ADB:Haydn, Michael
Reutter geworden war, schrieb dieser an den alten Wagner H.: „Schicken Sie [144] mir alle Ihre Söhne, ich will für sie sorgen.“ Um 1745 schickte er nach Michael, der mit seiner schöneren seltenen Stimme (sie umfaßte einen Raum von über drei Octaven von f bis zum dreimalgestrichenen f) in eben dem Verhältnisse in der Liebe Reutter’s stieg, als dieselbe in Beziehung auf den armen Joseph, dessen im Wechsel begriffene Stimme zu wanken begann, abnahm.
Haydn: Johann Michael H., der nahezu 5½ Jahr jüngere Bruder Josephs, wurde am 14. September 1737 wie sein Bruder in Rohrau, dem Hauptorte des gräflich Harrach’schen Fideicommisses, geboren. Er ist der zweite der musikalischen Dioskuren, die im ersten Drittheil des vergangenen Jahrhunderts am Himmel des musikalischen Oesterreichs aufstiegen. Beide Knaben sind bis zu ihrem eigentlichen Eintritte in die Welt, wie Castor und Pollux, mit einander verknüpft. Der Vater, der fröhliche Wagnermeister Mathias H., ursprünglich in der Volkssprache „Hôadn“ genannt, nährte seine Kinder von ihrer Geburt an mit der Milch seines Gesanges und seines Harfenspieles. Nach der Last des Tages musicirte im Haydn’schen Hause Alles, Vater, Mutter, Kinder – so recht ein frisches, heimisches, fröhliches Erdenleben. Als Joseph durch seine schöne Stimme in Wien bald der Liebling des Hof- und DomcapellmeistersNach drei Jahren seines Unterrichtes im Chorknaben-Institute erregte Michael die Bewunderung aller Musiker und Musikliebhaber. Eilf Jahre alt sang er (14. November 1748) in der kaiserlichen Hofcapelle ein Discant-Solo (Salve Regina) so wunderschön und tief ergreifend, daß die Kaiserin sich lange mit ihm unterhielt und ihm 12 Ducaten schenkte. Der Kaiser ermunterte ihn, sich eine Gnade zu erbitten: der Knabe bat, die Hälfte des kaiserlichen Geschenkes seinem armen Vater schicken zu dürfen. Michael ward jetzt der Liebling im ganzen musikalischen Wien. Unter seinen Mitschülern trat er als strenger Criticus auf, indem er in ihren Compositionsversuchen die Plagiate aufdeckte und rügte. Des alten Fux „Gradus ad Parnassum“ studirte er für sich mit unermüdlichem Eifer; denn im Capellknaben-Institute lernten die Schüler nur die ersten einem jeden Chorknaben unentbehrlichen Elemente. Auch ein gewandter, gesuchter und bewunderter Orgelspieler war er schon früh, so daß er häufig den Platz des Organisten in der Hauptkirche im Stephansdome einnehmen mußte; daneben hatte er sich zu einem gewandten Violinspieler herangebildet und praktisch die Natur aller damals üblichen musikalischen Instrumente studirt. So blieb er in Allem ein Liebling Reutter’s, bis endlich auch ihn der Uebergang der Stimme aus dem Institute vertrieb.
Unser Michael trat nun, wie sein Bruder, arm an Mitteln, aber reich an Kopf und Herz in das weite Leben mit frischem Muth hinaus. Von jetzt an führte aber das Schicksal jeden der musikalischen Dioscuren seine eigenen Wege. Der muthwillige Joseph wurde in die Welt und in ihr Treiben hineingeworfen; der sanfte Michael blieb bei der Kirche, sich spärlich und mühsam ernährend durch Musikunterricht, durch Aushilfe als Violin- und Orgelspieler in den Kirchen. Ueberall erregte er hierbei Bewunderung; am meisten Ruhm verschafften ihm schon in dieser Zeit seine Kirchencompositionen. Eingeladen, eine Messe für den Bischof von Temeswar in Ungarn zu verfassen, schrieb er, 17 Jahr alt (1754) seine erste großartige „Missa Stae Trinitatis“ gewöhnlich die Temeswarer genannt. Sie trägt den brillanten Stil damaliger Zeit, in welchem das Saitenquartett nach Reutter’s Vorgange in der reichsten, lebendigsten Figurirung stets in lebendigem Strome über dem Gesange rauschte. Die Messe erregte außerordentliches Aufsehen; andere Compositionen für die Kirche folgten, sodaß ihn 1758 der Bischof von Großwardein als Capellmeister an seine Kathedrale berief. So war er ein Jahr vor dem älteren Bruder in festem Amte. Die Besoldung war zwar nicht sehr anlockend; allein er war doch nun größtentheils von Nahrungssorgen befreit, konnte ungestört seiner Kunst leben, seinem innersten Drange folgen; so war der in jeder Lage zufriedene Mann denn auch hier glücklich. Daß er als Domcapellmeister fast nur geistliche Musik schrieb, versteht sich von selbst. Seine erste große Composition war eine Messe (C-dur) zum Feste der beiden großen Apostel der Slaven, des heil. Cyrillus und Methodius. Dieses originelle, großartige Werk gibt uns einen Begriff von den Kirchenfesten und den bedeutenden ausführenden Kräften damaliger Zeit. Sie erlaubt aber zugleich einen speciellen Einblick in die praktischen musikalischen Verhältnisse der Zeit überhaupt, wie Großwardeins. Wir begegnen einem tüchtigen Singchor, einem jeder Aufgabe gewachsenen Saitenquartett, aber merkwürdiger Weise bei den Bläsern nur Blechinstrumenten. Neben den Singstimmen und dem Streichquartett kommt hauptsächlich eine concertirende Principalvioline [145] in Betracht und vier Trompeten, von denen die zwei tieferen (trombe) den jetzt gebräuchlichen gleich sind, die zwei höheren (clarini) dagegen die jetzt nicht mehr üblichen Discanttrompeten sind; endlich noch zwei Posaunen im Tenor- und Altschlüssel, und zwei Pauken nebst der Orgel. Die Blasinstrumente sind zur Farbengebung höchst wirkungsvoll verwandt, sehr originell ist z. B. hie und da die Altposaune zur Begleitung der Sopranstimme des Gesanges gebraucht. Die Messe ist ein reicher italienischer Blumengarten, sich durch 1329 Tacte hindurchwindend, es bedarf also zu ihrer Aufführung gegen zwei Stunden; lange Ritornelle mit den Singstimmen wechselnd und concertirende großartige Fugen, Doppelfugen, die bei ihrer strengen originellen Durchführung doch so leicht und frisch dahin fließen, daß der Laie die kunstvolle Strenge des Satzbaues gar nicht ahnt. Die unübertreffliche Kunst, den strengsten Satz so geistreich und fesselnd durchzuführen, zeichnet Michael wie Joseph H. vor allen gleichzeitigen Kirchencomponisten aus; dabei ist trotz des reichen Blumenflores doch eine wohlthuende Einheit über das ganze Werk ausgegossen, daß es sich dem Gottesdienste in schönster Harmonie anschließt, ohne durch den anderswo oft so plötzlich zu Tage tretenden Springquell musikalischen Ueberflusses in den ernsten leidenschaftlosen Gang der heiligen Musik weltliche Anklänge zu bringen, die z. B. in den genialen Messen Josephs nicht gar selten auf die Erbauung störend wirken.
Sein Bischof nahm ihn öfters im August mit sich in die Sommerfrische nach dem reizend gelegenen Flecken Belényes, etwa 12 Stunden südlich von Großwardein. Hier componirte er 1760 beinahe täglich eine Hymne: die erste vom 11. August 1760, C-dur, die zweite den 12. August, D-dur, als Sopransolo mit Chor, die dritte am 13. August als Altsolo, B-dur, die vierte am 16. August als Tenorsolo mit Chor, G-dur. In allen diesen ist das Vocalquartett blos von zwei Violinen und den zwei die Melodie führenden Discanttrompeten (Clarinen) begleitet.
Mitte September 1760 wieder nach Großwardein zurückgekehrt, hat H. noch ein „Salve Regina“ aus D-dur als Baßsolo mit wechselndem Singchor bearbeitet. Außerdem besitzen wir noch sechs zu Großwardein geschriebene Instrumentalcompositionen, Partiten, die eine vom 22. December 1762 für zwei Clarinetten, zwei Hörner und ein Fagott, B-dur, eine andere vom 20. November, Es-dur; ein Violinconcert, B-dur, mit zwei begleitenden Violinen, Viola-Baß, vom 20. December 1760; ferner eine Sinfonie, C-dur, vom 16. Februar 1761, eine Messe zu den sieben Schmerzen Mariens, A-moll (3. April 1761), ein Hymnus Iste confessor, A-dur.
Mit dem J. 1763 begann eine neue Periode für H. Der Truchseß und Capellmeister des Erzbischofs von Salzburg, der berühmte Johann Ernest Eberlin (richtiger Eberle) war am 21. Juni 1762 gestorben. (Vgl. Bd. IX S. 794 in den Nachträgen zu Bd. V S. 576.) An dessen Stelle rückte der seit 1748 als Vicecapellmeister wirkende Joseph Lolli zum ersten Capellmeister vor, während Leopold Mozart Lolli’s Stelle als Vicecapellmeister erhielt. Da jedoch Mozart, mit der musikalischen Erziehung seines großen Sohnes beschäftigt, viel auf Reisen war, stellte der nachsichtige Erzbischof neben ihm den ihm von seinem Vetter, dem Domherrn Graf Vincenz von Schrättenbach zu Großwardein, lebhaft empfohlenen Michael H. als Concertmeister an. (In Großwardein ward Dittersdorf sein Nachfolger.) Sein Gehalt war freilich nicht glänzend: er erhielt jährlich 300 fl. Besoldung, freien Tisch und mußte zugleich die Direction des fürsterzbischöflichen Orchesters übernehmen.
Leopold Mozart, der alte Vicecapellmeister, sah Haydn’s Eintritt nur ungern: [146] er fürchtete in dem neuen Ankömmling einen Rivalen. Aus dem bekannten Briefe an seinen Sohn tritt seine Bitterkeit nur zu deutlich hervor. Er schreibt unter Anderem: Der neu angestellte H. sei an der Orgel so besoffen gewesen, daß man fürchtete, es treffe ihn alle Augenblicke der Schlag. „Besoffen“ war der neu angestellte Concertmeister gewiß nicht; der mäßige Mann, der unter allen Verhältnissen und während seines ganzen Lebens die einfachste Lebensweise führte! – Indem er Allen mit seiner gutmüthigen, ungeheuchelten Freundlichkeit offen entgegenkam, gewann er bald Aller Herzen; auch der Vater Mozart söhnte sich mit seinem Collegen aus, und der junge Mozart ward, sobald er ihn näher kennen lernte, sein innigster Verehrer. H. würdigte vielleicht am besten den Verlust des unsterblichen Meisters; bei der Nachricht von seinem Tode (5. December 1791) rief er mit tiefster Rührung aus: „Hätte der große Genius noch länger gelebt, er würde uns eine ganz neue Musik gegeben haben!“ H. war im Hause des Domorganisten Lipp, für welchen er gar oft die Orgel spielte, wie zu Hause. Dieser besaß eine Tochter mit ausgezeichneten musikalischen Anlagen, die der Fürsterzbischof zur weiteren Ausbildung nach Venedig gesandt hatte. Lenchen Lipp kam zurück, jugendlich frisch, mit dem vollendetsten, reizendsten, gefühlvollsten Vortrage. H., noch immer selbst ein ausgezeichneter Sänger, pflegte die bewunderte Sängerin zu begleiten. Bald (1764) waren sie ein Paar. Ein Töchterchen war die Frucht ihrer Ehe; aber der Tod entriß den Eltern das geliebte Kind schon in seinem dritten Jahre (1768). Dazu mußte H. bald die betrübende Entdeckung machen, daß seine geliebte Frau für den engen Kreis eines häuslichen Lebens, das bei so geringen Mitteln nur unter der Hand einer tüchtigen sparsamen Hausfrau ein zufriedenstellendes sein konnte, gar nicht geschaffen war, so daß er mit Jean Paul ausrufen konnte: „Nun ist mein einziges Töchterchen gestorben und mit ihm meine schönere Erdenzukunft eingesargt.“ H. floh sein Arbeitszimmer und suchte in der wundervollen Natur von Salzburg Linderung für seinen Schmerz. An Compositionen haben wir aus dieser trüben Zeit des J. 1769 nur eine einzige: ein Adagio zu einer Sinfonie. Sonst hatte H. bald in seiner neuen Stelle eine außerordentlich schöpferische Fruchtbarkeit entwickelt. Am 7. December 1763 schrieb er seine erste Symphonie, am 29. December die zweite, den 17. und 25. Jänner 1764 die dritte und vierte. Dazu kam ein Marsch, Ballete (deren Partituren allein drei Bände füllen), Arien, dann Concerte für die Flöte, Lauretanische Litaneien; am 7. Februar 1767 eine Pantomine: „Der Traum“ (A-dur). Den 6. Mai 1768 hatte er eine reizende Operette: „Die Hochzeit auf der Alm“ componirt, aus welcher bei Falter u. Sohn in München ein Clavierauszug erschienen ist. Man zählt bis zum J. 1771 über 40 größere Compositionen, Messen, Sinfonien, Cantaten, Litaneien, Te Deum etc. H. blickte bereits wieder fröhlicher ins Leben, als leider am 16. December 1771 sein Gönner, der 74 Jahr alte Fürsterzbischof Sigmund III., Graf von Schrättenbach, starb, einer der geistreichsten Fürsterzbischöfe Salzburgs. Zur Todtenfeier dieses seines schmerzlich betrauerten Beschützers schrieb er seine erste Todtenmesse. Es ist das einzige instrumentirte Requiem in großartigem Maßstabe, das als ein großes Ganzes dem Geiste einer musikalischen Todtenfeier im Sinne des katholischen Ritus entspricht. Das unsterbliche Requiem Mozart’s dagegen ist im eigentlichsten Sinne ein Oratorium. Es ist ein ernster Geist der Empfindung, die Sprache des bebenden Herzens, die die ganze Composition Haydn’s durchzieht. Von diesem Requiem gilt, was Herder von der rituellen Poesie des katholischen Cultus sagt: „In pathetischen und apokalyptischen Verkündigungen hebt sich der ganze Chor der Kirche – eine Gemeine der Seelen, eine Geisterversammlung. Alle Theile der sogenannten Messe sind Stimmen aus dem Chore des Himmels und der Erde, zusammenwirkend im stillen Herzen der [147] Menschen. Auch, wo ein sichtbarer Gegenstand vorsteht, der Gekreuzigte, die Mutter mit ihrem Kinde etc., schildert die Musik nicht, sondern spricht Worte der Empfindung. Das Salve Regina – kann vor einem Bilde die Empfindung sanfter sprechen, es zärtlicher anreden? Der Geist im Bilde spricht, nichts wird geschildert. Die Todtenmesse endlich. Hier verschwinden alle Bilder. Ewige Ruhe gib’ ihnen, Herr! Ewiges Licht erleuchte sie etc. Aber auch die Kirchenmusik ungerechnet erhebt sich jede wahre Musik ins Reich des Unsichtbaren.“
An Sigmunds Stelle wurde den 14. März 1772 zum Fürsterzbischof Hieronymus Graf von Colloredo-Waldsee gewählt (Bd. IV S. 416). Er war der letzte Fürst des Fürsterzbisthums Salzburg, früher Fürstbischof zu Gurk; als strenger, sparsamer Finanzmann längst gefürchtet. Auch mit den Salzburgischen Finanzen, die sich nichts weniger als in einem blühenden Zustande befanden, war er längst vertraut; Alles bangte vor seinen Reformen und sah angstvoll der Zukunft entgegen. Der Einzug zur Huldigung ward auf den 29. April 1772 angesetzt. Der junge Mozart mußte widerwillig nach Salzburg zurückkehren um Metastasio’s „Il sogno del Scipione“ dafür zu componiren. Die Ausführung zeigt, mit wie wenig guter Laune es geschah.
Der Concertmeister Michael H. schrieb natürlich auch etwas zu diesem Feste (4. April): eine große Arie, G-dur, „Wüßtest du, wie viele Plagen ich bereits um dich getragen“. – Der Fürsterzbischof fing sogleich zu reformiren an, um den Zustand der Finanzen, der durch Kriege und eine allzuliberale Wirthschaft sehr ins Arge gerathen war, zu heben. Eine durchgreifende Sparsamkeit in seinem und dem Staatshaushalte brachte ihn häufig genug mit dem Domcapitel in Collision, und seine Dienerschaft seufzte, da er den alten Glanz seines Hofes erhalten wissen wollte, bei einer gewaltigen Reduction der Ausgaben. Man muß hier die Verhältnisse der alten fürstlichen Höfe genau ins Auge fassen, um die Haltung des Fürsterzbischofs richtiger als dies gewöhnlich geschieht, zu beurtheilen. Die Musiker der Capelle eines solchen Fürsten gehörten zu den übrigen Hofbedienten; die Organisten z. B. hatten in der Regel Hoffnung zuletzt als Leibkammerdiener angestellt zu werden. Auch der junge Mozart hatte deshalb nur den Rang eines der übrigen Bedienten. Es war dem Fürstbischof daher nicht so gar zu verargen, wenn er von den beiden Mozart’s, die fast ihre ganze Zeit auf Reisen verlebten, nun forderte, daß sie gleich den andern Bediensteten ihres Amtes warteten. Unter den Diensten, die eigentlich Leopold Mozart als Vicecapellmeister zufielen, die aber an seiner Statt Michael H. übernommen hatte, war auch der Singunterricht der Kapellknaben, welche für die Domkirche erzogen wurden, wozu er allerdings geeigneter war, als der Violinvirtuose Mozart. H. erfüllte auch diese Aufgabe mit aller Liebe und hatte sogar eine Messe für seine „lieben Capellknaben“ componirt, die er nach dem Namen des Schutzpatrones der katholischen Jugend, dem heil. Aloysius, taufte. Sie ist natürlich nur dreistimmig, für zwei Sopran- und eine Altstimme; dabei blos von zwei Violinen und der Orgel begleitet. Trotzdem ist alles so harmonisch vollstimmig, daß man keine Instrumente dabei vermißt; eine ungemein reizende, liebliche, kindlich frohe Composition aus B-dur, namentlich ist das Benedictus unübertrefflich schön. Man sieht eben auch daraus, welche Leistung da von den damaligen Capellknaben gefordert wurde; jede der drei Singstimmen hat ganz dieselbe Aufgabe, jeder wird ganz die gleiche Leistung zugemuthet; jede erfordert einen wohlgeschulten, gebildeten Sänger. Auch einige Offertorien, von denen hernach noch die Rede sein wird, componirte er für seine Singknaben.
Der gute H. that Alles, um seinen strengen, in allen Theilen reformirenden Herrn (fiel doch seine Regierung gerade in die Josephinische Periode) bei [148] guter Laune zu erhalten. 1777 hatte er eine große Messe zu dessen Namensfeste am 30. September (sie besteht aus 886 Tacten) componirt, der er nach seinem Herrn auch den Namen „Hieronymus-Messe“ gab. Der Singchor ist nur von Blasinstrumenten begleitet, das Ganze von großartiger, höchst origineller Wirkung, erhielt außerordentlichen Beifall und die volle Zufriedenheit des gnädigen Fürsten. Haydn’s Schüler, der später königlich baierische Hofmusiker Neuner, hat diese Messe für volles Orchester umgearbeitet.
Angenehm wurde dem armen H. das Leben in Salzburg gemacht durch die herzliche Freundlichkeit und Freundschaft, mit welcher das ganze Salzburg diesen in allen Verhältnissen so liebenswürdigen Mann empfing; namentlich widmete ihm der damalige 76. Abt des altberühmten Benedictinerstiftes St. Peter Beda Seeauer und sein Nachfolger (seit 1786) Dominik Hagenauer bis zum Tode die innigste Freundschaft. Der Abt überließ ihm ein dem Kloster gehöriges Haus zur Wohnung, damals das „Zuckerbäcker-Haus“ genannt; dasselbe Haus, das noch gegenwärtig an dem südöstlichen Ende des berühmten romantischen Gottesackers von St. Peter hoch an der Felsenwand des Mönchsberges auf die Abtei herabschaut. Die Miethe war sehr gering, und häufig erließ der Abt seinem Freunde auch diese, wenn er ihm etwa ein neues Graduale zum Geschenke brachte. H. war im Kloster wie zu Hause, spielte, so oft es ging, mit Herzenslust die Orgel und componirte die schönsten seiner Gradualien und Offertorien für sein geliebtes Stift. Wenn er denn auch bei Hofe nur die Eiseskälte seines Herrn zu fühlen bekam, so trug ihn dafür sein Salzburg auf den Händen.
Im J. 1782 wurde die Säcularfeier des Erzbisthums mit ungemeinem Jubel begangen. Der Fürsterzbischof erließ einen im Geiste der Zeit gehaltenen berühmten Hirtenbrief und H. componirte, wie sich versteht, dazu eine Jubiläumsmesse zu Ehren des Salzburgischen Apostels, des heil. Rupert. Der Fürsterzbischof fühlte sich dadurch so gerührt, daß er Haydn’s Gehalt von 300 fl. jährlich auf 450 fl. erhöhte. Allein trotz dieser gewaltigen Erhöhung war H. dennoch genöthigt, durch Unterricht im Generalbaß, Gesang etc. seine Einkünfte zu vermehren, umsomehr, da seine Frau eine reichliche Abzugsquelle bildete, für Alles, was an Geld unter ihre Hand gerieth. Für das Spiel auf der Orgel in der Dreifaltigkeitskirche nahm er auch jährlich 50 fl. ein, und so half er sich trotz seiner geringen Einnahme in Salzburg als ein angesehener, geachteter Mann fort. Als Mozart, der bekanntlich inzwischen entlassen und 1781 nach Wien übergesiedelt war, mit seiner jungen Gattin Salzburg zum ersten Mal wieder besuchte, erfuhr er von seinem Vater, daß H. krank sei. Er eilte zu ihm. Auf die Frage: „Wie geht’s, lieber Freund?“ antwortete der fieberkranke H.: „Schlecht, doppelt schlecht. Der Fürsterzbischof, mein gnädiger Herr, verlangt von mir die schleunige Composition zweier Duette für Violin und Altviola: der Termin läuft in drei Tagen ab, und ich bin so matt und müde, daß ich keinen Gedanken fassen kann, und der Erzbischof droht mir, meinen Gehalt zu sperren, wenn ich die Composition nicht zur bestimmten Zeit fertig habe!“ Der gutmüthige Mozart machte sich alsbald zu Hause an die Arbeit; nach zwei Tagen waren die beiden Duette auch in reiner Abschrift fertig dem kranken H. zur Unterschrift übergeben. H. fiel seinem jungen Freunde um den Hals – er bewahrte das Original als eine heilige Reliquie bis zum letzten Augenblicke. Indessen ward der Titularcapellmeister des Kurfürsten, Domenico Fischietti, Capellmeister. Der Vicecapellmeister Leopold Mozart war alt; für unseren H. wäre das der richtigste Platz gewesen. Allein er war ein Deutscher. Die Stelle erhielt der italienische Abbé Luigi Gatti. Er hatte drei Opern für Piacenza und Mantua geschrieben, die großen Beifall fanden. Gatti war übrigens ein von seinen Salzburgern sehr geehrter Mann und hielt unsern H. sehr hoch.
[149] Die beiden erwähnten Mozart’schen Duos sind später im Handel erschienen ohne Mozart’s Zuthun, das eine bekannte aus G-dur, das andere aus B-dur. Auf H. hatte dieser unerwartete Freundschaftsdienst überaus wohlthätig gewirkt; er erholte sich nach und nach wieder, wenn auch langsam. Ehe noch das Fieber ihn ganz verlassen hatte, schrieb er eine schöne Messe, die in Salzburg darum den Namen der „Fiebermesse“ erhielt. In Salzburg kannte man sie auch unter dem Namen „Admunda-Messe“. Es ist dies der Name der Aebtissin des Klosters auf der Insel Frauenchiemsee, unter deren Schutze H. hie und da einige Tage seiner Ferien zuzubringen gewohnt war; auch „Lambacher-Messe“, weil sie dort zuerst aufgeführt wurde. Die Messe (C-dur) ist so instrumentirt, wie H. dies gewöhnlich nach Anleitung der ihm damals in Salzburg zu Gebote stehenden Instrumente zu thun pflegte, nämlich für das Saitenquartett, zwei Hoboen, zwei Trompeten und Pauken. Namentlich das Kyrie ist unübertrefflich schön, ein Fluß von Melodien, der sich in die überraschendsten Formen verzweigt und wieder eint.
Die beiden H. waren zu jener Zeit in Norddeutschland so wenig bekannt, daß ihr Name und ihr Wohnort sehr häufig mit einander verwechselt wurden. So wird im musikalischen Almanach von 1782 von Joseph H. gesagt, daß er Capellmeister in Salzburg sei, daß man nicht begreifen könne, wie er in seinen Compositionen häufig nur Spaß mache etc. Indessen begann sich doch der Ruf selbst Michael Haydn’s allmählich auch im Auslande auszubreiten.
Der Fürsterzbischof reformirte fort, manchmal mit Glück, manchmal mit Unglück. Im katholischen Gottesdienste wird die Zeit, von da, wo die Lesung der Epistel von einem besonderen gegen das Volk gerichteten erhöhten Platze oder auch bei gewöhnlichen Festen von der Altarstufe herab vollendet war, bis zur Lesung des Evangeliums mit einem kurzen Psalmen-Wechselgesang ausgefüllt, gegenwärtig Graduale genannt, nach dem Ort, von welchem aus die Epistel gesungen wurde. In gegenwärtiger Zeit ist es blos ein Psalmenvers dem zu feiernden Feste entsprechend. Da diese Psalmen mit jedem Feste wechseln, so hatte der musikalische Singchor in der Zeit, in welcher Instrumentalmusik auf den Chören eingeführt war, keine oder nur wenige der immer wechselnden Compositionen dieser Art. Man bediente sich deshalb gewöhnlich eines Instrumentalsatzes, Sinfonie genannt, zur Ausfüllung dieses Zeitraumes. In Italien ging man so weit, daß sich hier gewöhnlich Virtuosen mit ihren Concertstücken hören ließen; unser Dittersdorf erwarb sich auf seiner Reise durch Italien seinen Ruf als Violinspieler gerade dadurch, daß er sich als Concertgeiger in diesen Zwischenräumen der gottesdienstlichen Feier hören ließ, die durch das sogenannte Graduale ausgefüllt werden sollte. H. nun hatte schon ein Paar wunderschöne Offertorien componirt, namentlich eines für das Fest der Dreieinigkeit, sein „Tres sunt qui testimonium dant“ – 7. Juni 1772, voll wundersamer Charakteristik (auch bei Diabelli gedruckt). Mozart liebte diese Composition so, daß er sich aus den Stimmen eine Partitur zusammenschrieb. Zu gleicher Zeit, 1775, folgte ein nicht minder herrliches Stück, das den Titel führt: „Chor für solche Zeiten, wo die Christen sich zum Tode bereiten“. Dann folgte ein Graduale für das Corpus Christi- oder Fronleichnamsfest: „Lauda Sion Salvatorem“, 1775 (bei Diabelli in Wien erschienen). Diese wunderliebliche Composition machte bei ihrer erstmaligen Aufführung auf H. selbst einen so rührenden Eindruck, daß er wünschte, man möchte ihm diese Sequenz bei seinem Hinscheiden vorspielen, damit er unter seinen Lieblingstönen in das Jenseits übergehe. -– Auch auf den Fürsterzbischof machte die Composition einen solchen Eindruck, daß er die Aufführung der bisher üblichen Sinfonien statt der Gradualien verbot und Haydn’s Compositionen an deren Stelle gesetzt wissen wollte. H. componirte [150] nun auf diese Ermuthigung, aber hauptsächlich für seinen geliebten Abt, alle die für Gradualien bestimmten Psalmenweisen. Es sind deren 124; die Originale sind sämmtlich im Besitze des Stiftes St. Peter, bis auf einige, welche durch einen treulosen Chorregenten nach München gelangten und sich nun im Besitze der Staatsbibliothek befinden. Sie sind meistens für das Singquartett, begleitet von zwei Violinen, manchmal von Hörnern oder Hochtrompeten (Clarini), überhaupt den Instrumenten, die ihm in Salzburg vorzüglich zu Gebote standen. Bei Gradualien, deren Text an und für sich feierlicher ist, bedient er sich höchstens zweier Hoboen, zweier Hörner, zweier Hochtrompeten und zweier Pauken, dazu natürlich stets eine bezifferte Orgelstimme. Der Text der Sequenzen, Hymnen oder Psalmen ist immer ganz durchcomponirt, sich jedem Sinne, jeder Nüance anschließend. Dabei umschließt und durchdringt das ganze lebensvolle Kunstwerk dennoch stets nur ein Hauptgedanke – eine höhere Einheit, die das Kunstgebilde erst zu einem Kunstwerke stempelt und die gerade das Charakteristische jeder Composition für die Kirche sein muß. Selbst bei einer so langen Composition, wie der des „Lauda Sion Salvatorem“ (80 Zeilen in 181 Tacten) ist dies noch der Fall.
Von seinem gefürchteten Herrn wurde H. in diesem Jahre (1785) sehr wenig belästigt; den Fürsterzbischof beschäftigte die Angelegenheit des Emser Congresses. H. hatte 1785 ein Paar Sinfonien, eine Sonate, acht Graduale componirt. Im nächsten Jahre finden wir ein Paar Messen, Sinfonie, ein Divertimento, einen Marsch, drei Menuette etc. Im J. 1787 ein Drama in zwei Acten, „Andromeda e Perseo“, von dem Mozart und Jahn sehr viel Rühmliches sprechen, dazu noch drei Märsche.
Durch Vermittlung des österreichischen Hofes, der sich an Haydn’s Bruder Joseph wandte, erhielt er 1795 den Auftrag, eine große Messe für den Hof nach Madrid zu componiren. Er entsprach dem durch eine achtstimmige Messe, C-dur, für zwei Singchöre und vier concertirende Stimmen, neben obligater Orchesterbegleitung, nämlich dem Saitenquartett, zwei Oboen, zwei Fagotten, zwei Hörnern, zwei Hochtrompeten und zwei Pauken, ein Werk von reizendster Mannichfaltigkeit und erschütternder Tiefe des Ausdrucks, dem an Großartigkeit und poetischem Aufschwung kein ähnliches zur Seite steht. Diese etwas lange Messe (1501 Tacte) erfordert mit Inbegriff des Gottesdienstes gegen zwei Stunden. Sie erregte in Madrid große Begeisterung, so daß der Componist reichlich honorirt wurde: das einzige seiner Werke, bei welchem das Honorar dem Werthe der Schöpfung angemessen war.
Das Benedictinerkloster Michaelbeuern gehörte zum Benedictinerstifte St. Peter. H. war dort ebenso verehrt, als im Stifte selbst. Schon vor dem J. 1770 hatte er eine lateinische Cantate an den Prälaten von Michaelbeuern componirt; eine zweite größere zur Wahl des neuen Prälaten am 24. Mai 1783. Am innigsten befreundet wurde er unter den dortigen Conventualen mit dem P. Werigand Rettensteiner, der ein geistreicher, in allen Zweigen des Wissens erfahrner Mann war. Er war der einzige lichte Stern, der ihm bis zu seinem Tode zur Seite stand. Rettensteiner wurde später Pfarrer zu Armsdorf bei der Stadt Laufen an der Salzach, einem Filial-Wallfahrtsorte, zum Kloster Michaelbeuern gehörig. Der einzige Ausflug, den H. je von seinem Salzburg machte, war zu seinem lieben Pfarrer in Armsdorf. Dieser, selbst ein vortrefflicher Sänger, hatte zufällig zwei Capläne, welche ebenfalls sehr gut sangen. Der Pfarrer bemerkte einmal beim fröhlichen Zusammensein im schönen Garten: sie seien der Sänger drei, die sich vor keiner Aufgabe scheuten, aber es gebe leider keine Terzette für Männerstimmen: wie schön, wenn ihnen Vater H. solche schüfe. Dieser entsprach dem Winke und da er selbst bei der Ausführung Abends gewöhnlich [151] zugegen war, setzte er eine vierte Stimme für sich selbst. So entstanden Männerquartette, wie sie seitdem zur weitverbreiteten Mode geworden sind. Das erste bekannte dieser Quartette stammt aus dem J. 1795.
Damals befand sich in Salzburg ein geistreicher und begeisterter Musiker, der anfangs Buchhalter in der Hof- und akademischen Waisenhaus-Buchhandlung war, Namens Benedict Hacker – als Violinspieler ein Schüler Leopold Mozart’s, als Clavierspieler ein Zögling seines angebeteten Lehrers, Michael H. Der junge feurige Mann begeisterte alles, was in Salzburg Sinn für Musik hatte, und veranlaßte dann auch abendliche Zusammenkünfte im Weinkeller des Stiftes St. Peter. In einem gewölbten Stübchen, das über dem eigentlichen Gastzimmer mit demselben durch eine einfache Wendeltreppe verbunden war, kam die joviale Gesellschaft täglich Abends zusammen. Vater H. mußte präsidiren. Der schwärmerische Hacker, der später selbst eine Musikhandlung errichtete, fehlte natürlich nicht, der Chorregent von St. Peter, Nagenzaun, ebenso der Chorregent Thaddäus Strobl, dann der geschätzte Orgelbauer Egedacher gehörten zu den täglichen Gästen, auch ein geistreicher, gebildeter Holzhändler Bründel war Mitglied der heiteren Gesellschaft, die zuletzt eine gewisse Berühmtheit erlangte. Hier entstanden, oft an Ort und Stelle geschrieben, die berühmten Canons Haydn’s, manchmal auf ein Mitglied der Gesellschaft gemünzt. Viele geben in Salzburgischer Gemüthlichkeit an Derbheit den Mozart’schen Canons kaum etwas nach. Das im Süden so bekannte ut re mi fa „Adam hatte drei Söhne“, „Pie vivat Michael Chori petrensis splendor“ etc., Texte in allen Sprachen, natürlich auch in der derben Salzburger Volkssprache, ertönten da bei einem Glase Conventweines; daneben haben wir eine „Raccolta di Canoni a tre“. Es sind über 48 vierstimmige Lieder dieser Art entstanden; im Ganzen über 70. Auch der Wein des St. Peter-Kellers (26. Juli 1795), der Obersulzer Wein (16. Juni 1798), der Oesterreicher-Wein wurde von H. besungen. Die Texte sind meistens von Salis und anderen damals beliebten Sängern des Weins, der Liebe und Lust. Die verschiedensten Lagen und Stimmungen des Lebens hat H. auf solche Art mit seinen Tönen verklärt. Das sogenannte Haydnstübchen im St. Peters-Keller ist für Musiker und Musikfreunde ein Wahrzeichen von Salzburg geworden; gegenwärtig hat es ein musikalischer Maler mit Arabesken geschmückt und an der gewölbten Decke die Anfänge der berühmtesten Haydn’schen Lieder in sich einander durchschlingenden Spruchzetteln angebracht. Diese Lieder für Männerquartett erregten bei ihrem Bekanntwerden ungemeines Aufsehen, wurden überall im Süden gesungen, in Salzburg und Wien mehrere Mal aufgelegt. Sie bildeten damals eine ganz neue Compositionsweise, nicht ohne Schwierigkeiten auch für den geübten Meister, namentlich weil die Stimmen einander so nahe liegen.
Die Gräuel der französischen Revolution hatten bis jetzt auf Oesterreich noch keinen tiefern Eindruck hervorgebracht. Michael H. wandte sich mit Widerwillen von den Unthaten Robespierre’s ab. Es füllten Thränen seine Augen bei der Nachricht, daß das Haupt Ludwigs XVI. unter dem Henkerbeile gefallen sei; er nahm lange keine Feder mehr zur Hand, bis er sich endlich im August neuerdings ermannte und seine schöne Messe zu Ehren der heil. Ursula für die Aebtissin des Klosters Frauenchiemsee schrieb. Bonaparte’s Auftreten hielt er für ein rettendes Ereigniß und folgte den Thaten des jugendlichen Helden anfangs mit fröhlichem Herzen. Allein der italienische Feldzug vernichtete alle seine Hoffnungen. Die Armee der Franzosen wandte sich jetzt in einem Netz, aus dem kaum zu entfliehen war, gegen die Kaiserstadt Wien, Jourdan stürmte mit seiner niederrheinischen Armee durch Hessen und Franken; Moreau ging durch Schwaben und Bonaparte fiel in Italien ein. 15000 Mann österreichischer [152] Soldaten wählten Salzburg zu ihrem Winterquartiere. Am 12. März 1799 hatte bekanntlich Frankreich an Kaiser Franz II. den Krieg erklärt. Salzburg wurde durch Einquartierungen und die Verpflegung der Truppen des Prinzen Condé beinahe erdrückt. Die unglückliche Schlacht bei Hohenlinden trieb den Prinzen Condé mit dem Ueberreste seines Heeres zurück. Der Erzbischof floh am 10. December 1800 nach Steiermark. Moreau hatte bei Laufen seinen Uebergang forcirt und am 10. December rückten die ersten Franzosen in Salzburg ein. Salzburg wurde gezwungen sechs Millionen Livres binnen 14 Tagen zu bezahlen. Geplündert wurde trotz aller Gegenvorstellungen; auch der arme H. verlor Alles. Zwei französische Husaren setzten ihm ihre Säbel auf die Brust, nahmen ihm seinen bereits auf drei Monate erhobenen Gehalt und nebst andern greifbaren Dingen noch seine einzige silberne Uhr. Die französischen Officiere selbst waren entrüstet über das Unglück des so allgemein verehrten Genius und suchten sein Unglück zu mildern. Indessen hatte sich die Nachricht von der erlittenen Mißhandlung Haydn’s bald über die Grenzen von Salzburg verbreitet und auch in Wien eine praktische Theilnahme für ihn angeregt, die sich sonst kaum in dieser Weise geäußert hätte. Abgesehen davon, daß ihm sein Bruder statt der alten silbernen eine goldene Uhr schickte, nahm die Kaiserin Maria Theresia (Gemahlin Franz’ II.), die Michael Haydn’s Messen, namentlich sein Requiem kannte und liebte, Gelegenheit, eine Messe zu bestellen, in welcher sie selbst eine Partie zu singen im Sinne hatte. H. war entzückt über diesen Auftrag und begann sogleich eine seiner schönsten Compositionen, die Messe in D-dur, der heil. Theresia geweiht, mit dem Saitenquartett, zwei Oboen, zwei Hochtrompeten, zwei Pauken und Contrabässen nebst der Orgel; statt des Violoncelles konnte auch der Fagott angewendet werden. Im Credo mit dem Descendit de coelis betrat die Kaiserin aus ihrem Oratorium den Chor, stellte sich an das für sie bereitete Notenpult und sang das „Et incarnatus est“ mit wunderschöner klarer Stimme, die von f bis ins g reichte. Das „Et sepultus est“ ist von erschütternder Wirkung. Ebenso einzig ist es, wenn im Benedictus die Solostimme ihr „Benedictus qui venit“ jubelt und der Chor wechselnd mit seinem „Osanna in excelsis“ darüber und dazwischen tritt. Den Schluß des Gloria bildet eine Doppelfuge, wie sie nur Michael H. auszuführen im Stande war. Wie Händel aus gewaltigen Tonmassen den unvergänglichen Dom seines Hallelujah erbaut, so hören wir hier den polyphonen Jubel in einem Alles mit sich hinreißenden Gesang erklingen. H. hatte noch eine zweite Doppelfuge über denselben Text hinzugefügt von gleich großartiger Wirkung. Allein der Hörer entscheidet sich dennoch zuletzt für die erste Composition.
H. vollendete dieses große Werk (es enthält 1050 Takte) am 5. August 1801, nachdem der schon im Februar abgeschlossene Friede von Lüneville die Franzosen endlich im April aus Salzburg vertrieben hatte. Der Erzbischof hatte sein Land trotzdem nicht wieder betreten und betrat es auch nie wieder. Unserm H. ward deshalb von dieser Seite her Muße gegönnt; denn der Statthalter, der Bischof von Chiemsee, war ein sehr milder Mann. Mit doppelt erleichtertem Herzen mag also H. sein Lied „Zum Abschied der Franzosen aus Salzburg“ am 27. Mai 1801 componirt haben. Er entschloß sich nun, der Einladung seines Bruders und seiner Verehrer in Wien, dorthin zu kommen, Folge zu leisten, hauptsächlich auch, um der Kaiserin die bestellte Messe persönlich zu überreichen. Sein Freund, der Pfarrer Rettensteiner, geleitete ihn auf seine Bitten. Am 24. August trafen die Reisenden in Wien ein, wo sie bei einem der feurigsten Bewunderer Haydn’s, dem Kaufmann Reich, Quartier nahmen. „Seht!“ rief dieser den beim Eintritt des Meisters versammelten Hausgenossen zu: „das ist der Salzburger H.!“ Kaum war Michael Haydn’s Ankunft in Wien bekannt, das er arm vor [153] 44 Jahren verließ (H. war nun 64 Jahre alt), so gerieth Alles, was nur einigermaßen mit Musik vertraut war, in Bewegung. Man zeigte sich auf der Straße den berühmten Salzburger H. Er hätte ein halbes Jahr in Wien bleiben müssen, um allen Einladungen folgen zu können. Beide Freunde speisten natürlich öfter beim Bruder Joseph H. Auch dem Bruder gegenüber blieb Michael immer so bescheiden wie ein Kind; er erbat es sich z. B. als Gunst, einige der Canons copieren zu dürfen, die Joseph H. unter Glas und Rahmen in seinem Schlafzimmer aufgehängt hatte. Joseph lachte: „Geh’ mit der Copie, du kannst ja selbst bessere machen.“
Am glücklichsten war er, als ihn die Kaiserin mit der ihr eigenen Liebenswürdigkeit empfing, mit freudiger Bewegung die Messe nahm und rasch durchblätterte. „Sie haben doch die Sopranstimme nicht zu schwer gesetzt? Ich singe sie selbst. O, ich kenne viele Ihrer Compositionen, namentlich das schöne Requiem. Sie müssen Ihre Messe bei der Probe und Aufführung selbst dirigiren.“ H. bat das Orchester mit der freundlichen Bescheidenheit eines Anfängers, auf seine Direction zu achten, da für ihn als den Fremden seine ganze Ehre an der richtigen Ausführung der Messe liege. Die der Probe beiwohnende Kaiserin bezeigte nach jedem Stück ihre höchste Befriedigung. Der Meister fühlte sich hochbeglückt. Die Aufführung erregte die Bewunderung von Kennern und Laien. – H. componirte in Wien noch sein einziges gedrucktes großes Quintett für 2 Violinen, 2 Altviolen und das Violoncell. Auch seine Lieder für das Männerquartett hatten großes Aufsehen gemacht und wurden überall gesungen. Süßmeier, einer der letzten Freunde Mozart’s, vergoß Thränen beim Anhören des Liedes „Die Mutter am Strome“. H. mußte sich beinahe auf allen Orgeln hören lassen, die er vor 50 Jahren, nur wenig beachtet, so oft gespielt hatte, und zuletzt sich mit Gewalt von Wien trennen, da unter seines Freundes Reich Führung eine große Anzahl begeisterter Musikfreunde zusammen getreten waren, um ihn in Wien festzuhalten. Das Honorar zu bestimmen, überließen sie ihm selbst. Allein er wollte sich von seinem Salzburg nicht trennen.
H. war wieder in Salzburg; die Franzosen waren längst fort, aber der Erzbischof saß in Wien: ganz Salzburg lebte in banger Erwartung, als am 19. August 1802 das Infanterieregiment Jordis erschien und der Feldmarschall-Lieutenant Graf v. Merveldt das Salzburger Land für den Großherzog Ferdinand von Toscana in Besitz nahm. Am 11. Januar wurde die förmliche Abdankung des Fürsterzbischofs Hieronymus proclamirt, dem keine Seele nachweinte, und am 15. Februar traf der Hofcommissär Baron v. Crumpipen in Salzburg ein. Damit war das Ende des geistlichen Staats Salzburg herangekommen. H. stand nun im Dienste des vierten Herrn.
Dieser, der ehemalige Großherzog von Toscana, war ein großer Freund der schönen Künste und besonders der Musik. Aber er hatte längst eine Menge Italiener um sich und der arme deutsche H. wurde nicht viel anders angesehen, als die übrigen Hofbedienten. Joseph H. empfahl seinen Bruder dem Fürsten Eszterhazy, der ihn auch auf das freundlichste einlud, den Dienst seines Bruders zu übernehmen, wofür er ihm 1500 fl. Besoldung bot. Jetzt suchte man den berühmten Mann in Salzburg zu erhalten. Allein die vornehmen Italiener sahen mit Mißgunst auf ihn herab; der Minister fürchtete, durch eine Gehaltserhöhung auch die übrigen Hofbedienten zu gesteigerten Anforderungen zu veranlassen. So speiste man ihn fürs erste mit einem Geschenk ab. Der Hofcommissar Baron v. Crumpipen versprach ihm endlich mit Anfang des nächsten Jahres, 1804, seinen Gehalt auf 600 fl. zu erhöhen, nebst der Aussicht auf weitere jährliche Erhöhung – und der kindliche Mann blieb bei seinen Salzburger Freunden. Er schrieb: „Ich kann mich des Anerbietens dieses einzigen [154] Fürsten (Eszterhazy) nicht freuen; denn ich verliere gar zu viel, wenn ich so viele brave Freunde und den braven Pfarrer zu Armsdorf verlieren muß.“ Eine Freude wurde ihm indessen bereitet, als die Kaiserin Maria Theresia für das Namensfest ihres Gemahls, des Kaisers, eine neue Messe nebst Graduale, Offertorium und Te Deum bestellte. Die musikalisch hochgebildete Kaiserin schrieb dem Componisten genau vor, wie sie die Messe ausgeführt haben wollte. Es sollten sich darin kleine Soli befinden, das Et incarnatus vierstimmig sein, nur vom Violoncell und den Violinen begleitet. Das Benedictus soll ein Duett für Sopran und Baß werden, am Ende mit Eintritt des Chores. Zwei Fugen sollen in der Messe vorkommen, und das Offertorium müßte ein vierstimmiger Canon sein. H. war natürlich hocherfreut über den Antrag. Zuletzt verlangte die Kaiserin noch die spanische Messe und bestellte ein neues Requiem und Libera. H. ging mit allem Feuer an diese Arbeit und vollendete die Messe (D-moll) am 16. August 1803. Er nannte sie dem Kaiser zu Ehren „Franciscus-Messe“. In Wien ist sie unter dem Namen der „Zweiten Kaiser-Messe“ bekannt. Die Kaiserin hatte verlangt, die neue Messe solle ungefähr von der Länge der ersten für sie geschriebenen sein. Sie fiel indessen etwas länger aus (1433 Tacte). Sie ist unter den instrumentirten kirchlichen Werken Haydn’s das großartigste. Das Offertorium, ein wunderschöner Canon, wurde am 23. August 1803 und das Te Deum am 20. September fertig. – Im März desselben Jahres hatte er auch einen Volksgesang zum Empfang Ferdinands componirt, und am 21. April 1803 Commerce für seinen Freund Rettensteiner. – Am 14. August setzte er seines Bruders Volkslied: „Gott erhalte Franz den Kaiser“ für seinen Armsdorfer Pfarrer vierstimmig – er ahnte nicht, daß er seinen liebsten Freund in Kurzem verlieren und ihn nur noch selten in diesem Leben wiedersehen werde. Rettensteiner ward nämlich Mitte November 1803 auf die Pfarrei Seewalchen in Oesterreich ob der Enns versetzt. Damit war die schönste Blume aus dem Kranze seines irdischen Lebens genommen. Dem Tode nahe sagte er: „Wäre mein Pfarrer hier, ich wäre noch nicht gestorben.“
Für Salzburg, wie für unsern H. gestalteten sich die Dinge immer trüber. Er wurde unter der italienischen Umgebung des Erzherzogs immer mehr vernachlässigt. Alle Hoffnung, zum Capellmeister aufzurücken, hatte man ihm längst abgeschnitten, und zuletzt erfuhr er noch die Demüthigung, daß man ihm sogar seinen bisherigen Titel eines herzoglichen Concertmeisters nahm und ihm nur mehr den eines Domorganisten ließ. Das war die Frucht seines 50jährigen genialen Schaffens und Wirkens! – Ein unerwarteter Lichtblick fiel auf ihn in dieser Zeit der Vernachlässigung, indem ihn die königl. schwedische Akademie der Musik zu Stockholm am 8. Juni 1804 zu ihrem Mitgliede wählte und seine spanische Messe, die Jubiläums-, die Benedictus-Messe und zwei solenne Gradualien zu erhalten wünschte. – H. componirte in diesen letzten Jahren hauptsächlich nur mehr einige Lieder für seinen fernen Pfarrer und widmete sich ganz seinem Freunde, dem Abte von St. Peter und seinen Domchorknaben. Noch arbeitete er an dem von der Kaiserin Maria Theresia bestellten Requiem in der einzigen Stunde, die ihn noch in Begeisterung versetzte. Pfarrer Rettensteiner, der ihn, so oft es ihm möglich war, besuchte, traf ihn einst darüber und meinte: „ein schöneres Requiem, als das erste, könne er doch nicht schaffen“. H. sagte begeistert aufblickend: „Was gilt’s, dies Requiem muß noch ganz anders werden, als das erste: ich arbeite für die Kaiserin!“
Um diese Zeit fing aber H. an zu kränkeln und auch die politischen Verhältnisse trugen nicht dazu bei, seine Stimmung zu erhöhen. Im J. 1805 hatte Napoleon bekanntlich den Lüneviller Frieden gebrochen und Italien für Frankreich in Anspruch genommen. Oesterreich trat mit England, Rußland und [155] Schweden gegen ihn auf. Allein Napoleon blieb Sieger und am 30. October 1805 zogen 65000 Mann unter Bernadotte in das unglückliche Salzburg ein. Auch H. litt durch die Einquartierung. Trotz dieser Umstände schrieb der kranke Mann dennoch für seine lieben Chorknaben, in deren Umgebung er zuletzt die liebste Erholung fand, die jugendlich frische Messe, dem hl. Leopold geweiht, am 22. December 1805. Sie ward für 2 Soprane, 1 Alt, 2 Violinen, 2 Hörner ad libitum und die Orgel geschrieben, voll des herrlichsten Gesanges und in ihren Instrumentalformen sogar an die neueste Zeit erinnernd. Am 31. December schrieb er an seinen so schwer vermißten Freund: „Noch bin ich unpäßlich, kann meinen Dienst nicht mehr verrichten und muß das Zimmer hüten. Hier sieht es sehr kritisch aus. Gott, was wird aus uns noch werden? Wer wird sich unser annehmen? u. dgl. Allein dieser traurigen Umstände ungeachtet habe ich doch unsern Kapellknaben zu ihrem unschuldigen Kindlein-Fest eine neue Messe geschrieben, und was ich vernommen, hat sie gefallen.“ Es war Haydn’s letzte vollendete Arbeit. „Der Doctor“, schreibt er, „vertröstet mich auf den heilsamen Frühling, wie dies die Aerzte zu thun pflegen“. Allein der heilsame Frühling brachte keine Linderung: es war sein letzter. Auch ihn beschlich, wie seinen zu früh dahingegangenen Mozart das Vorgefühl, daß er diese Todtenmesse für seinen eigenen Heimgang schreibe, auch in Gesprächen mit den Freunden, die ihn besuchten, trat dieser Gedanke immer wieder hervor. H. hatte sich nicht getäuscht. Mit dem 21. Tacte des „Liber scriptus proferetur, unde mundus judicetur“ sank auch seine Hand dem Grabe zu. Ein schleichendes Fieber zehrte an seinem Leibe und verschlang seine Kräfte immer mehr. Anfangs Juni 1806 sah Pfarrer Rettensteiner seinen Freund zum letzten Male. Mit weinenden Augen nahm er den letzten Kuß von der bleichen Lippe des Freundes. Noch ein letztes Fünkchen der Freude in sein verlöschendes Leben brachte der kurfürstliche Minister, Marquis von Manfredini, der an seinem Krankenlager erschien, um ihm 100 fl. als Geschenk für seine Gradualien zu überreichen, von welchen der Kurfürst von Würzburg eine Copie nehmen ließ. Die Lebenskraft Haydn’s sank immer mehr; am 10. August 1806, 10¾ Abends war der seltene Genius aus der Nacht seines Daseins geschieden. Von Joseph H., der ihn als Universalerben in sein Testament eingesetzt hatte, kamen zu spät noch 50 fl. „für seinen kranken Bruder“; die zwei an Joseph gesandten Briefe waren ihm also nicht zugekommen.
Um wenige künstlerisch hervorragende Männer war wol die allgemeine Trauer größer, als um den dahin geschiedenen Vater H. Aus allen Gegenden des Landes Salzburg, auch aus Oesterreich, kamen Freunde und Verehrer zu dem Leichenbegängnisse. Pfarrer Rettensteiner eilte nach Salzburg, um mit thränenerstickter Stimme die Exequien für den verstorbenen Freund zu halten; Nach dem Begräbnisse legte Rettensteiner seine priesterlichen Kleider ab und blieb im stummen Schmerz versunken betend auf dem Grabe knieen, lange nachdem sich das Volk von der Grabstätte entfernt hatte.
Am nächsten Tage wurde in der St. Peterskirche zur Todtenmesse sein letztes Requiem aufgeführt, bis zu der Stelle des Dies irae, wo H. die müde Hand sinken ließ; dem übrigen Theile wurde dann das frühere Requiem angeknüpft. Auch die Universität feierte den Tod des Geliebten durch Mozart’s Requiem.
Haydn’s Sarg wurde in die erste Commun-Gruft hinabgesenkt vom Haupteingang des Kirchhofs, von der Kirche zur rechten Hand. Fünfzehn Jahre nach seinem Scheiden hatten seine Freunde gegen 600 fl. gesammelt, um ihrem lieben Todten ein würdiges Grabmal in der St. Peterskirche zu setzen. Der Abt Albert IV. (Nagenzaun) hatte den Plan dazu entworfen. In die Urne aus [156] Serpentin, welche die Pyramide dieses Monumentes krönt und an deren linke Seite sich eine Lyra lehnt, wurde der Schädel Haydn’s gelegt, den man von der Gattin des Dahingeschiedenen um 30 fl. gekauft hatte! Auf dem Felsen, der das Ganze trägt, liegen circa 20 Täfelchen zerstreut, mit den Anfangsworten der vorzüglichsten Gradualien, Messen, Lieder etc., erinnernd an die hervorragendsten Schöpfungen des Verstorbenen.
Es war ein wundervolles Kleeblatt, Joseph und Michael H. mit Mozart dazwischen, einander in allem ergänzend und in ihren Werken das Gesammtgebiet musikalischer Schöpfungen umfassend, Instrumentalmusik, dramatische und heilige Musik. Michael H. war seinem Bruder Joseph H. an Geist und Genius so eng verwandt (ja, an allgemeiner Bildung ihm weit überlegen), wie man dies selten bei zwei Brüdern findet. Beider Thun und Schaffen hatte indessen eine vom Schicksal vorgezeichnete, eigene, einander entgegengesetzte Richtung angenommen. Joseph Haydn’s Instrumentalwerke gehören der weiten fröhlichen Welt an, die unter allen Verhältnissen klingt und singt. Seines Bruders Michael Wirken gehörte einzig und allein der Kirche, d. h. der katholischen Kirche, an, daher war Michael H. außer seiner Kirche beinahe völlig unbekannt oder sehr häufig mißverstanden worden. Selbst als man die Mozart’sche Messe in Leipzig zu drucken unternahm, mußte ein deutscher Text unter den katholischen lateinischen gelegt worden, um die Composition Mozart’s den Nichtkatholischen verständlich und zum Theil genießbar zu machen. – Michael H. steht an Originalität und Tiefe seiner musikalischen Gedanken seinem großen Bruder Joseph nicht nach. Trotzdem findet eine große Verschiedenheit in der künstlerisch-ästhetischen Organisation musikalischer Gedankengebilde bei beiden statt. Michael H. entwickelte seine Kraft nur in einem einzigen großartigen Felde; sein Bruder umfaßte, durch äußere Verhältnisse veranlaßt, beinahe die ganze musikalische Welt in seinen Schöpfungen. Der immer nur auf ein Ziel hinarbeitende Geist Michael Haydn’s erreichte eben dadurch eine wunderbare Einheit trotz der reizendsten Mannigfaltigkeit in den Formen seiner kirchlich musikalischen Gebilde; während bei seinem großen Bruder die Einheit öfters in der unerschöpflichen Mannigfaltigkeit seiner musikalischen Gedanken untergeht; dazu kommt noch bei Michael H. die tief gefühlte innerliche fromme musikalische Charakteristik des erhabenen Textes, die aus dem Herzen kommend nie zur todten Tonmalerei wird. Dabei bewundern wir die große Kunst des Gesanges und der Stimmenführung, in welcher Michael H. unübertroffen dasteht. Aus den kunstvollsten, scheinbar oft kaum ausführbaren Combinationen der Stimmen strömt immer der natürlichste stets sangreiche Fluß seiner musikalischen Perioden hervor. Dies hatte auch sein großer Freund Mozart wohl gefühlt, der sich viele seiner contrapunktischen Schöpfungen copirte. Zwei wunderschöne Fugen, „Pignus futurae gloriae“ aus b und es, die man lange für Mozart’s Composition gehalten hat, copirte Mozart nur zum Studium aus den zwei Litaneien von Michael H.
Haydn’s Singstimmensatz wird für alle Zeiten ein Muster bleiben. Auch seine Instrumentalbegleitung ist so originell und selbständig, daß sie mehr ein selbständiges Instrumentalgebilde des Singgedankens, als eine Begleitung genannt werden kann. Bei seinen Offertorien ist es in der Regel nur das Saitenterzett, nämlich zwei Violinen und der Contrabaß mit der Orgel, welches den selbständigen Singstimmensatz begleitet. Dabei bewegen sich die figurirten Violinen in den wechselvollsten, aber dennoch in steter Beziehung auf den musikalischen Hauptgedanken so einheitlichen Perioden, daß der Satz des Streichterzetts mit Orgel auch für sich ein vollständiges schönes Ganzes bildet. Ebenso ist der Singstimmensatz ohne alle Begleitung eine für sich bestehende vierstimmige Composition.
[157] H. hat allerdings in früheren Zeiten die einzelnen Perioden nach der Sitte der damaligen Zeit rhythmisch fest aneinander gereiht über den ruhelos sich fortbewegenden Basso continuo. Bei einem mechanisch-strengen, tactmäßigen geistlosen Vortrage, bei den leicht zu verwechselnden Tempi’s geschah es daher häufig, daß man diese Sätze in der Ausführung völlig verunstaltete, was ihnen dann, namentlich im Norden den Namen des Zopfs eingetragen hat. Gerade die Michael Haydn’schen Compositionen fordern einen eingehenden verständigen Vortrag; der moderne Dirigent wird schon durch die Ueberschrift des Tempo, namentlich des Allegro, sehr häufig irre geführt. Bei den notenreichen Figuren würde, wenn man das Allegro Haydn’s in unserm Sinne nehmen wollte, die Composition leicht ins Leiermäßige übergeführt werden. Die Behandlung der Violinen erfordert den festen, gerundeten, breiten Vortrag der alten Leopold Mozart’schen Schule. Am besten im Geiste ihres Schöpfers ausgeführt, kann man Michael Haydn’s Musik in der St. Michaelshofkirche zu München hören, wo der alte Meister neben seinem Bruder, neben Vogler und Ett noch immer in Ehren gehalten wird. Von seiner bescheidenen und doch so wirkungsvollen Instrumentation gilt, was Vogler von den Psalmen Benedetto Marcello’s sagte: „Diese dreistimmigen Psalmen sind reicher an Harmonie, als viele von unsern modernen fünfstimmigen, so reich instrumentirten Tonwerken.“
Wir besitzen noch gegenwärtig über 410 Compositionen Haydn’s, darunter 30 Messen nebst 6 kleineren, 158 Gradualien und Offertorien, 20 Sinfonien, 46 größere Instrumentalcompositionen, auch Divertimento’s genannt, 74 drei- und vierstimmige Gesänge. Seine großartigsten Werke sind: 1) sein Requiem in C-moll; 2) seine zweichörige spanische Messe; 3) seine „Missa St. Theresiae“; 4) seine letzte „Missa St. Francisci“; 5 ) seine drei Litaneien, die eine aus G-moll, gedruckt in Leipzig, dann in D-moll, B-dur und 6) sein letztes unvollendetes Requiem aus B-dur, gedruckt in Leipzig.
Das beste Porträt von Michael H. ist ein Oelgemälde im Besitze des Benedictinerstiftes St. Peter. Eine ziemlich ähnliche Lithographie von Michael und Joseph H. nebst dem Geburtshause und den Grabdenkmälern der Beiden hat der Freund und Schüler Michael Haydn’s, Anton Diabelli in Wien, herausgegeben, in dessen Musikhandlung auch viele der Haydn’schen Offertorien gedruckt sind. Seine große Litanei aus G-moll ist bei Breitkopf und Härtel in Leipzig erschienen. Das in Wien componirte Quintett aus B-dur für Streichinstrumente ist durch die Musikhandlung Träg in Wien publicirt; ebenso sind von derselben Firma 6 Lieder für 3 Discant- und 1 Baßstimme, 1800, klein Quart in Typen gedruckt worden. Die ersten Gesänge für vier Männerstimmen erschienen in Commission in der Mayrischen Buchhandlung zu Salzburg; die späteren Lieferungen in der von dem oben erwähnten Freunde Haydn’s, Benedict Hacker, errichteten Kunst- und Musikalienhandlung, darunter eines dem Abte Joseph, des Benedictinerstiftes zu St. Peter, gewidmet.