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Artikel „Winter, Peter von“ von Max Dietz in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 43 (1898), S. 470–474, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Winter,_Peter_von&oldid=- (Version vom 9. Oktober 2024, 14:01 Uhr UTC)
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Winter: Peter v. W., namhafter Tonsetzer, war 1754 zu Mannheim geboren, besuchte als Knabe das Gymnasium, wendete sich aber bald ganz der Musik zu und stand schon in seinem elften Jahre als Violinspieler in Diensten der dortigen kurfürstlichen Capelle, wo die Tonkunst eifrigst gepflegt ward. Frühzeitig war in diesem musikerfüllten Kreise sein Schaffensdrang erwacht. Ihn unbehindert ausströmen zu lassen, erschwerte ihm der Mangel an technischem Wissen. Lange war es W. nicht gegönnt gewesen, die gründliche Unterweisung eines angesehenen Lehrers in der Tonsetzkunst zu erhalten, er mußte sich, so gut es eben ging, autodidaktisch zurechttappen. Da er sich fast ausschließlich auf seinen Instinct als Lernmeister verwiesen sah, kostete es ihn sauere Mühe, seine Erzeugnisse formgerecht auszuführen und dem herrschenden Geschmack gemäß auszugestalten. Zwar kam er, als er durch praktische Erfahrung schon mehr gereift war, mit dem Abt Vogler zusammen und ließ auch in dessen Sammlung der Mannheimer Tonschule einige Erstlingsversuche, darunter eine Symphonie in D–moll veröffentlichen, zog indeß im übrigen keinen erheblichen Nutzen aus dieser Berührung. Es scheint ihm unter der Anleitung dieses absonderlichen Mannes die Lust zur Vornahme von tiefer eindringendem Studium gefehlt zu haben, und so war er damals als vorzüglicher Violinspieler und glänzender Geigenvirtuos aus der Schule des älteren Hampel wol sehr geschätzt, doch als Tondichter traute man ihm nicht viel zu. Als 1776 der französische Theaterunternehmer Marchand mit seiner Truppe in kurfürstliche Dienste trat, ward W. als Dirigent daselbst angestellt. Hier lernte er die anmuthigen, witzigen und gemüthvollen Erzeugnisse der französischen komischen Oper kennen, insbesondere die [471] ausdrucksreichen Weisen Monsigny’s übten auf ihn einen starken Eindruck aus. Oft bemerkte man, wie sein anführender Bogen unbeweglich blieb, und er ganz in sich verloren in seinen Gesichtszügen und Blicken die innere Erregung verrieth. Seine eigenen Hervorbringungen, von denen einige Ballete gefielen, sind bis dahin belanglos, ohne rechten Zusammenhang und in der Harmonik matt gewesen, aber die erste Stimme war, wie er selbst meinte, immer mehr als mittelmäßig, das will sagen, gesangführend behandelt, was wie ein Fingerzeig auf die wahre Richtung seiner Begabung vorauswies. 1788 übersiedelte der Hof sammt der Oper nach München. Hier brachte W. außer italienischen Stücken wie Armida, Cora ed Alonzo, Leonardo e Blandine, 1780 seine erste deutsche Oper „Helena und Paris“ zur Aufführung, die mit Tänzen, Decorationspomp, großen Chören und Kampfspielen ausgestattet, lebhaften Beifall fand und sich lange hielt, wogegen seine nächste Oper „Bellerophon“ 1782, worin Gluck’s Stil in gar zu auffallender Weise nachgeahmt war, einen Mißerfolg erlitt. Hatte W. in seinen bisherigen Leistungen die Orchesterpartie sorgfältig ausgearbeitet, dem Gesang aber bloß eine nebensächliche Rolle zugetheilt, so ward dies, seit er in Wien mit Salieri zusammengekommen, anders. Dieser berühmte Meister lehrte ihn den Werth einer guten Behandlung der Singstimme schätzen. Der lernbegierige Kunstjünger warf sich nun mit beharrlichem Fleiß auf das Studium der Singstimme und wies dieser in den von da ab folgenden Hervorbringungen immer den ersten Platz an. Er läßt den Sänger sich frei bewegen, während das wirksam geführte Orchester nur den Hintergrund bildet, der die Wirkung des vocalen Theils hebt und ins rechte Licht setzt. Bei Salieri, diesem gewiegten Praktiker, empfing er auch den längst ersehnten Unterricht in der Setzkunst, zeitlebens hat W. bekannt, daß er dem geistvollen Italiener sehr viel verdanke. Der günstige Eindruck, welchen ein von ihm für Chor und Orchester componirter Psalm hervorrief, bewirkte 1788 seine Ernennung zum pfalzbairischen Capellmeister an Vogler’s Stelle, der nach Schweden ging. Zugleich ward ihm die Composition der Oper „Circe“ übertragen, welche W. vollendete, doch nicht zur Aufführung brachte, da der Kurfürst Karl Theodor keine Vorstellungen italienischer Opern im Carneval mehr haben wollte und an ihrer Stelle die deutsche Oper begünstigte. Für die Privatbühne des Grafen v. Seefeld schrieb W. nebst andern 1790 die Musik zu dem Goethe’schen Intermezzo „Jery und Bätely“ und erzielte mit der Cantate „Timoteo“ einen nachhaltigen Erfolg. Seine dauernde Anstellung in München behinderte ihn nicht, durch wiederholte Ausflüge in andere Länder für die Ausbreitung seines Künstlerruhms zu sorgen, im Gegentheil ward ihm reichlich Urlaub ertheilt, den er zu diesem Behufe weidlich ausnützte. 1791 reiste er nach Italien und versorgte die Bühnen zu Neapel und Venedig mit neuen Opern. „Antigone“ gefiel dort, während in der Lagunenstadt „Catone in Utica“, „Il Sacrificio di Creta“ und namentlich „I Fratelli rivali“ 1792 durchdrangen. Nachdem er so in der Fremde Ansehen erworben und volle Kenntniß der italienischen Opernschreibart gewonnen, kehrte er nach München heim, wo indeß seine nach Molière’s „Psyche“ und Shakespeare’s „Sturm“ bearbeiteten neuen Opern mißfälliger Aufnahme begegneten. 1794 ging er einer an ihn ergangenen Einladung des Freiherm v. Braun, des damaligen Pächters der kaiserlichen Bühnen, Folge leistend auf längere Zeit nach Wien. Hier schrieb er den 2. Act zu den „Pyramiden“, „Das Labyrinth oder Der Kampf mit den Elementen“ als 2. Theil der „Zauberflöte“ (beide Texte von Schikaneder) und seine berühmteste, von Huber gedichtete Oper „Das unterbrochene Opferfest“ (1. Aufführung am 14. Juni 1796). Der rasch um sich greifende Erfolg dieses bald hochbeliebten Werkes, welches über ein halbes Jahrhundert lang im Spielplan der deutschen Bühnen sich behauptete, [472] machte Winter’s Namen gefeiert. Von Wien aus verbreitete sich sein Weltruf. Nachdem er noch Prag besucht und daselbst seine komische Oper „Ogus ossia il trionfo del bel sesso“ in Scene hatte gehen lassen, nahm er 1798 seine dienstliche Thätigkeit in München wieder auf und schenkte die von Reger gedichtete „Maria von Montalban“ der Opernbühne (1. Aufführung am 28. Januar 1800), welche mit und neben dem „Opferfest“ zu seinen besten dramatischen Leistungen zählt. Glänzende Anerbietungen verlockten ihn nach England zu reisen. Gleich Händel und Gluck that er sich in London als italienischer Opernsetzer hervor. Er schrieb da, wo zwei Jahrzehnte später sein Bewunderer K. M. v. Weber, welcher das „Unterbrochene Opferfest“ unsterblich nannte, den letzten Seufzer aushauchte, von 1803–5 die großen Opern „Calypso“, „Castore e Polluce“, „Proserpina“ und „Zaira“ und erntete Lob und klingenden Lohn in Fülle. Vorher hatte er nicht versäumt, Paris zu besuchen und auch dort als Tondichter sich bekannt zu machen. Sein Ehrgeiz stachelte ihn an, die erste Opernbühne der Welt, die Académie de musique mit Früchten seines Eigenbaues zu bereichern. Er schrak nicht davor zurück, mit Gluck’s Schöpfungen wie mit denen seiner Mitstreber und Nachfolger Piccini, Sacchini, Salieri, Vogel und Méhul in Wettkampf zu treten und gegen sie seine Kräfte zu messen. Das kühnliche Unterfangen, welches die Grenzen seiner dramatischen Veranlagung weit überstieg, konnte nicht glücken. Diese streng dramatische Gattung, der Hochgipfel der lyrischen Tragödie, lag seiner im gemäßigten Genre heimischen und ergiebigen Phantasie fern, immerhin verdient die Gewandtheit Anerkennung, womit er in „Tamerlan“ (aufgeführt am 14. September 1802) sich zuweilen in den großen pomphaften Stil und eine ihm fremde Sprache zu schicken wußte. Die Oper hatte einen Achtungserfolg zu verzeichnen und erlebte, eine Reprise eingerechnet, 21 Aufführungen. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland wollte sein „Frauenbund“, der des zweideutigen Textes halber bloß zwei Vorstellungen erlebte, nicht verfangen. Mit derselben Mindestzahl von Aufführungen mußte sich zu München 1809 die Oper „Colmal“ (Text von Collin) bescheiden, deren Composition er auf Wunsch der Kaiserin Marie Theresie († 1807) begonnen, aber erst nach dem Tode dieser musikliebenden Gönnerin vollendet hatte. Am 19. August 1806 brachte die Pariser Académie seinen fünfactigen „Castor und Pollux“ heraus, wozu die Musik ursprünglich zu italienischen Worten für eine denselben Stoff behandelnde für London bestimmte Oper gesetzt worden war. Sie gefiel an der Seine nicht, nach dreizehn Aufführungen verschwand das Dioskurenpaar von der Bühne. Im December desselben Jahres führte man in Wien „Castor und Pollux“ als Oratorium auf, wo es besser ansprach. Man fand die Musik gefällig, feurig, brillant und immer effectvoll. Für Wien schrieb er 1807 noch die Operette „Die beiden Blinden“, welche günstig aufgenommen ward. Seitdem hat W. wenig mehr für die Bühne geschrieben. Er schien sogar während langer Jahre dem Theater ganz entsagt zu haben. Man war darum nicht wenig überrascht, als er plötzlich am 23. Januar 1817 in Mailand mit „Il Maometto“ auftauchte und viel Glück hatte. Diesem an manchen Stellen von jugendlichem Feuer belebten Product seines Greisenalters folgten noch „I due Valdomiri“ und „Etelinda“. Seine letzte Oper „Sänger und Schneider“, 1820 in München gegeben, griff nicht durch. Dafür hatte die im J. 1813 geschaffene „Schlachtsymfonie“ seinen Ruf als instrumentaler Tonsetzer gefestigt. W. hat den Plan des Ganzen wohldurchdacht und die Aufgabe sinnreich ausgeführt. Fünf verschieden vertheilte Orchester werden da ins Treffen geführt, zu welcher Tonmasse sich noch der Chor in einem marschähnlichen Gesang und zuletzt in einem jubelnden Triumphlied gesellt. Mit voller militärischer Musik sind die charakteristischen Kriegsmelodien der kämpfenden Völker in [473] die Schilderung des Schlachtgewühles verwoben. Ein zeitgenössischer Kritiker versichert im Hinblick auf die „Schlacht von Vittoria“, nach einstimmigem Urtheil stehe diesmal Herrn van Beethoven’s Originalität unter Winter’s schulgerechter Form. Der Versuchung, an Gluck’s vermeintlich zu einfacher Instrumentirung die verschlimmbessernde Hand anzulegen, ist W. gleich Spontini, Aiblinger, Esser und Wagner im guten Glauben, der Sache hiermit zu nützen, erlegen. Er hat die Instrumentalbegleitung zur „Iphigenie in Aulis“ verstärkt und dem Tagesgeschmack entsprechend zurechtgerichtet. Als wenn eine modemäßigere orchestrale Toilette dem großen Publicum das Verständniß eines ursprünglichen, tiefen Geistesproducts erschließen könnte! Nicht unerwähnt mag bleiben, daß W. mit Vorliebe die Composition von Balleten gepflegt hat, deren mehrere er für Mannheim, München, Wien und London schrieb. Viel Ehre hat ihm auch die vortreffliche „Vollständige Singschule“ (in drei Teilen) eingetragen, worin er seine reichliche Erfahrung auf dem Gebiete der Gesangskunst verwerthet hat. Anläßlich seines im J. 1814 begangenen 50jährigen Dienstjubiläums ward dem würdigen Künstler vom Könige von Baiern das Ritterkreuz des Civilverdienstordens verliehen. Am 18. October 1825 verschied er. Noch bis in die letzte Lebenszeit wirkte W. für die königliche Hofcapelle. Als kirchlicher Tonsetzer hat er eine rege Thätigkeit entfaltet, innerer Drang führte ihn zum Schaffen auf diesem ernsten Felde hin. Seine Kirchenstücke tragen durchwegs das Gepräge edler Einfachheit. Er schrieb viel, darunter hervorragend Gutes. 26 Messen, worunter 2 Pastoralmessen, 3 Te Deum, 3 Stabat mater, 1 Magnificat, 7 Tantum ergo, zahlreiche einzelne Meßsätze zeugen von seiner Fruchtbarkeit. Für die evangelische Hofkirche verfaßte er 7 geistliche Cantaten, das Oratorium „Der sterbende Jesus“, ein deutsches Stabat mater. Zuhöchst von alledem sind seine beiden Todtenmessen zu stellen, insbesondere die in C–moll, eine Tondichtung von würdiger, reiner, echt künstlerischer Haltung; einheitlich empfunden, in Erfindung und Ausführung (auch inbezug auf Contrapunkt und Instrumentation) vortrefflich, ist ein Meisterwerk, dessen mit Auszeichnung gedacht werden muß, und das bei vorherrschend feierlich milder Stimmung auch Züge von Pathos und Größe offenbart. Seinen Kirchenwerken läßt sich überhaupt Originalität nachrühmen. Pracht der Chöre, reiche Instrumentirung und fließender Gesang fesseln an ihnen. Winter’s Kammermusik (6 Streichquartette, 2 Streichquintette, 1 Sextett, 2 Septette, 1 Octett, mehrere Concerte) ist heutzutage vergessen. Seine Opernmusik ist – wenigstens in ihren Spitzen – werthvoll. Zwar fehlt es ihm an genialer Schöpferkraft. Sein Talent ist weder mit sonderlicher Tiefe, noch Stärke oder Fülle ausgestattet. Durchgreifende Energie, leidenschaftlicher Schwung, imponirende Großheit sind ihm fremd. Der Grundcharakter seiner Muse ist mehr dem Sanften, Angenehmen, Gefälligen zugeneigt, sie hat nichts Ungestümes, gewaltsam Fortreißendes an sich, liebt hingegen das gleichmäßig Abgetönte, Ausgeglichene, wie überhaupt seine Künstlerart als der Ausfluß einer harmonischen Natur erscheint. Mangelt ihr auch die Schärfe der Charakteristik, so erfreut sie dafür durch ungekünstelte Anmuth, Formreiz und einen gewissen Anstrich von Würde. W. ist mehr Lyriker als eigentlicher Dramatiker, lyrisch ohne Einschlag von Schwärmerei. Uebrigens besitzt er scenischen Sinn und weiß seine Tongestaltungen bühnengerecht auszuführen. Schöner Sang, Fluß der Melodik, richtige Declamation, wirksame Instrumentirung, besonnene Anlage sowie ein belebtes Ensemble sind seinen besten Opern eigen. Als dramatischer Musiker ist er vornehmlich Gluck, Mozart und Salieri verpflichtet, in deren Fußtapfen er gewandelt, ohne darum seine Selbständigkeit gänzlich aufzugeben. Das persönliche Gepräge tritt in seinen Leistungen nicht scharf hervor, dennoch darf W. auf Eigenart Anspruch erheben. Er verliert sich nicht in der Nachhut [474] dieser einflußreichen Geister, sondern steht für sich da. Keinem von den vorhin Genannten hat er sich bedingungslos angeschlossen, vielmehr einen Mittelweg eingeschlagen und nach seiner Weise eine Vermittlung zwischen deutscher und italienischer Schule angestrebt. Trotz der inzwischen erfolgten tiefgreifenden Wandlung des musikalischen Geschmacks vermögen Winter’s gelungenste Hervorbringungen noch ein mehr als flüchtiges Interesse zu erwecken. Mag sein Horizont immerhin ein engerer sein als der der großen Meister, so bleiben doch auch seine Werke vom Abglanz des classischen Ideals umflossen. In der Periode von Mozart’s Tod bis zum Auftreten von Beethoven’s Fidelio war W. im Fache der ernsten Oper unstreitig der erste deutsche Componist. Er hat das nicht zu übersehende Verdienst gegenüber dem übermächtigen Andrängen des Auslandes, vor allem Frankreichs, das Ansehen deutscher Kunst bewahrt und behauptet zu haben. In der dünngesäeten Schar der Bühneninstinct verrathenden deutschen Opernsetzer bildet W. eine wirkungsfähige Kraft.