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Artikel „Kuranda, Ignaz“ von Othmar Doublier in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 51 (1906), S. 445–450, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Kuranda,_Ignaz&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 17:08 Uhr UTC)
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Kuranda: Ignaz K., Schriftsteller und Parlamentarier, geboren zu Prag am 8. Mai 1811, † zu Wien am 3. April 1884.

K. wurde zu Prag als Sohn wenig bemittelter israelitischer Eltern geboren. Wie sein Vater und Großvater sollte auch er sich dem Buchhandel widmen, doch wandte er sich bald der Journalistik zu. 1835 erschien in dem Prager Blatte „Bohemia“ seine erste schriftstellerische Arbeit im Drucke: „Der zwölfte Februar“, ein Gelegenheitsgedicht zur Geburtstagsfeier des Kaisers Franz. Im J. 1834 begab sich K. nach Wien und hörte daselbst bei Lichtenfels[WS 1] philosophische Vorlesungen. Zwei Jahre später war er bei dem von Lambert redigirten Journale „Telegraph“ als Theaterkritiker thätig und schrieb für dieses Blatt Skizzen aus dem Wiener Leben. Um diese Zeit verfaßte er auch unter Benützunng von Schiller’s Fragment „Warbeck“ ein Trauerspiel „Die letzte weiße Rose“, das in Stuttgart, Karlsruhe, Frankfurt a. M. und auf anderen deutschen Bühnen zur Aufführung kam.

K. war im J. 1838 zur ersten Aufführung seines Stückes nach Stuttgart gereist und hielt sich dort und in Tübingen längere Zeit hindurch auf. In Württemberg wurde er mit David Strauß, Uhland und den übrigen schwäbischen Dichtern bekannt. Mit Empfehlungen an Victor Cousin[WS 2] versehen, führte ihn das Interesse am politischen Leben weiter nach Paris, wo er in Beziehungen zu Heine trat. Von dort begab er sich als Correspondent der „Augsburger Allgemeinen Zeitung“ nach Brüssel. Er hielt hier vor einer Reihe deutscher Professoren und belgischer Politiker Vorträge über deutsche Litteratur, welche zahlreichen Zuspruch fanden und unter dem Titel: „Vorlezingen over de hookduitsche letterkunde“ ins Vlämische übersetzt wurden. Die vlämische Bewegung, welche in der Anlehnung an den germanischen Nachbar ein Bollwerk gegen Franzosen und Wallonen sah, brachte in K. die Idee zur Reife, eine Zeitschrift zur Pflege der wechselseitigen Beziehungen zwischen Belgien und Deutschland zu gründen. Mit Unterstützung des Ministers Nothomb[WS 3] und des berühmten belgischen Schriftstellers Henrik Conscience[WS 4] erschien in Brüssel am 1. October 1841 das erste Heft der Wochenschrift „Die Grenzboten“. Die erste geschäftliche Vertretung der neuen Zeitschrift in Deutschland übernahm die Buchhandlung Herbig in Leipzig, welche kurze Zeit vorher an Friedrich Wilhelm Grunow übergegangen war. Anfangs hatte das neue Unternehmen mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen; da es in Brüssel keine deutsche Buchdruckerei gab, mußten deutsche Lettern aus Frankfurt, deutsche Setzer aus Köln und Aachen verschrieben werden. Dennoch hatten die „Grenzboten“ bald solchen Anklang gefunden, daß nach den ersten sechs Monaten ihr Bestehen gesichert war. – Da machten verschiedene Umstände einen Wechsel des Erscheinungsortes nothwendig. Die Gefahr, welche Belgien von Seiten Frankreichs drohte, schien durch den Sturz des kriegslustigen Ministeriums Thiers beseitigt, und auch die deutschen liberalen Kreise interessirten sich nicht in dem Maße, wie K. erwartet hatte, für die vlämische Bewegung. Dazu kamen die Schwierigkeiten, welche die deutschen Regierungen Zeitschriften bereiteten, die im Auslande gedruckt wurden. Preußen machte plötzlich mit verdoppelter Strenge von dem Bundesgesetze gegen ausländische Blätter Gebrauch und entzog den „Grenzboten“ den Postdebit. Wie K. selbst später erzählte, war die unmittelbare Veranlassung dafür seine Weigerung, ein ihm eingesandtes, devotes Begrüßungsgedicht an König Friedrich Wilhelm IV. in seine Zeitschrift aufzunehmen, trotz des ausdrücklich geäußerten Wunsches [446] des preußischen Gesandten v. Arnim. Anfangs Juni 1842 kam deshalb K. nach Leipzig und verlegte den Sitz der „Grenzboten“ in diesen Mittelpunkt des deutschen Buchhandels. Hier unter einer minder drakonischen Censur konnte sich K. der Erwartung hingeben, daß sich seiner Zeitschrift, welche nunmehr ein geistiges Band zwischen Deutschland und Oesterreich bilden sollte, weniger Hemmnisse entgegenstellen würden. Zunächst leitete er die Redactionsgeschäfte noch von Brüssel aus und hatte zu seinem Leipziger Vertreter den jungen Schriftsteller Jakob Kaufmann bestellt. Der Verlag ging nun ganz an die Firma Grunow über, und die Hefte des zweiten Semesters wurden bereits in Leipzig gedruckt.

Von den damals in Leipzig erscheinenden Zeitschriften, zum Theil localen Charakters oder vorwiegend belletristischen Inhalts, unterschieden sich die „Grenzboten“ durch ihren reichhaltigeren Inhalt und ihre vornehme Form. Ihre Hauptbedeutung errangen sie aber unter Kuranda’s Leitung als die einzige öffentliche Stelle, an welcher die politischen Meinungsäußerungen der liberalen Deutsch-Oesterreicher zu Tage treten konnten. Und zwar waren die freiwilligen Mitarbeiter aus Deutsch-Oesterreich nicht bloß in den Reihen der Radicalen zu finden; gerade die noch immer ziemlich conservative ständische Opposition brachte in den „Grenzboten“ ihre Beschwerden gegen das herrschende System und ihre Reformvorschläge zur Aussprache. Es arbeiteten für die damaligen „Grenzboten“ neben den Repräsentanten der poetischen Jugend Deutsch-Oesterreichs, wie Moriz Hartmann, Alfred Meißner, Joseph Rank, Uffo Horn u. A., aristokratische Vertreter der ständischen Opposition, so Baron Doblhoff, Graf Friedrich Deym, Graf Morzin.

Trotzdem die österreichische Censur die „Grenzboten“ mit dem Verbote belegte, fanden sich Mittel und Wege genug, sie über die Grenze des Kaiserstaates zu schaffen, wo jede Nummer von einer großen Anzahl begeisterter Leser sehnsüchtig erwartet wurde. Eduard Herbst sagte in seiner Festrede bei der Kuranda-Feier am 1. Mai 1881, daß die grünen Hefte, welche über die Grenze herein Botschaft brachten aus dem deutschen Reich, von deutschem Wesen und von der Nothwendigkeit der zukünftigen Entwicklung in Oesterreich, eben so viel zur Hebung dieses geistig regen Bewußtseins unter der damaligen Jugend Deutsch-Oesterreichs beigetragen haben, wie Anastasius Grün’s „Spaziergänge eines Wiener Poeten“. –

Stand K. auch in der Person des früher erwähnten Jakob Kaufmann ein treuer, ausgezeichneter Mitarbeiter zur Seite, so war er doch die Seele des Blattes. Er leistete die Hauptarbeit, stellte fast jede Nummer selbst fertig und war auch auf seinen zahlreichen Reisen unermüdlich für die „Grenzboten“ thätig, immer bemüht, neue Verbindungen in ihrem Interesse anzuknüpfen. Bei aller freiheitlichen Haltung der Zeitschrift war er aber andrerseits darauf bedacht, ihren ruhigen, vornehmen Charakter zu bewahren. Als Kaufmann im J. 1845 aus dem Redactionsverbande ausschied, wurde er durch Dr. Gustav Julius († 1852 als Flüchtling in London) ersetzt. Auf ausdrücklichen Wunsch Kuranda’s aber wurde als sein officieller Vertreter bei den „Grenzboten“ Dr. Hermann Jellinek (1848 erschossen in Wien) bezeichnet. „Ich ziehe es vor“, heißt es in einem Schreiben an Grunow, „daß man glaube, der unbedeutende Jellinek sei mein Factotum, als daß der radikale Julius dafür gelte. – Der Ruf der ‚Grenzboten‘ darf kein radikaler sein“.

Charakteristisch für die Redactionsführung Kuranda’s sind die Worte Alfred Meißner’s: „K. war ein geistreicher Mann und liebenswürdiger Redacteur. Er war mehr der Kapellmeister der ‚Grenzboten‘, der das Zustandekommen eines Programms von schöner Abwechselung, das gute Ensemble [447] und die tadellose Aufführung überwachte, weniger ein executirender Künstler; selten griff er selbst zur Geige. Seine Artikel schrieb er mit großer Sorgfalt, und sie waren so elegant wie seine Erscheinung. Er redigirte eigentlich auf Reisen bald von da, bald von dort aus … Kuranda’s Auge wachte über jeder Nummer mit zärtlicher Sorgfalt und er sprach am liebsten davon, was das letzte Heft enthalten habe oder das nächste bringen werde. Er war mit ganzer Seele bei der Sache. Man konnte es ihm auf dreißig Schritte ansehen, wenn wieder einmal eine Feder ersten Ranges ihm ein Manuscript eingesandt. Dann trug er sein Haupt mit besonderem Schwunge, die Hand führte noch kecker als sonst das zierliche Stöckchen, die Augen strahlten von siegreichem Feuer. Er hatte damals etwas von einem kleinen provençalischen Troubadour, und das war er in der That. Auf seinem Zimmer, ganz allein, pflegte er die Guitarre zu spielen, er besaß auch eine angenehme Tenorstimme“.

Während der Grenzbotenzeit war K. aber auch sonst schriftstellerisch thätig. Er gab 1842 ein „Novellen-Album“ heraus und veröffentlichte 1846 ein größeres Werk „Belgien seit seiner Revolution“ (Leipzig), in welchem er aus eigener Anschauung eine lebendige Schilderung von Land und Leuten gibt und auch die politischen Verhältnisse eingehend bespricht. – In diese Periode fallen auch mehrere Reisen, darunter eine nach Italien, wie denn K. überhaupt nie für allzulange Zeit in Leipzig verweilte, sondern sich monatelang in Brüssel, Paris, Prag, Wien, Berlin, Dresden und Hamburg aufhielt. Und dabei fand er in Leipzig die Zeit, an der Universität Collegien über Geschichte und Staatswissenschaften zu besuchen und das philosophische Doctordiplom zu erwerben.

Der Beginn der Pariser Februarrevolution traf K. in Brüssel. Er eilte sofort an den Schauplatz der Ereignisse und kehrte dann in höchster Eile nach Leipzig zurück. In rascher Erkenntniß, daß jetzt der rechte Boden für ihn allein Wien sein würde, beschied er deshalb Kaufmann nach Leipzig, damit dieser als Kenner der österreichischen Verhältnisse zunächst mit Schmidt in seiner Vertretung die Leitung der „Grenzboten“ übernehme, und eilte nach Wien. Zunächst hatte er noch den Gedanken festgehalten, von Oesterreich aus die Leitung der „Grenzboten“ weiterzuführen; allein schon im Sommer 1848 kam es zu Verhandlungen, deren Ergebniß war, daß K. aus der Redaction der „Grenzboten“ ausschied, welche Julian Schmidt und Gustav Freytag übernahmen. In Wien wurde K. von den liberalen Kreisen begeistert aufgenommen. Es wurde ihm die Stelle als Chefredacteur eines großen Actienjournals „Die Reform“, welches mit Unterstützung der Stände und der gemäßigt liberalen Partei gegründet werden sollte, angetragen; er wies sie aber zurück, weil ihm das Programm zu gemäßigt erschien, und er sich auch nicht der Abhängigkeit von einem Redactionsrath fügen wollte.

Bei der Wahl in das Vorparlament nach Frankfurt entsendete ihn die Wiener Universität mit Endlicher, Mühlfeld, Schneider, Giskra, Schilling und Schuselka in den Fünfziger-Ausschuß. – Auffallend war es, daß, wie Anton Springer hervorhebt, die österreichischen Redner bei der Sitzung am 11. April 1848 bei weitem nicht so stark die Rechte der Deutschen in Oesterreich betonten, als die Pflichten gegen die „nichtdeutschen Brüder“. So versicherte K. „wir wollen in der deutschen Verfassung die Aufrechthaltung und Hochachtung fremder Nationalitäten aussprechen und dadurch der Welt ein Beispiel von Humanität und höheren Staatsrechtes geben“.

Der Frankfurter Fünfziger-Ausschuß delegierte K., Schilling, sowie den Kanzler Wächter aus Stuttgart in die Deputation, die nach Prag entsendet [448] wurde, um die Wahlen für das deutsche Parlament in Böhmen zu betreiben. Diese Mission hatte jedoch keinen Erfolg, und eine Versammlung des Prager deutschen Vereins, welcher die Deputation beiwohnte, entging nur schwer der Gefahr, von tschechischen Studenten gesprengt zu werden.

Im Mai des Jahres 1848 wählte der deutschböhmische Wahlbezirk Teplitz K. in das deutsche Parlament. Am 15. August 1848 vermählte er sich zu Kolin mit Regine Wittelshöfer; bei der Hochzeit kam es zu lärmenden Demonstrationen seiner nationalen Gegner. Im Spätsommer kehrte K. nach Wien zurück, um daselbst das Blatt zu begründen, das ihm im Verein mit den „Grenzboten“ seinen journalistischen Ruhm sichert. Am 1. October 1848 erschien die erste Nummer der „Ostdeutschen Post“, in deren Leitartikel (gezeichnet mit Kda.) er sein politisches Programm entwickelt. Er bekennt sich als entschiedener Anhänger einer constitutionellen Monarchie auf breitester demokratischer Grundlage. Der Monarch soll nicht mehr sein als ein erblicher und politisch unverantwortlicher Präsident. Die Begriffe Freiheit und Nationalität sind ihm für Oesterreich synonym. „Die deutsche Nationalität ist die Trägerin der Freiheit in Oesterreich, nicht bloß für uns Deutsche, auch für unsere nichtdeutschen Staatsgenossen ist sie die sicherste Garantie gegen die Rückfälle des Absolutismus.“ Für ein directes Aufgehen Oesterreichs in Deutschland ist K. nicht. „Ernstlich drängt die Frage sich auf, ob wir dem großen deutschen Vaterlande nicht mehr nützen, wenn wir ihm die Waffen- und Produktionskraft von 30 Millionen verbündeter Slaven, Magyaren, Polen, Italienern, Wallachen und Deutschen zuführen, die durch Zoll- und Wehrverband Deutschlands Macht und Wohlstand unendlich mehr verstärken, als durch völliges ‚Aufgehen‘ im Sinne des Vorparlaments – wobei doch nur von den deutsch-österreichischen Provinzen allein die Rede sein könnte.“ Unter. Aufrechterhaltung der Autonomie Oesterreichs spricht sich K. demnach für einen innigen Verband mit Deutschland aus, und zwar nicht bloß im Sinne des „vermoderten Bundestages“, sondern in einem lebensvollen, umfassenderen Geiste. Ein großes und starkes Oesterreich ist sein Ideal, allein höher als der österreichische Staatsgedanke steht ihm das Deutschthum. „Aber wenn die Erhaltung dieses großen Oesterreichs“, schließt er den Artikel, „auch nur mit der kleinsten Gefahr für unsere Nationalität verbunden sein sollte, oder wenn gar der Schwerpunkt der Monarchie nach slavischer Seite fallen, und die Autonomie des deutschen Willens von der slavischen Majorität bedroht würde – dann mag immerhin die Monarchie in Trümmern zerfallen, dann ist es unsere heiligste Pflicht, dasselbe zu thun, was die Italiener und Croaten gegen ihre Unterdrücker unternommen haben. Und wir haben die lebendige Kraft dazu, und wir haben auch das geschriebene Recht dazu, denn Oesterreich, das eigentliche Oesterreich, ist zu alten Zeiten deutsch gewesen und muß auch für alle Zukunft deutsch bleiben“.

Während der stürmischen Octobertage wahrte sich die „Ostdeutsche Post“ ihr selbständiges Urtheil sowol dem Reichstage wie dem Gemeinderathe gegenüber, ohne wie andere Blätter, die früher der radicalsten Richtung angehört hatten, beim Herannahen Windischgrätz’ vollkommen zahm zu werden. „Eine ehrenvolle Ausnahme von diesen ihren Genossen, die lieber geradezu ins kaiserliche Lager gelaufen wären, wenn sie die Courage dazu gehabt hätten, machte Kuranda’s „Ostdeutsche Post“, heißt es bei Helfert in seiner Geschichte Oesterreichs vom Ausgange des Wiener October-Aufstandes 1848. – Das Erscheinen der „Ostdeutschen Post“ erfuhr infolge der Verhängung des Belagerungszustandes eine Unterbrechung, die vom 26. October bis zum 18. December dauerte. Mit letzterem Datum wurde der Zeitung das Weitererscheinen gestattet; doch [449] wurde sie schon am 10. Januar 1849 auf Anordnung des Ministers Stadion wegen eines angeblich aufreizenden Artikels suspendirt. Selbst die der österreichischen Regierung ergebene Augsburger „Allgemeine Zeitung“ ließ da den Warnungsruf ertönen: „Möge die Regierung bedenken, was sie thut, wenn sie die Männer der ‚Ostdeutschen Post‘ nöthigt, ihre Artikel wieder durch den Pascher über die Grenze hereinzuschicken, Männer wie Kuranda und den Exminister Pillersdorff, einen von den fleißigsten Mitarbeitern der ‚Ostdeutschen Post‘“. – In Kuranda’s Wohnung wurde damals eine – allerdings erfolglose – Hausdurchsuchung vorgenommen und nur gegen seinen Rücktritt von der Redaction konnte der Verleger Gerold am 6. Februar 1849 die Erlaubniß zum Wiedererscheinen des Blattes erwirken.

Als mit der Aufhebung der octroyirten Verfassung die vollständige Rückkehr zum unverhüllten Absolutismus vollzogen war, wurde K. im September 1851 nach Böhmen ausgewiesen. Erst im Herbst 1853 konnte er wieder die Leitung der „Ostdeutschen Post“ übernehmen. Soweit es die Preßverhältnisse der 50er Jahre gestatteten, bekämpfte er in ihren Spalten den Absolutismus und die Concordatspolitik, und es gelang ihm, durch den vornehmen Ton des Blattes und die anziehenden aus seiner Feder herrührenden Artikel, die allerdings zumeist Fragen der äußeren Politik behandelten, dem Blatte eine führende Stellung zu schaffen. 1859 gab K. auch eine „Volkswirthschaftliche Zeitung für Gesammt-Oesterreich“ mit dem Titel „Der Grundbesitz“ heraus. Die „Ostdeutsche Post“ erschien bis zum Juli 1866. Als mit dem Ausscheiden Oesterreichs aus dem Deutschen Bunde das politische Ideal Kuranda’s vernichtet war, verabschiedete er sich in einem Artikel von den Lesern und beendete damit seine publicistische Thätigkeit.

In das Jahr 1860 fällt sein Preßproceß gegen den Herausgeber der „Kirchenzeitung“ Sebastian Brunner, der damals sehr viel Aufsehen machte, und zu Gunsten Kuranda’s entschieden wurde. Als infolge des Februar-Patentes die Wahlen in die Landtage vorgenommen wurden, wurde K. von der inneren Stadt Wien mit 1723 Stimmen in den niederösterreichischen Landtag und von letzterem am 6. April in das Abgeordnetenhaus gewählt. Das Reichsrathsmandat der inneren Stadt Wien hat er, auch als directe Reichsrathswahlen eingeführt wurden, bis zu seinem Tode inne.

K. betheiligte sich im Parlamente namentlich an Debatten über Fragen der äußeren Politik. Insbesondere ist hier hervorzuheben seine Rede anläßlich der Bewilligung des Nachtragscredits von 10 Millionen Gulden zur Bestreitung der Kosten der Bundesexekution in Holstein-Lauenburg, in der er sich mit großer Schärfe gegen die damalige Politik der Regierung ausgesprochen und den zwei Jahre später ausgebrochenen Entscheidungskampf zwischen Oesterreich und Preußen um die Vorherrschaft in Deutschland vorausgesagt hat. – Im J. 1878 gehörte K. mit Herbst, Sturm und anderen Führern der Verfassungspartei, im Gegensatz zur sogenannten „bosnischen Linken“, zu den Hauptgegnern der bosnischen Politik Andrássy’s. Die Fragen der inneren Politik fanden K. immer als entschiedenen Gegner aller förderalistischen Tendenzen. In der Debatte erwies er sich stets als ein schlagfertiger und witziger Redner, von dem mancher Ausspruch zum geflügelten Worte wurde, so jener Satz, den er Rieger entgegnete: „Man kann auch in Nationalität Geschäfte machen“. Für die markante Stellung, die K. im öffentlichen Leben einnahm, ist es auch charakteristisch, daß seine Caricatur neben denjenigen Schindler’s, Herbst’s u. A. eine stehende Figur in den politischen Witzblättern wurde.

[450] Kuranda’s öffentliche Thätigkeit beschränkte sich nicht bloß auf Reichsrath und Landtag, er wurde auch wiederholt von der Wählerschaft der inneren Stadt in den Gemeinderath entsendet, an dessen Verhandlungen er regen Antheil nahm und von der Wiener israelitischen Cultusgemeinde zu ihrem Präsidenten gewählt. Im Mai 1881 verlieh ihm anläßlich seines 70. Geburtstages der Gemeinderath das Ehrenbürgerrecht der Stadt Wien, und das Burgtheater wollte sein Jugenddrama zur Aufführung bringen, was K. aber ablehnte. Bei dem vom Schriftsteller- und Journalistenvereine „Concordia“ ihm zu Ehren veranstalteten Festbankette wurde der Jubilar von seinem Parteigenossen Herbst gefeiert als „der Mann, der unter allen Verhältnissen treu geblieben den Grundsätzen, zu deren Anerkennung und Festigung unter der Bevölkerung Oesterreichs er vielleicht mehr als irgend ein anderer beigetragen“. – Von Auszeichnungen besaß K. den Leopoldsorden, doch hat er von dem damals mit diesem Orden verbundenen Rechte auf Erhebung in den Adelsstand keinen Gebrauch gemacht.

Am 6. Februar 1883 wurde K. von einem heftigen asthmatischen Anfalle erfaßt, der ihn aufs Krankenlager warf; wol erholte er sich wieder und nahm noch an den Verhandlungen des Parlaments – zum letzten Male am 14. März 1884 – theil. Der Anfall wiederholte sich aber am 15. März und zwei Wochen darauf verlor er das Bewußtsein, um es nur für kurze Augenblicke wiederzuerlangen. In seinen Delirien wollte er sich wiederholt vom Lager erheben und sich ins Parlament begeben, bis zuletzt beschäftigten ihn politische Fragen in seinen Phantasien. Am 3. April schloß er, umgeben von seiner Familie, die Augen für immer.

Kuranda’s Bedeutung liegt weniger in seiner Stellung als Parlamentarier – auf diesem Boden steht er wol nicht auf gleicher Höhe wie die gleichzeitigen Koryphäen der Verfassungspartei, Mühlfeld, Giskra oder Herbst –, sie ist vielmehr hauptsächlich auf dem Gebiete der Publicistik zu suchen, und der Mann, der zuerst in den „Grenzboten“ dem freien Worte eine Stätte gegeben, wird stets in der Geschichte der freiheitlichen Bewegung Oesterreichs mit Ehren genannt werden.

v. Wurzbach, Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich XIII, 407–416; daselbst auch ausführliche Quellenangaben zur Biographie Kuranda’s bis zum Jahre 1865. – Die Grenzboten, 1891, 4. Vierteljahr, der Aufsatz: Fünfzig Jahre. – J. A. v. Helfert, Die Wiener Journalistik im Jahre 1848. Wien 1874. – A. Springer, Geschichte Oesterreichs seit dem Wiener Frieden, 1809. Leipzig 1863. – W. Rogge, Oesterreich von Világos bis zur Gegenwart. Leipzig 1872–1873; – derselbe, Oesterreich seit der Katastrophe Hohenwart-Beust. Leipzig 1879. – Stenographische Protokolle des Hauses der Abgeordneten. – Die Nekrologe in den Wiener Tagesblättern, Anfang April 1884. – Biographische Einzelheiten in der „Deutschen Wochenschrift“ (herausgegeben von H. Friedjung).

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Johann Freiherr Peithner von Lichtenfels (1793-1866), Philosoph; Bruder von Taddäus Freiher Peithner von Lichtenfels
  2. Victor Cousin (* 28. November 1792 in Paris; † 14. Januar 1867 in Cannes), französischer Philosoph und Kulturtheoretiker.
  3. Jean-Baptiste Baron de Nothomb (* 3. Juli 1805 in Messancy/Provinz Luxemburg; † 16. September 1881 in Berlin), belgischer Staatsmann und Diplomat.
  4. Hendrik Conscience (* 3. Dezember 1812 in Antwerpen; † 10. September 1883 in Elsene bei Brüssel), flämischer Erzähler; gilt als Mitbegründer der flämischen Literatur.