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Artikel „Mozart, Wolfgang Amadeus“ von Ludwig Siegfried Meinardus in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 22 (1885), S. 422–436, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Mozart,_Wolfgang_Amadeus&oldid=- (Version vom 21. November 2024, 13:03 Uhr UTC)
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Mozart: Wolfgang Amadeus M., jüngster Sohn des erzbischöflich salzburgischen Concertmeisters und Hofcomponisten Leopold M. (s. o.), ward zu Salzburg geboren Abends 8 Uhr am 27. Januar 1756 und erhielt in der, folgenden Tages nach römischem Ritus vollzogenen Taufe die Namen Johannes Chrysostomus Wolfgangus Theophilus. Nach seiner Firmelung nannte er sich noch Sigismundus. Der häusliche Name lautete bald Wolfgang (Woferl), bald Gottlieb, Verdeutschung des „Theophilus“, des welschen Amadeo, Amadée. Die ersten zu Paris 1763 erschienenen zwei Violinsonaten betiteln sich als „Oeuvre II par J. (Johann) G. (Gottlieb) Wolfgang Mozart, agé de sept ans“. Später verbreiteten sich die bekannten Namen Wolfgang Amadeus (Amade). – Die frühzeitige künstlerische Entwickelung seiner beiden Kinder, Marianne (s. o. unter Leopold M.) und namentlich Wolfgangs, gestattete es ihrem väterlichen Erzieher, schon 1762 Kunstreisen mit ihnen zu unternehmen. Dieselben erstreckten sich vornehmlich auf Hofhaltungen von Fürsten und Großen: so in München und Wien; [423] bald darauf mit vollzähliger Familie durch das südwestliche deutsche Land nach Paris, London, Holland und über Paris nach Salzburg zurück (1766). – Erfolg an Ruhm, wie auch an Glücksgewinn reizte zu einer Wiederholung des Besuches der künstlerischen Familie in Wien (1767–1769). Hier schrieb der Knabe Wolfgang seine erste Oper „La finta semplice“ (51 im „Chronologisch-thematischen Verzeichniß sämmtlicher Tonwerke W. A. Mozart’s von Dr. Ludwig Ritter v. Köchel“), welche in Folge abholder Gegenwirkungen zur Aufführung nicht gelangte. Ein Singspiel nach dem Französischen des Rousseau (Le devin du village) ward unter dem Titel „Bastien und Bastienne“ (K. 50) auf einem Privattheater des Dr. Meßmer hingegen dargestellt. Zur Genugthuung des Vaters und zu seinem eigenen Ruhm dirigirte der 13jährige Sohn auch die Kirchenmusik, darunter seine erste Missa brevis in G (K. 49), welche er zur Einweihung einer Waisenhauskirche in Auftrag geschrieben hatte. Im December 1769 nach Salzburg im Schmuck frischer Lorbeeren zurückgekehrt, ernannte ihn der Erzbischof Sigismund zum Concertmeister neben Michael Haydn. – Den Zeitraum von December 1769 bis März 1773 füllten Studien und Arbeiten zu Salzburg aus, welche von drei, in Begleitung des Vaters unternommenen Kunstreisen nach Italien unterbrochen wurden. Der erste Besuch dieses an musikalischem Bildungsstoff und ruhmvollen Traditionen reichen Landes dehnte sich aus bis Rom und Neapel (Ende 1769 bis März 1771) und trug glänzende Ehren und Gewinn ein. Der Papst Ganganelli ernannte den wunderbaren Knaben, der sich fähig erwiesen, das neunstimmige Miserere von Allegri nach einmaligem Hören aus dem Gedächtniß fehlerfrei niederzuschreiben, durch Verleihung des Ordens vom goldenen Sporn zum Palatinus Romanus; die berühmte Akademie zu Bologna erhob ihn zur Magisterwürde; nach dem glänzenden Ausfall seiner Oper „Mitridate, Re di Ponto“ (K. 87) zu Mailand sandte die philharmonische Akademie zu Verona dem 14jährigen Autor das Diplom ihrer Kapellmeisterwürde. Rom, Bologna, Neapel, Venedig concurrirten mit Mailand in Bestellung einer neuen Oper für die Musikzeit des Jahres 1772. Den Auftrag der Impresa von Mailand nahm M., der neue „Cavaliere Filarmonico“, gegen ein Honorar von 130 Gigliati (Ducaten) an. Die erste Aufführung am 26. December 1770 und zwei folgende Wiederholungen des „Mitridate“ leitete der Maestrino persönlich. Im Ganzen erlebte diese seine erste öffentlich dargestellte Oper 20 Aufführungen. – Zur Vermählungsfeier des Erzherzogs Ferdinand ertheilte Maria Theresia dem jungen Künstler den ehrenden Auftrag, eine „dramatische Serenade“ in zwei Aufzügen zu schreiben. Die Darstellung dieses allegorischen Musikdrama’s, „Ascanio in Alba“ (K. 111), führte Vater und Sohn zum zweiten Mal nach Mailand. Das am 17. October 1771 aufgeführte Werk errang die Palme über des berühmten alten Ad. Hasse’s Oper, welche ebenfalls im höchsten Auftrage für denselben festlichen Zweck geschrieben worden war. – Zur Aufführung der am 26. December 1772 in Mailand mit gewohnter Begeisterung aufgenommenen dreiactigen Oper „Lucio Silla“ (K. 135) reiste Wolfgang mit seinem Vater zum dritten und letzten Mal nach Italien. – Inzwischen hatte der Jüngling zu Salzburg eine Probe seiner erstaunlich anhaltsamen Arbeitskraft abgelegt. Während der Zeit vom Ende des December 1771 bis dahin 1772 entstanden außer der großen Opera seria „Lucio Silla“ nicht weniger als 10 Symphonien, 3 Divertimente, 2 Orgelsonaten, 2 Clavierfugen, 6 Streichquartette (K. 155 bis 160), zahlreiche Lieder, eine Litania de Venerabili (K. 125), ein Regina Coeli (K. 127), 4 Messen und etliche andere Stücke für die Kirche; dazu ein für Padua bestimmtes Oratorium in zwei Theilen, „La Betulia liberata“ (K. 118), nach Metastasio, im Opernstil dermaliger Oratorien, und ferner eine dramatische Serenade in 1 Act ebenfalls nach Metastasio: „Lo Sogno di Scipione“ (K. 126), [424] eine Gelegenheitsarbeit zur Huldigungsfeier des neu consecrirten Erzbischofs Hieronymus (29. April 1772).

Der erstaunliche Fleiß des 16jährigen Jünglings illustrirt die Erziehungsgrundsätze seines väterlichen Mentors. ‚Künstlerische Leistungen – meinte dieser – sind die Frucht unablässiger Arbeit, unermüdeten Fortschreitens in sittlicher und künstlerischer Selbsterkenntniß.‘ Deshalb gewöhnte Leopold seine beiden talentvollen Kinder zeitig an Arbeitsamkeit. ‚Die Gewohnheit ist ein eisern Pfad (wât-Gewand)‘: – diese Wahrheit leitete ihn selbst bis zum Tode – leider auch in seinen vorgefaßten Meinungen. Die Familie hing mit warmer Herzlichkeit an ihrem Haupt. Wolfgang liebte seinen Vater vor allen Menschen. ‚Nächst Gott kommt gleich der Papa‘ – das war sein Glaubensbekenntniß. Wolfgangs reines Kinderherz, welches für nichts als Liebe Raum zu haben schien, erleichterte seine sittlich-religiöse Erziehung wie eine seltene musikalische Divinationsgabe seine künstlerische Ausbildung. Auf Grund des ‚Gradus ad Parnassum‘ von J. J. Fux leitete der Vater die vorbereitenden Musikstudien des Sohnes. Befruchtet und erweitert wurden dieselben bei Anlaß seines Aufenthaltes in Bologna, wo er unter dem persönlichen Einfluß gelehrter Tonmeister, namentlich des Padre Giambattista Martini, sich Einsicht und Geschick aneignete in den gewundensten Formen des überlieferten gebundenen Stils. Durch Selbststudium älterer und zeitgenössischer Tonwerke sich fort und fort zu bereichern ward Mozart’s ringender Genius zeitlebens nicht müde.

Die schöpferischen Lebensäußerungen des rastlosen Musikgeistes prägen in Mozart’s Menschlichkeit das Wesen eines seltsamen psychologischen Problems frühzeitig aus, welches die Unhaltbarkeit der monistischen Doctrin des Materialismus aufs überzeugendste beleuchtet. Beherrscht von kräftigen, auf flüchtig erhaschten behaglichen Lebensgenuß unbedenklich, oft unbesonnen erpichten Neigungen, stößt der Tongenius aus peinlicher Gewissenhaftigkeit jede Berührung zurück mit einer Gefühlsrichtung, welche das lautere Ideal reiner schöner Form trüben könnte. Völlig unvermittelt führt die natürliche Menschlichkeit mit dem musikalischen Pneuma ein getrenntes Leben, fast wie die Parteien einer geschiedenen Ehe. Weniger der sittliche Wille als die Hebelkräfte äußerer Nöthigung und innerlich andrängender Gewalt schlagen zeitweise eine luftige Brücke über die Kluft, auf der die Factoren einer schöpferischen, in die Sphäre sinnlicher Wahrnehmbarkeit heraustretenden That einander zu gemeinschaftlichen Handreichungen begegnen: so beim Instrumentenspiel, Gesang, freiem Improvisiren, Niederschreiben eines Tonwerkes. Bei solchem Thun leiht der vom Willen beherrschte leibliche Organismus sich den Directiven des Genius mit freudigem Willfahren dar. Der Act künstlerischer Zeugung scheint dagegen von der Menschlichkeit völlig abgelöst und unabhängig sich zu vollziehen, von dieser nicht anders wie als pathologische Wirkung eines unwillkürlichen Lebensprocesses empfunden zu werden. Bei schöpferischen Transactionen verschärft sich der dualistische Zwiespalt bis zu substanzieller Deutlichkeit. Während die geistige Geburt zum vollendeten Kunstwerk rein innerlich ausreift, tritt die Anstrengung solchen Werdens und Wachsens zwar zuweilen in ihren Rückwirkungen auf Beschleunigung der Blutcirculation, auf Mienenspiel, auf unruhige Beweglichkeit der Gliedmaßen hervor, zugleich aber zeigt das Denkvermögen sich völlig fähig, fremdartige Gegenstände der Unterredung klar aufzufassen und Urtheile wie Auskunft über angeregte Fragen abzugeben. Zu der Complexion dieses einzigartigen Genius gehört auch eine Gedächtnißkraft, welche alle Grenzen gewohnten Fassungsvermögens überschreitet. Ist das Kunstwerk in angedeuteter Weise geistig vollendet, wird es neben anderen dem Gedächtniß anvertraut. Hier ruht es unverkürzt und unverloren jahrelang, wie fertige Handschriften im Archiv bewahrt werden – ein sicherer, wiewol [425] ausschließlicher Besitz des Meisters. Deshalb bequemte er sich nur höchst ungern zum Geschäft des Niederschreibens. Dasselbe aber glich einem ganz äußerlichen Copiren. Nichts störte ihn dabei, weder heiteres Gespräch, noch Kinderlärm, noch selbst ertönende Musik. Er unterhielt sich aufs munterste und schrieb mit fliegender Feder ohne Irrung gleichsam ab, was wie ein aufgeschlagenes Buch im Gedächtniß vor seinen sehenden Augen ihm vorlag. Ja, er war sogar fähig eine Fuge aus dem Schatz seines Erinnerungsschreins zu copiren und gleichzeitig das erforderliche Präludium dazu „auszudenken“ (vgl. K. 394).

Schon in dem jungen Knaben erkannte der scharfblickende Vater das unbegreifliche Wesen seines Tongeistes. Leopold, ebenso weit entfernt vom Aberglauben als von kopfhängerischer Duckmäuserei, war beseelt von christförmiger Frömmigkeit, welche ihm Herz und Willen harmonisch durchdrang und welche die Gehaltlosigkeit der fadenscheinigen Aufklärungstoga, darein seine leichtlebige Umgebung sich selbstgefällig einhüllte, als schroffen Gegensatz empfand. Leopold lebte des zuversichtlichen Glaubens an die Machtvollkommenheit, vermöge deren der lebendige Gott selbstgezogene Schranken natürlicher Gesetze gelegentlich durchbrechen könne, um verunglimpfte sittliche Heilsordnungen durch ungewöhnliche Mittel in die verlassenen Geleise zurückzuführen. Auf Grund solcher religiösen Ueberzeugung gelangte Leopold zu der Einsicht, Gott habe dem entchristlichten, in spießbürgerlicher Moralphilosophie ohne lebenspendenden Glauben verdorrten Zeitalter einen beredten Beweis seines Daseins und seines Wirkens vor Augen stellen wollen. Als Träger solcher Beweismittel göttlicher Wundermacht erkannte Leopold die ganz außergewöhnlich begabten beiden Kinder, vorzugsweise den Knaben, deren Erziehung zur Erfüllung ihres göttlichen Berufs ihm als wesentlichste, als höchste und ausschließliche Aufgabe seines Lebens anvertraut und zur heiligen Pflicht gemacht worden sei. Aus solchem Beweggrund – nicht aus Gewinnsucht und Speculation auf äußere Vortheile – geschah es, daß Leopold mit den Kindern die erwähnten Kunstreisen unternahm. Ob dieselben auf die Zeitgenossen der sittlichen Auffassung Leopolds gemäß wirkten, das läßt sich nicht nachweisen. Wenigstens aber wurde vielfach öffentlich anerkannt (in Berichten aus Augsburg, Frankfurt, Paris von Seiten Grimm’s, London von Seiten Barrington’s), daß an dem Geschwisterpaar, ganz besonders an Wolfgang, ein unzweifelhaftes Wunderwirken leibhaft verkörpert sei. Und dieser Ueberzeugung hat sich in aller Folgezeit Niemand ganz zu entziehen vermocht, der fähig und geneigt war, die wundersame Erscheinung und Sendung des Mozart’schen Genius mit offenen Augen ohne Vorurtheil und Scheu prüfend zu betrachten. – Das Uebergewicht der frühreifen Meisterschaft in dem zarten schwächlichen Knaben und Jüngling verlor für oberflächliche Beobachter viel vom Augenfälligen eines Wunderbaren, als die fortschreitenden Lebensjahre die Seltsamkeit jenes Mißverhältnisses ausglichen. Demgemäß veranlaßten auch mehr praktische als sittliche Zwecke spätere Kunstreisen, welche M. ohne leitende und sorgende Begleitung seines Vaters unternahm. Ermuthigende Erträge an Ruhm und Glücksgewinn, wie der Knabe sie erzielte, wie sie ihm oft noch im Jünglingsalter entgegenblühten, wurden dem auch an Jahren ausgereiften Tonmeister nur selten gewährt. – Vielleicht gestaltete sein Lebensloos sich glücklicher, hätten die früh errungenen Vortheile in nicht unterbrochener Continuität ausgenutzt und verfolgt werden können. Daß solches unterblieb, empfand der lebenskluge Vater als grausame Hemmung. Doch nicht ihn trifft dafür die Verantwortung, sondern zunächst die Ungunst der heimathlichen salzburgischen Zustände unter dem Krummstab des Erzbischofs Hieronymus.

Dieser despotische Prälat, ein tückischer, kaltherziger Sinnenmensch, vergaß zeitlebens nicht das stumme Entsetzen, mit welchem die salzburgische Bevölkerung [426] wider seine erzbischöfliche Wahl remonstrirte. Unter der Tyrannei seiner eifersüchtigen Abgunst verkümmerte jegliches idealgerichtete Streben. Seine „Hof-Musique“ sank zur Nichtigkeit einer Decoration der fürstlichen Eitelkeit und despotischen Laune herab. Gewaltthätig griff der Souverän in die Interna, ja sogar in Formgebung der musikalischen Kunstübung ein. Zeitdauer, Gattung und Stil amtlicher Tonschöpfungen für Kirche und Concert wurden mit der Scheere willkürlicher Cabinetsordonnanzen redigirt. Jede selbständige Regung freudigen Aufschwungs freier Kunstbegeisterung ward wie rebellische Erhebung über die autokratische Glorie mißtrauisch und gehässig niedergehalten. Obendrein regelte schmutziger Geiz die Gehaltsbewilligungen. Und hartherziger Trotz verweigerte jedes Urlaubsgesuch behufs bildender und gewinnverheißender Kunstreisen.

Den schweren lähmenden Druck ertrug Wolfgang M. zunächst von 1773 bis 1777. Im Sommer 1773 stellte der neue Erzbischof sich dem Kaiserhofe in Laxenburg vor. Die Vacanz benutzte Leopold, um mit dem Sohne in Wien zu leben. Allem Anschein nach bemühte er sich hier um eine Anstellung, welche wenigstens die freie Entwickelung Wolfgangs von der Last Salzburger Fesseln hätte erledigen können. Doch wie vorher schon zu Florenz, blieben Leopolds Anstrengungen auch zu Wien erfolglos. In der Kaiserstadt vollendete Wolfgang eine im Auftrag eines Herrn v. Andretter zu Salzburg geschriebene Serenade in 10 Sätzen für Orchester (K. 185) und sechs Streichquartette (K. 168–173). Gleichwol schrieb er scherzend an die Mutter: „Der Wolfgangerl hat nicht Zeit zu schreiben, dan er hat nichts zu thun, er gehet im Zimmer herum, wie der Hund im Flöhen.“ –

Das lahme aussichtslose Hinsiechen in der schwülen Luft des salzburgischen Hofdienstes wurde zum zweiten Mal erfrischend unterbrochen durch einen Aufenthalt zu München. Veranlaßt ward dieser durch den ehrenden Auftrag, eine Opera buffa für das kurfürstliche Hoftheater zu schaffen. Das vorgeschriebene Libretto betitelte sich „La finta giardiniera“ (K. 196). Am 13. Januar 1774 zum ersten Mal aufgeführt, trug das Werk seinem Autor Bewunderung und Verehrung in allen Kreisen der Münchener Gesellschaft ein. Und Hieronymus war Augenzeuge der Triumphe seines geknechteten Concertmeisters. Vom Anfang des Decembers 1774 bis zum 7. März des folgenden Jahres durften Vater und Sohn sich des Genusses schmerzlich entbehrter freier Bewegung und würdiger Kunstpflege in der kurbaierischen Hauptstadt erfreuen. Um so peinlicher wirkte der Rückschlag der gewohnten unerwünschten Zustände in Salzburg. Wolfgang überwand trübe Anwandlungen und Aergernisse leichter als sein Vater, der in seiner Sorge um die angemessene Zukunft des hochbegabten Sohnes doppelt darunter litt. Diesem bot sich die Muse dar als freundliche Helferin in den salzburgischen Nöthen. Ein zusammenfassender Ueberblick über die in dem Zeitraum von März 1773 bis Herbst 1777 vollendeten bemerkenswertheren Tonwerke liefert einen neuen Beitrag zur Bewunderung der unermüdlichen, von Ungunst äußerer Bedingungen nur wenig beeinflußten Arbeitsamkeit Mozart’s.

Unter der runden Summe von 130 Tonschöpfungen zählt man für die Kirche: 8 Messen, 3 Offertorien, 2 Litaneien und 7 andere Chorsätze; – für die Bühne: die vorerwähnte dreiactige Opera buffa „La finta giardiniera“ und eine für salzburgische Hofzwecke geschriebene dramatische Cantate „Il Re Pastore“ in zwei Aufzügen (K. 208); für Orchester: 8 Symphonien, 11 Divertimente, der Mehrzahl nach für Blasinstrumente und zwar für je 2 Oboen, Hörner und Fagotte, zwei haben die ungewöhnliche Besetzung von 2 Flöten und 5 Trompeten (K. 187, 188), auch 2 englische Hörner finden sich in einem der meist zu fürstlicher Tafelmusik verwendeten Divertimente (K. 166); ferner 5 Serenaden, darunter außer der von Andretter bestellten auch die bekannte „Haffner-Serenade“ in D-dur [427] (K. 250); dann für die erzbischöflichen Redouten 20 Tänze und endlich noch 7 Märsche; – für sogenannte Akademien: 5 Concerte für Clavier; 7 solche für Violine, unter denen ein „Concertone“ für 2 concertirende Violinen mit Orchester (K. 190); ein Concertstück für Fagott (K. 191); – Kammermusik: 6 Streichquartette (die erwähnten), 1 Quintett (2 Violen) in B (K. 174), 1 Claviertrio in B (K. 254), 1 Trio in B für 2 Violinen mit Baß (K. 266); – Haus- und Salonmusik: 6 Sonaten (K. 279–284) und ein Andantino, auch eine canonische Studie für Clavier, ein Adagio und ein Rondo concertante für Violine; – für Orgel: 8 Sonaten mit Streichinstrumenten; – Variationen für Clavier: die 12 bekannten über ein Menuett von Fischer (K. 179), 6 über ein Thema in G, 9 über eins in C, 12 über ein Thema in derselben Tonart; – für Gesang: 3 Arien für Sopran, eine solche für Alt, 3 für Tenor; 9 Canons, wol für gesellige Zwecke bestimmt. –

Welche Universalität der Schöpferkraft! – Ein Ringen nach Befreiung von den gleichwol reifenden Einflüssen Italiens wird in der Mehrzahl der ausgeführten Arbeiten bemerkbar. In anderen derselben erscheint aber das Streben nach Freiheit niedergehalten von der seichten Geschmacksrichtung des Gewalthabers, in dessen Auftrag und Dienst sie entstanden. Dazu gehören außer den dienstlichen Divertimenten und Serenaden namentlich fünf Messen, sämmtlich in C-dur aus den Jahren 1775 und 1776 (K. 220–257–258–259–262). Hieronymus verabscheute die tiefsinnige Mystik des gebundenen Stils. In den Messen, welche er am Hochamt persönlich las, mußten die Pauken wirbeln und die Trompeten schmettern. Mozart’s schmiegsame Natur suchte ohne Verletzung seines künstlerischen Gewissens den gegebenen Bedingungen bestens gerecht zu werden. Aber die Unfreiheit und die Unleidlichkeit der sonstigen Zustände wirkten auf die Dauer unerträglich. So reifte der Entschluß, dem kümmerlichen Dienst zu entsagen; und der junge Glücksritter verließ ohne Plan und Ziel, begleitet von seiner Mutter, am 25. September 1777 im eigenen Reisewagen die heimathliche Residenzstadt seines grollenden Tyrannen.

Raststätten, wo die Reisenden mehr oder weniger lange verweilten, waren München, Augsburg, Mannheim und Paris. Es galt eine angemessene Unterlage für Wolfgangs und der Seinen gesicherte bürgerliche Zukunft zu finden. Wolfgangs Schaffenstrieb richtete seine Wünsche vorzugsweise auf Bethätigung im Bereich der Oper. Nach beiden Seiten aber blieb die Reise ohne jeden erwünschten Erfolg. Weder eine fürstliche besoldete Anstellung, noch der Auftrag, eine Oper zu schreiben, wurde dem jugendlichen Tonmeister gewährt. Seine Arbeitsamkeit bewegte sich in gewohnten Grenzen reiner Instrumentalmusik und concertirender Arien. Eine Symphonie in D (die Pariser – K. 297), drei Divertimente, unter denen ein kurzes Fragment, ein Notturno für vier Streichorchester mit je zwei Hörnern in D (K. 286), eine Gavotte, ein Marsch; ferner zwei Concerte für Flöte, eins für Oboe, ein drittes für Flöte und Harfe; dann zwei Quartette für Flöte, Violine, Viola und Violoncell, eine Sonate für Fagott und Violoncell (nachgelassenes Werk) in B (K. 292), sieben Sonaten für Clavier und Violine, drei Sonaten und ein Allegrosatz für Clavier; endlich zwei Concertarien und zwei Lieder mit französischem Text für Sopran, wie eine Concertarie für Tenor; dazu kommen noch einige allem Anschein nach in Paris verloren gegangene Werke, Kirchenchöre (eine Flickarbeit), Balletmusik (Les petits Riens) und eine Symphonie concertante für concertirende Flöte, Oboe, Horn, Fagott mit Orchester: ein solches Ergebniß des Arbeitsfleißes eines, von Reisen und Unstätigkeit der wechselnden Eindrücke erfüllten fünfzehnmonatlichen Zeitraumes würde man nach gewöhnlichem Maßstab der Möglichkeit für fast unglaublich zu halten geneigt sein; den stromweisen Ausstrahlungen des Mozart’schen Tongeistes [428] gegenüber erscheint gleichwol jene Lese seiner Reisefrüchte fast als Mißernte. In Anbetracht aller getäuschten Erwartungen, aller übrigen heftigen Gemüthserschütterungen wahrlich kein Wunder! – Dagegen gewann diese Reise für die menschliche wie künstlerische Entwickelung Mozart’s entscheidende Bedeutung. Herbe Täuschung seiner ersten zarten Liebe zu Aloysia Weber; dadurch veranlaßte schmerzliche Auseinandersetzungen mit seinem besorgnißvollen Vater; demüthigende Berührungen mit kaltsinnigem Eigennutz und hochmüthiger Sittenlosigkeit; dazu angstvolle Tage und der erschütternde Schmerz um den zu Paris erfolgten Verlust seiner treuen Mutter: solche Erfahrungen, die das Herz des glücksbedürftigen Jünglings Schlag auf Schlag trafen, zeitigten und reiften die längst aufgegangenen Keime des Dranges nach mannhafter Selbständigkeit und begannen die festen Bande zu lockern, vermöge deren Wolfgangs Schritte bisher von dem Willen seines Vaters geleitet und bestimmt worden waren. – Die Bedeutung, die jene Reise für Mozart’s künstlerische Ziele gewann, lag vorzugsweise in dem Einfluß, den sie auf seine Erkenntniß unversöhnlicher nationaler Gegensätze übte mit ihrer klärenden und reifenden Anreizung seines vaterländischen Selbstgefühls. Schon zu München fand M. den Boden für den Anbau des noch schüchtern neben der italienischen Oper auftauchenden jungen deutschen Singspiels geebnet. Zu Mannheim gab es bereits eine deutsche Nationalbühne, auf welcher Günther von Schwarzburg und andere deutsche Helden künstlerisch gefeiert wurden. Auch in der Vervollkommnung des in Formen erstarrten italienischen Stils, wie in der Ausbildung des Orchesters hatte man hier kühne Vorschritte im Sinne nationaler Selbständigkeit gemacht. Zu Paris fühlte M. sich angewidert von der Leichtfertigkeit und Selbstüberhebung des französischen Wesens. Auch dadurch ward seinem deutschen Bewußtsein neue Nahrung zugeführt. Zugleich stand er den Kämpfen beobachtend gegenüber, welche die französisch Nationalgesinnten auf Grund der Gluck’schen Bestrebungen mit den Schildträgern des italienischen Schönheitsideals, vertreten durch Nicolo Piccini, erbittert und leidenschaftlich ausfochten. Hie dramatische Charakteristik und Wahrheit – hie rein formale Musikschönheit: so lag die Frage. M. schöpfte daraus für sich die Ueberzeugung, die Wahrheit beruhe in der Vermittelung beider Seiten des Gegensatzes: dramatische Wahrheit in musikschöner Form. Und er war wie kein zweiter berufen, in solchem Sinne jenen Gegensatz zu versöhnen, eine Mission, deren selbstbewußte Bethätigung sich in seinen Schöpfungen seitdem immer klarer und reiner vollzog.

In der Hofmusik zu Salzburg traten inzwischen zwei Todesfälle ein, die den Erzbischof nöthigten, M. durch Bewilligung sehr günstiger Bedingungen zur Rückkehr in den verhaßten Dienst mit Hülfe seines Vaters zu gewinnen. Der Vater rückte in die erledigte Stelle des Kapellmeisters. Wolfgang sollte ihn als Concertmeister mit der Anwartschaft, sein Amtsnachfolger zu werden, einstweilen gelegentlich vertreten. Zum Theil aber erwiesen sich die dem Vater M. zugestandenen Begünstigungen später als leere Vorspiegelungen. Nach allen herben und reifenden Erfahrungen lastete der Dienstzwang doppelt schwer auf des wiedereingefangenen Flüchtlings Schultern. Des Tyrannen rachsüchtige Gesinnungen sorgten dafür, den Druck noch empfindlicher zu machen. Nur Arbeit konnte die Last erleichtern.

Im Januar 1779 trat der Meister als Hof- und Domorganist und Concertmeister mit den Verrichtungen eines stellvertretenden Kapellmeisters in den unliebsamen erzbischöflichen Dienst zu Salzburg wieder ein. Anfang Juni 1781 endlich besiegelte der rohe Fußtritt eines erzbischöflichen Kammerherrn die gewaltsame Befreiung von den entwürdigenden Fesseln, welche M. aus eigener mannhafter Entschließung in Wien schon vier Wochen zuvor zerrissen hatte. Nach [429] Wien wurde er von Hieronymus, der dem Kaiserhofe in Folge des Ablebens der Kaiserin Maria Theresia seinen Beileidsbesuch abstattete, zur Dienstleistung beordert, während die am 29. Januar 1781 erfolgte erste Aufführung der ernsten schönen Oper „Idomeneo“ ihn vom November 1780 bis Anfang März 1781 im glücklichsten Zustande am kurfürstlichen Hofe zu München gefesselt hatte. In den letzten drittehalb Jahren der Knechtschaft machte die einförmige Ruhe und der Druck des Dienstes die Schöpferkraft nur elastischer. Folgende Werke geben Zeugniß von ihrer Bethätigung im bezeichneten Zeitabschnitt.

Eine sogenannte Krönungsmesse in C (K. 317), eine Missa solemnis in C (K. 337), 2 Vespern, 4 Hymnen, 4 Kyrie zum Theil unvollendet, 1 Offertorium, 2 deutsche Kirchenlieder für eine Stimme mit Baß, 3 Orgelsonaten mit kleinerem und größerem Orchester; – 1 Terzett (Luci care) mit 3 Bassetthörnern (K. 346), 3 Concertarien für Sopran, 2 Lieder am Clavier, ein drittes „Komm liebe Zither“ mit Mandoline, 2 Canons; – 3 Symphonien, darunter eine in G (K. 318) als Ouvertüre zum Schauspiel ‚König Thamos‘ benutzt worden zu sein scheint, 2 Serenaden, eine in D (K. 320) und die dreizehnstimmige in B (K. 361), ein Divertiment in D (K. 334), 3 Märsche, 3 Menuette; – eine Symphonie concertante für Violine und Viola mit Orchester (K. 364), ein Concert für zwei Claviere, ein Concertrondo für Horn, ein solches für Violine in C (K. 365); – 1 Quartett für Oboe, Violine, Viola und Violoncell (K. 370); 2 vierhändige Claviersonaten in G und B, 4 Sonaten zu zwei Händen für Clavier; – Variationen für Clavier: 8 in F, 12 in Es, 12 desgleichen, Variationen für Clavier und Violine: 12 in G, 6 in g; 1 Menuett (ohne Trio) in D, 1 Adagio in C für Harmonika, 1 Allegro in B für Clavier und Violine (Bruchstück); – Chöre und Zwischenactsmusik zu dem vorerwähnten Schauspiel ‚König Thamos‘ von Gebler (K. 345), eine Oper in 2 Aufzügen, Text von Schachtner, ergänzt von Gollmick und A. André unter dem Titel ‚Zaïde‘ (K. 344); endlich noch die große Opera seria ‚Idomeneo, Re di Creta‘ in 3 Aufzügen (K. 366), ein Werk, das zwar fremde Einflüsse namentlich auch von Seiten Gluck’s (Alceste) noch erkennen läßt, aber in der meisterhaften Behandlungsweise des Orchesters und Chorwesens, wie in der Wahrheit treffender dramatischer Charakteristik die Selbständigkeit und eigenartige Kraft Mozart’s bahnbrechend ausgestaltet. Die Tänze, welche einer italienischen opera seria nicht mangeln durften, füllten nach der Gepflogenheit unabhängig vom dramatischen Verlauf die Pausen zwischen den Aufzügen aus. Im Idomeneo verknüpfte M. sie organisch mit der Handlung und schrieb deshalb die dazu erforderliche Musik selbst (K. 367), abweichend von dem Gebrauch, diese Sorge einer fremden Feder zu überantworten.

Mozart’s Befreiung vom unwürdigen Joch des salzburgischen Hofdienstes entzog seinem Vater den Mitgenuß des freilich spärlichen Gehaltes, das der Sohn von der erzbischöflichen Hofkammer bisher regelmäßig empfangen hatte. Die Aufnahme von Geldsummen bis zum Betrage von tausend Gulden, zu der Leopold durch Wolfgangs Reise genöthigt gewesen, hatte den Grund gelegt zu der Verstimmung, welche in Folge der immer entschiedener auf Selbständigkeit gerichteten Bestrebungen Wolfgangs das bestandene väterliche Wohlwollen mehr und mehr abkühlte und argwöhnischem Mißtrauen Raum gab. Wolfgangs Vermählung mit Constanze Weber (4. August 1782) hätte den Bruch des herzlichen Verhältnisses ohne Zweifel vollendet, wenn diesem unglücklichen Ausgang nicht vorgebeugt worden wäre durch die offenherzigste Liebe und Dankbarkeit, die Wolfgang seinem Vater treu bewahrte und in unablässigen Erweisungen nach wie vor bethätigte. – Die nicht zu reichlichen Erträgnisse, welche Musikunterricht, Subscription auf sechs als „opus 2“ bei Artaria in Wien erschienene Sonaten für [430] Clavier und Violine, wie Honorare für Concertleistungen im Clavierspiel ihm eintrugen, theilte er selbstlos mit seinem Vater. Die verdrossene Stimmung desselben aber wurde durch solche Liebesopfer nicht überwunden. Unerbittlich beharrte der in der salzburgischen Hofluft verbitterte und schnell gealterte Mann dabei, verleumderischen Ohrenbläsereien willig sein Ohr zu öffnen und alle Bewegungen seines redlichstrebenden Sohnes in Wien mit seiner mißtrauischen Kritik zu verfolgen. – Es fiel diesem schwer, solche Gesinnung bei der erprobten väterlichen Sorgfalt und Liebe zu begreifen. Fühlte er ihre Wirkung, so suchte er den empfundenen Schmerz niederzukämpfen. Seine Schöpferkraft aber blieb davon völlig unberührt und ihre Bethätigung schwang ihn über diese und alle anderen Anfechtungen vorläufig noch leicht hinweg. Doch verfehlten dieselben nicht seine menschliche wie künstlerische Reife zu fördern. Solche Wirkung prägt sich mit fortschreitendem Wachsthum in den Arbeiten dieser wie der folgenden Zeit unverkennbar aus; – sowol in den erwähnten Sonaten des Opus 2 und in einer Serenade (Es) für je 2 Clarinetten, Hörner und Fagotte – später erweitert durch 2 Oboen und 2 englische Hörner (K. 375), – als auch in einer für Aloysia Lange geschriebenen herzlichen Abschiedsarie und in einem Concertrondo für Clavier mit Orchester in D (K. 382). – Aber mit entschiedener Abkehr von allen welschen Einflüssen bezeichnet die Mozart’sche Eigenart eine kühne freie Schilderhebung auf Grund seines deutschen Selbstbewußtseins in dem dreiactigen komischen Singspiel „Die Entführung aus dem Serail“, Text nach Bretzner von dem jüngeren Stephanie. Joseph II. gab die Anregung zu diesem Werk, welches mit zwei ernsten Opern Gluck’s dem zum Besuch erwarteten Großfürsten Paul mit Gemahlin vorgeführt werden sollte. Das verzögerte Eintreffen der hohen Gäste und spätere Gegenwirkungen von Seiten der italienischen Hofpartei (Salieri und Genossen) bereiteten der Vollendung und Inscenirung des neuen Bühnenwerkes große Schwierigkeiten. Nur in Folge eines kaiserlichen Machtspruches gelangte dasselbe endlich am 12. Juli 1782 zur ersten öffentlichen Aufführung und errang trotz aller schleichenden Kabale der geschlagenen Gegner einen so beispiellosen Erfolg, daß in sechs Monaten (Juli bis December 1782) 16 Darstellungen mit ungeschwächtem Beifall zu Wien stattfanden und der Ruf nach Außen bald auch dem Werke seinen Weg über auswärtige Bühnen (Prag, Leipzig, Berlin und andere) ebnete. – Während M. mit der Einrichtung dieser Oper für Blasinstrumente nach Maßgabe eines erhaltenen Auftrages beschäftigt war, fand er sich genöthigt, gleichzeitig zwei Serenaden, eine in g-moll (K. 388), eine andere in D (K. 385) „geschwinde“ zu beschaffen. Die D-dur-Serenade bestellte sein Vater im Auftrag der Familie des Bürgermeisters Haffner zu Salzburg, dieselbe, für die er schon 1776 ein Werk gleicher Gattung schrieb. Das neuere Stück hat sich als viersätzige Symphonie auf den Concertprogrammen bis heute erhalten.

Mozart’s Eheleben mit Constanze umspannt einen Zeitraum von neun Jahren. Demselben entsprossen vier Knaben und zwei Mädchen, von denen allen nur zwei Söhne, Karl und Wolfgang, das männliche Alter erreichten. Mit Schulden belastet gründete M. seinen Hausstand. Constanzens häufige Wochenbetten mit nachbleibenden Gesundheitsstörungen, die wiederholte Kuren und Aufenthalte in dem benachbarten Kurort Baden veranlaßten, bereiteten den Bestrebungen Constanzens, der fortschreitenden Zerrüttung der Hauswirthschaft nachhaltig vorzubeugen, unüberwindliche Schwierigkeiten. Mozart’s unbesonnene, bis zum Fanatismus gesteigerte Freigebigkeit verleitete ihn zu Opfern hülfreicher Menschenliebe, die Constanzens wirthschaftlichen Anstrengungen oft empfindliche Hemmungen entgegensetzten. Dazu kam von Seiten leichtfertiger Genossen ein Ausbeutungssystem, das die unregelmäßigen Erträge des Unterrichts, des Concertspiels und des Gewinns der schöpferischen Erwerbsthätigkeit nicht selten zersplitterte. [431] Betrogen, übervortheilt, ja selbst bestohlen, befand sich der Meister fast ohne Unterbrechung im Zustande des Unvermögens, seinen Verbindlichkeiten gerecht zu werden. Achtmaliger Wohnungswechsel im Verlauf von neun Jahren, die über ein Jahr verschleppte endliche Befriedigung des sehnsüchtigen Verlangens, die Gattin den Salzburger Verwandten und Freunden zuzuführen und andere Folgen gänzlicher Mittellosigkeit beleuchten das häusliche Elend, soweit der Mangel an Geld es verursachte. Anleihen von Freunden, unter denen sich der Kaufherr Michael Puchberg, Mozart’s Logenbruder, durch stets offene Hand auszeichnete, machten die Lage immer mißlicher, zumal auch „unchristliche Wucherer“ endlich zur augenblicklichen Aushülfe herangezogen werden mußten. Unerachtet solcher Dürftigkeit mit allen häuslichen trostlosen Consequenzen, deren demüthigende und entmuthigende Last mit den fortrückenden Jahren immer drückender wurde, durchwärmte zärtliche Herzlichkeit das innige Zusammenleben der Ehegatten. Vermochte Constanze Mozart’s künstlerische Sendung in ihrem ganzen universellen Umfang auch nicht zu überblicken, so zollte sie seinem bewundernswerthen Tongeist doch Ehrfurcht genug, um manche Abweichungen seiner Lebensformen und Besonderheiten zu begreifen und gelten zu lassen. Sie theilte alle seine Interessen in Sorge, Leid und Freude mit ihm und besaß selbst musikalische Gaben des Gesanges, Clavierspiels und gediegenen Geschmacks, mit denen sie den Gatten zu erfreuen und anzuregen verstand. Eine Anzahl von Tonwerken ist aus solchem Einfluß, den Constanze auf M. übte, entstanden und – wiewol theilweise nur in Bruchstücken – erhalten geblieben. Dazu gehören außer Arien, Liedern und Canons auch lehrhafte Arbeiten wie Solfeggien, das bekannte liebenswürdige Terzett „Liebes Mandel, wo is ’s Bandel“ und Clavierstücke für zwei und vier Hände, wie auch eine Fuge mit Präludium, eine Formgattung, welche Constanze besonders liebte.

Mozart’s Doppelnatur macht es verständlich, daß die Noth des Daseins seiner Schöpferkraft nicht nur keine lähmenden Dämpfer aufsetzte, sondern ihr vielmehr nur zum freien Aufschwung über die Jämmerlichkeit der äußeren Enge gereichte. Thatsache ist, daß er zur Zeit seiner Ehe im Kampfe mit allen Anfechtungen den Zenith seiner künstlerischen Meisterreife von Stufe zu Stufe in rascher Folge erklomm. Er galt in dem anspruchsvollen Wien als Concertspieler von unbestrittenem ersten Range. Den berühmtesten dermaligen Claviervirtuosen, Muzio Clementi, überwand er in einem vom Kaiser Josef veranlaßten Wettspiel. Im Augarten, auf der Mehlgrube, in den Privatconcerten der Großen und mancher Kunstgenossen, in den von ihm selbst im Theater veranstalteten Akademien: überall spielte er unter dem Zudrange der musikliebenden vornehmen Welt, Kaiser Josef und seinen Hof an der Spitze. Funfzehn Clavierconcerte, ein Concertrondo für Clavier, Sonaten, Fantasien, Variationen, Fugen für dasselbe Modeinstrument entstanden im Zeitraum der ersten fünf Jahre seiner Ehe (1782 bis 1787) und eröffnen umfassende Einblicke in seine Thätigkeit als öffentlicher Clavierspieler. – Auch in seiner Wohnung fanden regelmäßige Musikveranstaltungen statt, welche zum Teil gegen Erlös von Eintrittskarten eine beschränkte Oeffentlichkeit gestatteten. Hier fand insonderheit die Pflege der Kammermusik ihre anregende Pflanzstätte. Während des bezeichneten Lustrums bereicherte Mozart die Litteratur deutscher Kammermusik mit 5 Sonaten für Clavier und Violine; mit 2 herrlichen, in Salzburg 1783 für Michael Haydn geschriebenen Duos für Violine und Viola und mit einem 1786 geschaffenen Duo für zwei Violinen. Ferner entstanden 4 Clavier-Trios, ein Adagio für Klarinette und zwei Bassetthörner, ein anderes Adagio für zwei Klarinetten und drei Bassethörner; 7 Streichquartette, unter denen die unsterblichen 6, welche der Meister seinem älteren Freunde Josef Haydn widmete; dann 2 Clavierquartette, das in [432] g-moll 1785 (K. 478), das in Es-dur 1786 (K. 493), und das Quartett für Clavier, Oboe, Fagott und Horn in Es (K. 452) aus 1784, ein Werk, welches Beethoven zu ähnlicher Schöpfung anregte; auch Quintette schuf die unermüdliche Notenfeder, und zwar ein solches für Violine, zwei Violen, Horn und Violoncell (K. 407) 1782, 2 für fünf Streichinstrumente, das in C (K. 515) und das in g (K. 516), beide im Frühling 1787. – Hiezu kommt noch „Ein musikalischer Spaß“ für zwei Violinen, Viola, zwei Hörner und Baß, die erste Arbeit nach dem am 28. Mai 1787 erfolgten Tode des Vaters. Mozarts Sinn erhob sich stets frei über jede Verweichlichung des Gefühls. Davon zeugt auch dieses burleske Tonstück, mit dessen Conception er seinen Schmerz über den erlittenen Verlust mannhaft überwand und abschüttelte. – Zu den Meisterwerken im Kammerstil gehörten in diesem fünfjährigen Zeitraum auch die großen Sonaten in F und in C für Klavier zu vier Händen, wie auch die anmuthigen vierhändigen Variationen in G. Unter den Liedern für eine Stimme mit Klavier ragen hervor „An Chloe“, „Das Veilchen“, „Abendempfindung“ und andere. – Außer den erwähnten Concerten für Clavier schrieb Mozart für das Instrument eines Waldhorn-Bläsers Leitgeb noch 4 Concerte und ein Concertrondo. Dieses entstand 1787. Ein anderes hatte er dem bedürftigen Kunstgenossen schon 1780 geschenkt. Aus 1785 stammt noch ein Andante zu einem Violinconcert. – Auch für Sängerinnen und Sänger erwies seine Muse ihre reichliche Freigebigkeit: außer der angeführten Abschiedsarie schrieb er für seine Schwägerin Aloysia Lange, geborene Weber, noch drei andere Arien; zwei davon wie eine dritte für den Tenoristen Adamberger waren zu Einlagen in eine Oper von Anfossi bestimmt. Eine vierte Arie schrieb er für den Bassisten Fischer (den ersten Osmin), eine fünfte für seinen Freund und Schüler Gottfried von Jacquin, eine sechste für Sopran und Violine widmete er einer Baronesse Pulini und seinem talentvollen Freunde August Graf Hatzfeld; eine siebente der Sängerin Nancy Storace (Non temer, amato bene) für Sopran mit concertirendem Clavier und Orchester; eine achte endlich seiner Freundin Josefine Duschek zu Prag. Ferner entstanden noch ein Duett für zwei Tenore, ursprünglich zur Oper „Die Entführung“ gehörend; ein anderes Duett für 2 Soprane, ein Terzett und ein Quartett als Operneinlagen; endlich noch ein Terzett für Sopran, Tenor und Baß nach einer Melodie des Tenoristen Kelly oder O’Kelly. – Auch die musikalischen Festlichkeiten seiner Freimaurerloge schmückte er mit „Gesellenliedern“, mit einer Kantate 1783 (K. 429), mit einer Trauermusik 1785 (K. 477), mit einer „Maurerfreude“ für Tenor und kleinen Chor (K. 471), mit einem Lied für Chor und Orgel zur Eröffnung der Loge (K. 483), mit einem dreistimmigen Chor und Orgel zum Schluß der Loge (K. 484) und anderen Gaben seiner unerschöpflichen Kunst. – Weniger reichlich ist das Ergebniß an Werken reiner Orchestermusik in dieser Periode. Registrirt sind 1782: nur 3 Märsche und der Menuettsatz einer Symphonie; 1783: 2 unter Haydns Einfluß entstandene Symphonien in C (K. 425) und in G (K. 444); ferner ein Marsch und einige Sätze zu einem Carnevalsscherz; 1784: 5 Menuette, 6 Contretänze und 2 Quadrillen; 1786: die bekannte in Prag geschriebene D-dur Symphonie (K. 504); 1787: 6 deutsche Tänze und 9 Contretänze, sämmtlich zu Prag für adlige Redouten geschrieben; und endlich noch eine „kleine Nachtmusik“ für Streichinstrumente (K. 525). – Die Kirchenmusik, welche dem Geschmack des rationalistisch gesinnten liberalen Kaisers Josef keine Aufmunterung verdankte, ist nur durch eine einzige unvollendete Messe, die Votiv-Messe in C-moll (K. 427) vertreten. Bei seinem Besuch zu Salzburg (Juli bis October 1783) ergänzte Mozart die fehlenden Sätze aus vorhandenen anderen seiner Messen und brachte sie solchergestalt in seiner Vaterstadt zu Gehör. Constanze sang die [433] Sopranpartie. 1785 benutzte er Stücke dieser seiner reifsten und reichsten Messe für die Cantate „Davidde penitente“ (K. 469).

Durch eine hingeworfene Aeußerung des Intendanten der kaiserlichen Hofmusik, Grafen Rosenberg, angeregt, entbrannte in dem Meister die Begierde für die retablirte italienische Oper ein neues mit deutschem Geist erfülltes Werk zu schaffen. Aus diesem Verlangen entstand eine Reihe von Ansätzen, deren Vollendung an der Unzulänglichkeit der vorgelegenen Dichtungen scheiterte. Hieher gehören die Fragmente einer zweiactigen Oper „L’oca del Cairo“ (K. 422), die einer anderen Opera buffa ebenfalls in zwei Aufzügen „Lo sposo deluso“ (K. 430), ferner einige Terzette und Arien zu anderen Opern. – Die Hauptwerke dieses Lebensabschnittes aber waren seine beiden, den Sieg des deutschen Genius über die welsche Herrschaft entscheidenden Opern Figaro und Don Juan, beide gedichtet von Lorenzo da Ponte, dem Poeten der kaiserlichen Hofoper. „Le nozze di Figaro, opera buffa in 4 Atti“ (K. 492), erlebte nach heftigen Gegenwirkungen der italienischen Partei ihre erste, glänzend aufgenommene Aufführung zu Wien am 1. Mai 1786. Es war das erste und einzige Bühnenwerk Mozarts, dessen Stoff (nach dem gleichnamigen satyrischen Lustspiel des Beaumarchais) er selbst auserkoren hat. Das darin pulsirende volle frische Menschenleben des Zeitalters verklärte Mozarts universelle Tonsprache in dem Geist des monumentalen Reinmenschlichen, das von deutscher lauterer Gemüthstiefe wonnig durchwärmt, und getragen von unerreichter Kunst individualisirender Charakteristik der musikalischen Ausdrucksmittel des Gesanges, in Arien, Ensemblesätzen und Orchesterbehandlung, der Gattung der Oper zum erstenmal die Weihe vollendeter Wahrheit verlieh. – In Prag, wo das unerhört neue und unwiderstehlich liebenswürdige Werk sogleich in Scene ging, regte die Begeisterung dafür den Wunsch an, seinem Urheber persönlich Dank bezeugen zu dürfen. M. folgte einer Einladung nach Prag, entzückte die kunstsinnige Gesellschaft dort in zwei gewinnreichen Akademien durch sein unvergleichliches Clavierspiel und drückte seine erkenntlichen Gesinnungen aus durch den freiwilligen Entschluß, für Prag eine Oper zu schaffen, wie er noch nie eine gleiche zuvor geschrieben habe. Diesen Vorsatz bethätigte er in „Don Giovanni (Il dissoluto punito), Opera buffa“ (später nannte er das wunderbare Werk „Dramma giocoso in 2 Atti“ (K. 527). Mit erschütternder Gewalt hebt die musikalische Kunst in diesem heiteren, alle Sphären des Daseins umspannenden Spiel den sittlichen Ernst der unerbittlichen ewigen Gerechtigkeit hervor, welche der Selbstvergötterung des menschlichen Willens als vernichtende Rückseite dient. In künstlerischer wie sittlich-menschlicher Hinsicht bedeutet das Werk eine weihevolle Vertiefung Mozarts selbst auch dem Figaro gegenüber. Am 29. October 1787 elektrisirte es zum erstenmal die entzündbaren Gemüther der Prager Bevölkerung, während die Wiener es bei der ersten Aufführung am 1. Mai 1788, verblüfft von der gewaltigen Neuheit, fallen ließen. Erst nach und nach fand man hier und an anderen Orten (z. B. in Berlin) die volle Würdigung für dieses hohe, beispiellose Kunsterzeugniß.

Seine Verbreitung über alle Opernbühnen der Welt erlebte der Schöpfer dieses monumentalen Werkes nicht. Auch trug es ihm außer dem gebräuchlichen Honorar im Betrage von 100 Dukaten keine weiteren Früchte ein, als die lange vergeblich erstrebte kaiserliche Ernennung zum Amt eines Kammermusikers, welches durch Glucks Ableben jüngst erledigt war. Gluck hatte eine Besoldung von 2000 Gulden bezogen. M. ward auf den Rath eines augendienerischen Kammerlakaien des sparsamen Kaisers Josef mit 800 Gulden abgefunden. Was er in seiner amtlichen Stellung zu leisten hatte, beschränkte sich auf die Beschaffung der kaiserlichen Tanzmusik. In den Jahren 1788, 1789 und 1791 (am [434] 20. Februar 1790 starb nach längerem Krankenlager Josef II.) schrieb M. in seiner Eigenschaft als Hofcomponist in Summa 90 Tänze für kaiserliche Redouten und Maskeraden. Deshalb erschien ihm der kaiserliche Sold von 800 Gulden „zuviel für das was er leistete, und zu gering für das was er leisten konnte“. – Das häusliche Elend, durch andauernde Krankheiten Constanzens und überhand nehmende Schulden bis zum Unerträglichen gesteigert, vermochte das schmale Gehalt nicht zu mildern. – Ebensowenig aber vermochte es zunächst schon die spontane Schöpferkraft dieses Genius zu lähmen. Inmitten der trostlosesten äußeren Bedrängnisse entstanden rasch hintereinander die drei unsterblichen Symphonien, welche Mozarts Meisterschaft im großen Instrumentalstil begründen und ihn mit Josef Haydn und Beethoven zum Vollender dieser Gattung machten. Die Symphonie in Es (K. 543) hat er in sein seit 1784 geführtes Register am 26. Juni 1788 als abgeschlossen eingetragen; die g-moll-Symphonie (K. 550) am 25. Juli desselben Sommers und schon am folgenden 10. August die C-dur mit der Schlußfuge („Jupiter“) (K. 551). – Auffallend ist, daß unter dem Datum des 26. Juni mit der Es-dur-Symphonie zugleich registrirt wurden: ein kleiner Marsch in D, eine C-dur-Sonate für Clavier und eine Sonate für Clavier und Violine, beide „für Anfänger“, dazu noch ein Adagio mit Fuge (f-moll) für Streichquartett; ferner unter dem 22. Juni ein Claviertrio in E, ein anderes in C unter dem 14. Juli; eine Canzonette für zwei Soprane und Baß am 16. Juli; endlich am 11. August ein Kriegslied „Beim Auszug ins Feld“ (gegen die Türken). Alle diese Arbeiten concurrirten offenbar mit der Conception der drei großen Symphonien. Wie das möglich war, ist schier unfaßlich, zumal wenn man erwägt, daß zur selben Zeit Constanze acht Monate lang zwischen Tod und Leben schwebte und auf Mozarts, nur von Sofie Weber, der jüngsten Schwester seiner geliebten Gattin, unterstützte Pflege angewiesen war. – Dazu gesellten sich aber noch zahlreiche andere Arbeiten im J. 1788, als ein Adagio für Clavier, ein Allegro und Andante für dasselbe Instrument, das schöne Divertimento in Es für Violine, Viola und Violoncell (K. 563), ein Claviertrio in G, eine Arie für Aloysia Lange, eine Baß-Ariette, ein anderes Kriegslied (Ich möchte wol der Kaiser sein), 10 Kanons für Gesang, ein Clavierconcert in D (K. 537) und die Bearbeitung des Händelschen Schäferspiels „Acis und Galathea“. Im März 1789 folgte eine ähnliche Bearbeitung des „Messias“, im Juli 1789 die „Cäcilien-Ode“ und das „Alexanderfest“. Angeregt wurden diese Bearbeitungen durch den Vorsitzenden der kaiserlichen Hofbibliothek, Baron van Swieten. M. vertiefte sich auf seinen Anlaß in das Studium Bach’scher und Händel’scher Werke. Auch leitete er Chorconcerte, die auf van Swietens Anlaß von einer Gesellschaft kunstliebender Aristokraten im Saal der Hofbibliothek vor eingeladenen Zuhörern veranstaltet wurden.

Vom 8. April bis zum 4. Juni 1789 befand der Meister sich auf einer Kunstreise, deren Ziel Berlin und Potsdam, der Hof des musikfreundlichen Königs und Violoncellspielers, Friedrich Wilhelm’s II. war. Für dessen Lehrer, den Franzosen Jean Pierre Duport, schrieb M. 9 Claviervariationen über ein Menuett von diesem. In Leipzig widmete er einem Kunstgenossen eine kleine Gigue als Stammbuchblatt, studirte hier Bachsche Motetten, improvisirte beim Abschied von dem Doles’schen Freundeskreise witzige kunstreiche Kanons, und erhielt neben dem Auftrag, für Friedrich Wilhelm II. drei Streichquartette zu schreiben, von diesem das Anerbieten, als Kapellmeister mit 3000 Thaler Gehalt in seine Dienste zu treten. M. konnte sich aber nicht entschließen, seinen Kaiser und Wien zu verlassen. Und da auch ein Concert zu Leipzig keinen Gewinn getragen, blieb diese Reise ohne nachhaltigen Erfolg. Die bestellten drei Quartette entstanden im Juni 1789 (D-dur) (K. 575), im Mai und Juni 1790 (B K. 589 und [435] F K. 590). Im übrigen findet man noch verzeichnet aus 1789: 2 Claviersonaten; das dem Clarinettisten Stadler gewidmete Quintett für Clarinette und Streichquartett, das sogenannte Stadler-Ouintett; ferner 7 Arien für Sopran, darunter die Einlage zu „Figaro“ in F (Kehre wieder) und einige andere derselben als Einlagen in Opern von anderen Autoren; endlich noch eine Baßarie zu „Cosi fan tutte“. Diese Opera buffa in zwei Aufzügen bestellte auf äußeren Anlaß Kaiser Josef. Lorenzo da Ponte dichtete das Buch, dessen Schwächen nicht dazu beitragen konnten, M. die Arbeit seinerseits zu erleichtern. Gleichwol verleugnet auch diese Bühnenmusik weder die gewohnte Meisterschaft in der Kunst der Formgebung, noch Mozarts originelle Charakteristik der Ensemblesätze. Am 26. Januar 1790 ging das Werk zum erstenmal in Scene, wurde sehr günstig aufgenommen und erlebte in demselben Jahre zehn Aufführungen auf der kaiserlichen Nationalbühne zu Wien.

Die reactivirenden Bestrebungen Leopold’s II., welche sich nicht allein gegen seines Vorgängers Josef liberale Reformen, sondern auch gegen dessen Günstlinge richteten, steigerten Mozart’s hoffnungslosen Zustand bis zur Verzweiflung. Eine Reise zur Kaiserkrönung nach Frankfurt am Main (23. September bis Ende October 1790) konnte er nur erschwingen durch Versatz seines Schatzes an silbernen Geräthen und Pretiosen. Die am 14. October im Theater stattgefundene Akademie, in welcher er zwei, beide später als „Krönungsconcerte“ bekannt gewordenen Clavierconcerte (in F von 1784, K. 459, und in D von 1788, K. 537) vortrug, enttäuschte die Hoffnung auf reichen Glücksgewinn. – Einen besseren Gewinn aber brachte ihm die Reise ein: sie heilte ihn von allen grundlosen Illusionen, drängte ihn zu ernster Selbstprüfung und zu dem kräftigen Entschluß, den von Todesahnungen bedrohten Rest seines Lebens mit unverkürzter Treue und ermannter Frische der Hingabe an seine Kunst für die Seinigen und für das Allgemeine fruchtbar zu machen. Er wollte „arbeiten, nichts als arbeiten“.

Diesen Entschluß hat er bis wenige Stunden vor seinem Ende mit unverkürzter Treue und wunderbarer Kraft bethätigt. Dazu widerstand er verschiedenen lockenden Aufforderungen, dem Glück in der Ferne (London) auf Grund abenteuerlicher Möglichkeiten die Hand zu bieten. Hingegen wandte er, dem jede Aussicht auf Beförderung seitens des Kaisers entzogen worden, sich an den Stadtmagistrat von Wien mit einem „bittlichen Ansuchen“, infolge dessen er dem bejahrten Kapellmeister an St. Stefan, Leopold Hofmann, ohne Gehalt adjungirt wurde mit der Vertröstung auf dessen Nachfolgerschaft in dem reichlich dotirten städtischen Amt. Im Winter 1790 auf 1791 leistete er wieder Ballmusik für den Hof, nämlich 41 Modetänze aller Art. Mehr verlangte der Kaiser nicht von seinem Kammermusikus M. Für einen reichen Freund schrieb er zwei Streichquintette, eins D-dur im Dezember 1790 (K. 593), das zweite Es-dur (K. 614) im April 1791. Auch vor den untergeordnetesten Aufgaben beugte sich sein rectifizirter Künstlerstolz. Davon zeugen zwei schöne Werke für eine Spieluhr, ein Adagio und Allegro (K. 594) und eine Fantasie zum Theil in fugirtem Stil (K. 608), wie ein Andante für Walzenorgel (K. 616), vulgo Leierkasten! – Eingerichtet für Klavier, sind diese Stücke erhalten geblieben. Selbst drei artige Liederchen für eine Kinderzeitschrift zu liefern, verschmähte er nicht. Auch schrieb er für sich noch ein letztes Clavierconcert in B (K. 595) und für den älteren Stadler das bekannte Clarinetten-Concert in A (K. 622). Desgleichen beschenkte er die blinde Marianne Kirchgäßner mit einem reizvollen Adagio und Rondo in C (K. 617) für Harmonika, Flöte, Oboe, Viola und Violoncell; schrieb sonst noch 8 Variationen für Clavier, eine Baßarie mit obligatem Contrabaß, ein komisches Duett für Sopran und Baß als Operneinlage, zwei Cantaten für die [436] Freimaurerloge, und einen Schlußchor in einer Oper von Sarti („für Dilettanti“). Alle diesen zerstreuten Arbeiten entstanden größtentheils gleichzeitig mit der Ausarbeitung der Zauberflöte, des Titus und des Requiem im Laufe von kaum einem einzigen, durch Gesundheitsstörungen und Todesahnungen zeitweise verkümmerten Jahr! Noch mit der Ausarbeitung der Schikaneder’schen „Maschinenkomödie“ – die Zauberflöte – beschäftigt, erschütterte den Meister die geheimnißvolle Bestellung der Seelenmesse seitens des Grafen Franz von Walsegg; und bald darauf mußte er in dem kurzen Zeitraum von 18 Tagen für die Krönungsfestlichkeiten der Inthronisirung Leopold’s II. zu Prag die italienische Opera seria „La clemenza di Tito“ in 2 Atti (K. 621) nach Metastasio schaffen, einstudiren und aufführen (6. September). Dazu erlebte er die Enttäuschung, daß weder diese Oper, noch die am 30. September zu Wien unter seiner Leitung aufgeführte „Zauberflöte“ den erwünschten Erfolg hatte. Die Verbreitung beider Meisterwerke erfolgte erst nach Mozart’s Tode, der ihn bei der eifrigen Ausarbeitung des Requiem – seines eigenen Grabgesanges – in der ersten Morgenstunde des 5. Decembers 1791 bei noch nicht vollendetem 36. Lebensjahr dahinraffte. In der Zauberflöte hinterlegte er das Vermächtniß höchster künstlerischer und ethisch-religiöser Reife und Weihe. Die allegorisirende, zum großen Theil plumpe Dichtung Schikaneders und seiner Mitarbeiter verklärte seine himmlische Kunst in die reine schöne Form einer tiefsinnigen, universellen Symbolik, welche das Requiem als Mozarts Beichte und Glaubensbekenntniß im meisterhaften Ausdruck der gebundenen Satzweise unverhüllt offenbart. – Bekanntlich hat Mozarts Schüler Xaver Süßmayr, die unvollendeten Skizzen einer Anzahl Sätze des Requiem nach dem Ableben des Meisters ausgeführt. Der Geist Mozart’s aber hat durch diese Einmischung in sein letztes erhabenes Werk im Wesentlichen keine Verdunkelung erfahren. Es ist das „Opus summum summi viri“ (Joh. Ad. Hiller).

Zerstreute Aufsätze, Biographien, Beleuchtungen, Novellen und anderes mehr stellen eine sehr erhebliche Mozartlitteratur dar. – Nissens Biographie W. A. Mozarts, Leipzig 1828, ist bei allen übrigen Mängeln für spätere Biographen vielfach als Quelle, namentlich in Betreff der Familientraditionen benutzt worden. – Die kritische Studie Ulibischeffs „Nouvelle biographie de Mozart“ etc. Moskau 1843, hat durch L. Gantters zum Theil berichtigende Verdeutschung, Stuttgart 1859, weite Verbreitung in Deutschland gefunden. Das Werk aber ist aus dem Buchhandel verschwunden. – Otto Jahn, „W. A. Mozart“ in 4, später in 2 Theilen – 2. Auflage Leipzig 1867 – hat in seinem berühmten Werk einen ganz neuen Weg beschritten, den philologischer Methode der Forschung. Wesentliche Hülfe leistete ihm dabei das „Chronologisch-systematische Verzeichniß sämmtlicher Tonwerke W. A. Mozarts“ von Dr. Ludwig Ritter von Köchel, Leipzig 1862, ein ebenfalls grundlegendes Werk, auf welches oben oft Bezug genommen ist. – Schätzenswerthe Ergänzungen biographischer Art enthalten die „Mozartiana“ von Gustav Nottebohm, Leipzig 1880. – Erwähnung verdienen noch „Mozart’s Briefe nach den Originalien herausgegeben“ von Ludwig Nohl, Leipzig 1877. Auf wissenschaftlichen Werth erhebt diese Sammlung ebensowenig Anspruch, als eine Darstellung der künstlerischen Mission des Meisters in volksthümlichem Sinne, die sich betitelt „Mozart, ein Künstlerleben“, Berlin 1883. – Eine kritisch geprüfte Gesammtausgabe der Mozartschen Werke, herausgegeben von Breitkopf und Härtel in Leipzig, verdient die weiteste Verbreitung.