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Artikel „Reumont, Alfred von“ von Hermann Hüffer in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 28 (1889), S. 284–294, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Reumont,_Alfred_von&oldid=- (Version vom 5. Oktober 2024, 12:47 Uhr UTC)
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Reumont: Alfred v. R., preußischer wirklicher Geheimrath, geboren am 15. August 1808, † am 27. April 1887 zu Aachen. Die Familie Reumont stammte aus Belgien, aus der Lütticher Hesbaye, war aber um die Mitte des 18. Jahrhunderts nach Aachen übergesiedelt. Hier wurde Gerhard R., der Vater Alfred’s, 1765 geboren. Ein Mann von aufgewecktem, regsamen Geiste, hat er durch persönliche Eigenschaften und Erlebnisse auf den Sohn weitgehenden Einfluß ausgeübt. Zu Ende der 80er Jahre studirte er Medicin an der neugestifteten Universität Bonn, wo er in den vorzüglichsten Lehrern, Rougemont, Ginetti, Wurzer, Gönner und Freunde fand und seine Neigung zur schönen Litteratur im Umgang mit Fischenich und dem damals noch viel gerühmten Eulogius Schneider befriedigen konnte. Aber Wissensdrang und Wanderlust führten ihn in weitere Ferne. Mit guten Empfehlungen ausgestattet, zog er im Frühling 1791 nach Paris, wurde durch Vermittelung des Directors des Hôtel-Dieu, Pierre Joseph Desault, Hülfsarzt an diesem großen Hospital und begab sich beim Ausbruch des Krieges 1792 nach Schottland, wo er in Edinburg promovirte und zahlreiche Verbindungen anknüpfte. Am Sylvesterabend 1793 kam er nach Aachen zurück. Im Herbst des folgenden Jahres fiel die Stadt auf zwei Jahrzehnte in französische Gewalt; aber trotz des Krieges blieb R. in Verbindung mit England. Er wurde Mitglied gelehrter Gesellschaften und bei einer zweiten Reise nach London im J. 1800 der Freund und eifrige Anhänger Eduard Jenner’s, so sehr, daß er auf dem Rückwege zu Paris im Institut in Anwesenheit Bonaparte’s einen Vortrag über die Pockenimpfung hielt und am 17. April 1801 zuerst in den Rheinlanden an einem Vetter Richard die neue, bald allgemein verordnete Operation vollzog. 1805 wurde er Badeinspector, behandelte auch die Kaiserin Josephine und andere Mitglieder der kaiserlichen Familie, die zum Gebrauche der Bäder nach Aachen kamen. Bei alledem blieb sein Herz dem französischen Wesen fremd, und als ihm aus einer 1807 mit Lambertine Kraussen geschlossenen Ehe am 15. August, dem Napoleonstage, der erste Knabe geboren wurde, gab er ihm nicht, wie es nahe gelegen hätte, den Namen des französischen Kaisers, sondern Alfred’s, des großen Königs von England.

Der Sohn, von schwächlichen Körper, aber geistig rasch entwickelt, zeigte schon auf dem Gymnasium 1821–24 entschiedene Neigung für historische und litterarische Studien. Ein alter Freund des Vaters, Lord Guilford, der sich durch die Gründung einer griechischen Universität in Corfu einen Namen gemacht hatte, wollte ihn schon als 16jährigen Jüngling an die neue Anstalt bringen und für sein späteres Fortkommen sorgen; aber die Schwierigkeit, damals während des Aufstandes einen Paß nach Griechenland zu erhalten, vereitelte den Plan. Alfred blieb, nachdem er das Gymnasium durchgemacht, im Hause des Vaters und befriedigte seinen Wissensdurst durch eine mehr eifrig, als planmäßig betriebene Lectüre französischer und deutscher Poeten, historischer und geographischer Werke, unter denen besonders Reisebeschreibungen ihn anzogen. Als im J. 1825 ein junger Schriftsteller, J. B. Rousseau, in Aachen zum ersten Mal eine litterarische Zeitschrift, die „Rheinische Flora“, herausgab, gehörte R. bald zu seinen Freunden und Mitarbeitern. Im Herbst 1826 bezog er die Universität Bonn; am liebsten hätte er Geschichte und Philologie studirt, aber der Vater, der den talentvollen Sohn als Gehülfen wünschte, bestimmte ihn, der Medicin sich zuzuwenden. Die Folge war eine wenig förderliche Zwitterstellung, da neben dem Fachstudium die Lieblingswissenschaft schon in Bonn und noch mehr während des zweiten Universitätsjahres in Heidelberg 1827–28 eifrig betrieben wurde. In dem Hause des Historikers Christoph Schlosser fand R. die freundlichste [285] Aufnahme, wurde, obgleich nicht Fachgenosse, zu den historischen Uebungen zugezogen und insbesondere auf das Studium Dante’s hingewiesen.

Auf einer Wanderung in die Heimath begriffen, erhielt er ganz unerwartet zu Bonn die Nachricht, daß sein Vater am 27. August gestorben sei. Die Wittwe mit sechs unversorgten Kindern befand sich ohne Vermögen in der schwierigsten Lage; für Alfred fehlten sogar die Mittel, das Universitätsstudium fortzusetzen; Privatunterricht in befreundeten Häusern brachte nur kärglichen Gewinn. Und doch war dieser Todesfall, der ihm stets in schmerzlicher Erinnerung blieb, für seine Entwickelung eher förderlich als ein Nachtheil. Hätte er den Vater behalten, so wäre er aller Voraussicht nach ein mittelmäßiger Arzt und daneben ein mittelmäßiger Litterat geworden. Jetzt war er in den Stand gesetzt, ja genöthigt, seine Lieblingsneigungen zum Lebensberufe zu machen, und bald eröffnete sich eine glückliche Aussicht. Ein Freund seines Vaters, William Craufurd, empfahl den bedrängten jungen Mann einem in Florenz lebenden Bruder als Hauslehrer, stellte auch die Mittel für die Reise zur Verfügung, und am 5. December 1829 traf R. in der Arnostadt ein. Eine neue Welt that sich vor ihm auf. Die Stellung im Craufurd’schen Hause entsprach den Erwartungen, konnte aber gleichwohl bald mit einer noch günstigeren vertauscht werden. Infolge eigenthümlicher Verhältnisse war die preußische Gesandtschaft zu Florenz ohne ständigen Legationssecretär; R. erhielt den Antrag, in die Dienste des Gesandten Friedrich v. Martens zu treten, und seine Einwilligung konnte nicht lange zweifelhaft sein. Die Persönlichkeit des neuen Vorgesetzten war allerdings nicht gerade gewinnend; aber R. rühmt seine Geschäftskenntniß und gesteht, daß er viel von ihm gelernt habe. Auch die amtliche Stellung, wenngleich ohne öffentlichen Charakter, bot für einen jungen Mann gerade von Reumont’s Eigenschaften unschätzbare Vortheile, insbesondere die Gelegenheit, sich mit den Zuständen des ihm bald so theuren toskanischen Landes vertraut zu machen und durch den Umgang mit bedeutenden Männern Kenntnisse und Lebenserfahrung zu erweitern. So machte er schon im Mai 1830 die Bekanntschaft Leopold Ranke’s, im September des folgenden Jahres begann eine gleichfalls für das Leben dauernde Freundschaft mit Karl Witte. Martens selbst hatte ihn zu dem Buchhändler Vieusseux geführt, dessen berühmtes Lesecabinet der Mittelpunkt eines Kreises von Gelehrten und Politikern geworden war, unter denen insbesondere der Marchese Gino Capponi durch den Adel der uralten Familie, reichen Besitz, ausgebreitete Kenntnisse und die edelsten Eigenschaften des Charakters sich hervorthat. Es war ein besonderes Glück für R., daß er zu diesem ausgezeichneten Manne alsbald in nähere Beziehung trat und durch ihn auch mit Niccolini, Giusti, Savagnoli, Ridolfi, Capei, Galeotti und anderen Freunden seines Freundes bekannt wurde.

Im October 1832 begleitete R. Herrn v. Martens, der zum Gesandten in Constantinopel ernannt war, auf seinen neuen Posten und erlebte in der türkischen Hauptstadt die unruhig bewegte Zeit des Krieges zwischen Mahmud II. und Mehmed Ali. Im Sommer 1833 kehrte er, dem preußischen Ministerum bereits wohl empfohlen, über Griechenland und die jonischen Inseln nach Florenz zurück, um bei dem Grafen Karl Schaffgotsch dieselbe Stellung wie bei dessen Vorgänger zu übernehmen. Reumont’s wissenschaftliche Bestrebungen hatten mittlerweile nicht gestockt; in Erlangen war er am 3. Mai 1833 zum Doctor der Philosophie promovirt. Die alte historische Gesellschaft Columbaria in Florenz hatte ihn auf den Antrag ihres Präsidenten Gino Capponi schon am 18. Februar desselben Jahres zum Mitglied erwählt, und als er im October an den Arno zurückkehrte, fand er die freundlichste Aufnahme. Vor allen [286] wandte Capponi dem jungen Deutschen seine Theilnahme zu; der Marchese erkannte mit richtigem Blick die Vortheile einer geistigen Verbindung Italiens mit Deutschland und in R. den geeigneten Mann, sie zu fördern. Mit bestem Erfolg wußte R. so günstige Verhältnisse zu benutzen; er hat damals, wie er selbst schreibt, „den Grund zu den Studien gelegt, denen ein bedeutender Theil seines späteren Lebens gewidmet war“. An Welt- und Menschenkenntniß unendlich bereichert, begab er sich im Frühling 1835 nach Berlin, wo er am 28. Juni eine Anstellung im Ministerium des Auswärtigen erhielt und nach einem in Belgien und in der Heimath verlebten Urlaube den Winter zubrachte. Auch hier kam man freundlich ihm entgegen. Der Minister des Auswärtigen, Friedrich Ancillon, zog ihn in sein Haus und machte ihn mit Personen bekannt, die mit der kronprinzlichen Familie in näherer Verbindung standen. So geschah es, daß R. am 10 Januar 1836 zu einer Audienz bei dem Kronprinzen beschieden wurde. Er überreichte zwei nicht lange vorher von ihm herausgegebene Schriften: „Das Leben Andreas’s del Sarto“ und die „Reiseschilderungen und Umrisse aus südlichen Gegenden“, welche sich zugleich über Toscana wie über Constantinopel und Griechenland verbreiteten. Diese Schriften boten den nächsten Stoff der Unterhaltung, welche somit bei der ersten Begegnung das berührte, was in späteren Zeiten den Lieblingsgegenstand derselben gebildet hat. „Ich habe allen Grund, mit meiner Audienz zufrieden zu sein“, so schrieb R. in sein Tagebuch, und er hatte Recht. Gleichwohl war sie, wie die erste, auch für lange Zeit die letzte. Im Frühling 1836 wurde er zum Geheimen expedirenden Secretär im Auswärtigen Amte ernannt und Mitte Juni nach Italien zurückgesendet mit der Bestimmung, der Mission in Florenz beigegeben zu bleiben. Aber die Geschäfte waren hier von geringem Belang. Graf Schaffgotsch hatte längeren Urlaub erhalten, und R. wurde gestattet, die Rückkehr seines Vorgesetzten in Rom zu erwarten. Mit dem dortigen Gesandten, Josias Bunsen, war er schon von früher her bekannt, wurde von ihm, als die Geschäfte es wünschenswerth erscheinen ließen, zur Betheiligung herangezogen und verblieb in dieser provisorischen Stellung nicht weniger als zwei Jahre. So hat er auch den Streit, welcher durch die Frage der gemischten Ehen und die Wegführung des Erzbischofs Clemens August von Köln herbeigeführt war, in dem Brennpunkte mit durchlebt. Seine Stellung war um so bedeutender, als der Legationssecretär v. Usedom im Frühling 1837 Rom verließ; bald nachdem der Nachfolger desselben, der Legationsrath v. Buch, dort eingetroffen war, begab sich Bunsen selbst nach Berlin. Als er kurz vor Weihnachten zurückkehrte, war die Katastrophe in Deutschland bereits erfolgt, und bald erfolgte auch in Rom der Abbruch der Verhandlungen. Am 28. April 1838 verließ der Gesandte auf immer die ewige Stadt; wenige Tage später begab sich auch R. nach Florenz, um sein eigentliches Amt anzutreten. Aber schon im Herbst 1839 wurde er an Stelle des Legationssecretärs v. Thile nochmals der römischen Gesandtschaft zugetheilt, an deren Spitze nunmehr Herr v. Buch den bescheidenen Titel eines Geschäftsträgers führte. Mit diesem bereits aus der Aachner Jugendzeit ihm befreundeten Manne stand R. im besten Einvernehmen, nicht weniger mit dem Grafen Brühl, der von 1840 bis 1841 im besonderen Auftrage Friedrich Wilhelm’s IV. die Herstellung guter Beziehungen zwischen Preußen und dem päpstlichen Stuhle anbahnte; bis zum Juni 1843 hat er die Geschäfte des Legationssecretärs in Händen gehabt.

Soweit seine Stellung es ermöglichte, wirkte er, ohne den Rechten des Staates etwas zu vergeben, für Annäherung und Versöhnung, man darf sagen, in dem Sinne Friedrich Wilhelm’s IV. Daneben tritt schon jetzt seine litterarische Thätigkeit, ja seine vermittelnde Stellung zwischen Deutschland und [287] Italien hervor. Die Audienz vom 10. Januar 1836 hatte ihre Früchte getragen. Nicht lange nach der Ankunft in Rom erhielt R. von dem Kronprinzen den Auftrag, über die wichtigsten Erscheinungen der italienischen Litteratur und Kunst regelmäßigen Bericht zu erstatten, und in vorzüglicher Weise hat er bis in späte Jahre diesen Auftrag ausgeführt. Nach einem von Karl Hillebrand nachmals wieder aufgenommenen Plane ließ er 1838 zu Berlin den ersten, 1840 den zweiten Band eines Jahrbuchs „Italia“ erscheinen, den ersteren mit Beiträgen von A. Hagen, Kopisch, Heinrich Leo, C. Fr. v. Rumohr, Karl Witte, Emanuel Geibel u. A., die sich laut der aus Frascati vom 23. Juli 1837 datirten Vorrede „in der Liebe zu Italien vereinigten“. Es folgten zahlreiche kleinere Aufsätze in italienischen Blättern und 1841, zur Zeit der glänzenden Florentiner Gelehrtenversammlung ein Quartband unter dem Titel: „Tavole cronologiche e sincrone della storia fiorentina“, eine Uebersicht der Florentiner Geschichte mit genauer Berücksichtigung von Litteratur und Kunst bis zur Gegenwart in Tabellenform. Recht eigentlich dem Deutschen, der sich in Italien aufhalten wollte, dienten die „Römischen Briefe von einem Florentiner“ (4 Bde. Leipzig 1840–44), ein Werk, das nicht allein über Litteratur und Kunst, sondern auch über das soziale und politische Leben, die Lage des Volkes, die Familien des großen grundbesitzenden Adels eine Fülle ebenso wichtiger als zuverlässiger Nachrichten enthält.

Reumont’s Ansehen als Kunstkenner war um diese Zeit schon so hoch gestiegen, daß ihm die durch den Tod Ludwigs v. Schorn erledigte Stelle eines Directors der Kunstsammlungen in Weimar angeboten wurde; aber eigene Neigung und der Wunsch des Königs hielten ihn im preußischen Dienst zurück. Man übertrug ihm eine dem Range des Legationssecretärs entsprechende Stellung in der politischen Abtheilung des auswärtigen Ministeriums; zugleich sollte er im Cabinet des Königs Verwendung finden. Im Juni 1843 kehrte er infolge dessen nach Berlin zurück, und nachdem er noch einen Urlaub benutzt hatte, um in Schottland alte Freunde seines Vaters aufzusuchen, war er Ende der ersten Septemberwoche wieder in der preußischen Hauptstadt. Zu einer günstigeren Zeit hätte er nicht eintreffen können: man kennt die Anregungen, welche Friedrich Wilhelm IV. dem Leben und der Gesellschaft Berlins gegeben hatte; welche Gelegenheit für R., die in Italien erworbenen Kenntnisse und Anschauungen zur Geltung zu bringen! Bei seiner Ankunft war der Hof noch abwesend; aber von Alexander v. Humboldt wurde er im Schlosse zu Potsdam aufs beste empfangen, und seine Beziehungen zu dem großen Gelehrten blieben bis zu dessen Tode von der freundlichsten Art. Am 23. November 1843 erhielt R. zum ersten Male eine Einladung nach Charlottenburg zur königlichen Tafel, überreichte den wahrscheinlich auf Anregung Friedrich Wilhelms verfaßten Aufsatz über die letzten Zeiten des Johanniterordens und legte verschiedene aus Italien für den König mitgebrachte Werke vor. Einige Tage späte wurde er eingeladen, einen Abend im kleinsten Kreise mit der königlichen Familie zu verbringen, und gehörte von dieser Zeit an zu den regelmäßigen Gästen. Auch seine amtliche Stellung im Cabinet brachte ihn mit dem Könige in vielfache Berührung. Er hatte über litterarische Dinge Bericht zu erstatten, eingesandte Schriften durchzusehen, ferner die Antworten des Königs, namentlich französische und italienische, zu entwerfen, seinerseits auch manche neue Werke, besonders aus Italien, zu überreichen. Daß einem Manne, der so rasch zu einer ausgezeichneten Stellung gelangt war, in Berlin wie in Florenz und Rom alle Thüren sich öffneten, braucht nicht bemerkt zu werden. Es würde zu weit führen, wollte man auf dem Gebiete der Litteratur, Kunst und Diplomatie auch nur die Namen der Personen nennen, mit denen R. in freundschaftliche Berührung trat. Den gebildeten [288] Kreisen der Hauptstadt machte ihn mit einem Male ein Vortrag in der Singakademie bekannt, in welchem er am 13. Januar 1844 über die bis dahin wenig beachtete Litteratur Italiens seit dem Ausgange des 18. Jahrhunderts sich verbreitete. Reumont’s Stellung zum Hofe und in der hohen Gesellschaft wird am deutlichsten durch seine Betheiligung an einem Feste bezeichnet, das am 24. Februar 1846 im Weißen Saale des königl. Schlosses stattfand. Aus den Personen eines glänzenden Festzuges, in welchem man den Prinzen von Preußen, den Prinzen Karl und viele andere Fürstlichkeiten erblickte, bildeten sich nach Motiven aus Musäus’ Volksmärchen acht Gruppen, welche durch Prolog und poetische Erklärung verbunden wurden. Die dichterische Aufgabe fiel R. zu; in zehn Tagen mußte er sie beendigen und es mag dem für solche Auszeichnungen höchst empfänglichen, noch nicht vierzigjährigen Manne, der um diese Zeit auch in den Adelstand erhoben wurde, keine geringe Genugthuung gewesen sein, in der erlauchtesten Gesellschaft als Herold seine Verse vorzutragen. An wissenschaftlichen Arbeiten erweisen sich diese Jahre weniger reich als andere; das Hauptwerk war „Ganganelli, seine Briefe und seine Zeit, von dem Verfasser der römischen Briefe“ (Berlin 1847), ein Band, welcher außer einer litterarisch-historischen Bearbeitung der bekannten, von Caraccioli herausgegeben Briefe einen Versuch über die Geschichte der Aufhebung des Jesuitenordens im Anschluß an eine Charakteristik Papst Clemens XIV. enthielt.

Vier Jahre dauerte Reumont’s Aufenthalt in Berlin, freilich durch mehrfache Reisen nach Italien, an den Rhein und nach England unterbrochen, wo er auf Bunsen’s Wunsch den Legationsrath v. Thile vom Juni bis September 1846 zu vertreten hatte. Im folgenden Sommer erbat er sich, da seine Gesundheit unter dem Einflusse der vier nordischen Winter gelitten hatte, einen längeren Urlaub. Der König bewilligte denselben nur mit Bedauern und wählte R. noch zu seinem Begleiter auf einer sechstägigen Reise, die von Triest über Venedig, Padua, Vicenza und Verona am 10. September an den Gardasee führte. Von Roveredo, wo R. am 11. sich vom König verabschiedet hatte, kehrte er nach Venedig zurück, um bis Ende des Monats an einer glänzenden Gelehrtenversammlung Theil zu nehmen. Schon dort, und noch mehr, als er die Reise über Bologna nach Florenz fortsetzte, konnte er die wachsende Aufregung gewahren, welche seit der Thronbesteigung Pius’ IX. die italienische Bevölkerung ergriffen hatte. Der preußische Ministerresident, Graf Schaffgotsch, ernstlich leidend, hatte seit längerer Zeit nicht an das Ministerium berichtet; um so erwünschter waren die Mittheilungen, welche R., wenn auch nicht in amtlicher Eigenschaft, dem Könige zugehen ließ. Am 17. Februar 1848 hörte er in Florenz das neue constitutionelle Statut mit der schönen Einleitung seines Freundes Gino Capponi verlesen; am 28. Februar war er in Rom, wo die Bewegung bereits einen für den Papst bedrohlichen Charakter angenommen hatte. Hier verlebte er seinen Urlaub, wohnte dann in Florenz am 26. Juni der Eröffnung der Kammern bei und trat einen Monat später die Rückreise nach Deutschland an. Aber was für Zustände fand er in Berlin! Noch immer war die Fluth der Märzrevolution im Steigen; eine Abendgesellschaft bei dem Ministerpräsidenten v. Auerswald wurde am 21. August durch einen Regen von Pflastersteinen und Glasscherben unterbrochen, und am 25. September war R. in Sanssouci Zeuge der halb gereizten, halb niedergeschlagenen Stimmung, welche die Nachricht von der kläglichen Schwäche des neuernannten Ministeriums Pfuel in dem Könige hervorrief.

Recht zufrieden, so unerfreulichen Zuständen enthoben zu werden, trat R., zum Legationsrath bei der römischen Gesandtschaft ernannt, am 5. October die Rückreise nach Italien an. In Florenz, wo er am 14. anlangte, fand er [289] den Großherzog rathlos; aus Rom mußte der Papst am 24. November in einer Verkleidung seinen Bedrängern entfliehen. R., der in der ersten Hälfte Januars dort eingetroffen war, hörte in der Nacht vom 8. auf den 9. Februar die Republik ausrufen und hielt sich dem Mazzinischen Triumvirat gegenüber in einer rein beobachtenden Stellung, bis ihn ein gemessener Befehl des Königs im März 1849 anwies, sich aus dem „sündigen Rom“ in die Nähe des Papstes nach Gaëta zu begeben. Länger als ein Jahr, bis zum April 1850, verweilte R. theils in Gaëta, theils in Neapel in der Nähe Pius’ IX., mit dem er in Vertretung des beurlaubten Gesandten Usedom nicht unwichtige Verhandlungen zu führen hatte. Daneben suchte er seiner Gewohnheit gemäß durch zahlreiche Ausflüge sich mit Unteritalien und Sicilien genau bekannt zu machen, und widmete dem Lande, in dem er sich eben befand, das bedeutende Werk „Die Carafa von Maddaloni“ (Berlin 1852), eine Schilderung Neapels unter der spanischen Herrschaft im 17. Jahrhundert. Am 12. April 1850 folgte R. dem Papste bei seinem Wiedereinzug in die ewige Stadt und stand dann noch länger als ein Jahr bis zur Rückkehr des Grafen Usedom am 18. Juli 1851 der Gesandtschaft vor zur größten Zufriedenheit des Königs, der in einem Briefe vom 18. Juli seine Geschäftsführung als meisterhaft bezeichnete. Die Folge war denn auch, daß er in Berlin aufs beste empfangen und im November 1851 zum Geschäftsträger in Florenz ernannt wurde. Eine selbständige Stellung in dem ihm so theueren Lande war seit längerer Zeit ein Ziel seiner Wünsche; aber das, was dort vorging, das Verfahren einer unvorsichtigen, auf fremde Waffen sich stützenden Reaction, entsprach wenig seinem ruhigen, gemäßigten Sinne. Vergeblich versuchte er auch in dem damals so viel besprochenen Maddiai’schen Processe die Grundsätze christlicher Toleranz dem beschränkten Eigensinn des Großherzogs gegenüber zur Geltung zu bringen. Dagegen waren alle persönlichen Beziehungen der freundlichsten Art. Als er am 5. December 1854 das 25jährige Jubiläum seiner Ankunft in Florenz beging, vereinigte Gino Capponi die älteren Freunde zu einem Mittagsmahl; der Großherzog schickte das Comthurkreuz seines Ordens, Friedrich Wilhelm IV. die beiden großen Medaillen für Wissenschaft und Kunst. Die Zuneigung des Königs, welche aus den begleitenden Worten sprach, steigerte sich noch infolge eines längeren Zusammenseins im nächsten Jahre. R. verweilte im Juni mehrere Wochen in Sanssouci, folgte im Juli einer Einladung des Königs nach Erdmannsdorf in Schlesien und begleitete denselben im September auf einer Reise von Frankfurt durch die Pfalz nach Aachen, wo ihm bei einem städtischen Feste der Kammerherrnschlüssel zu Theil wurde. Erst am 16. October konnte er von Sanssouci die Rückkehr nach Florenz antreten, und bereits am 15. Mai 1856 finden wir ihn wieder in Berlin. Das zunehmende Unwohlsein des Königs machte eine Kur in Marienbad räthlich, die freilich nach manchen Zögerungen erst am 2. Juli begonnen wurde. R., der sich im Gefolge befand, hatte die Aufgabe, nach dem Frühstück die eingegangenen Depeschen vorzulesen. Abends bildeten geschichtliche oder künstlerische Gegenstände meistens den Stoff des Gesprächs; nicht selten kam auch von den kleineren Arbeiten Reumont’s die eine oder andere zur Verlesung.

Im März des folgenden Jahres dachte der König Rom zu besuchen und hatte schon im voraus R. für diesen Fall dorthin beschieden; aber die Verhandlungen bezüglich der Neuenburger Angelegenheit hinderten die Ausführung des Planes. Statt dessen hatte R. wieder wie im vorigen Jahre den König nach Marienbad zu begleiten, während die Königin in Teplitz zurückblieb. Der Erfolg der Kur – vom 12. Juni bis 5. Juli 1857 – schien auch jetzt ein wohlthätiger; aber eine Reise, die den König von Teplitz aus bei sehr heißem Wetter [290] zu aufregenden Verhandlungen nach Wien führte, wurde verhängnißvoll. R., der indessen einen Ausflug nach Marienburg und Danzig unternommen hatte, wollte sich am 16. Juli eben zur Begrüßung des königlichen Paares von Berlin nach Potsdam begeben, als er von dem Ministerpräsidenten v. Manteuffel die Nachricht erhielt, der König sei in Pillnitz von einem schlagartigen Anfall getroffen und noch immer leidend. Nach einem geräuschvollen Besuche der Kaiserin von Rußland schien ein Stillleben in Sanssouci während der ersten Hälfte des August die Kräfte wieder herzustellen. R., der in jeder Weise zur Erheiterung und Beruhigung des Königs beigetragen hatte, verabschiedete sich am 13. August, nicht ohne Besorgniß, aber doch nicht ohne Hoffnung. Allein schon am 10. October erhielt er in Florenz die Nachricht von dem Schlaganfall, welcher vier Tage früher, wenn nicht dem Leben, doch der Regierung des Königs ein Ziel setzte. Man nahm schon damals einen Aufenthalt im Süden und R. als Begleiter in Aussicht. Aber der Zustand des Königs nöthigte darauf zu verzichten; R. wurde angewiesen, sich zur Vertretung des beurlaubten Gesandten v. Thile nach Rom zu begeben. 5½ Monate blieb er auf dem Capitol und kehrte erst im Mai 1858 nach Florenz zurück; von hier aus wurde er unerwartet im Juli zu dem kranken Könige nach Tegernsee berufen.

Nun beginnt für R. eine neue Thätigkeit. Beinahe ein Jahr verweilt er in der Nähe des Königs, immer gleich in dem Bemühen, ihn zu erheitern und seine geistigen Kräfte zu beleben, zuweilen gehoben durch den Schein einer Besserung, die nur zu bald sich wieder als eine Täuschung erwies. Was den Kranken am meisten quälte, war das Verwechseln der Worte, die damit verbundene Verwirrung der Sätze, vor allem die Schwierigkeit, auf Orts- und Eigennamen sich zu besinnen. Hier war gerade R. der rechte Helfer. In unvergleichlicher Weise verstand er die Gedanken zu ahnen und die Worte zu finden, die der König auszusprechen wünschte. Sein stets bereites Gedächtniß, die Fülle seiner Orts- und Personenkenntniß machten ihm Combinationen möglich, auf die nicht leicht ein Anderer verfallen wäre; außer der Königin hat wol Keiner in solchem Maße sich dem Kranken verständlich zu machen gewußt. Zunächst verweilte man in Tegernsee. Ende August begleitete R. den König nach Potsdam zurück. Von da wurde am 12. October eine neue Reise angetreten, welche zunächst nach Meran, im November nach Florenz und gegen Endes des Jahres nach Rom führte, wo der König drei Monate mit gehobener Kraft in besserer Stimmung verlebte. Ein Aufenthalt in Neapel schloß sich an, und, als man in der Osterwoche nach Rom zurückkam, konnte man noch immer der Hoffnung Raum geben, obgleich R. bei der stets schwankenden Stimmung des Kranken an durchgreifende Besserung niemals geglaubt hat. Eine Störung in den Reiseplan brachte der Ausbruch des Krieges zwischen Oesterreich und Sardinien (23. April 1859); der König nahm auf einem russischen Kriegsschiff den Rückweg über Triest. R., der ihn andernfalls noch weiter begleitet hätte, mußte sich eilig nach Florenz begeben. Von hier war der Großherzog schon vier Tage nach dem Ausbruch des Krieges vertrieben worden, und R. konnte ein Jahr hindurch, wie er sich einmal ausdrückte, „Revolutionsstudien“ machen. Alle seine diplomatischen Collegen waren bereits abgereist, als der Einzug Victor Emanuel’s im April 1860 seinem in jeder Beziehung unbehaglichen und vereinsamten Aufenthalte ein Ziel setzte. Am 5. Mai sah er in Sanssouci den König wieder, der seit dem vergangenen Sommer durch wiederholte Schlaganfälle in den traurigsten Zustand versetzt war. Als R. am 14. Juni dem kranken Fürsten zum letzten Male die Hand küßte, hatte er nicht einmal das Gefühl, von ihm erkannt zu sein.

Nach seiner diplomatischen Laufbahn, seinen Leistungen, seiner Geistesrichtung [291] war nunmehr die Gesandtschaft in Rom das nothwendig sich darbietende Ziel; ja er schien es beinahe erreicht zu haben. Als er mit dem Könige die Reise nach Italien antrat, war die Verabredung getroffen, er solle nach der Rückkehr den Gesandtschaftsposten in Rom einnehmen, der wohl gerade deshalb so lange unbesetzt blieb. Aber die Veränderung im preußischen Ministerium, die Umwälzungen in Italien und der Wegfall mehrerer Gesandtschaften, endlich das Bedenken, die Vertretung des preußischen Staates bei dem Papste einem Katholiken zu übertragen, ließen von R. absehen. Der frühere Gesandte in Neapel, Herr v. Canitz, wurde nach Rom versetzt, R. mit dem 1. Januar 1861, wie der amtliche Ausdruck lautet, zur Disposition gestellt. Nicht als Gesandter, sondern als Gast verweilte er während des Winters von 1860–1861 auf dem Capitol und empfing dort die Nachricht von dem am 2. Januar erfolgten Abscheiden seines königlichen Gönners. Sicher hat er die Vereitelung berechtigter Hoffnungen schmerzlich empfunden; übersieht man aber seinen Lebensweg im ganzen, so wird die Wendung nicht als ein Nachtheil erscheinen. Wäre er in der diplomatischen Laufbahn geblieben, er hätte gewiß noch manche Auszeichnung, aber das, was seinen Namen auch für künftige Geschlechter bedeutend macht, sicher nicht in gleichem Maße erreicht. Durch die amtliche Beschäftigung war er freilich von schriftstellerischer Thätigkeit nicht abgehalten worden. Außer den genannten Werken hatte er eine große Anzahl Einzelarbeiten gesammelt und in den Jahren 1853, 1855 und 1857 jedesmal zwei Bände als „Beiträge zur italienischen Geschichte“ veröffentlicht. Inzwischen erschien 1854 in erster, 1856 schon in zweiter Auflage „Die Jugend Caterina’s de’ Medici“, demnächst (1860) „Die Gräfin von Albany“, gleichfalls ein Frauenbildniß, hervorgerufen durch den reichen Nachlaß der Gräfin, welchen R. im J. 1853 in Montpellier untersucht hatte. Aber so lehrreich und werthvoll diese Arbeiten sein mögen, sie stehen doch zurück hinter den großen, umfassenden Werken, die von jetzt an die Marksteine für das Leben ihres Verfassers bilden. Zu Anfang der unfreiwilligen Muße erschien noch eine Sammlung biographischer Aufsätze in zwei Bänden unter dem Titel „Zeitgenossen“ (Berlin 1862); aber dann folgte ein Werk, das für sich allein die Lebensarbeit eines bedeutenden Gelehrten hätte bilden können. Während eines Besuches in München im Frühling 1863 hatte R. von dem König Maximilian von Baiern den Auftrag erhalten, eine Geschichte der Stadt Rom von der ältesten bis auf die neueste Zeit für einen größeren Leserkreis zu schreiben. Mit unvergleichlicher Emsigkeit ging er ans Werk, und binnen acht Jahren hatte er den gewaltigen Stoff in vier Bänden (Berlin 1866, 1867, 1868, 1870) von mehr als 3500 Seiten bewältigt. Man staunt, wenn man die kaum übersehbare Fülle von Daten vor Augen hat; schwerlich besaß damals ein Anderer die umfassende Kenntniß der alten, mittleren und neueren Zeit, um einer solchen Aufgabe gewachsen zu sein. Das Erscheinen des großen Werkes bezeichnet für ein Jahrzehnt das Hauptereigniß in Reumont’s Leben. Den Winter von 1860 auf 1861 und, wenn ich nicht irre, auch die folgenden Jahre verweilte er in Rom, 1865 siedelte er in die Nähe der Seinigen nach Aachen über, den ereignißvollen Sommer von 1866 brachte er bei der verwittweten Königin Elisabeth in Sanssouci zu. Im October 1868 nahm er seinen Wohnsitz in Bonn, im Bereich der Universität, die ihn bei dem 50jährigen Jubiläum am 3. August zum Ehrendoctor der Philosophie ernannt hatte.

Zehn Jahre, bis zum April 1878, hat R. in dieser Stadt verlebt, ohne amtliche Stellung, aber in unermüdlicher Thätigkeit. Denn kaum war der Schlußband seines Werkes über Rom veröffentlicht, als er sich der Geschichte der Stadt zuwandte, die doch eigentlich in seinem Herzen den ersten Platz behauptete. [292] Schon 1874 erschien in zwei stattlichen Bänden ein umfassendes Werk über Lorenzo de’ Medici und seine Zeit, das während der beiden nächsten Jahre in den zwei Bänden der Geschichte Toscana’s eine Fortsetzung und Ergänzung erhielt. Und damit nicht genug! 1872 hatte er unter dem von der Akademie der Arkadier ihm beigelegten Namen, Itasius Lemniacus, eine lateinische Dichtung aus dem 5. Jahrhundert in metrischer Uebersetzung in den Druck gegeben: „Des Claudius Rutilius Namatianus Heimkehr von Rom nach Gallien“. 1877 folgten die „Briefe heiliger und gottesfürchtiger Italiener“, und wir fänden kein Ende, wollten wir aufzählen, was er an kleineren Aufsätzen, biographischen und kritischen Arbeiten in Zeitschriften und Zeitungen veröffentlichte. Auch seine häuslichen Verhältnisse hatten sich angenehm gestaltet. Neigungen und Gesundheit machten freilich eine ausgedehnte Geselligkeit unmöglich; aber er fand doch einzelne Freunde, mit denen er gern und anregend verkehrte. Die Beziehung zur Königin Elisabeth hatte nach dem Tode ihres Gemahls an Innigkeit eher zugenommen als verloren; im Herbst, wenn die Königin auf Stolzenfels verweilte, pflegte R. einige Wochen in ihrer Nähe zuzubringen. Auch der Nachfolger Friedrich Wilhelm IV., seine Gemahlin und der Kronprinz wandten dem treuen Begleiter des unvergeßlichen Todten eine Theilnahme zu, die im Laufe der Jahre sich stets erhöht und in zahlreichen schriftlichen Zeugnissen bis in die letzten Tage Ausdruck gefunden hat.

Neben den deutschen blieben auch die Verbindungen jenseits der Alpen ungeschwächt. In den Jahren 1851–59, während Reumont’s officieller Stellung in Florenz, war der Verkehr mit den dortigen Freunden, vor allem mit Gino Capponi, besonders lebhaft gewesen. Eifrig betheiligte sich R. am Archivio storico und an den Bestrebungen der Crusca, die ihn – eine seltene Auszeichnung – 1852 unter ihre Mitglieder aufnahm. Doppelt werthvoll waren dabei die Anzeigen von den Arbeiten der deutschen Gelehrten über Italien. Sie wurden 1863 in einem Bande von beinahe 500 Seiten zu einer „Bibliografia dei lavori pubblicati in Germania sulla storia d’Italia“ vereinigt und erweitert und im Archivio storico bis 1878 fortgesetzt. Die Verschiedenheit der politischen Ansichten bildete, wenn auch eine harte Probe, doch kein Hinderniß für die Freundschaft; von 1866–75 war R. mit einer einzigen Ausnahme alljährlich, meistens im Frühling für mehrere Monate Capponi’s Gast. Gegenseitig sind sie sich vom größten Nutzen gewesen; R. hat das Leben Lorenzo’s de’ Medici und die Geschichte Toscana’s in dem Palaste und unter steter Theilnahme Capponi’s verfaßt und selbst wieder den seit 30 Jahren erblindeten Greis zum Hauptwerke seines Lebens, der Geschichte der Republik Florenz angeregt. Am 3. Februar 1876 erhielt R. die Trauerbotschaft von dem Abscheiden seines edeln Freundes, und alsbald schickte er sich an, ihm das würdigste Denkmal zu setzen in einer Biographie, insbesondere die litterarische Entwickelung, mit solcher Genauigkeit zur Darstellung bringt, daß das Buch nicht bloß in Deutschland, sondern auch in Italien als die ergiebigste Quelle gewiß für lange, wenn nicht für immer sich behaupten wird.

Als das Werk im J. 1880 erschien, befand sich der Verfasser nicht mehr in Bonn; auf den Wunsch seiner Angehörigen war er im April 1878 nach Aachen übergesiedelt. Trotz seiner siebzig Jahre lag der Gedanke an Ruhe ihm noch fern. Schon im Mai 1879 entstand auf seine Anregung der Aachener Geschichtsverein; der Begründer wurde auch der erste Präsident und der eifrigste Mitarbeiter an der Zeitschrift des Vereins. Zugleich war beinahe jedes Jahr durch ein neues Buch bezeichnet. 1878 erschien eine Sammlung „Biographischer Denkblätter“; 1880 neben der Biographie Capponi’s ein Band italienischer [293] Aufsätze „Saggi di Storia e Letteratura“, 1881 das Lebensbild der Vittoria Colonna, 1883 die zweite Auflage des Lorenzo de’ Medici. Sie kam gerade rechtzeitig zur Feier des 50jährigen Doctorjubiläums, das am 3. Mai 1883 von Freunden und Verehrern diesseits wie jenseits der Alpen festlich begangen wurde. Die Vaterstadt ernannte R. – wie vordem Florenz und später Rom – zum Ehrenbürger; die italienische Regierung übersandte, sich und dem Empfänger zur Ehre, das Großkreuz des italienischen Kronenordens. Aber wie nahe sind im menschlichen Leben Glück und Unglück verbunden! Geistesfrisch und trotz mancher körperlichen Leiden noch immer voll Beweglichkeit und zäher Lebenskraft, hatte der Jubilar bald nach jenem Tage eine Reise nach Biarritz unternommen; auf dem Rückwege in Paris raubte ein plötzlicher Bluterguß dem rechten Auge völlig die Sehkraft. Mühevoll, unter großen Schmerzen, gelangte R. wieder nach Aachen zurück. Die Kunst der geschicktesten Aerzte blieb vergeblich, und die Schmerzen steigerten sich allmählich zu einem Grade, der die Wegnahme des Auges unerläßlich machte.

Es war vielleicht das erste große Unglück, welches ihn betraf; aber er hat die Probe meisterlich bestanden. Eine ernste, christliche Auffassung des Lebens, dazu eine bedeutende Arbeit, die zu vollenden ihm als Pflicht erschien, gaben in dieser Leidenszeit inneren Halt. Schon seit 1881 war er beschäftigt, seine Erinnerungen an die Person und die Umgebung Friedrich Wilhelm’s IV. zu einem Charakterbild des Königs zu vereinigen. Nicht eine Geschichte der Regierung wollte er schreiben; seine Absicht war, den Fürsten zu schildern, der ihmsein Vertrauen schenkte, den Beschützer und Pfleger der Wissenschaften und Künste, inmitten seiner Familie, seines Hofes und der ausgezeichneten Männer, die sich um ihn versammelt hatten. Er wollte den Menschen schildern in den Jahren der Hoffnung und des steigenden Glanzes, während der Prüfungen einer schweren Zeit und endlich unter dem Druck eines Leidens, für dessen Linderung der, welcher es beschreiben mußte, seine besten Kräfte eingesetzt hatte. Seine beste Kraft wandte er auch jetzt an diese Schilderung, selbst die Katastrophe des Jahres 1883 konnte die Arbeit nicht unterbrechen; an dem Tage, an welchem das rechte Auge durch eine Operation entfernt werden mußte, hat er die Vorrede dictirt. Ende 1884 erschien das Buch, von Vielen, insbesondere von dem Kaiser mit lebhafter Theilnahme begrüßt, und es ist nicht abzusehen, wie diese feinsinnige, wohlwollende, aber nie in Schmeichelei sich verlierende, von der genauesten Personen- und Sachkenntniß getragene Schilderung jemals veralten oder ihren Werth verlieren könnte. Am 28. Juni 1885 waren 50 Jahre seit Reumont’s Eintritt in den Staatsdienst verflossen; er wählte diesen Zeitpunkt, um seine förmliche Entlassung zu erbitten, und der Kaiser benutzte die Gelegenheit, Verdienste vielfacher Art durch die Ernennung zum Wirklichen Geheimen Rath zu ehren. Dem Dienste der Wissenschaft dachte R. aber auch jetzt nicht zu entsagen. Im J. 1886 erschien nochmals eine Sammlung von „Charakterbildern aus der neueren Geschichte Italiens“; aber stets wurde es einsamer um ihn; sein ältesten Freunde, Witte, Gachard, Ranke mußte er scheiden sehen. Allen dreien hat er noch ausführliche Nekrologe gewidmet; aber jetzt sank ihm selbst die Feder aus der Hand. Im November 1886 wurde er von einem Schlagfluß auf der einen Seite gelähmt; Wochen und Monate vergingen ohne Besserung, ohne Aenderung; nur der Geist blieb in dem hinschwindenden Körper noch regsam. Endlich, am Morgen des 27. April 1887, setzte ein sanfter Tod seinen Leiden ein Ziel.

Selten hat Jemand den Kreis seines Wollens und Könnens mit so richtiger Erkenntniß der Grenzen und des Zieles so vollkommen ausgefüllt, als R. Es wäre wenig zutreffend, wollte man ihn als einen Fürsten im Reiche der [294] Geister, als eine genial angelegte Natur mit großen schöpferischen Gedanken und Entwürfen bezeichnen. Aber er besaß ein klares, treffendes Urtheil, einen durchdringenden Scharfsinn, ein feines Gefühl für das Schickliche, sei es auf künstlerischem oder sittlichem Gebiete, ein unvergleichliches Gedächtniß, unermüdlichen Fleiß und eine Willensstärke, die den schwersten Prüfungen gewachsen war. Seine Fruchtbarkeit setzt in Erstaunen: ein von ihm selber angefertigtes Verzeichniß nennt aus den Jahren 1833–1885 nicht weniger als 150 größere Arbeiten. Schon diese Zahl läßt vermuthen, daß die Schriften mehr durch den Inhalt wirken als durch eine mühsam ausgefeilte künstlerische Form. Gewiß ist manches darin mit Wärme und Kraft, mit edlen, herzergreifenden Worten zum Ausdruck gebracht; besonders in den Lebensbildern zeugt die treffende Auswahl der charakteristischen Züge nicht selten von einer Meisterhand. Gleichwohl muß es befremden, daß ein Schriftsteller, der so viel mit der schönen Litteratur und der bildenden Kunst sich beschäftigte, gerade von Seiten der Form so manches zu wünschen läßt und eine gewisse Ungelenkigkeit des Satzbaues selbst wo es leicht gewesen wäre, nicht vermeidet. Der lange Aufenthalt in Italien, der ihm das fremde Idiom zu einer zweiten Muttersprache machte, hat wohl nicht zum Vortheil gewirkt. Aber für diesen Mangel entschädigt eine Fülle von Wissen und Gelehrsamkeit, wie sie selten einem Schriftsteller zu Gebote stand. Oefters erzählt er auch, was kein anderer zu erzählen vermöchte; seine Lebensstellung ist seinen Schriften zu gute gekommen, für wichtige Verhältnisse Italiens, für Friedrich Wilhelm IV., Capponi und andere bedeutende Persönlichkeiten haben sie den Werth einer ersten Quelle. Zuweilen ist er auch mehr als der Zeuge seiner Mittheilungen. Seine amtliche Stellung legte ihm freilich niemals eine wichtige Entscheidung in die Hand, aber sein Verhältniß zu Friedrich Wilhelm IV. ist in der That von historischer Bedeutung. Man dürfte jedem Fürsten wünschen, daß ihm ein Freund wie R. zur Seite stände, mit wahrer Zuneigung, verehrungsvoll, und doch mit eigenem, selbständigem Urtheil. Aber der Kern- und Höhepunkt in Reumont’s Wirken ist die Vermittlerrolle zwischen zwei großen Nationen. Weniges abgerechnet, erscheinen seine Schriften als ein großes Werk, das die Gestalten Deutschlands und Italiens, sich die Hände reichend, als Titelvignette tragen könnte. Freilich ausgezeichnete Männer sind ihm in diesem Bestreben vorangegangen oder gefolgt. Aber mit der Vielseitigkeit, mit der Ausdauer, in dem Umfang wie R., hat wohl kein Anderer die Vermittlung der beiden Länder sich zur Aufgabe gemacht. Er ist nicht der Gesandte Preußens beim päpstlichen Stuhle geworden; aber lange, ehe ein Deutsches Reich und ein Königreich Italien sich bilden konnten, war er ein Gesandter deutschen Geistes und deutscher Wissenschaft bei der italienischen Nation, und von den tausend und tausend Fäden, aus denen das feste Band zwischen den beiden großen befreundeten Völkern zusammengewebt ist; wird immer eine beträchtliche Zahl auf Alfred v. Reumont zurückleiten.

Eigene Erinnerungen. – Eine autobiographische Aufzeichnung Reumont’s. – Alfred v. Reumont von H. Hüffer in der Münchener Allg. Zeitung, Nr. 235 vom 26. August ff. 1887. – Die im Vorhergehenden angeführten Schriften Reumont’s, insbesondere: „Aus Friedrich Wilhelm’s IV. gesunden und kranken Tagen“ und „Gino Capponi“. – Tabarini, Alfredo di Reumont, Firenze 1883. – K. v. Höfler, Ein Gedenkblatt auf das Grab Alfred’s v. Reumont, historisches Jahrbuch, 1888.