ADB:Manteuffel, Otto Freiherr von

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Artikel „Manteuffel, Otto Theodor von“ von Karl Wippermann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 20 (1884), S. 260–272, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Manteuffel,_Otto_Freiherr_von&oldid=- (Version vom 6. Dezember 2024, 02:46 Uhr UTC)
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Manteuffel: Otto Theodor v. M., preußischer Staatsmann, geb. am 3. Februar 1805 in Lübben (Niederlausitz), † am 26. November 1882 auf seinem Gute Crossen bei Golßen im Kreise Luckau, Regierungsbezirk Frankfurt a. O. Aeltester der vier Söhne des Raths bei der königlich sächsischen Oberamtsregierung, späteren Präsidenten der Regierung und des Consistoriums in Lübben, Freiherrn Otto Gottlob v. M. (aus einer aus dem Kassubenlande stammenden Adelsfamilie) und der Freiin Therese v. Thermo († 1810), brachte er die frühere Jugendzeit in dem geistig bewegten Kreise der Freunde seines in der Niederlausitz hochangesehenen, auch als Dichter aufgetreten Vaters zu, welcher für den Unterricht seiner Kinder vortrefflich sorgte. Nach des Vaters frühem Tode (20. Januar 1812) übernahm der Oheim Hans Karl Erdmann v. M. mit dem Amte des verstorbenen Bruders auch die Erziehung der beiden ältesten Söhne. Die jüngsten Brüder starben früh. Seit 1816 wurde die weitere Erziehung durch Hauslehrer in Frankfurt a. O. geleitet, wohin der Oheim als zweiter Präsident des Oberlandesgerichts versetzt war. Derselbe starb 1844 als Chefpräsident des Oberlandesgerichts in Merseburg. M. wurde mit seinem Bruder Karl am 7. Juni 1819 in die Landesschule zu Schulpforta aufgenommen. Die strenge Disciplin der Anstalt und der dort herrschende Ernst der Wissenschaft blieben von nachhaltigem Einfluß auf ihn. Die Ferien brachte er öfter in Dresden bei seinem Oheim, dem Präsidenten des Geh. Finanzcollegs, Georg August Ernst v. M., zu. Michaelis 1824 bestand er die Abiturientenprüfung mit größter Auszeichnung. Zum Studium der Rechte und der Cameralwissenschaften bezog er die Universität Halle und hörte bei den dem absolutistischen Systeme huldigenden Professoren Mühlenbruch, Pernice, Blum und v. Jacob. Auch trat er hier als Einjährig-freiwilliger bei der vierten Jägerabtheilung ein und legte die Offiziersprüfung ab. Michaelis 1827 verließ er Halle und bestand bald darauf in Berlin die erste, im Sommer 1829 die zweite juristische Prüfung mit Auszeichnung, worauf er dem Kammergericht in Berlin beigegeben wurde. Doch schon im Anfang des Jahres 1830 ging er zur Verwaltung über und wurde zur Regierung in Frankfurt a. O. versetzt. In demselben Jahre übte auf ihn großen Einfluß sein Verkehr mit dem Oheim in Dresden, welcher nun Conferenzminister des Königs Anton von Sachsen war und das Land in den alten Regierungs- und Verwaltungsformen erhalten wollte. Mit diesem Oheim unternahm er 1830 eine Reise nach Paris, wo er die hervorragenden Männer der Julirevolution kennen lernte. Die Züge der letzteren sich tief einprägend, konnte er denselben sowie [261] dem constitutionellen Systeme keinen Beifall abgewinnen, vielmehr scheint von hier eine so große Abneigung gegen alles Revolutionäre bei ihm zu datiren, daß er dessen Begriff auch für die Folgezeit sehr weit faßte. Besonders bestärkt wurde er in diesen Anschauungen dadurch, daß in Folge jener Revolution das sächsische Ministerium gestürzt wurde und sein nunmehr zum Bundestagsgesandten ernannter Oheim und Reisebegleiter auf der Rückkehr in Frankfurt a. M. verbleiben mußte, weil er aus Mißliebigkeit beim Volke nach Dresden vorerst nicht zurückkehren durfte. Für die Lebenszeit blieb er in innigem Verkehre mit diesem Oheim, an welchem er ein großes Verwaltungstalent, einen bestimmten politischen Charakter und unwandelbare Treue gegen den Landesherrn schätzen und an dessen Schicksale er die Unbeständigkeit der Volksstimme kennen gelernt. In die Stellung nach Frankfurt a. O. zurückgekehrt, erhielt er bald darauf die Verwaltung des Landrathsamts im Kreise Sternberg (Regierungsbezirk Frankfurt a. O.) mit dem Sitze in Zielenzig. Hier zeichnete er sich (1831–32) durch große Aufopferung in Leitung der Maßregeln gegen Einschleppung der Cholera aus. Gegen Ende des Jahres 1832 verwaltete er auftragsweise das Landrathsamt zu Luckau und wurde, nachdem er am 17. November 1832 die große Staatsprüfung bestanden, am 3. Januar 1833 zum Landrath dieses Kreises ernannt. In dieser Stellung förderte er die materiellen Interessen des Kreises zu allgemeiner Anerkennung und galt bald wegen seiner prompten Geschäftsführung als einer der vorzüglichsten Landräthe der Monarchie. Mit Rücksicht hierauf verlieh ihm der König den St. Johanniterorden. Neben den Berufsgeschäften betheiligte sich M. lebhaft an den eigenthümlichen ständischen Verhältnissen des[WS 1] Markgrafenthums Niederlausitz. Vermöge seines väterlichen Ritterguts Drahndorf war er Mitglied des aus Herrschafts- und Rittergutsbesitzern bestehenden Landtags in Lübben, von welchem er zum Mitgliede der leitenden ständischen Behörde gewählt wurde. 1833 ward er auch zum ritterschaftlichen Abgeordneten des Kreises Luckau für den Provinziallandtag der Mark Brandenburg gewählt, dessen Vorsitzender er später wurde. Die ständischen Verhältnisse seines Heimathländchens, welches sich in Genügsamkeit einer gewissen, auch 1815 durch den Wechsel der Landeshoheit kaum berührten Selbständigkeit und Abgeschlossenheit erfreute, machen es fernerhin erklärlich, daß M. ein so warmer Anhänger des sogenannten ständischen Princips wurde. Mit dieser seiner Grundrichtung stand es wol in Verbindung, daß er 1839 einen Auftrag des Ministers v. Rochow zur Ausarbeitung einer Denkschrift erhielt, durch welche ein die Erschwerung der Parzellirung bäuerlicher Grundstücke betreffender Gesetzentwurf begründet werden sollte, und daß er diesen Auftrag zu um so größerer Befriedigung des Ministers löste, als vor ihm hochgestellte Personen daran gescheitert waren. Durch diesen Erfolg schien seine Bestimmung für die höhere Verwaltungslaufbahn vollends entschieden zu sein. Im August 1841 zum Oberregierungsrath und Abtheilungsdirigenten der Regierung in Königsberg i. Pr. ernannt, wurde er beim Abschied aus dem Kreise Luckau von fast allen Städten desselben zum Ehrenbürger gewählt. In Königsberg leitete er die landwirthschaftliche Abtheilung und vertrat öfter den Oberpräsidenten. Am 22. December 1841 fand auf dem Rittergute Cümritz[1] in der Niederlausitz seine Vermählung mit Bertha v. Stammer aus dem Hause Görtzdorf[2] statt. Im Juni 1843 wurde er zum Vicepräsidenten der Regierung in Stettin ernannt. Um seine Kenntnisse nach allen Richtungen hin zu vervollkommnen, erbot er sich 1844 zur Uebernahme der durch den Rücktritt v. Witzleben’s erledigten Stelle eines vortragenden Raths bei dem den Vorsitz im Staatsministerium führenden Prinzen Wilhelm von Preußen. Mit dem Titel eines Geheimen Oberregierungsraths zu dieser Stelle ernannt, siedelte er am 8. November 1844 nach Berlin über und gewann durch die Vorträge, welche er über alle aus den Ministerien [262] an das Staatsministerium gelangenden Gegenstände dem Prinzen zu halten hatte, einen umfassenden Einblick in die gesammte Staatsverwaltung. Zugleich zum Mitgliede des Staatsraths ernannt, war er in dessen Abtheilungen für innere Verwaltung und Finanzen thätig. Im Frühjahr 1845 wurde er vom Minister Grafen von Arnim-Boytzenburg zum Director der zweiten Abtheilung des Ministeriums des Innern und 1846, nach v. Patow’s Austritt, zum Director der nunmehr vereinigten ersten und zweiten Abtheilung ernannt, von denen nur die Preß- und die höheren Polizeiangelegenheiten getrennt wurden. Die politischen Vorgänge von 1847 brachten einen Wendepunkt in Manteuffel’s Leben hervor. Als Vertreter des Kreises Luckau im ersten vereinigten Landtage gerieth er zum ersten Male offen in Gegensatz zu der fortgeschrittenen Zeitrichtung. Er gehörte dort nur der Abtheilung für das Eisenbahnwesen an, im Plenum aber trat er in mehreren wichtigen Fragen den Führern der Liberalen entgegen. Er stimmte gegen den v. Beckerath’schen Antrag wegen Aufhebung der die Wählbarkeit an das religiöse Bekenntniß knüpfenden Bestimmung des provinzialständischen Gesetzes; er erklärte sich in der Herrenkurie gegen die Aufhebung des Rechts derselben auf Sonderung in Theile und bekämpfte v. d. Heydt’s Antrag auf eine Bitte an den König, „die Verweisung des Finanzetats und der Uebersicht an eine Abtheilung zur Prüfung und Berichterstattung behufs Information des Landtags zu gestatten.“ Bei Berathung der Verordnung wegen Ausschließung bescholtener Personen von ständischen Versammlungen am 30. April bezeichnete er die Anerkennung des Grundsatzes der ständischen Gliederung und die Befugniß des Standes, über die Bescholtenheitsfrage innerhalb[WS 2] seines Kreises selbst zu urtheilen, als durchaus nothwendig. Am 31. Mai hielt er seine bedeutendste Rede, die zugleich seine Richtung näher bezeichnete. Es handelte sich um die Frage, ob die Verordnung vom 3. Februar über Berufung des vereinigten Landtags als bloßes Gnadengeschenk der Krone zu betrachten und die jetzt gewünschten Erweiterungen als eben solches Geschenk zu erbitten oder ob beides als förmlicher Rechtsanspruch auf Grund der ständischen Gesetze von 1815 und 1820 geltend zu machen sei. Er sprach sich dahin aus: der König habe jene Verordnung „aus eigener freier Machtvollkommenheit“ erlassen; er habe „viel gewährt, mehr als erwartet werden konnte“. Das nenne er ein hochherziges Vertrauen. Dieses sei aber kein Vorrecht der Krone, sondern müsse auch vom Landtage ausgehen. Was mit des Königs Unterschrift in der Gesetzsammlung stehe, sei Gesetz. Diesen Rechtsboden dürfe man nicht untergraben. Zuletzt legte er Verwahrung dagegen ein, daß die ständischen Versammlungen immer hingestellt würden „als diejenigen, welche allezeit das Rechte finden und thun“ und belegte dies mit Beispielen aus der preußischen Geschichte, wo unpatriotisches oder verbrecherisches Verhalten der Stände den Großen Kurfürsten zu Gewaltmaßregeln gegen dieselben genöthigt habe; und, so schloß er, „wie die Weisheit ein Erbtheil unseres Fürstenhauses ist, so ist es auch die Kraft“. (Stenogr. Bericht S. 1153.) Ueber diesen Vergleich entstand in der Versammlung großer Unwille, so daß M. folgenden Tags über die Aeußerung zu beruhigen suchte; dagegen mußte, nach Lage der Dinge, die ganze Rede Wohlgefallen beim Könige erregen; schien doch in ihr der Grundgedanke, welcher dessen Thronrede vom 11. April 1847 zu Grunde lag, in gewisser Weise noch besser zum Ausdruck gelangt zu sein. Denn der Versuch des Königs, gleich von vornherein jedes weitere Zugständniß an die Forderungen einer neuen Zeit abzuschneiden, seine umständlichen Hinweise auf die Bedeutung des schon Gewährten und seine feierliche Erklärung gegen eine constitutionelle Verfassung waren im Grunde doch mehr als Zeichen der Besorgniß vor weiterem und unwiderstehlichem Drange des Neuen erschienen, sodaß er selbst sich unbefriedigt über seine Rede gegenüber Bunsen aussprach; um so wirkungsvoller in [263] seinem Sinne mußte daher dem Könige die freimüthige Erklärung des überzeugungsvollen Anhängers des ständischen Princips, in dessen Banne derselbe in der Heimath aufgewachsen war, erscheinen. Seitens der Versammlung wurde M. nun von mehreren Ausschüssen ausgeschlossen, der König aber hat ihn wol im Gedächtniß behalten. Während der hohen Wogen des Bewegungsjahres, wo für Männer seiner Richtung Einfluß im öffentlichen Leben ohne Aussicht war, ist M. kaum hervorgetreten. Zwar bekannte er sich im zweiten vereinigten Landtag gegen Kopfzahlwahlen des Wahlgesetzes für die Nationalversammlung; im Uebrigen aber widmete er sich, die sehr nahe an ihm vorüberziehenden Ereignisse genau beobachtend, lediglich seinem Amte, in welchem er als anerkannt tüchtiger Beamter unter allen liberalen Ministerien von 1848 belassen wurde. Als aber der König Männer suchte, welche mit fester Hand den Staat wieder in sichere Bahnen führen und einen geordneten neuen Zustand anbahnen sollten, war Manteuffel’s Heranziehung nach seiner Persönlichkeit, Richtung und Vergangenheit begreiflich, wenngleich er nur selten mit dem Könige persönlich zusammen gekommen war. Fiel auch im Ministerium vom 8. November 1848 M. zunächst das Ressort des Innern zu, in welchem er bisher thätig gewesen und bildete auch Graf Brandenburg äußerlich die Spitze, so war M. doch von Anfang an thatsächlich der Kopf des „Ministeriums der That“. Seine in die Verhältnisse Preußens und Deutschlands tief eingreifende 10jährige ministerielle Wirksamkeit fällt mit Preußens politischer Geschichte dieser Zeit fast zusammen.

Vermöge jener seiner Stellung erscheint M. in erster Linie mitverantwortlich für alle wichtigeren Schritte schon während der Präsidentschaft Brandenburg’s. In Bekämpfung der „Revolution“ ist er Anfangs nicht mit der Schroffheit aufgetreten, welche man nach Früherem erwarten konnte. Schon bald zeigte sich, daß er mit Rücksicht auf Alles, was seit den Märztagen geschehen, mit einigen der wesentlichsten seiner politischen Grundsätze, wenigstens vorerst, zu brechen sich genöthigt sah. Glaubte er auch von vornherein nicht an Erfolg von Versuchen zu einer Verständigung mit der Nationalversammlung über das Verfassungswerk, so vermied er doch durch sofortige Gewalt Alles abzuschneiden, zumal ein neuer geeigneter Anlaß, wie am 7. September, nicht vorlag. Die Entwicklung der Dinge zwingt aber die Ueberzeugung auf, daß M. darauf ausging einen solchen neuen Anlaß sich vorbereiten zu lassen. Sein nächstes Ziel, die Versammlung ins Unrecht zu versetzen, gelang ohne große Mühe. Die Verlegung derselben nach Brandenburg erschien zwar äußerlich als correctes Mittel zur Ermöglichung einer Verständigung, auch zeigten sich alle gemäßigten Parteien M. dankbar für die Brechung der Gewalt der die Versammlung einschüchternden Berliner Straßendemagogie; allein bei dem Akt vom 9. November war auf weitgehende Beschlüsse der Versammlung um so mehr gerechnet, als M. und Genossen sich hierdurch auf einen Standpunkt stellten, welcher alle durch das Verhalten der liberalen Ministerien geradezu hervorgerufenen Vorstellungen der Versammlung über ihre Stellung plötzlich und provocirend umwarf. Die rücksichtsloseste Verfolgung der zunächst in Berlin gebliebenen Abgeordneten war Manteuffel’s eigenstes Werk; auch ließ er sich nicht beirren durch Bedenken, welche gegen die Rechtmäßigkeit der so geschaffenen Lage laut wurden; und einen etwas gewaltsamen Charakter trägt die plötzliche Auflösung der Versammlung sammt einseitigem Erlaß der Verfassung vom 5. December. Diese Akte erscheinen nach dem Verhalten der Abgeordneten und Parteien in Brandenburg formell nicht begründet und absichtlich übereilt. In Folge der Ankunft der aus Berlin vertriebenen Abgeordneten stand die Beschlußfähigkeit der Versammlung und auch ein besonnenes Verhalten derselben in Aussicht. Der Beschluß, die Feststellung jener Thatsache um einen Tag zu verschieben, ging gerade aus der friedlichen Absicht hervor, [264] einen Principienstreit hinsichtlich der Präsidentenwahl zu umgehen. Wenn M. diesen Beschluß gleichwol zum raschen Einschreiten benutzte, so scheint er gerade die Rückkehr der Versammlung auf den correcten Weg besorgt zu haben; ein scheinbarerer Vorwand kam vielleicht sobald nicht wieder. Freunde ruhiger Entwicklung haben es denn auch M. sehr verargt, daß er nicht einmal den Versuch einer Verständigung mit der Versammlung über das von ihr fast vollendete und immerhin von der Regierung angeregte Verfassungswerk angestellt hat. Er selbst hielt die Nachweisung in einer Schrift von Rodbertus, daß durch den Akt vom 5. December die Rechtscontinuität in Preußen zum ersten Male unterbrochen sei, einer Widerlegung werth, die er durch eine Schrift Reichensperger’s bewirken ließ. Jenes Verfahren Manteuffel’s ist denn auch sowol damals in conservativen und demokratischen Schriften sowie von einer ihm nahestehenden Seite als auch nach Jahrzehnten (Deutsche Revue vom August 1881) als Staatsstreich bezeichnet. Seine Begründung desselben ist ausführlich bekämpft in Steger’s Ergänzungs-Conversationslexikon (Bd. IV, Leipzig 1849) und in einer Schrift von Sambarth, vertheidigt aber in Schriften des Grafen Arnim-Boitzenburg, der Demokraten Held und Jung, sowie in der Schrift „Gegen die Signatura temporis“ (H. Leo’s), in welcher von einem „Excesse der Nothwehr“ und der „reinsittlichen Natur der königlichen Revolution“ die Rede ist. In dieser Schrift wird übrigens auch Manteuffel’s damals bewiesener persönlicher Muth ebenso sehr anerkannt wie in einer Schrift Hesekiel’s sein Muth beim Akt vom 9. November. Im Ganzen wird sich bei der damals so verworrenen Rechtslage der Verfassungsverhältnisse ein dauernder Vorwurf für Manteuffel’s Durchhauung des Knotens schwerlich ergeben. Der König hat die Thaten vom 9. November und 5. December 1848 mit größtem Danke anerkannt, indem er M. das seltene Recht verlieh, allen seinen Orden Scepter und Schwert beizufügen. Daß dieser in jenen Verfassungsentwurf das allgemeine geheime Wahlrecht und andere Theile des Werks der Nationalversammlung aufnahm, war ebenso kühn als klug; denn trotz des mehrfach laut gewordenen Verdachts, daß er es am Ende damit nicht aufrichtig meine, gewann er viele gemäßigte Elemente für den neuen Boden der Verständigung, ja fand er Anerkennung nicht blos bei Männern wie Reichensperger („Erlebnisse“), sondern auch bei v. Unruh („Erfahrungen“) und Parisius („Deutschlands politische Parteien“). Schwer wird es M. gewesen sein die Zustimmung des Königs zu erlangen, der nach Stahr’s („Die preußische Revolution“) Bericht erst kurz vorher die Herstellung der ständischen Gliederung angekündigt hatte; schwerer aber lastete auf ihm der Groll der eigentlich reactionären Partei, welche allen Grund zu haben glaubte ihn als den ihrigen anzusehen. (Gauvain, „Das Ministerium Brandenburg“.) Dieselbe hatte angefangen an ihm irre zu werden schon als er den König zu der Ansprache vom 11. November, dem heiligsten Versprechen, ein guter constitutioneller König zu sein, veranlaßt hatte. In anderem Lichte aber erschien er dieser Partei schon bald durch sein Polizeisystem, seine politischen Verfolgungen von 1849 und durch die Art, wie er die Aufrechthaltung des Belagerungszustands über Berlin rechtfertigte. Auf dieser Bahn erlitt Manteuffel’s Ansehen den ersten Stoß, als sich im Waldeck’schen Processe ergab, daß er die in seiner Kammerrede vom 25. April 1849 für die fortdauernde Gefährlichkeit der revolutionären Elemente vorgebrachten Beweise Leuten wie Ohm und Gödsche verdankte. Es ist zwar behauptet, M. habe jetzt durch Rücktritt die Verständigung erleichtern müssen; allein die oppositionellen Beschlüsse der zweiten Kammer hatten, wie auch v. Unruh in der „Deutschen Revue“ (Leipzig 1881, 4. Quartal) hervorhebt, M. nicht in solche Verlegenheit gebracht, daß dadurch deren Auflösung am 26. April gerechtfertigt erschienen wäre. Freilich hat er in seinem Entlassungsgesuche vom 3. Juni 1849 jener Kammer vorgeworfen, [265] sich zu Uebergriffen haben fortreißen zu lassen; in den Thatsachen ist dies jedoch nicht begründet; Manteuffel’s Grund für diese Auflösung lag vielmehr in der deutschen Frage. Nach dem ihm feindlichen Beschlusse der deutschen Nationalversammlung (14. November 1848) hatte M. diese durch Sendung Reichensperger’s vorläufig beruhigt, sodaß v. Vincke sich für dessen Ehrenhaftigkeit verbürgte; sein Verhalten bezüglich der deutschen Verfassungsfrage im Anfang des Jahres 1849 enthält aber den Keim zu dem für Preußen so beschämenden Ausgange derselben. Sein weitgehender Begriff des „Revolutionären“ und seine alle sonstigen Erwägungen zurückdrängende Vorstellung, daß Preußen gemeinsam mit Oesterreich die Revolution zu bekämpfen hätte, bewog ihn unter dem Druck der reactionären Partei das Projcet eines muthigen Vorangehens Preußens wieder aufzugeben, welches in der von Bunsen in Gegenwart Manteuffel’s beim Könige durchgesetzten Note vom 23. Januar 1849 angedeutet war und wegen Oesterreichs reichlicher Beschäftigung mit eigenen Angelegenheiten sich anscheinend ohne große Schwierigkeiten hätte ausführen lassen. Jener Beweggrund geht hervor aus der Art, wie er am 5. und 21. April 1849 in der zweiten Kammer die zurückweichende Note vom 10. März und die Nothwendigkeit der Respectirung Oesterreichs rechtfertigte. M. hat nichts gethan, um die Reichsverfassung von 1849 zur Geltung zu bringen: in der zweiten Kammer hat er am 5. April 1849 erklärt, das Ministerium habe nach wiederholten Erwägungen mit Rücksicht auf die Souveränetätserklärung der deutschen Nationalversammlung dem Könige nicht rathen können „ein bestimmtes, ein aufrichtiges, einfaches Ja auszusprechen“. Nach Ankunft der Kaiserdeputation muß die Sache aber doch günstiger für sie gestanden haben, denn am 2. April hatte M. den Kammern günstige Erklärungen bezüglich der Annahme der Kaiserkrone geben lassen und an demselben Tage hatte, nach Beseler’s Zeugniß, Graf Brandenburg den Abgeordneten Beseler und Rießer als Vertretern jener Deputation sogar eröffnet, daß der König in Erwartung der Zustimmung der übrigen deutschen Regierungen die Krone annehmen werde. Welche Einflüsse am Abend des 2. April den Umschlag bewirkt, hat sich, wie Beseler sagt, seiner Kenntniß entzogen. Die am 3. April vom Könige der Deputation ertheilte Antwort war jedenfalls mehr im Sinne des obigen Rathes Manteuffel’s und dieser fügte sich derselben trotz der Erklärungen vom 2. April sofort. Zwar sagte er in jener Rede vom 5. April, es sei Alles geschehen, um „das der Berechtigung der Nationalversammlung Fehlende noch hinzuzufügen“; in der That aber hat er nichts gethan, um die Zustimmung der übrigen deutschen Regierungen zu erlangen, ja er hat die zweite Kammer aufgelöst dicht bevor deren Beschluß in Aussicht stand, welcher das Gewicht des Umstandes, daß 28 deutsche Regierungen sich zustimmend geäußert, verstärkt hätte. Es hat ihn in seiner Stellung sogar nicht angefochten, daß nach Graf Beust’s Zeugniß von Berlin aus unter Zusicherung militärischer Hülfe der König von Sachsen aufgefordert wurde, die Reichsverfassung nicht anzuerkennen. Durch Octroyirung des Wahlgesetzes vom 30. Mai 1849 entfremdete M. sich wieder die gemäßigten Elemente, welche sich des Friedens wegen auf den eben erst geschaffenen Rechtsboden gestellt hatten und in der Presse gab es wieder harte Urtheile über ihn. Die „Grenzboten“ sprachen von Uebermuth, Wortbruch und wie Manteuffel’s Ehrlichkeit nur in ganz gewöhnlichen Verhältnissen Stich halte. Wie aus seinem Entlassungsgesuche vom 3. Juni 1849 zu ersehen, ist dieses denn auch durch das Bewußtsein vom unangenehmen Eindruck seines Verhaltens in den weitesten Kreisen hervorgerufen. Die Ablehnung des Gesuchs mußte ihm aber als Genehmigung seines Systems erscheinen. Allein trotz dieses Rückhalts fand die Vertheidigung seines Verhaltens, welche er am 13. August 1849 in der zweiten Kammer gab, mehrere Gesetzentwürfe und viele Reden, welche er dort im September über innere Angelegenheiten, [266] insbesondere bis Januar 1850 in den Verfassungsfragen hielt, keinen Anklang, vielmehr wurde sogar die conservativ-constitutionelle Partei v. Vincke’s im Vertrauen zu ihm wankend. Gleichwol ist anzuerkennen, daß es seiner parlamentarischen Geschicklichkeit gelang, auch die Mißtrauischen von den Bedenken gegen die Punkte abzubringen, auf welchen nach Abschluß der Verfassungsberathung die Krone bestand. Der König dankte ihm dafür am 6. Februar 1850 bei seiner Leistung des Verfassungseides mit den Worten, die Verfassung sei „das Werk aufopfernder Treue von Männern, die diesen Thron gerettet haben, gegen die meine Dankbarkeit nur mit meinem Tode erlöschen wird“.

Nachdem sich M. von einer rechtzeitigen Initiative Preußens in der deutschen Frage abgewandt, machte er sich zur Zeit der Minister des Aeußeren, v. Schleinitz und v. Radowitz, mitverantwortlich für die später im Dreikönigsbündniß zu Tage getretenen Anläufe. Selbst nachdem Oesterreich im August 1849 durch Ungarns Niederwerfung wieder freie Hand erlangt hatte, erkannte er die von dort drohende Gefahr nicht einmal in den verschiedenen von Wien ausgehenden Versuchen zur Untergrabung der Union, er ließ ferner die Frankfurter Verhandlungen mit Oesterreich im Sande verlaufen und unterließ im December 1849 alle Schritte zur Besitznahme der vorübergehend erledigten provisorischen deutschen Centralgewalt, in Folge dessen Oesterreich dort fester Posto faßte. Der aufwallende Feuereifer, mit welchem sich M. dann doch wieder im April 1850 im Volkshause zu Erfurt gegen die Möglichkeit aussprach, daß Preußen in der deutschen Sache unverrichtetermaßen umwende, machte daher keinen Eindruck mehr. Es war damit unverträglich sowol seine gleichzeitige Bekämpfung der en bloc-Annahme der Unionsverfassung als auch sein Gegensatz zu Radowitz’ Streben, sich zur Vermeidung von Preußens Demüthigung mit „dem besseren Geiste der Nation“ zu verbinden. Die Idee von der gemeinsamen Bekämpfung der revolutionären Elemente, zu denen er grade auch die von jenem gemeinten Gemäßigten rechnete, welche eben mit größerer Entschiedenheit am deutschen Bundesstaate mit der preußischen Spitze festhielten, nahm seinen Blick so sehr gefangen, daß er Oesterreichs eigentliche Absichten zum mindesten bedeutend unterschätzte. So kam es, daß er die Union, obwol Oesterreich am 18. August 1850 deren Auflösung verlangt hatte, noch am 27. August in der ersten Kammer als einen „neuen herrlichen Bau auf dem festen Granit des preußischen Volks“ bezeichnete. Und grade um diese Zeit der Radowitz’schen Denkschrift war es schon zu spät. So verstärkte sich seine Schuld an der Verpassung der rechten Zeitpunkte und an der geringen Meinung, welche das Ausland von Preußens Politik gewinnen mußte. Nachdem dann in Folge des Bregenzer Vertrags der Zwiespalt im Ministerium zu Gunsten Manteuffel’s als Minister des Aeußeren entschieden war, vermochte ihm selbst der Bruch mit den seitherigen Trägern der nationalen Reform nichts mehr zu nützen und es blieb ihm in dieser Stellung von vornherein nur noch die Wahl zwischen Krieg und Unterwerfung unter Oesterreich übrig. Die Uebernahme dieser Stellung im schwierigsten Augenblicke und beim Mangel diplomatischer Schulung erscheint auch dann kaum begründet, wenn man bei ihm schon für diesen Zeitpunkt einen an sich immerhin zu ehrenden Entschluß, die Folgen seiner früheren Fehler tragen zu wollen, unterstellen könnte. Nachdem sich M. von Oesterreich bereits so viel hatte bieten lassen, konnte Kaiser Nikolaus sich allerdings wol zu der Behandlung Preußens auf der Conferenz zu Warschau provocirt fühlen, deren Eindruck auf Graf Brandenburg tödtlich, auf M. aber so wenig wirkte, daß in seiner Hand sogar die endliche Mobilisirung des Heeres ein leeres Spiel wurde. So ist es sehr begreiflich, daß Fürst Schwarzenberg, auf Manteuffel’s Persönlichkeit bauend, sich immer mehr gegen Preußen herausnahm.

[267] Alle Parteien außer derjenigen, unter deren Drucke M. stand, haben die Politik von Olmütz aufs schärfste verurtheilt. Gemäßigt Conservative, Patrioten der höheren gesellschaftlichen und Berufskreise Preußens, wie v. Bunsen, Graf Pourtales, v. Schön, haben ihm ganz unverblümt den Vorwurf gemacht, Preußen tief erniedrigt, wenn nicht verrathen zu haben. In den Schriften „Vier Monate auswärtiger Politik“ von M. Duncker (Berlin 1851) und „Die Politik der Contrerevolution“ von A. H. v. Arnim (Braunschweig 1851) ist jener Schritt Manteuffel’s der eingehendsten sachlichen Kritik unterzogen und der damals in den weitesten Kreisen der Bevölkerung Deutschlands herrschenden entrüstungsvollen Verurtheilung der prägnanteste Ausdruck verliehen. Dieses Uttheil hat sich auch in den nächsten Jahrzehnten ungemindert erhalten. Erst nach 1866 hat eine mildere Beurtheilung des Schrittes einigen Eingang gefunden. Man wird es aber niemals begreifen können, daß M. noch im letzten Augenblicke, nachdem Fürst Schwarzenberg am 9. November Preußen brüskirt hatte, drohen zu können meinte und auch nach Auflösung der Union deren erschreckte Theilnehmer für ein etwaiges und planloses Eintreten in die Kriegsbereitschaft gegen Oesterreich zu gewinnen suchte, während er doch den Schritt von Olmütz hauptsächlich grade aus Preußens militärischer Schwäche erklärte. Man wird es fernerhin immer höchst seltsam finden, daß er durch seine Eröffnung an den österreichischen Gesandten, die Mobilmachung sei nur zur Beruhigung der öffentlichen Meinung angeordnet, grade Oesterreichs Ultimatum vom 25. November beschleunigte und daß er, hierdurch eiligst zur Erbittung der Conferenz in Olmütz genöthigt, auf diese Art nur Zeit zu Rüstungen gewinnen zu wollen erklärte, während er in der That eine Punktation abschloß, welche nicht nur hinter den ihm vom Staatsministerium ertheilten, wenigstens die Ehre Preußens wahrenden Instructionen und seinen eigenen Notizen über sein Vorhaben zurückblieb, sondern in Folge von deren Fassung Preußens Bevollmächtigte in Kurhessen und Holstein von Oesterreich in mehrfacher Hinsicht in unwürdige Stellung versetzt wurden. Vom Gewichte der meisten seiner Vertheidigungsgründe, enthalten in der von ihm veranlaßten Schrift „Von Warschau bis Olmütz“ (Berlin 1851), in seiner Kammerrede vom 3. December 1850 und in der preußischen Denkschrift vom 11. Februar 1851, muß M. selbst wol keine große Vorstellung gehabt haben, da er, ein dritter Fall dieser Art, durch plötzliche Vertagung des Landtags dem Beschlusse der zweiten Kammer auf eine an den König zu richtende Bitte um Beendigung des Systems zuvorkam. Auch seine ferneren Reden zur Vertheidigung gegen die stärksten Angriffe in der ersten Kammer am 15. Februar, in der zweiten am 8. März und 9. April 1851 waren schwach. Ueberall trat hierbei jener Gedanke der Bekämpfung der Revolution in den Vordergrund. In der Denkschrift vom 11. Februar war zwar angedeutet, M. habe die vorläufige Erniedrigung gewählt, um zur Zeit von Preußens militärischer Schwäche Oesterreichs Pläne unschädlich zu machen und Preußen zur Ausführung seiner deutschen Aufgabe in einer späteren ungewissen Zeit erstarken zu lassen. Aber wol mit gutem Grunde hat M. dieses Rundschreiben wiederholt desavouirt, obwol es diplomatisch versandt wurde. In der That ist er vom Fürsten Schwarzenberg in Kurhessen völlig ins Garn gelockt. Dieser benutzte geschickt Manteuffel’s Bestreben, die Bekämpfung der Revolution im weitesten Sinne über Alles, selbst über die Machtfrage zu stellen. Daß die dortigen Verfassungswirren auf Oesterreichs Anstiften eigens zum Zweck der Erniedrigung Preußens hervorgerufen waren, hat M. nicht gewürdigt. Und nach Ilse’s Behauptung ist er doch schon im Juni 1849 von den Einleitungen unterrichtet worden, welche Oesterreich zu jenem Zwecke getroffen. Längst nachdem jener Coup Schwarzenberg’s gelungen, hat (in einer Herrenhausrede vom 8. Januar 1851) M. die Idee einer „Revolution in [268] Schlafrock und Pantoffeln“ erfunden; ja er hat dies gethan, obwol er über die jene Ansicht vollständig ausschließenden dortigen Vorgänge von Hessen aus aufs Genaueste in Kenntniß gesetzt war. (Staatslexikon 3. Aufl. Art. Hessen-Kassel.) Unbestreitbar wurde alles Gute, was M. durch Olmütz zu erlangen gehofft, durch eine zu große Nachgiebigkeit wieder aufgehoben. Trotz aller seiner Hinweise auf die Revolution ist sich denn auch M. selbst der Erniedrigung, welche er Preußen bereitet, wohlbewußt gewesen: er sagte zu Duckwitz, „ich ging nach Olmütz und nahm die Schande des Abkommens mit Oesterreich auf mich allein, um sie meinem Könige und meinem Lande zu ersparen“. Als Grund gab er freilich Preußens militärische Schwäche gegenüber den Drohungen des Auslands an, aber ein Diplomat wie Bunsen hielt Rußlands und Frankreichs Drohungen nur für Schreckschüsse, „berechnet auf den Mangel an Energie des preußischen Cabinets im entscheidenden Augenblick“. Der Hof, die Staatsmänner und die öffentliche Meinung Englands waren für Preußen, sodaß angesehene Männer von der Nachgiebigkeit gegen Rußland abriethen und Palmerston auf eine entsprechende Wendung hindeutete. Hinsichtlich der militärischen Schwäche ist aber in der Schrift „Der Kriegsminister in der letzten Krisis“ (Leipzig 1851) nachgewiesen, daß der unter demselben Parteidruck stehende Kriegsminister auch nach Bewilligung des Credits die Truppen unverantwortlich verzettelt hatte. Andererseits spricht für M. der Umstand, daß Fürst Schwarzenberg schon 1851 bedauert hat, sich im November 1850 vom Losschlagen gegen Preußen haben abhalten zu lassen. – Wenn der von M. im April 1851 laut angekündigte „Bruch mit der Revolution“, vom Organ der Reactionspartei als dessen Buße und schönster Sieg über sein Herz gefeiert, mehrere Jahre lang auf fast allen Gebieten der Gesetzgebung und Verwaltung Preußens ohne erhebliche Hindernisse durchgeführt werden konnte, so lag dies zum großen Theile daran, daß viele Elemente, welche zur Mitwirkung im öffentlichen Leben berufen gewesen wären, sich enttäuscht und verstimmt zurückgezogen hatten. Akte wie die Preßverordnung, die Wiedereinführung der ländlichen Polizei der Gutsherrschaften, die Stieler’schen[3] Schulregulative, die Ausfindigmachung politischer Processe, die Zulassung polizeilicher Willkür und die Ueberlieferung Schleswig-Holsteins an Dänemark brachten M. in Deutschland in ein immer ungünstigeres Licht. Es fiel daher auch weiter nicht auf, daß er sich gleichgültig verhielt, als 1853 die Mittelstaaten auf Betrieb Oesterreichs in der Frage der Verlängerung der Zollvereinsverträge eine sehr schroffe Stellung gegen Preußen einnahmen. Für das Gewicht einer öffentlichen Meinung zeigte er sich nicht mehr so empfänglich als im Juni 1849; hatte doch der König sein Verhalten noch 1852 offen gebilligt durch die Bestimmung, daß Manteuffel’s Stellung der des früheren Staatskanzlers gleich sein solle. – Was er von den Dresdener freien Conferenzen, der ganzen Frucht von Olmütz, erhofft, hat er nicht erreicht. Seine deutsche Politik war seit 1851 planlos geworden und unbegreiflich war seine dortige Zustimmung zur Aufnahme Gesammtösterreichs in den deutschen Bund, ein Zugeständniß, von welchem ihn nur der Widerstand der Kleinstaaten bald wieder befreite. Erst durch die Anerkennung des wiederbelebten Bundestags erhielt seine deutsche Politik wieder eine bestimmte, wenn auch nicht rühmliche Richtung, indem er Preußen anstandslos an allen Bundesreactionsbeschlüssen theilnehmen ließ. Nach wenigen Jahren der Beobachtung hat jedoch M., wie aus Poschinger’s Werke hervorgeht, in den Bundesangelegenheiten auf Herstellung der früheren Gleichheit und Vorverständigung mit Oesterreich gedrungen sowie den eingehenden Berichten volle Beachtung geschenkt, welche der preußische Gesandte am Bunde, v. Bismarck, seit December 1851 über die Beweise von Oesterreichs Absicht, am Bunde seine Macht zu Preußens [269] Nachtheil auszubeuten, erstattete. Er stimmte in verschiedenen Bundesfragen allen Vorschlägen v. Bismarck’s zur Wahrung einer würdigen Stellung Preußens und zur Zurückweisung der Uebergriffe des Bundespräsidiums vollkommen zu, erbat von 1853–58 in vielen Angelegenheiten der inneren Bundespolitik die Ansichten dieses Gesandten, handelte nach Maßgabe derselben, wie wenn er erst durch ihn zu größerer Festigkeit und besserer Einsicht gelangt wäre, und kam dadurch auf gesundere Wege. Mit derselben Bestimmtheit, mit welcher M. am 23. Juni 1857 Graf Rechberg’s Versuchen, Preußen am Bunde zu majorisiren, entgegentrat, bekämpfte er im Juli und October 1857 das Beust’sche Bundesreformprojekt. Graf Buol’s Versuch, sich des Letzteren anzunehmen, durchkreuzte er mit einer auf seinen Wunsch von v. Bismarck ausgearbeiteten Note. Im März 1858 machte er Oesterreich sogar Vorstellungen wegen Einschüchterung der Kleinstaaten und trat unter Bismarck’s Führung in der Rastadter Besatzungsfrage Oesterreich, in der holstein-lauenburgischen Sache am Bunde Dänemarks Verschleppungsversuchen entschieden entgegen, ja er ließ sich diese Sache im Juli 1858 durch v. Bismarck aus der Hand nehmen. Ein Versuch, ihn ganz durch diesen zu ersetzen, war im März 1854 durch v. Senfft von Pilsach-Gramenz gemacht, jedoch an zwei Generaladjutanten gescheitert. Aehnlich wie in inneren Bundesfragen ließ sich M. in der Orientkrisis im Wesentlichen durch den Gesandten am Bunde leiten. Die wenigen Fälle, in welchen Letzterer davon berührt wurde, veranlaßten einen allgemeineren Gedankenaustausch zwischen Beiden. Ausweislich der Urkunden bei Poschinger bewahrte M. ein offenes Auge für Oesterreichs Bestreben, in der Bamberger Gemeinschaft der Mittelstaaten einen Gegner Preußens zu erziehen und dieses wie den Bund für außerdeutsche Interessen zu verpflichten. Preußens Neutralitätspolitik im Orientkriege, die sich später sehr verlohnte, rief aufs neue in weiten Kreisen lebhaften Unwillen gegen M. hervor, der ähnlich wie 1850 in Warschau und Olmütz Rußlands Machtgebote zu folgen schien; allein die vorwiegend russenfreundliche Richtung war weniger bei ihm als beim König und der Kreuzzeitungspartei vorhanden. Für M., der sich auf v. Bismarck stützte, hatte diese Neutralität ihren Hauptwerth als Vorsicht gegen Oesterreich. Er suchte die freie Hand zu wahren, ohne die Neigung der Hofpartei zu verletzen. Obwol man sich von Berlin aus auf dem Wiener Congreß im Juli 1853 auffallend russenfreundlich gezeigt hatte, lehnte M. am 31. Januar 1854 einen russischen Neutralitätsvertrag ab. Wenn er am 4. März 1854 Englands Vorschlag zu einem gegen Rußland gerichteten Vertrage abwies und sich am 18. März im Abgeordnetenhause für Vermittlung des Friedens aussprach, so ging auch dies aus gestiegenem Mißtrauen gegen Oesterreich hervor. Dieses wurde zwar durch M. mittelst Vertrags vom 20. April 1854 an Preußens Seite gefesselt; allein, durch v. Bismarck gewarnt, lehnte er am 15. Juli Graf Buol’s Zumuthung, auf Grund dieses Vertrags für Oesterreichs besondere Interessen einzutreten, entschieden ab. Er vereitelte wiederholt Oesterreichs an den Bund gestellte gleiche Zumuthung und trug bei der Zusammenkunft des Königs mit Franz Joseph zu Teschen auch zur Zurückweisung der großen Ansprüche der Mittelstaaten bei. Im November 1854 ließ sich M. zwar verleiten mit Oesterreich einen Zusatzvertrag zum Aprilbündniß zu schließen; allein von v. Bismarck auf die Gefährlichkeit aufmerksam gemacht, benutzte er das am 2. December 1854 von Oesterreich mit den Westmächten geschlossene Sonderabkommen zur Abstreifung des ganzen Aprilvertrags. Nachdem Preußen den Beitritt zu jenem Decembervertrag abgelehnt, suchte Oesterreich den Bund hierfür zu gewinnen; M. aber, von v. Bismarck am 1. Januar 1855 abermals auf die von Oesterreich drohenden Gefahren hingewiesen, billigte die Schritte, durch welche am [270] 5. Februar 1855 Oesterreich am Bunde eine große Niederlage beigebracht wurde. Ferner legte er den meisten deutschen Kleinstaaten am 27. Februar die größte Wachsamkeit gegen österreichische und französische Einschüchterungsversuche ans Herz und machte dieselben am 16. März darauf aufmerksam, „daß die Früchte von Oesterreichs undeutscher Politik bereits üppig auf Kosten deutscher Würde und Zugehörigkeit zu wuchern beginnen“. Wenn er vollends aus einer russischen Note vom 30. April Anlaß nahm, den Gegensatz zwischen den beiden deutschen Großmächten offen hervorzukehren und am 6. Juli 1855 in Wien erklären ließ, daß er gegenüber ferneren Anträgen Oesterreichs am Bunde mit aller Schärfe die Linie ziehen werde, welche Preußens und des Bundes Interessen gegen Oesterreich abgrenzen, so hat er den Schritt von Olmütz, soweit es ihm persönlich noch gestattet war, einigermaßen wieder gesühnt. Weiterhin derartigen Eingebungen v. Bismarck’s zu folgen, wurde M. jedoch im Februar 1856 durch den König gehindert. Jene Neutralität hatte freilich zur Folge, daß nach dem Orientkriege Preußen isolirt dastand und erst nachträglich zum Pariser Friedenscongreß zugezogen wurde; M. hat aber auch diese Zurücksetzung Preußens auf sich genommen, wol im gegründeten Bewußtsein, mit der Neutralität das Richtige getroffen zu haben, so wenig es auch damals für den Laien, einschließlich der scharfen und sachkundigen Bekämpfer im preußischen Wochenblatt von 1854 bis 1856, vielleicht erkennbar war. Auf dem Congreß in Paris hat M., fortgesetzter Geringschätzung gegenüber, die Würde Preußens zu wahren verstanden. Dort erhielt er auch „zur Anerkennung der Verdienste um die Wahrung des deutschen und die Wiederherstellung des europäischen Friedens“ nach Abschluß des Vertrags vom 30. Mai 1856 den Schwarzen Adlerorden, wozu im Juni der russische Andreasorden kam. Allerdings hat sich M. durch jene Neutralität verdient gemacht, denn bei größerer Parteinahme für Rußland würde Preußen, wie dieses, im Friedensschlusse benachtheiligt worden sein; der Rücksicht auf eine später von Rußland zu erwartende Dienstleistung scheint er sich jedoch nicht so bewußt gewesen zu sein als der Gefahr vor Oesterreich. v. Bismarck, der sein Augenmerk auf Beides gerichtet hatte, ließ durch seinen Bericht vom 26. April 1856 M. auch ahnen, wie günstige Aussichten man sich für die Zukunft durch Annäherung[WS 3] an Louis Napoleon bereiten könne. Auf diese Einwirkung ist es zurückzuführen, daß M. im December 1856 auch den Vorschlag Bismarck’s genehmigte, durch welchen Napoleon, nachdem Preußen sich zu der bekannten Lösung in der Neuenburger Frage entschlossen hatte, dennoch öffentlich in der ihm schmeichelhaften Rolle eines Vermittlers des preußisch-schweizerischen Abkommens vom 26. Mai 1857 erschien. Was die innere Politik betrifft, so erzielte M. zwar für die Periode 1855–58 eine sehr gefügige zweite Kammer; von den Urtheilen aber über die Art ihres Zustandekommens gibt eine Aeußerung des Prinzen Albert von England Zeugniß, welcher in einem Briefe vom 4. Mai 1858 von einem „bei allen patriotisch und rechtlich Denkenden tiefen und gerechten Abscheu gegen die Wahlumtriebe des Manteuffel’schen Ministeriums“ sprach. Nach Wagener (s. u.) ist er in diese Bahnen „gedrängt“ worden. M. selbst unterlag bei jenen Wahlen in Berlin. Der Umstand, daß er in Folge der Erkrankung König Friedrich Wilhelms IV. vom 23. October 1857 an Ministerpräsident des Prinzen von Preußen als Stellvertreters des Königs war, scheint in gewisser Weise befreiend auf ihn gewirkt zu haben. Als sich im October 1858 die Nothwendigkeit einer Regentschaft herausstellte, war es M., welcher den Streit, ob der Prinz dieselbe kraft königlichen Erlasses oder kraft der Verfassung übernehmen solle, dahin wandte, daß der König aufforderte, der Prinz aber auf Grund der Verfassung annahm. Nachdem nach Uebernahme der Regentschaft [271] eine Zeit verflossen war, ohne daß M. und Genossen um Entlassung gebeten, wurde sie ihnen am 6. November in Gnaden ertheilt. Die Erhebung in den Grafenstand soll M. abgelehnt haben (Kölnische Zeitung Nr. 344 von 1882). Er zog sich zunächst auf sein Gut Drahnsdorf zurück, nahm dann für die Sessionen von 1859 und 1860 für Görlitz ein Mandat zum Abgeordnetenhause an, legte es aber schon am 1. Januar 1861 wieder nieder. Am 13. Januar 1866 wurde er auf Präsentation des Verbandes des alten und befestigten Grundbesitzes der Niederlausitz auf Lebenszeit ins Herrenhaus berufen, in welchem er nur selten das Wort ergriff. Auch nahm er Theil an den Kreis- und Provinzialsynoden sowie der Generalsynode von 1875, ferner am brandenburgischen Provinziallandtag, welcher ihn am 4. Januar 1876 zum Vorsitzenden wählte. Seine Besitzungen hatte er 1852 und 1853 durch Kauf der Güter Crossen und Falkenhain (Kreis Luckau) vermehrt. In seinen letzten Jahren widmete er sich mit Vorliebe den alten Klassikern. Längere Zeit kränkelnd starb er am 26. November 1882 in Crossen. Kaiser Wilhelm sprach sich mittelst eigenhändigen Briefs an die Wittwe mit dankbarer Anerkennung über die von M. dem vorigen Könige geleisteten Dienste aus und bemerkte, daß er, wenn er sich auch von ihm habe trennen müssen, doch nie aufgehört habe, ihm sein Wohlwollen und seine Achtung zu bewahren. Dem Sohne gegenüber bemerkte der Kaiser, er habe oft Manteuffel’s Muth und Unerschrockenheit bewundert. Auch der Magistrat von Berlin richtete ein Beileidsschreiben an die Wittwe. Die Nekrologe in der Presse waren meistens kurz gefaßt. Die Kreuzzeitung (Nr. 280 vom 29. November) sagte: „Es mag richtig sein, daß M. kein wirklich großer Staatsmann war; aber das wird sein unvergängliches Verdienst sein, daß der preußische Staat nach tiefem Niedergang durch ihn und seine muthvolle Thätigkeit die Möglichkeit wieder gewonnen hat, allmählich zu einem neuen Leben und Aufschwung zu kommen.“ Die „Politischen Gesellschaftsblätter“ von H. Wagener (Heft 9 des 4. Quartals 1882) deuteten an, daß M. als Büreaukrat groß geworden und Niemand aus seiner Haut heraus könne. Die „Post“ (Nr. 325) hob das würdevolle Schweigen hervor, in welchem M. seit seinem Rücktritt verharrte. Auch liberale Blätter schlugen einen milden Ton an. (Vgl. Köln. Ztg. Nr. 330, 2. Blatt; Berliner Tageblatt Nr. 556). Die National-Zeitung (Nr. 557) urtheilte: „M. war ein Staatsmann, wie er nicht sein sollte. Ihm fehlte zum Guten nicht blos die Kraft, sondern auch der rechte Wille zur Pflichterfüllung. Es war ein Fehler seiner Gesinnung, womit er die besten seiner Zeitgenossen gegen sich einnahm. Er ward ein warnendes Beispiel für Mit- und Nachwelt, wieviel Schaden ein Minister seiner Art in seinem Lande anrichten kann.“ – Zum Leichenbegängniß sandte Kaiser Wilhelm den Fürsten A. Radziwill und alle königlichen Prinzen ließen ihre Theilnahme bekunden. Im Sterbehause hielt Pfarrer Fricke aus Drahnsdorf, in der Kirche Pfarrer Wahn die Rede. Unterm 1. December 1882 widmeten ihm die Kreisdeputirten der Heimath einen warmen Nachruf. (Kreuz-Zeitung Nr. 236.) – M. hinterließ einen Sohn Otto Karl Gottlob, damals Landrath in Luckau, seit 1877 Mitglied des Reichstags, 1883 des Herrenhauses.

O. Th. Frhr. v. M., Ein preuß. Lebensbild v. G. Hesekiel (Berl. 1851); Grenzboten 1850, 1. Sem., 1. Bd. S. 241 (Hr. v. M., ein verkappter Demokrat) u. 453 (Deutsche Staatsmänner, 2. Hr. v. M.), 2. Bd. S. 136 (über M.’s Rede in Erfurt); 1851, 1. Sem., 1. Bd. S. 430 (Otto Frhr. v. M.); Staats- u. Gesellsch.-Lex. Bd. 12 (Berl. 1863); Duckwitz, Erinner. a. m. öff. Leben (Bremen 1870), S. 113; Ranke, A. d. Briefwechs. Frdr. Wilhelms IV. mit Bunsen (Leipzig 1873); v. Friesen, Erinnerungen, [272] Bd. I (Dresden 1880); Graf Beust, Erinner. zu Erinnerungen (Leipzig 1881); A. d. Briefwechs. d. D. Kaisers mit d. Prinz-Gem. v. Engl. a. d. J. 1854–61 (Gotha 1881); Dtsch. Rundsch., Heft v. Aug. 1881; Publikat. a. d. k. pr. Staatsarchiven, Bd. 13, 14, 15: v. Poschinger, Preußen im Bundestag 1851–59. Dokum. d. k. pr. B.-T.-Gesandtschaft (Leipzig 1882); Reichensperger, Erlebnisse a. 1848 (Berlin 1882), S. 233; Denkw. d. Geh.-R. Stieber, a. d. hinterl. Pap. (Berl. 1883); Temme, Erinnerungen (Leipz. 1883), S. 303 u. 489; Wagener, D. Polit. Friedr. Wilhelms IV. (Berl. 1883), S. 55 u. 61; Aus d. ungedr. Pap. d. pr. Min.-Präs. Frhrn. O. v. M. in D. Revue (Leipzig, October 1883); Wagener, Erlebtes, Abth. 1 (Berl. 1884); G. Beseler, Erlebtes u. Erstrebtes (Berl. 1884), S. 88.

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. S. 261. Z. 9 v. u. l.: Kümmritz, Kr. Luckau (st. Cümritz). [Bd. 21, S. 797]
  2. Z. 8 v. u. l.: Görlsdorf (st. Görtzd.). [Bd. 21, S. 797]
  3. S. 268. Z. 23 v. u. l.: Stiehl’schen st. Stieler’schen. [Bd. 21, S. 797]

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: dee
  2. Vorlage: innnerhalb
  3. Vorlage: Annnäherung