ADB:Radetzky, Josef Wenzel Graf

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Artikel „Radetzky, Josef, Graf“ von Heinrich Moriz Richter in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 27 (1888), S. 122–134, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Radetzky,_Josef_Wenzel_Graf&oldid=- (Version vom 6. Dezember 2024, 20:33 Uhr UTC)
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Radetzky: Josef, Graf R. entstammte einer alten, edlen, aus Oberungarn nach Böhmen eingewanderten Familie, die wir im 13. Jahrh. daselbst antreffen, die 1684 freiherrlich und 1764, zwei Jahre vor Josef Radetzky’s Tod, gräflich geworden. R. war am 2. November 1764 zu Tzrebnitz unweit der Stadt Beraun geboren, verlor bei seiner Geburt die Mutter und als 6jähriger Knabe den Vater, kam sodann in das Haus seines Großvaters (Reichsgraf Wenzel Leopold, † am 16. Oct. 1781), genoß den ersten Unterricht in der Piaristenschule zu Prag und trat nach dem Tode seines Großvaters in das aus der Teufenbach’schen Stiftung errichtete Collegium nobilium in Brünn ein und als diese Anstalt schon ein Jahr später mit dem Theresianum in Wien vereinigt wurde, kam er als Stiftling in die Theresianische Akademie. In seinen Aufzeichnungen tadelt R. den „pedantischen Schlendrian und die Oberflächlichkeit in den Studien“ und meint, ohne eigenes Studium und gewissenhafte „Repetitionen“ hätte er nie etwas Gründliches erlernt. Er hatte eben das erste Jahr der Rechtsstudien absolvirt, als die Theresianische Akademie aufgelöst wurde. Elternlos und ohne [123] Heimath, voll Neigung zum Soldatenstande, in allen körperlichen Uebungen gewandt, eleganter und kühner Reiter, tüchtig im Turnen, Tanzen, Fechten und Schwimmen, tritt er, noch nicht 20jährig, als Cadett in das 2. Cürassier-Regiment Caramelli und bezieht die Garnison in Gyöngyös. Am 3. Februar 1786 Unterlieutenant, anderthalb Jahre später Oberlieutenant in seinem Regiment, zieht er als Ordonnanzofficier Lacy’s in den Türkenkrieg. Oesterreich und Rußland standen damals zugleich gegen die Türkei im Felde, nach den Abmachungen Kaiser Joseph II. mit der Kaiserin Katharina, aber die Operationen hatten keinen Zusammenhang und die kaiserl. Armee hatte in Lacy einen Führer, der ihre Kraft durch Theilung in 6 Corps zersplitterte, durch eine Aufstellung an einer 150 m langen Grenze vom Dniestr bis zum adriatischen Meere hin zu jedem großen Schlage unfähig machte, durch unausgesetztes Verschieben, Zickzackbewegungen, gekünstelte Operationen sie in Nachtheil brachte und im Lager und auf Märschen einen großen Theil der Streitkräfte zu Grunde gehen ließ. Der junge Officier hatte ein scharfes Auge für all diese Fehler, er tadelte Lacy’s System der Defensive um jeden Preis und war sehr befriedigt, als er an der Seite Laudon’s, welchen der todeskranke Kaiser dem unglücklichen Lacy zum Nachfolger gegeben, die Türken über die Grenze jagt und Belgrad mit Sturm erobert. Bis zum Ausbruche der Coalitionskriege lebte R. als Reiterofficier in böhmischen Garnisonsorten, eifrig den Studien hingegeben; er hatte einsehen gelernt, daß der Krieg Kunst und Wissenschaft zugleich sei; durch Selbststudium mußte nachgeholt werden, was die Schule an ihm versäumt, der Mangel einer fachlichen Ausbildung für den höheren Kriegsdienst ihn hatte entbehren lassen. Topographie, Kriegsgeschichte und Fortification sind die Gegenstände, die R. jetzt mit Eifer und Fleiß studirte.

Als ständiger Ordonnanzofficier Beaulieu’s zeigte er sich in den Niederlanden (1794) als kühnen Reiterofficier, voll Muth und ritterlicher Tapferkeit, dabei eifrig und findig bei der Erledigung wichtiger Aufträge. Im Gefechte bei Arlon (16. und 17. April), wo Beaulieu zum Rückzuge gezwungen war, hatte er Gelegenheit, sich hervorzuthun; er erhält die Mission in das große Hauptquartier nach Catillon, um Beaulieu’s Lage zu schildern und seinen Rückzug zu rechtfertigen. Am 25. Juni 1794 schwamm er, von 6 Reitern begleitet, in finsterer Nacht über die Sambre und kam auf demselben Wege zurück; er hatte dem Prinzen Josias von Coburg gemeldet, daß Charleroi besetzt sei. Am folgenden Tage wurde er durch zwei Hiebe auf den Kopf verwundet. Zum zweiten Rittmeister befördert kämpft er 1795 unter Clerfayt am Rhein und wird beim Sturme auf die Mainzer Schanzen am linken Schenkel verwundet. Der Baseler Friede macht dem Coalitionskriege gegen Frankreich vorläufig ein Ende. Aber Oesterreich nimmt den Kampf allein auf, trotzdem Frankreich drei Armeen aufstellt, die concentrisch gegen Osten rücken sollen. Dank dem Siege des Erzherzogs Karl scheitert das Unternehmen der Franzosen in Deutschland, geschlagen ziehen sie über den Rhein zurück, aber die kleine französische Armee in Italien verrichtet die Siegesarbeit allein, denn ihr Führer ist Bonaparte! In diesem Feldzuge von 1796 war R. Beaulieu’s Adjutant. Als solcher beklagt er den Mangel an Kenntniß des Terrains auf Seite seines Oberfeldherrn; er tadelt die Dispositionen des Obersten Zach, dessen Princip Alles zu decken, die arithmetische Genauigkeit der Vertheilung der Kräfte, die Art der Flußvertheidigung und noch nach 60 Jahren illustrirt er vor seinen Officieren die Cordon-Aufstellung jener Zeit als abschreckendes Beispiel einer fehlerhaften und überlebten Taktik. R. glänzte als Reiterofficier in der Führung einer Angriffscolonne, sein Name wurde gepriesen durch die kühne That von Valeggio, als er, den daselbst kranken Beaulieu zu retten, mit seinen Husaren, unterstützt von einer Cavallerie-Batterie, die [124] 10fache Uebermacht des Feindes aufhielt, sie zum Weichen brachte, den Mincio durchschwamm und glücklich zu den Seinen kam. Melas führt den Rest der von Bonaparte geschlagenen Armee nach Südtirol, das feste Mantua widersteht, Wurmser wird darin belagert und es beginnt eine Reihe von Entsatzversuchen Seitens der Kaiserlichen. Major Radetzky commandirt einige Verschanzungen bei S. Giorgio und besetzt es mit seinen Pionieren. Seinen Anstalten dankte man, daß die Cavallerie ohne allzuschwere Verluste in die Festung zurückgezogen werden konnte. R. weilt dann in Mantua und als endlich nach mißlungenen Entsatzversuchen die Festung fiel, der Sieger gestattet hatte, daß von der Festungsbesatzung 500 Mann abziehen, war es R. mit seinen Pionieren, dem diese Kriegsehren zu Theil wurden.

Während Napoleon in Egypten weilt, ist die Coalition siegreich. Melas und Suwaroff rücken siegreich in Italien vor. Der Erstere hat sich den Oberstlieutenant R. als Generaladjutanten beim Hofkriegsrath erbeten, da R. „wegen seines Characters und seiner militärischen Kenntnisse längst wohlbekannt“ sei. In der dreitägigen Schlacht an der Trebbia sollte sich Radetzky’s Talent erproben. Vergebens versuchte Suwaroff, den Fluß zu forciren, da führte R. einige Grenadierbataillone und ein Chevauxlegersregiment in den Rücken des Feindes und diese Bewegung trug wesentlich zum Siege bei. Die amtliche Relation sagt: R. habe unausgesetzt Beweise seiner Bravour und militärischen Talente gegeben, sei schon mehrmals angerühmt und der allerhöchsten Gnade anempfohlen. Nun habe er auf dem Schlachtfelde durch Geistesgegenwart, Eifer und rasches Eingreifen die wesentlichsten Dienste geleistet und zu dem erfochtenen Siege wesentlich beigetragen. Bei Novi erklärte R. dem Obergeneral, er halte die Bewegung gegen das Centrum für unglücklich, empfahl den Angriff in Joubert’s Flanke und Rücken und bekam die Bewilligung, mit 2 Brigaden die Operation durchzuführen, welche glänzenden Erfolg hatte. Jetzt brach der Antagonismus zwischen R. und dem Theoretiker Zach aus, der Kampf zwischen Adjutantur und Generalstab, eine Rivalität, die zu Scenen im Kriegsrathe führte. Zach empfahl die Fortsetzung der Operationen im Winter. Gegen ihn trat Oberst R. auf. Es bildeten sich Parteien. Da glaubte Zach durch eine Depesche des Ministers Thugut seinem Vorschlage Nachdruck geben zu müssen, man setzt unwillig und mit halben Maßregeln die Operationen fort, bis Kaiser Franz für den Aufschub der Kriegsthätigkeit entscheidet. Im Doppelfeldzug von 1800 ist R. wieder auf italienischem Schauplatze beschäftigt. Er hatte Theil an der Schlacht bei Marengo, er drang ins Dorf ein, verlor ein Pferd unter dem Leibe, sein Rock ward von 5 Kugeln durchlöchert. Aber bei Weitem wichtiger ist die Thatsache, daß er am Spätabend vor der entscheidungsschweren Schlacht, als er die Dispositionen erfuhr, sie für fehlerhaft erklärte, den Frontalangriff als blutig und zwecklos bezeichnete und Melas einen neuen Bormidaübergang vorschlug. Der erschöpfte Zach schlief fest. Man weckte ihn und R. demonstrirte ihm, daß die Voraussetzung, der französische Gegner stehe bei Sale, irrig sein müsse, vielmehr müsse er bei Marengo stehen. Zach trat dem Vorschlage Radetzky’s bei. Aber zu spät. Der Pontonnierhauptmann erklärte, schon breche der Tag an, für einen Brückenschlag sei es zu spät. Trotzdem war die Schlacht anfangs siegreich, bis Desaix die Schlacht noch einmal aufnahm und Kellermann’s Reiterangriff entschied. Melas giebt ganz Italien auf. Es ist für Oesterreich verloren! Am 18. August 1801 ward R. einstimmig das Ritterkreuz des Theresienordens zuerkannt. Wir finden dann Oberst R. als Commandeur des 3. Cürassierregiments tapfer in blutigen Attaquen bei Hohenlinden kämpfen, dann nach dem Waffenstillstande von Steyr, in Garnison in Oedenburg von 1801–05 und hier bildete er das Regiment zu einem Musterregimente [125] für die Armee. Dorthin entsandte Erzherzog Karl die Officiere der verschiedensten Regimenter zur Ausbildung bei dem „Lehrregiment der Armee“, in welchem so viele neue taktischen Uebungen im Gebrauch waren. R. hatte im Sinne, die von ihm beantragten Exercitien praktisch zu zeigen. Um jene Zeit entstanden seine „Grundzüge zu den Vorschlägen für das Manövriren in größeren Körpern“, mit welchen er dreißig Jahre später so viel Erfolg hatte. Er war es, der zuerst ein Lesecabinet für Officiere einrichtete und denselben Studium und Lectüre dringend empfahl.

Im Jahre 1805 brach der Krieg von Neuem aus. Das Glück Radetzky’s ließ ihn an der Katastrophe von Ulm nicht Theil haben. Auf dem Wege nach Ulm traf ihn die Beförderung zum Generalmajor und die Bestimmung – nach Italien. Auch in diesem italienischen Feldzuge als General zeigt er Züge persönlicher Bravour, wenn er bei Masi die reißende Etsch durchschwimmt und einen französischen Posten gefangen nimmt. Welches Beispiel für seine Truppen, deren Thatenlust und Ehrgeiz er befeuert. Seinen Truppen scheint in der That jeglicher Erfolg möglich. Welche Marschleistung! In 5 kurzen Novembertagen ritt er mit seiner Brigade vom Tagliamento bis nach Marburg a. d. Drau – 270 Kilometer! –

Die Franzosen siegten und besetzten Wien. Seit 300 Jahren, seit den Tagen des Mathias Corvinus hatte kein Feind die Hauptstadt des Reiches, den Sitz des deutschen Kaisers erobert. Das Unglück von Ulm und Austerlitz hatte den Preßburger Frieden zur Folge, in welchem Oesterreich Dalmatien und Venedig verlor, vom Meere abgedrängt wurde, Tirol, seine natürliche Festung, und seine politische Weltstellung einbüßte. Es kommen vier Friedensjahre, zu wenig zur Erstarkung des Reiches. Die Jahre 1805–09 sind von R. dem eifrigsten Studium der Militärwissenschaften gewidmet worden und zum Theile liegen die Resultate seines Nachdenkens in den „Denkschriften“ vor uns. Im Feldzuge von 1809 steht R. an der Spitze einer Brigade leichter Cavallerie an der bairischen Grenze, deckt den Rückgang hinter den Inn, sichert Hiller’s Marsch gegen die Traun; fechtend weicht er bis Lambach. Wie er dort einer zehnfach überlegenen Feindesmacht Stand hielt, diesen von der gefährdeten Division Schusteckh ablenkte und so diese Division rettete, ist in der Kriegsgeschichte rühmlich bekannt. Für diese That ward ihm (1810) das Commandeurkreuz des Theresienordens zu Theil. Er hält die Wacht an der Donau, sichert der kaiserlichen Armee die Brücke bei Mautern, bis die Kaiserlichen den Uebergang vollendet haben. An den zwei Kampfestagen von Aspern hat er keinen Antheil genommen, aber sechs Wochen später bei Wagram commandirt R. (jetzt Feldmarschalllieutenant und Divisionär beim 4. Corps Rosenberg) die Avantgarde des linken Flügels, später die Nachhut und wurde von Erzherzog Karl „wegen der rühmlichsten Beweise von Eifer und Befähigung“ belobt und zum zweiten Inhaber des 4. Cürassierregiments ernannt, vertauschte aber im September dieses Regiment mit der ersten Inhaberschaft des 5. Husarenregiments, das heute noch den Namen Radetzkyhusaren (und für immerwährende Zeiten) führt. Anerkannt ist sein Ausharren bei Wolfpassing und Pyrawarth, sein Widerstand, wie geschickt er Davoust zu täuschen verstand und den Rückzug der Armee zu erleichtern wußte. Nach dem Frieden wurde R. zum Hofkriegsrath und Generalstabschef ernannt. Von 1809–12 trat er für Aenderung der Wehrverfassung ein (vgl. Denkschriften, Cotta 1858), aber der Widerstand des Finanzministers Grafen Wallis, der Bankerott der Staatsfinanzen vereitelte seine Pläne. Als Generalstabschef fehlte ihm jegliche Selbständigkeit, bald verlangte er seine Entlassung, nur des Kaisers Befehl vermochte ihn auf seinem Posten zu bleiben. In den Sitzungen des Hofkriegsrathes zeigte sich die Einflußlosigkeit seines Amtes, die Unfruchtbarkeit seiner [126] Thätigkeit, dennoch förderte er die Ausbildung des Generalstabes in der „Landesbeschreibung“ (vgl. seine Instructionen in den Denkschriften). Er hatte nur einen Wunsch, zur Truppe zurückzukehren und nach langem Bitten kam er als Divisionär zum böhmischen Observationscorps.

Im März 1813 erhielt Schwarzenberg eine diplomatische Sendung nach Paris. Vor der Abreise theilte er R. mit, er werde sich ihn für den Kriegsfall als Chef des Generalstabes erbitten, R. möge sich für seine Aufgabe vorbereiten. Am 8. Mai ward Schwarzenberg zum Commandanten, zumeist auf Metternich’s Vorschlag, ernannt und als Leiter der Operationen ihm R. zur Seite gegeben. R. ist der Urheber der Operationen, der Stratege, Schwarzenberg’s Bedeutung liegt in der Persönlichkeit, die einzig geeignet war, 14 Alliirte zusammenzuhalten, in seiner Kenntniß der Personen, der fremden Länder, in seinem gewinnenden Wesen, seinem Wohlwollen und seiner Selbstverleugnung, mit welchen Eigenschaften er einzig und allein im Stande war, so viele fremdartige Elemente zu vereinigen, mit den anwesenden Monarchen, den Diplomaten aller Länder und Völker, die im Lager selbst anwesend waren, zu verhandeln, ihre ungebetene Einmischung unschädlich zu machen und Napoleon’s Verhandlungen, die alle doch nur den Zweck hatten, die militärischen Operationen zum Stillstand zu bringen, von einzelnen Alliirten aber ernst genommen werden wollten, zu durchkreuzen. So wie Metternich’s Politik nur eine dilatorische war, um Zeit zu gewinnen, zu rüsten, alle Verhandlungen nur zum Scheine mit Napoleon geführt wurden, in Wahrheit aber Oesterreichs Beitritt (darüber lassen Metternich’s Papiere, die Oncken’schen Publicationen, keinen Zweifel mehr) längst in Wien beschlossen war, so ist auch die Schwarzenberg’sche Kriegführung nur von einem Ziele geleitet, Napoleon zu Falle zu bringen. Dabei hatten Radetzky-Schwarzenberg unausgesetzt 1813–14 mit der Einmischung vielfacher divergirender strategischer Ansichten (Jomini, Moreau, Barclay, Toll, Diebitsch, Wittgenstein, Knesebeck, der Prinzregent von England, Gneisenau, Blücher) zu kämpfen und der „Obercommandant“ und der Generalstabschef hatten keinerlei Machtvollkommenheit. Aber selbst zwischen Schwarzenberg und Radetzky gab es vielfache Differenzen, die aus dem Unterschied ihrer Naturanlagen hervorgehen, Radetzky ist das energische, impulsive Naturell, Schwarzenberg die Ruhe selbst, ein umgekehrtes Verhältniß wie zwischen Blücher und Gneisenau. In Prag versammeln sich die Leiter der großen Bewegung, Kaiser Franz und Kaiser Alexander von Rußland, König Friedrich Wilhelm III., Schwarzenberg und R. Am 10. Mai 1813 legt R. den Plan für die große Entscheidung vor. Drei Pläne lagen vor, der dritte, von R. entworfen, mit Langenau im Detail ausgearbeitet, dessen Autorschaft sich R. in seinen Schriften wahrt, kam zur Annahme. Die Grundidee, Napoleon von seinen Stützpunkten an der Elbe abzudrängen, ihn zu umstellen, jede theilweise Niederlage zu vermeiden, ihn in einer Entscheidungsschlacht zu vernichten, ist Radetzky’s Gedanke. Napoleon handelte ganz nach dem Wunsche seiner Gegner und faßte den unseligen Entschluß, mit drei getrennten Armeen auf drei Schauplätzen aufzutreten. Vor der Schlacht bei Leipzig hatte der Sieg bei Culm den Ruf Radetzky’s befestigt. Die amtliche Relation sagt: „Der Chef des Generalstabes hat durch seinen bekannten Heldenmuth und seine mit dem richtigsten coup d’oeil verbundene Thätigkeit besonders in den entscheidendsten Momenten die wichtigsten Dienste geleistet und sich neue Ansprüche auf die Achtung der Armee erworben.“ Bei Leipzig konnte sich sein Talent besonders erproben. Seine Dispositionen verrathen den überlegenen Geist und die amtliche Relation rühmt sein „einsichtsvolles Benehmen, seine unermüdliche Thätigkeit, ausgezeichnete Tapferkeit, womit er sich neue Ansprüche auf den Dank des Vaterlandes erworben habe“. Er erhält das Großkreuz des kais. österr. Leopolds-Ordens und des russischen [127] Georgs-Ordens „wegen der ausnehmenden Verdienste in der ewig denkwürdigen Schlacht bei Leipzig“. Schwarzenberg, der das Großkreuz des Theresienordens erhielt, gab das Commandeurkreuz, das vor ihm Laudon getragen, an R. als den Würdigsten. Vor der Leipziger Schlacht hatte R. eine Denkschrift an Schwarzenberg gerichtet, die ihres Freimuths wegen sehr bemerkenswerth ist. Darin wird von der „Verantwortung vor dem Monarchen, der Nation, der Geschichte“ mit großer Feierlichkeit gesprochen und daraus gefolgert, wie tüchtig die Ausnützung der Kräfte sein müsse. Sie spiegelt Radetzky’s Charakter getreu wieder. Man hat nicht mit Unrecht getadelt, weshalb nach der Schlacht keine strategische Verfolgung eingeleitet wurde? Napoleon gewann ja 11/2 Tage! R. sah den Fehler ein in einem Briefe an Langenau: „Wir sitzen hier im Käfig und wissen nicht, was der Feind thut“. Aber in der Umgebung der Monarchen waren die Bedenken zu suchen und dort ist die Ursache der Verzögerung des Aufbruches nach dem Rhein zu finden. Man wollte, um den Sieg über die Revolution vollständig zu illustriren, zunächst in Frankfurt a. M. einziehen. Dort erst begannen die Berathungen über die Fortsetzung des Feldzugs. R. gehörte dem ständigen Comité an (Wolkonsky, Wolzogen, Stein, Gneisenau, R.). Mit Gneisenau verbindet ihn die innigste Uebereinstimmung, desto mehr Reibungen gab es mit den Russen. Radetzky’s gemüthvolle und geistreiche Natur, seine frische Ursprünglichkeit machten ihn beliebt und angesehen, während sein Mitarbeiter Langenau unbeliebt war. R. und Langenau ergänzten sich aber sehr glücklich. Radetzky’s Talent, rasche Auffassung waren größer als seine Ausdauer, und Langenau’s Arbeiten der Details ergänzten Radetzky’s stets nur im Großen gegebenen Dispositionen sehr glücklich. Radetzky’s Denkschrift vom 19. November 1813 sprach sich für den Krieg in Frankreich aus. Aber England und Rußland eiferten dagegen. In der Conferenz der Monarchen und Feldherren tritt R. als Berichterstatter auf, mit Geist und Gründlichkeit, die Friedenspartei erlag und die Offensive begann! Der Operationsplan für den Winterfeldzug 1814 ist von Clausewitz mit Recht scharf kritisirt worden. Der ganze Krieg ist schwunglos, die Kriegführung nur zu verstehen und zu rechtfertigen mit Heranziehung der diplomatischen Geschichte, aus welcher die fortgesetzten diplomatischen Einmischungen, Streitigkeiten, die napoleonischen Winkelzüge und ihre Erfolge erst die Erklärung für den Gang des Krieges zu geben im Stande sind. Es fehlt an einer urkundlichen Darstellung des Krieges, daher die vorherrschende Meinung über den Krieg und seine Führung. Es läßt heute z. B. keinen Zweifel mehr zu, daß Blücher’s Ungeduld und stürmisches Naturell manches Unheil anrichteten, das nur langsam und schwer gut gemacht werden konnte. Daß Schwarzenberg und R. keineswegs Gegner des Marsches nach Paris waren, geht aus den Aufzeichnungen Castlereagh’s, aus der Schwarzenberg’schen Denkschrift von Langres hervor, die heute im Original im Petersburger Generalstabe liegt, woraus zu ersehen, daß die österreichische Heerführung den Marsch auf Paris als einziges Ziel aufgefaßt hat (vgl. Oncken’s Abhdlg. im Histor. Taschenbuch 1885). R. hatte wesentlichen Antheil am Siege von Brienne (Kaiser Alexander umarmt ihn auf dem Schlachtfelde), an der Schlacht bei Arcis und die amtliche Relation rühmt die Beweise seines „richtigen Umblicks und militärischen Genies“. In St. Cloud arbeitet R. einen Plan aus für den Fall, daß sich der Vicekönig nicht unterwerfen sollte. Der Wiener Congreß vereinigt die Monarchen und Feldherren, als Napoleons Flucht von Elba von Neuem (1815) zu den Waffen rief. Am 15. März 1815 fand bei Schwarzenberg eine Besprechung statt, an welcher Kaiser Alexander, Friedr. Wilhelm, Wellington, Wolkonsky, Knesebeck, Wrede, Langenau und Radetzky theilnahmen. Dieser arbeitete den Entwurf für den Rheinübergang und die Einschließung Straßburgs aus. Am 24. April [128] überreicht er die 2. Denkschrift für den Krieg gegen Frankreich und Murat. Am 4. Mai reist er nach Italien und arbeitet dort einen Operationsplan aus, tritt dann zurück zu Schwarzenberg ins Hauptquartier und arbeitet mit Wellington, Barclay in Heilbronn einen neuen Feldzugsplan aus. Allein die kaiserliche Armee kam nicht zum Schlagen. Die Schlacht bei Waterloo hatte den zweiten Pariser Frieden im Gefolge.

R. kam wieder an die Spitze des „Generalquartiermeisterstabes“ (Generalstabes), aber das tiefe Ruhebedürfniß nach 25jähriger Kriegszeit, die Verehrung aller alten Einrichtungen, die der Restaurationsepoche eigenthümlich war, ließen Radetzky’s Reformgedanken gar nicht laut werden. Er erbat und erhielt nach einigen Monaten seine Entlassung. In den Jahren 1816–18 lebte R. als Divisionär in Oedenburg und Pesth unbehaglich, aber in fruchtbarer Concentration des Geistes, mit wahrer Leidenschaft den Studien hingegeben, die sich über alle Fächer der Militärwissenschaften, politische Oekonomie und Geschichte verbreiteten, unausgesetzt excerpirend und eifrigst Alles sammelnd, was sich auf Terrainkarten, historische Geographie und Kartographie bezog. So legte er den Grund zu der überaus reichen, wissenschaftlich höchst werthvollen kartographischen Sammlung, die in den Tagen des Mailänder Aufstandes ein Raub der Flammen wurde. 20 Jahre lang war R. Feldmarschalllieutenant gewesen, 1829 wurde er zum General der Cavallerie befördert. Seine zahlreichen Neider und Feinde, die Gegner seiner militärischen und politischen Ansichten verschrieen ihn als Feind des „Systems“, neuerungssüchtig, Schuldenmacher und ihre Verleumdungen suchten bei Kaiser Franz zu bewirken, daß R. in Ruhestand versetzt werde. Der Kaiser widerstand und ernannte ihn zum Gouverneur der Festung Olmütz, auf den Posten eines Invaliden! Aber schon wenige Monate später änderten sich die Verhältnisse und die Blicke wandten sich ängstlich den fähigen Männern der That zu. Die Julirevolution von 1830 brachte eine neue politische Lage, Frankreich und England schlossen sich an einander an; sie begünstigten die nationale Bewegung in Italien. General Frimont erbat sich R. als Gehilfen im Oberbefehl über die kaiserliche Armee in Italien, und als bald darauf Frimont als Präsident des Hofkriegsrathes die Leitung des Kriegsministeriums übernahm, folgte ihm R. als Commandant der Truppen in Oberitalien, und er blieb in dieser Stellung durch 26 Jahre, von 1831–57 (seit 1836 Feldmarschall). Schon in Pest-Ofen hatte er drei seiner inhaltreichsten Denkschriften niedergeschrieben: „Organisatorische Gedanken“ (1827); „Gedanken über Festungen“ und „Gedanken über die militärische Lage Oesterreichs“. In der ersten beklagt er den Mangel einer Geschichte der Armee und damit der Erkenntniß ihrer historischen Entwicklung; dann den Mangel des vergleichenden Studiums des fremden Heerwesens, die Vernachlässigung des Studiums der Kriegsgeschichte der jüngsten Zeit, immer den Gedanken wiederholend, dem Soldaten sei das Studium Pflicht. Er stellt die Forderung einer bleibenden ordre de bataille in Friedenszeit, dann daß die Armee auch im Frieden in Corps getheilt werde, zur Erhaltung der Manövrirfähigkeit. Einige dieser Forderungen sind 1857 berücksichtigt, 30 Jahre später ist die taktische Gliederung in Oesterreich eingeführt worden. Entgegen dem Metternichschen Dogma von der Integrität der Türkei, nennt R. die Türkei vor 60 Jahren einen „absterbenden Staat“, im Jahre 1828 tritt R. in feinen und sachlichen Ausführungen für die allgemeine Wehrpflicht und für Landwehren ein, wie er im Zeitalter des patriarchalischen Absolutismus das Princip des Verfassungsstaates für „weise und groß“ erklärt. Auch in der deutschen Frage dachte er voraussehend; auch er wünschte Oesterreichs Hegemonie oder Suprematie in Deutschland, aber (vgl. seinen Brief an Dr. Egger in der Paulskirche) den unlöslichen Conflict zwischen der Constituirung eines Gesammtösterreichs auf [129] moderner Grundlage und einem Aufgehen Oesterreichs in Deutschland scharf erfassend, thut er den Ausspruch: „Oesterreich wird sich eher von Deutschland als von Oesterreich trennen!“ Metternich hatte sich gewöhnt, Preußen mit vornehmer Geringschätzung zu behandeln, als eine abhängige politische Domäne. Anders R. Er erkannte den innern Drang Preußens, sich abzurunden und definirte Preußens Bestreben als das, sich alles deutsche Land bis zum Main einzuverleiben, ja R. hielt das für „das einzige Mittel der Haltbarkeit Preußens“. Metternich und seine Nachfolger in der Staatskanzlei hielten diese Ansicht für thöricht, Oesterreichs Stellung in Deutschland für unerschütterlich. Aber auch über Italien dachte Metternich anders als R. Aus des Staatskanzlers Briefen und Depeschen ging immer wieder der Schlußsatz hervor: „Ein einiges Italien ist ein geographischer Brief“, eine politische Utopie, eine bare Unmöglichkeit. Radetzky’s Berichte wurden ablehnend aufgenommen und schließlich beschränkte er sich auf seine militärische Aufgabe, als er sah, daß auch des Vicekönigs, Erzherzogs Rainer, Mahnungen und Bitten nicht gehört wurden. R. brachte in den Jahren bis 1848 seine militärischen Ideen zur Ausführung; er arbeitete eine Manövririnstruction für die Bewegung größerer Heereskörper aus, eine solche für die Reiterei, eine Felddienstinstruction für das Fußvolk (Plänkeln, Patrouillen-Vorpostendienst) im Angriff und Vertheidigung, ließ sich die Durchführung einer einheitlichen Infanterie angelegen sein, richtete Lagerübungen, Manöver auf Basis strategischer Ideen ein, übte im Winter an plastischen Modellen, im Sommer auf dem Terrain seine Truppen, aller Opposition zu Trotze, und schuf so eine Armee, deren Manöver die Kenner aller Länder als Muster besuchten und die in Rußland und Preußen jener Zeit Schule machten.

Die kleine Armee war also trefflich ausgebildet, aber sie war schwach an Zahl, für einen Krieg mit einem auswärtigen Feinde nicht gerüstet. An einen solchen wollte Metternich nicht glauben, 14 Tage vor Ausbruch des Krieges mit Piemont (Sardinien) antwortete man R. auf sein Bitten und Drängen, Geld zu senden, er habe blos eine defensive, keine aggressive Aufgabe und die erstere werde er hoffentlich (!) mit den dermal zu Gebote stehenden Mitteln zu lösen vermögen. In solcher Ironie wagte die „Hofkammer“ (Finanzministerium) sich auszusprechen. Wie oft hatte er in früheren Jahren gedrängt, Verona zu befestigen! Man versagte ihm die Mittel dazu. Hätte man sie ihm bewilligt, der blutige Kampf bei Santa Lucia wäre erspart geblieben! Der Feldmarschall habe auf weiter nichts zu hoffen, ließ die Finanzverwaltung ihm bedeuten. So kam die Katastrophe von 1848 heran.

Gewiß, Italien hatte, mit Ausnahme seiner altrömischen Vergangenheit, keine Epoche seiner Einheit, Jahrhunderte lang war es in Kleinstaaterei zerfallen, in Oberitalien herrschte Spanien und sein Erbe Oesterreich, in Unteritalien Spanien und dann die Bourbonenlinie. Italien schien die „Fremdherrschaft“ nicht zu empfinden. Oesterreich übernahm nach dem Sturze Napoleon’s die Herrschaft und seine Verwaltung brachte den Italienern manchen Vortheil. Die Lage der Pächter war gemildert, die deutsche Rechtspflege eingeführt, der Straßenbau über den Splügen und über das Stilfser-Joch unternommen, Mailand erblühte, Venedig, als Ruine aus Frankreichs Händen übernommen, wurde Freihafen, die herrliche Lagunenbrücke verband es mit dem Festlande, die Eisenbahnverbindung brachte es in lebensvolle Verbindung mit den Hinterländern. Die Italiener hatten eine um sechs Jahre kürzere Dienstpflicht als die anderen Provinzen des Kaiserstaates, die Centralcongregationen bildeten doch eine Art von Ständevertretung, während alle anderen Ständeversammlungen nicht berufen worden waren, in Oberitalien war selbst später die Baargeldvaluta herrschend, [130] als in ganz Oesterreich schon das Papiergeld Zwangscours hatte, die großen kaiserlichen Besatzungen brachten viel Geld unter die Leute, die Akademie der schönen Künste in Venedig entstand, die Universitäten von Pavia und Padua hoben sich auf das Niveau deutscher hoher Schulen – all’ das konnte den öffentlichen Geist nicht mit Oesterreich versöhnen und dieser war gegen die „Fremdherrschaft“ gerichtet. Er sprach sich in der Litteratur (Gioberti, Massimo d’Azeglio, Cesare Balbo, Gino Capponi) und in der Geheimbündelei aus (Mazzini), in der Emigration des Adels, der sich der Conscription und dem Kriegsdienste entzog und vom Adel und Patriciat ging die Bewegung nach unten. Sie äußerte sich in Demonstrationen im Theater, auf dem Corso, im Café, in der socialen Kluft zwischen Kaiserlichen und Patrioten, in einer Art Vehme und Terrorismus, ging zu Beleidigungen der Soldaten über, was zu Repressionen führte, die als „Tyrannei“ verschrieen wurden. Als mit Pio Nono, der der nationalen Stimmung Worte lieh, die revolutionäre Bewegung ihre Weihe erhielt, schloß sich ihr auch die Geistlichkeit allenthalben an. Die Jugend der Universitäten erzeugte Aufstände. So kam die Februarrevolution in Paris und wie an einem elektrischen Faden erhob sich die Revolution in allen Hauptstädten Europas. Der Ausbruch der Märzbewegung in Wien, der Sturz Metternich’s und die Auflösung aller Regierung in Wien gab den Italienern Muth. In Rom und Toscana hatte die Einheitspartei gesiegt, ebenso in Modena und Parma, da brach am 18. März 1848 in Mailand der Aufstand aus, an dem Tage, an welchem der Kaiser für das lombardisch-venetianische Königreich eine Constitution gegeben. Ein 5tägiger Straßenkampf in Mailand war der Beginn der großen Ereignisse, in deren Verlauf R. die Sonnenhöhe seines Ruhmes ersteigen sollte. Der 82jährige Marschall befand sich in einem kleinen Zimmer des Castells, als der Aufstand losbrach. Hier brachte er sechs Tage und sechs Nächte zu, mit karger Nahrung versehen, ohne die Kleider zu wechseln, kaum daß er eine Stunde Schlafes genossen hätte. Nach dem Straßenkampfe von fünf Tagen zieht er seine Truppen heraus, um sie im Raume des Festungsvierecks zu bergen und von dort aus seine Operationen zu beginnen. Er hatte 55 000 Mann in Allem, ein Land von vier Millionen im Aufstande zu bändigen. Alle Städte waren gleichzeitig im Aufstande, Verrath lauerte überall, die Heerstraßen waren verlegt, seine italienischen Regimenter desertirten, die Brücken und Communicationen mit der Heimath waren zerstört, die österreichische Flotte verlor durch Desertion der italienischen Mannschaft ihre Equipage, die Dampfschiffe des Gardasees waren in die Hände der Aufständischen gekommen, die Wälschtiroler erhoben sich, in Wien und Ungarn herrschte Revolution, die Cassen waren leer. Aus allen Theilen Italiens kamen der Revolution die Freischärler zu Tausenden zu Hülfe, Toscana, Neapel schlossen sich dem König von Sardinien, Carlo Alberto, an, welcher den Mittelpunkt der nationalen Bewegung bildete. Ihm war es wohl gelungen, Oesterreich zu überraschen. An demselben Tage, wo Mailand geräumt wurde, empfing der kaiserliche Gesandte in Turin die Versicherung der Bundestreue. Oesterreich hatte einst nach dem Wiener Congreß Sardinien wiederhergestellt, wiederholt Aufstände gegen das Königshaus niedergeworfen, mit Karl Albert schon 1837 ein Offensiv- und Defensivbündniß geschlossen, in der Folge durch Doppelheirath diesen König an sein Interesse zu fesseln gesucht. Allein Karl Albert zog die Emigration an sich heran, unterstützte die Bewegung, und stellte endlich sein wohlgeschultes Heer in den Kampf. Radetzky’s Rückzug auf Verona ist anfangs getadelt worden, aber er geschah in richtigem strategischem Calcül: das Festungsviereck bot ihm den einzigen sicheren Boden. Dort schafft er nun die Mittel zum Kriege, setzt die Armee auf Kriegsfuß, versorgt sich mit Proviant, und da ihm Carlo Alberto Frist läßt, seinen Feldzugsplan vorzubereiten, sucht er erst Verstärkung durch das Corps Nugent [131] am Isonzo zu erlangen, läßt durch Erzherzog Johann die Tiroler (wie 1809) eine Landesvertheidigung organisiren, Welden treibt die Freischärler auseinander, vereinigt seine im Gebirge zerstreuten Truppen zwischen Trient und Roveredo, deckte die rechte Flanke Radetzky’s. Am 6. Mai rückten die Kaiserlichen mit 16 000 Mann gegen den dreimal stärkeren Feind und schlagen diesen in der blutigen Defensivschlacht von Santa Lucia. Einfach und geschickt ist die Anordnung des Feldherrn, er zeigt die größte Sparsamkeit in der Verwendung der Kräfte, die heroische Tapferkeit der Truppen im Kampfe von 9 Uhr Morgens bis 5 Uhr Abends ist von Erfolg gekrönt. Die österreichische Armee ist aus der Bedrängniß befreit, Verona gesichert, das Selbstvertrauen gewonnen. Der Fall von Peschiera, der Sieg der Piemontesen bei Goito konnte den Muth Radetzky’s nicht erschüttern. Die Schlacht bei Vicenza am 10. Juni 1848 hatte das Festland Venetien befreit. Mit 19 000 Mann Verstärkungen, die Graf Thurn brachte, war R. entschlossen, Italien zu behaupten. Alle kleinmüthigen Mahnungen, Italien bis zur Etsch abzutreten, die an den Hof in Innsbruck gelangten, bat er zurückzuweisen. Zur Offensive übergehend behauptete er in blutigen Gefechten die Höhen bei Sona und Sommacampagna und errang an letzterem Orte und vollends bei Custozza einen glänzenden Sieg. (Für den letzteren erhielt er die höchste militärische Auszeichnung: das Großkreuz des Maria Theresien-Ordens und die erste Classe des militärischen russischen St. Georgs-Ordens.) Sofort wurde der Feind verfolgt und nach einem blutigen Nachtgefechte bei Volta der Marsch auf Mailand fortgesetzt. R. hatte beim Auszuge aus Mailand in seiner Proclamation gesagt: „Noch ruht der Degen fest in meiner Hand, den ich 65 Jahre lang mit Ehre auf so manchem Schlachtfelde geführt“. Jetzt zog er nach wenigen Monaten durch die Porta orientale an der Spitze seiner siegreichen Armee, die in zerrissenen Mänteln und Schuhen einherschritt, in Mailand ein – Karl Albert war vom Undank des Mailänder, plündernden und den König belagernden Pöbels, mehr als durch das Unglück des Krieges gebeugt, Piemontesen mußten ihn befreien, da die Mailänder ihn als „Verräther“ tödten wollten! Radetzky’s Bericht sagt: „Die Stadt Mailand ist unser! Die piemontesische Armee hat die Stadt heute verlassen, bis morgen Abend wird sie über den Ticino gegangen sein. Die kaiserliche Armee hat vor zwei Wochen von Verona aus ihre Offensive ergriffen. Sie hat während dieser Zeit bei Somma Campagna, Custozza, Volta, Cremona, Pizzighetone und zwei Tage vor Mailand siegreiche Schlachten und Gefechte geliefert und ist am 14. Tage Herr der lombardischen Hauptstadt. Kein Feind steht mehr auf lombardischem Boden“. Frankreich und England vermittelten diplomatisch, aber Oesterreich lehnte diese Vermittelung zu Gunsten Sardiniens ab; dieses hätte sich mit der Annexion von Parma und Modena begnügt, aber Oesterreich erklärte, seine Bundesgenossen nicht preisgeben zu können. Mit Sardinien war ein Waffenstillstand geschlossen worden, während seiner Dauer knüpfte Karl Albert mit der italienischen Revolutionspartei, auch mit der ungarischen Insurrection Verbindungen an und beschloß, das Glück neuerdings bei den Waffen zu suchen. Am 12. März 1849 kündigte er den Waffenstillstand. „Er soll erfahren“, antwortet das Manifest Radetzky’s (aus der Feder Schönhals’), „daß sechs Monate nichts ändern an Eurer Treue und Liebe. Den Frieden wollen wir in des Feindes Hauptstadt erzwingen“. Am 18. März 1849 hat R. Mailand verlassen, am 20. März überschreitet die Armee bei Pavia den Po und rückt über Mortara nach Novara zum „Gottesgericht“. In vier Tagen, ein veni, vidi, vici. Bei Mortara, am 21. März 1849, war der Sieg vollständig, bei Novara, am 23., wurde die italienische Armee, trotz größter Tapferkeit, bis zur Vernichtung geschlagen. Sechs Tage hatte der Feldzug im Ganzen gedauert, während dieser Zeit wurden zwei blutige Schlachten und [132] mehrere Einzelgefechte geliefert. 10 Tage war R. von Mailand abwesend. Am 29. März 1849 hielt er auf seinem Schimmel seinen Einzug durch die Porta Vercellina. Die Mailänder glaubten, er ziehe ab, schwer konnten sie sich dem Glauben hingeben, es sei kein Traum. In allen italienischen Staaten wurde mit einem Schlage die alte Ordnung der Dinge wiederhergestellt. Carlo Alberto stand bei Novara im dichtesten Kugelregen, er suchte den Tod, aber dieser verschmähte das Opfer. Noch auf dem Schlachtfelde dankte er ab und bezeichnete seinen Sohn Victor Emanuel der Umgebung als König von Sardinien. In der Nacht bei strömendem Regen fuhr er als Oberst Barge bei Feldmarschalllieutenant Graf Thurn vor und bat um freie Passage nach Nizza. Karl Albert ging nach Oporto und starb dort nach wiederholten Schlaganfällen (am 26. Juli 1849). Der neue König verhandelte nach der unglücklichen Schlacht mit R. und Heß (dem Chef des Generalstabes) bei Vignale den Waffenstillstand auf Grund vollständiger Unterwerfung. – Welch’ ein Anfang der Regierung Victor Emanuel’s! Welch’ ein wechselvolles Geschick, bis zur Beisetzung im Pantheon 1878! – Venedig widerstand noch. Nach regelrechter Belagerung des Forts von Malghera und Eroberung desselben, zog R. am 30. Aug. 1849 im Dome von S. Marco ein. Radetzky’s Thaten erfüllten die Welt mit Bewunderung. Man pries ihn in allen Ländern, die Monarchen sahen, nach der damaligen Anschauung, in ihm den siegreichen Bezwinger der Revolution, den mächtigen Paladin der Legitimität. Der Kaiser Franz Joseph sandte ihm das goldene Vließ, Czar Nikolaus erhob ihn zum russischen Feldmarschall, König Friedrich Wilhelm IV. sandte ihm den schwarzen Adlerorden in Brillanten, das preußische Gardecorps eine Huldigungsadresse, an deren Spitze Prinz Wilhelm von Preußen (spätere Kaiser Wilhelm) genannt ist. R. beantwortete diese Adresse mit einer Zuschrift an den Prinzen Wilhelm, die mit einer Erinnerung an ihre Waffenbrüderschaft im Befreiungskriege beginnt und den Wunsch ausspricht, Oesterreich und Preußen nur Schulter an Schulter kämpfen zu sehen. König Ludwig von Baiern stellte Radetzky’s Büste in der Walhalla auf. Der Wiener Gemeinderath nahm ihn als ersten Ehrenbürger auf, ließ durch Grillparzer das Diplom ausarbeiten und ihm den Beschluß durch eine Deputation in Novara mittheilen. Am 13. September 1849 erschien er auf Einladung des Kaisers in Wien, wo dem greisen Feldherrn ein jubelvoller Empfang zu Theil wurde, bei der Truppenschau am 22. September, wo der zum Weltruf gekommene, seither wie eine Marseillaise empfundene „Radetzkymarsch“ von Strauß-Vater ertönte, im Opernhause, wo der 19jährige Monarch an der Seite des 83jährigen siegreichen Feldherrn erscheint.

Im October verließ R. Wien und ging nach Italien auf seinen Posten als Civil- und Militärgouverneur. Auf die Civilverwaltung hat R. absolut keinerlei Einfluß geübt, sie wurde einem Adlatus überlassen, bald darauf ganz und gar wieder vom Militärcommando getrennt. Mazzini’s Proclamationen beunruhigten das Land nach wie vor, die Emigranten der Lombardei, in Piemont begütert, setzten die Agitation fort, der Canton Tessin erwies sich als ein unseliger Nachbar für die österreichische Herrschaft in der Lombardei. Ein Volk, das jener Zeit fast nur vom Schmuggel lebte, erwies sich als ein trefflicher Gastfreund für politische Schmuggler, Geheimbündler und Verschwörer. In England arbeitete, wie in Paris, unter dem Schutze Louis Napoleon’s, die Agitation rastlos gegen die österreichische Herrschaft. Alle Versuche Oesterreichs, in London eine Fremdenbill durchzusetzen, waren vergeblich. Der Krimkrieg setzte die Dinge mächtig in Bewegung. Cavour’s geniale Politik brachte die Allianz Sardiniens mit Frankreich und England zu Wege, so gelangte die italienische Frage auf die Tagesordnung des Pariser Congresses. 1854 war der 88jährige Marschall zur Vermählung seines Kaisers (24. April) noch einmal in Wien gewesen. Maßloser Jubel [133] empfing den Greis, den die Last der Jahre und des Weltruhmes zu erdrücken schien. Drei Jahre später (1857) erschien Kaiser Franz Joseph mit seiner Gemahlin Elisabeth in Oberitalien und R., der 91jährige Marschall, erbat sich bei dieser Gelegenheit den Ruhestand. In den denkbar schmeichelhaftesten Formen ward ihm die Bitte gewährt, „um das so theure, ruhmvolle Leben in ungetheiltem Wohlsein zu erhalten“. Nach 72 Dienstjahren! In seinem Abschiedsbefehl sagt R., er nehme keinen Abschied von den Soldaten, er bleibe unter ihnen. Der Glanz, welcher sich wie die Abendröthe eines schönen Tages über sein Leben verbreite, sei das Werk der Tapferkeit seiner Soldaten. Er hatte seine Uebersiedlung von Verona nach Mailand angeordnet – für den 21. Mai. Da traf ihn ein Unfall. Als er die Gräfin Wallmoden, artig wie immer, begleiten wollte, stolperte der Greis, der sich diesmal des Stockes nicht bediente, fiel und erlitt einen Beinbruch am Oberschenkel. Die Kräfte verfielen während des Krankenlagers, aber die Wunde heilte, doch blieb das Bein geschient, indes sich der allgemeine Zustand des „Vaters R.“ besserte, sodaß er Spazierfahrten machen und Ausrückungen der Truppen beiwohnen konnte. Im December, in den Weihnachtstagen 1857, trat eine bösartige Erkältung auf, das Neujahr zeigte den Zustand als gefahrvoll und am 5. Januar 1858 gab er seinen Geist auf. Die Leichenfeier in den italienischen und deutschen Garnisonsstädten war allenthalben pomphaft, die Leiche wurde nach Wien gebracht und in Wetzdorf, auf der Besitzung Pargfrieder’s, eines Freundes Radetzky’s, beigesetzt.

Ein gütiges Geschick hatte allzeit über diesem Leben gewaltet und so hat ihn das Schicksal im Augenblicke aus der Reihe der Lebenden geholt, als sich die Ereignisse erst vorbereiteten, die seine ruhmreichste Arbeit vernichten sollten. Neun Tage nach Radetzky’s Tode erfolgte das Attentat Orsini’s (14. Januar 1858) auf Napoleon III., dieser schreckliche Aufruf zur That der „Befreiung“ zu schreiten. Orsini ward wie ein Heiliger, Märtyrer gefeiert, Napoleon und Cavour beschlossen in Plombières den Bund und weihten ihn durch die Heirath des Prinzen Napoleon mit der Königstochter Sardiniens. Die Franzosen rückten mit gewaltiger Heeresmacht nach Oberitalien. – R. schrieb 1847 an Hardegg: „Den Verlust Italiens würde ich nicht überleben. Ich stehe am Ziele. Kann mir das Schicksal ein beneidenswertheres Loos bereiten, als auf dem Boden zu siegen, um den wir so lange blutig gerungen? Wir Beide sind durch eine große Vergangenheit gewandert. Gott verhüte, daß sich unsere Namen am Ende unserer Tage an neue Unfälle der Monarchie knüpfen sollten!“ Die Vorsehung beschied ihm damals den Sieg und noch mehr, sie verhütete wirklich, daß er die Tage von Magenta und Solferino erlebte; am Vorabende dieser für Oesterreich unseligen Tage schied er aus der Reihe der Lebenden. Die abgöttische Liebe seiner Soldaten verherrlichte ihm die Tage seines Daseins, nach seinem Tode zeigte sich sein Name als die dauerndste Tradition in der österreichischen Geschichte.

Schon nach Radetzky’s Tode, 1858, sprach man von einer Radetzkylitteratur. Die Biographie, die anonym im Cotta’schen Verlag 1858 erschien, nennt sich „Skizze“, enthält aber 440 Seiten. Der Autor nimmt für sie die größte Authenticität in Anspruch, insofern R. einen Theil dem Autor (General Heller) in die Feder dictirt, das Manuscript zum Theil durchgesehen haben soll, jedenfalls seine Correspondenz zur Benutzung gegeben hat. Von Wichtigkeit ist „Erinnerungen eines österreichischen Veteranen“ (anonym, von Schönhals, Radetzky’s Generaladjutanten, Vorstand seiner Canzlei) (Cotta 1852), in vier Jahren sieben Auflagen. – Willisen (preuß. General), „Der Feldzug 1848“, R. die Feldzüge „nach österreichischen Feldacten“, officielle Generalstabsarbeit (1849); R., „Handschriftlicher Nachlaß“ (Cotta 1858), Denkschriften; „Erinnerungen aus dem Leben des Feldmarschalls Grafen Radetzky“ in Mittheilungen des Kriegsarchivs [134] (Wien 1887), vom Feldzeugmeister Graf Thun, dem einstigen Vertrauten Radetzky’s, der historischen Abtheilung des österreichischen Generalstabes zum Drucke überlassene Papiere, die zumeist scharfe kritische Bemerkungen über österreichische Heerführer und Führung enthalten, sonst die Lebensgeschichte nicht berühren. Für die ältere Periode wichtig die Litteratur der deutschen Befreiungskriege, darunter Pertz’ Stein und die Gneisenaubiographien u. s. w. Die ältere gedruckte Litteratur verarbeitet Schneidawind, Fr. Jos., „Feldmarschall Graf Jos. R.“ (600 S.), Augsburg 1851. – Strack, Die Generale d. österr. Armee (Wien 1850). – Das Persönliche in Hackländer „Bilder aus dem Soldatenleben“ (Stuttgart 1849, Krabbe, dann neueste Aufl. 1887). Dazu das große lithographische Prachtwerk „Erinnerungen aus dem Feldzuge der österreichischen Armee in Italien 1848“, in Handzeichnungen nach der Natur lithographirt und herausgegeben von den Brüdern Adam, mit Text von Fr. Hackländer. R. ist in zahllosen Gedichten gefeiert. Zedlitz (Soldatenbüchlein), Anastasius Grün, Deinhardstein, Tschabuschnigg, Vogel, Zingerle, Castelli und (am wirksamsten) Grillparzer haben ihn verherrlicht. Radetzkylieder (Aschaffenburg 1851), Lieder im Volkston, Nachahmung alter historischer Lieder etc.