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Artikel „Schuselka, Franz“ von Karl Heinrich Hugelmann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 34 (1892), S. 755–769, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Schuselka,_Franz&oldid=- (Version vom 6. November 2024, 17:32 Uhr UTC)
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Schuselka *): Franz S., Schriftsteller und Volksvertreter, wurde am 15. August 1811 in Budweis in Böhmen geboren.

Die Form des Namens deutet auf slavische Abstammung hin und dieser Umstand wurde auch in den litterarischen Fehden, in welche S. früh verwickelt wurde, von seinen Gegnern sofort geltend gemacht; S. vertheidigte aber trotzdem schon in seinen Jugendschriften energisch sein Deutschthum nach Geburt und Bildung und er hat diesen Standpunkt auch später, trotz aller Wandlungen der politischen Anschauungen, nicht aufgegeben. In einer Polemik gegen den Grafen Leo Thun in den vierziger Jahren kommt folgende bezeichnende Stellung vor: „Vielleicht stamme ich wirklich männlicherseits – mütterlicherseits ist Gmunden im schönen Ob. Oesterreich mein Stammsitz – von einem Slaven. Leider führen wir Proletarier keine Stammbäume. Dennoch weiß ich, daß ich schon in dritter Generazion entschieden deutsch bin. Vor einem Jahrhundert aber ist die Germanisirung meines männlichen Stammes nicht absichtlich, sondern im natürlichen Laufe der Dinge geschehen, und ich bin also wirklich ein geborener Deutscher.“ Und in späten Lebenstagen noch erklärte er, allerdings bedauernd, keiner slavischen Sprache mächtig zu sein. Jedenfalls blieb Schuselka’s Bildungsgang von slavischen Einflüssen unberührt; denn er kam schon als fünfjähriger Knabe nach Wien, wo er die Volksschule besuchte, und wenn er auch später wieder, als Gymnasiast, in Budweis weilte, so war doch die Atmosphäre in dieser Stadt damals weit mehr noch als heute eine überwiegend deutsche.

Bedeutsamer als die nationalen Verhältnisse Oesterreichs mußte für Schuselka’s Bildungsgang ein anderer Factor werden, nämlich die Armuth der Eltern. Sein Vater war Artilleriecorporal, wie S. einst selbst bei einem [756] Wählerbankett erklärte, und starb als solcher im Wiener Militärspital; S. war daher nicht nur während seiner Studien auf sich selbst gestellt, sondern er scheint auch schon früh die Stütze seiner Mutter gewesen zu sein. Die Wirkung dieser Einflüsse läßt sich durch das ganze Leben verfolgen. Wie in den ersten belletristischen Schriften ein warmes Herz und tiefes Verständniß für die Leiden der armen Bevölkerungsclassen hervortritt, so verleugnet sich dies auch in den späteren politischen Kämpfen nicht.

Desgleichen ist in unseren Augen für das weich empfindende, lebhafter Bewegung und tiefer Verstimmung zugängliche Wesen, welches Schuselka’s Gemüthsleben kennzeichnet und unverkennbar auf seine politische Richtung mächtig eingewirkt hat, der vorwiegend mütterliche Erziehungseinfluß ein naheliegender Erklärungsgrund. Darauf, daß dieser ein streng kirchlicher gewesen, verweist S. in seinen Schriften selbst, und die hieraus fließenden, bis an den Abend von Schuselka’s Leben reichenden Nachwirkungen werden aus der folgenden Darstellung vielfach erhellen.

Ueber die Zeit des Gymnasiums fehlen uns nähere Nachrichten. Spätestens im J. 1830 befand sich aber S. wieder in Wien, an dessen Universität er die juridischen Studien von 1830–34 absolvirte.

Neben diesen Studien ging eine sichtlich angestrengte Lehr- und Erziehungsthätigkeit einher; im J. 1830 finden wir S. als Hofmeister in der Erziehungsanstalt Klinkowström (s. A. D. B. XVI, 197), in den späteren Studienjahren in der Familie eines vielbeschäftigten Wiener Arztes. Als S. in den Märztagen des Jahres 1848 nach Oesterreich heimkehrend die Hallen der Universität wieder betrat, da gedachte er daher seiner Vergangenheit nicht ohne bittere Wehmuth als der Zeit, „in der er als gehetzter Student und Privatlehrer hier aus- und eingegangen“. In dieser Bahn ist er auch nach Beendigung seiner Universitätsstudien zunächst noch durch Jahre verharrt; die Stellung als Erzieher im gräflichen Hause Deym bringt ihn um die Mitte der dreißiger Jahre nach Prag und als Erzieher im Hause des Fürsten Longin Lobkowitz kehrt er nach Wien zurück.

Auch von einem Versuch juristischer Praxis als Praktikant bei dem Criminalgerichte in Wien finden sich Andeutungen. Der urkundliche Beleg hierfür liegt uns nicht vor; mit dieser Angabe würde es aber übereinstimmen, daß S. in den Jahren 1836–41 in der „Zeitschrift für österreichische Rechtsgelehrsamkeit“ mit mehreren criminalistischen Abhandlungen („Kriminalrechtsfall“; „Kann man überhaupt und nach österreichischen Gesetzen insbesondere durch Unterlassung das Verbrechen des Mordes begehen?“; „Bemerkungen über die §§ 38 u. 365 des Straf-Gesetz-Buchs, I. Theils“) hervortrat, und es wäre nur der Erklärung bedürftig, weshalb diese Laufbahn so bald aufgegeben wurde. Mochten die Gründe indeß in den politischen Verhältnissen oder in den Verhältnissen der äußeren Lebenslage bestanden haben, sicher ist es, daß wir S. um sein 30. Lebensjahr herum als entschieden berufsmäßigem Schriftsteller begegnen, und zwar zunächst auf dem Felde der Belletristik.

Die in den Wiener Zeitschriften dieser Art erfolgenden Bethätigungen können wir nicht näher verfolgen; als erste selbständige Schrift erschienen im J. 1840 die geschichtsphilosophischen „Weltgedanken“, 1841 folgte „Karl Gutherz. Eine Geschichte aus dem Wiener Volksleben“ (in zweiter Auflage 1844), 1842 ein Bändchen „Lustiges und Lehrreiches für Kinder aller Stände“ und 1844 schlossen sich zwei Bändchen von „Erzählungen“ an. Der Erfolg, hat S. auf diesem litterarischen Felde nicht gefehlt, und zwar unseres Erachtens wohlverdienter maßen, denn zumal bei „Karl Gutherz“ ist das Talent zu dem Volksroman unverkennbar. S. schreibt es einmal, bei der Kritik der österreichischen [757] Censur, nur seinen Erfahrungen mit der ängstlichen und lästigen Handhabung dieser Vorschriften zu, daß er von der Belletristik hinweg zur politischen Schriftstellerei übergegangen sei; wir glauben aber, mit der Annahme nicht zu irren, daß, wenn es hierzu überhaupt eines äußeren Anstoßes bedurfte, sich derselbe in der politischen Gährung der vierziger Jahre auch ohne dies gewiß früher oder später gefunden hätte.

Die „Deutschen Worte eines Oesterreichers (deren Vorrede aus Wien, Spätherbst 1842, datirt ist) sind der erste selbständige politische Versuch. S. trat mit dieser Schrift (Hamburg, Hoffmann u. Campe, 1843) in die Reihen jener censurflüchtigen Litteratur, welche, außerhalb Oesterreichs erscheinend, das Amt der Kritik an den österreichischen Zuständen übte, und es war nur ein naheliegender weiterer Schritt, daß er noch 1842, wohl ohne das Erscheinen dieser Schrift abzuwarten, Oesterreich überhaupt verließ.

In Jena, wohin er sich zu ständigem Aufenthalt begab, erwarb er zunächst noch den juridischen Doctorgrad, wozu er bisher, offenbar unter dem Drucke seiner Lebensverhältnisse, nicht gelangt war, und zwar, anknüpfend an seine österreichischen litterarischen Arbeiten, auf Grund einer criminalistischen Dissertation „Beitrag zur Beurtheilung des preußischen Strafgesetzentwurfes“ (Jena 1843). Sodann entwickelte er von hier aus eine rege, vor allem auf Oesterreich berechnete, publicistische Wirksamkeit, welche fortan sein Lebenselement in jeder Beziehung blieb. In der „Leipziger Allgemeinen Zeitung“ vor allem, welche damals in jeder Woche zwei oder drei Artikel über Oesterreich brachte, griff er journalistisch ein; er kämpfte hier gegen das vormärzliche österreichische Regierungssystem sowie gegen deutschfeindliche Bestrebungen in Oesterreich, und nach seinem eigenen Urtheil sollen insbesondere jene Artikel das größte Aufsehen gemacht haben, in welchen er die W. Briefe von Zedlitz, die W. W. Briefe des kosmopolitischen Nachtwächters und die „Salbadereien des Dr. Wildner“ vernichtete.

An diese „politischen Uebungsstudien“, wie er sie selbst nannte, begann sich in rascher Folge eine Reihe von politischen Broschüren anzuschließen. Auf die „Deutschen Worte eines Oesterreichers“ folgte alsbald im gleichen Verlage die Broschüre über die „orientalische, d. i. russische Frage“, und in demselben Jahre (1843) noch erschienen bei Weidmann in Leipzig die Flugschriften „Oesterreich und Ungarn“ und „Ist Oesterreich deutsch?“ Als S. im August 1843 aus Jena nach Oesterreich zurückkehrte und bei seiner Mutter in Klosterneuburg Aufenthalt nahm, wurde er daher sofort in Untersuchung gezogen. So strenge die Sache sich aber auch zunächst anließ und so lange sich dieselbe auch hinschleppte, sie endete ohne bedenkliche Folgen für S.; im Gegentheile, er erhielt sogar wieder einen Reisepaß für das Ausland, so daß er 1845 sich neuerlich nach Jena begeben konnte. Natürlich hatte die Untersuchung den Nimbus des oppositionellen Schriftstellers erhöht; es traf in bezeichnender Weise mit ihr zusammen, daß in jenen Tagen (13. März 1844) der Magistrat von Kronstadt in Siebenbürgen ihm den Dank für die litterarische Vertretung der deutschen Interessen des Sachsenstammes in einer Adresse aussprach. Mit gesteigertem Eifer setzte daher S. seine publicistische Thätigkeit fort, so daß er in der Vorrede zu seiner „Deutschen Volkspolitik“ (Herbstmond 1846) von 15 bis dahin erschienenen selbständigen politischen Schriften sprechen konnte.

Der erschöpfenden Feststellung dieser Schriften steht zum Theil die Anonymität der censurflüchtigen Litteratur hinderlich im Wege, zumal unserem fruchtbaren Autor von der ihm geneigten öffentlichen Meinung jener Tage unseres Erachtens manche Aufsehen erregende Erscheinungen irrthümlich zugeschrieben wurden. So können wir uns aus mehrfachen Gründen nicht entschließen, die [758] gemeiniglich S. zugedachte Broschüre „Oesterreich im Jahre 1848“ (Hamburg, Hoffmann u. Campe, 1843), „Oesterreich und Rußland“ (Leipzig, Reclam, 1844), „Der Fortschritt und das konservative Prinzip in Oesterreich. Von Dr. S.“ (Leipzig, Reclam, 1844) hier einzubeziehen, und auch hinsichtlich der Schrift „Ungarn als Quelle der Befürchtungen und Hoffnungen für Oesterreichs Zukunft. Von Dr. S.“ (Leipzig, Reclam, 1845) stehen wir nicht auf sicherem Boden. Vom Jahre 1845 an tritt aber S. aus seiner Anonymität heraus. Nur „Die preußische Verfassungsfrage und das nordische Prinzip“ (Jena, Frommann, 1845) und die „Briefe einer polnischen Dame“ (Leipzig, Mayer, 1846) gehören noch der maskirten Litteratur an; „Der Jesuitenkrieg gegen Oesterreich und Deutschland“ (Leipzig, Weidmann, 1845), „Die neue Kirche und die alte Politik“ (ebenda 1845), „Das deutschkatholische Priesterthum“ (Weimar, Hoffmann, 1845), „Mittelmeer, Ost- und Nordsee“ (Leipzig, Weidmann, 1845), die 3. Auflage der „Briefe Josef’s II.“ (Leipzig, Brockhaus, 1846), „Deutschland, Polen und Rußland“ (Hamburg, Hoffmann u. Campe, 1846), kämpfen mit offenem Visir.

Sollen wir diese Schriften kurz charakterisiren, so können wir die Haupttendenz derselben wohl dahin zusammenfassen, daß sie zunächst sämmtlich gegen das vormärzliche Regierungssystem Oesterreichs in der absolutistischen inneren und in der russenfreundlichen äußeren Politik, sowie gegen alle Versuche überhaupt gerichtet sind, das Deutschthum in Oesterreich zurückzudrängen und die Verbindung Oesterreichs mit Deutschland zu lockern.

Bisher bewegte sich S. im Fahrwasser der allgemeinen liberalen Strömung Oesterreichs; seine Schriften erhielten aber bald eine eigenthümliche Färbung durch seinen Anschluß an die deutsch-katholische Bewegung. Schon im „Jesuitenkrieg“ hatte er die „dringend nothwendige Opposition gegen die neue kirchliche Reaction in Oesterreich, gegen Jesuiten und Liguorianer“ begonnen, in der „neuen Kirche“ versuchte er geradezu den Nachweis, daß „die österreichischen Interessen im Einklang mit den deutschkatholischen Bestrebungen“ seien. Mit dieser Schrift sind wir bei einem wichtigen Markstein in Schuselka’s Leben angelangt. In dem Anhang zu derselben („Meine Lossagung von Rom“. Jena, den 10. November 1845) trennte er sich öffentlich von der römischen Kirche und trat dem „deutschkatholischen Kirchenstreben bei, um nach dem Maße der ihm von Gott verliehenen Kräfte die wahre christliche Kirche und den wahren christlichen Staat bauen zu helfen“; am 16. November 1845 wurde der Uebertritt zu der deutsch-katholischen Kirche in Weimar förmlich vollzogen.

Wol hat S. selbst über diesen Vorgang am Abende seines Lebens abfällig geurtheilt, aber nichtsdestoweniger wird auch jener, der der fraglichen Bewegung fremd gegenüber und auf Seite der historischen Mächte im kirchlichen Leben steht, von der Darstellung, wie sie S. damals gab, innerlich tief ergriffen sein, sofern ihm das Verständniß für religiöse Conflicte überhaupt nicht fehlt. Es ist der Ton aus dem Herzen quellender Empfindung, mit dem S. seinen Entschluß motivirt: „Ich that es, weil ich vor meinem Bewußtsein und vor Gott es thun mußte; auch der Gedanke an meine 73jährige Mutter, mit der ich allein im Leben stehe, der ich durch meine Lebensrichtung überhaupt viel Kummer und Herzleid machen muß, auch der Gedanke an meine gute Mutter machte mich nicht wankend.“

In dieser neuen kirchenpolitischen Richtung bewegen sich nun noch mehrere von Schuselka’s Schriften, wir nennen außer den schon oben erwähnten nur noch die Abhandlung „Zur deutschen Einigung“ in der „Deutschen Vierteljahrsschrift“ (1845, 1. Heft). Hiermit hatte S. eine Richtung eingeschlagen, welche in Oesterreich auf wenig Anklang rechnen konnte; in diesem Punkte wie in der fast [759] schwärmerischen Verfechtung des Rechtes der polnischen Nation in mehreren der genannten Schriften mußten sich seine Wege auch von jenen mancher Liberalen und Demokraten trennen.

Schon vor dem Uebertritt zum Deutschkatholicismus war S. durch das Weimaraner Ministerium der Befehl der österreichischen Regierung zugekommen, sich unverweilt nach Hause zu begeben, um sich wegen Uebertretung der Censurvorschriften einer Untersuchung zu unterwerfen. S. sah, wie aus seiner Vertheidigungsschrift vom 20. September 1845 erhellt, diesen seine ganze Existenz bedrohenden Befehl für ungesetzlich an und leistete ihm daher keine Folge. Hierdurch war aber auch sein Verbleiben in der freundlichen Universitätsstadt, in welcher er sich vollkommen eingelebt hatte – war er doch 1845 sogar Ehrenmitglied der Jenenser Burschenschaft geworden und unterhandelte bereits über den Ankauf eines Gartenhäuschens im Saalthale – unmöglich geworden. Die Weimaraner Regierung wies ihn zwar nicht direct aus, aber man gab ihm keine Aufenthaltskarte mehr, sondern duldete ihn nur von heute auf morgen. S. zog nunmehr im Decmber 1845 nach Hamburg; auf dem Wege dahin „traf ihn aber das österreichische Verbannungsgesetz gegen die Deutschkatholiken“. Es war dies ein von ihm tief empfundener Schlag, denn er liebte Oesterreich, er arbeitete „in der gläubigen Hoffnung, seinem Vaterlande zu nützen“, mit Bitterkeit sprach er sich jetzt aus und erhob seine Stimme namentlich dagegen, daß auch seine alte Mutter in Klosterneuburg in ein Verhör gezogen wurde.

Schuselka’s litterarische Thätigkeit wurde jetzt in Hamburg, wo die von ihm rühmend anerkannte Campe’sche Buchhandlung seine Bestrebungen mächtig unterstützte, eine, wo möglich noch lebhaftere, und zwar warf er jetzt durchwegs größere Schriften unter seinem vollen Namen auf den Markt. Hierher gehören zunächst (1846) die „Oesterreichischen Vor- und Rückschritte“ und die „Deutsche Volkspolitik“, sodann (1847) „Die Lösung der preußischen Verfassungsfrage“ (Hamburg, Niemeyer) und die „Geschichtsbilder aus Schleswig-Holstein“ (Leipzig, Brockhaus).

Das Ziel dieser Schriften war im wesentlichen das alte, nämlich vor allem Bekämpfung der inneren und äußeren Politik der österreichischen Regierung, und es kennzeichnet die Bedeutung Schuselka’s in jenen Tagen, daß die liberale ständische Opposition Oesterreichs mit ihm in Verbindung trat, wie schon aus den in der „Deutschen Volkspolitik“ veröffentlichten ständischen Staatsschriften klar erkennbar ist. Allein trotz dieser durchwegs oppositionellen Richtung schlägt ein warmes österreichisches Gefühl immer durch. Mag S. sich in Hamburg immerhin mitunter in seinen Ansichten bis zu einem theoretischen Republikanismus erheben; mag er bitter klagen, daß er, aus Oesterreich ausgestoßen, von keinem anderen deutschen Staate angenommen, nur das natürliche Bürgerrecht eines auf deutschem Boden Geborenen besitze und bloß ein Deutscher sei; trotz alledem hat er seinen österreichischen Standpunkt in der Hauptsache nie verleugnet, denn er liebte das „ganze große Oesterreich“ „als sein Vaterland“. Aber er kann sich dies Oesterreich nur in Verbindung mit seinem deutschen Berufe denken; er gibt daher Galizien und Lombardo-Venetien preis, welche ganz außerhalb der deutschen Stellung Oesterreichs liegen, jeden Angriff auf die deutsche Bedeutung Oesterreichs aber, jeden Versuch, Oesterreichs Gesammtmacht zu schwächen, will er aus allen seinen Kräften bekämpfen, obwol seine frühere begeisterte Zuversicht auf Oesterreichs Zukunft bedeutend erschüttert ist. „Oesterreich wurzelt in Deutschland. Die deutsche Stellung war Oesterreichs Anfang, ihr Verlust würde Oesterreichs Ende sein. Eine Erhebung des österreichischen Gesammtstaates ist nur auf dem Wege der Freiheit und des geistigen Aufschwungs, nur durch ein inniges Anschließen an den vorerst völlig zu entfesselnden deutschen Geist möglich.“ Es [760] kennzeichnet zugleich Schuselka’s maßvolles Wesen, daß er seine österreichischen Reformbestrebungen an die Belebung der österreichischen Ständeeinrichtungen anknüpfen will und, von dem in der ersten Schrift über die preußische Verfassungsfrage betonten, absolut demokratischen Standpunkte zurückkommend, die politische Aufgabe des Adels in Oesterreich anerkennt.

Wie man heute über den Werth dieser politischen Zeitlitteratur auch urtheilen möge, an Wirkung auf die Zeitgenossen hat es Schuselka’s Schriften damals nicht gefehlt; mit Recht konnte er damals von sich sagen: „Wer die Geschichte der neuesten Bewegung in Oesterreich genau und ehrlich beschreiben will, der wird meinen Namen nicht gänzlich ignoriren können.“

Neben dieser aus der Ferne fortgesetzten Theilnahme an Oesterreichs Kämpfen schenkte S. aber auch dem öffentlichen Leben in seiner nächsten Umgebung sein wärmstes Interesse. Schon seine Schrift über „Schleswig-Holstein“ gibt hierfür Zeugniß; noch bedeutsamer ist aber seine fortgesetzte Betheiligung an der deutsch-katholischen Bewegung. Er ward der geistige Leiter der deutsch-katholischen Gemeinde in Hamburg und versah in derselben durch geraume Zeit sogar die Stelle des der Gemeinde fehlenden Predigers; er vertrat diese Gemeinde im J. 1847 auf der deutsch-katholischen Kirchenversammlung in Berlin, und zwar that er dies alles, obwol es ihm zu seinem Schmerze klar war, daß diese kirchliche Reform in den aufgeklärten liberalen Kreisen Oesterreichs keinen Widerhall fand.

In mehrfacher Weise war somit S. mit dem Leben in Hamburg verknüpft und dankbar gedachte er auch nach der Trennung von der Hansestadt der werkthätigen Freundschaft, welche er hier in reicherem Maße als in seiner Heimath gefunden. Trotzdem litt es ihn hier keinen Augenblick länger, sobald die Wiener Märzbewegung ihm die Rückkehr nach Oesterreich ermöglichte. Er hatte eben eine neue Flugschrift durch Campe in die Welt gesandt („Oesterreich über alles“), als die Wiener Nachrichten nach Hamburg drangen; da riß es ihn fort auf den heimathlichen Boden der Revolution, welchen er am 23. März 1848 erreichte.

Hiermit beginnt eine neue Phase in Schuselka’s Leben; er wurde als gefeierter Schriftsteller, fast ohne es zu wollen, hineingezogen in die praktische Politik und die Wogen der Begeisterung trugen ihn auf die Höhen politischer Popularität.

S. hat über seine Betheiligung an dem politischen Leben des Jahres 1848 in dem zweiten Bande seiner „Deutschen Fahrten“ („Während der Revolution“. Wien, Jasper, 1849; 2. Auflage unter dem Titel „Das Revolutionsjahr. März 1848 bis März 1849“. Wien 1850) selbst Bericht erstattet und zwar in einer so schlichten, so sehr von Selbstkritik geleiteten, so sehr von der Befangenheit anderer Memoiren freien Weise, daß man sich seiner Führung bei Schilderung dieser Erlebnisse fast vollständig anvertrauen kann.

Zunächst wurde S. von den Wiener Litteraten in das deutsche Vorparlament entsendet und sodann trat er durch Cooptation in den Fünfziger Ausschuß ein. Die Bedeutung, deren sich Schuselka’s Name damals erfreute, tritt damit deutlich genug hervor; die von edlem Selbstgefühl erfüllten Worte, welche er vor Jahresfrist gesprochen, hatten jetzt eine glänzende Rechtfertigung erfahren. „Wie ich“, so heißt es in den „Oesterreichischen Vor- und Rückschritten“, „zu dieser eigenthümlichen, in Oesterreich noch nicht dagewesenen Stellung gekommen bin, das erscheint mir völlig wunderbar. In gläubiger Demuth erkenne ich die Hand Gottes, der mich diesen Weg führt. Auf ihn berufe ich mich, wenn man mich frägt, wer mich zum politischen Schriftsteller autorisirt hat.“ Wie S. aber nach der einen Seite als der natürliche Vertreter des Deutschthums galt, so [761] war er für die andere Seite der Typus der Slavenfeindlichkeit. In jenen Tagen, da von den Tschechen die Beschickung des Frankfurter Parlaments abgelehnt wurde, erklang in Prag Hawliček’s berühmt gewordenes Spottlied: „Šuselka nam piše“ (Schuselka schreibt uns), welches S. als den nach Frankfurt Einladenden fingirt.

Während dieser Anwesenheit im Frankfurter Fünfziger Ausschusse wurde S. ohne förmliche Candidatur in Klosterneuburg bei Wien, dem Wohnsitz seiner Mutter, in die deutsche Nationalversammlung gewählt. Er schloß sich hier der gemäßigten Linken an, stimmte gegen das Gesetz über die provisorische Centralgewalt, betheiligte sich aber an der Wahl des Reichsverwesers, und zwar für Erzherzog Johann. Als Redner hat er sich in der kurzen Zeit seiner Mitgliedschaft im Parlament mehrfach bemerkbar gemacht, wol zumeist ohne unmittelbar praktischen Erfolg, aber in einer für seine politische Richtung bezeichnenden Weise. Wir heben insbesondere seine vergeblichen Versuche, die Nationalversammlung zu einem entschiedenen Auftreten gegen die russischen Rüstungen zu bestimmen und in der großen Polendebatte einen für die Polen günstigen, gegen die sofortige Theilung Posens gerichteten Antrag durchzusetzen, endlich den zu § 2 der Grundrechte gestellten und ebenfalls gescheiterten Dringlichkeitsantrag, die Judenemancipation ausdrücklich und feierlich auszusprechen, hervor. Alle diese Anregungen sind Zeugniß eines wenig praktischen Idealismus, eines bei aller nationalen Begeisterung unüberwindlichen inneren Strebens, stets gegen wirkliche oder vermeintliche Unterdrückung fremder Interessen aufzutreten. Es stimmt hiermit vollkommen überein, daß gerade S., der angebliche Tschechenfeind, es war, welcher das Aufgebot von Waffengewalt aus Anlaß der Wahlverweigerung in Böhmen bekämpfte und hiermit einen seiner wenigen Erfolge in der Nationalversammlung errang.

Mittlerweile war an S. der Ruf zu einer anderen politischen Aufgabe ergangen; der Wahlbezirk Perchtoldsdorf in Niederösterreich hatte ihn nämlich zum Abgeordneten in den constituirenden österreichischen Reichstag gewählt. Durch die Maiereignisse bestimmt, hatte S. im Juni einige Wochen in Wien verweilt und kaum nach Frankfurt zurückgekehrt, wurde er durch die Nachricht von seiner Wahl überrascht. S. stand jetzt auf dem Höhepunkte seines Glückes; vor vier Monaten, wie er selbst sagt, ein paß- und heimathloser Litterat, hatte er jetzt mit einem Male zwei Parlamentssitze! Er mußte sich für einen entscheiden und bezeichnender Weise entschied der Zug des Herzens für Oesterreich; am 27. Juli verließ er die Paulskirche, am 3. August trat er in den österreichischen Reichstag ein.

S. wählte auch hier seinen Platz auf der Linken und stimmte in allen demokratischen Fragen mit ihr, obwol sein Gegensatz zu den ultraradicalen Elementen in den Fragen der Einheit der Monarchie sich schon mehrfach bemerkbar machte. Im ganzen trat er anfänglich wenig hervor, erst die September- und Octoberereignisse stellten ihn in den Vordergrund. Als Vertrauensmann des Reichstags hatte er im September mit Glück zwischen der akademischen Legion und der Regierung vermittelt; am 6. October war er berufen, als Mitglied der ersten von dem Reichstag entsendeten Deputation, die Einstellung des Straßenkampfes zu bewirken und den Minister Graf Latour zu schützen. Bei der letztgenannten Mission fehlte ihm gleich anderen leider der Erfolg, aber trotzdem trat er von diesem Augenblicke an in die ersten Reihen des Reichstags; er wurde während der Reichstagspermanenz Mitglied des permanenten Ausschusses, er fungirte als Schriftführer und Berichterstatter, ja zeitweise als provisorischer Obmann desselben. Die Verantwortung für die Haltung des Reichstags in der Octoberrevolution trifft daher in erster Linie auch S. und er hat [762] diese Verantwortlichkeit auch nie gescheut, sondern sich muthig zu all den gefaßten Beschlüssen bekannt. Er konnte es thun; denn er nahm ja selbst, wie er es in seinen Schriften ausspricht, den Ruhm eines praktischen Politikers nicht für sich in Anspruch, und seinem Herzen sowie seinem Opfermuthe gereicht sein Wirken im October nur zur Ehre. Wenn er es nach dem 6. October noch für möglich hielt, daß, wie er sich ausdrückt, der Reichstag zugleich seinem Mandate und dem monarchischen Principe treu zwischen der Wiener Bevölkerung und der Krone vermittle, daß ferner der Reichstag die Frage des Widerstandes gegen die Truppen den localen Gewalten Wiens zu überlassen und seinerseits nur die ärgsten Schrecken abzuwehren habe, so hat er allerdings gezeigt, daß ihm die Fähigkeit, eine Revolution zu führen oder zu bannen, nicht eigen war; er hat aber damit nur die Rolle des Reichstags getheilt, er hat damit nur eine Haltung beobachtet, welche wenn auch von entschlossenener, politischer Consequenz entfernt, gewiß eine dem österreichischen, zumal dem Wiener Volkscharakter verwandte war.

Die in der Octoberrevolution errungene Stellung wirkte auch in der Kremsierer Session des Reichstages nach; S. wurde jetzt der am meisten hervortretende Sprecher der Linken, indem er im Plenum des Hauses muthvoll gegen die Maßnahmen des neuen Ministeriums der Contrerevolution auftrat. Seine Rede vom 3. März 1849 wurde mitunter sogar als Ursache der Beschleunigung der Reichstagsauflösung angesehen, welche bekanntlich am 7. März 1849 in überraschender Weise stattfand.

Schuselka’s Verhaftung wurde nun vielfach erwartet, doch erfolgte dieselbe nicht, obwol S. zum Unterschiede von anderen Abgeordneten die Flucht verschmähte. Er begab sich sogar gegen den Rath seiner Freunde unmittelbar nach Wien zurück und wurde hier wol als Zeuge vernommen, eine Untersuchung gegen ihn selbst wurde aber nicht eingeleitet.

Die Gründe, welche S. gerade nach Wien zogen, waren politischer und privater Natur; er mußte nach Wien, „um den feigen Verleumdern unter die Augen zu treten und sein Lebensglück zu finden“. Hiermit berühren wir Schuselka’s privates Leben in einem wichtigen, aber der Aufhellung noch mehrfach bedürftigen Punkte.

Der Zauber, welcher den gefeierten Redner der Reichstagslinken umgab, scheint eine Annäherung von für ihn begeisterter weiblicher Seite bewirkt zu haben, und diese führte jetzt trotz des Wandels der Zeiten rasch (19. Juni 1849) zu einem Ehebund. Die romanhafte Erklärung, welche man dieser Verbindung Schuselka’s mit der Schauspielerin Frau Brüning-Wohlbrück gegeben und welche bis auf die Beziehungen Schuselka’s zu dem Vater seiner Frau, dem Schauspieler Wohlbrück in Weimar, zurückführen, scheint uns ganz entbehrlich; wir halten uns viel lieber an die schwärmerischen Andeutungen Schuselka’s selbst. „Ich kehrte in der Kaiserkrone ein“, so heißt es in den „Deutschen Fahrten“ bei der Schilderung der Rückkehr nach Wien im März 1848. „Warum gerade da, das wußte ich nicht. Jetzt glaube ich, daß mich der geheime Zauber einer in der Nähe für mich athmenden Seele dahin gezogen.“ (Frau Brüning-Wohlbrück war Schauspielerin am Karltheater.) Und dort, wo er bei der Erzählung der Schmähungen, mit welchen man ihn in Kremsier brieflich überschüttete, auch der freundlichen Zuschriften voll der lohnendsten Anerkennung erwähnt, sagt er ausdrücklich: „Darunter war einer, der für mein Lebensglück die Stimme des Schicksals wurde und mir die schönste Errungenschaft meines Strebens, ein liebendes Herz brachte.“ So schrieb S. in jenem Buche, welches er im ersten Jahre seiner Ehe seiner „lieben Frau“ widmete, und dies bildet wol einen kaum zu beseitigenden Beleg.

[763] In diese Zeit muß auch der Uebertritt Schuselka’s zum Protestantismus fallen. Schon das Jahr zuvor hatte sich S. an der in Wien auftauchenden deutsch-katholischen Bewegung unmittelbar nicht mehr betheiligt, wenn er auch im Parlamente gegen die Unterdrückung der deutsch-katholischen Gemeinden das Wort ergriff. Nach seiner Erklärung im „Revolutions-Jahr“ entbehrte die Bewegung in Wien jeder religiösen Innerlichkeit, so daß er sich mit blutendem Herzen die Theilnahme versagen mußte; es ließe sich daher auch vom religiösen Standpunkte erklären, wenn er jetzt, da der Deutsch-Katholicismus thatsächlich durch Verordnung vom 16. November 1851 gesetzlich beseitigt war und er selbst doch offen im Widerspruch zu der herrschenden Kirche verharren wollte, zum Protestantismus übertrat.

Nach seiner Verehelichung schlug S. sein Domicil zunächst in Vöslau auf, in dessen Nähe (Gainfahrn) er einen Besitz erwarb, und hier nahm er seine schriftstellerische Thätigkeit sofort wieder mit ungebrochenem Muthe auf. Er brachte zunächst den ersten Band seiner „Deutschen Fahrten“ zur Veröffentlichung (Wien, Jasper; die Vorrede ist von Wien, Wonnemond 1849, datirt), welchen er schon um Neujahr 1848 vollendet und den er seiner belletristischen Färbung wegen in den folgenden politischen Stürmen zurückgestellt hatte. An diesen Band schloß er als zweiten die mehrerwähnte Darstellung seiner politischen Erlebnisse im J. 1848 an.

Die öffentliche Aufmerksamkeit wendete sich auch jetzt noch, trotz der politischen Stille, vornehmlich dem zweiten Bande der „Deutschen Fahrten“ zu, welcher allein es zu einer zweiten Auflage brachte; die Schilderung der vormärzlichen Verhältnisse in dem ersten Bande griff eben nach den Erlebnissen des Jahres 1848 wie in eine weit entlegene Zeit zurück. Wenn wir somit die Verschiedenheit des äußeren Erfolgs sehr wol begreifen, so können wir aber doch nicht umhin, den ersten Band der „Deutschen Fahrten“ für ein Buch zu erklären, in welchem S. die Meisterschaft belletristischer Darstellung voll bewährt hat, so daß wir hier wie bei den Jugendarbeiten nur bedauern, daß dies Talent in dieser Richtung nicht weiter zur Entfaltung gekommen. Auch wer an der leidenschaftlichen Polemik des Verfassers gegen das Kirchenthum Anstoß nimmt, wird an der Lebendigkeit dieser politischen Reisebriefe sich erfreuen können.

Die weitere schriftstellerische Wirksamkeit Schuselka’s gehört der Zeitpolitik an. Während die „Deutschen Fahrten“ noch unter der Presse waren, trat er mit einer Flugschrift „Deutsch oder russisch“ (Wien, Jasper) auf den Plan, welche den Gedanken antirussischer Politik wieder mit Lebhaftigkeit verfocht, obwol damals die russischen Heere auf ungarischem Boden standen. Oesterreich müsse sich entweder mit Deutschland oder mit Rußland verbinden, Rußland sei der natürliche und nothwendige Gegner Oesterreichs, so heißt es da; Oesterreich bis an den Balkan, sei die Losung, dazu müsse mit Rußland der Entscheidungskampf gekämpft werden.

Auch diese Flugschrift erlebte rasch eine zweite Auflage, aber hier wie in dem „Revolutionsjahre“ war S. schon genöthigt, sich gegen ultra-radicale Angriffe zu vertheidigen. Feierlich erklärte er hier: „Ich habe nie die Zertrümmerung Oesterreichs gewollt“. Und fürwahr, er konnte es sagen. Er brauchte sich nur auf seine Schrift im Frühjahr 1848 „Oesterreich über Alles“ zu berufen, welche das Hegel’sche Citat als Motto führte „Oesterreich ist nicht ein Königthum, sondern ein Kaiserthum, d. h. ein Aggregat von vielen Staatsorganisationen“; hier schon hatte er mit Emphase gerufen: „Wenn Oesterreich im Innern und nach außen für Italien, für Deutschland und gegen Rußland eine wahrhafte Kaiserpolitik übt, dann wird Oesterreich neu aufleben, es wird [764] namentlich dort gewiß noch wachsen, wohin ihm die Natur durch die Donau den Weg zeigt.“

Im Spätherbst 1849 folgte die Broschüre „Das Interim, die kleinen deutschen Staaten und die deutsche Freiheit“, im Frühjahr 1850 „Die Beleuchtung der Aufklärung des Grafen Ficquelmont“ (beide letztgenannten Schriften bei Jasper in Wien) und fast gleichzeitig „Das provisorische Oesterreich“ (Leipzig, Grunow).

Letztere Schrift, welche sich gegen die provisorische Organisation Oesterreichs durch Ministerialverordnungen kehrt und die Berufung eines Reichstags verlangt, bildet unseres Erachtens den Wendepunkt in Schuselka’s politischer Schriftstellerei; der vormärzliche Liberalissmus tritt vor den Anforderungen der Gegenwart zurück. „Jeder Denker sieht ein“, so heißt es hier, „daß Oesterreich nur durch eine glückliche, originelle Vereinigung des Föderations- und Centralisationssystems erhalten werden kann“; von den Deutschösterreichern wird verlangt, „daß sie dem politischen Vaterlande Oesterreich das natürliche Vaterland Deutschland opfern, denn dieses Opfer werde in weiterer Entwicklung doch dem deutschen Vaterlande gebracht“.

Noch deutlicher tritt diese Entwicklung in der Broschüre „Völker-Einigung. Ein Beitrag zur Versöhnung der Nationalitäten in Oesterreich“ (Leipzig, Grunow) hervor, auf welche sich S. in späteren Jahren vielfach berufen hat. Diese Schrift trägt die bezeichnenden Worte Herder’s an der Stirne: „Kein Vorwurf ist drückender, als der, fremden Nationen unrecht gethan zu haben“, und in der Vorrede (Gainfahrn, Spätherbst 1850) gibt S. folgende bemerkenswerthe Erklärung ab: „Ich habe als einer der Kämpfer der deutschen Nationaliät manches harte Wort geschrieben und gesprochen, das den anderen Nationalitäten unrecht und weh gethan. Sie haben es mir freilich in reichem Maße zurückgegeben; aber die Betrachtung unseres gemeinsamen Unglücks hat mich jenes vermeiden und dieses vergessen gelehrt. Innig wünsche ich, daß alle meine Gegner, daß alle österreichischen Völker und ihre Wortführer sich so bekehren möchten, wie ich es hiermit thue.“

Im J. 1851 begleitete S. seine Frau auf einer Kunstreise durch Deutschland und da traf ihn in Berlin das Schicksal, auf Grund einer vormärzlichen Verurtheilung seiner Schrift über „Die preußische Verfassungsfrage“ aus Berlin ausgewiesen zu werden. Ob damit zusammenhängend oder selbständig, das ist uns nicht bekannt, aber im gleichen Jahre wurde von österreichischer Seite über ihn die Internirung in Gainfahrn verhängt, welche bis 1854 dauerte.

Unter diesen Verhältnissen war an eine Schriftstellerei über innere politische Fragen nicht zu denken; nur die Fragen der äußeren Politik, in welchen sich S. nicht im grundsätzlichen Gegensatz zu den herrschenden Gewalten befand, gaben ihm während der Jahre des Krimkrieges Gelegenheit zu einigen, und zwar größeren Arbeiten. In dieser Richtung bewegen sich zunächst der historisch-politische Beitrag über „Das türkische Verhängniß und die Großmächte“ (Leipzig, Brockhaus; unter dem Titel „Die europäischen Großmächte und die Türkei“, Wien, Jasper. 1853), sodann die geschichtlichen Bilder aus „Rußlands Politik“ in zwei Bänden (Dresden, Schäfer, 1854), schließlich ein Memorandum über „Oesterreich und Rußland“ und die Flugschrift „Preußen als Großmacht und die Nondum meridies-Politik“ (beide Leipzig, Geibel, 1855). Auch ein anonymer kritischer Beitrag zur Geschichte der Bündnisse zwischen „Oesterreich und England“ (Stuttgart, Cotta, 1854) wird S. zugeschrieben.

Energisch wird in der ersten dieser Schriften Oesterreichs Mission im Osten vertheidigt; diese Mission soll mit den preußischen Bestrebungen in Deutschland im vollen Einklang sein, denn „der Rhein wird an der Donau, die Donau [765] wird am Rhein vertheidigt“. Um so lebhafter ist aber die Bekämpfung Rußlands, das Eintreten für die Selbständigkeit der Christenvölker, und zwar mit dem denkwürdigen Hinweis auf die Bedeutung der Bulgaren für das künftige Geschick der türkischen Länder. In den übrigen oben genannten Schriften wird für das Bündniß Oesterreichs mit den Westmächten Propaganda gemacht, und zwar geht der Antagonismus gegen Rußland jetzt so weit, daß selbst an dem Bündniß mit der Türkei kein Anstoß genommen wird.

In der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre scheint Schuselka’s Feder gerastet zu haben, wenigstens liegen größere Arbeiten nicht vor. Er weilte zu jener Zeit auch nicht in Oesterreich, sondern schlug seinen Wohnsitz in Dresden auf, wo seine Frau als Schauspielerin wirkte. Im J. 1859 sehen wir ihn aber wieder in Wien, er hielt als Präsident des Schriftstellervereins Concordia die Festrede bei der Schillerfeier und mit diesem Momente, der ja überhaupt in Wien vielfach das Wiedererwachen des politischen Lebens einleitete, stand er wieder im Vordergrund des öffentlichen Interesses. Bei dem 1861 neu geweckten Verfassungsleben war er daher, getragen von den 1848er Erinnerungen, einer der populärsten Candidaten und als gefeierter Volksmann trat er diesmal, von der Wiener Vorstadt Alsergrund gewählt, in den niederösterreichischen Landtag. Auch der Umstand, daß seine mißlichen Vermögensverhältnisse, welche zu Weiterungen zwischen ihm und seinem ehemaligen Freunde Dr. J. N. Berger führten, durch letzteren in die Oeffentlichkeit gelangten, konnte seine Popularität nicht mindern; als er wegen der Bloßlegung seiner privaten Schwierigkeiten sein Mandat niederlegte, wurde er mit Begeisterung wiedergewählt, es kam zu Straßenscenen gegen Dr. Berger und die stürmische Anhänglichkeit der Bevölkerung gelangte auch in einer öffentlichen Sammlung zu seinen Gunsten zum Ausdruck. Allein weiter reichte die Macht der Volksthümlichkeit nicht, den Weg in den Reichsrath, wo allein er das Feld für sein oratorisches Talent finden konnte, vermochte sie ihm nicht zu bahnen; der Landtag, welcher damals die Wahl in den Reichsrath vollzog, versagte ihm dieselbe. Zunächst mag allerdings, wie bei Berger, der eben berührte peinliche Zwischenfall ausschlaggebend gewesen sein, allein abgesehen davon trat sehr bald ein Abweichen Schuselka’s von der politischen Richtung der deutsch-liberalen Partei hervor, welcher ihn von dieser immer mehr und mehr trennte.

Schon in dieser ersten Landtagssession, welche in die Flitterwochen der Februarverfassung fiel, hatte S. (8. April) lebhaft vor der Täuschung gewarnt, daß Ungarn sich auf dem Boden dieser Verfassung anschließen werde, und jeden Zwangsversuch als einen verderblichen bezeichnet. Wol weckten diese Worte in Ungarn lebhaften Widerhall – S. wurde ihrer wegen von ungarischen Municipien sogar zum Ehrenbürger gewählt – in den officiellen liberalen Kreisen konnten sie nicht als Empfehlung dienen und sie wurden auch dadurch nicht ausgeglichen, daß S. in der Pfingstwoche desselben Jahres in der Flugschrift „An Franz Deák“, welche förmlich als ein Ereigniß galt, gegen die ungarischen Landtagsadressen Front machte. Seine Stellung blieb eine isolirte. Ob und inwieweit dann persönliche Verstimmung dazu beigetragen, ihn immer weiter von den liberalen Kreisen der Deutsch-Oesterreicher abzudrängen, ist schwer zu ermitteln; unwahrscheinlich ist diese Auslegung bei einer so lebhaft empfindenden, fast elegisch angehauchten Persönlichkeit, wie S. es war, nicht.

Noch im Sommer 1861, als im Reichsrathe die ungarische Frage aufgerollt wurde, kam diese Lossagung durch Schuselka’s zweite Broschüre dieses Jahres „Oesterreich und Ungarn“ zu vollem Ausdruck. Er trat hier in entschiedene Opposition zur Reichsrathsmajorität, indem er muthvoll das Banner des Föderalismus aufpflanzte, und zwar that er es mit einer Lebhaftigkeit und Wärme, [766] daß wir nicht anstehen, diese Broschüre dem Besten beizuzählen, das S. in polemischer Richtung je geschrieben. „Oesterreich als solches gleicht nicht Einer lebenden Person, sondern es besteht aus vielen lebenden staatlichen Persönlichkeiten“, so ruft er gegen die Centralisten aus. „Oesterreich kann den Gefahren der nationalen Staatenbildung nur dann entgehen, wenn es die strenge Centralisation verwirft.“ „Nur jene Verfassung, welche jedes einzelne Volk in seiner nationalen politischen Individualität befriedigt, wird Oesterreichs Heil begründen; und gerade die Deutsch-Oesterreicher müssen die aufrichtigsten Föderalisten sein, um von der Lebensentwicklung Deutschlands nicht abgeschlossen zu werden“.

Zur Vertretung dieses eigenartigen, nur von wenigen Liberalen Deutsch-Oesterreichs getheilten Standpunktes gründete S. zu Neujahr 1862 eine politische Wochenschrift, die „Reform“. Er that damit einen Schritt, welcher ihm schon im J. 1848 vorgeschwebt hatte, nur that er ihn unter wesentlich veränderten, ihm weniger günstigen Umständen. Daß ihm trotzdem die Gründung nicht nur gelang, sondern daß er das Blatt durch 17 Jahre fast ganz allein auf seinen Schultern zu tragen vermochte, während dasselbe nach seinem Rücktritt nur kurze Zeit die Existenz behauptete, ist ein Beweis für seine Thatkraft und sein litterarisches Können. Aber auch politisch bleibt diesem Blatte das Verdienst, daß es in einer Zeit fast terroristischer Herrschaft bestimmter politischer Lehrmeinungen die Freiheit des politischen Urtheils zur Geltung brachte; den Beruf zum Oppositionsmann, welchen S. in seiner politischen Jugend für einen angeborenen hielt, hat er hier im Kampfe gegen die herrschenden politischen Parteien unerschrocken bethätigt.

In der Führung der „Reform“ concentrirte sich von da an immer mehr und mehr seine ganze Thätigkeit. Wol gehörte er dem niederösterreichischen Landtage noch als Mitglied an und versuchte auch in diesem beschränkten politischen Wirkungskreise seine Stimme gegen die allgemeine Reichspolitik zu erheben, im J. 1865 ward ihm aber auch diese Tribüne verschlossen. Schon 1863 war er infolge einer Verurtheilung wegen eines geringen Preßdelictes seines Mandates verlustig geworden. Damals stand ihm aber die Wählerschaft noch ohne Rücksicht auf die Parteiorthodoxie mit rührender Anhänglichkeit zur Seite und gab ihm wiederholt ihre Stimme, bis ein kaiserlicher Gnadenact ihm die Pforten des Landtages wieder erschloß. Die Verurtheilung in einem zweiten Preßproceß (im J. 1864) führte aber zu einer neuerlichen Wahl und jetzt (1865), da S. angesichts der Sistirung des Reichsrathes Stellung nehmen mußte, unterlag er der gegnerischen Agitation. Es ist auch hier für Schuselka’s Wesen charakteristisch, daß er schon nach der zweiten ihm feindlichen Wählerversammlung von der Candidatur zurücktrat, obwol seine Anhänger treu im Wahlkampfe ausharrten und nur mit wenigen Stimmen in der Minorität blieben.

Von da an verschwand S. aus Wiens politischem Leben, er selbst bezeichnete sich „als hier einflußlos und nach allen Richtungen fremd“. Aber auch nach Jahren, als seine einstigen Gegner (die kirchliche Partei und die tschechischen Föderalisten) ihn an verschiedenen Orten candidirten, blieb er im Hintergrunde. Die Lust und Kraft zum politischen Kampfe war ihm abhanden gekommen; zum Theile wol aus inneren Gründen, zum Theile gewiß infolge seiner leidigen Vermögensverhältnisse, denn er hatte ja schließlich sein liebes Besitzthum Gainfahrn nicht behaupten können.

Die Beurtheilung Schuselka’s in den letzten Decennien seines Lebens ist daher in der Hauptsache auf die „Reform“ beschränkt; was man den Abfall von seinen Gesinnungen genannt hat, muß aus dieser Zeitschrift beweisbar sein. Wer nun diese Blätter Jahr für Jahr verfolgt, der wird gewiß einen durchgreifenden [767] Wandel der Anschauungen in manchen entscheidenden Punkten wahrnehmen; ein gewaltsamer, aus inneren Gründen unerklärlicher Gesinnungswechsel liegt aber nicht vor. Es ist eine allmähliche Entwicklung, die sich Schritt für Schritt beobachten läßt; es ist jene innerliche Umkehr, welche aus einer Kette von Enttäuschungen sich so oft als letztes Glied ergibt.

In der ungarischen Frage hatte sich S. zuerst von der liberalen Centralistenpartei getrennt. Ihn leitete dabei aber nicht die von der herrschenden Meinung verschiedene Beurtheilung einer Machtfrage, sondern dem Grundzuge seines Wesens entsprechend, der Glaube, daß es sich hier um die Unterdrückung eines Volksthums, um die Abwehr ungerechtfertigten Zwanges handle. Von diesem Ausgangspunkte aus war es nur ein naheliegender Schritt, daß er auch in den übrigen politischen Fragen Oesterreichs auf Seite der um ihre Anerkennung ringenden Nationalitäten trat und an dem Föderalismus nicht irre wurde, selbst als er ihn schließlich in Conflict mit den Ungarn, ja selbst mit seinen Jugendtraditionen der Polenliebe und Russenfeindschaft brachte. Das Nationalitätsprincip war für ihn ein Resultat des die Menschheit erfüllenden Freiheitsprocesses und der Föderalismus erschien ihm eben als das Mittel, durch welches Oesterreich dieses Princip in der inneren und äußeren Politik siegreich verwirklichen konnte, statt durch dasslbe aufgelöst zu werden. In jeder einseitigen Bevorzugung einer Nationalität sah er eine Gefahr für Oesterreich und es kennzeichnet die Consequenz dieses Standpunktes, daß er, der schwärmerische Polenfreund von ehemals, in den siebziger Jahren das Bündniß der Verfassungspartei mit den österreichischen Polen verwarf. Nur innerhalb einer föderalistischen Gestaltung Oesterreichs sei die Aufrichtung des Polenthums zulässig, die privilegirte Constituirung eines polnischen Königreiches in Oesterreich könne, ja müsse von Rußland und Preußen als eine bedrohliche Demonstration betrachtet werden.

Wenn S. hiernach in den inneren österreichischen Fragen zumeist als Wortführer der Nichtdeutschen auftrat, so hat er aber deshalb seine warme deutsche Empfindung nicht verleugnet. Lebhaft nimmt er 1863 an Schleswig-Holsteins Sache Theil und es spricht nur für die Klarheit seines politischen Blicks, daß er später als Warner gegen die verkehrte österreichische Politik in dieser Frage auftrat. Er hat die Ziele Preußens früh erkannt und daher zum Unterschiede von anderen österreichischen Kreisen das Streben Preußens, an der Nordsee festen Fuß zu fassen, unbefangen beurtheilt. Wenn er bei der Krise des Jahres 1866 auch mit ganzem Herzen auf österreichischer Seite stand, so blieb er doch frei von jener thörichten Preußenfeindschaft, die von 1866–70 in Oesterreich gang und gäbe war. Wol erblickte er auch für Deutschland das Heil nur in einer Föderation, er hat sich aber von dem Trugbild des Südbundes nie berücken lassen und gegen die Lockung der französischen Allianz standhaft Front gemacht; er hat endlich im J. 1870 laut seine Stimme für die deutsche Sache erhoben, unbekümmert um den Widerspruch, welchen er bei den Nichtdeutschen Oesterreichs fand. In späteren Jahren allerdings, als bei den Erfolgen der Bismarck’schen Politik der Widerspruch der Liberalen verstummte und zumal bei der Bekämpfung der katholischen Kirche die Verhimmelung des neuen deutschen Reiches auf der Tagesordnung war, da konnte es wol nicht fehlen, daß S. wieder abseits stand; er stritt jetzt wieder für das föderative Princip in Deutschland, gegen die Bismarck’sche Politik überhaupt und insbesondere gegen den – Culturkampf.

Hiermit kommen wir zu einer neuen Seite unserer Aufgabe. Als S. sich Von der deutsch-liberalen Partei Oesterreichs in der Verfassungsfrage trennte, da stand er ihr in allgemeinen Freiheitsfragen, speciell in jenen der Kirchenpolitik noch vielfach nahe. Der zweite Preßproceß der „Reform“ hatte einem (zwar [768] nicht von S. geschriebenen) Artikel gegolten, welcher nach dem gerichtlichen Urtheil eine Beleidigung der katholischen Kirche enthielt, und noch im J. 1868 vertheidigte sich S. gegen die Angriffe der Gegner damit, jeder Leser der „Reform“ wisse, „daß er nie gegen die Freiheit überhaupt, gegen den Constitutionalismus, gegen die parlamentarische Regierung, gegen das Bürgerthum, gegen die deutsche Bildung, daß er nie für die Jesuiten, für das Concordat geschrieben habe“. Allein seine Opposition gegen die Vorherrschaft der Kirche in Oesterreich ward schon in wesentlich anderem Tone geführt, als seitens der liberalen Wortführer in Parlament und Presse; er mahnt, obwol er seine Eigenschaft als Protestant wiederholt bekennt, zur Mäßigung im Kampfe gegen die Kirche und kehrt sich unwillig gegen die kirchenfeindliche Strömung, sowie gegen jegliches Freidenkerthum.

Die Annäherung an die katholische Kirche läßt sich von da an Schritt für Schritt verfolgen. Als mit dem vaticanischen Concil die Gegensätze sich am schärfsten zuspitzten, da brachte die „Reform“ einen Artikel über „Infallibilität und Concordat“, welchen man füglich als die Ankündigung des Waffenstillstands ansehen kann. „Die Unfehlbarkeit liegt im Glauben“, dies bedeutsame Wort entrang sich ihm an dieser Stelle. Und als, von dem Beifall nicht nur der Menge, sondern der Blüthe deutschen Geisteslebens begrüßt, die altkatholische Bewegung ihre Wellen trieb, kehrte sich S. sofort gegen dieselbe, „durch eigene schmerzliche Erfahrungen belehrt“. Wol nahm er noch 1871 den ihm aus katholisch-politischen Kreisen gezollten Dank nur mit Reserve, nämlich „obwol in kirchlicher Beziehung auf anderem Standpunkte stehend“, an; die Hitze des katholisch-politischen Kampfes nöthigte zu immer rückhaltsloserem Anschlusse an die conservative Richtung, der Bruch mit dem Liberalismus vollzog sich unaufhaltsam. So erklärte er denn im J. 1874, er habe in früheren Zeiten für die vom allgemeinen Despotismus unterdrückte Freiheit gekämpft, jetzt aber sei die Freiheit zum Parteidespotismus geworden; und mit Schluß des Jahres 1876 spricht er es geradezu aus, die Fortsetzung seines Blattes bedeute Fortsetzung des Kampfes für die gute Sache des österreichischen Völkerreiches, also jedes einzelnen Volkes und dann vorzugsweise „für die beste, höchste und heiligste Angelegenheit der Menschheit, für die Religion“.

War somit in allen Fragen der inneren Politik die Lossagung von dem Liberalismus Oesterreichs eine vollständige (auch in der Judenfrage zeigt sich ein Schwinden der alten Begeisterung für die Emancipation), so konnte es nicht fehlen, daß S. bei dem Wiederaufleben der orientalischen Frage seinen stets gehegten Sympathieen für die Befreiung der Balkanvölker lauten Ausdruck gab, da der hinderliche Antagonimus gegen Rußland in ihm überwunden war. Oft und oft, es kennzeichnete die „Reform“ dies vor fast allen anderen österreichischen Zeitschriften, hatte S. hier die Bedeutung der maritimen Interessen Oesterreichs gepredigt; jetzt kamen die Fragen des europäischen Südostens ins Rollen. Doch hiermit war dies bewegte litterarische Schaffen auch beendet.

Mitten unter diesen großen europäischen Verwicklungen und an der Schwelle eines Systemwechsels in Oesterreich (Januar 1879) wurde S. durch einen Schlaganfall an der Fortsetzung seiner regen publicistischen Thätigkeit gehemmt; im Juli 1879 mußte er infolge einer dauernden Lähmung von der Redaction der „Reform“ gänzlich zurücktreten. Und als sollte die Ausgleichung der Gegensätze, welche sich in S. selbst so vielfach vollzog, besonders klar zu Tage treten, so fügte es sich, daß er die Leitung der „Reform“ in die Hände jenes Dr. Jordan zurücklegte, mit dem er vor drei Decennien (1845) in heftiger litterarischer Fehde gestanden hatte. S. erblickte jetzt in der Vergangenheit dieses Mannes die Bürgschaft, daß er das Blatt in derselben politischen, nationalen, [769] confessionellen und wirthschaftlichen Richtung fortführen werde, „in der er es durch 17 Jahre des Kampfes geführt habe, um es jetzt nach dem unerforschlichen Rathschlusse Gottes in einem Augenblicke verlassen zu müssen, in welchem die Ideen, die er verfochten, zum Siege gelangen“.

Die Hoffnung, in den Spalten der „Reform“ noch öfter zu den Lesern zu sprechen, ging nicht in Erfüllung; denn das Blatt überdauerte den Rücktritt seines Gründers, wie schon erwähnt, nur kurze Zeit. Wenn S. nun noch zur Feder griff, so that er es nur für das streng katholische Organ „Neue Weckstimmen“, welches ihn zu seinen ständigen Mitarbeitern zählte. Hier (1882, 4. Heft) veröffentlichte er vor allem in der Schrift „Abfall und Rückkehr“ die Rechtfertigung seiner formellen Rückkehr zur katholischen Kirche, sodann (1883, 1. Heft) die biographisch wichtige Abhandlung „Bildungseinbildung“ und schließlich (1885, 1886) noch einige Aufsätze religiös-politischen Inhalts; der letzte derselben („Zweikampf zwischen Kirche und Staat“) erschien (1886, 9. Heft), als S. schon aus dem Leben geschieden war.

Am 1. September 1886 starb S. in Heiligenkreuz bei Wien, wohin er sich in den letzten Jahren gezogen; es war dies fast genau derselbe Ort, an welchem er vor 46 Jahren die Vorrede zu seinem „Karl Gutherz“ geschrieben. Die äußeren Lebenssorgen, von welchen S. in seiner Laufbahn so vielfach heimgesucht gewesen, scheinen ihn in den letzten Lebensjahren weniger bedrückt zu haben, da er, der einstige Präsident der „Concordia“, sich einer Pension dieses Vereins erfreute. Jedenfalls starb er aber arm und so ist auch seinen Gegnern die Behauptung nicht möglich gewesen, daß seine vielfach nicht begriffene Richtung ihm irgendwie Vortheile gebracht habe. Wie man über seine Richtung und über seine Wandlungen auch urtheilen möge, von dem Zug des Eigennutzes sind sie nicht bestimmt gewesen.

Schuselka’s politisches Streben ist, wenn man sein ganzes Leben überschaut, erfüllt von dem Ringen, das Deutschthum und Oesterreicherthum in seinem Innern zu verknüpfen, von dem Sinnen und Trachten, für das alte habsburgische Völkerreich die modernen Formen staatlichen Lebens zu finden; wenn er dabei im Laufe der Zeit von dem Conflicte der Gegensätze in verschiedene Bahnen getrieben wurde, so hat er die Schicksale des vielgestaltigen Staatslebens selbst getheilt. Und wahrlich, dieser Schwankungen wegen hätte ihn die liberale Partei nicht verfehmt; sein Hauptverbrechen war ein anderes – der Anschluß an die katholische Kirche. Allein gerade hier konnte sich S. mit Recht darauf berufen, daß die Wurzel der religiösen Gesinnung trotz der verschiedenen Aeußerungsformen in ihm stets lebendig gewesen, daß er sich dem Sectenstreben und dem Kampf gegen die katholische Kirche niemals aus Irreligiosität angeschlossen habe. Steht dies fest, dann wird gerade jener, dem die Mystik des Glaubens unverständlich ist, welche aus Schuselka’s Reversionsschrift spricht, sich scheuen müssen, hier ein Urtheil zu fällen. Ein Parteimann ist S. nie gewesen, dieser Lorbeer grünt ihm nicht; das Verdienst aber kann ihm nicht genommen werden, in den Entwicklungsgang der politischen Ideen Oesterreichs kräftig eingegriffen zu haben und dabei die eigenen Wege des selbständigen Denkers und unerschrockenen Mannes gewandelt zu sein.

Vgl. Wurzbach, Biogr. Lexikon XXXII, 223 ff., und die daselbst citirten Schriften. Außerdem: Alph. v. Klinkowström, Friedrich August v. Klinkowström und seine Nachkommen. Wien 1877. S. 322. – Zeitgenossen. Jena 1843. – Reichstags-Galerie. Wien 1849. Nr. 23. – Zur Geschichte des Wiener Journalisten- u. Schriftsteller-Vereins „Concordia“ 1859–1884. Wien 1884. S. 6 u. 38.

[755] *) Zu Bd. XXXIII, S. 99.