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Artikel „Leopold II., deutscher Kaiser“ von Heinrich Ritter von Zeißberg in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 18 (1883), S. 322–336, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Leopold_II._(Kaiser)&oldid=- (Version vom 19. März 2024, 08:35 Uhr UTC)
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Band 18 (1883), S. 322–336 (Quelle).
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Leopold II. (Peter), deutscher Kaiser aus dem Hause Habsburg-Lothringen (1790–92), war der dritte Sohn Kaiser Franz’ I. und Maria Theresia’s, geb. am 5. Mai 1747. Mit dem Grafen Batthyanyi, dem Ajo des ältesten Bruders Joseph theilte sich in die Oberleitung der Erziehung der jüngeren Brüder Karl und Leopold der Graf Philipp Künigl als Viceajo. Nachdem Karl im Januar 1761 gestorben war, erhielt L. in der Person des Feldmarschalllieutenants Grafen Franz Thurn einen zweiten Subajo (Instruction für denselben bei Arneth. Briefe der Kaiserin Maria Theresia, IV, 17 ff.), dessen Bruder Graf Anton Thurn ebenfalls an der Erziehung Leopolds betheiligt war. Von Leopolds Lehrern werden Jakob Sauboin und Johann Brasseur genannt. Der Prinz eignete sich die Kenntniß der französischen, italienischen und lateinischen, zum Theile auch die der böhmischen Sprache an. Außer der Religion, der Geographie, der Profan- und Kirchengeschichte waren vorzüglich das Recht, Mathematik und Naturwissenschaften die Gegenstände des Unterrichts. Der Jesuit Franz Lochner war L.’s Beichtvater. Es heißt, L. sei anfangs für die Kirche bestimmt gewesen, welcher sich später sein jüngster Bruder Maximilian Franz widmete. Man schreibt die Neigung zu theologischer Controverse, wie seine ganze nachmalige Richtung in kirchlichen Dingen den Lehren und Eindrücken seiner frühen Jugend zu, wie er denn unter dem Einflusse der febronianischen Meinungen aufwuchs, welche von den Canonisten der Wiener Hochschule Eibel und Rautenstrauch gelehrt und von dem vielvermögenden Leibarzte der Kaiserin van Swieten beschützt wurden. In Folge des Erbvertrages, den Franz III. von Modena am 11. Mai 1753 mit der Kaiserin Maria Theresia über sein Herzogthum schloß, wurde der damals sechsjährige Erzherzog L. zum künftigen Gemahl der Enkelin Franzens, der Prinzessin Maria Beatrix, und zum dereinstigen Nachfolger des Herzogs in Modena bestimmt. Doch kam diese Heirath nicht zu Stande. Vielmehr wurde später für Erzherzog L. sein jüngerer Bruder Ferdinand als Gemahl der modenesischen Erbtochter substituirt, während sich L. mit Maria Louise, Tochter des Königs Karl III. von Spanien vermählen sollte. Doch knüpfte der spanische Hof diese Heirath an die Bedingung, daß nach des Kaisers Tode die Thronfolge in Toscana nicht seinem ältesten, sondern als Secundogenitur seinem jüngeren Sohne L. zu Theil werden sollte (Vertrag von Buen Retiro vom 3. Decbr. 1762). Erst als der Herzog von Modena seine Zustimmung zu der Vermählung seiner Enkelin mit Erzherzog Ferdinand gegeben hatte, nahmen die Verhandlungen mit Spanien einen rascheren Verlauf. Am 14. Juli 1763 bestätigte Franz I. als Kaiser und Großherzog die Errichtung der toscanischen Secundogenitur mit dem Vorbehalte des Rückfalles an den Erstgeborenen des Hauses im Falle des kinderlosen Ablebens Leopolds oder des Erlöschens seiner Linie im Mannsstamme. [323] Der Erbprinz Joseph trat dem Vertrage an dem nämlichen Tage bei. Am 16. Febr. 1764 wurde die Infantin zu Madrid dem Grafen Rosenberg als Vertreter des Erzherzogs L. feierlich angetraut. Im Sommer verließ Marie Louise ihre Heimath. Zu Innsbruck, wohin sich der Kaiser und die Kaiserin mit ihren Söhnen Joseph und L. begeben hatten, wurde das junge Paar am 5. August von dem sächsischen Prinzen Clemens, Bischof von Freising und Regensburg, eingesegnet. Noch jetzt erinnert an dies Ereigniß der Triumphbogen, den die Stadt Innsbruck zur Erinnerung an dasselbe errichten ließ. Aber die festlichen Tage sollten mit tiefer Trauer schließen. Am Tage nach seiner Vermählung erkrankte L. nicht unbedenklich. Kaum war diese Besorgniß zerstreut, als ein noch schwereres Unglück die kaiserliche Familie heimsuchte. Mitten unter den Festlichkeiten starb plötzlich Kaiser Franz I. zu Innsbruck am 18. August 1765.

Durch den Tod des Kaisers Franz wurde L. im Alter von 19 Jahren dessen Nachfolger in Toscana. Nach Maria Theresia’s Anordnung begleitete ihn dahin sein einstiger Erzieher Graf Franz Thurn als Oberstkämmerer, zugleich als Leiter und Führer des noch sehr jungen und unerfahrenen Prinzen; doch starb Thurn bald nach seiner Ankunft in Florenz. Am 31. März 1766 fand die durch die Hoftrauer verzögerte Huldigung statt. Obgleich L. eine wunderbare Frühreife des Verstandes und der Willenskraft gezeigt hat, glaubte seine Mutter Maria Theresia doch nicht, ihn sich allein überlassen zu dürfen. Sie hat daher in den ersten Jahren eine Art von Vormundschaft über ihn geübt. Feldmarschall Marchese Botta, das bisherige Oberhaupt der toscanischen Regierung, legte zwar formell die Regentschaft nieder, behielt aber, nunmehr mit dem Titel eines Majordomus, einstweilen noch die oberste Leitung. Als Botta 1766 abberufen wurde, trat Graf Franz Orsini von Rosenberg, gleich seinem Vorgänger, als Vertrauensmann der Kaiserin, an die Spitze des Hofes. Erst als auch Rosenberg aus dem bisherigen Verhältnisse ausschied, trat zu Ende des J. 1770 Pompeo Neri als Chef des Ministeriums an seine Stelle, womit für Toscana eine neue Aera großer Thätigkeit begann, als deren leitende Seele Peter Leopold oder Leopold I., wie er als Großherzog von Toscana genannt wird, zu betrachten ist. Bei seinem Regierungesantritte fand er das Land in einem beklagenswerthen Zustande. Die Jahre der Regentschaft waren eine Zeit des Stillstandes und Rückschrittes für Toscana gewesen. Staatliche Stellung, Wohlstand, Thätigkeit im Gewerbe, Litteratur und Kunst, alles lag darnieder. Theuerung und Seuchen herrschten allenthalben. In Folge der Ansprüche, welche Kaiser Joseph als Universalerbe seines Vaters auf dessen Nachlaß erhob, mußte selbst das Geld aus den öffentlichen Cassen ausgeliefert werden und sah sich L. genöthigt, seine Regierung mit einer Anleihe zu eröffnen. Um so ernstlicher nahm L. die Reform auf allen Gebieten des staatlichen Lebens in Angriff. Auf dem Gebiete des Finanzwesens sind hier namentlich seine Versuche zur Regelung und theilweisen Amortisation der Staatsschuld, sowie die Trennung der Verwaltung der öffentlichen Gelder von der Administration der Krongüter und des großherzoglichen Privatvermögens zu verzeichnen. Trotz der bedeutenden Steigerung der Ausgaben, wie sie durch die vielen und großartigen Reformen, sowie durch die großen öffentlichen Arbeiten bedingt wurde, schloß Leopolds Regierung mit einem Ueberschusse von 5 Mill. L. Wichtiger noch war die Umgestaltung der Gemeindeverfassung, deren frühere Gestalt den beabsichtigten Reformen hindernd im Wege stand. An die Stelle der überlieferten bunten Mannigfaltigkeit trat eine neue Ordnung, die freilich den Communen die letzten Reste politischer Bedeutung entzog und ihnen nur eine ökonomische beließ, aber auch in wohlthätiger Weise die Verwaltung und deren Beziehungen zur Staatsregierung vereinfachte. [324] Mit dieser Reform der Communalverfassung wurde auch eine solche der directen Steuern in Verbindung gebracht. Es wurden die verschiedenen das Grundeigenthum belastenden Abgaben abgeschafft und an deren Stelle eine einzige Grundsteuer gesetzt, welche, eben weil sie die bisherigen Zahlungen ablöste, den Namen Tassa di redenzione erhielt. Die Zahl der Fideicommisse wurde beschränkt, die auf den Ländereien haftenden Servituten wurden aufgehoben oder für ablösbar erklärt, frühere Beschränkungen des Besitzes der todten Hand bestätigt und verschärft (nur Munizipalcollegien und Wohlthätigkeitsanstalten wurden davon ausgenommen), die Theilung des Grundeigenthums und die Umwandlung der Latifundien in kleinere Güter zu Erbpacht begünstigt und die Verwandlung der letzteren in freies Eigenthum ermöglicht. Auch sonst besserte sich die Lage der Landbevölkerung, deren Wohl L. sehr am Herzen lag, in vielen Dingen; leider wurden auch die Waldungen zum größten Nachtheile für das Land preisgegeben. Den Getreidehandel sollte die stufenweise Erleichterung und endlich völlige Freigebung des Verkehrs (Aufhebung aller Einfuhrzölle) fördern. In engstem Zusammenhange mit den legislatorischen Maßregeln und praktischen Vorkehrungen zur Hebung der Landwirthschaft stehen die von L. unternommenen Bonificationsversuche, namentlich die des Chianathals und der Maremmen. Zur wissenschaftlichen Förderung der Agricultur vereinigte L. zwei bereits bestehende Gesellschaften, die eine für Botanik, die andere für Landbau zur Akademie der Georgofili und überwies derselben den alten mediceischen botanischen Garten bei San Marco, der nun für landwirthschaftliche Zwecke umgeschaffen wurde. In Bezug auf Straßenbauten ist Leopolds Regierung späteren Zeiten ein Vorbild geworden. Die Schranken des Zunftzwanges wurden durchbrochen, die Binnenzölle abgeschafft; Livorno wurde ein Freihafen, der rasch emporblühte, bis daß der amerikanische Unabhängigkeitskampf ungünstig einzuwirken begann. Auch die Gerichtsverfassung wurde umgestaltet. Die am 30. Novbr. 1756 verkündete Reform der Criminalgesetzgebung (Abschaffung der Todesstrafe und der Tortur) läßt den Einfluß der Zeit, namentlich des berühmten Buches von Beccaria nicht verkennen. Minder erfreulich war das völlig umgestaltete weitverzweigte Polizeiwesen, welches zu einer selbst in die häuslichen Kreise eindringenden Spionage ausgebildet wurde und das Militär ersetzen sollte. L., an sich und wol auch aus Sparsamkeitsrücksichten dem Militär abhold, löste in Folge eines Straßenkampfes zwischen Militär und Sbirren zu Florenz (1774) das erstere, mit Ausnahme der Garnisonsplätze Livorno und Portoferraio und seiner Leibwache auf. Statt dessen traten überall Bürgermilizen ins Leben; doch wurden später (1790) auch die florentinischen Bürgermilizen als nutzlos aufgelöst und deren Obliegenheiten zum Theil Polizeileuten übertragen. Ebenso wurde die Kriegsmarine Toscana’s, welche Acton vorübergehend zu nicht geringer Bedeutung gegenüber den Barbaresken erhoben hatte, nachdem jener in Ungnade gefallen und nach Neapel ausgewandert war, verkauft, so daß das Land auch zur See wehrlos war. Ein Friedensvertrag mit Marocco und die Proclamation der Neutralität Toscana’s als Fundamentalconstitution des Staates boten dafür nur einen schwachen Ersatz. Vielmehr hatte die Auflösung der Kriegs- auch ein Sinken der Handelsmarine zur Folge.

Bieten schon die bisher aufgezählten Reformen Leopolds viele Vergleichungspunkte mit jenen seines Bruders Joseph dar, so ist dies in noch höherem Maße auf dem Gebiete der Kirchenpolitik der Fall. Dabei schwebte L. ein zweifaches Ziel vor: die Umgestaltung des geistlichen Jurisdictionswesens und der kirchlichen Polizei und die innere Reform der Kirche. Anfangs versuchte L. über einige Reformen Verhandlungen mit der römischen Curie; später stand er davon ab und ordnete kraft seiner „höchsten und absoluten Macht“ die betreffenden Maßregeln [325] an. Für die Erlasse ausländischer Kirchenbehörden wurde das Exequatur eingeführt, die bisherigen Zahlungen nach Rom für Spolien, Vacanzen etc. verboten, überhaupt auf eine Lockerung der Beziehungen des toscanischen Clerus zu Rom hingearbeitet. Die Asyle wurden aufgehoben, die Klostergefängnisse unter weltliche Aufsicht gestellt. Alle mittelst geistlicher Censuren verhängten Strafen wurden cassirt, die Veröffentlichung der Bulle in coena domini untersagt. Die Inquisition und die Nuntiaturgerichtsbarkeit wurden abgeschafft, die betreffenden Befugnisse den Bischöfen übertragen. Aber auch die bischöfliche Gerichtsbarkeit ward auf rein kirchliche Angelegenheiten beschränkt und der Clerus unter die weltliche Justiz gestellt. Der Besuch der bischöflichen Seminare wurde für den Weltclerus und für die Regulären für obligatorisch erklärt; außerdem wurden geistliche Akademien gegründet, welche mit den bischöf1ichen concurrirten. Der Unterricht des Kirchenrechtes sollte keine der staatlichen Autorität zuwiderlaufende Grundsätze lehren. Die Verleihung der Pfarreien und höheren Pfründen wurde von der Ablegung einer Prüfung vor dem Bischofe abhängig gemacht; die Pfarreien selbst wurden möglichst gleichmäßig ausgestattet. Die übermäßige Zahl der Cleriker wurde durch erschwerte Zulassung zu den Weihen beschränkt. Tiefgreifend war die Reform der Klöster und der Klostergeistlichkeit. Alle Klöster wurden der Jurisdiction der Bischöfe unterstellt. Den Provinzialen, wenn Nicht-Toscaner, wurde die Visitation der Klöster untersagt, die im Lande wohnenden Eremiten (Franziscaner, Tertiarier) wurden abgeschafft, viele Klöster aufgehoben und deren Einkünfte zur Aufbesserung der Pfarreien verwendet. Die Aufhebung des Jesuitenordens in Toscana erfolgte 1773. An die Stelle der Jesuiten traten für den höheren Jugendunterricht vorzugsweise die Calasanzier. An die Stelle der gleichfalls aufgehobenen Brüderschaften traten neue compagnie di carità mit gleichmäßigen von der Regierung gutgeheißenen Statuten zu mildthätigen Zwecken. Die Begräbnißplätze wurden aus den Städten herausverlegt, Processionen und Wallfahrten beschränkt, Reliquien, Madonnen und Heiligenbilder Gegenstände polizeilicher Verordnungen. Die Unzufriedenheit des Volkes mit diesen Reformen und der Zwiespalt, den dieselben im Clerus hervorgerufen hatten, bestimmten den Großherzog zu dem Versuche, den Episcopat seines Landes zu gleichmäßiger Behandlung der die kirchliche Disciplin betreffenden Fragen zu veranlassen. Die Bischöfe wurden (1785) aufgefordert, zu diesem Zwecke Diöcesansynoden abzuhalten und zugleich wurden denselben die zu berathenden Punkte zugesandt. Die meisten Bischöfe antworteten zurückhaltend, nur Scipione de’ Ricci, Bischof von Prato und Pistoja, einer der wichtigsten Berather Leopolds in kirchenpolitischen Dingen, hielt 1786 eine Diöcesansynode ab, deren Beschlüsse durchaus von jansenistischem und gallicanischem Geiste durchdrungen sind. Die Beschlüsse dieser Synode von Pistoja wurden von der Regierung nicht geradezu approbirt, aber ihre Veröffentlichung und Ausführung wurde gestattet, ja L. hatte sogar die Absicht, um den etwaigen Versuchen, Diöcesansynoden in entgegengesetztem Sinne ins Leben zu rufen, zu begegnen, ein toscanisches Nationalconcil einzuberufen, stand aber auf Ricci’s Rath von diesem Vorhaben vorläufig ab und beschränkte sich auf die Berufung einer Versammlung der toscanischen Bischöfe (assamblea episcopale), welche blos das Material für eine Provinzialsynode vorbereiten sollte. Allein die Versammlung führte nicht zu dem von L. gewünschten Ziele. Auch die gemäßigtesten Prälaten sprachen sich gegen das zu Pistoja angenommene System aus. Im Sprengel von Pistoja selbst stieg die Aufregung des Volkes immer mehr. Zwar wurde der Prateser „Madonnenaufruhr“ unterdrückt; allein der Großherzog sah doch ein, daß sein Zweck verfehlt war und löste die Versammlung der Bischöfe auf, deren Geschichte er 1788 in Druck veröffentlichen ließ.

[326] L. hat sich auch um Kunst und Wissenschaft in Toscana mehrfach verdient gemacht, obgleich die Zeit solchen Bestrebungen nicht günstig und des Großherzogs eigener Sinn mehr auf das praktische gerichtet war. Auf seine Anordnung wurden die Akademie der Crusca und zwei andere ältere litterarische Gesellschaften aufgehoben und zu einer einzigen, der Fiorentina vereinigt. L. gründete zur Aufbewahrung von Pergamenturkunden das Archivio diplomatico. Unmittelbar beeinflußte L. Galuzzi’s Geschichte von Toscana unter der medicäischen Herrschaft. Das Werk wurde unter seinen Augen im Palast Pitti gedruckt und jeder Bogen von ihm selbst durchgesehen, während das strengste Geheimniß obwaltete und Maßregeln getroffen waren, nichts von dem Werke ins Publicum dringen zu lassen, bevor es auf den Markt gebracht und nach allen Himmelsgegenden versandt wurde. Unter Leopolds Auspizien wurde 1771 von Angelo Fabroni das Giornale de’ letterati, eine kritische Zeitschrift, begründet. Giovanni Targioni Tozzetti widmete dem Großherzog sein umfassendes auf die Natur- und Alterthumskunde Toscana’s bezügliches Reisewerk. Mit Leopolds Unterstützung wurde eine Ausgabe der Werke Machiavelli’s veranstaltet. Besonders wichtig wurde die von L. veranlaßte Umgestaltung der Sammlungen der Uffizien zugleich mit jenen architektonischen Veränderungen, die dem Museum im wesentlichen seine gegenwärtige Gestalt gaben. Die naturwissenschaftlichen und ethnographischen Gegenstände wurden von den eigentlichen Kunstobjecten getrennt und für erstere das Museo fisico gegründet, das damals in Europa seines gleichen suchte und dessen Director Felice Fontana, ein Südtiroler, im Auftrage Leopolds verschiedene Reisen unternahm und jene berühmten anatomischen Wachspräparate ausführte, die er auf Wunsch Josephs II. in Wien wiederholte. Die Kunstsammlungen der Uffizien erhielten einen großen und bedeutenden Zuwachs an Künstlerporträts, etruskischen Graburnen, Vasen, Münzen, Zeichnungen und Kupferstichen, besonders aber durch die aus der Villa Medici in Rom nach Florenz geschafften Sculpturen (die Niobidengruppe). Auch die Laurentiana, welcher Bandini vorstand, erhielt einen ansehnlichen Zuwachs an Handschriften und Büchern. Die Akademie der Künste erhielt unter L. durch Vereinigung und Ergänzung der alten Kunstschulen in dem großen Gebäude in der Nähe von S. Marco ihre gegenwärtige Gestalt. Durch Eckhel ließ L. die werthvolle Sammlung von Münzen ordnen, die von dem Cardinal Leopold Medici herrührte. – Mehr aber als diese Veranstaltungen für Kunst und Wissenschaft haben Leopolds Andenken in Toscana die zahlreichen Hospitäler erhalten, die er in der Hauptstadt selbst und in den übrigen Gegenden seines kleinen Staates gründete.

Nach außen hin erfreute sich Toscana unter der 25jährigen Regierung Leopolds eines dauernden Friedens, der die Durchführung so vieler Reformen gestattete. L. selbst war einfach und dem Prunke abgeneigt; seine Gemahlin, Maria Louise, eine Fürstin von edler Weiblichkeit. Man rühmte ihnen nach, daß sie medicäische Courtoisie übten. Der Palast Pitti wurde wieder lebendig und sah Fremde wie Einheimische häufig an der Tafel. 1769 kam des Großherzogs Schwester Maria Caroline, die durch Stellvertretung angetraute Gemahlin König Ferdinands von Sicilien nach Florenz. L. und seine Gemahlin begleiteten sie nach Neapel. 1769 traf L. mit seinem Bruder, dem Kaiser Joseph II., zu Rom in der Villa Medici zusammen. Joseph war von seinem Bruder entzückt. „Er hat sich“, schrieb Joseph an seine Mutter, „ungemein vortheilhaft ausgebildet und ist sehr unterrichtet. Ich glaube, er würde das Glück haben, Ihnen zu gefallen“. Am 17. März besuchten der Kaiser und der Großherzog das Conclave. Nachdem hierauf der Kaiser seine Schwester in Neapel besucht hatte, empfing L. in Florenz dessen Besuch. 1770 unternahm L. eine Reise [327] nach Wien, welche ihm die vollständige Selbstbestimmung verschaffte, so daß er erst jetzt als unabhängiger Souverän in sein Land zurückkehrte. 1775 kam Kaiser Joseph auf kurze Zeit nach Toscana (Poggio Imperiale); im Herbst desselben Jahres weilte Leopolds jüngerer Bruder Maximilian in Florenz. 1776 kamen die Erzherzogin Marie Christine und ihr Gemahl, der Herzog Albert von Sachsen-Teschen, auf ihrer Reise durch Italien auch an Leopolds Hof. „Der Großherzog“, schrieb Albert in sein Tagebuch, „erfreut sich einer blühenden Gesundheit und ist voll Fröhlichkeit. Die Anfälle von Hypochondrie, denen man ihn unterworfen glaubte, scheinen nicht mehr so häufig wiederzukehren. Seine Thätigkeit ist getheilt zwischen der Verwaltung des Landes und der Erziehung seiner Kinder. Er arbeitet den größten Theil des Tages. Die Arbeit ist seine Unterhaltung; er geht ins Detail ein und beachtet alles, was seine Aufmerksamkeit anzieht. Dessen ungeachtet findet er Zeit, sich mit anderen Dingen zu beschäftigen; man ist überrascht von der Fülle seiner Kenntnisse in der Physik, Naturgeschichte und Landwirthschaft, er hegt große Sorgfalt für die Hebung des Ackerbaues, der Industrie und des Handels, ‚der Quellen des Gemeinwohles‘. Er ist sehr liebenswürdig im Umgange; seine Conversation ist immer interessant durch die gesunde Verständigkeit, die überall durchleuchtet; er gibt den Ton für Alle in der Gesellschaft an“. 1776, als die projectirte Reise der Kaiserin nach Görz nicht zu Stande kam, reiste L. mit seiner Gemahlin nach Wien und wurde 1778, nach dem Ausbruche des baierischen Erbfolgekrieges, von seiner Mutter, mit Zustimmung Josephs, abermals dahin berufen. Von Wien eilte L. nach Böhmen und wohnte nun durch etwa zwei Wochen als Augenzeuge den Kriegsereignissen bei. 1783 fand zu Pisa eine Zusammenkunft zwischen Kaiser Joseph II. und L. statt, wo jener die sofortige Uebersiedelung seines ältesten Neffen Franz nach Wien, der dort zum Thronfolger erzogen werden sollte, von seinem Bruder verlangte, der freilich damit ebensowenig einverstanden war, als mit der von Joseph geplanten Vereinigung Toscanas mit den österreichischen Erbstaaten. Als L. sich mit dem jungen Erzherzog in Wien einfand, unterzeichnete er eine hierauf bezügliche Vereinbarung mit dem Kaiser. Aber in einem vertraulichen Schreiben an seine Schwester Marie Christine äußerte er: „Ich glaube, dies steht in Widerspruch mit den Verträgen. Ich habe unterzeichnet; denn, wenn ich todt bin, werden die Ueberlebenden thun, was sie wollen, mag das Papier unterschrieben sein oder nicht“. – 1785 sahen sich Joseph II. und L. in der Lombardei; es war ihr letztes Zusammensein.

Schon zu Beginn des J. 1790 stand die Auflösung Kaiser Josephs II. bevor. L. wurde von diesem nach Wien berufen. Joseph wollte ihn zu seinem Mitregenten ernennen, sowie er selbst es zur Zeit seiner Mutter gewesen war. Allein L. verzögerte die Reise. Er war mit der Art und Weise, in der der Kaiser die Regierungsgeschäfte leitete, längst unzufrieden und wollte nicht den Anschein gewinnen, als hieße er das System seines Bruders gut. Noch ehe er (3. März 1790) Florenz verließ, befand sich Joseph nicht mehr unter den Lebenden.

Im reifsten Lebensalter von 43 Jahren trat L. aus den geordneten Verhältnissen eines kleinen Staates in die chaotisch gewordenen Zustände eines Reiches, das von außen bedroht, finanziell erschöpft, in seinen Grundvesten wankte. Er kam über Mantua, Botzen und Klagenfurt nach Wien. Die Bevölkerung empfing ihn kühl, die Männer, die im Conferenzrathe saßen, Kaunitz, Starhemberg, Lacy und Rosenberg waren dem neuen Herrscher fremd oder fremd geworden. Niemand stand ihm zur Seite als Erzherzog Franz; erst später folgten ihm seine Frau und seine anderen Kinder nach Wien. „Ich fand alles in Unordnung“, schreibt er an seine Schwester Marie Christine; Niemandem könne er sich anvertrauen, [328] Niemand sei, der ihm rathen könne. Seit 10 Tagen arbeite er oft bis Mitternacht, so daß er schier den Schlaf verliere. Die Unruhen in Ungarn, den Abfall Belgiens, die Fortdauer des Türkenkrieges, die Ungewißheit im Verhältnisse zu Preußen, die Rückwirkungen der französischen Revolution, trat er als schlimme Erbschaft an. Aber L. zeigte bald, daß er der großen Aufgabe, die an ihn herantrat, gewachsen sei. Vor allem ließ er sich die Herstellung geordneter Zustände im Innern der Monarchie angelegen sein. Den hochgespannten Forderungen der Stände gegenüber zeigte er ebensoviel Klugheit als Festigkeit. Den josephinischen Gedanken der Staatseinheit ließ er fallen. Schon auf der Reise nach Wien versprach er den Ungarn die Wiederherstellung ihrer Verfassung. Ebenso bot er den Niederländern die volle Bestätigung ihrer Privilegien und eine allgemeine Amnestie an. In den Erblanden lebten die ständischen Verfassungen wieder auf. Die Landtage wurden allenthalben einberufen. Einzelne der verhaßtesten Neuerungen, namentlich das als unrichtig in der Bemessung erkannte josephinische Steuersystem wurden sofort abgeschafft, wodurch wieder das Feudalsystem nach dem Zustande von 1788 auflebte. Aber andererseits war L. keineswegs gesonnen, die unter Maria Theresia gewonnenen Grundlagen der Staatsgewalt preiszugeben. Es zeigen dies die Resolutionen über die vor ihn gebrachten Wünsche und Beschwerden der einzelnen Landtage. Was er bewilligte, waren einzelne thatsächliche Zugeständnisse; keineswegs aber ließ er sich zu der gehofften grundsätzlichen Anerkennung der ständischen Ansprüche herbei, wie etwa jener des böhmischen Landtages, der nichts geringeres als die gänzliche Aenderung des staatsrechtlichen Verhältnisses zur Dynastie in der Form eines „Vertrages“ zwischen Souverän und Volk herbeiführen wollte, oder wie jener der Krainer Stände, die ebenfalls von einem „Vertrage zwischen Fürst und Volk“ redeten. Gegenüber der Beschwerdeschrift der Tiroler wurde betont, daß dem Landesfürsten allein das Recht der Gesetzgebung zustehe. Den Ständen sei es gestattet, Erinnerungen vorzubringen, auf welche Rücksicht genommen werden solle. Aber auch diese Erlaubniß sei nur ein kaiserliches Gnadengeschenk. Andererseits zeigte sich die leopoldinische Regierung einer billigen Interessenvertretung des dritten Standes neben den „oberen“ Ständen auf den Landtagen (Steiermark) geneigt. – Auch im Verhältnisse zur Kirche wahrte L. die staatlichen Rechte. Zwar wurde dem Clerus manche Erleichterung von dem Staatszwange Josephs II. gewährt, die Generalseminarien verschwanden, einzelne Klöster erhielten ihre Güter zurück; aber vergebens hoffte der Clerus die volle Restitution der Klöster, die freie Verwaltung des Kirchenvermögens, die Loslösung von der staatlichen Oberaufsicht. – Auf dem Gebiete des Justizwesens wurden einige der anstößigsten Strafbestimmungen des josephinischen Gesetzbuches, wie die des Gassenkehrens und Schiffziehens und die des Anschmiedens abgeschafft. Ebenso wurde die Führung der verhaßten Conduitelisten der Justizbeamten eingestellt, und auch sonst wurden unter dem Einflusse des Staatsraths Freiherrn v. Martini manche der von Joseph II. durchgeführten Justizreformen mit Berücksichtigung der thatsächlich vorhandenen Uebelstände und Bedürfnisse modificirt.

Am 6. Septbr. 1791 fand zu Prag Leopolds Krönung zum König von Böhmen statt. Schwerer war es, in Ungarn geordnete Zustände herzustellen, wo die Unruhen preußischerseits insgeheim geschürt wurden. Zwei Momente sind schließlich auch hier L. zu statten gekommen: die Reichenbacher Verständigung mit Preußen, welche die hochfliegenden Hoffnungen der nationalen Heißsporne zu nichte machte und die antimagyarische Haltung der serbischen oder „illyrischen“ Nation, sowie die sich regende Gährung der ungarischen Bauern, welche die Regierung klug zu ihrem Vortheil auszunützen wußte. Auch hier zeigte sich L. zu Verhandlungen und Concessionen im einzelnen bereit. Sowie er aber selbst sich auf den Boden [329] der Verfassung stellte, so duldete er auch keine Abweichung von derselben, als über das Inauguraldiplom verhandelt wurde und seine Ausdauer wurde von dem besten Erfolge gekrönt. Sein gleichnamiger Sohn wurde einstimmig zum Palatin gewählt und am 15. Novbr. 1791 fand mit Zugrundelegung des Inauguraldiploms in seiner hergebrachten Form die Krönung statt. – In Leopolds Zeit fällt die Gründung der illyrischen und der siebenbürgischen Hofkanzlei und ebenso wurden Illyrien, Steiermark und Krain in mehrere kleinere Gubernien zerfällt, die Bukowina von Galizien, das Herzogthum Mantua von der Lombardei getrennt.

Die Bewältigung der belgischen Unruhen endlich gelang L. in Zusammenhang mit der Herstellung des Friedens nach außen. Der Türkenkrieg, den Joseph II. seit 1787 im Bunde mit der Czarin führte, hatte eine Allianz Preußens mit den Seemächten hervorgerufen, deren Zweck es war, die voraussichtlichen Eroberungen der kriegführenden Mächte zu verhindern. Polen war zum ersten Male getheilt, und da der tief erkrankte Staat allen angewandten Mitteln einer künstlichen Regeneration spottete, so war hier eine Katastrophe vorherzusehen, die Oesterreich nicht unvorbereitet treffen durfte. Nicht genug damit, erhob im Westen von Europa die französische Revolution gewaltig und drohend ihr Haupt; schon trieb der Sturm die ersten Keime ihrer Ideen in das benachbarte Belgien hinüber. L. hatte schon früher nicht selten die sich überstürzende äußere Politik Josephs getadelt. Besonders bedenklich schien ihm dessen Hingebung an die russische Politik und die Theilnahme am Türkenkrieg. L. trat die Regierung in Oesterreich mit dem festen Entschlusse an, den Eroberungsplänen seines Bruders zu entsagen, der Herstellung des Friedens, der in Hinblick auf die inneren Verhältnisse (Ungarn, Belgien) so dringend nöthig war, jedes billige Opfer zu bringen. Zwar setzte er mit rastlosem Nachdruck die Rüstungen fort, aber zugleich redete er der Czarin ins Gewissen, den Krieg mit der Pforte bald zu beenden, erklärte in London seine Absicht, auf jede große Eroberung türkischer Gebiete zu verzichten und richtete ein eigenhändiges Schreiben an den König Friedrich Wilhelm II. von Preußen, worin er den Wunsch gegenseitigen Vertrauens und guten Einvernehmens aussprach. Allerdings wurde Leopolds Friedensliebe durch die auf territoriale Erwerbung (Danzig und Thorn gegen Rückgabe Galiziens an Polen, und Entschädigung Oesterreichs auf Kosten der Pforte) gerichtete Politik Hertzberg’s, noch mehr durch die Kriegsgelüste Lucchesini’s und Friedrich Wilhelms selbst auf eine harte Probe gestellt. Aber L. wußte durch die äußerste Nachgiebigkeit die Tauschpläne Hertzberg’s zu beseitigen und seine Gegner zu entwaffnen. Im Juli 1790 kam der Reichenbacher Vertrag mit Preußen und den Seemächten zu Stande, in welchem Preußen die Tauschpläne fallen ließ, L. aber mit den Türken auf Grundlage des alten Besitzstandes zu unterhandeln, und sich von der ferneren Betheiligung an dem russisch-türkischen Kriege zurückzuziehen versprach. Der größte Gewinn, den L. aus dieser Uebereinkunft zog, bestand darin, daß durch dieselbe der ungarischen Bewegung der Nahrungsstoff entzogen wurde und daß er gegenüber Belgien freie Hand bekam. Denn Preußen und die Seemächte erklärten sich mit der Rückgewinnung der Niederlande für die österreichische Herrschaft unter der Bedingung verfassungsmäßiger Pacification einverstanden. Es war dies ein Erfolg, den L. immerhin mit dem Zugeständnisse erkaufen konnte, daß er neben der Garantie der Seemächte jene Preußens statt der des Deutschen Reiches annahm. Mit der Pforte wurde ein Waffenstillstand zu Giurgewo (19. September) geschlossen. Auch die Kaiserwahl Leopolds (30. September) vollzog sich jetzt ohne Schwierigkeit. Am 9. October fand die Kaiserkrönung in Frankfurt statt; im October der Congreß im Haag, der die Pacification der Niederlande vermitteln und gewissermaßen [330] überwachen sollte. Als aber das von diesem Congreß gebilligte Manifest Leopolds vom 14. October von dem belgischen Nationalcongreß zu Brüssel verworfen wurde, ließen die Mächte dem Kaiser freie Hand. General Bender rückte in die Niederlande ein. Die Generalstaaten und ihre Regierung lösten sich auf, die Führer der Revolution retteten sich durch die Flucht. Mit dem Einzuge der Oesterreicher in Brüssel (2. December) war die Revolution beendigt und Belgien wieder in der Gewalt seiner früheren Herrscher. L. benahm sich mit lobenswerther Mäßigung und widerrief die mißfälligen Edicte Josephs II., ohne freilich dadurch das in Parteien zerklüftete Land zufrieden stellen zu können. Mittlerweile waren die Friedensverhandlungen mit der Pforte zu Sistowa eröffnet worden, die sich aber in die Länge zogen, während die französische Revolution sich immer gefahrdrohender gestaltete. Leopolds Schwester, Marie Antoinette, war auf das äußerste bedrängt; eine Anzahl von im Elsaß begüterten Reichsfürsten hatte durch die Franzosen materielle Rechtsverletzung erlitten; die Emigranten riefen alle Höfe um Beistand an, die Jakobiner suchten die Bewohner der Grenzlande aufzuwiegeln. Dazu kam, daß L. sich von seinem bisherigen Verbündeten, Rußland, unabhängiger zu machen wünschte. Daher kam ihm der Wunsch des preußischen Königs nach einer Annäherung an Oesterreich höchst gelegen, so sehr auch Kaunitz seine warnende Stimme dagegen erheben mochte. L. empfing den Vertrauensmann Friedrich Wilhelms, den Obersten Bischoffswerder, der unter dem Namen eines Commissionsrathes Buschmann nach Wien kam, im Amalienhofe in geheimer Audienz (25. Febr. 1791).

Im Frühjahr 1791 reiste L. nach Italien, um seinen zweiten Sohn Ferdinand in die Herrschaft von Toskana einzuführen. Es kam ihm nicht in den Sinn, durch die Einverleibung Toscanas in die österreichische Monarchie die Verträge, durch welche dies Land an sein Haus gelangt war, zu verletzen. L. hatte, als er Toscana verließ, daselbst eine Regentschaft, an deren Spitze Serristori, zurückgelassen. In seiner Abwesenheit brachen Unruhen aus: zu Pistoja, wo Bischof Ricci vertrieben wurde, zu Livorno und zu Florenz, welche vorzugsweise durch die religiösen Neuerungen hervorgerufen wurden. Doch wurde noch vor Leopolds Ankunft in Florenz (8. April) die Ruhe wieder hergestellt. Schon früher erschien in der großherzoglichen Druckerei der Rechenschaftsbericht über Leopolds Verwaltung von Toscana (Governo della Toscana sotto il regno di S. M. il Re Leopoldo II.), welcher Necker’s berühmtem Compte rendu nachgebildet ist. Im übrigen fühlte sich L. diesmal in dem ihm rasch entfremdeten Lande nicht behaglich. „Gottlob“, schreibt er von Mailand aus, wohin er auf der Rückreise Anfangs Juni kam, an seine Schwester Marie Christine, „Gottlob, mein florentinisches Exil ist zu Ende“. In Florenz war Lord Elgin eingetroffen in der Absicht, L. zum Abschluß einer Allianz mit England zu bewegen. Er begleitete L. nach Mailand, wo sich auch Bischoffswerder einfand, um die bereits in Wien begonnenen Verhandlungen mit dem Kaiser fortzuführen. L. aber verzögerte anfangs die Antwort auf ihre Anträge, sowie auch den Friedensschluß mit der Pforte, da er mit Kaunitz die Besorgniß theilte, daß es von Seite seiner früheren Gegner nur auf seine Trennung von Rußland abgesehen sei. Da waren es die polnische Verfassungsänderung und die Flucht und Gefangennehmung des französischen Königspaares, welche ihm den Wunsch der Beendigung des Türkenkrieges und einer Verständigung mit Preußen und England nahe legen mußten.

L. hat die neue Verfassung Polens nicht nur anerkannt, sondern auch die anderen Mächte zu deren Anerkennung zu bewegen gesucht und namentlich die permanente Union Polens und Sachsens ins Auge gefaßt. Das innerlich consolidirte Polen wollte er für immer dem gefährlichen Einflusse Rußlands und Preußens entziehen. Dagegen ist die Annahme irrig, als habe er an der [331] Vorbereitung der polnischen Maiverfassung thätigen Antheil gehabt. Vielmehr wurde auch er von dem Staatsstreiche zu Warschau (3. Mai) überrascht. Ja er war sogar geneigt, in demselben ein Werk Preußens zu erblicken und auch sonst gestaltete sich in Folge der verzögerten, ja zeitweilig abgebrochenen Friedensverhandlungen mit der Pforte zu Sistowa das Verhältniß zwischen Oesterreich und Preußen noch einmal sehr bedenklich, als plötzlich wider Erwarten Bischoffswerder aus Mailand nach Berlin meldete, daß alles bereinigt sei, daß der Kaiser befohlen habe, zu Sistowa in preußisch-englischem Sinne abzuschließen und daß derselbe die vorgeschlagene Zusammenkunft mit dem preußischen Könige angenommen habe. Zu diesem unerwarteten Entschlusse bestimmte L. nicht nur die nachträglich gewonnene Ueberzeugung, daß Preußen mit dem polnischen Staatsstreiche nichts zu schaffen habe, sondern vor allem die fortschreitende Entwickelung der französischen Revolution und die bevorstehende Flucht Ludwigs XVI. L. hatte bisher und für solange als die Verwickelungen im Osten Europas seine Kräfte in Anspruch nahmen, seiner Schwester, der französischen Königin Maria Antoinette, jeden entscheidenden Schritt – namentlich eine heimliche Flucht – abgerathen und für Abwarten und Aufschub gestimmt. Graf Artois wurde mit seinem Hülfegesuche abgewiesen. So wie Kaunitz, hielt auch L. die dauernde Beschränkung der königlichen Gewalt in Frankreich und die Eindämmung der Fluthen der französischen Revolution im Interesse des europäischen Friedens für gleich wünschenswerth. Als das geeignetste Mittel hierzu betrachtete er die Schaffung eines haltbaren constitutionellen Zustandes in Frankreich mit ausreichender Autorität des Königs und breiten verfassungsmäßigen Rechten des Volkes. Wenn irgend möglich, sollte dieser Erfolg ohne Waffengewalt erzielt werden, namentlich ohne Abreißung französischer Grenzgebiete, um die über deren Vertheilung voraussichtlich entbrennenden europäischen Händel zu vermeiden. Daher kam L. auf den Plan eines großen europäischen Concerts, in welchem alle Mächte auf Frankreich einen moralischen, zugleich von militärischen Demonstrationen begleiteten Druck ausüben sollten. Da aber das Zustandekommen eines derartigen Concerts längere Zeit in Anspruch nahm, mahnte er seine Schwester zu Vorsicht und Geduld. Wol stellte er, als diese trotzdem bei ihrem Fluchtplane verharrte, und ihn um die Bereithaltung eines bewaffneten Corps an der Grenze bat, eine derartige Hülfe in Aussicht, aber seine Besorgnisse vermochte er auch jetzt nicht zu verbergen. Da erhielt er zu Padua die falsche Nachricht, daß Ludwig XVI. glücklich nach Metz entkommen sei; unmittelbar darauf traf die entgegengesetzte Botschaft von des Königs Gefangennehmung ein. Der Kaiser war tief erschüttert, blieb aber auch jetzt bei der früher entwickelten Meinung, daß nur das gesammte Europa mit Erfolg der Revolution entgegentreten könne und erließ am 6. Juli von Padua aus ein Rundschreiben an alle europäischen Souveräne, worin er sie aufforderte, sich gemeinsam der Sache Ludwigs XVI. anzunehmen. Zugleich wurde eine Erklärung an die französische Nationalversammlung aufgesetzt, welche jedoch nur von der persönlichen Sicherheit der königlichen Familie redete, und als diese in Paris keine unmittelbare Bedrohung erfuhr, gar nicht abgeschickt wurde. Um so größeren Werth aber gewann in den Augen Leopolds die bevorstehende Einigung mit Preußen. Denn so wenig auch jetzt noch L. zu einer Offensive gegen die französische Revolution geneigt war, immerhin war es von großer Bedeutung, sich nöthigenfalls die Mitwirkung Preußens zu sichern. In der That ließ sich Bischoffswerder, der den Kaiser nach Wien begleitete, gegen seine Instruction, die ihn anwies, dies nicht ohne nochmalige Anfrage in Berlin und nicht vor Abschluß des türkischen Friedens zu thun, zur Unterzeichnung eines vorläufigen Vertrages (25. Juli) bewegen, wobei sich Leopolds Ueberlegenheit über seinen Partner entschieden [332] geltend machte. Die beiden Höfe garantirten sich ihre Territorien, versprachen sich wechselseitig, kein ferneres Bündniß mit dritten Mächten ohne Vorwissen des neuen Genossen einzugehen, nichts gegen den Besitzstand und die Verfassung Polens zu unternehmen und in diesem Sinne auch auf Rußland einzuwirken. Beide Mächte sagten sich gegenseitig Hülfe zu, wenn die innere Ruhe in ihren Staaten gestört werden sollte, ein Punkt, der für Oesterreich in Hinblick auf Belgien und Ungarn äußerst werthvoll war. Endlich erklärten beide Höfe sich um die Herbeiführung des europäischen Concerts bezüglich Frankreichs bemühen zu wollen. Auch jetzt noch suchte L. den Bruch mit Frankreich sorgfältig zu vermeiden. Das europäische Concert lag in weitem Felde. England erklärte geradezu, in einem Kriege zwischen Oesterreich und Frankreich neutral bleiben zu wollen. Zwar war der Türkenkrieg zu Ende – am 5. August unterzeichnete Oesterreich den definitiven Frieden zu Sistowa, am 11. August Rußland die Präliminarien zu Galacz – und dies hatte die bis dahin ausgesetzte beiderseitige Ratification des Bischoffswerder’schen Vertrages zur Folge. Andererseits aber machte Katharina, des türkischen Krieges ledig, sofort wieder ihren Einfluß auf Polen mit höchstem Nachdruck geltend. Für sie lag kein Wunsch näher, als den Kaiser auf das gründlichste in die französischen Händel zu verwickeln und dadurch Polen seines mächtigsten Schutzes zu berauben; Grund genug für den scharfblickenden Kaiser, doppelt auf der Hut zu sein. Daher wurde der Graf von Artois, der sich damals unerwarteter Weise in Wien einfand, abermals abgewiesen, obwol er die Abtretung Lothringens anbot und ihm zwar die Erlaubniß ertheilt, den Kaiser zu dessen Zusammenkunft mit dem preußischen Könige nach Pillnitz zu begleiten, zugleich aber bedeutet, daß eine Aenderung des angenommenen Systems auch dort nicht erzielt werden würde. Und so geschah es in der That. Die Zusammenkunft zu Pillnitz fand vom 25.–27. Aug. 1791 statt. Der König und L. begegneten sich völlig in ihren Ansichten. Die Denkschrift, welche Artois den beiden Monarchen zu Pillnitz überreichte, fand deren Billigung nicht; in der gemeinsamen Antwort darauf wurde der allgemeine europäische Standpunkt nachdrücklich betont. Auch in der gemeinsamen Erklärung vom 27. August bezeichneten sie die französische als eine allgemeine europäische Frage und machten das von ihnen anzustrebende Einverständniß aller Souveräne zur Grundbedingung ihres eigenen Vorgehens gegen Frankreich. Auch sagten sich die Monarchen beiderseitige Beschützung der Reichsverfassung, Ermunterung des sächsischen Kurfürsten zur Annahme der polnischen Krone und enge Freundschaft nach allen Seiten zu. Dagegen ist es völlig unbegründet, wenn man behauptet hat, daß zu Pillnitz die erste Coalition zum Angriffe auf die französische Revolution gestiftet worden sei. Wie wenig dies der Fall war, zeigt die Hast, mit der sich L. die bald darnach erfolgte Annahme der Verfassung vom 14. September durch Ludwig XVI. zu nutze machte, um den Gegenstand des europäischen Concerts fürs erste als beseitigt zu erklären. Diesem Wunsche entsprach auch Leopolds Verhalten zur Mission des schwedischen Gesandten Fersen (vgl. Klingkowsström, Le comte de Fersen et la cour de France I, 9 ff.) und zu den Werbungen der Emigranten. Da war es die brausende Leidenschaft der Nationalversammlung, vor allem der Gironde, welche zuletzt den Kaiser zwang, auf ernstere Maßregeln, als auf das nebelhafte Concert der Mächte bedacht zu sein. Auf die Drohungen der Nationalversammlung gegen den Kurfürsten von Trier forderte er zwar diesen zur Auflösung des auf seinem Gebiete sich sammelnden Emigrantenheeres auf, ratificirte aber zugleich das Reichstagsconclusum über die Elsässer Fürstenrechte und erklärte in einer Note vom 21. December an Frankreich, daß er als Reichsoberhaupt eine bewaffnete Verletzung der Grenze nicht zulassen könne und daher für diesen Fall dem Feldmarschall [333] Bender befohlen habe, dem Kurfürsten mit den niederländischen Truppen Hülfe zu bringen. Vor allem aber vollzog er unter dem Eindrucke jener Drohungen am 7. Februar 1792 den Allianzvertrag mit Preußen. Aber auch jetzt wiegte sich der Kaiser noch immer in der Hoffnung, durch diplomatische Mittel den Sturm zu beschwichtigen. Er wünschte nun jenes europäische Concert wirklich herbeizuführen, aber er bot die größte Vorsicht auf, um den Krieg mit Frankreich, falls derselbe unvermeidlich werden sollte, des Charakters der Vertheidigung nicht zu entkleiden. Aber Leopolds Bemühungen blieben wirkungslos. Dem Ultimatum der Nationalversammlung vom 25. Januar folgte die österreichische Gegennote vom 17. Februar. Am 20. April erfolgte die Kriegserklärung Frankreichs. L. hat dieselbe nicht erlebt. An demselben Tage (1. März), da die letzte kaiserliche Note in der Nationalversammlung verlesen wurde, starb Kaiser L. rasch und unerwartet. Seine Gemahlin folgte ihm wenige Wochen später (15. Mai) in den Tod. Sie hatte ihm 16 Kinder geboren, von denen nur zwei vor den Eltern starben: die Erzherzoge Franz (später Kaiser), Ferdinand (Nachfolger seines Vaters in Toscana), Karl, Leopold, Albrecht († 1773), Maximilian († 1778), Joseph, Anton, Rainer, Ludwig und Rudolf und die Erzherzoginnen Maria Theresia (spätere Königin von Sachsen), Maria Anna, Clementine (später Gemahlin Franz’ I., Königs von Sicilien) und Amalie. Ein marmorenes Grabdenkmal Leopolds von Zauner befindet sich in der Augustinerkirche in Wien. Porträt: von Battoni (zusammen mit Joseph II. aus Anlaß ihrer Zusammenkunft in Rom 1769).

Um Leopolds Persönlichkeit richtig zu würdigen, dürfte es sich empfehlen, dessen Thätigkeit in Toscana und dessen Wirken als deutscher Kaiser und österreichischer Regent gesondert zu betrachten. Nicht nur der verschiedene Umfang der beiden Wirkungskreise, sondern noch mehr die verschiedene Aufgabe, welche L. hier und dort zu lösen hatte, fordert zu dieser Unterscheidung auf. Ueber sein Wirken in Toscana stimmen die Ansichten so ziemlich überein. Die Reformen, welche seine 25jährige Regierung in Toscana erfüllten, zeigen ihn uns durchaus beeinflußt von den herrschenden Ideen der Zeit, und erinnern vielfach an die gleichen Bestrebungen seines Bruders Joseph, die er sogar noch weiter als dieser und consequenter ausgebildet hat. Wenn daher Leopolds Regierung in Toscana hier begeisterte Lobredner fand, dort heftige Angriffe erfuhr, so hängt dies lediglich von dem Maßstabe ab, den man an die Ideen des 18. Jahrhunderts anlegt. Allein bei näherer Betrachtung läßt sich in den politischen Principien Leopolds und Josephs II. ein bedeutender Unterschied nicht verkennen. „Der Liberalismus Josephs“, bemerkt Ranke treffend, „war von einer politisch-imperialistischen Natur, der Liberalismus Leopolds hatte eine constitutionelle Färbung“. L. hatte allerdings auch in Toscana als absoluter Herrscher regiert, weil es an einer Vertretung des Volkes in jenem Lande überhaupt fehlte. Aber er hatte, wie uns einer seiner vertrauten Räthe, Gianni, versichert, die Absicht, die von ihm daselbst durchgeführten Reformen durch die Einführung einer ganz auf modernen Grundsätzen fußenden Verfassung zu krönen und in der That hat sich ein derartiger Entwurf noch erhalten. „Es ist ein Glück“, schreibt er an seine Schwester Marie Christine, „wenn ein Land Stände und eine Constitution besitzt, an welcher das Volk hängt. In einem solchen Lande bestehen zwischen Herrscher und Volk gegenseitige Verbindlichkeiten, die nur durch Uebereinkommen abgeändert werden können“. In directem Gegensatze zu Josephs Regierungsmaximen setzt L. hinzu, es sei nicht ersprießlich, dem Volke das Gute aufzuzwingen, wenn es nicht selbst von dessen Nützlichkeit überzeugt sei. Am schärfsten aber hat L. seine politischen Gesinnungen in jenem Briefe an seine Schwester Marie [334] vom 25. Januar 1790 ausgesprochen, den er ausdrücklich als sein „Glaubensbekenntniß“ bezeichnet. „Ich glaube“, sagt er, „daß der Souverän, selbst ein erblicher, nur der Delegirte und Beauftragte des Volkes sei, für welches er da ist, um ihm alle seine Sorge und Arbeit zu widmen. Ich glaube, daß jedes Land ein Grundgesetz oder einen Vertrag zwischen Volk und Souverän haben soll, welcher die Macht des letzteren beschränkt; daß, wenn der Souverän dieses Gesetz nicht hält, er thatsächlich auf seine Stelle verzichtet, welche ihm nur unter der Bedingung übertragen ist, und daß man ihm zu gehorchen nicht mehr verpflichtet ist. Ich glaube, daß die ausübende Gewalt dem Souverän, die gesetzgebende aber dem Volke und seinen Repräsentanten zusteht und daß dieses bei jedem Wechsel des Souveräns neue Bedingungen hinzufügen kann. Ich glaube, daß der Souverän weder direct noch indirect in die Civil- und Criminalgerichtsbarkeit sich einmischen soll, daß er dem Volke jährlich genaue Rechnung über die Verwendung der öffentlichen Einkünfte und die Finanzen schuldig ist, daß er nicht das Recht hat, eigenmächtig irgendwelche Steuern und Abgaben aufzulegen, sondern daß dieses Recht nur dem Volke zusteht, nachdem ihm der Souverän die Bedürfnisse des Staates auseinandergesetzt und das Volk sie durch seine Vertreter gerecht und billig gefunden hat, und daß diese sie nur nach Anerkennung des Bedürfnisses als Subsidien für ein Jahr bewilligen und die weitere Forterhebung nur dann gestatten können, wenn der Souverän über ihre Verwendung eine genaue, detaillirte und befriedigende Rechnung gelegt hat. Ich glaube, daß der Souverän für alle Aenderungen des Systems, für neue Gesetze, Pensionen und Geschenke vor ihrer Veröffentlichung die Bewilligung einholen soll, daß die Verordnungen des Souveräns nur nach der Zustimmung der Stände Gesetzeskraft erlangen und zum Gehorsam verpflichten, daß das Militär nur zur Vertheidigung des Landes und nie gegen das Volk verwendet werden solle, daß Niemand verhaftet und abgeurtheilt werden dürfe, als auf einen Befehl der ordentlichen Richter und nach den gewöhnlichen Formen, nie aber auf Grund eines willkürlichen Befehles und ginge er auch vom Souveräne aus. Ich glaube endlich, daß der Souverän nur durch das Gesetz regieren soll und daß dessen Constituenten das Volk sind, welches nie eines unverjährbaren natürlichen Rechtes durch Verjährung oder eine stillschweigende oder erzwungene Zustimmung beraubt werden konnte, eines Rechtes, gegen welches es zugestimmt hat, einen Souverän zu haben, d. h. ihm einen Vorrang einzuräumen, um sein Glück und Wohl zu begründen, nicht wie er will, sondern wie das Volk will, denn der einzige Zweck der Gesellschaften und Regierungen ist das Glück der Individuen.“ – Trotz seiner liberalen Grundsätze und seiner wohlwollenden Gesinnung war L. in Toscana nicht beliebt und er selbst fühlte sich in seinem Lande keineswegs glücklich. Er theilte hierin das Schicksal aller Begründer neuer Dynastien. Erst sein Sohn und Nachfolger Ferdinand, der im Lande selbst geboren war, genoß die ihm vorenthaltene Popularität. Nicht so übereinstimmend, wie über Leopolds Walten in Toscana lauten die Urtheile über seine Regierung in Oesterreich. Da er sich hier gleich anfangs zur Zurücknahme einer Reihe von Maßregeln seines Bruders gezwungen sah, andererseits den weitgehenden Ansprüchen der Stände vielfach entgegentrat, so hat man bald seine Regierung in Oesterreich unter den Gesichtspunkt einer Restauration, ja Reaction gegen den Josephinismus gebracht, bald wieder derselben eine noch weit über Josephs Absichten hinaus gehende Richtung auf Beschränkung der ständischen Rechte imputirt. Nun wird die richtige Würdigung der Regierung Leopolds ins Oesterreich allerdings durch deren kurze Dauer erschwert; immerhin aber vollzogen sich binnen der zwei Jahre seiner österreichischen Regentschaft auch im Innern so viele und bedeutsame Umgestaltungen, daß man an Hand derselben über die eigentlichen [335] Ziele seines Wirkens nicht leicht irre gehen kann. Wol darf man im allgemeinen annehmen, daß der weitere Verlauf der französischen Revolution den gelehrigen Schüler Locke’s über die letzten Consequenzen seines eigenen Systems hier und da bedenklich stimmen mochte; aber gerade seine constitutionellen Ueberzeugungen mußten ihn ebenso sehr vor reactionären Gesinnungen, als vor den josephinischen Experimenten auf dem Gebiete des Einheitsstaates bewahren. Die Anschauungen, welche er in dem am 17. Februar 1791 den Statthaltern der Niederlande und später den Generalstaaten selbst übersendeten Memoire entwickelte, entsprachen vollkommen dem oben mitgetheilten „Glaubensbekenntnisse“; ausdrücklich erklärt L., daß er die josephinischen Angriffe auf die Verfassung des Landes mißbilligt habe, ausdrücklich erkennt er an, daß nach der joyeuse entrée der Souverän seiner Hoheitsrechte verlustig gehe, wenn er den geschworenen Vertrag nicht halte. Und auch in den alten Erblanden zeigte er sich in einzelnen Punkten nachgiebig gegenüber den Gegnern der josephinischen Reformen. Ueberall aber hält er an dem Principe der Staatshoheit fest, nirgends geht er über die theresianische Epoche zurück. Zwischen dieser und den Reformen seines Bruders sucht er zu vermitteln und seine Regierung ist eben darum, trotz ihrer kurzen Dauer für Oesterreich so wichtig; die Zustände, die sich am Ende seiner Regierung ausgebildet hatten, sind in mehr als einer Beziehung die Grundlage für jenes Regierungssystem geworden, welches von 1792–1848 in Oesterreich bestanden hat. Obgleich selbst Theoretiker, ermaß er doch theils aus innerer Ueberzeugung, theils aus den trüben Erfahrungen seines Bruders die Nachtheile einer auf bloßer Theorie aufgebauten Gesetzgebung und es ist daher nicht richtig, wenn man ihn als den Fürsten hingestellt hat, unter welchem die Axt an die Wurzel des Ständelebens in Oesterreich gelegt worden sei, das er vielmehr, wie aus den mannigfachen Verhandlungen mit den Landtagen hervorgeht, namentlich durch die Begünstigung des dritten Standes zu regeneriren, zeitgemäß umzugestalten und zu einer den gegebenen Verhältnissen entsprechenden Theilnahme an dem Gesetzgebungswerke befähigen wollte. – Leopolds äußere Politik haben wir bereits oben in ihren Grundzügen kennen gelernt. Auch in ihr kam sein durchaus maßvolles, jeder kriegerischen Verwickelung abgeneigtes und auf die Erhaltung des Weltfriedens und des europäischen Gleichgewichtes gerichtetes Wesen zu vollem Ausdrucke. Sie war conservativ im besten Sinne des Wortes, und wenn man sie gelegentlich als „gewunden“, „proteusartig“ bezeichnet hat, so dürfte die Erklärung dieser wechselnden Strömungen nicht in der angeblich macchiavellistischen Routine Leopolds, sondern vielmehr in dem Gegensatze und in dem Verhältnisse des Kaisers zu seinen Ministern, namentlich dem Staatskanzler Kaunitz, zu suchen sein, mit welchem er in der Auffassung der französischen Angelegenheiten vollkommen übereinstimmte, ohne dagegen dessen Warnungen vor Preußens Politik Gehör zu schenken. Und so ist denn als die wichtigste und zugleich ganz aus Leopolds Initiative hervorgegangene That seiner Regierung nach außen der Allianzvertrag mit Preußen zu bezeichnen, den sein jugendlicher Nachfolger als folgenschwere Erbschaft übernahm.

Ueber Leopolds Jugendzeit: A. R. v. Arneth, Briefe der Kaiserin Maria Theresia an ihre Kinder und Freunde, I. u. IV. und desselben Geschichte Maria Theresia’s (namentlich 7. Bd.). Ueber Leopolds Regierung in Toscana: A. Zobi, Storia civile di Toscana, T. II. – A. v. Reumont, Gesch. Toscanas. Zweiter Theil, S. 79 ff. – A. v. Reumont, Giuseppe II., Pietro Leopoldo e la Toscana (Archivio storico italiano. Seria III. tom. XXIV). G. Capponi, Storia di Pietro Leopoldo (Scritti editi e inediti di Gino Capponi per cura di M. Tabarrini, II, Firenze 1877). – Ferd. Hirsch, Leopold II. als Großherzog von Toscana (Sybel’s Hist. Ztschr., XL.). – K. Hillebrand, Ein fürstlicher Reformator in: Zeiten, Völker u. Menschen IV, 1878. – Briefe von u. [336] an Leopold in: v. Arneth, Maria Theresia und Joseph II., 3 Bde. – Derselbe, Joseph II. und Leopold von Toscana, 2 Bde. – Derselbe, Maria Antoinette, Joseph II. und Leopold II. – Adam Wolf, Leopold II. und Marie Christine. – A. Beer, Joseph II., Leopold II. und Kaunitz, Wien 1873. – Derselbe, Leopold II., Franz II. und Katharina, nebst einer Einleitung: Z. Gesch. d. Politik Leopolds II., Leipz. 1874, mit einem Anhange: Aus der Correspondenz Leopolds II. mit Christine. – Actenstücke aus seiner Regierungszeit in Oesterreich in Vivenot, Quellen zur Geschichte der deutschen Kaiserpolitik Oesterreichs. – Ueber L.’s Regierung in Oesterreich: Adam Wolf, Marie Christine, Erzherzogin von Oesterreich, 2. Bd. – E. Herrmann, Russische Geschichte, 6. Bd., nebst Ergänzungsband. – v. Sybel (dem das Verdienst gebührt, Leopolds Persönlichkeit zuerst gerecht geworden zu sein), Gesch. d. Revolutionszeit, und dessen Vortrag in der Münchener Akademie v. 15. Decbr. 1860: Kaiser Leopold II. Gegen Ernst Herrmann. – Herrmann, Die österr.-preuß. Allianz v. 7. Febr. 1792 u. d. zweite Theilung Polens. Eine Streitschrift gegen Prof. H. v. Sybel, Gotha 1861. – v. Sybel, Kaiser Leopold II. (Hist. Ztschr., X.). – Herrmann, Zur Geschichte der Wiener Convention vom 25. Juli 1791 u. der österr.-preuß. Allianz vom 7. Febr. 1792 (Forschungen z. deutschen Geschichte, 5. Bd.). – v. Sybel, Noch einmal über Leopold II. gegen E. Herrmann (Hist. Ztschr., XII.). – Derselbe, Polens Untergang u. der Revolutionskrieg (Hist. Ztschr., XXIII.). – A. Beer, Analecten z. Geschichte der Revolutionszeit (Hist. Ztschr., XXVII.). – Derselbe, Leopold II., Franz II. und Katharina (s. o.). – v. Ranke, Die deutschen Mächte und der Fürstenbund (Werke, 32. Bd.). – Derselbe, Ursprung und Beginn der Revolutionskriege, Leipzig 1875. – Alfons Huber, Die Politik Kaiser Josephs II., beurtheilt von seinem Bruder Leopold von Toscana, Innsbruck 1877. – Langwerth v. Simmern, Oesterreich und das Reich im Kampfe mit der französischen Revolution, 1. Bd., Berlin u. Leipzig 1880. – Für Belgien: Ad. Borgnet. Histoire des Belges à la fin du dix-huitième siècle, 2 Bde., Bruxelles 1844 (vgl. F. Liebrecht, Zur Geschichte Belgiens, in der Hist. Ztschr., VIII.). – Für die innere Geschichte Oesterreichs unter Leopold II., Beidtel, in den Sitzungsberichten der Wiener Akademie, Bd. VII, IX, XI. – Actenstücke zur Geschichte des österr. römisch-katholischen Kirchenwesens unter Kaiser Leopold II. (1790) im Archiv f. Kunde österreich. Geschichtsquellen, 4. Bd. – Sebastian Brunner, Die Mysterien der Aufklärung in Oesterreich, Mainz 1869. – Hock-Bidermann, Der österr. Staatsrath. – H. J. Bidermann, Die Verfassungskrisis in Steiermark zur Zeit der ersten französischen Revolution (21. Heft der Mittheilungen des histor. Vereins für Steiermark). – Cölestin Stampfer, Reise zweier Bozener Bauern nach Wien 1792 zur Rettung der Mendikantenklöster in Tirol (Archiv f. Gesch. u. Alterth. Tirols, II.). – A. Dimitz, Gesch. Krains, 4. Thl., 235 ff. – Reaction gegen den Josephinismus unter Kaiser Leopold II. in Tirol (Geschichtsfreund 1866). – Zieglauer, Die politische Reformbewegung in Siebenbürgen zur Zeit Josephs II. u. Leopolds II., Wien 1881.