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Artikel „Rechbauer, Karl“ von Franz Ilwof in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 53 (1907), S. 225–233, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Rechbauer,_Karl&oldid=- (Version vom 22. November 2024, 04:44 Uhr UTC)
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Rechbauer: Karl R., Parlamentarier, geboren zu Graz am 6. Januar 1815, absolvirte die juridischen Studien an der Universität seiner Vaterstadt und wurde 1839 zum Doctor beider Rechte promovirt. Er diente zuerst als Praktikant bei der k. k. Kammerprocuratur in Graz und wurde 1846 zum Hof- und Gerichtsadvocaten daselbst ernannt.

Die politische Laufbahn, welche sich für ihn im Laufe der Jahre glänzend gestaltete, betrat er im provisorischen Landtage des Herzogthums Steiermark im J. 1848, dem er jedoch nur in den drei letzten Sitzungen (6., 7. und 8. November) als Vertreter der Universität Graz angehörte.

Im J. 1850 wählten ihn seine Mitbürger in den Gemeinderath der Stadt Graz; als aber das Ministerium Bach die freie Wahl in den Gemeinderath aufhob und ihn durch von der Regierung ernannte Mitglieder besetzte, trat R. aus dieser Körperschaft, hielt sich gleich seinen Gesinnungsgenossen Moritz v. Kaiserfeld, Moritz Ritter v. Franck u. A. während der Zeit der Reaction ferne von jeder politischen Bethätigung und wirkte nur in seinem Berufe als Rechtsanwalt.

Nachdem sich die politischen Verhältnisse zu ändern begonnen hatten und (1859) auch in Graz wieder ein Gemeinderath durch die Wahl der Bürger [226] war einberufen worden, wurde er in denselben gewählt. Diese Körperschaft entwarf das jetzt noch geltende Gemeindestatut und der leitende Kopf bei diesem Gesetzgebungsacte war R.

Als nach dem Erscheinen des kaiserlichen Patentes vom 26. Februar 1861 (Februarverfassung) und der neuen Landesordnung für Steiermark die Wahlen für den Landtag dieses Herzogthums stattfanden, beriefen gleichzeitig die Wahlbezirke Innere Stadt Graz, sowie die Märkte Aussee und Fronleiten R. als ihren Vertreter in denselben. Er entschied sich für Graz, wurde vom Landtage in den Reichsrath entsendet, dem er durch stete Wiederwahlen, auch nachdem seit 1873 die Abgeordneten in den Reichsrath nicht mehr durch die Landtage, sondern durch directe Wahlen der Wahlberechtigten gewählt wurden, bis 1885 als Vertreter der inneren Stadt Graz angehörte. Unentwegt blieb er während seiner ganzen politischen Laufbahn der deutschliberalen Partei getreu, aus der sich die Autonomistenpartei, ursprünglich nur eine kleine Gruppe von wenig über 20 Abgeordneten, herausgebildet hatte; als einer ihrer Führer kann R. bezeichnet, und ihr Programm in folgender Weise skizzirt werden: Sie anerkannten das Octoberdiplom, die Februarverfassung und die Landesordnungen als Grundlagen, auf welchen die Einheit Oesterreichs befestigt, politische und bürgerliche Freiheit begründet und ein dauernder Rechtszustand herbeigeführt werden solle. Um die gemeinsame Behandlung aller dem Reichsrathe zugewiesenen Arbeiten zu ermöglichen, müsse jedoch der Weg der Verständigung mit Ungarn eingeschlagen werden. Die Lösung der staatsrechtlichen Fragen mit der ungarischen Reichshälfte solle aber nicht ohne Zustimmung des Reichsrathes erfolgen. Das autonome Leben der einzelnen Länder solle innerhalb der Grenzen der Verfassung geschützt und gefördert werden; die Lücken der Verfassung wären auszufüllen. Die Grundsätze der Freiheit, des Rechtes und der Selbstbestimmung sollen in allen Zweigen des häuslichen, corporativen und nationalen Lebens zur Geltung gebracht werden. Dazu gehöre die volle Autonomie der Gemeinde und des Bezirkes, damit das Volk selbst Antheil habe an der Entwicklung verfassungsmäßiger Institutionen, für die es Opfer zu bringen habe. – Auf Grundlage dieses Programms vereinigte sich die Gruppe der Autonomisten mit denen der Unionisten und der Großösterreicher unter dem Gesammtnamen der Verfassungspartei.

Von Rechbauer’s erfolgreicher und umfassender politischer Thätigkeit, und speciell von der im Reichsrathe und im steiermärkischen Landtage, soll hier noch einiges hervorgehoben werden. In der 97. Sitzung des Abgeordnetenhauses am 28. Februar 1862 plaidirte er in einer großen Rede für die Freigebung der Advocatur, welcher jedoch erst durch die neue Advocatenordnung vom 6. Juli 1868 stattgegeben wurde. – Nachdem der von Kaiser Franz Josef I. berufene und unter dessen Vorsitz stattgefundene Fürstentag zu Frankfurt a. M. (1. September 1863) geschlossen war, regte N. im Abgeordnetenhause die Bildung eines „deutschen Clubs“ an, in dem sich alle Abgeordneten vereinigen sollten, welche die Berufung und Beschickung eines deutschen Abgeordnetentages für zweckmäßig und zeitgerecht hielten. Herbst jedoch bekämpfte diesen Vorschlag mit der Einwendung, daß es nicht möglich sei, die Reformprojecte des Fürstentages mit den Bestimmungen der Februarverfassung in Einklang zu bringen, und Rechbauer’s Plan realisirte sich nicht. – Am 25. November 1863 starb König Friedrich VII. von Dänemark, und nun wurde die schleswig-holsteinische Frage zur brennenden für ganz Deutschland. R. interpellirte den Minister des Aeußern, Grafen Rechberg, über dessen Stellung zu dieser Angelegenheit. Denn R. war der eifrigste Vertreter des deutschnationalen Gedankens im Abgeordnetenhause und verlangte Oesterreichs [227] Theilnahme an der Besetzung Schleswig-Holsteins, wobei er jedoch betonte, daß nach der Besetzung durch die Bundestruppen das Land selbst über sein ferneres Schicksal zu entscheiden haben werde, was freilich nicht in den Intentionen der deutschen Executionsmächte – Preußen und Oesterreich – lag. Es handle sich, erklärte R., um die nationale Ehre, und da dürfe Oesterreich nicht zurückbleiben. Rechberg beantwortete die Interpellation am 4. December 1863; er bestritt das Recht des succedirenden Königs von Dänemark, Christian IX., auf Schleswig-Holstein und Lauenburg und stellte die deutsche Bundesexekution zum Schutze der deutschen Nationalität dieser Länder, im Vereine mit Preußen, in Aussicht. Da eben damals das Abgeordnetenhaus über den Voranschlag des Ministeriums des Aeußern berieth, so war es in der Lage, die Bundesexekutionsfrage des weiteren zu erörtern und die Rechtsverbindlichkeit des Londoner Vertrages vom 8. Juni 1852 darzulegen, auf dessen Bestimmungen die deutschen Bundesstaaten ihr Exekutionsrecht begründeten. Da R. mit der Beantwortung seiner Interpellation durch den Minister Rechberg durchaus nicht einverstanden war, sprach er sich in der Sitzung vom 28. Januar 1864 entschieden gegen die Bewilligung des Zehn-Millionen-Credites für die Bundesexekution in Holstein aus. – Hingegen befürwortete er in den Debatten vom 18.–20. Mai 1865 den Zoll- und Handelsvertrag mit Deutschland auf das wärmste.

Am 22. October 1865 nahm R. in der Zusammenkunft Moritz v. Kaiserfeld’s und Fleckh’s mit den oberösterreichischen Autonomisten Wiser und Hans Groß regen und maßgebenden Einfluß an den Berathungen, um mit der von Deák geführten Rechtspartei zu einer Verständigung über das staatsrechtliche Verhältniß zwischen Oesterreich und Ungarn zu gelangen. Ebenso an der Besprechung zu Aussee mit Stremayr, Moritz v. Franck, Wiser, Giskra, Kaiserfeld, Sturm und Groß; die Autonomisten beabsichtigten, die Wege des Föderalismus durch Schaffung des dualistischen Systems zu kreuzen und mit Hülfe einer Institution (der später ins Leben gerufenen Delegationen) zur Berathung gemeinsamer Angelegenheiten den Deutschen in den westlichen Ländern der Gesammt-Monarchie das politische Uebergewicht zu verbürgen; ihren autonomistischen Standpunkt vertraten sie in ihrem Programm vom November 1866 durch die Forderung nach Erweiterung des Wirkungskreises der Landtage, und ihre Ansichten fanden Zustimmung auf ungarischer Seite bei jenem Theile der liberalen Partei, der ein freundliches Verhältniß mit den Deutschen anzubahnen wünschte. Dieses Ausseer Programm bot auch die Grundlage dar für die Constituirung Oesterreichs durch die Staatsgrundgesetze vom 21. December 1867. – Der Verfassungssistirung durch das Ministerium Belcredi trat R. im Grazer Gemeinderathe durch den Antrag entgegen, eine Adresse an die Krone zu richten, um die Wiederherstellung verfassungsmäßiger Zustände und die Einberufung des Reichsrathes zu verlangen. Er begründete seinen Antrag durch Betonung der Thatsache, daß das im J. 1859 vom Kaiser gegebene Versprechen, die „ererbten Uebelstände“ zu beseitigen, bisher nur mit halber Kraft zu erfüllen versucht wurde, und diese Halbheit habe Oesterreich nach Königgrätz geführt.

In der Debatte über die Verfassungsgesetze von 1867 bekämpfte R. sowohl im Verfassungsausschusse als im Plenum den Antrag über die Zusammensetzung des Herrenhauses und über die Wahl des Abgeordnetenhauses. Er betonte, unter Hinweis auf die Ereignisse der letzten Zeit, bei denen die Erzherzoge den Sitzungen ferne blieben und die Kirchenfürsten in einer Adresse sowohl dem Rechte der Krone als dem Rechte des Volkes in der confessionellen und Schulgesetzgebung entgegentraten, im Herrenhause sei eine Vertretung der [228] Rechte des Volkes nicht zu finden. Aber auch im Abgeordnetenhause, das auf Interessenvertretung beruhe, seien die Rechte des Volkes nicht gesichert, da der Großgrundbesitz über 25 Procent der Gesammtvertretung verfüge, die Landgemeinden mit 42 Procent bedacht seien, während die städtische Bevölkerung, also die Intelligenz und damit die fortschrittlichen Elemente nur 33 Procent der Volksvertretung darstellen. Das Wahlrecht erscheine in der Verfassung in bedauerlicher Weise eingeschränkt. Die ungarische Repräsentantentafel zähle 446, das österreichische Abgeordnetenhaus nur 203 Mitglieder. R. plaidirte für ein von den Landtagen zu wählendes Länderhaus mit 203 und ein aus directen Wahlen hervorgehendes Volkshaus mit 300 Mitgliedern. Diese Anträge blieben jedoch in der Minorität. Ebenso sein Vorschlag auf Festsetzung eines bestimmten Termins von vier Monaten für die Wiedereinberufung des Reichsrathes im Falle erfolgter Auflösung, den der damalige Ministerpräsident Graf Taaffe lebhaft bekämpfte. Vor Abschluß der Berathungen über die Verfassungsgesetze stellte R. den Antrag, daß durch ein besonderes Gesetz verfügt werde, daß die Ausgleichsgesetze und die Gesetze über die Verfassungsrevision gleichzeitig ins Leben zu treten hätten. Der Antrag wurde angenommen, und dadurch kam die volle Zusammengehörigkeit von Dualismus und Decemberverfassung zum Ausdruck.

In der Budgetdebatte von 1868 wurde über die hohen Militärlasten und über den Druck des Militarismus auf die Staatsfinanzen Klage geführt. R. gab dem in folgenden Worten Ausdruck: „Der maßlose Heeresaufwand ist das große Uebel, an dem wir leiden, der uns in diese nahezu trostlose Lage gebracht hat. Daß dies eine begründete Anschauung ist, das werden Sie wohl zugeben, wenn Sie bedenken, daß seit dem Jahre 1849 über 2000 Millionen für die Armee aufgewendet, daß in manchem Jahre die ganzen Staatseinnahmen für die Armee verwendet wurden. Wo solche Ausgaben für einen großen unproductiven Zweck gemacht worden sind, ist es gar kein Wunder, daß es dahin gekommen ist, daß uns der finanzielle Ruin entgegenstarrt“. „Da gibt es nur ein Mittel, ein entschieden radicales Mittel. Wer das Mittel nicht ergreifen will, ich spreche meine Ueberzeugung unverhohlen aus, der muß verzichten auf den Bestand Oesterreichs, und dieses Mittel ist, daß das Wesen der stehenden Armee ganz und gar geändert wird, und daß an dessen Stelle ein Volksheer tritt in jener Weise, wie es in der benachbarten Schweiz, wie es in Amerika besteht, wie es theilweise selbst in unseren Ländern, in Tirol und Vorarlberg, geschaffen ist. Man wird sagen, das ist ein idealer Standpunkt. Aber ich glaube, ein Volk muß in seiner Wehrkraft dahin gebracht werden, sich selbst zu vertheidigen, keinen anderen Krieg zu führen als den für Haus und Herd, nicht als Opfer zu dienen für ehrgeizige, dynastische Pläne.“

Im J. 1868 war R. Mitglied der österreichischen Delegation. In dieser war er besonders bemüht, dem arg zerrütteten Zustande der Finanzen des Reiches zu steuern und trat vielen Mehrforderungen des gemeinsamen Ministeriums entgegen, so daß er und seine Gesinnungsgenossen Demel, Figuly und Sturm scherzweise „das Streichquartett“ genannt wurden.

Im Herbst 1868 fand im Abgeordnetenhause eine Fusion des Clubs der Liberalen mit dem Club der Linken statt. Die fusionirten Clubs wählten in der constituirenden Versammlung R. zu ihrem Obmann; diese Fusion bestand ursprünglich aus 53 Mitgliedern, stieg jedoch bald auf über hundert. Der Zweck derselben war zunächst auf ein einiges Vorgehen bei Berathung des Wehrgesetzes gerichtet, auf dessen Zustandekommen die Krone hohen Werth legte und für welches sie eine starke Majorität wünschte, um sich nicht mit [229] den einzelnen Parteigruppen in lange Unterhandlungen einlassen zu müssen. Dies drängte aber wieder jene Mitglieder der Linken, welche dem Wehrgesetze opponirten, einen Club der äußersten Linken zu bilden, der zunächst 29 Mitglieder, darunter R., der für das Milizsystem eintrat, zählte. Der neue Club formulirte sein Programm in folgenden Punkten: Ausbau der Verfassung im freiheitlichen Sinne, liberale Entwicklung auf wirthschaftlichem Gebiete, Verwirklichung der in der Verfassung enthaltenen bürgerlichen Rechte und Freiheiten in politischer und confessioneller Richtung. Ueber das Wehrgesetz sprach sich R. bei Berathung desselben im Abgeordnetenhause in folgender Weise aus: „Ich begrüße die allgemeine Wehrpflicht als demokratische Einrichtung, denn sie allein ist gerecht. Ihr Grundsatz ist: gleiche Rechte, gleiche Pflichten für alle. Allein sie muß in diesem Sinne durchgeführt werden. Die allgemeine Wehrpflicht, soll sie nicht einen ohnehin geschwächten Staat zu Grunde richten, soll nicht aus dem freiheitlichen, verfassungsmäßigen Rechtsstaate ein Cäsarismus, ein Militarismus, eine herrschende Soldateska werden, muß in dem Sinne aufgefaßt werden, daß nur die allgemeine Bewaffnung des Volkes eingeführt wird. Von diesem Gesichtspunkte erscheint mir das Milizsystem allein folgerichtig“.

Die noch immer ungelöste Concordatsfrage und das Verhalten des Papstes gegenüber dem kirchenpolitischen Streite in Oesterreich veranlaßte R., in der Sitzung des Abgeordnetenhauses vom 10. August 1869 neuerlich für die Aufhebung des Botschafterpostens in Rom einzutreten: „Hätte ich einen Einfluß auf die Geschicke Oesterreichs gehabt – es mag vielleicht ein Glück für Oesterreich sein, daß es nicht der Fall war –, so hätte ich die päpstliche Allokution mit der augenblicklichen Abberufung des Botschafters von Rom beantwortet. Denn, wenn der Herrscher eines anderen Staates sich herausnimmt, die verfassungsmäßige Gesetzgebung eines Staates vor aller Welt als null und nichtig zu bezeichnen, den Staatsbürger gegen die Gesetze aufzuhetzen und ihm aufzutragen, sich dem Gerichte des Staates nicht zu stellen, so möchte ich wohl bezweifeln, ob irgend ein Staat Europas dies so geduldig hingenommen hätte“. Rechbauer’s Antrag blieb jedoch in der Minorität.

Am 24. Januar 1870 trat R. in der Adreßdebatte für die Erlassung eine Nationalitätengesetzes ein; jeder Nationalität sollen ihre berechtigten Ansprüche zu Theil werden, den Deutschen aber sei jene Stellung zu gewähren, die ihnen vermöge ihrer Cultur, ihrer tausendjährigen Geschichte, aber auch deshalb gebührt, weil sie das Reich geschaffen und zusammengehalten haben. Am 29. März 1870 brachte R. im Abgeordnetenhause einen Wahlreformantrag ein, der dahin ging, daß der Reichsrath aus einem Länderhause und einem Volkshause bestehen solle; Mitglieder des ersteren sollten die Prinzen des Kaiserhauses, die derzeit dem Herrscherhause angehörigen erblichen und lebenslänglichen Mitglieder und durch die Landtage zu entsendende Abgeordnete sein; das Volkshaus sollte durch unmittelbare directe Wahl zu Stande kommen. Weiter beantragte er die Erlassung eines Gesetzes zur Regelung der Grundsätze und Vorschriften betreffs der Religionsverhältnisse, eines Civilehegesetzes und eines Gesetzes zur Aufhebung des Concordates.

Als infolge inneren Zwistes das Ministerium Taaffe-Hasner gefallen und ein Ministerium Potocki ernannt worden war, um den Versuch zu unternehmen, eine Verständigung der Parteien auf autonomistischer Grundlage anzubahnen, suchte Potocki bei der Zusammenstellung seines Cabinettes nach einem Manne, der in demselben das deutsche Element vertreten sollte; R. wurde von der öffentlichen Meinung als dieser Mann bezeichnet. Von Potocki aufgefordert, legte er sein Programm vor: „Feststehen auf dem Boden der [230] Verfassung; jede Veränderung derselben kann nur auf verfassungsmäßigem Wege erfolgen; jede Verletzung derselben ist ein Rechtsbruch; zur Kräftigung des Constitutionalismus ist eine Reform der Reichsvertretung erforderlich und zwar ist die Bildung eines Volkshauses auf Grund directer Wahlen und Umgestaltung des Herrenhauses in ein Länderhaus zu vollziehen; die staatsrechtliche Einheit der im Reichsrathe vertretenen Königreiche und Länder ist unantastbar und jeder Versuch, innerhalb des Territoriums des Reichsrathes wie immer geartete neue staatsrechtliche Gebilde zu schaffen, entschieden zurückzuweisen; die Autonomie der Königreiche und Länder ist nicht nur ungeschmälert zu erhalten, sondern im Sinne einer vernünftigen Decentralisation zu erweitern; als Anlaß der in einigen Ländern erhobenen Klagen über die Eintheilung der Wahlbezirke wäre eine Revision der Landtagswahlordnungen vorzunehmen; Erlassung eines freisinnigen Nationalitätengesetzes und zwar Gewährleistung vor Vergewaltigung und Entnationalisirung für jede Nation und Wahrung der den Deutschen nach Geschichte, Zahl, Bildung und Vermögen gebührenden, hervorragenden Stellung; volle und wahre, im praktischen Leben durchgeführte Uebung der den Staatsbürgern in den Staatsgrundgesetzen gewährleisteten freiheitlichen Rechte, daher zunächst Erlassung eines neuen Strafgesetzes und einer Strafproceßordnung mit Geschwornen usw.; Erlassung eines Religionsgesetzes nach dem Grundsatze: ‚freie Kirche im freien Staate‘, doch mit Wahrung der vollen Souveränität des Staates gegenüber der Kirche; Herstellung des Gleichgewichtes im Staatshaushalte, insbesondere Herabsetzung des Heeresaufwandes, deshalb Anbahnung des Milizsystems; so lange aber ein solches, bei unseren im ganzen noch unfertigen Zuständen nicht möglich ist, eine zweckmäßige Umgestaltung des Landwehr-Institutes; endlich was die Haltung der Monarchie nach außen betrifft, Fernhaltung jedes hemmenden und störenden Einwirkens auf die Gestaltung Deutschlands, Bekämpfung der russischen Agitationen in den slavischen Ländern und möglichst freundschaftliches Verhältniß zu Preußen und Italien“.

Dieses Programm fand hohen und höchsten Ortes nicht Zustimmung und Rechbauer’s Berufung ins Ministerium unterblieb.

Das Ministerium Potocki war nur von kurzer Dauer; dem edlen, von den besten Intentionen erfüllten Grafen Potocki gelang die Versöhnung der Nationalitäten nicht; und so entschloß sich die Krone zu dem Versuche, Oesterreichs Verfassung auf föderalistischer Grundlage umzugestalten. Hiezu wurde das Ministerium Hohenwart, dessen spiritus rector (oder vielleicht besser gesagt advocatus diaboli) Schäffle gewesen zu sein scheint, berufen. Nun begann für die Deutschen im Donaureiche die Gefahr der Beseitigung der Decemberverfassung und des Uebergewichtes der Slawen im politischen Leben. Da waren es Kaiserfeld und R., welche die Clubs im Reichsrathe zum Kampfe gegen die Regierung einigten. Thatkräftig trug R. dazu bei, daß Hohenwart’s Pläne, Oesterreich nach dem Muster der Fundamental-Artikel zu föderalisiren, den ohnehin sehr eingeschränkten Centralismus zu beseitigen, auf Kosten des Reichsrathes die Macht der Landtage zu stärken, an die Stelle des Einheitsstaates einen Staatenbund zu setzen, scheiterten. Der Widerstand der Vertheidiger der Decemberverfassung im Reichsrathe und in den Landtagen, sowie der geläuterten öffentlichen Meinung der Deutschen in Oesterreich und der Einspruch der Vertheidiger des Dualismus in Ungarn, Andrássy als Wortführer, stürzten das Ministerium Hohenwart, und dem Cabinett Adolf Auersperg-Lasser fiel Ende 1871 die schwere Aufgabe zu, Ordnung in die zerrütteten Verhältnisse zu bringen.

[231] Als Minister Glaser im Parlamente den Entwurf einer Strafproceßordnung vorlegte, trat R. (3. April 1873) gegen die Vorschläge der Regierung, die Einschränkung dieser Gerichte betreffend, in einer großen Rede auf. In der österreichischen Delegation (April 1873) brachte R. neuerdings seine Lieblingsidee, die Schaffung eines Milizheeres und Verminderung der Ausgaben für die Armee zur Sprache.

Dem Ministerium Auersperg-Lasser gelang es, die Reform des Abgeordnetenhauses durchzuführen, wonach dieses nicht mehr von den Landtagen, sondern direct von den Wahlberechtigten gewählt wird. Von dem ersten in dieser Weise gebildeten Hause wurde R. (16. November 1873) zum Präsidenten gewählt, welche Würde er bis 1878 bekleidete. Als die Tschechen gegen diese Zusammenstellung des Hauses protestirten, erwiderte R., daß „die Rechtsbeständigkeit der Verfassung und der rechtliche Bestand des Reichsrathes in keiner Weise Gegenstand der Discussion oder Beschlußfassung oder von Dissertationen sein könne“. In der österreichischen Delegation von 1874 und in der von 1876 wurde R. ebenfalls zum Präsidenten gewählt, es waren ihm also in kurzer Zeit die höchsten parlamentarischen Würden zu Theil geworden. Er übte sie sowohl im Abgeordnetenhause als in den Delegationen in dem Sinne aus, wie er es in der Eröffnungsrede ausgesprochen hatte: „Die Stellung, welche mir hier [als Präsident] obliegt, ist eine außerordentlich schwierige, aber ich werde dabei das Eine beobachten: die strengste Gewissenhaftigkeit und Unparteilichkeit und die Unabhängigkeit nach jeder Richtung. Hier, wenn ich diesen Ehrenplatz einnehme, gibt es für mich keine politischen Freunde und Gegner. Hier kenne ich nur die freigewählten Vertreter des ganzen Reiches, mit gleichen Rechten, mit gleichen Pflichten. Die Redefreiheit, dieses Palladium des Constitutionalismus, will ich im weitesten Umfang wahren, dabei aber mir stets gegenwärtig halten, daß die Würde des Hauses in seinen Mitgliedern gewahrt werden müsse“.

Das Jahr 1879 brachte eine staatsrechtliche Umwälzung von grundstürzender Bedeutung für Parlament und Verfassung in Oesterreich; die Traditionen der centralistischen Regierungsform mit ihrer deutschen Spitze wurden verlassen, ein neues staatsrechtliches Verhältniß der Königreiche und Länder wurde angestrebt. Das Ministerium Auersperg-Lasser fiel, Taaffe trat (August 1879) an dessen Stelle. Als sein Programm bezeichnete er die Versöhnung der Nationalitäten auf dem gemeinsamen Boden der Verfassung; in der That aber war es seine Politik, den slavischen und klerikalen Parteien Zugeständnisse auf Kosten der Deutschen, ihres Besitzstandes und auf Kosten der Staatsgewalt zu machen und die föderalistische Gestaltung Oesterreichs vorzubereiten. R. trat als entschiedener und starker Gegner dieser Regierung im neugewählten Reichsrathe entgegen und schloß sich dem, allerdings in der Minorität gebliebenen Adreßentwurfe an den Kaiser an, der in den Worten gipfelt: „Wir halten es jedoch für unsere patriotische Pflicht, zugleich offen und loyal auszusprechen, daß wir eine Revision der Staatsgrundgesetze in der Richtung einer abermaligen Erweiterung der Landesautonomie mit dem Bestande eines einheitlichen constitutionellen Staatswesens nicht mehr verträglich halten“.

Als die Tendenzen Taaffe’s immer deutlicher hervortraten, als sein Ministerium in der That ein slavisch-klerikales Cabinet geworden war, charakterisirte es R. in einer Rede an seine Wähler am 10. September 1881: „Die Signatur dieser Periode war die parlamentarische Corruption. Alle Actionen der reactionären, feudalen, nationalen und klerikalen Parteien hatten das gemeinsame charakteristische Merkmal, die Tendenz des Deutschthums zu untergraben“.

[232] Im J. 1881 vereinigte sich der deutsche Fortschrittsclub und der Club der Linken zum Schutze der bedrohten staatlichen und nationalen Interessen, zunächst zur Bekämpfung der herrschenden Regierungspolitik, in einen parlamentarischen Club, welcher den Namen „Vereinigte Linke“ führte; R. gehörte zu den Gründern, eifrigsten und thatkräftigsten Theilnehmern dieses Clubs im Abgeordnetenhause des Reichsrathes.

In der Ende 1883 geführten Debatte über den Antrag des Grafen Wurmbrand auf gesetzliche Feststellung der deutschen Staatssprache erklärten die Tschechen, daß dies gegen die in den Staatsgrundgesetzen ausgesprochene Gleichstellung und Gleichberechtigung aller Nationalitäten verstoße, welche in den im Reichsrathe vertretenen Königreichen und Ländern wohnen. R. erwiderte hierauf: „Ich verstehe das Wort ‚Gleichberechtigung‘ dahin, daß die Nationalität des Bürgers keinen Unterschied in dem Genuß der bürgerlichen und politischen Rechte begründen darf. Jede Nationalität hat gleichen Anspruch, sich unbehindert zu entwickeln und zu verlangen, daß ihr der Staat die Mittel dazu bietet und die Hindernisse beseitigt werden. Allein Gleichstellung und Gleichberechtigung ist nicht dasselbe. Sowie es im bürgerlichen und politischen Leben immer Unterschiede nach den Graden der historischen Entwicklung des Besitzes und der Bildung gibt, so gibt es auch solche unter den Nationalitäten und eine faktische Gleichstellung wird niemals zur Lösung führen und niemals dazu führen können“.

Bei der Berathung der Wehrgesetznovelle (7. December 1881) sprach R. aus finanziellen Gründen gegen dieselbe, und zwar in folgender Weise: Als im Jahre 1868 das Wehrgesetz berathen wurde, habe die Regierung versichert, daß bei einem Kriegsstande von 800 000 Mann der Heeresaufwand 80 000 000 fl. betragen würde, und bei der Berathung des Landwehrgesetzes wurde versichert, die Landwehr werde 800 000 fl. kosten. Nun erfordere das Kriegsbudget 110 000 000 fl., die Landwehr 4 000 000 fl. Nach den bisherigen Bestimmungen gehört die Ersatzreserve nicht zum Kriegsstande, wenn aber nach Vorschlag der Regierung die Ersatzreserve in den Kriegsstand einbezogen würde, so erhöhe sich der Kriegsstand auf 900 000 Mann, woraus dem Staate Kosten erwachsen, die er schwer oder gar nicht tragen könne.

Im Mai 1883 gelangte im Abgeordnetenhause die Regierungsvorlage über die Landwehrreform zur Debatte. Die Majorität stimmte der Anwendung des § 5 des Gesetzes über die gemeinsamen Angelegenheiten auf die Landwehr zu und lehnte die Forderung der Minorität ab, bei Annahme dieser Bestimmung die Zweidrittelmehrheit constatiren zu lassen. R. wies darauf hin, die Vorlage muthe der Volksvertretung zu, auf eines der wichtigsten parlamentarischen Rechte zu verzichten und etwas, was bisher nur im Wege der Gesetzgebung zu bestimmen möglich war, in Zukunft ohne diese der Executive zu überlassen. Die Vorlage verlange wirthschaftliche Opfer und finanzielle Lasten; die Feststellung der Cadres werde der Executive überlassen; Officiere sollen auch außer zu den Dienstübungen zur Dienstleistung herangezogen werden. Auch bezüglich der Einberufung und Mobilisirung der Landwehr wird das Recht des Parlaments eingeschränkt und § 14 des Staatsgrundgesetzes über die Reichsvertretung verletzt. Die slavisch-klerikale Majorität ging über alle diese gegründeten Bedenken hinweg, die Regierungsvorlage wurde mit einfacher Majorität angenommen und im October 1883 mit der Neuorganisation der Landwehr begonnen.

Neben den anstrengenden und aufreibenden Arbeiten im Reichsrathe war er nicht minder thätig im steiermärkischen Landtage. In diesem war er in der Session von 1863 Referent über die Regierungsvorlage, betreffend eine [233] neue Gemeinde-Ordnung und über die Gemeinde-Wahlordnung. In der Sitzung desselben Vertretungskörpers vom 30. September 1871 stellte er Namens des Verfassungsausschusses mit eingehender Motivirung den Antrag, der steiermärkische Landtag möge aussprechen, daß die in den Staatsgrundgesetzen nicht begründete staatsrechtliche Sonderstellung des Königreichs Böhmen gegenüber den übrigen Königreichen und Ländern unzulässig sei, weil dadurch die staatsrechtliche Einheit aller im Reichsrathe vertretenen Länder zerrissen, sohin der gesammte Rechtsboden des Reiches durchbrochen und die staatsrechtliche Stellung aller übrigen Länder verschoben werde. Nach langen und lebhaften Debatten, in welchen insbesondere die slovenischen und klerikalen Abgeordneten diesen Antrag auf das heftigste bekämpften, wurde er von dem Landtage mit großer Majorität als Resolution angenommen.

Rechbauer’s politisches Verhalten und Charakterfestigkeit hatten ihm die Sympathien der besten deutschen Männer des In- und Auslandes zugewendet; er erhielt Anerkennungsadressen von Kassel und von den Deutschen in New-York; die letztere erwiderte er mit der Versicherung, daß er den nunmehr aufgenommenen Kampf um den Besitz und die Erhaltung der Freiheit mit dem Aufgebote aller seiner Kräfte und mit ganzer Hingebung mitzukämpfen, immer und überall für das Volk und die Rechte desselben einzutreten, als seine Lebensaufgabe erachte. 1867 wurde er zum Ehrenbürger seiner Vaterstadt ernannt, und eine schöne Straße in einem neuen Stadttheil von Graz trägt seinen Namen. Der Kaiser erhob ihn zum wirklichen geheimen Rath (Titel Excellenz).

R. war auch Director der steiermärkischen Sparcasse in Graz, eines großen, ungemein wohlthätig wirkenden Institutes; er war ein großer Freund der Musik, selbst musikalisch gebildet, Ausschuß des steiermärkischen Musikvereins und Vorstand des Grazer Männergesangvereins.

Seine Gemahlin, die Tochter des k. k. Finanzprocurators und Gubernialrathes Dr. Josef Schweighofer, mit der er in zwar kinderloser, aber ungemein glücklicher Ehe seit 1848 lebte, wurde ihm schon im J. 1861 durch den Tod entrissen, in dem Momente, als seine glänzende politische Laufbahn begann. „Ich habe kein Weib, keine Kinder, mein ganzes Leben gehört meinem Volke“, soll er gesagt haben.

Ein schweres Leiden nöthigte ihn, 1885 dem öffentlichen Leben zu entsagen; er lebte nunmehr in stiller Zurückgezogenheit, doch allseits hochgeachtet und verehrt, in seiner Vaterstadt Graz, in der er am 12. Januar 1889 starb.

Wurzbach, Biographisches Lexikon d. Kaiserthums Oesterreich, 25. Theil, S. 87–89. – Kolmer, Parlament und Verfassung in Oesterreich, I. Bd. 1848–1869. Wien und Leipzig 1902. II. Bd. 1869–1879, 1903; III. Bd. 1879–1885, 1905.