuntert“, in ein freundschaftliches Verhältniß getreten. Gleiche Ziele und Bestrebungen, sowie das tiefe Verständniß, welches der geistesrege Italiener den Lehren des allberühmten pfälzer Meisters entgegenbrachte, knüpften dieses Band immer enger und inniger. Gluck hatte für die Pariser Académie de musique ein neues großes Werk, Hypermnestra, in Musik zu setzen. Da jedoch mittlerweile durch einen Schlaganfall seine Gesundheit geschwächt worden, er in Jahren weit vorgerückt und den aufregenden Anstrengungen, wie sie das Schaffen eines so umfangreichen Werkes erforderte, nicht mehr gewachsen war, so sah er sich außer Stande, selbst den von ihm eingegangenen Verpflichtungen zu genügen und wendete sich an S., seinen treuen Adepten, mit dem Auftrage, an seiner Statt die Composition der fünfactigen Oper zu übernehmen. Niemanden konnte dieser unerwartete Glücksfall gelegener kommen als diesem. S. erklärte sich sofort dazu bereit und vollendete unter den Augen und der Leitung des Schöpfers der beiden Iphigenien die Vertonung dieser Tragödie. Behufs Einstudirung des neuen Werkes reiste er nach Paris, wo er Anfangs Jänner 1784 eintraf und Zeuge des seltnen Erfolges war, den diese Oper bei ihrer ersten Aufführung am 26. April 1784 errang. Ueber die Autorschaft des musikalischen Theils war vor aller Welt ein geheimnißvolles Dunkel gebreitet worden. Auf den Theaterzetteln der ersten Aufführung waren Gluck und S. als Componisten genannt. Erst nach der sechsten Vorstellung klärte sich der Sachverhalt durch ein Schreiben auf, das Gluck in das Journal de Paris einrücken ließ, worin er unumwunden erklärt, daß die Musik der „Danaiden“ einzig von S. herrühre. Das Glück des Letzteren war nun gemacht, sein Ruf als dramatischer Componist für immer festbegründet. Trotz der heftigen Verwahrungen der Piccinischen Partei errang das Werk einen glänzenden Erfolg und erhielt sich 44 Jahre lang (bis 1828) am Repertoire der Großen Oper. Reich mit Ehren und Gold beladen (die Danaiden hatten ihm 15000 Livres eingetragen) kehrte er nach der Kaiserstadt zurück, wo sich ihm im nächstfolgenden Jahre die Gelegenheit bot, mittelst seiner Grotta di Trofonio mit Mozart’s Figaro den Wettstreit um die Gunst des Publicums aufzunehmen, aus dem die Oper Salieri’s als Sieger hervorging. Der rührige Venetianer scheint all’ seinen Einfluß geltend gemacht zu haben, um seiner Leistung den Vorantritt unter den Novitäten zu sichern, und wirklich gelang es ihm, sein Werk schon am 12. October 1785 zur Aufführung zu bringen, während Mozart’s Figaro, wiewol gleichzeitig beendet, sich bis 1. Mai 1786 gedulden mußte. Auch bei dem in der Orangerie zu Schönbrunn am 7. Februar d. J. veranstalteten glänzenden Hoffeste standen sich die beiden Tonmeister als Rivalen gegenüber. Zwei Operetten, Salieri’s Prima la musica e poi le parole und Mozart’s Schauspieldirector, wurden da an einem und demselben Abend in dem kaiserlichen Lustschlosse gegeben, und diesmal scheint Mozart’s Musik standhaft Widerpart geleistet zu haben. Anfangs August 1786 verfügte sich S. wieder nach Paris, um hier der Aufführung seiner Horatier in der Großen Oper anzuwohnen. Der Erfolg war jedoch negativ. Schon nach drei Aufführungen ward diese Oper auf immer zurückgelegt, eine Schlappe, die seitens des Componisten durch den bedeutenden Erfolg seines Tarare (erste Aufführung am 8. Juni 1787, Text von Beaumarchais) glänzend wettgemacht wurde. Dieses Werk, das bis 1826 das Repertoire der Pariser Großen Oper zierte, hat seinem künstlerischen Ruhme die weiteste Verbreitung verschafft. Kaiser Josef war von dem Anhören einiger Stücke daraus so entzückt, daß er S. befahl, dieses Musikdrama in eine italienische Oper umzuwandeln, in welcher Form es sich unter dem Titel Axur, rè d’Ormus bis um die Mitte unseres Jahrhunderts auf den deutschen Bühnen [229] erhielt und lange als das Hauptwerk Salieri’s galt, wiewol es in jedem Betracht hinter seinen beiden erfolggekrönten Pariser Opern zurücksteht. Am 8. Januar 1788 ward Axur als „Freispectakel“ gegeben. Die lebhafte Handlung und der Reiz der gefälligen Musik erregten den höchsten Beifall, nicht zumindest des Kaisers, dessen Lieblingsoper sie ward. Mozart’s Don Giovanni, der am 7. Mai hinterdrein kam, konnte dagegen nicht aufkommen und fand in dem durch die Melodien des Spaniers Martin und Salieri’s verwöhnten Wien kühle Aufnahme. Mit diesem letzten vollen Triumph war auch Salieri’s Rolle als dramatischer Componist ausgespielt. Was er weiter schuf, es zählt nichts mehr in dem Inventar seines künstlerischen Nachlasses. Zwar zeigt jedes seiner folgenden Werke die Geschicklichkeit der Routine, aber weder Palmira noch Cesare in Farmacusa oder Annibale in Capua weisen starke Spuren einer mehr als gewöhnlichen Erfindung auf, im Gegentheil macht sich in ihnen eine ziemlich flache Sterilität breit, die Motive sind, ganz im Gegensatz zu den markanten Themen seiner vorangegangenen Leistungen, meist weich und charakterlos. Daß er die Lorbeern auf diesem Gebiet bereits ausgepflückt hatte, diese Erkenntniß muß S. selbst gekommen sein, denn er zog sich anfangs des Jahrhunderts gänzlich von der dramatischen Production zurück und fand in der Unterweisung jüngerer Talente und der Aufmunterung, die er ihrem Schaffen zu theil werden ließ, Ersatz für Bühnentriumphe, zu denen seine langsam abwelkende Phantasie nichts mehr taugte. Seitdem ist noch manches weihevolle kirchliche Tonstück aus seiner Feder geflossen (außer vielen kleineren Werken sind da namentlich mehrere Te Deum, seine zur Feier der Proclamirung Franz I. zum Kaiser von Oesterreich aufgeführte doppelchörige Messe und ein für sich selbst verfaßtes großes Requiem zu nennen), für die Bühne aber hatte er endgültig seine Production sistirt. Ein helles Licht auf seinen Charakter wirft seine emsige Sorge um die künstlerische Ausbildung vielversprechender Talente. Niemand ist ihm deshalb zu aufrichtigerem Danke verpflichtet gewesen als sein Schüler Josef Weigl, dessen Talent er von früh auf alle nur denkbare Förderung angedeihen ließ. Vergessen wir ferner nicht, daß kein Geringerer als Beethoven bei ihm Studien obgelegen, daß Schubert seinen Unterricht genossen, Liszt von ihm seine theoretische Ausbildung empfing und Meyerbeer ihm den wichtigen Rath dankte, nach Italien zu gehen. Schon 30 Jahre zuvor hatte er Winter auf die Wichtigkeit des gesanglichen Theil einer Oper und der genauen Beachtung des scenischen Effects aufmerksam gemacht und durch seine diesbezüglichen Rathschläge entscheidenden Einfluß auf dessen Schaffen genommen. Von seinem 16. Jahre an lebte S., einige italienische Reisen und einen dreimaligen kurzen Pariser Aufenthalt abgerechnet, fast ununterbrochen in Wien, wo er von 1788–1824 unter drei Monarchen die Stelle eines k. k. Hofcapellmeisters versah und während der langwierigen Coalitionskriege durch die Composition von patriotischen Hymnen und Cantaten, wie der Tiroler Landsturm (1799), Habsburg (1805) u. a. ebenso seine Loyalität gegen das erlauchte Kaiserhaus wie seinen Patriotismus für das Reich bekundete, das damals so gefahrvolle Zeiten durchzumachen hatte. Einen verklärenden Schimmer auf seine letzten Lebensjahre warfen der durchschlagende Erfolg, den seine Danaiden bei ihrer Neuaufführung im J. 1817 in Paris erzielten, sowie die von wahrer Bewunderung durchdrungenen Glückwünsche, die ihm deshalb Männer, wie der damals auf voller Ruhmeshöhe stehende Spontini, der jugendlich aufstrebende Hérold und viele andere zusandten. Auch der glänzende Beifall, den sein Tarare in Paris im J. 1819 erhielt, konnte ihm die Befriedigung gewähren, sein Streben, das er in seinen besten Jahren wacker bewährt, auch von später folgenden Generationen mit Begeisterung geehrt zu sehen. Seit dem 70. Lebensjahre ging es mit seiner Gesundheit rasch bergab. Die Schwäche nahm immer [230] mehr überhand. Im October 1823 überfiel ihn eine Lähmung, sein Geist ward wirr und beinahe fortwährend von schwarzen Bildern geängstigt, bis ihn am 7. Mai 1825 der Tod von seinen Leiden erlöste. Bei dem Traueramt, das in der italienischen Kirche für seine Seelenruhe abgehalten wurde, gelangte sein bis dahin geheim gehaltenes und eigens für seine Todtenfeier geschriebenes Requiem zur Aufführung.

Ein schwerer Vorwurf hat lange Zeit auf S. gelastet, der häßliche Verdacht, daß er Mozart’s Durchdringen als dramatischer Componist durch allerlei Intriguen gehindert habe, daß er sozusagen der welsche Dämon gewesen sei, der dieses deutsche Genie in ein frühes Grab gebettet. Ja man schreckte selbst davor nicht zurück, dem sonst so liebenswürdigen, geistreichen und bescheidenen Manne Mordgedanken anzusinnen, und verstieg sich gar zur albernen Behauptung, er habe Mozart aus Neid – vergiften lassen. Von allen diesen schwerwiegenden Anschuldigungen ist indeß sogut wie nichts erwiesen. Daß Mozart, dieser leibhaftige Genius der Musik, ihm wie jedem andern damaligen Operncomponisten im Wege stand, ist natürlich. S. umsomehr, als Mozart in derselben Stadt wie er dem schon großer Berühmtheit sich erfreuenden Meister als gefährlicher Rivale gegenübertrat und offen den Concurrenzkampf mit ihm aufnahm. Daß angesichts dessen der schnell erregbare Italiener aus Selbsterhaltungstrieb gewiß sein Möglichstes gethan hat, um nicht zu unterliegen, ist leicht begreiflich. Mitunter mag auch wol sein leicht zur Heftigkeit aufgereiztes Temperament die stricte Grenze der bloßen Defensive übersprungen haben. Jedenfalls war er wachsam darauf bedacht, die Herrschaft, die ihm die Gunst des Kaisers in musikalischen Dingen verliehen, sich nicht gutwillig entwinden und durch die Erfolge des jüngeren Salzburgers seinen mühsam gewonnenen Ruhm nicht verdunkeln zu lassen. Diese sicherlich eifrig bethätigte Sorge um Wahrung seines Interesses gibt aber kein Recht, Salieri’s Andenken zu verunglimpfen und ihm die Schuld an Mozart’s Mißerfolgen in die Schuhe zu schieben. Um Mozart im Beifall des damaligen Publicums den Rang abzulaufen, dazu hat es nicht großer Anstrengungen ränkevoller Verschlagenheit bedurft. Eine so complicirte und von der herrschenden Mode so stark abweichende Musik, wie sie die Hauptwerke Mozart’s enthalten, braucht eo ipso Zeit, um sich allmählich das Verständniß für ihre tiefer liegenden Schönheiten zu erobern. Darum war sie der leichten, oberflächlicheren Mache der italienischen Werke Salieri’s und anderer transalpiner Meister gegenüber von vornherein im Nachtheil. Eben die echte Tiefe und innerste Gediegenheit dieser Musik war ihrem augenblicklichen Erfolge hinderlich. Das gibt jedoch keinen Grund, gegen S. riskirte Anklagen zu erheben. Figaro und Don Juan gefielen nicht, weil man sie einfach nicht verstand, und sie hätten nicht mehr gefallen und wären nicht eher verstanden worden, gleichviel, ob nun S. Mozart’s ergebenster Busenfreund oder just sein scheelsüchtiger Nebenbuhler gewesen. In späteren Jahren übrigens, als die Hitze der persönlichen Mitleidenschaft verraucht war, fand sich auch S. gerne bereit, Mozart’s Verdiensten uneingeschränktes Lob zu zollen, was um so bemerkenswerther ist, als ihm sowol als italienischem Opernsetzer wie als treuem und überzeugtem Schüler Gluck’s, von dessen scharf raisonnirenden ästhetischen Prinzipien er ganz durchdrungen war, die Mozart’sche Richtung in der Operncomposition ferne lag.

Was Salieri’s Stellung in der Kunstgeschichte als dramatischer Componist betrifft, so könnte es, da er für die italienische, deutsche und französische Bühne thätig war, im ersten Augenblick zweifelhaft scheinen, welcher Schule dieser vielseitige Künstler seinen Hauptwerken nach anzureihen ist. Die genaue Kenntniß seiner Partituren macht es indeß zur Evidenz klar, daß, was S. wahrhaft Großes, Gediegenes und Mustergiltiges geschaffen hat, in seinen französischen Musikdramen [231] zu suchen ist. Die Danaiden und Tarare sind seine Meisterschöpfungen. Sie repräsentiren das Höchste, was Salieri’s Talent zu leisten fähig war. In ihnen begegnen wir Werken von streng einheitlicher Conception, echt dramatischem Empfinden, voll Kraft und Leidenschaft, von mächtigem Pathos und zuweilen hinreißendem Schwung durchweht. Als treuer Nachfolger Gluck’s stellt er die volle Prägnanz des declamatorischen Ausdruckes obenan. Zuspitzung des dramatischen Accents ist da auf eine seltene Weise gelungen. Die Behandlung der musikalischen Form fügt sich ganz den dramatischen Erfordernissen, überall ist rasche Schlagfertigkeit das Ziel, dem S. zusteuert. Hier wie in den Horatiern athmen wir die scharfe dramatische Atmosphäre, wie sie zu dieser Zeit nur die französische Oper kannte. Sehr grell von dem stolzen Ton dieser tiefgedachten, imposanten Leistungen sticht dagegen die wässerige Cantilenenflut der erdrückenden Mehrzahl seiner leicht gefügten italienischen Opernwaaren ab. Da geberdet er sich wie ein Löwe, dem die Zähne ausgerissen sind – recht freundlich, sanft und manierlich. Die Zeit dieser Werke, unter denen gleichwol einige Opern, unter den ernsten Armida, unter den komischen La Grotta di Trofonio hervorragen, ist endgiltig verrauscht. Mit der Mode, der allein sie dienten, sind sie für immer entschwunden. Wer nur sie kennt, muß, wie es bisher beinahe stets geschehen ist, in seinem Urtheile über diesen Componisten fehl gehen. In dieser rein musikalischen Sphäre ward S. als geborenem Charakteristiker nicht wohl. Das war nicht das seinem hoch veranlagten Talente entsprechende Terrain. Ganz anders in den Producten, womit er die Pariser Bühne beschenkt. Ist er in seinen italienischen Werken meist nur Mitläufer in der Schaar der neapolitanischen Opernproducenten, denen er in melodiöser Anmuth und Leichtigkeit nachzustreben sich abmüht, so finden wir da einen hochernsten dramatischen Musiker, der, wie nur je einer, bleibenden Nachruhms würdig ist.

J. F. v. Mosel, Ueber das Leben und die Werke des A. Salieri, Wien 1827. – J. Fr. Rochlitz, für Freunde der Tonkunst, Bd. IV, 1832. – M. Dietz, Geschichte des musikal. Dramas in Frankreich während der Revolution bis zum Directorium (1787–95), Wien 1885.