ADB:Rechberg und Rothenlöwen, Bernhard Graf von

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Artikel „Rechberg und Rothenlöwen, Johann Bernhard Graf von“ von Franz Ilwof in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 53 (1907), S. 233–246, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Rechberg_und_Rothenl%C3%B6wen,_Bernhard_Graf_von&oldid=- (Version vom 15. Oktober 2024, 05:34 Uhr UTC)
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Rechberg: Johann Bernhard Graf R. und Rothenlöwen, Staatsmann, entstammt dem schwäbischen Geschlechte Rechberg und Rothenlöwen mit dem Stammhause Hohenrechberg im Oberamt Gmünd, dessen Stammvater Ulrich 1194 die Marschallwürde im Herzogthum Schwaben bekleidete. Seine Nachkommen sollen schon 1227 die Burg Hohenstaufen besessen haben und hatten seit 1613 Sitz und Stimme auf der schwäbischen Grafenbank. Graf Johann Bernhard R. und R. wurde am 17. Juli 1806 zu Regensburg als der zweite Sohn des Grafen Aloys (1766–1849), der zur Zeit des Wiener Congresses und der Karlsbader Zusammenkunft bairischer Minister der auswärtigen Angelegenheiten war, geboren. Er wurde im Elternhause erzogen, studirte sodann zu Straßburg und an der Hochschule zu München, wo er sich für eine Stellung [234] im Staatsdienste vorbereitete. 1828 trat er eine solche als Gesandtschaftsattaché in Oesterreich an. Er wurde der österreichischen Gesandtschaft in Berlin, dann in London zugetheilt; erhielt 1833 einen selbständigen Posten als Geschäftsträger am großherzoglich hessischen Hofe zu Darmstadt, 1836 als solcher in Brüssel, dann in Stockholm und wurde 1843 zum bevollmächtigten Gesandten in Rio Janeiro ernannt. Zum Internuntius in Constantinopel designirt, schlug er diese Stelle aus, weil man sich geweigert hatte, ihm das dortige corrumpirte Subalternpersonal zu opfern, blieb einige Zeit in Disponibilität und nahm erst unter dem Ministerium Felix Schwarzenberg seine diplomatische Thätigkeit wieder auf. Im März 1849 kam er als österreichischer Bevollmächtigter nach Frankfurt am Main, wo er blieb, bis Erzherzog Johann seine Stelle als Reichsverweser niederlegte (Ende 1849). Ungern übernahm er 1851 den Auftrag, bei der auf Anordnung des Bundestages erfolgten Execution in Kurhessen durch Truppen (Baiern und Oesterreicher) zu fungiren. Nach Wien zurückgekehrt, wurde er im Auswärtigen Amte in dem Departement für deutsche Angelegenheiten verwendet und 1851 zum Internuntius in Constantinopel ernannt; Hier gelang ihm die Regelung der durch österreichische Schroffheit verfahrenen Frage der ungarischen Flüchtlinge, indem er die aus diesem Anlasse mit der Pforte entstandenen Zwistigkeiten beilegte, und mit Energie vertrat er die berechtigten Forderungen der Christen in Bosnien, in der Herzegowina und in anderen Landestheilen des osmanischen Reiches, welche sich gegen die Bedrückungen der herrschenden Macht erhoben hatten. Die Schwierigkeiten, welche er hierbei zu überwinden hatte, verschafften ihm die traurige Ueberzeugung von der Untauglichkeit der meisten damals im Oriente bestellten österreichischen Agenten, und gaben ihm Veranlassung, Vorstellungen und Reformvorschläge in dieser Richtung zu erstatten, welche jedoch vorläufig ohne Erfolg blieben.

Während dieser Zeit verwendete ihn das österreichische Cabinet bei einer anderen wichtigen Mission. Im J. 1852 wurde er in außerordentlicher Sendung wegen der Zollfrage an die Höfe der deutschen Mittelstaaten, welche dem Zollvereine angehörten, abgeordnet. Zwischen Preußen und den deutschen Mittel- und Kleinstaaten gab es damals mancherlei Verstimmungen, ja es erhob sich die Gefahr einer Zollkrisis. Preußen gelang es am 7. September 1851, mit Hannover einen Zollvereinsvertrag abzuschließen; da er über die Köpfe anderer Zollvereinsmitglieder hinweg zu Stande gekommen war, verweigerten diese ihre Zustimmung. Preußen kündigte den Zollvereinsvertrag, lud aber zugleich die Vereinsmitglieder zu einer Conferenz im April 1852 in Berlin zur Erneuerung des Zollvereins auf Grundlage jenes Septembervertrages ein. Oesterreich suchte diese Krise zu benützen, um für seinen Plan der Erzielung einer Handelseinigung mit Deutschland zu agitiren. Am 2. Januar 1852 fand in Wien eine Conferenz der deutschen Mittel- und Kleinstaaten zur Verständigung über die österreichischen Vorlagen statt, und am 6. April einigte man sich in der Ministerialconferenz der verbündeten Staaten (Darmstädter Coalition), bei den in Berlin stattfindenden Conferenzen dahin zu wirken, daß eine Verständigung zwischen Oesterreich und den Staaten des Zollvereins gleichzeitig mit dessen Erneuerung und Erweiterung durch den Anschluß des Steuervereins erreicht werde. Am 19. April 1852 wurden die Conferenzen in Berlin eröffnet. Preußen trat allen Zumuthungen der Verbündeten entgegen und erklärte, daß es mit Oesterreich erst dann unterhandeln wolle, wenn die Erneuerung des Zollvereins erfolgt sei. Die Conferenz wurde bis September vertagt. In der Zwischenzeit handelte es sich nun für Oesterreich insbesondere, die süddeutschen Staaten in ihrer für den Kaiserstaat [235] günstigen Stimmung zu erhalten. Zu diesem Behufe sendete das österreichische Cabinet im Juli 1852 R. an mehrere Höfe der deutschen Staaten. Er begab sich zuerst nach München, dann nach Badenweiler zum König von Württemberg. Der Hauptgrund dieser Sendung war, den König an dem Festhalten zur Coalition zu bestimmen. Auf Rechberg’s Vortrag erwiderte der König, daß er sich nicht werde majorisiren lassen und daß er nicht willens sei, der ungeschickten und leidenschaftlichen Leitung der Frage von Seite des bairischen Ministers von der Pfordten blindlings zu folgen, eines Ministers, der noch immer in dem falschen Wahne steht, daß mit einer factiösen Opposition sowie mit einem beständigen Zuwarten am letzten Ende alles der preußischen Regierung abzuzwingen sei.“

Hierauf kam der Knotenpunkt der ganzen Frage, die Zolleinigung, zur Sprache, wobei Oesterreich jetzt schon von Preußen nicht einen bloßen Zoll- und Handelsvertrag, sondern die Zusage einer Zolleinigung in Anspruch nahm. Der König meinte, Preußen könne sich in ein solches Bündniß nie und nimmer einlassen. R. bemerkte, daß nicht so sehr der österreichische Minister der auswärtigen Angelegenheiten, Graf Buol-Schauenstein (Fürst Felix Schwarzenberg war am 5. April 1852 gestorben), auf der Zolleinigung mit Deutschland bestehe, als Kaiser Franz Josef selbst, der entschlossen sei, „für den Fall, daß der Entwurf der Zollvereinigung scheitere, sich gänzlich von dem deutschen Bunde loszusagen, ein Vornehmen, welches seinerseits wiederum in einem gewissen Zusammenhange mit der im Cabinet des Kaisers schon mehrmals aufgeworfenen Frage stehe, ob die Verlegung der Residenz von Wien in ein nicht deutsches Kronland der Dynastie und dem Reiche nicht das Ersprießlichste wäre.“ – Der König erwiderte, daran könne er nicht glauben; ebensowenig aber, daß Preußen auf eine Zolleinigung eingehen werde; Württemberg aber müsse im Hinblick auf seine finanziellen und wirthschaftlichen Verhältnisse an dem Zollvereine festhalten.

R. äußerte sich sodann in einem vertraulichen Gespräche gegen den Oberststallmeister des Königs, Freiherrn v. Taubenheim, daß Graf Buol auf seinem jetzigen Posten sich nicht mehr lange behaupten werde – und er, R., selbst an dessen Stelle kommen werde – was aber doch noch sieben Jahre währte.

Rechberg’s Sendung erfüllte nicht die Wünsche des Wiener Cabinets, um so weniger, als die süddeutschen Coalitionsstaaten im September sich bereit erklärten, den Septembervertrag anzunehmen und den Plan einer deutsch-österreichischen Zolleinigung aufzugeben, jedoch die sofortige Abschließung eines Handelsvertrags mit Oesterreich und die Reducirung der Dauer des Zollvereins von zwölf auf acht Jahre verlangten. Preußen brach die Verhandlungen ab und kündigte für 1853 den Zollverein. Die Coalirten suchten nun behufs Gründung eines süddeutschen Zollvereins mit dem Wiener Cabinet anzuknüpfen; da sie aber von Oesterreich die Garantie ihrer bisherigen Zolleinkünfte verlangten, verzichtete dieses auf die Sprengung des Zollvereins und schloß am 19. Februar einen Handelsvertrag mit Preußen. Die Coalirten genehmigten nun den Septembervertrag und die Reconstruction des Zollvereins für die Dauer von zwölf Jahren.

Nach nur zweijähriger Thätigkeit als Internuntius wurde er von Constantinopel abberufen und dem Generalgouverneur der Lombardei und Venetiens, Feldmarschall Grafen Radetzky, als Civiladlatus an die Seite gegeben. Seine Aufgabe bestand hier darin, nach Aufhebung des Belagerungszustandes die Civilverwaltung in diesen italienischen Gebieten wieder einzuführen und zu leiten. Dies scheint er der Art zur Zufriedenheit des Kaisers und des Ministeriums vollzogen zu haben, daß ihm schon 1855 die Stelle eines [236] Präsidialgesandten bei dem Bundestage in Frankfurt am Main anvertraut wurde, in dem eben damals Bismarck als preußischer Gesandter (1851 bis 1859) seine welthistorische Mission begonnen hatte.

Bismarck achtete und schätzte R.; nur einmal drohte ein heftiger Zusammenstoß. Bismarck schreibt darüber: „Nach einer Sitzung, in der ich Rechberg verstimmt hatte, blieb er mit mir allein im Saale und machte mir leidenschaftliche Vorwürfe über meine Unverträglichkeit: ich sei ein mauvais coucheur und Händelsucher; er bezog sich dabei auf Fälle, in denen ich mich gegen präsidiale Uebergriffe gewehrt hatte. Ich erwiderte ihm, ich wisse nicht, ob sein Zorn nur ein diplomatischer Schachzug oder Ernst sei; aber die Aeußerung desselben sei höchst persönlicher Art. ‚Wir können doch nicht,‘ sagte ich, ‚im Bockenheimer Wäldchen mit der Pistole die Diplomatie unserer Staaten erledigen.‘ Darauf er mit großer Heftigkeit: ‚Wir wollen gleich hinausfahren; ich bin bereit, auf der Stelle.‘ Damit war für mich der Boden der Diplomatie verlassen, und ich antwortete ohne Heftigkeit: ‚Warum wollen wir fahren; hier im Garten des Bundespalais ist Platz genug; gegenüber wohnen preußische Officiere und österreichische sind auch in der Nähe. Die Sache kann in dieser Viertelstunde vor sich gehen; ich bitte Sie nur um Erlaubniß, in wenigen Zeilen die Entstehung des Streites zu Papier zu bringen und erwarte von Ihnen, daß Sie diese Aufzeichnung mit mir unterschreiben werden, da ich meinem Könige gegenüber nicht als ein Raufbold erscheinen möchte, der die Diplomatie seines Herrn auf der Mensur führt.‘ Damit begann ich zu schreiben; mein College ging mit raschen Schritten hinter mir auf und ab, während ich schrieb. Während dessen verrauchte sein Zorn, und er kam zu einer ruhigen Betrachtung der Lage, die er herbeigeführt hatte. Ich verließ ihn mit der Aeußerung, daß ich Herrn v. Oertzen, den mecklenbutgischen Gesandten, als meinen Zeugen zu ihm schicken würde, um das Weitere zu verhandeln. v. Oertzen legte den Streit versöhnlich bei.“

„Es ist auch von Interesse, zu erwähnen, wie es kam, daß ich späterhin das Vertrauen dieses zornigen, aber ehrliebenden Herrn, und vielleicht, als wir Beide Minister geworden, seine Freundschaft erworben habe. Bei einem geschäftlichen Besuche, den ich ihm machte, verließ er das Zimmer, um seinen Anzug zu wechseln, und überreichte mir eine Depesche, die er eben von seiner Regierung erhalten hatte, mit der Bitte, sie zu lesen. Ich überzeugte mich aus dem Inhalte, daß R. sich vergriffen und mir ein Schriftstück gegeben hatte, das zwar die fragliche Sache betraf, aber nur für ihn bestimmt und offenbar von einem zweiten ostensiblen begleitet gewesen war. Als er wieder eingetreten war, gab ich ihm die Depesche zurück mit der Aeußerung, er habe sich versehen; ich würde vergessen, was ich gelesen hätte. Ich habe in der That vollkommenes Schweigen über sein Versehen beobachtet und in Berichten oder Gesprächen von dem Inhalt des geheimen Schriftstückes und seinem Versehen keinen auch nur indirecten Gebrauch gemacht. Seitdem behielt er Vertrauen zu mir.“

Als Vertreter Oesterreichs im Bundestage trachtete R. ein freundliches Zusammengehen der beiden Großmächte zu erzielen; Bismarck jedoch war seit dem Krimkriege zum Bruche mit Oesterreich entschlossen; daher verhielt er sich R. gegenüber gewinnend in der Form, blieb aber sachlich in schroffer Kampfesstellung gegen Oesterreich. Obwohl politische Kampfesgegner, respectirte Bismarck doch R., und dieser erkannte und achtete die Höhe des Bismarck’schen Geistes. – So verflossen die vier Jahre, die R. als Bundespräsidialgesandter in Frankfurt zubrachte.

[237] Inzwischen hatte sich Buol-Schauenstein durch seine diplomatischen Mißgriffe als Minister der auswärtigen Angelegenheiten während des Krimkrieges unmöglich gemacht. Er hatte seinem Kaiserstaate die Westmächte entfremdet, Rußland in eine Oesterreich geradezu feindselige Stellung gebracht, Preußen durch kühle Behandlung verstimmt und gleichzeitig waren sich Sardinien unter Cavour’s genialer Leitung und Frankreich durch die eines sardischen Corps im Kampfe vor Sebastopol so nahe getreten, daß eine intime Allianz zwischen diesen beiden Staaten, welche große Veränderungen im Territorialbestande in Italien voraussehen ließ, zu erwarten war. Und so kam es auch. Der Krieg zwischen Sardinien und Frankreich einerseits und Oesterreich anderseits begann Ende April 1859; am 14. wurde Buol entlassen und R. trat am 21. in einem der bedenklichsten Momente in der Geschichte des alten Kaiserstaates als Minister des Aeußern und Ministerpräsident an jenes Stelle. R. berichtet selbst über seine erste Thätigkeit in dem schweren Amte: „Graf Buol, mein Vorgänger, trat 1859 nicht deshalb von der Stelle eines Ministers des Aeußern zurück, weil er den Krieg mißbilligte, sondern weil er den Zeitpunkt tadelte, in dem er begonnen wurde und nichts von der Kriegserklärung erfuhr. Der Befehl an Gyulai, in Piemont einzurücken, erging direct aus der Militärkanzlei des Kaisers, ohne daß Buol davon verständigt wurde. Daraufhin gab Buol seine Entlassung. Kurze Zeit, nachdem ich das Ministerium übernommen hatte, reiste der Kaiser, es war vor der Schlacht von Solferino, zur Armee ab. Ich erhielt das Telegramm, der Kaiser habe den Befehl zur Räumung Anconas gegeben. Ich telegraphirte sofort, der Befehl möge rückgängig gemacht werden; denn an dem Besitze von Ancona hing die Herrschaft über das Adriatische Meer. Vergebens! Die Räumung war bereits vollzogen.“ Der Krieg nahm einen unglücklichen Verlauf. Den verlorenen Schlachten von Magenta und Solferino folgte der Waffenstilland von Villafranca und die Friedensverhandlungen zu Zürich (November 1859), bei welchen R. Oesterreich vertrat. Der Krieg war zu Ende; das Reich aber blutete aus tausend Wunden; doch hofften die Kreise der Intelligenz jetzt, daß der Clericalismus und Militarismus, welche den Staat an den Rand des Abgrundes gebracht, auf den Schlachtfeldern Italiens zusammengebrochen sei und die Regierenden genöthigt sein würden, mit dem bisherigen System zu brechen, sich an die Mithülfe des Volkes zu wenden und zu einer staatsrechtlichen Umbildung der Monarchie, von dem hierarchisch-militärischen Absolutismus auf, wenn auch sehr gemäßigte, constitutionelle Bahnen zu schreiten. – Diese Hoffnungen gingen jedoch vorläufig noch nicht in Erfüllung; das Ministerium Rechberg-Goluchowski versprach im Programme vom August 1859 nur die Wiederherstellung der alten ständischen Vertretungen; sah sich aber, da die finanzielle Noth immer größer wurde, genöthigt, Juni 1860 den sogenannten verstärkten Reichsrath, aus durchaus von der Regierung ernannten Mitgliedern bestehend, einzuberufen. Alle Ergebnisse seiner Verhandlungen bewiesen jedoch, daß er mit den rückständigen Anschauungen einer alten Ständeversammlung nicht geeignet sei, den Ansprüchen des nach freier Entwicklung und Selbstverwaltung strebenden Bürgerthums zu entsprechen, und am 28. September 1860 erfolgte plötzlich seine Schließung. – Kurz darnach wurde der erste Schritt gethan zur Einlenkung des Kaiserstaates vom Absolutismus in constitutionelle Formen. December 1860 trat Goluchowski zurück; Schmerling wurde Staatsminister, Erzherzog Rainer Ministerpräsident; R. blieb Minister des Aeußern. Am 27. Februar 1861 erfloß die Februarverfassung. – Octoberdiplom und Februarverfassung tragen Rechberg’s Unterschrift. In den inneren Angelegenheiten begann also Rechberg’s Ministerschaft nicht ungünstig, wenn er auch bei all [238] diesen wichtigen Vorgängen nicht activ, sondern nur durch Beifügung seines Namens mitwirkte.

So günstig die Anfänge Rechberg’s in den inneren Angelegenheiten, so wenig glücklich waren sie in der äußeren Politik. In Deutschland zeigte sich 1859 eine lebhafte nationale Bewegung; es bildete sich der Nationalverein. Da war R., eben Minister geworden, kurzsichtig genug, Polizeimaßregeln dagegen in Anwendung bringen zu wollen, statt sich dieser Bewegung zu Gunsten Oesterreichs zu bemächtigen und die Volksstimmung gegen Preußen auszuspielen. Das zeigte sich besonders in seiner Action gegen den Herzog Ernst von Koburg. Der Herzog hatte eine Deputation seiner Gothaer Bürgerschaft empfangen, die ihm den Wunsch ausdrückte, „die Bildung einer großen nationalen Partei zu befördern, deren Ziel ein Bundesstaat mit Volksvertretung sei, unter der militärischen und diplomatischen Führung Preußens“; er sprach sein Einverständniß mit diesem politischen Ziele aus und versicherte, daß er stets mit Rath und That zur Hand sein werde, wo es sich darum handelt, unserem Vaterlande das Ansehen und die Macht zu verschaffen, auf welche die deutsche Nation vor allem so gerechten Anspruch hat. Diese Worte gaben R. Anlaß zu diplomatischen Noten, in denen sie „als im Munde eines souveränen Fürsten ganz besonders tadelnswerth“ bezeichnet wurden, und der Berliner Regierung wurde „verhoben, daß sie in ihrer nächsten Nähe die bedenklichsten Umtriebe zum Umsturze des ehrwürdigen deutschen Staatenbundes dulden könne“. Die Rechberg’sche Note wurde von Preußen mit dem Hinweise darauf beantwortet, daß Herzog Ernst den Gothaern nichts anderes gesagt habe, als worüber vor zehn Jahren alle deutschen Fürsten einig gewesen seien.

R. scheint diesen Verstoß bald erkannt zu haben, lenkte ein, suchte die üble Laune der Wiener Hofkreise gegen Preußen, wegen dessen Zurückhaltung im italienisch-französischen Kriege zu beschwichtigen und erwirkte eine Zusammenkunft des Kaisers Franz Josef mit dem Prinzregenten von Preußen (25. Juli 1860) zu Teplitz, um eine Verständigung in den schwebenden politischen Fragen zu erzielen. Ebenso veranlaßte er seinen Kaiser an der Zusammenkunft des Zars Alexander II. mit dem Prinzregenten in Warschau (22.–26. October 1860) theilzunehmen, wodurch die arge Verstimmung des Zars gegen Oesterreich wegen dessen Haltung während des Krimkrieges einigermaßen gemildert wurde. Zu positiven Entschließungen aber, besonders gegenüber Victor Emanuel und gegen dessen aggressives Vorgehen auf der italienischen Halbinsel gelangte man in Warschau nicht.

Rechberg’s Politik war eine conservative; stets suchte er vermittelnd zu wirken. An die deutsche Frage sollte nicht gerührt werden; Oesterreich und Preußen sollten zusammenhalten, schon um der demokratischen Strömung zu begegnen. Eine starke Regierung im Innern und das Gleichgewicht beider Staaten in Deutschland waren die Hauptpunkte seines Programms. Hingegen betrachtete er Napoleon III. als den Erzfeind Oesterreichs, von dem er fürchtete, daß er neuerdings die nationale Frage in Italien und Deutschland zum Nachtheile Oesterreichs aufrollen werde.

Als Schmerling Ende 1860 Staatsminister geworden war, zeigte sich bald ein Gegensatz zwischen ihm und R.; der Staatsminister hatte Oesterreich zum constitutionellen Staate umgestaltet; das dadurch verjüngte Reich wollte er zum gebietenden Staate im Deutschen Bunde erheben; dabei trat ihm mit den Einwendungen der diplomatischen Routine R. entgegen, der der Kraft Oesterreichs mißtraute, Deutschland eine neue Organisation zu geben. Vorerst behielt Schmerling die Oberhand. Als aber die preußische Note vom 20. December 1861 wieder die Bildung eines engeren Bundes unter der Führung [239] Preußens vorschlug, entschloß sich R., Graf Bloome an die deutschen Höfe zu entsenden, um sie zu gemeinsamem Vorgehen gegen Preußen zu bestimmen. Am 2. Februar 1862 erging eine identische Note von Oesterreich, Baiern, Sachsen, Württemberg, Hannover, Hessen und Nassau nach Berlin, in welcher der Anspruch Preußens zurückgewiesen wurde. R. noch weitergehend, trat mit dem Vorschlage einer Bundesreform (Bundesdirectorium mit Centralisation der deutschen Angelegenheiten, Delegirtenversammlung aus den Vertretungen der einzelnen Staaten) hervor. Wäre dieser Plan durchgedrungen, so wäre Oesterreichs Macht in Deutschland außerordentlich gestiegen. Zur Annahme war jedoch Einstimmigkeit beim Bundestage erforderlich. Preußen versagte seine Stimme, und so war der Gegensatz zwischen Oesterreich und Preußen damals schon scharf zugespitzt.

Im J. 1863 stand die Erneuerung des deutschen Zollvereins bevor. Deshalb begannen Besprechungen (29. März 1862) zwischen Preußen und Frankreich wegen Abschluß eines Handelsvertrages. Am 27. Mai protestirte R. gegen einen solchen Vertrag, weil dadurch die von Oesterreich im Vertrage vom 19. Februar 1853 erworbenen Rechte verletzt würden. R. legte am 16. Juli 1862 dem Bundestage Entwürfe von Verträgen vor, durch welche vom 1. Januar 1865 an Gesammtösterreich und der Zollverein ein Verkehrsgebiet bilden sollten, worauf Oesterreich alle Tarife des Zollvereins annehmen würde. Preußen schloß jedoch am 2. August 1862 den Vertrag mit Frankreich ab, kündete am 15. December 1863 die Zollvereinsverträge allen Vereinsstaaten, die nicht bis zum 1. October 1864 den Handelsvertrag mit Frankreich ratificirt haben würden – damit war die Opposition der deutschen Mittel- und Kleinstaaten lahm gelegt, und Preußen blieb in dieser Handelsvertrags- und Zollvereinsfrage vollständiger Sieger über Oesterreich.

Am 3. October 1862 war Bismarck Ministerpräsident und Minister der auswärtigen Angelegenheiten in Preußen geworden, und schon im Januar 1863 hatte er im Adreßausschusse des preußischen Landtages von dem schmalen Leibe Preußens gesprochen, der eine schwere Rüstung tragen müsse und in der Circularnote vom 20. Januar 1863 Oesterreich den Rath ertheilt, seinen Schwerpunkt nach Ofen zu verlegen, um nicht Preußen zu zwingen, sich mit dessen Feinden zu verbünden.

Als 1863 die Revolution in Russisch-Polen ausbrach, fand sie Sympathie bei den Westmächten, während Oesterreich und Preußen kriegerische Vorkehrungen an den Grenzgebieten trafen und letzteres sich anschickte, Rußland noch thatkräftiger zu unterstützen. England und Frankreich waren zwar durchaus nicht gewillt, es auf einen Krieg mit Rußland ankommen zu lassen, und wollten sich nur beim Zar zu Gunsten Polens verwenden; sie waren entschlossen, über einen diplomatischen Notenkrieg nicht hinauszugehen. Sie zogen Oesterreich in ihren Bund, und nach längeren Verhandlungen einigten sich die drei Mächte zu gleichlautenden Noten, worin mit Berufung auf die Wiener Verträge dem Petersburger Cabinet der Wunsch ausgesprochen wurde, die Angelegenheiten in der Art zu ordnen, „das dem polnischen Volke der Friede wieder geschenkt und auf dauernder Grundlage befestigt werden möchte.“ Hierauf erklärte der russische Minister des Auswärtigen, Fürst Alexander Gortschakoff, daß die russische Regierung keineswegs abgeneigt sei, in eine Verständigung auf dem Boden der Verträge einzugehen, ließ aber zugleich einfließen, „daß die polnische Insurrection nur den fortwährenden Aufwiegelungen der über ganz Europa ausgebreiteten kosmopolitischen Revolutionspartei zuzuschreiben sei, und daß daher die Mächte zu der gewünschten Pacification Polens am meisten selbst beitragen könnten, wenn sie jene Quelle verschließen [240] würden.“ Auf das hin begnügten sich schließlich die drei Cabinete mit der Vorlegung von sechs Forderungen, von denen die russische Regierung bereits einige gewährt hatte, andere zuzugestehen entschlossen war.

Als Gortschakoff seine Antwortdepesche den drei Mächten zukommen ließ, war der Aufruhr bereits im Verschwinden. Zu seiner Unterdrückung hatte wesentlich beigetragen, daß Preußen und Oesterreich durch eine strenge Grenzwache jede Zufuhr von Waffen, Kriegsbedarf und Mannschaften abschnitten. So gelang Rußland bald die Bewältigung des Aufstandes; es lehnte die Einmischung der Wiener Vertragsmächte ab und erklärte die Angelegenheit für eine nur die Theilungsmächte betreffende Sache. Somit blieb den drei Mächten nur die Wahl, die russische Regierung ruhig gewähren zu lassen, ohne sich weiter um die polnische Frage zu kümmern, oder das Schwert zu ziehen. R., der, wie es scheint, ohnehin nur mit halbem Herzen sich in dieser Frage den Westmächten angeschlossen hatte, ergriff die Gelegenheit des Rückzugs mit beiden Händen; England folgte bald diesem Beispiele, und Napoleon III. suchte sich durch den Vorschlag eines Congresses, der jedoch an der Weigerung Englands scheiterte, mit Ehren aus der Sache zu ziehen. Oesterreich hatte durch die gemeinsame Action mit den Westmächten seine Stellung zum nördlichen Nachbar, die sich seit dem Krimkriege ohnehin schon sehr bedenklich gestaltet hatte, nicht verbessert und mußte das 1866 fühlen, als Rußland durch wohlwollende Neutralität Preußens Angriff auf Oesterreich begünstigte und 1870, als Rußland, damals freilich zum Wohle Oesterreichs, die Kriegslust desselben gegen Preußen durch drohende Stellungnahme rasch unterdrückte.

In dem weiteren politischen und diplomatischen Kampfe zwischen Oesterreich und Preußen um die Vorherrschaft in Deutschland bildet der Fürstentag zu Frankfurt a. M. die entscheidende Wendung. Bekanntlich wurde Kaiser Franz Josef durch seinen Schwager, den Erbprinzen von Thurn und Taxis und durch eine von Julius Fröbel verfaßte Denkschrift für dieses Projekt gewonnen. Unter dem Vorsitze des Kaisers von Oesterreich sollte ein deutscher Fürstentag nach Frankfurt berufen werden, der eine Verfassung für Deutschland berathen und beschließen sollte; nach dieser hätte eine ständige Versammlung der deutschen Fürsten neben einer von den Landtagen gewählten Kammer an Deutschlands Spitze stehen sollen. Lange behielt der Kaiser dieses Projekt selbst vor seinen Ministern geheim; nur der Referent für deutsche Angelegenheiten im Ministerium des Auswärtigen, Freiherr v. Biegeleben, wurde in das Geheimnis einbezogen und arbeitete in Verbindung mit dem Freiherrn v. Dörnberg, einem im Dienste des Hauses Thurn und Taxis stehenden Staatsmanne einen vollständigen deutschen Reformentwurf aus, und Schmerling wurde durch diese beiden von den Absichten des Kaisers in Kenntniß gesetzt. Endlich wurden R. und Schmerling amtlich um ihre Meinungen befragt. Als R. jetzt erfuhr, daß Schmerling davon schon Kenntniß hatte, fühlte er sich tief gekränkt. Er trat auf das entschiedenste gegen den Plan des Kaisers auf, prognosticirte die Aussichtslosigkeit des Gelingens; auf friedlichem Wege sei er nicht durchzuführen, da eine Aenderung der Bundesverfassung Einstimmigkeit sämmtlicher Staaten erfordere; solle die Reform erzwungen werden, so sei Krieg mit Preußen unausweichlich. Er gab deßhalb seine Demission, die jedoch vom Kaiser nicht angenommen wurde. R. blieb, stellte jedoch die Bedingung, daß er, und nicht Schmerling, den Kaiser nach Frankfurt begleiten dürfe, was für den Staatsminister wieder eine Zurücksetzung war. August 1863 fand der Fürstentag in Frankfurt statt; er scheiterte an der Weigerung Preußens, an ihm theilzunehmen und der von ihm entworfenen Verfassung Deutschlands die Zustimmung zu geben.

[241] R. versuchte es noch einmal, zu dem vom Kaiser Franz Josef so sehr erwünschten Ziele zu gelangen. Auf der Ministerconferenz zu Nürnberg sollten jene Staaten, welche in Frankfurt der Reformacte zugestimmt hatten, ohne Preußen zu einem festen Bunde vereinigt werden. Doch auch dieser Plan mißlang.

In dieser ganzen großen politisch-diplomatischen Angelegenheit hatten eigentlich doch Rechberg’s bei Beginn geäußerte Anschauungen gesiegt; Schmerling’s großgedachte Entwürfe scheiterten; Rechberg’s Grundgedanke war ja, Deutschland sei nur in friedlichem Vereine Oesterreichs und Preußens zu reformiren, wolle man Reformen erzwingen, so sei dies Krieg zwischen den beiden Vormächten.

Nach dem am 15. November 1863 erfolgten Tode König Friedrich’s VII. von Dänemark, des letzten aus dem Mannesstamme des Hauses Oldenburg, entbrannte der Kampf um den Besitz von Schleswig-Holstein. Da damals schon Bismarck’s Hauptziel Machtzuwachs für Preußen, am besten durch directe Einverleibung der Herzogthümer, war, so wies er den Erbanspruch des Augustenburgers auf das schroffste ab. Vom österreichischen Cabinet wurde Christian IX. als Erbe sowohl Dänemarks als der Elbherzogthümer anerkannt; aber kraft des Londoner Vertrags wurde von ihm verlangt, er solle den Herzogthümern eine eigene Verfassung geben. Darüber hinaus wollte R. nicht gehen; die Erbrechte des Augustenburgers hielt er für abgethan. An diesem Punkte trafen die österreichische und die preußische Politik zusammen. Aber nur scheinbar; R. erhoffte die allseitige Anerkennung des Londoner Vertrages. Bissmarck jedoch sah in einem zu erwartenden Kriege den Beginn einer großen politischen Action, und war entschlossen, an dem Londoner Abkommen nur so lange festzuhalten, bis infolge der Hartnäckigkeit der Dänen der Kampf ausgebrochen war. Allerdings wollte R. Oesterreich gegen spätere Ueberraschungen von Seite Preußens schützen; in einem Ministerrathe unter dem Vorsitze des Kaisers (10. Januar 1864) wurden die Bedingungen des neuen Bundes mit Preußen beschlossen und diesem ein Vertragsentwurf vorgelegt, wonach die Elbherzogthümer nur dann von Dänemark ganz getrennt werden sollten, wenn beide deutschen Großmächte dem beistimmten. Bismarck lehnte diese Bedingungen ab und machte den Gegenvorschlag, es solle von den beiden Mächten vorher gar nichts über die Herzogthümer festgestellt werden; freie Bahn sei für jede Lösung offen zu halten. Oesterreich und Preußen sagten sich lediglich zu, daß nach der Eroberung der Herzogthümer von ihnen im friedlichen Vereine über deren Schicksal entschieden werden solle.

Bismarck wendete alle Mittel seiner Staatskunst an, um Oesterreich zur Annahme dieses Vorschlags zu bewegen. R. gab nach, weil Bismarck drohte, Preußen werde allein gegen Dänemark ziehen und die Herzogthümer befreien. R. hätte allerdings Preußen überbieten, sich von dem Londoner Vertrage lossagen, an die Spitze der Mittelstaaten treten und den Herzog von Augustenburg in Schleswig-Holstein einsetzen können. Dazu aber war Rechberg’s Politik zu kleinmüthig; er besaß den richtigen Blick in die Dinge, ließ sich aber zuletzt immer aus seiner Bahn werfen. Bismarck zeigte die Macht eines festen Willens über den Schwankenden und riß das zögernde Wiener Cabinet mit sich fort, welches den preußischen Bundesentwurf annahm.

Die öffentliche Meinung in Oesterreich und der Reichsrath traten entschieden gegen Rechberg’s Politik auf, verwarfen die Lossagung vom deutschen Bunde, die Verbindung mit Preußen, den mit diesem gemeinsamen Zug nach Schleswig-Holstein und forderten, daß Oesterreich sich der Entscheidung des [242] Bundestages anschließen, der Vollstrecker seines Programms sein solle. In der Debatte vom 28. bis 30. Januar 1864 im österreichischen Abgeordnetenhause wurden Rechberg’s Maßnahmen auf das heftigste angegriffen. Eine Aenderung konnte jedoch nicht mehr erzielt werden.

Auch die deutschen Mittel- und Kleinstaaten standen dem einseitigen Auftreten Oesterreichs und Preußens, ohne sie und ohne den Bund, mißgünstig gegenüber, und die Bevölkerung der größeren Städte theilte diese Anschauungen, was eine Episode, die sich damals in Nürnberg zutrug, beweist. Der österreichische Generalstabshauptmann Gründorf war von R. und vom Kriegsminister von Wien nach Berlin, Braunschweig, Hannover, Kassel und Nürnberg gesendet worden, um in diesen Städten, wo die von Oesterreich nach Holstein fahrenden Truppen kurze Raststationen zu halten hatten, für Unterkunft und Etappenverpflegung zu sorgen. In Nürnberg kam es, als Gründorf dort anlangte, zu nicht unbedeutenden Demonstrationen gegen die österreichische Politik. Die Bevölkerung war über das alleinige Vorgehen der deutschen Vormächte entrüstet, und der Bürgermeister erklärte Gründorf, die Nürnberger seien dem Durchzuge der österreichischen Truppen sehr abgeneigt, und wenn er wirklich einträte, sei Schweres zu befürchten. Während Gründorf beim Bürgermeister weilte, wurde in der That vor dem Hotel, in dem er abgestiegen war, lebhaft demonstrirt. Auf das hin richtete er eine chiffrirte Depesche an R., die von diesem am andern Morgen damit erwidert wurde, daß die Verhandlungen über die Durchfahrt der Truppen mit Baiern beendet seien und die Stadt Nürnberg bereit sein werde, die Etappenconvention abzuschließen. Auch der Bürgermeister hatte von der bairischen Regierung bereits den Auftrag erhalten, die Etappenconvention unweigerlich zu unterzeichen, da Oesterreich mit dem Aufmarsche am Inn gedroht habe, falls die Convention nicht binnen 24 Stunden unterzeichnet sei. Und diese Unterzeichnung des Protocolls erfolgte sogleich; der Durchzug der österreichischen Truppen war gesichert. R. hatte Baiern durch die Drohung mit dem Aufmarsche am Inn zum Abschluß der Etappenconvention gezwungen, fand es aber doch nicht für gerathen, die österreichischen Truppen beim Durchzuge durch Süd- und Mitteldeutschland etwaigen Behelligungen auszusetzen und vereinbarte mit Bismarck, daß das österreichische Armeecorps den Weg nicht über Nürnberg-Kassel-Hannover-Harburg, sondern über Breslau-Wittenberg-Berlin nach Hamburg nähme, also das Gebiet der deutschen Mittelstaaten ganz meide und nur auf preußischem Territorium fahre. – Um so freundschaftlicher waren damals die Beziehungen zwischen Oesterreich und Preußen, wie ein kurz darnach erfolgter Vorgang in Breslau bezeugt. Derselbe Generalstabshauptmann Gründorf wurde wegen der geänderten Fahrtrichtung der kaiserlichen Truppen unmittelbar vor dem Beginne des Krieges von Wien nach Breslau gesendet, um die Fahrordnung für die Militärzüge von Wien und Prag nach Hamburg und Rendsburg, das rollende Material und die Etappenverpflegung für die Truppen festzustellen. Die Verhandlungen mit dem Commandanten des schlesischen Militärbezirkes Generallieutenant v. Mutius gingen leicht und glatt von statten. Bei einem Diner, das zu Ehren des österreichischen Generalstabshauptmanns in der Officiersmesse der schlesischen Kürassiere gegeben wurde, sprach Rittmeister Graf Ballestrem (später viele Jahre Präsident des deutschen Reichstags) einen sehr bezeichnenden Toast; er feierte die bevorstehende Waffenbrüderschaft Oesterreichs und Preußens, deutete auf die Möglichkeit eines künftigen Krieges mit dem westlichen Nachbar hin, den beide deutsche Mächte vereint auskämpfen sollten, und wies schließlich darauf hin, daß zwischen Norddeutschen und Süddeutschen große Verschiedenheit des Charakters herrsche, und das jeder Theil mehr leisten würde, wenn er seiner [243] Eigenart volle Rechnung tragen könnte. – Es war dies eine Anspielung auf die Theilung Deutschlands nach der Mainlinie, wobei Oesterreich an die Spitze eines deutschen Südbundes gelangt wäre. In maßgebenden Kreisen Preußens scheint man damals mit einer solchen Lösung der deutschen Frage einverstanden gewesen zu sein. Wie ganz anders stünde es um den alten Kaiserstaat, wenn seine Staatsmänner darauf eingegangen wären! Gründorf sendete über diesen ganzen Vorgang eine chiffrirte Depesche an R., erhielt jedoch darauf keine Antwort. Uebrigens hätte es damals kein Minister gewagt, dem Kaiser Franz Josef mit einem solchen Vorschlage näher zu treten.

Der Krieg Oesterreichs und Preußens gegen Dänemark begann am 1. Februar 1864 und endete siegreich für die Verbündeten mit dem Waffenstillstande vom 20. Juli und mit dem Wiener Frieden vom 30. October.

Noch während des Krieges fanden lebhafte diplomatische Verhandlungen statt. Bismarck sandte eine Depesche nach Wien, in welcher er neue Vorschläge machte. Schleswig-Holstein solle dem Augustenburger überlassen werden, unter der Bedingung, daß er Preußens Interessen Rechnung trage; damit war die militärische Unterordnung unter Preußen und die Abtretung des Kieler Hafens gemeint. Damit sah sich R. bloßgestellt; unter seinen Füßen wankte der Boden, wankte seine Stellung im Auswärtigen Amte. Die öffentliche Meinung machte immer mehr gegen ihn Front; warf ihm vor, er habe durch seine Politik nur Preußen gefördert; Oesterreich solle den Augustenburger auf seinen Schild heben; selbst auf die Gefahr hin eines Krieges mit Preußen; solle sich, wie zur Zeit des Fürsten Schwarzenberg, mit den deutschen Mittelstaaten gegen Preußen verbünden. Zu so energischem Auftreten besaß R. nicht die nöthige Kraft. Einen halben Schritt that er, – doch unglücklicherweise. Er lud den Vertreter des Herzogs von Augustenburg in Wien, Herrn v. Wydenbrugk, zu sich und eröffnete ihm, daß Oesterreich entschlossen sei, den Herzog zum Herrn von Schleswig-Holstein zu machen; doch dürfte er auf keinen Fall einen Separatvertrag mit Preußen schließen, durch welchen er eines seiner Hoheitsrechte abträte. Wydenbrugk begab sich sofort zum Augustenburger nach Kiel, und als dieser nun nach Berlin gerufen wurde, widerstand er auf das Zäheste den Anforderungen des Königs und Bismarcks, ein Abkommen mit Preußen zu schließen.

Nach dem Kriege herrschte zwischen den beiden Staaten, namentlich zwischen den Herrschern, Einverständniß.

Am 22. August 1864 fand eine Zusammenkunft beider, und auch Bismarcks und Rechberg’s, in Schönbrunn statt. Bismarck hielt an der Erwerbung der Herzogthümer durch Preußen fest; König Wilhelm scheint nur an militärische Concessionen des in Schleswig-Holstein einzusetzenden Herzogs zu Gunsten Preußens gedacht zu haben. Ueber die Zukunft der eroberten Gebiete konnte man sich nicht einigen. Jedoch über Abmachungen für den Fall eines Angriffs Frankreichs auf Oesterreich in Italien wurde zwischen R. und Bismarck verhandelt, der hierzu seine Zustimmung gab. Jener erzählt darüber: „Es war Mitternacht und ich begab mich sofort zu Biegeleben (Unterstaatssecretär und Referent für deutsche Angelegenheiten), ihm das Besprochene mittheilend und forderte ihn auf, einen Vertragsentwurf in diesem Sinne abzufassen. Biegeleben aber, der Preußen mißtraute und keine nähere Verbindung mit ihm wünschte, erklärte, er gäbe sich nicht dazu her und weigerte sich, den Vertrag zu entwerfen. Ich stellte darauf die wichtigsten Punkte fest und legte sie am nächsten Tage bei der Zusammenkunft beider Monarchen vor. Sie billigten die Punktationen, und damit trennten sich die Herrscher.“ – Daraus ergibt sich wohl, daß damals schon Rechberg’s Stellung im eigenen Ministerium [244] erschüttert war. – Dazu kam jetzt auch noch die ablehnende Haltung Preußens bei den Verhandlungen über den Handelsvertrag. Durch all das war die öffentliche Meinung über Rechberg’s Politik, welche in dem diplomatischen Kampfe mit Bismarck nur Niederlagen erlitten hatte, arg erregt. Die Anzeichen des Zusammenbruches des Rechberg’schen Systems wurden sichtbar. Die Mißerfolge seiner Politik erregten gegen ihn einen Sturm im Ministerrathe; alle Minister, insbesondere Schmerling, traten gegen ihn auf; R. suchte sich zu halten, doch umsonst; er erklärte, er wolle eine andere Politik, als die bisher eingehaltene, acceptiren; Schmerling jedoch bestand auf Rechberg’s Rücktritt, denn ohne einen entschiedenen Wechsel in der äußeren Politik könne er dem Reichsrathe, dessen Zusammentritt in wenigen Tagen bevorstand, nicht gegenüber treten. R. mußte fallen.

Im Abgeordnetenhause des Reichstages hatte R. ohnehin seit langem eine schwere Stellung; energische und fachkundige Gegner waren ihm dort oft gegenübergetreten. Bei der Debatte, Mai 1862, über den Gehalt des österreichischen Botschafters beim Vatican, Alexander Freiherrn v. Bach, suchte R. den Klagen über die Haltung der nach dem Systeme Metternich großgezogenen Beamten mit der Erklärung zu begegnen: „Sollten meine Organe den Gehorsam verweigern, sollten sie in einem andern Systeme gehen, als in dem, das die Regierung befolgt, dann wird die Regierung sie zur Ordnung bringen, sie wird zu strafen wissen“. Die Erklärung klang sehr drakonisch, blieb aber auf die Beamten der alten Ordnung ohne Wirkung, wie der oben erwähnte Insubordinationsfall Biegeleben’s beweist. – Im November 1862 trat R., und da mit vollem Rechte, den im Abgeordnetenhause häufig sich erneuernden Forderungen nach einer Armeereduction mit dem Hinweise entgegen, daß angesichts der europäischen Lage kein Staat daran denken könne, einen solchen Schritt allein zu wagen, da derzeit kein Staatsmann, auch nur für kurze Zeit, für die Aufrechterhaltung des Friedens eintreten könne. – Besonders heftig bekämpften (Januar 1863) Mühlfeld, Kuranda, Berger, Brinz Rechberg’s Politik, und warfen ihm vor, er treibe eine Politik der Verlegenheiten. R. verwahrte sich gegen diesen Vorwurf, denn eine Regierung, die in Verlegenheiten ist, sagte er, verliert die Achtung in den Augen des Auslandes. – In der Sitzung vom 11. November 1863 verlangte Kuranda die Vorlage eines Blaubuches, um Einsicht in die Acten und Depeschen des auswärtigen Amtes zu erlangen. R. lehnte die Einsicht in die Acten ab und verweigerte die Ausgabe eines Blaubuches. – Bei der Debatte über das Budget (Ende 1863) strich das Abgeordnetenhaus das Gehalt des Botschafters beim Papste; R. sprach sich dagegen aus und vertrat die Ansicht, das Recht des Hauses bestehe nur darin, das Budget im Ganzen zu verweigern, einzelne Posten abzulehnen, stehe dem Parlamente nicht zu. Das Abgeordnetenhaus strich, das Herrenhaus jedoch stellte die ursprüngliche Ziffer wieder her.

So hatte R. in der öffentlichen Meinung, im Reichsrathe und im eigenen Ministerium allen Boden verloren und der Conflict zwischen ihm und Schmerling mußte zum Austrag gebracht werden. Beide baten den Kaiser um Entlassung, beide erklärten, daß sie nicht mehr zusammenwirken könnten. Schmerling’s bedurfte man noch zur Lenkung des Reichsraths und so schied R. am 27. October 1864 aus dem Amte, nicht ohne die Erklärung abgegeben zu haben, daß Oesterreich, wenn es infolge des Handelsvertrages, den Preußen mit Frankreich abgeschlossen, schroff aufträte, zum offenen Bruche mit Preußen käme.

Ueber seinen Rücktritt erzählt R. selbst folgendes: „Eines Tages kam Esterhazy [Minister ohne Portefeuille] zu mir und sagte: ‚der Kaiser wünscht, [245] daß Sie ihm den Dienst erweisen, Ihre Demission zu geben!‘ – Uebrigens hatte ich mir am Hofe auch deshalb Feinde gemacht, weil ich auf das entschiedenste der Annahme der mexikanischen Kaiserkrone durch Erzherzog Max widerstrebt hatte. – Mein Rücktritt vollzog sich in folgender Weise. Ich erhielt eine Einladung zu einer Ministerrathssitzung, der letzten, der ich beiwohnte. Ich war erstaunt, meinen Hofrath Biegeleben dort zu sehen, der nicht hingehörte. Biegeleben legte den Entwurf einer Note gegen Preußen vor, der ich opponirte, aber ich wurde überstimmt und erklärte infolge dessen, meine Entlassung zu geben. Ich gab eine Erklärung zu Protokoll, daß die Hervorkehrung des Gegensatzes zu Preußen zum Kriege führen müsse, und vor einem solchen Wagnisse müßte ich warnen“.

Bismarck schreibt gelegentlich der Entlassung Rechberg’s: „über Mangel an Aufrichtigkeit habe ich bei dem Grafen R. nie zu klagen gehabt, aber er war, wie Hamlet sagt, spleenetic and rash in einem ungewöhnlichen Grade“.

Rechberg’s Nachfolger wurde der Statthalter und Landescommandirende von Galizien, Graf Alexander v. Mensdorff-Pouilly.

Ein Gesammturtheil über R. als Staatsmann wird jetzt wohl dahin gehen, daß seine Politik gerade in jener verhängnißvollen Zeit nach dem dänischen Kriege der Machtstellung Oesterreichs im europäischen Staatenconcerte entsprach. Sein Gedanke, Schleswig-Holstein Preußen zu überlassen, wenn dieses Oesterreich den Besitz Venedigs und des adriatischen Küstenlandes garantire, war ein gesunder; aber selbst das hielt man damals für eine Preisgebung des österreichischen Einflusses auf Deutschland, für eine unzulässige Kräftigung Preußens. R. stand daher mit der gesammten öffentlichen Meinung im Gegensatz. Fast immer versuchte R. mit Compromissen zu arbeiten; so war es bei dem Fürstentage von Frankfurt gewesen, so in den Verhandlungen wegen des Augustenburgers; dadurch hatte seine Politik das Gepräge der Unklarheit, der Unsicherheit. Auf Menschen wirken zu können, war R. versagt. Kaiser Franz Josef war zwar im wesentlichen mit ihm in Uebereinstimmung, als jedoch von allen Seiten Widersacher gegen ihn auftraten, ließ er ihn fallen. Während seiner Amtsthätigkeit und auch noch einige Zeit nachher, wurde er unterschätzt, die folgenden Ereignisse gaben ihm jedoch in manchem recht. Bismarck sprach stets mit Achtung von seiner Einsicht und seiner Rechtschaffenheit. Er hatte mit allem Eifer eine friedliche Auseinandersetzung zwischen Oesterreich und Preußen erstrebt; der Zwiespalt zwischen den beiden deutschen Großmächten war aber schon zu groß, und nur mit Blut und Eisen konnte er noch entschieden werden.

Bei seinem Rücktritte verlieh ihm der Kaiser den höchsten österreichischen Orden, den des goldenen Vließes. Schon am 18. April 1861 war R. als lebenslängliches Mitglied in das Herrenhaus des österreichischen Reichsrathes berufen worden, trat aber auch nach seinem Rücktritt vom Ministerium nie bedeutend hervor. In der Debatte (Mai 1869) über den Gesetzentwurf, betreffend die Organisation des Reichsgerichtes und die Ternavorschläge für dasselbe ergriff er das Wort. Er trat dagegen auf, daß man diesem Gesetze den Titel eines Staatsgrundgesetzes gäbe, weil die Annahme dann die Zweidrittelmajorität erfordere, und bestritt die Bestimmung, daß beide Häuser des Reichsrathes Ternavorschläge für die Besetzung der Stellen beim Reichsgerichte zu erstatten hätten; diese Bestimmung widerspreche dem Principe von der Theilung der Gewalten, und das Ernennungsrecht sei vollständig der Krone zu wahren. Die ehemaligen Minister Schmerling und Krauß traten diesen Ausführungen entgegen und das Herrenhaus stimmte der Regierungsvorlage zu. – In der Debatte über das Budget für 1878 beklagte R. die Verschlimmerung [246] der finanziellen Lage, die riesige Erhöhung des Erfordernisses, als Folgen des Dualismus und plaidirte für administrative Reformen und Ersparungen in der Verwaltung. – Bei der Adreßdebatte im October 1879 legte die Majorität des Ausschusses dem Herrenhause einen dem Ministerium Taaffe mißgünstigen Entwurf vor, die Minorität machte das feudal-föderalistische Programm Taaffe’s zu dem ihrigen – unter der letzteren befand sich R.

Graf R. war seit 26. Juli 1834 mit Barbara Miß Jones (geboren am 8. Juni 1813), ältesten Tochter des Thomas Jones Viscount Ranelagh, Baron von Waron vermählt. Dieser Ehe entstammt ein Sohn, Graf Louis (geboren am 4. Juli 1835), k. k. Kämmerer und Rittmeister in der Armee, seit 11. Januar 1864 vermählt mit Louise Marie Gräfin Fürstenberg (geboren am 1. August 1849).

Graf Bernhard R. starb im hohen Alter von 93 Jahren am 26. Februar 1899 auf Schloß Kettenhof bei Wien.

Sybel, Die Begründung des Deutschen Reiches durch Wilhelm I. 7 Bände. München und Berlin 1901. – Gedanken und Erinnerungen. Von Otto Fürst Bismarck. 2 Bände. Stuttgart 1898. – Friedjung, Der Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland 1859 bis 1866. 2 Bände. Stuttgart 1897, 1898. – v. Zwiedineck-Südenhorst, Deutsche Geschichte von der Auflösung des alten bis zur Errichtung des neuen Kaiserreiches (1806–1871). 3 Bände. Stuttgart 1897, 1903, 1905. – Wurzbach, Biogr. Lexikon d. Kaiserth. Oesterr., 25. Theil. Wien 1873. – Friedjung, Joh. Bernh. Graf v. Rechberg (in Bettelheim’s Biogr. Jahrbuch IV, 283–300. Berlin 1900). – Kolmer, Parlament und Verfassung in Oesterreich. 4 Bände. Wien und Leipzig 1902–1907. – Poschinger, Geheimblätter über die österreichische Politik (Oesterr. Rundschau IX, 1–7). – Wilhelm Ritter v. Gründorf-Zebegenyi, k. und k. Generalstabsmajor a. D., Memorabilien. (Handschrift, vom Herrn Verfasser mir gütigst zur Benützung überlassen.)